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Ludwig Uhland.

(Leipzig 1868.)

Ist es vorteilhaft, den Genius bewirten, – wie neidenswert ist dann das Haus, das eines edlen Sängers Lied preisend gegrüßt hat! Noch leben manche, denen Ludwig Uhlands Muse ein herzliches Wort in ihr Heimwesen gesendet, aber kein Haus in Deutschland hat sie so reich beschenkt wie das königliche Haus von Württemberg. Als die schweren Hungerjahre kaum vorübergegangen, lag eine tiefe und gerechte Trauer auf dem schwäbischen Stamme um den Tod der Königin Katharina. Ihr Volk hatte von ihr das gute Wort gehört: »helfen ist der hohe Beruf der Frau in der menschlichen Gesellschaft,« und hatte sie von Hütte zu Hütte ziehen sehen in der harten Zeit, Arbeit bringend den feiernden Händen. Vor solcher menschlichen Größe beugte sich die Muse des bürgerlichen Sängers, die sich rühmte: »sie hat nicht Antheil an des Hofes Festen.« Fast zaghaft, unwillig, auch nur den Schein der Schmeichelei auf sich zu nehmen, trat sie unter die Trauernden und legte auf den Sarg der Königin den »Kranz von Ähren« mit einem der schönsten Gedichte deutscher Sprache:

Und hat sie nicht die Lebenden erhoben,
Die Toten, die nicht hören, darf sie loben.

Ein Menschenalter ging darüber hin, und im November 1862 eilten von nah und fern Leidtragende zu der Bahre des Sängers. Wer aber im Lande Württemberg seine Empfindung nach dem Winke des Hofes zu stimmen wußte, hütete sich sorglich, dem Toten, der nicht hörte, ein letztes Zeichen menschlichen Mitgefühls zu erweisen.

Gern begönne ich diese Schilderung mit einem minder bitteren Worte – wäre nur diese häßliche Tatsache eine vereinzelte Erscheinung! Doch leider, wenn wir der zahlreichen nationalen Erinnerungsfeste der jüngsten Jahre gedenken: wie gehässig hob sich da die Gleichgültigkeit, das schlecht verhehlte Mißtrauen der Höfe ab von der warmen Teilnahme der Menge! Der politische Parteikampf wirkt bereits verwirrend und verfälschend auf jene Gefühle, die unser Volk als einen gemeinsamen Schatz hegen sollte, er läßt den einen als fremde, unheimliche Gestalten jene Männer erscheinen, zu denen die große Mehrheit des Volkes mit herzlicher Liebe emporblickt. Nicht selten zwar haben solche Feste der Erinnerung den Ränken der Parteien, der eitlen Selbstbespiegelung als willkommener Vorwand gedient, und sehr verletzend tritt bei solchem Anlaß dem ernsten Beobachter eine traurige Schwäche unserer Gesittung entgegen: wir modernen Menschen sind allzu bereit, auf gegebenen Anstoß gleich einer Herde alle das gleiche zu tun, das gleiche zu empfinden. Dennoch ist die Gesinnung, welche heute eine Rede, eine Schrift über Uhland nach der andern hervortreibt, in ihrem Grunde echt und tüchtig. Denn eben weil die Höfe mit anderen Augen als das Bürgertum aus unsere Geschichte blicken, eben darum sollen wir laut bezeugen: nicht wir haben es vergessen, wie rein und schön der Dichter von unserem Hause, von deutschem Land und Volk, gesungen und wie wacker er für uns gefochten hat.

Wieviel heiterer und menschlicher war doch die Sitte des deutschen Hauses in den Tagen der Kindheit unseres Dichters, als vordem, da Schiller sich aufbäumte wider die Unfreiheit des schwäbischen Wesens! Ein Stilleben freilich war es, schlicht und schmucklos, das in der Enge des ehrenfesten wohlhäbigen Bürgerhauses zu Tübingen sich abspann: doch keinen gesunden Trieb des Kindes verkümmerte die verständige Zucht, und diesem Knaben am wenigsten wäre es ein Segen gewesen, hätte er ankämpfen müssen gegen erdrückenden Zwang. Denn wohl die erste Empfindung, die jedem sich aufdrängt beim Rückschauen auf dies schöne Dasein, ist das Erstaunen, wie leidenschaftslos dieser reizbaren empfänglichen Künstlerseele das Leben verlief. Selbst jene tiefe männliche Liebe, die Uhlands ganzes Herz erfüllte, der er so oft im Liede Worte geliehen, die Liebe zu seiner Kunst, wie gehalten und ruhig tritt sie zu Tage! Jahrelang konnte er harren, schmerzlos harren, bis der Gott ihn rief, und seine Dichterkraft, die man erstorben wähnte, uns mit neuen edlen Gaben beschenkte. Noch ist es nicht unnütz, diese Tatsache laut zu betonen. Denn wenigstens den Nachwehen jener Zeit der falschen Geniesucht, die auch einen Uhland unter die prosaischen Menschen verwies, begegnen wir noch heute. Immer wieder hören wir die Unterscheidung von poetischen Naturen und poetischen Talenten, und allzuoft vergißt man die triviale Wahrheit, daß schon der Name einer poetischen Natur die schöpferische Kraft bezeichnet. Wir Deutschen vornehmlich sind es uns schuldig, solche Vorurteile einer schwächlichen Epoche entschlossen abzuschütteln. Wir müßten ja, wären sie begründet, das Ungeheuerliche tun und uns selber unseren polnischen Nachbarn, die Engländer den Iren als prosaische Naturen unterordnen! Die Erscheinung freilich ist auch unter deutschen und englischen Künstlern selten, daß zu großer Kraft und Wärme der Phantasie ein gehaltenes Gleichmaß der Stimmung, nüchterner Ernst und trockene Schroffheit des Auftretens sich gesellen. Diese Verbindung des Widerstrebenden in Uhlands Bilde hat oftmals auch jene befremdet, welche bescheiden verstehen, daß in den feinsten Naturen die Charakterzüge sich am seltsamsten mischen.

Und doch verdankt der schwäbische Dichter seinem nüchternen altbürgerlichen Sinne einen guten Teil seines Ruhmes. Keine glücklichere Mitgift konnte der Sänger sich wünschen in jenen verworrenen Tagen der Romantik, die Uhlands Bildung bestimmten. Nach volkstümlichen Stoffen verlangte die junge Dichterschule; sie empfand, daß das Ideal der klassischen Dichtung unserem Volke ein fremdes sei, und das Bild der Göttin mit den Rosenwangen heute nur das Herz weniger Hochgebildeter ergreifen könne. Sehr lebhaft fühlte auch Uhland den Gegensatz der antiken und der germanischen Gesittung. Ein Aufsatz aus seiner Jugend »über das Romantische« sagt darüber: »Die Griechen, in einem schönen genußreichen Erdstriche wohnend, von Natur heiter, umdrängt von einem glänzenden, thatenvollen Leben, mehr äußerlich als innerlich lebend, überall nach Begrenzung und Befriedigung trachtend, kannten und nährten nicht jene dämmernde Sehnsucht nach dem Unendlichen. Der Sohn des Nordens, den seine minder glänzenden Umgebungen nicht so ganz hinreißen mochten, stieg in sich hinab. Wenn er tiefer in sein Inneres schaute als der Grieche, so sah er eben darum nicht so klar. Er verehrte seine Götter in unscheinbaren Steinen, in wilden Eichenhainen: aber um diese Steine bewegte sich der Kreis des Unsichtbaren, durch diese Eichen wehte der Odem des Himmlischen.« – Glückliche Tage, da eine hochbegeisterte Dichterjugend auszog nach dem Wunderlande der germanischen Vorwelt und aus den lange verschütteten Schachten der mittelalterlichen Gesittung ungeahnte Schätze zu Tage förderte! Während heute Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft im Vordergrunde unseres nationalen Wirkens stehen, gab damals die Dichtung dem gesamten geistigen Leben Anstoß und Richtung.

