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Belohnter Mut

Die Heide hatte ihr prachtvolles Blütenkleid ausgezogen und sich in einen braunen Teppich verwandelt, über den der Herbstwind wehte. Immer wieder bat Rosemarie die Eltern, sie möchten sie einmal in die Spinnstube, zu Gastwirt Lerz, gehen lassen. Dort saßen an drei Nachmittagen der Woche die Frauen und die jungen Mädchen des Dorfes an ihren Spinnrädern und verarbeiteten die Wolle der Schnucken. Trine wußte so wunderschöne Sachen aus der Spinnstube zu erzählen, und Rosemarie ließ nicht eher mit Bitten nach, bis ihr die Eltern erlaubten, einen solchen Spinnachmittag im Lerz'schen Hause mitzumachen.

Nun saß sie mäuschenstill auf der Holzbank am Ofen und sah den fleißigen Spinnerinnen zu. Wie lustig die Räder schnurrten! Manchmal wurde auch gesungen. Dann aber erzählte bald diese, bald jene eine schaurige Geschichte. Wenn es Rosemarie kalt über den Rücken lief, leuchteten ihre Augen um so heller. Mitunter kniff sie Trine in den Arm und flüsterte:

»Hu, das ist so gruselig wie bei Vollmond am Wacholder.«

»Am morgigen Tage, am dreißigsten November, ist es ganz besonders gefährlich, über die Heide zu gehen«, sagte Trine. Morgen war Andreastag; am Andreastage ereignete sich mancherlei Merkwürdiges in der Heide. Die spinnenden Mädchen wußten davon zu berichten. Morgen früh, vor Sonnenaufgang, müsse man an die Tür des Hühnerstalles klopfen. Wenn sich der Hahn zuerst meldete, bekam man im nächsten Jahre einen Mann, meldete sich eine der Hennen, so blieb man noch ledig.

»Das mache ich auch«, sagte Trine.

»Wir haben keine Hühner«, klagte Rosemarie, »ach, wie schade!«

»Du bist noch viel zu klein, Trine«, antwortete Rosemarie, denn das zwölfjährige Mädchen erschien ihr noch lange nicht würdig genug, um mit Kranz und Schleier in die Kirche zu gehen.

»Sei still, Rosemarie«, sagte Trine, »die Hanne singt wieder.«

Hanne war eine Magd im Hause des Gastwirts, die eine besonders schöne Stimme hatte. Während sich ihr Spinnrad drehte, begann sie zu singen:

»Horch, sie fliegen über das Dach,
Heidekind, sei wach, sei wach!
Hörst du das Kreischen, hörst du das Schrein?
Siehst du den blutroten grausigen Schein?
Siehst du, sie wandern auf und ab,
Das sind die Hexen am Hünengrab.«

»Hu, – wie schaurig«, flüsterte Rosemarie Trine zu. »Hast du sie auch schon gesehen?«

»Viele haben sie gesehen.« Und wieder ertönte die Stimme der Hanne:

»Wenn der Mond über die Heide geht,
Wenn er erleuchtet den Hünenstein,
Dann mußt du wandern ganz allein
Über die braune Heide.
Was du nie vernimmst aus Menschenmund,
Das wird dir in dieser Stunde kund,
In der braunen, braunen Heide.«

Es wurde noch viel erzählt an diesem Nachmittag. Eine der Spinnerinnen berichtete von ihrer Großmutter, der am Andreastage eine Hexe begegnet sei, die gerade, als sie an der Großmutter vorüberging, ihren Kopf abgenommen und dann die Großmutter gegrüßt hätte. Wieder eine andere erzählte von dem Zauberer, der in der Andreasnacht umginge und geizige Leute in Machandelbäume verwandele. Eine Dritte wollte gar im vorigen Jahre den Teufel gesehen haben, der auf einem schwarzen Roß mit rotem Kopf und rotem Schwanz an ihr vorüber geritten sei.

