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Aurelio jagte durch die nächtliche Pampa. Die Wahl des Weges überließ er Cid. Seine Pulse jagten, und in seinem Herzen hämmerte die Unruhe. Der Vater war in Gefahr! Er selbst ging dem Unbekannten entgegen, einem Erlebnis, das er nur vom Hörensagen kannte. Er wußte: der Puelche war der Feind, der grausame, hinterlistige, von dessen erbarmungsloser Kriegführung die Gauchos an den abendlichen Feuern schaurige Dinge erzählten.
Keine Anwandlung von Furcht war in ihm. Er wußte, wenn die Gauchos aufgeboten wurden, um zum Kampf für ihr Leben und Eigentum anzutreten, lag der Sammelplatz südlich des Rio Quinto an einem weit ausgedehnten salzigen Sumpf, in einer Stellung, die dem von Süden andringenden Feind den Weg nach den Siedlungen verlegte und zugleich den sich sammelnden Gauchos einige Sicherheit gegen übermächtigen Angriff gewährte.
Dort würde er den Vater finden. Es hatte keinen Sinn, ihn erst auf der Estancia zu suchen. Die Sterne wiesen ihm den Weg nach Süden, der ihn schließlich an die Ufer des Rio Quinto führen mußte. Dabei war er sich klar darüber, daß er in dieser Nacht nicht mehr weit kommen würde. Cid war bereits von der Jagd ermüdet, und es war nicht klug, ihn zu Tode zu hetzen. Immerhin, das Ufer mußte er erreichen.
Und er erreichte es. Das Pferd gab her, was es zu geben hatte. Als es das frischere und weichere Pampasgras unter sich fühlte, das die Nähe des Flusses verriet, eilte es schneller vorwärts. Und schließlich glänzte vor ihm das silberne Band des Quinto; Aurelio sprang aus dem Sattel. Den Übergang über das Wasser mußte er auf den Morgen verschieben, er war bei Nacht zu gefährlich. Er sattelte Cid ab und ließ ihn laufen. Dann suchte er sich eine Lagerstatt unter einem dichtbelaubten Baum, wickelte sich in Poncho und Pferdedecke und streckte sich, den Sattel als Kopfkissen benutzend, zur Ruhe aus.
Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, als er erwachte, und er machte sich Vorwürfe, so lange geschlafen zu haben. Nachdem er hastig das bißchen Mundvorrat, das noch von der Jagd her in seiner Tasche steckte, verzehrt hatte, sattelte er das Pferd, sah vorsorglich nach Büchse und Zündhütchen, stieg auf und ritt langsam am Ufer entlang, nach einer Furt suchend. Bald fand er eine zum Übergang geeignete Stelle und überquerte den Fluß.
Und wiederum nahm er den Weg nach Süden, mit der Sicherheit des Pampasbewohners sich nach den Gräsern richtend, die dem kundigen Auge deutlich die Spuren der kalten südlichen Luftströmungen zeigten. Er überanstrengte Cid nicht, denn er wußte, daß das Pferd für den Notfall bei Kräften bleiben mußte. Unausgesetzt flog sein prüfender Blick über die ungeheure Fläche der Pampa, er beobachtete den Flug der Vögel, aber nichts Verdächtiges fiel ihm auf. Als es an der Zeit war, eine weitere Ruhepause eintreten zu lassen, erlegte er mit den Bolas ein Pampaskaninchen, zündete mit Hilfe von Breasträuchern Feuer an und briet sich die Jagdbeute.
Er verbrachte eine zweite Nacht im Pampasgras und setzte seinen Ritt mit dem ersten Morgengrauen fort. Oft kreuzte er nun kleine Wasserarme, an deren Lauf er sich orientieren konnte, um die Richtung nach Süden nicht zu verlieren. Cid hielt alles, was er versprochen hatte, er durchmaß spielend den Raum.
Im Laufe des Nachmittags fiel ihm am Schilfsaum eines Baches, der in einiger Entfernung vorüberfloß, etwas auf. An einer Stelle folgten die langen Halme nicht mit gleicher Regelmäßigkeit dem sie beugenden Luftzug, auch schienen einige Gräser geknickt.