Das vielgerühmte Weltbürgertum der Deutschen ward damals erst zur Wahrheit, seit uns das Verständnis aufging für das Gemütsleben unserer eigenen Vorzeit, seit der historische Sinn unter den Deutschen reifte. Wir lernten den Volksgeist in seinem Werden belauschen, den Glauben, die Kunst, die Sitte verschollener Tage in ihrer Notwendigkeit verstehen. Die religiöse Innigkeit der Romantik machte mit einem Schlage dem selbstgefälligen Rationalismus ein Ende, der so lange über »die Nacht des Mittelalters« vornehm gelächelt hatte. Die Hellenen der modernen Welt erbauten sich wieder an dem überschwenglichen Reichtume des Gemüts, der in den Bildwerken des Mittelalters so rührend hervorbricht aus der Gebundenheit unfertiger Formen. Das Auge der Menschen erschloß sich wieder für die feierliche Großheit der gotischen Kunst, die vordem nur von einer stillen Gemeinde hellblickender Verehrer verstanden ward. Lange hatte sich der politische Idealismus der Deutschen – wo er bestand – an den Bildern der Reformationszeit und des großen Friedrich begeistert; nur dann und wann war ein Lied von Arminius erklungen; jetzt umfaßte die Sehnsucht der Patrioten mit leidenschaftlicher Bewunderung die Heldengestalten der Stauferkaiser. Wir wurden wieder Herren im eigenen Hause und begriffen eben darum jetzt erst die innige Verwandtschaft der Völkerfamilie des Abendlandes. Eine neue Welt voll gemütlicher Innigkeit und Sehnsucht, voll phantastischen Zaubers und malerischer Schönheit ging den Romantikern auf: »das Dunkelklare«, gesteht Uhland, »ist mir überall die bedeutendste Färbung, im menschlichen Auge, im Gemälde, in der Poesie, wie bei Novalis.« Auch das landschaftliche Auge des Volkes ward ein anderes. Solange Menschen leben, wird der Streit nicht enden, ob die heitere Pracht eines ionischen Tempels herrlicher sei als das ahnungsvolle Dunkel eines gotischen Domes, der zürnende Achilleus erhabener als die lancräche Kriemhild. Nur in einem, in dem Verständnis der Seele der Landschaft, war die Romantik der klassischen Kunst ebenso gewiß überlegen, als ein schwellender duftiger Kranz deutscher Waldblumen tausendmal schöner ist denn jene straff gewundenen Lorbeergirlanden, welche die Bildwerke der Alten schmücken. Herzlicher, sinniger denn je ward nun von den Dichtern besungen der feierliche Ernst der Waldeinsamkeit, da die Geister des Waldes über den schweigenden Blättern weben, und der wollüstige Zauber jener Sommernächte, da der berauschende Duft der Lindenblüten dem Träumenden den Sinn verwirrt und das Mondlicht auf den bemoosten Schalen klarer Brunnen spielt, und die erhabene Pracht des Hochgebirges, wo weltbauende Mächte in den gewaltigen Formen jäh abstürzender Felsen sich offenbaren. Niemals, sicherlich auch nicht in den prosaischen ersten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts, waren unter den Germanen gänzlich ausgestorben jene träumerischen Gemüter, die vor solchen Szenen ursprünglicher Naturschönheit von den Schauern des Weltgeheimnisses sich durchzittern ließen; aber jetzt erst ward weithin im Volke die Freude lebendig an diesen »romantischen« Reizen der Natur. Kaum ein Städtchen heute in Deutschland, das nicht irgendwo einen lauschigen Platz dem Freunde der Natur wohlumfriedigt zu stillem Genüsse böte; die romantische Dichtung hat an dieser weiten Verbreitung des Natursinnes im Volke ein reiches Verdienst.

Vergebliche Mühe, in wenigen Worten die vielseitigen Anregungen zu schildern, die von dieser geistvollen Dichterschule ausgingen. Sie begnügte sich nicht, unserem Volke für seine Vorzeit, seine wunderreiche Sagenwelt und die Schönheit seines Landes den Sinn zu eröffnen; bald schweifte sie hinweg zu den Schätzen der Kunst aller Zeiten und aller Völker. Das Volkstümliche in der Gesittung aller Nationen begann sie zu verstehen und zu übertragen. Ihr danken wir eine unermeßliche Erweiterung unseres Gesichtskreises. Unsere harte männliche Sprache erwies sich zum Staunen der Welt zugleich als die empfänglichste, schmiegsamste, spiegelte getreulich die Schönheit jeder fremden Dichtung wider, sie nahm in ihrem Tempel gastlich die Götter aller Völker auf. Doch nach so weiten Entdeckungsfahrten war die romantische Schule unversehens zur gelehrten, dem Volke entfremdeten Dichtung geworden in einem anderen, ärgeren Sinne, als die klassische Poesie es je gewesen. Den weiblichen Naturen der Tieck und Schlegel war es eine Freude, sich zu versenken in die Träume einer untergegangenen Welt, und bald erschien ihnen nur das Fremdartige poetisch, und aus der Lust an den glücklich bewältigten künstlichen Formen der romanischen und orientalischen Dichter erwuchs unserer Dichtung, was der Sprache und dem Gemüte der Germanen am meisten zuwider ist: das virtuose Spielen mit der Form. Mehr feine, empfängliche Kunstkenner als schöpferische Künstler, wandten sich die Häupter der Schule hinweg von der sprödesten und geistigsten Gattung der Poesie, dem Drama, das vor allem einen reichen Inhalt verlangt. Als hätte nie ein Lessing gelebt, wurden die Grenzen von Poesie und Prosa wiederum verwischt, und die Überfülle der aus der Dichtung aller Völker aufgesammelten poetischen Bilder hinübergetragen in die neue Wissenschaft, die nicht mehr nach Beweisen, nur nach »Anschauungen« suchte, und in die neue Religion, die nicht mehr das Gemüt erbauen, nur den Schönheitssinn erfreuen wollte.

Vor solchen Verirrungen der Verfeinerung und Überbildung ist Uhland bewahrt worden durch seine köstliche schlichte Einfalt. Er war aufgewachsen in einer Umgebung, wie sie dem Reifen des Künstlersinnes nicht günstiger sein konnte, in einem schönen, reichen, sagenberühmten Lande, wo doch nirgends eine übermächtige Pracht der Natur den freien Sinn des Menschen erdrückt. Er ist immerdar ein Schwabe geblieben und hat der kindlichen Liebe zu seiner Heimat oftmals Worte geliehen, am rührendsten wohl in jenen Versen, die ein Tal seiner Heimat also anreden:

Und sink' ich dann ermattet nieder,
So öffne leise deinen Grund
Und nimm mich auf und schließ ihn wieder
Und grüne fröhlich und gesund.

Wer je südwärts geschaut hat von Hohentübingen, wo der Blick die ganze Kette der Alb vom Hohenzollern bis zum Hohenstaufen beherrscht, dem wird dies edle Landschaftsbild aus Uhlands schönsten Liedern immer wieder entgegentreten. Weil seine Dichtung also natürlich emporwuchs aus dem mütterlichen Boden des schwäbischen Landes und Volkes, so bewahrte sie sich jene derbe Naturwahrheit, die den meisten Kunstwerken der Romantik sehr fern liegt: auch wo sie zarte, sanfte Stimmungen ausspricht, wird sie nur selten verschwommen. Vor langen Jahren schon ging unter den Schwaben die Rede: jedes Wort, das der Uhland gesprochen, ist uns gerecht gewesen. Die Stammgenossen erhoben den Dichter auf den Schild, über die Schultern gewöhnlicher Menschen empor; wer ihn verkleinert, kränkt den gesamten Stamm. Eben diese volkstümliche Tüchtigkeit gibt seinem Wesen eine harmonische Ruhe, eine geschlossene Festigkeit, die nur wenigen Sängern der Romantik eignet. Nicht leicht konnten die Dichter einer Schule, die so ganz in der Sehnsucht nach längst entschwundenen Tagen lebte, jene olympische Ruhe, jene selige Heiterkeit der Seele erwerben, welche dem Klassiker Goethe das Recht gab, Tadlern und Lobrednern lächelnd zu sagen: »ich habe mich nicht selbst gemacht.« Wahrhaft harmonische Charaktere sind unter den Heroen der Romantik fast allein die Männer der Wissenschaft, so Savigny, die Grimms und der liebenswürdigste der Menschen, Sulpiz Boisseree; unter den Dichtern der Romantik stehen neben Uhland nur sehr wenige, deren Seele nicht getrübt ward durch einen unklaren, unfreien, friedlosen Zug.