Als Rosemarie gegen sechs Uhr abends vom Vater abgeholt wurde, war ihr so gruselig zu Mute, daß sie sich scheu nach rechts und links umblickte, wenn irgendwo ein Geräusch zu vernehmen war.

»Morgen ist es ganz schlimm, Vater. Da kommt der Andreas! Morgen wollen wir gar nicht aus dem Hause gehen.«

»Kleines Dummerchen, wann wirst du endlich den dummen Aberglauben verlieren? Du bemühst dich, alles mögliche in der Heide zu lernen und versuchst, dem Rudolf das Lesen und Schreiben beizubringen, du willst Finken zähmen, und deine Lämmchen sollen groß werden, aber du selber bleibst ein kleines Schäfchen. Ich hätte doch so gerne ein Töchterchen, das nicht immer an so dummes Zeug glaubt.«

»Ja, ich weiß schon, Vater, es gibt keinen Hexenmeister. Der Räuber im Räuberhause war auch kein Räuber, und eine Hexe ist auch noch nicht aus dem Schornstein gekommen.«

»Nun also, warum bist du dann immer so ängstlich?«

»Weil manchmal doch was Ängstliches da ist.«

»Nein, mein Mädelchen, wenn einem etwas ängstlich erscheint, muß man mutig nachsehen. Denke nur an deinen Gang zum Kreuzweg. Du glaubtest, der böse Zauberer hielte dich fest, aber später hast du selbst gehört, daß dein Kleid mit dem Stöckchen festgesteckt war, das du in die Erde gestoßen hast. So erklärt sich alles auf natürliche Weise!«

»Wenn es aber so schrecklich heult, oder wenn einer auf der Straße steht?«

»Dann geht man auf ihn zu und sieht nach, wer das ist, und meistens wird man dann sehen, daß niemand da ist, sondern daß da ein Baum steht, der schon immer dort stand. Besonders im Mondenlicht sehen die Bäume wie Menschen aus.«

»Ja, das ist richtig, Vater. – Jetzt werde ich immer auf alles losgehen.«

»Nein, nein«, wehrte der Vater lachend ab, »das sollst du auch nicht! Dazu bist du noch viel zu klein. Wenn dir irgend etwas unheimlich erscheint, sollst du uns rufen, und wir werden gemeinsam nachsehen, was es ist. Es wird sich immer als etwas ganz Harmloses herausstellen.«

»Wenn es aber so heult wie jetzt?«

»Das ist der Heidesturm, mein Kind, der sich in den alten Föhren fängt. Das ist etwas ganz Natürliches, davor braucht man sich nicht zu fürchten.«

»Vater, höre nur, wie es knackt!«

»Auch das ist der Sturm. Er schüttelt den Wacholder und bricht hier und dort einen morschen Ast ab.«

»Kommt der Andreas nicht morgen und tut den Menschen etwas Böses?«

»Nein, kleines Dummerchen, es kommt kein Andreas. Das ist wieder ein alter Aberglaube, auf den du nicht hören darfst.«

»Wenn er nun doch mal zu mir käme, Vater, – was mache ich da?«

»Dann rufst du nach mir oder nach Dirli-Mutti, und wir werden uns gemeinsam den alten Andreas besehen.«

»Na, Vater, dann ist es gut!«

Am Abend, als Rosemarie im Bett lag und der Sturm draußen noch immer heulte, empfand sie keine Angst. Ja, das war der Sturm, der über die Heide ging und die alten Bäume hin und herbog. Sie glaubte, es ganz deutlich zu vernehmen.

Auf einmal fuhr sie schreckensbleich in die Höhe. Irgendjemand hatte an ihr Fenster geklopft. Das konnte nur der Andreas sein. Da sie im ersten Stockwerk schlief, reichte kein Mensch an ihr Fenster hinauf.