Was hatte das zu bedeuten? Er kannte die Indianer der Pampa und ihre Kriegsweise nur aus den Schilderungen anderer, wußte aber sehr wohl, daß gegenüber diesen mit der Schläue des Fuchses ausgestatteten Kriegern die denkbarste Vorsicht am Platze war. Seiner Berechnung nach konnte er nur mehr wenige Leguas von den Salzsümpfen entfernt sein, denn er ritt durch hartes Gras. War der durch den Schilfsaum gekennzeichnete Wasserlauf sumpfig, dann war es möglich, daß sich dort vor ihm ein Hirsch gesuhlt hatte. Waren die Indios aber schon auf dem Kriegszug, dann war es auch nicht unmöglich, daß ihre Späher bis nördlich der Sümpfe streiften.
Plötzlich flogen zu seiner Rechten, weit oberhalb der ihm verdächtigen Stelle, einige Enten auf. Aurelio stutzte. Was hatte die Tiere hochgescheucht? Sein Auge mühte sich, den Schilfsaum zu durchdringen, aber er gewahrte nichts Verdächtiges; die Enten fielen gleich darauf wieder ein.
Er beschloß dennoch, den Bach weiter unten zu durchreiten. Als er sich dem Ufer näherte, strengte er Auge und Ohr auf das äußerste an, vernahm aber nichts als das leise Rauschen des Schilfes und sah auch nichts, was Verdacht erregen konnte. Er ritt in das Schilf hinein, das einen schmalen Saum bildete, dann durch das ziemlich seichte Wasser, und gewann ohne Schwierigkeit das jenseitige Ufer.
Als er drüben den Schilfsaum eben verlassen wollte, strauchelte Cid, der mit den Vorderhufen in eine unsichtbare Vertiefung geraten war, und der Reiter, gezwungen, der unfreiwilligen Bewegung zu folgen, neigte sich nach vorn. Diese Bewegung rettete sein Leben, denn dicht hinter seinem Kopf sauste eine schwere Kriegsbola vorbei, die, mit großer Sicherheit geschleudert, ihn unfehlbar getroffen haben würde, wenn das ausgleitende Roß ihn nicht vornüber gerissen hätte.
Bedienen die Pampasindianer sich auf der Jagd gegen große Tiere dreier dieser durch Riemen miteinander verbundenen Schleuderkugeln, während sie gegen geringeres Wild nur zwei anwenden, so schleudern sie im Krieg, besonders beim Angriff, um den Gegner zu verwirren, nur eine Kugel, die wie die anderen an einem kurzen Riemen um das Haupt geschwungen und dadurch zu tödlicher Wirkung beflügelt wird.
Aurelio fühlte das Sausen des Geschosses, er kannte das Geräusch, und, den Kopf wendend, sah er in etwa fünfzig Schritt Entfernung einen braunen Reiter halten, dessen von langem, dunklen Haar umrahmter Kopf gerade noch über das Schilf hervorragte. So sehr er erschrak, faßte er sich doch sogleich, gab Cid die Sporen und legte die Lanze ein.
Der Schimmel flog wie ein Pfeil vorwärts; ein gellender Ruf des Indios folgte ihm. Nach einigen gewaltigen Sprüngen riß Aurelio das Tier herum, daß es sich auf der Hinterhand fast auf der Stelle drehte, und hielt die Lanze vor. Schon hielt er dem Wilden gegenüber und sah in die dunklen, haßfunkelnden Augen des Mannes. Der Wilde mochte überrascht sein; er hatte wohl vorausgesetzt, daß der Reiter auf dem Schimmel die Flucht ergreifen würde. Jetzt warf er gewandt sein Pferd zur Seite und beschrieb in leichtem Galopp einen Bogen um seinen jugendlichen Gegner. Aurelio ließ Cid halten, folgte mit leichter Drehung der Bewegung des Puelchen und musterte den Wilden, der ihn mit so tückischem Angriff überfallen hatte.
Er sah einen kräftigen Mann von dunkler Hautfarbe mit den charakteristischen Gesichtszügen der Indios vor sich. Das straffe, lang herabwallende Haar war durch ein glitzerndes Band zusammengehalten, ein wallender Poncho fiel dem Mann von den Schultern herab, die lange, mit Straußenfedern geschmückte Lanze ruhte leicht in seiner Hand.