Auch er schaute mit der inbrünstigen Sehnsucht der Menschen des Mittelalters zu dem Überirdischen empor; so recht den Herzschlag des Dichters hören wir in dem frommen Gedichte »Die verlorene Kirche«:

Ich sah hinaus in eine Welt
Von heil'gen Frauen, Gottesstreitern.

Aber suchte Friedrich Schlegel in jener Vorzeit den phantastischen Reiz des Alten und Fremden, einer unfreien Gesittung, so liebte Uhland das Mittelalter, weil er in ihm die ungebändigte Kraft eines ursprünglichen, farbenreichen Volkslebens und, vor allem, die Herrlichkeit des vaterländischen Wesens bewunderte. So wurde jener durch seine ästhetische Neigung dem freien Leben der Gegenwart entfremdet und, obwohl er am lautesten den Ruf nach volkstümlicher Dichtung erhoben, in eine undeutsche, katholische Richtung getrieben. Uhland aber ward der vornehmste Dichter jener jüngeren kräftigeren Richtung der Romantik, welche der ursprünglichen Absicht der Meister getreuer blieb als diese selber, und in unserer Vorzeit nur das noch heute Lebendige, die deutsche Weise, bewunderte. Darum schöpfte er, gleich den Brüdern Grimm, aus der liebevollen Erforschung des deutschen Altertums Mut und Kraft zum Kampfe der deutschen Gegenwart; darum verwarf er jeden Versuch, die Formen mittelalterlicher Gesittung in unseren Tagen wieder zu erwecken, und sprach herbe Worte wider die »erzwungene Begeisterung«, als es wieder lebendig ward um den alten Krahn in Köln und der schönste aller Dome aus Schutt und Trümmern zu neuer Pracht emporstieg. – Nicht unsere klassischen Dichter, deren Werke ihn nur teilweise tiefer berührten: die Dichtungen des Mittelalters, die Volkslieder vornehmlich sind seine Lehrer gewesen, und mit diesen Worten ist auch sein Platz in der Geschichte unserer Dichtung bezeichnet. Es ist wahr, schon Goethes lyrische Muse hatte viele ihrer herrlichsten Klänge dem deutschen Volksliede abgelauscht. Aber für Goethes geniale Vielseitigkeit war diese Anregung nur eine unter vielen anderen, ja im Alter stellte er sich zornig dem romantischen Nachwuchs als einen »Plastiker« gegenüber; Uhland dagegen hat das Eigenste seiner Kraft an den Gedichten des Mittelalters gebildet. Sie wirkten auf den Mann kaum minder mächtig als auf den Knaben an jenem Tage, da er zuerst das Nibelungenlied vortragen hörte und, so sagt man, in tiefer Bewegung aus dem Zimmer eilte. An dem Liede von Walther und Hildegunde fand er als Student zuerst eine Poesie, die sein innerstes Wesen ergriff. »Das hat in mich eingeschlagen,« bekennt er. »Was die klassischen Dichtwerke trotz meines eifrigen Lesens mir nicht geben konnten, weil sie mir zu klar, zu fertig dastunden, was ich an der neueren Poesie mit all ihrem rhetorischen Schmucke vermißte, das fand ich hier: frische Bilder und Gestalten mit einem tiefen Hintergrunde, der die Phantasie beschäftigte und ansprach!«

So ward ihm das hohe Glück, inmitten einer überbildeten, nach den fremdesten und fernsten Reizen jagenden Kunst, einen festen Kreis edler Stoffe zu beherrschen, welche darum unfehlbar wirken mußten, weil ein ganzes Volk sie durch Jahrhunderte gehegt und gebildet hatte. Und noch schärfer sogar schied er sich ab von den älteren Romantikern durch seine Weise, die Form der Kunst zu handhaben. Sein feines Ohr empfand, daß eine Sprache voll Härten des musikalischen Wohlklangs der romanischen Rede nur bis zu einem gewissen Grade fähig sei. Auch er hat Sonette und Glossen gedichtet und die Assonanz statt des Reimes gewagt; aber ungleich maßvoller als die Tieck und Schlegel brauchte er diese fremden Formen, und nach uralter deutscher Weise war ihm in der Kunst der Inhalt das Bestimmende. Wäre ihm in seinem »Sängerstreite« mit Rückert statt der guten Sache: »Falschheit kränket mehr denn Tod,« die schlechte Meinung: »eh'r falsch als todt,« zur Verteidigung zugeteilt worden: er hätte sicherlich nicht jene kunstvollen, feinen Wendungen gefunden, wodurch sein Gegner sich zu decken wußte; ein Scherz vielmehr hätte ihm aus der Not helfen müssen. Schon im Jahre 1812 lobte er sich die »ursprünglich deutsche Art«, die Innigkeit der Empfindung, im Gegensatz zu der formen- und bilderreichen Dichtung des Südens. Der alte Spruch: »schlicht Wort und gut Gemüth ist das echte deutsche Lied,« war ihm fortan der Wahlspruch seiner Kunst. Die einfacheren Formen aber, die er dem Genius unserer Sprache gemäß fand, hat er mit vollendeter Kunst beherrscht, während Tieck mitten in der gesuchten Formkünstelei oftmals sogar die Korrektheit vermissen läßt. Und gelang es der älteren Romantik, weil nur ein ästhetisches Wohlgefallen sie zu dem deutschen Altertume führte, sehr selten die naive Weise des Mittelalters zu treffen, so wußte Uhland, weil er mit ganzer Seele in jene Vorzeit sich versenkte, seine Mären so glücklich in treuherzig altertümlichem Tone vorzutragen, daß wir heute kaum noch begreifen, wie solche Stoffe jemals anders dargestellt werden konnten. Sein natürliches, wissenschaftlich geschultes Sprachtalent hat unserer modernen Dichtung eine Fülle schöner altertümlicher Wendungen und Wörter neu geschenkt, davon die junge Welt kaum weiß, daß sie uns einst verloren waren. Seinem strengen Formensinne war ein Greuel jenes phantastische Verzerren der Natur, jenes Spielen mit »duftenden Farben« und »tönenden Blumen«, das die Romantik liebte. Feste, starke Umrisse gab er, wo es not tat, seinen Gestalten, also daß wir aus manchen seiner Gedichte den tüchtigen Zeichner erkennen, der in der Ausübung der bildenden Kunst sein Formgefühl schulde. Mit Recht hat man ihn darum einen Klassiker unter den Romantikern geheißen.

Dieser ernste Künstlersinn offenbarte sich vornehmlich in Uhlands weiser Selbstbeschränkung, einer antiken Tugend, die uns Modernen nicht leicht fällt. Ein Künstler von Grund aus und ein denkender Künstler, wie jede Zeile seiner Gedichte zeigt, hat er vielleicht weniger als irgendeiner unserer namhaften Dichter die Neigung zur Kritik und literarischen Fehde verspürt. Auf das Können, das ganze und rechte Können ging er aus; er am wenigsten wollte das Schlagwort der romantischen Dilettanten gelten lassen, daß man ein Dichter sein könne, ohne je einen Vers geschrieben zu haben. »Größeren Gedichts Entfaltungen« hatte er einst in jugendlicher Zuversicht seinen Lesern versprochen; doch als ihn die ersten Versuche belehrten, daß ihm die dramatische Kraft versagt sei, zog er sich zurück auf die Lyrik und das lyrische Epos. Er begnügte sich, auf diesem engen Gebiete Mustergültiges zu leisten, derweil die Chorführer der Romantik nach allen höchsten Kränzen der Kunst zugleich die Hand ausstreckten, ja in Plänen ganz neuer Kunstformen sich verloren und, im Grenzenlosen schweifend, nur wenig in sich Vollendetes schufen.