Da klopfte es schon wieder! Vater und Mutter waren unten im Wohnzimmer. Der Vater hatte gesagt, sie brauche sich nicht zu fürchten, sie solle ihn rufen, damit sie sich gemeinsam den Andreas ansehen könnten. Da sprang sie rasch aus dem Bett, eilte mit bloßen Füßen die Treppe hinab, riß die Tür auf und rief den Eltern zu:

»Vater, komm ganz schnell, der Andreas ist oben, sieh ihn dir an!«

Herr Deste lachte: »Hast du schon wieder Furcht?«

»Ich schicke dich nicht mehr in die Spinnstube«, sagte die Mutter, »dort hat man dir wieder den Kopf mit törichtem Zeug heiß gemacht. Wo soll der Andreas sein?«

»Er klopft an mein Fenster.«

»Dann wollen wir ihm guten Abend sagen«, scherzte der Vater. Er nahm seine barfüßige Tochter auf den Arm und trug sie hinauf ins Zimmer. Die Mutter folgte den beiden.

»So, – nun wollen wir warten, bis er noch einmal klopft. Vielleicht hast du das nur geträumt.«

Es dauerte gar nicht lange, da klopfte es wieder an die Scheibe.

»Nun wollen wir uns den Andreas ansehen«, lachte der Vater. Er hüllte seine Tochter in ein warmes Tuch, nahm sie erneut auf den Arm, ging mit ihr zum Fenster und öffnete die eine Hälfte. »Jetzt wollen wir warten, bis er wieder klopft.«

Schon bald darauf schleuderte der Sturm einen kleinen Ast gegen die Scheibe, den er von einem in der Nähe stehenden Baum abgerissen hatte.

»Hast du gesehen, Rosemarie? fragte der Vater.

Das Heidekind war tief beschämt. Als sich Rosemarie wieder ins Bett legte, schlang sie beide Arme fest um den Hals des Vaters und sagte: »Jetzt weiß ich ganz genau, es gibt keinen Zauberer und keine Hexen, jetzt habe ich keine Angst mehr.«

»Es würde uns sehr freuen, wenn du von jetzt an ein mutiges und tapferes Mädchen sein würdest.«

»Jawohl, das werde ich«, klang es energisch zurück.

Am nächsten Morgen holte Herr Deste seine Tochter aus dem Bett. »Schnell anziehen, ich will dir etwas zeigen«, rief er.

Rosemarie war voller Neugierde. In größter Eile kleidete sie sich an, dann trat sie mit dem Vater hinaus in die Morgendämmerung. Der Wind hatte sich gelegt, aber über der ganzen Gegend lagen düstere Schatten.

»Sieh einmal dorthin«, sagte der Vater und zeigte auf die Straße, die noch im Halbdunkel lag. »Was ist das dort?«

Rosemarie zog die Stirne kraus. An der Straße saß ein Mensch, – nein, etwas anderes, – ein großes Tier. Es war unten schwarz und oben weiß. Mit einem Fuß oder einem Arm winkte es immerfort zu ihr herüber.

»Ich – fürchte – mich – nicht«, sagte Rosemarie zitternd vor Angst. »Vater, – was ist das? – was will der?«

»Wir wollen einmal hingehen«, schlug er vor.

»Nimmst du mich auf den Arm, Vater?«

»Jawohl, kleiner Angsthase. Habe ich dir nicht gesagt, es gibt nichts, was wir zu fürchten haben?«

»Er winkt so sehr!«

»Sieh mal, jetzt winkt er noch viel mehr.«

Tatsächlich flatterte ein langer, dürrer Arm hoch in der Luft. Aber schon hatte Herr Deste seine Tochter emporgehoben und schritt mit ihr in die graue Morgendämmerung hinein.

Bald war die rätselhafte Erscheinung erreicht. Herr Deste stellte sein Töchterchen auf die Erde. »So, jetzt darfst du dir das schreckliche Gespenst genauer besehen.«

Ein befreiendes Lachen kam aus Rosemaries Munde. Der kleine, dicke Wacholderbusch, den sie ganz genau kannte, stand noch immer an derselben Stelle. Über ihn war ein weißes Tischtuch gebreitet, das der Sturm wohl von einer Leine abgerissen und hierher getrieben hatte. An dem stachligen Wacholder war es hängengeblieben. Der eine Zipfel des Tuches schwenkte lustig in der Luft hin und her.