Der Mann, obgleich sicherlich älter als Aurelio, war gleichfalls noch jung, er war stämmiger und vor allem erheblich breitschulteriger als dieser. Nachdem sie ein Weilchen einander lauernd und beobachtend umkreist hatten, ließ der Puelche sein Pferd wieder in leichtem Bogen ansprengen; Aurelio vollführte die entgegengesetzte Bewegung, so daß die beiden Reiter einen Kreis beschrieben, dessen Durchmesser wohl siebzig bis achtzig Schritt betragen mochte. War Aurelio auch noch nie im Kampf gewesen, so war er doch in allen Phasen des Reiterkampfes Mann gegen Mann durch Juan geübt worden und wußte, daß es dem Wilden darauf ankam, ihm die Sonne ins Gesicht zu bringen, um dann auf ihn loszustürmen. Der Puelche erkannte bald, daß er einen Reiter ersten Ranges und ein unvergleichliches Pferd vor sich hatte, das dem leisesten Schenkeldruck folgte.
Als der Indio bei der kreisenden Bewegung der beiden Reiter zum zweitenmal die Sonne im Rücken hatte und sie Aurelio gerade in die Augen schien, sprengte er plötzlich mit eingelegter Lanze auf den jungen Gaucho los. Aber mit einigen Sprüngen seines Cid nach links vereitelte der Jüngling den gefährlichen Angriff und bot dem Indio die Brust, während sie beide die Sonne zur Seite hatten.
Wieder begann dasselbe Manöver wie vorher. Als durch Aurelios Geschicklichkeit und die Vortrefflichkeit seines Pferdes auch der zweite Angriff mißlang, lachte der Junge dem Indio in das Gesicht. Der fühlte den Hohn umso tiefer, als sein Gegner noch so jung war. Plötzlich sprengte er zurück.
Aurelio blieb an seinem Platz halten; die Sonne hatte er nun zur Rechten. In einer Entfernung von zweihundert Schritt hielt auch der Wilde. Aurelio sagte sich, daß der eigentliche Angriff nun erfolgen werde; sein Auge haftete fest auf dem Feind. Der Puelche setzte sein Pferd in leichten Galopp, direkt auf Aurelio zu. Dieser tat augenblicklich das gleiche und steigerte den Lauf seines Tieres, sobald der Indio eine raschere Gangart einschlug.
Sie mochten noch hundert Schritt voneinander entfernt sein, da legte der Puelche die Lanze ein und sprengte nun im vollen Rosselauf heran, gellende Schreie ausstoßend und die Spitze seiner Waffe in kreisende Bewegung setzend.
Gleichzeitig mit dem Puelchen spornte auch Aurelio seinen Cid zu rasendem Lauf, auch seine Lanze bewegte sich hin und her, um den Gegner irrezuführen, nur Sekunden dauerte es, bis die Reiter sich erreichten, und nur sekundenlang währte die Entscheidung. Im letzten Augenblick war es Aurelio durch eine blitzschnelle Bewegung gelungen, die Lanze des Indios zur Seite zu drängen; dicht an seiner Schulter stieß sie vorbei ins Leere, gleichzeitig traf die eigene Waffe den Roten in die Brust. Er mußte sie loslassen, um nicht mitgerissen zu werden. Blitzschnell riß er sein Pferd herum und griff für alle Fälle nach der Büchse. Da sah er den Puelchen zu Boden stürzen.
Langsam ritt er heran und sah mit Schaudern den Todeskampf des Gegners. Er zog ihm die Lanze aus der Wunde und suchte ihm beizustehen, doch tat der Mann schon nach wenigen Minuten seinen letzten Atemzug.
Nach der Anstrengung des Kampfes fühlte Aurelio sich ermattet und niedergeschlagen. Er hatte einen Menschen töten müssen; in seinem Innern krampfte sich etwas zusammen, wenn er daran dachte, aber er hatte keine Gelegenheit, lange betrüblichen Gedanken nachzuhängen, denn als er jetzt aufsah, gewahrte er einen Reiter, der von Osten her in rascher Gangart auf ihn zusprengte. Er sah sofort, daß es sich um einen Indianer handelte. Er warf einen hastigen Blick über die Pampa und sah: auch von Westen jagte ein Mann heran, ebenfalls ohne Zweifel ein Puelche. Und endlich, der Atem drohte ihm zu stocken, gewahrte er auch im Süden, wenn auch noch in weiter Entfernung, drei herannahende Reiter, die er gleichfalls für Indios halten mußte. Mit solcher Übermacht konnte er keinen Kampf aufnehmen; jetzt galt es, der Schnelligkeit Cids zu vertrauen.