Den letzten Grund aber dieses tiefgreifenden Unterschieds zwischen Uhland und der Schlegel-Tieckschen Richtung verstehen wir erst, wenn wir erkennen: in Uhland lebte ein tief sittlicher, tatkräftiger Ernst, der die tatlose, ironische Weltanschauung der Romantik schlechthin verwarf. Solchem sittlichen Pathos hatte einst Schiller die Liebe des Volkes verdankt, obwohl er sehr selten volkstümliche Stoffe besang. Denn mit unfehlbarer Sicherheit empfindet das Volk – unter den Germanen mindestens – ob ein Künstler mit seinen Bildern bloß geistreich spielt oder ob er sein Herzblut ausströmen läßt in seine Gedichte, und noch hat niemand durch ein feines Spiel sich des Volkes Herz erobert. In der Form allerdings hat Schillers hochpathetische Weise nicht das mindeste gemein mit dem naiven einfachen Wesen der Uhlandschen Dichtung, das der Weise Bürgers und Goethes weit näher steht. Schillers Geist aber, sein sittlicher Ernst, seine kühne Richtung auf die Gegenwart und ihr öffentliches Leben, ward in Uhland und den Sängern der Freiheitskriege aufs neue lebendig. Darum ward Uhland durch seine romantischen Neigungen nicht gehindert, in der Wissenschaft ein nüchterner methodischer Forscher, im Leben ein Verfechter des modernen Staatsgedankes zu sein. Mit sicherem Takte wußte er Leben und Dichtung auseinanderzuhalten, und jeder mystischen Liebhaberei der romantischen Genossen stellte er seinen derben protestantischen Unglauben gegenüber. Wenn Justinus Kerner von dem »Geiste der Mitternacht« erzählte, dann lachte Uhland, dann war er selber »der Zechgesell, der keinem glaubt«. Und wurde er ja einmal durch eine Erzählung von geheimnisvollen Naturwundern zum Liede begeistert, wie schön wußte er dann seinen Stoff aus dem trüben dumpfen Traumleben in eine freiere durchgeistigte Luft zu erheben! Als ihm berichtet ward von dem Mädchen, das im Mohnfelde schlief und, erwacht, mitten im lauten Leben weiter träumte, so ward ihm dies ein Anlaß, das Schlafwandeln des Dichters zu schildern, dem das Leben zum Bilde, das Wirkliche zum Traume wird:

O Mohn der Dichtung, wehe
Ums Haupt mir immerdar!

In unseren nüchternen Tagen vermag auch ein flacher Kopf die Schwächen der Romantik leicht zu durchschauen, und oft vergessen wir, wie tief wir in ihrer Schuld stehen. Jene geistig hoch erregten Tage durften sich, nach Immermanns wahrem Geständnis, einer Dichtigkeit des Daseins rühmen, die unserem schnell lebenden, unruhig nach außen wirkenden Geschlechte verloren ist. Noch war die Welt von Schönheit trunken, noch galt ein edles Gedicht als ein Ereignis, das tausend Herzen froh bewegte, und auch die Häupter der romantischen Schule umstrahlt noch etwas von dem Glänze der glückseligen Zeit von Weimar, »wo der bekränzte Liebling der Kamönen der innern Welt geweihte Gluth ergoß.« Aber eine Dichterschule kann durch eine Fülle neuer Gedanken und Anschauungen, die sie in das Volk warf, die Nation zum bleibenden Danke verpflichten und dennoch an echten Kunstwerken sehr arm sein. Stellte nun einer die Frage: welche Kunstwerke der romantischen Epoche sind nicht bloß historisch wichtig durch die Anregung, die sie unserem Volksgeiste gaben, sondern in sich vollendet und unsterblich? – so würde ein ganz schonungsloses Urteil doch nur die Antwort finden: einige meisterhafte Übertragungen und Nachbildungen fremdländischer Dichtung und – die lyrischen Gedichte Uhlands und einiger ihm verwandter Sänger.

Als Chamisso in Paris im Jahre 1810 den dreiundzwanzigjährigen Uhland kennen lernte, schrieb er mit seiner liebenswürdigen Laune einem Freunde: »es gibt vortreffliche Gedichte, die jeder schreibt und keiner liest; doch hier ist einer, der macht Gedichte, die keiner schreibt und jeder liest.« Und langsam, aber einmütiger von Jahr zu Jahr, begann die Nation in das Lob einzustimmen, als fünf Jahre später die »Gedichte« erschienen waren. Den Weg zum Herzen seines Volkes hat der Dichter zuerst gefunden durch jene Lieder, welche der Weise des alten Volksliedes so treu, so naiv nachgebildet waren, wie es vordem nur Goethe verstanden. Er hat zuerst in weiteren Kreisen das Verständnis wieder erweckt für diese volkstümlichen Klänge, und wenn Eichendorff und Wilhelm Müller selbständig, unabhängig von Uhland ihr lyrisches Talent bildeten, so danken sie ihm doch, daß das Volk ihren Liedern froh bewegt lauschte. Schien es doch, als wäre die unselige Kluft wieder überbrückt, die heute die Gebildeten und die Ungebildeten unseres Volkes scheidet, als tönte der Gesang, von namenlosen fahrenden Schülern erfunden, unmittelbar aus der Seele des Volkes heraus. Unwillkürlich fragte der Hörer, ob nicht am Schlusse des Sanges ein Vers hinweggefallen sei, das alte treuherzige:

Der uns dies neue Liedlein sang,
Gar schön hat er gesungen;
Er trinkt viel lieber den kühlen Wein
Als Wasser aus dem Brunnen

Der Gesang ist heute, wie zur Zeit der italienischen Renaissance die Redekunst, die geselligste der Künste. Das arme Volk liest wenig, am wenigsten Gedichte; fast allein durch den Gesang wird ihm das Tor geöffnet zu der Schatzkammer deutscher Poesie. An Kunstwerk stehen Uhlands erzählende Gedichte seinen Liedern ohne Zweifel gleich; aber die Bedeutung des Mannes für die Gesittung unseres Volkes beruht vornehmlich auf den Liedern. Sie haben dem Sänger den schönsten Nachruhm gebracht, der dem lyrischen Dichter beschieden ist. Sie leben in ihrer leichten sangbaren Form im Munde von Tausenden, die seinen Namen nie gehört, sie klingen wider, wo immer Deutsche fröhlich in die Weite ziehen oder zum heiteren Gelage sich scharen. Es war eine Stunde seliger Genugtuung, als er einmal auf der Wanderung durch die Hardt in den Klostertrümmern von Limburg unerkannt rastete und seine eignen Lieder, von jugendlichen Stimmen gesungen, durch das Gewölbe schallten. Alle die hoffnungsvollen Anfänge freier, volkstümlicher Geselligkeit, welche heute das Nahen einer menschlicheren Gesittung verkünden, alle die fröhlichen Fahrten und Feste unserer Sänger und Turner und Schützen danken einen guten Teil ihres poetischen Reizes dem schwäbischen Sänger; kein Wunder, daß er selber sich an solcher Volksfreude nicht satt sehen konnte. Fast deucht uns ein Märchen, daß es einst eine Zeit gegeben, wo am Beiwachtfeuer deutscher Soldaten das Lied noch nicht erklang: »ich hatt' einen Kameraden,« daß einst deutsche Handwerksburschen über den Rhein gezogen sind, die noch nicht sangen von den »drei Burschen«.