»Ist das nun gruselig?« fragte der Vater.

Rosemarie lachte noch immer. »Jetzt habe ich überhaupt keine Angst mehr, lieber Vater, jetzt habe ich endlich gelernt, daß es nichts gibt, vor dem man sich zu fürchten braucht. Und wenn mir wirklich einmal eine Hexe begegnet, dann ist es eben keine. Nein, Vater, jetzt habe ich keine Angst mehr!«

Herr Deste nahm das Tischtuch an sich. Es würde sich morgen schon zeigen, wem es fortgeflogen war.

»Und wenn nun heute der Andreas zu dir kommt, was machst du da, Sonnenscheinchen?«

»Ich sehe ihn mir ganz genau an und fürchte mich nicht vor ihm. Nein, Vater, ich fürchte mich jetzt nicht mehr!«

»Dann hättest du sehr viel gelernt, mein liebes Kind. Dein Mut wird gewiß einmal belohnt werden.«

Am späten Nachmittage des Andreastages setzte wieder ein heftiger Sturm ein. Herr Deste und seine Frau beschlossen trotzdem, in die Heide zu gehen. Der Maler liebte dieses Brausen und Stöhnen in der Natur. Er wollte ein neues Bild malen, mit sturmgepeitschten Bäumen im Herbstwind.

Auf die Frage der Mutter, ob sich Rosemarie fürchte, allein mit Ingeborg im Hause zu bleiben, lachte die Kleine lustig. »Ich fürchte mich überhaupt nicht mehr, Dirli-Mutti, der Andreas kommt nicht!«

Da machten die Eltern sich beruhigt auf den Weg. Sie mochten kaum eine halbe Stunde fort sein, als Ingeborg zu Rosemarie ins Zimmer kam.

»Draußen ist einer, ich höre es immerfort stöhnen.«

Rosemarie, die emsig an einem blauen Pulswärmer arbeitete, brach in helles Lachen aus: »Ach, das ist doch der Wind, der durch die Föhren geht. Denkst du, der Andreas kommt? Nein, der kommt nicht, und du brauchst dich nicht zu fürchten.«

»Vor dem Andreas fürchte ich mich auch nicht, aber es ist jemand da«, meinte Ingeborg. »Ich habe das Küchenfenster ein wenig aufgemacht, da habe ich einen Menschen deutlich gehört. Sehen kann ich nicht mehr recht, dazu ist es schon zu dunkel. Aber es ist bestimmt einer da.«

»Es ist keiner da«, erklärte Rosemarie mutig, »wenn du dich fürchtest, gehe ich mit dir hinaus, und dann lache ich dich aus.«

Rosemarie begleitete Ingeborg in die Küche. Wieder wurde das Fenster ein wenig geöffnet. Beide horchten gespannt. Erst vernahmen sie nichts als das Rauschen der Bäume, aber dann hörte auch Rosemarie ein leises Stöhnen. Und als sie noch ein Weilchen warteten, wurde das Stöhnen zu einem heiseren Schnarchen. Dann kam ein Husten und wieder der dumpfe, schmerzhafte Ton.

»Der Wind kann so viel Musik machen«, sagte das Heidekind, »immerfort singt er etwas anderes. Mal heult er, aber er kann auch schimpfen und Krach machen. – Das ist der Wind!«

»Nein, das ist kein Wind, das ist ein Mensch.«

Für Augenblicke biß Rosemarie die Zähne fest aufeinander und verzog das Gesicht. Dann packte sie Ingeborg an der Hand. »Komm mit, wir werden uns das in der Nähe ansehen. Dann ist es nichts. Wir beide fürchten uns nicht.«

»Sollen wir in den Garten gehen?« fragte Ingeborg ängstlich.