Ein Jüngling von weniger Kühnheit und Umsicht wäre nach Norden zu entflohen, Aurelio sagte sich indessen, daß er sich dadurch von seinen Freunden entfernte, und das wollte er nicht. Sehr viele Späher der Puelchen konnten in diesem Teil der Pampa unmöglich sein. Er beschloß, dem von Osten herankommenden Gegner unmittelbar entgegenzureiten. Gelang es ihm, diesen kampfunfähig zu machen, dann durfte er hoffen, in der Nacht nach Süden ausbrechen und am anderen Tage die Salzsümpfe erreichen zu können. Entschlossen, sich der unausweichlichen Gefahr zu stellen, befestigte er die Lanze an seinem linken Arm und nahm die Büchse zur Hand. Er hatte sich in diesen Tagen unter Erich Stormars Anleitung geübt, auch vom Rücken des jagenden Pferdes zu schießen. In raschem Galopp jagte er nach Osten zu, dem Puelchen entgegen. Bald darauf bemerkte er, daß die von Süden kommenden Reiter ihre Richtung geändert hatten, und zwar nach Osten zu. Doch waren sie noch zu weit entfernt, um bei einem Zusammentreffen Aurelios mit dem Puelchen eingreifen zu können.
Die schußfertige Büchse in der Hand sprengte Aurelio dem Indio entgegen. Doch war er entschlossen, die Waffe nur im äußersten Fall zur Verteidigung seines Lebens anzuwenden, einen so nachhaltigen Eindruck hatte der Tod des ersten Gegners auf ihn hinterlassen. Er mochte sich dem Puelchen etwa auf tausend Schritt genähert haben, als dieser hielt und nach Süden ausschaute; doch kam er gleich darauf wieder näher. Aurelio ließ ihn herankommen. Zweihundert Schritt, dachte der Junge, eine weite Entfernung, aber es müßte schon gehen. Der Puelche deckte sich, so gut es gehen wollte, hinter dem Hals seines Pferdes. Er rechnete wohl nicht ernstlich damit, daß eine Büchse auf diese Entfernung hin sicher zu treffen vermöchte. Aurelio zielte auf die Brust des Indianerpferdes und drückte ab. Das Tier bäumte sich auf und brach in die Knie. Der Indianer sprang ab und jagte mit hastigen Sprüngen auf das Unterschilf zu. Aurelio ließ ihn laufen; er wußte, daß er von dem unberittenen Mann nichts mehr zu fürchten hatte. Er sah nach dem von Westen kommenden Gegner aus, aber der hatte sonderbarerweise bereits gewendet und jagte in der Ferne davon. Dagegen waren die drei Reiter im Süden inzwischen so nahe herangekommen, daß Aurelio es für gut hielt, seinen Cid ausgreifen zu lassen, damit ihm nicht der Weg nach Osten abgeschnitten würde. Eben wollte er sich in Galopp setzen, als er gewahrte, daß einer der drei Reiter eine Lanze emporhob und einige sonderbare Schwenkungen damit veranstaltete. Er schrie auf vor Freude. Er wußte: da kam Juan Perez heran; er kannte das Lanzenzeichen.
»Adelante! Adelante!« rief er Cid zu und sprengte, die Zeichen mit seiner Lanze beantwortend, in vollem Lauf auf die Reiter zu. Kurze Zeit darauf hielt er vor Don Juan, der ihn mit einem Gemisch von Stolz, Rührung, Freude und Mißbilligung anblickte.
»Wie kommst du hierher?« fragte der Gaucho, und mühte sich, dem Mißfallen im Ton seiner Stimme das Übergewicht zu verschaffen.
»Oh, Padrazo« – Aurelio sah dem Gaucho treuherzig in die Augen –, »ich sah die Fanale brennen, und ich wäre gestorben vor Scham, wenn ich in müßiger Sicherheit hätte bleiben müssen, während du in den Kampf zogst.«
»Und Don Enrique?« fragte Don Juan.
»Oh, Vater, er wollte mich halten, aber ich bin ihm fortgelaufen. Er sagte mir auch, warum du mich in die Berge geschickt hast, aber – o, Padrazo, das war nicht recht! Ich gehöre an deine Seite, wenn Gefahr droht.«
Satansbengel! dachte der Gaucho, und in seinen Augen schimmerte es. Er kämpfte die Rührung nieder, aber er drückte dem Jungen die Hand. »Du hast dich wehren müssen?« fragte er.