Doch sehen wir näher zu, so finden wir auch in dem einfachsten dieser Lieder einen entscheidenden Zug – eine kunstvolle Steigerung, einen schlagenden Abschluß – der das Gedicht alsbald auf die Höhe der Kunstpoesie erhebt und mit so großer Innigkeit und Frische den durchgebildeten Verstand des Künstlers gepaart zeigt. Demselben Lehrer, dem deutschen Volksliede, hat Uhland auch die Kunst der gemütlich bewegten Erzählung abgesehen. Er vermag es, einen kleinen anekdotenhaften Zug mit so viel schalkhafter Anmut zu einer Ballade zu erweitern, wie vor ihm wieder nur Goethe. Sein Eigenstes und Schönstes schuf er in der erzählenden Dichtung dann, wenn er sich ein Herz faßte und die trotzige, reckenhafte Kraft der deutschen Heldenzeit derb und mit Laune darstellte, wie in den Rolandsliedern, wohl seinen besten Balladen. Und wie das Volkslied nicht in die Grenzen eines Landes gebannt bleibt, sondern der Sang von Liebeslust und -leid, von Heldenzorn und Heldentod durch alle Völker wandert und in der Fremde sich umbildet, so hat auch Uhland sein deutsches Wesen nicht verleugnet, wenn er fremdländische Sagenstoffe besang. Sein Gesichtskreis umfaßte das gesamte Altertum der christlich-germanischen Völker; nur sehr selten hat ihn ein Bild der antiken Gesittung zum Liede begeistert, und gänzlich fern lag seinem deutschen Gemüte die Sagenwelt des Orientes, wie sehr sie auch den Meister der Form verlocken mochte. Sehr tief hatte er sich eingelebt in den Geist der südländischen Sänger des Mittelalters: durch das liebliche Gedicht »Ritter Paris« weht ein hauch schalkhafter Grazie, darum ihn jeder Troubadour beneiden könnte. Fast scheint es, wenn Uhland die Mären der liederfreudigen Provence nachdichtet, als singe hier wirklich ein alter Südfranzose, als erfülle sich die wehmütige Verheißung des modernen provençalischen Dichters: o moun pais, bello Prouvenço, toun dous parla pou pas mouri. Und doch ist dies nur ein Schein: aus Uhlands südländischen Gedichten so gut wie aus seinen angelsächsischen und nordfranzösischen Balladen weht uns heimatliche Luft entgegen, er behandelt diese fremden Stoffe mit der gemütlichen Innigkeit und in der tief bewegten Weise der Germanen, nicht mit der feierlichen Grandezza und dem rhetorischen Pathos südlicher Romanzen. Nicht immer freilich ist ihm dies gelungen. Oft nahm er aus den romanischen Stoffen auch legendenhafte Wundergeschichten mit herüber, die den modernen Hörer kalt lassen, oder häßlich phantastische Züge: – so steht in dem schönen Zyklus »Sängerliebe« fremd und verletzend die Romanze von dem Kastellan von Couci, dessen Herz von seiner Geliebten verspeist wird. Manchmal – was uns noch mehr abstößt – schleichen sich mit den fremden Bildern auch fremde Empfindungen in seine Seele. Vor dem Bilde des »Wallers« oder der trauernden Nonne, die entsagt und betet »bis ihre Augenlider im Tode fielen zu«, steht der gesunde Sinn der modernen Deutschen befremdet still: was gilt sie uns, diese zugleich schwächliche und überschwengliche Empfindung der Vorzeit der Romanen? Ja sogar unter den Balladen, die auf deutschem Boden spielen, finden sich neben vielen ursprünglichen Schilderungen deutscher Kraft und deutscher Laune doch auch einige sentimentale Gedichte von sehnsüchtigen Mädchen und trauernden Königen, die uns kein festes Bild hinterlassen. Desgleichen, wenn wir an seinen Liedern das innige Naturgefühl und die tief bewegte Stimmung bewundern, so scheinen uns doch einzelne inhaltslos, wir wünschten, der Dichter hätte nicht bloß sein bewegtes Herz, sondern sein reiches Herz gezeigt. Solche Mangel mochte Goethe im Auge haben, wenn er in Augenblicken übler Laune sehr hart und bitter von der Uhlandschen Dichtung sprach. Doch all diesen Schwächen hat der Dichter selber die beste Verteidigung geschrieben:

Scheint euch dennoch Manches kleinlich,
Nehmt's als Zeichen jener Zeit,
Die so drückend und so peinlich
Alles Leben eingeschneit.

Uns freilich, unserem derben historischen Realismus fällt es leicht zu erkennen, wann Uhland die harten barocken Züge unserer Vorzeit verwischt hat. Wir lächeln, wenn uns in Erzählungen aus dem Mittelalter, dieser treulosesten aller Zeiten, von deutscher Treue überschwenglich geredet wird, und seit die fortschreitende Kultur das Haar unserer Mädchen gebräunt hat, fällt uns die ausschließliche Begeisterung für blondes Haar und blaue Augen so schwer, wie die übermäßige Freude an den Rosen und Gelbveigelein. Aber frage sich jeder, ob auch das Unsterbliche in Uhlands Gedichten geschaffen werden konnte von einem Dichter, der minder treuherzig für das biderbe Mittelalter schwärmte, der weniger unbefangen sich begeisterte für »Jugend, Frühling, Festpokal, Mädchen in der holden Blüthe«? In unseren rauheren Tagen geht auch der Jugend diese naive Schwärmerei sehr rasch verloren, doch darum mangelt auch unseren neuen Lyrikern die Jugendfrische, die herzbewegende Innigkeit des alten Sängers. Und wie verschwindend gering ist doch die Zahl jener Gedichte, welche auch Uhland angekränkelt zeigen von der unklaren Gefühlsseligkeit seiner Zeit! Nur Heinrich Heines Gehässigkeit konnte aus dem Liede: »Ade, du Schäfer mein« den Grundton der Uhlandschen Dichtung heraushören. Neben dies eine Lied – beiläufig eines seiner allerfrühesten Jugendgedichte – stellen sich hundert andere voll mannhafter Kraft und unverwüstlicher Lebenslust.

Gern verstummt die Kritik vor diesen Gedichten; über ihnen liegt der Zauber einer völlig abgeschlossenen Bildung. Sie sind das getreue Spiegelbild der edelsten Empfindungen einer reichen Zeit, die wir mit allen ihren Verirrungen aus unserer Geschichte nicht missen können, nicht streichen wollen: die alte Burschenschaft vornehmlich lebt nur noch in den Liedern Uhlands und seiner Genossen. Ist auch jene Gesittung in unserem Volke längst einer anderen, härteren gewichen: tot ist sie darum nicht. In allen neueren Völkern sehen wir eine seltsame Erscheinung, welche dem modernen Menschen gar sehr erschwert, sich auf seine eigenen Füße zu stellen. Gedanken und Anschauungen, die das Volk längst überwunden, kehren in dem Leben des einzelnen wieder als Momente seiner persönlichen Entwicklung. Längst vorüber sind unserer Nation die Tage der Romantik und des jungdeutschen Weltschmerzes; aber noch heute kommt kein geistreicher Deutscher zu seinen Jahren, der nicht einmal, wehmütig wie ein Uhlandscher Bursch, dem scheidenden Freunde das Geleite gegeben und später mit Byronischem Übermute sich aufgelehnt hätte wider die Unnatur der »alternden Welt«. Dem Manne ziemt, die Gedanken seiner Jugend zu überwinden, nicht, wie man heute liebt, sie zu schelten; denn ihnen dankt er, daß er ein Mann geworden. Wir wären die Deutschen nicht mehr, die wir sind, wenn je an der lauten Tafelrunde unserer Burschen die stürmische Weise nicht mehr erklänge: »wir sind nicht mehr beim ersten Glas.« Und mir graut, wenn ich mir vorstelle, es könnte je die Zeit kommen, da der deutsche Jüngling zu verständig wäre, um in der heißen Sehnsucht herzlicher Liebe zu singen:

Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein
Eh' ich mag bei der Liebsten sein!

Was die klugen Leute die unbestimmte nebelhafte Weise von Uhlands Lyrik nennen, ist oftmals nichts anderes als das Wesen aller lyrischen Dichtung selber: jene hocherregte Stimmung, die den Leser geheimnisvoll ergreift und ihm einen Ausblick gewährt in das Unendliche. Oder wäre es nötig, auch nur ein Wort zu verlieren gegen jene Barbarei, die Uhland darum getadelt hat, daß seine Lieder sich der Musik so willig fügen? In dem Gedichte »Traum«, das man auch oft allzu weichlich gescholten hat, liegt doch nichts anderes als der überaus glückliche Ausdruck einer Stimmung, die unserem Volke von Anbeginn im Blute liegt. Die Klage um die Vergänglichkeit irdischer Lust wird von unserer gesamten Dichtung, dem Volksliede insbesondere, in tausend Formen wiederholt und ist selten rührender ausgesprochen worden als in dieser Vision von der Abfahrt der »Wonnen und Freuden«:

Sie fuhren mit frischen Winden,
Fern, ferne sah ich schwinden
Der Erde Lust und Heil.