»Ja! Es ist kein Andreas, es ist auch keine Hexe! Das gibt es nicht, sagt mein Vater.«

»Es könnte ein Strolch sein.«

»In der Heide gibt es keine Strunzer! – Komm!«

Als wieder das Stöhnen zu vernehmen war, rief Ingeborg durch das Fenster hinaus, ob jemand da sei. Aber es kam keine Antwort? Das Röcheln klang nur noch lauter zu ihr herauf. Rasch machte sie das Fenster wieder zu, griff nach Rosemaries Arm, als könne sie bei dem Kinde Schutz suchen, und meinte zaghaft:

»Wir wollen ein bißchen in den Garten gehen.«

Draußen vor der Tür blieben beide wieder stehen. »Ist jemand hier?« rief Ingeborg aufs neue.

»Der Krischan«, antwortete es mit leiser Stimme.

»Krischan, lieber Krischan!« Rosemarie eilte der Stimme nach und fand den alten Schäfer auf der Erde liegen. Erschrocken beugte sie sich zu ihm nieder. »Krischan, was ist dir?«

»Sünnenschienchen,«, stieß der Alte mit größter Anstrengung hervor, »ich mußte dich noch einmal sehen, ehe ich in den Himmel gehe. Ich denke, der liebe Gott wird mir die Tür aufmachen.«

»Krischan, komm schnell ins Haus, hier draußen ist es kalt.«

»Kann nicht mehr, Sünnenschienchen, – es ist aus mit mir.«

»Krischan, lieber Krischan«, rief das Kind voller Angst und versuchte den Zusammengesunkenen aufzurichten.

»Wir bringen Sie ins Haus«, sagte Ingeborg, »stützen Sie sich fest auf meinen Arm.«

»Ja, Krischan, stütze dich fest auf den Arm.«

Es war nicht leicht, den Erschöpften aufzurichten. Anscheinend hatten ihn die Kräfte völlig verlassen. Er mußte sich fest auf Ingeborg stützen, denn die Füße versagten ihm den Dienst. Mit Mühe gelang es Ingeborg, den alten Schäfer ins Herrenzimmer zu bringen. Dort legten sie ihn auf das Sofa nieder. Rosemarie eilte in ihr Zimmer, holte ihr Deckbett und breitete es über den alten Mann.

»Krischan, du hast die gute Jacke an.«

»Ja«, sagte er leise, »wenn man zum Herrgott geht, muß man sich fein machen.«

»Krischan, dein Gesicht ist so rot.«

»Er hat Fieber«, flüsterte Ingeborg, »ich will Wasser holen und einen Umschlag machen.«

»Den mache ich«, rief Rosemarie, »Dirli-Mutti hat es auch immer gemacht! O, laß mich das tun, ich will dem Krischan etwas Gutes tun!«

Der Krischan lag mit geschlossenen Augen da und rührte sich nicht. Stoßweise kam der Atem aus seiner Brust. Es war ein dumpfes, schweres Röcheln. Rosemarie hatte eiligst ein Tuch geholt, in Wasser getaucht und legte es dem Krischan behutsam auf die Stirn. So hatte sie es Dirli-Mutti abgesehen.

»Das tut gut – –« sagte der alte Schäfer. »Liebes Sünnenschienchen, bis zum letzten Augenblick bist du mein guter Engel.«

»Tut es dir wirklich gut? Dann mache ich dir immerfort Umschläge.«

»O ja, – das tut gut, das ist schön.«

Eine Weile lag er ganz still, auch das Röcheln ließ nach. Rosemarie wandte kein Auge von dem geliebten Freund. Immer wieder erneuerte sie den kalten Umschlag. Wenn er zu naß geraten war, so daß dem Krischan das Wasser über das Gesicht lief, trocknete sie es behutsam wieder ab. Dankerfüllt nickte ihr der Schäfer zu.