»Ja, Vater!«
»Der Puelche ist ins Schilf entwischt.«
»Ich wollte ihn nicht töten, Vater. Mich schaudert's noch, wenn ich an den Tod des andern denke.«
»Du hast zweimal kämpfen müssen?«
Aurelio berichtete in kurzen Worten, was sich ereignet hatte. Des Gauchos Auge leuchtete in wildem Stolz bei den schlichten Worten des Jungen. Er lobte ihn nicht, aber er streichelte ihn mit den Blicken. »Wir lagen im Gras«, sagte er, »um die Pampa zu überwachen, und gewahrten Cid erst nach dem Schuß.«
»Du hast Cid erkannt?«
»Da war nicht viel zu erkennen«, sagte der Gaucho. »Kein Puelche reitet einen Schimmel, und auch kein erfahrener Gaucho wird auf einem so auffälligen Tier in den Kampf ziehen. Komm, wir wollen uns den Toten ansehen.«
Juans beide Begleiter waren, nachdem sie Aurelio freundlich zugenickt hatten, sofort auf den Schilfsaum zu weitergeritten.
»Wo sind deine Vaqueros?« fragte Aurelio.
»Sie fangen den Burschen ein, den du geschont hast.«
Sie ritten der Stelle zu, wo Aurelio mit dem ersten Puelchen aneinandergeraten war. Juan fragte nach d'Urquiza und erfuhr nun staunend und nicht wenig erschrocken von den Ereignissen im Cordobagebirge und von der Gefahr, in der Aurelio geschwebt hatte. »Die Tiger sind am Werk!« murmelte er, »aber sie werden nicht gar zu lange mehr triumphieren. – Dein Aleman ist ein braver Kerl«, sagte er zu Aurelio, »ich wußte das schon lange. Es ist gut, daß Landsleute ihn aufgestöbert haben; hoffentlich entreißen sie ihn seiner sinnlosen Vereinsamung.«
Vom Bach her verkündete Jubelgeschrei, daß die Vaqueros den Indio gefangen hatten. Eben brachten sie den mit einem Lasso umschnürten Mann heran und stellten ihn vor Don Juan hin. Der Gefangene zeigte den finsteren Trotz, mit dem der Indianer der unabwendbaren Gefahr zu begegnen pflegt. Er trug einen zerrissenen Poncho auf dem nackten Oberkörper, die Chiripa und die landesübliche Botas aus der Haut eines Pferdebeines.
»Sprichst du Spanisch, Puelche?« fragte Perez. Der Indianer antwortete nicht.
Juan zuckte die Achseln. »Laß uns weiterreiten«, sagte er, »es ist zwecklos, einen Indio, der nicht sprechen will, von seinem Vorsatz abbringen zu wollen.« Bald darauf hielten sie vor dem toten Puelchen. Der Gefangene stieß einen unterdrückten Seufzer aus, als sein Blick auf die Leiche fiel. Juan sah an Tracht und Stirnband sogleich, daß er einen Mann von hohem Rang vor sich hatte. »Wer ist das, Puelche?« fragte er den Gefangenen. Aber der antwortete auch jetzt nicht, doch jedem, der die indianische Natur kannte, mußte die innere Bewegung des Mannes auffallen. Einer der Vaqueros hob das dem Toten entfallene glänzende Stirnband mit der Lanzenspitze auf und betrachtete es eingehend. Plötzlich durchlief ein Zucken sein Gesicht, und ein Ausruf des Staunens entrang sich seinen Lippen. »Es ist Maripil, der Sohn von Jankitruß«, sagte er, Don Juan das Band hinreichend, »hier ist sein Zeichen: die Viper.«
»Santissima madre!« fuhr der Gaucho auf, »Maripil, die beste Lanze der Puelchen?« Sein dunkler Blick suchte und fand Aurelio. »Ahnst du, wen du getötet hast?« sagte er und konnte nicht verhindern, daß seine Stimme zitterte. Aurelios Antlitz rötete sich. »Ich habe mich gewehrt, wie du es mich gelehrt hast, Vater«, sagte er.
»Nun, por le nombre de dios! Diese Tat macht deinen Namen in der ganzen Pampa bekannt«, rief der Gaucho, und nun flammte offener Stolz in seiner Stimme. »Maripil war der erste Krieger der Puelchen. O, salve hijo mio! Das ist ein guter Beginn!«
»Salve Aurelio!« riefen die Vaqueros und strahlten den Jungen an, der sich vor Verlegenheit nicht zu fassen wußte.