Und wieder, wie köstlich heben sich ab von diesen weichen Tönen der Sehnsucht die Klänge neckischer Lebenslust! Nicht nur die Weise des derben Spottes weiß der Dichter anzuschlagen, auch das harmlose, sozusagen gegenstandslose Spielen der Laune hat er den »Lügenliedern« unseres Volkes abgelauscht, und aus manchem seiner Gesänge klingt uns die alte lustige Weise entgegen: »ich will anheben und will nicht lügen: ich sah drei gebratene Tauben fliegen.« –

»Niemand taugt ohne Freude!« Wie sollte Uhland nicht zu dem guten Worte sich bekennen! Kein Geringerer hat es ja gesprochen als Walther von der Vogelweide, den er als seinen liebsten Lehrer verehrte. Daß Uhland mit anderem, modernerem Sinn als die Tieck und Schlegel auf das geliebte Mittelalter zurücksah, das erkennen wir am leichtesten an dieser Vorliebe für Walther, den vielleicht freiesten Geist des deutschen Mittelalters, der mit seiner hellen bewußten Empfindung uns Neueren näher steht als irgendeiner seiner Zeitgenossen. Und mannigfach, offenbar, war die Verwandtschaft der beiden. Ein Meister der Form in der Dichtkunst, aber »mehr gestaltend als bilderreich«, hat Walther gleich seinem späteren Schüler seine Herrschaft über die Form nie mißbraucht zu leerem Spiele mit dem Wohllaut der Sprache. Die Form ward ihm geschaffen durch den Inhalt, seine prächtigen volltönenden Weisen versparte er, bis es galt Könige zu preisen oder die auserwählten schönsten der Frauen. Uhland, der so warm und traulich die behagliche Enge des häuslichen Lebens besang, spottete doch bitterlich des Dichters, der in einer Welt des Kampfes nur »sein groß, zerrissen Herz« zu betrachten wußte. Auch hierin war ihm der alte Sänger ein Lehrer gewesen: – der politische Dichter, der »in seinem besonderen Leben das öffentliche spiegelte« und aus voller Kehle seines Landes Ruhm sang: »deutsche Mann sind wohlerzogen, gleich den Engeln sind die Weib gethan«. Sehr ungleich freilich waren den beiden die Gaben des Glücks zugeteilt, und wir freuen uns der freieren Gesittung der Gegenwart, wenn wir den stolzen, seßhaften, mit seinem Könige kämpfenden Bürger unserer Tage mit dem fahrenden Ritter vergleichen, der Herberg und Gaben heischend von Burg zu Burg zieht und, als ihm endlich eines Fürsten Gnade eine kleine Hofstatt geschenkt, jubelnd in die Weite ruft: »ich hab' ein Lehen, all' die Welt, ich hab' ein Lehen.« Auch darin waren die beiden verschieden geartet, daß Walthers höchste Kraft in dem Spruche, dem Sinngedichte, sich bewährte. Dem modernen Dichter dagegen ist zwar auch manches glückliche Sinngedicht gelungen, so jenes liebliche »Verspätete Hochzeitslied«, das wirklich aus der Not eine Tugend zu machen weiß und die Säumnis des Sängers also entschuldigt:

Des schönsten Glückes Schimmer
Umschwebt euch eben dann,
Wenn man euch jetzt und immer
Ein Brautlied singen kann;

doch niemand wird in Uhlands Sinngedichten, denen oftmals die rechte lakonische Kraft fehlt, das Eigenste seines Talentes suchen.

Es war ein Liederfrühling kurz und reich. Ein edles Bild der Jugend war Uhlands Dichtung gewesen, und als mit den Jahren diese jugendlichen Gefühle ihm seltener das Herz schwellten, hörte er auf zu singen. Nach seinem dreißigsten Jahre sind nur wenige seiner Gedichte entstanden. Darunter allerdings einige seiner schönsten Romanzen, und auch die rührenden Naturlaute zarter inniger Empfindung entflossen noch dann und wann dem Munde des gereiften Mannes, so damals, da ihm in einem Sommer beide Eltern starben und er beim Anblick eines fallenden Blattes die wie im Winde verwehende Klage schrieb:

O wie vergänglich ist ein Laub,
Des Frühlings Kind, des Herbstes Raub!
Doch hat dies Laub, das niederbebt,
Mir so viel Liebes überlebt.

Es ist müßig, ihn darum zu preisen, daß seine Formgewandtheit ihn nicht verführt hat zu Schöpfungen, die das Gepräge der Notwendigkeit nicht mehr getragen hätten. Wir müssen sagen, er konnte nicht anders als schweigen, wenn der Gott ihn nicht rief. Schon der junge Mann gesteht: »zu jeder ästhetischen, wenn auch nicht produktiven, Arbeit ist eine Stimmung erforderlich, welche die launische Stunde nach Willkür gibt oder versagt.« Einmal erregt pflegte seine dichterische Kraft lange anzuhalten, es war, als ob ein Lied das andere weckte. Sein Wesen läßt sich nur mit dem französischen entier bezeichnen. Jeder Gedanke, jede Beschäftigung nahm ihn ganz und auf die Dauer dahin, selbst die politischen Arbeiten raubten ihm, einmal begonnen, die Lust zu anderem Tun.

Doch wenn seine Dichtung allmählich verstummte, umso lauter erhob der Chor seiner Nachfolger die Stimme, und da ein literarhistorisches Zeitalter jeden Künstler säuberlich in einer Schublade unterbringen muß, so mußte auch er, der dem Unwesen der literarischen Kameradschaft immer gram war, als das Haupt der »schwäbischen Dichterschule« gelten und – manche Sünden seiner Nachfahren entgelten. Wohl waren diese Sänger alle getränkt von dem warmen Naturgefühle ihrer Heimat, und mit gerechtem Stolze konnte Justinus Kerner rufen:

Wo der Winzer, wo der Schnitter singt ein Lied durch Berg und Flur,
Da ist Schwabens Dichterschule, und ihr Meister heißt Natur.

Wie sie einst mit gesundem schwäbischen Sinne gegenüber der Phantasterei der Schlegelschen Richtung ihre protestantische Nüchternheit bewahrt, so haben sie später die reinen Formen der lyrischen Dichtung gerettet, als der Feuilletonstil des jungen Deutschlands alle Kunstformen zu verwischen drohte; sie haben deutsches Wesen und züchtige Sitte getreu behauptet, während der weltbürgerliche Radikalismus und die französischen Emanzipationslehren über uns hereinbrachen. Aber mit der unermüdlichen Fertigkeit der Meistersänger wurde jetzt der so leicht nachzuahmende, so schwer zu erreichende Balladenstil Uhlands nachgebildet. Die poetische Stimmung, jenes »Dunkelklare«, geht manchen gereimten Geschichtserzählungen der Schüler verloren. Die geringe Empfänglichkeit für die Schönheit der Antike war Uhlands natürlicher plastischer Kraft ungefährlich gewesen, bei den Nachfolgern bestraft sie sich durch die unklare verschwommene Zeichnung. Schon dem Meister war das hinreißende Pathos großer Leidenschaft versagt, ihm fehlte der Trieb, das Geheimnis der Weltenleitung in schweren Seelenkämpfen zu ergründen; bei vielen der Späteren erscheinen diese Schwächen geradezu als platte Gemütlichkeit und Gedankenarmut, wofür Frische und Natürlichkeit der Darstellung keinen Ersatz gewähren. Wie überhaupt die Kunst, mit Halbwahrheiten virtuos zu spielen, den boshaften Satiren Heinrich Heines ihren gefährlichen Reiz verleiht, so ist auch eine halbe Wahrheit sicherlich enthalten in jener Schmähschrift, welche den Spott des Übermütigen über die Geistesarmut der schwäbischen Schule ergoß. Als endlich in Schwaben jeder Fels, wo ein Ritter den andern erschlug, seinen Sänger gefunden hatte, und die Düsseldorfer Maler unsere Galerien immer wieder mit sehnsüchtigen blonden Mädchen und trauernden letzten Rittern ihres Stammes bevölkerten, da entstand – wesentlich gefördert durch die Überproduktion der schwäbischen Schule – in unseren tüchtigsten Männern der weit verbreitete, beklagenswerte Widerwille gegen alle lyrische Dichtung. Bei solchem Sinne der Männer ist Uhland heute allerdings vornehmlich ein Liebling unserer Jugend, während Beranger, der oft mit ihm Verglichene, auch dem älteren Geschlechte unter seinen Landsleuten noch jetzt aus der Seele redet. Aber, ein leichtsinniges Pariser Kind, huldigt dieser gleich willig den edlen wie den unwürdigen Leidenschaften seines Volkes: des deutschen Dichters lauterer Sinn hat nur der reinen Begeisterung der Jugend Worte geliehen. –