»Mußt ganz ruhig liegen, Krischan, draußen ist ein böser Wind, aber hier ist es warm.«

»Draußen singt der Sturm. Er singt mir einen Choral, damit gehe ich in den Himmel, Sünnenschienchen.«

»Aber du kommst doch wieder?«

»Nein, Sünnenschienchen, ich gehe für immer fort!«

»Krischan, du mußt nicht in den Himmel gehen, du mußt hier bleiben«, rief Rosemarie ängstlich, »ich habe dir doch so schöne Pulswärmer gestrickt, blaue Glückspulswärmer. Krischan, warum zitterst du so sehr?«

Ein Schüttelfrost hatte den Alten befallen. Die Zähne schlugen ihm aufeinander. Dann kam ein bellender Husten aus seiner Brust.

»Krischan«, rief Rosemarie ängstlich, »wenn du krank bist, müssen wir den Doktor rufen. – O, wäre doch erst Dirli-Mutti da! Die macht dich wieder gesund.«

»Er friert«, flüsterte Ingeborg, »er ist wirklich sehr krank.«

»Hier, lege ihm das Tuch auf die Stirn, ich hole noch was Warmes.«

Rosemarie huschte davon und brächte eine Decke nach der anderen, die sie über ihren alten Freund breitete. Dabei schaute sie ängstlich in sein Gesicht.

»Frierst du noch?«

Krischan gab keine Antwort. Er lag mit gefalteten Händen da, und seine Lippen bewegten sich. Endlich sagte er leise: »Will den lieben Gott bitten, daß er es gnädig mit mir macht.«

Da faltete auch Rosemarie ihre Hände. »Lieber Gott, sei doch gut zu dem Krischan, mach ihn schnell wieder gesund. Er ist immer so lieb, und er hat so viel Licht in seinem Herzen, daß er anderen noch was abgeben kann. Lieber Gott, der Krischan ist mein allerbester Freund, aber hilf dem guten Krischan, laß ihn nicht frieren und nicht husten und mache ihn wieder gesund. Laß auch Dirli-Mutti heimkommen, dann wird sie ihm schon helfen.«

Der Schäfer schüttelte den Kopf. »Sünnenschienchen, gib mir deine Hand, so will ich einschlafen. Hab Dank für alles, was du an mir getan hast. Seit du kamst, hat der Krischan ein schönes Leben gehabt. Nun geht es zu Ende!«

»Krischan, warte mal ein bißchen, ich hole dir schnell die neuen Pulswärmer, die Glückspulswärmer, sie sind schon fertig! Dann frierst du nicht mehr.«

Zum dritten Male eilte Rosemarie die Treppe hinauf und brachte ihr selbstgestricktes Weihnachtsgeschenk. Sie ließ nicht eher nach, als bis sie beide Pulswärmer dem Krischan übergestreift hatte. Dann faltete sie erneut die Hände.

»Lieber Gott, siehst du, jetzt hat der Krischan die Glückspulswärmer an, nun mache ihn schnell wieder gesund!«

Ganz still war es im Zimmer. Rosemarie wagte nicht mehr zu sprechen. Sie hatte Ingeborg die Arbeit wieder abgenommen und legte die nassen Tücher auf die Stirn des Kranken. Von Zeit zu Zeit streichelte sie ihm die heißen Wangen. Aber Krischan schien das kaum noch zu merken.

So vergingen bange Minuten. Da hörte man die Haustür gehen, die Eltern kamen zurück. Rosemarie warf dem Schäfer noch rasch das nasse Tuch auf die Stirn, dann rannte sie den Eltern entgegen und berichtete, daß der Krischan sehr krank sei und in den Himmel gehen wollte.

Frau Deste eilte sofort ins Zimmer. Zunächst entfernte sie die zahlreichen Decken, die auf dem alten Manne lagen. Sie sah sofort, daß der Schäfer von heftigem Fieber befallen war, trocknete ihm das nasse Gesicht ab und fühlte seinen Puls. Das sah freilich mit dem alten Manne schlimm aus!

Währenddessen berichtete Rosemarie dem Vater, wie sie den Krischan gefunden hätten.