»Zurück nun zu den Unseren«, rief Juan Perez, »wir haben bereits zu lange verweilt. Nehmt das Pferd Maripils mit«, befahl er den Vaqueros. Das Tier weidete in der Nähe und wurde ohne Mühe eingefangen. Man befahl dem Gefangenen, es zu besteigen; er bekam einen Lasso um den Hals und ritt nun zwischen den anderen mit nach Süden.
Bald trafen sie auf die vordersten Vorposten der Gauchos, die gut versteckt aufgestellt waren, und nicht lange darauf waren sie bei den auf einer von Sümpfen umgebenen Landzunge lagernden Männern, die zur Verteidigung der Grenze ausgezogen waren. Die Stellung war gut gewählt, schützte vor Überfällen, war leicht zu verteidigen und zugleich bedrohlich für die vordringenden Puelchenscharen, die von hier aus in der Flanke gefaßt werden konnten. Alles das wußten die Indios gut, ganz gewiß ihr kampferfahrener Häuptling Jankitruß. Die Gauchos waren sehr zur Überraschung des Puelchenführers so zeitig im Feld erschienen.
Die Ankommenden wurden von allen Seiten mit Zurufen begrüßt, doch hielt Juan Perez nirgendwo an, sondern ritt zwischen den Feuern hindurch, um Alfonso Diaz, den obersten Führer der Gauchos, zu suchen; bald darauf traf er ihn an einem der Feuer in Gesellschaft mehrerer Unterführer.
»Nun, Juan Perez, was bringst du uns?« fragte Diaz.
Juan sprang vom Pferd. »Ich bringe dir, Capitano, in meinem Sohn Aurelio den Sieger über Maripil, den Sohn des Jankitruß. Er hat ihn in der Pampa in tapferer Notwehr mit der Lanze getötet.«
Diaz und die anderen fuhren bei diesen Worten empor und sahen verblüfft auf Aurelio, der sich vor dem Capitano verneigte. Von den nächsten Feuern kamen einige Männer heran.
»Wie?« fragte Diaz, den Blick auf Aurelios jugendliche Züge gerichtet, »du, Junge, hast Maripil getötet, den Besten der Puelchen?«
Aurelio wußte nichts zu antworten, er verneigte sich.
»Hier ist Maripils Stirnband«, sagte Juan, es Diaz überreichend, »und dort ist sein Pferd.« Von dem war der Gefangene inzwischen heruntergehoben worden; sein Sattel und Zaumzeug waren reich mit Silber besetzt.
»Nun«, sagte Diaz, ein narbenbedeckter Mann von etwa fünfzig Jahren, »du wirst groß werden in der Pampa, mein Junge. Maripil war noch gefährlicher als sein Vater. Juan Perez, du bist um einen solchen Sohn zu beneiden.« Er reichte Aurelio die Hand; die näherstehenden Gauchos drängten sich herbei, und der Junge bekam viele Hände zu schütteln.
Nur einer blieb abseits, ein noch junger Mann mit nicht unschönen Zügen, die aber jetzt von Neid und Mißgunst entstellt schienen. Es war der Sohn des Capitano. Niemand achtete auf ihn, auch Aurelio nicht.
Einem Lauffeuer gleich verbreitete sich die Kunde durch das Lager, der Sohn des Gauchos Juan Perez habe den tapfersten und geschicktesten Krieger der Puelchen im Einzelkampf getötet. Und auch Juan Perez hatte Mühe, seine innere Bewegung zu verbergen.
Der gefangene Puelche war vor den Capitano geführt worden. Diaz richtete in spanischer Sprache verschiedene Fragen an ihn; er antwortete so wenig wie vorher. Der Capitano ließ einen Mann rufen, der den Puelchendialekt sprach. Der fragte den Gefangenen. wie viele Krieger Jankitruß für den Überfall aufgeboten habe. »Genug, um euch alle an den Schweifen ihrer Rosse durch die Pampa zu schleifen!« antwortete der Puelche höhnisch. Weiteres war auch in seiner Stammessprache nicht aus ihm herauszubringen.
Die Nacht war hereingebrochen, überall loderten die Feuer. Reges Leben herrschte im Lager, Gitarren klangen auf, hier und da ertönte ein Lied.
Aurelio saß in einer Runde junger Männer; er mußte immer wieder die Einzelheiten seines Kampfes mit Maripil schildern. Währenddessen weilte Don Juan im Kreise der Gauchoführer, um die für die bevorstehende Auseinandersetzung erforderlichen Maßnahmen mit ihnen zu beraten.