»Augen wie ein Kind hat der Alte« hören wir oft die Jüngeren erstaunt sagen, wenn sie die verwitterten Züge eines Soldaten der Freiheitskriege erblicken. In der Tat, eine seltene Frische und jugendliche Reinheit der Empfindung, die so nicht wiedergekehrt ist, bildet den entscheidenden Charakterzug jenes Geschlechtes, und sie ist auch der schönste Reiz von Uhlands Dramen. Fremd zugleich und liebenswürdig klingt unserem kurz angebundenen Wesen der zärtliche Erguß der Freundschaft Ernsts von Schwaben an der Leiche seines Werners:

Die Lüfte wehen noch, die Sonne scheint,
Die Ströme rauschen und der Werner stirbt! –

oder die edle Resignation Friedrichs von Österreich, der sich freut:

Daß ich noch Kronen von mir stoßen, noch
Den Kerker kann erwählen statt des Throns.

An ähnlichen Zügen hoher lyrischer Schönheit sind die beiden Dramen reich. Sogar die Landschaft spielt mit, nach der Weise der lyrischen Dichtung; sie spiegelt wider oder hebt durch den Kontrast die Leidenschaften der dramatischen Helden. Nicht minder kommt des Dichters episches Talent zur Entfaltung in den zahlreich eingestreuten Erzählungen – kleinen Romanzen, die überall eine große Anmut und Sicherheit der Zeichnung verraten; ja die gesamte Weltanschauung des Dichters ist episch; seinen Kaiser schildert er nach homerischer Weise und mit den Worten des mittelalterlichen Erzählers:

Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.

Das eigentlich dramatische Talent dagegen hat sich Uhland in edler Bescheidenheit selbst abgesprochen. Nimmermehr wird es blinden Bewunderern gelingen, diesem Bekenntnisse des Dichters sein Gewicht zu nehmen. Uhland deshalb zu den ersten Dramatikern der Deutschen zählen, weil seine Dramen »nationale« Stoffe behandeln, das heißt prosaisch am Stoffe kleben und das Wesen aller Kunst verkennen. Wie im Wettstreit der Rede der ärmere Geist, der die Hörer durch rednerischen Schwung bezaubert, unfehlbar und mit vollem Rechte den helleren Kopf besiegt, welchem die hinreißende Gewalt der Rede fehlt: ebenso und mit gleichem Rechte triumphiert auf den Brettern der bühnenkundige dramatische Handwerker über den echten Dichter, der die Kunst der dramatischen Aufregung nicht versteht. So recht das Gegenteil jenes durchgreifenden, revolutionären Eifers, der den dramatischen Helden macht, ist die zähe Kraft des treuen Beharrens, welche das Pathos der Helden Uhlands bildet. Und wieder so recht das Gegenteil jener ganz bestimmten endlichen Zwecke, welche der dramatische Held verfolgen soll, ist jene gegenstandslose sittliche Begeisterung, die einen guten Plan verwirft, weil nichts darin zu finden sei, »nichts, was begeistern könnt' ein edles Herz«. Nur selten zeigt Uhlands Dialog das dramatische Platzen der Geister aufeinander; mit vorgefaßten Entschlüssen treten zumeist seine Menschen auf die Bühne, erzählen, sprechen ihre Empfindungen aus und die Szene schließt oft ohne jedes dramatische Ergebnis. Auch widerstrebt es dem warmen Herzen des Dichters, das Böse mit dem unbefangenen Behagen des Dramatikers zu schildern. Die politischen Pläne, die er seinen Helden in die Seele legt, erscheinen als Beiwerk, nicht als ein Pathos, das den ganzen Menschen erfüllt. Auf der Bühne tritt den modernen Hörern das fremdartige Wesen der Kulturformen und der Empfindungen des Mittelalters sehr auffällig entgegen, um so auffälliger, da der Dichter manche Szenen – den Kirchenbann, den Ritterschlag – sichtlich nur deshalb mit Vorliebe behandelt hat, weil der romantische Reiz des fremden Kostüms ihn lockte, nicht weil sie dramatisch notwendig waren.

Dergestalt sind diese Dramen rasch von der Bühne verschwunden. Dem Leser wird ihre lyrische Schönheit immer teuer bleiben, und eben darum wird er mit reinerer Freude vor dem älteren der beiden Werke verweilen. Willig vergißt er den verfehlten Bau des »Ernst von Schwaben«, dessen Handlung mit dem Höhepunkte beginnt, denn gar zu liebenswürdig tritt uns aus dem Bilde der beiden treuen Freunde das warme reine Herz des Dichters entgegen. Das Schauspiel »Ludwig der Bayer« ist, obwohl es Schritt für Schritt den Berichten der alten Chronisten folgt, doch weit kunstgerechter gebaut als das Erstlingsdrama, und ohne Zweifel hat keiner der späteren Bearbeiter dieser undramatischen Fabel den schwäbischen Dichter erreicht. Aber der spröde Stoff gewährte hier Uhlands lyrischem Talente weniger Spielraum. Am reichsten entfaltet sich diese Begabung in dem Fragmente »Konradin«. Keine andere Fabel unserer Geschichte kam allen Idealen dieses Dichters und dieser Zeit so willig entgegen. Noch ein anderes schönes Bruchstück hat er uns hinterlassen, das kleine Epos »Fortunat«. Es ist lehrreich, zu beobachten, wie auch ein so schlichter, aller Paradoxie abgeneigter Dichtergeist durch den Reiz des Kontrastes zum Gesange begeistert werden kann. Diese übermütigen, mutwilligen Verse entstanden dem ernsten, strengen Manne in Tagen schwerer Sorge um Haus und Staat. Aber seltsam, wie er, der in seinen kleinen Gedichten uns durch die gedrungene Kürze der Darstellung in Erstaunen setzt, bei größeren Entwürfen ins Weite zu gehen liebte. Schon der zweite Gesang des Fortunat ist eine Abschweifung nach Ariostischer Weise, und eben deshalb mag auch die Vollendung des anmutigen Gedichts unterblieben sein.

Der Dichtung Uhlands schaut keiner auf den Grund, der nicht Kunde hat von seinem wissenschaftlichen Wirken. Er selber sagte scharf: »wer sich nicht mit meinen Studien befaßt hat, kann auch nicht über mich schreiben.« Die lebensvolle poetische Schilderung unserer Vorwelt erwuchs ihm aus gründlicher gelehrter Kenntnis. Wohl durfte er von seinen alten Büchern rühmen: »Durch ihre Zeilen windet ein grüner Pfad sich weit.« Dank den Romantikern: nicht mehr eine ermüdende Masse gleichgültiger Namen brachten die Gelehrten heim aus der Erforschung unserer Vorzeit. Die Seele unseres Volkes in der Vorwelt erschloß sich den Nachlebenden, und Uhland hat ein Großes mitgeschafft an diesem Werke deutscher Wissenschaft. Ein gutes Wort aus seinen letzten Jahren bezeichnet schlagend, wie er Sinn und Ziel seines wissenschaftlichen Schaffens verstand. »Eine Arbeit dieser stillen Art«, schreibt er einem Freunde, »setzt sich freilich dem Vorwurf aus, daß sie in der jetzigen Lage des Vaterlandes nicht an der Zeit sei. Ich betrachte sie aber nicht lediglich als eine Auswanderung in die Vergangenheit; eher als ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutschen Volkslebens, an dessen Gesundheit man irre werden muß, wenn man einzig die Erscheinungen des Tages vor Augen hat, und dessen edlern, reinern Geist geschichtlich darzustellen um so weniger unnütz sein mag, je trüber und verworrener die Gegenwart sich anläßt.« Der Gedanke einer Geschichte der deutschen Dichtung im Zeitalter der Staufer, einer schwäbischen Sagenkunde beschäftigte ihn lange, und wenn von diesen weitaussehenden Plänen nur einiges – dies wenige allerdings meisterhaft – ausgeführt ward, so erraten wir leicht den Grund: für den Lyriker liegt der Reiz des Schaffens im Anlegen und Erfinden. Streng methodisch wie nur sein Freund Immanuel Bekker betrieb er diese germanistischen Studien, aber auch den Dichter erkennen wir wieder in dem Verfasser des schönen Buches »Walther von der Vogelweide«, woraus oben einige bezeichnende Urteile mitgeteilt wurden. Seine einfach edle Prosa ist nicht weniger künstlerisch als der Wohllaut seiner Verse. Wie dem Künstler ziemt, suchte er hier aus der Person des Dichters die Dichtung zu erklären und brachte also in die Literaturgeschichte des deutschen Mittelalters einen neuen notwendigen Gesichtspunkt. Nur die geschichtliche Bedeutung und den ästhetischen Wert der Gedichte unserer Vorzeit hatte man bisher gewürdigt, noch nicht sie betrachtet als Offenbarungen reicher dichterischer Persönlichkeiten.