»Ingeborg hat sich gefürchtet, aber ich habe ihr gesagt, sie soll sich alles genau ansehen. Da haben wir den guten Krischan gefunden. Er lag ganz matt auf der Erde.«

»Das hast du brav gemacht, mein Sünnenschienchen! Vielleicht hast du damit dem Krischan das Leben gerettet. Bedenke: wenn du dich wieder gefürchtet hättest, und der alte Mann wäre draußen länger in Wind und Wetter geblieben, dann würde er vielleicht noch im Garten gestorben sein. Wenn er jetzt wieder gesund wird, war es nur dein Mut, der ihn rettete. Wäre es nicht wunderschön, wenn du dir sagen könntest: ich habe ihm geholfen? Ich war kein dummes Schäfchen, das sich vor merkwürdigen Geräuschen fürchtet. Sonnenscheinchen, wäre das nicht sehr schön?«

»O ja, Vater«, sagte sie voller Stolz, »das wäre schön! Wenn aber Krischan doch in den Himmel geht? Er hat schon die neue Jacke angezogen.«

»«Wir wollen gleich mal hören, was Dirli-Mutti sagt.«

Der Krischan blieb im Malerhause. Sie schickten Ingeborg zum Bauer Petersen, um Bescheid zu geben. Von der Bäuerin erfuhr sie, daß sich der Krischan schon seit Tagen nicht wohlgefühlt, aber jede ärztliche Hilfe abgelehnt hätte.

Im Malerhause ließ sich Krischan die aufopfernde Pflege von Dirli-Mutti gar gern gefallen. Den Arzt wollte er nicht. Aber der war auch kaum nötig, denn Frau Deste war in derartigen Fällen sehr erfahren; sie war ja früher Krankenschwester gewesen und wußte, was dem alten Manne guttat. Rosemarie durfte oft zu ihrem Freunde ins Zimmer gehen. Sie sprach nicht viel, nahm nur des Krischans Hand in die ihre und strich ihm leise über die Wange. Sie war noch immer voller Sorge, daß er nicht wieder gesund werden könnte. Aber schon nach wenigen Tagen erklärte Dirli-Mutti, daß es dem Krischan besser ginge, er solle aber noch im Malerhause bleiben, bis er wieder völlig hergestellt wäre.

Nun durfte Rosemarie auch wieder schwatzen. Der alte Schäfer lauschte ihren Worten und lächelte glücklich. Man hatte auch Rudolf geholt. Er kam täglich zum Großvater, und wenn er ihm mühsam aus der Fibel vorlas, war Rosemarie glücklich.

»Das hat er von mir gelernt«, sagte sie stolz.

»Mein Sünnenschienchen!«

»Dirli-Mutti macht dich wieder ganz gesund, aber die blauen Glückspulswärmer haben dir geholfen. – Krischan, nun habe ich dir schon jetzt die blauen Pulswärmer gegeben, und du solltest sie erst zu Weihnachten bekommen.«

Lächelnd zog der Alte die Pulswärmer von den Händen und reichte sie dem Kinde: »Verstecke sie gut, Sünnenschienchen, damit ich sie nicht mehr sehe, und zu Weihnachten schenkst du sie mir.«

»Ja, Krischan, das tue ich!« Rosemarie nahm die Pulswärmer und trug sie wieder hinauf in ihr Zimmer. Dann kam sie zu Krischan zurück. Der hatte erneut die Augen geschlossen und die Hände gefaltet.

»Was machst du jetzt?« fragte sie.

»Ich bete«, sagte er feierlich, »ich danke dem lieben Gott dafür, daß er mich noch ein Weilchen hier auf Erden läßt. Ich bitte ihn, daß er deine Eltern, die so gut zu mir sind, segnen möge, und ich flehe ihn heiß und innig an, daß er dich und meinen Rudolf behüten möge auf allen Wegen.«

Da war auch Rosemarie so feierlich zu Mute, daß sie stumm die Hände faltete und betete.

 


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