Nicht minder den Dichter erkennen wir, wenn er in der für die germanische Mythologie Epoche machenden Abhandlung über den Mythus vom Tor nicht nur den allegorischen Sinn der alten Naturmythen enträtselt, sondern auch den Heidengott uns menschlich nahe führt und in dem Bändiger aller tobenden Elemente uns den demokratischen Gott zeigt, den gewaltigen Arbeitsmann, den geliebten Freund des Volkes, den der Bauer neckend am roten Barte zupft. Froh und heimisch fühlt sich der rüstige Mann unter dem starken Volke, das »im Donnerhalle die Nähe seines Freundes erkennt«. Und fröhlich zog er auf weite Wanderfahrten, um aus Fels und See, aus dem Geiste des Ortes selber die Gestalten unserer Sagen greifbar und lebendig hervorsteigen zu sehen. An der Hand der Natur führten dann seine Beiträge zur schwäbischen Sagenkunde den Leser in die fremde Welt halbverschollener Überlieferungen ein. Wir steigen mit ihm auf die Trümmer des alten Schlosses Bodman am Bodensee, wir hören den Schall entfernter Glocken leise über den rauschenden See her klingen und wir verstehen, wie einst hier in karolingischer Zeit den schlafenden Hirten Pipin das wonnevolle Geläute zum fernen Kloster lockte. Wir sehen den Nebel über den Wassern sich ballen, der den Schiffer beirrt und die Reben mit kaltem Reife schädigt, und wir begreifen, wie die Launen des Nebelmännleins seltsam hineinspielen in das Geschick des alten Geschlechtes der Bodman.

Uhlands erstes gelehrtes Werk war eine Abhandlung über das altfranzösische Epos gewesen, und das feine Verständnis der Volksdichtung, das die Kenner in diesem Aufsatze erfreut, bewährte sich auch in den jahrelangen Forschungen für sein letztes größeres gelehrtes Werk über das deutsche Volkslied. Der Tod hat den bedachtsamen Arbeiter in diesem Unternehmen unterbrochen. Vollendet ist nur der Vorläufer der verheißenen Abhandlung, die köstliche Sammlung deutscher Volkslieder, die in jedem guten deutschen Hause eine Stätte finden sollte, denn sie ist, was der Sammler wollte, »weder eine moralische, noch eine ästhetische Mustersammlung, sondern ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Volkslebens«. Wie »des Knaben Wunderhorn«, dem Uhlands Jugend so Großes verdankte, verrät auch diese Sammlung, daß schönheitskundige Dichterhände die Auswahl geleitet; aber an der Vergleichung beider Werke ermessen wir zugleich den ungeheuren Fortschritt der germanistischen Wissenschaft von dilettantischer Unfertigkeit zu kritischer Strenge. Schwerlich ist es ein Zufall, daß der Sammler den bedeutenden wirksamen Platz am Schlüsse seines Buches den Liedern des streitbaren Protestantismus angewiesen hat. Des Kranzes letzte Blätter sind: »Eine feste Burg ist unser Gott« und jenes herrliche Lied eines sächsischen Mädchens aus den Tagen des Schmalkaldischen Krieges:

Stets soll mein Angesicht sauer sehn,
Bis die Spanier untergehn –

der kräftige Ausdruck einer großen politischen Leidenschaft, die seitdem die Seele der mitteldeutschen Stamme leider nie wieder so gewaltig erschüttert hat.

In mannigfachen Formen (schon vielen ist dies aufgefallen) kehrt in Uhlands Gedichten ein Idealbild wieder – der streitbare Sänger: mag der Dichter den Normannen singend und die schweren Schwerter schleudernd vor dem Eroberer reiten lassen, mag er Äschylos und Dante preisen, weil sie für Freiheit und Vaterland gesungen und gestritten, oder Körners Schatten heraufbeschwören zu zorniger Mahnung an die Überlebenden. In friedlichem, aber nicht minder ernstem und aufregendem Kampfe hat er selber sich zu diesen Sängern und Helden gesellt. Die Zeit ist hoffentlich nahe, da wir Deutschen aufhören werden, etwas Auffälliges zu sehen in dieser Verkettung bürgerlichen und künstlerischen Ruhmes. Wie wir neuerdings in Italien der ruhmvollen Erscheinung begegnen, daß unter den namhaften Denkern und Künstlern kaum einer sich findet, der nicht sein Herzblut hingäbe für das freie und einige Italien: so beginnt unter den Deutschen eine ähnliche Wandlung sich zu vollziehen. Das Herz der Nation kehrt sich ab von jenen Künstlern, die neben dem großen politischen Kampfe der Gegenwart kalt zur Seite stehen. Seltener, schüchterner immer tönt das vordem in diesen Kreisen oft gehörte Wort, dem Künstler zieme nicht sich zu kümmern um die Abstraktionen der politischen Debatte, »weil er sich kein Bild davon machen könne«. Der politische Kampf der deutschen Gegenwart ist nicht ein Streit um diese oder jene Staatseinrichtung, wie eine Doktrin, ein Klasseninteresse sie fordert. Es gilt, der Nation das Unterpfand jedes schönen Erfolges, das stolze Selbstgefühl zu retten. Was irgend krankt in unserem Volksleben, in Kunst und Wirtschaft, Glauben und Wissen, nicht eher wird es völlig gesunden, als bis die Deutschen ihren Staat gegründet. Das Geschlecht von Dichtern aber, dem die Kleist, Arndt, Uhland angehören, war das erste in Deutschland, welches diese unmittelbare sittliche Bedeutung der Staatsfragen begriff und solche Erkenntnis in Taten bewährte. Als König Ludwig von Bayern um das Jahr 1841, in der unheilvollsten Zeit seiner Regierung, mit dem Plane umging, einen deutschen Dichterverein zu gründen, und den schwäbischen Dichter zum Beitritt auffordern ließ, da erklärte Uhland dem Minister v. Schenk in einem tapferen Briefe, was er denke über die Pflicht des Dichters gegen das Vaterland. »Bei Deutschlands politischer Zersplitterung,« heißt es da, »kann auch der bestgemeinte Vorschlag zur idealen Einigung eher verletzen, als ermutigen; immer nur der Stein statt des Brotes! – Wenn die deutsche Dichtkunst wahrhaft national erstarken soll, so können ihre Vertreter nicht auf ein historisches oder idyllisches Deutschland beschränkt sein; jede Frage der Gegenwart, wenn sie das Herz bewegt, muß einer würdigen Behandlung offen stehen.«

Sehr laut, fast überschwenglich ist neuerdings Uhlands politisches Wirken gepriesen worden. Der Kaltsinn gegen die Kunst, diese Krankheit der Gegenwart, offenbarte sich auch darin, daß in vielen Nekrologen der Dichter wie ein patriotischer Landtagsabgeordneter erschien, der nebenbei auch Verse geschrieben. Wohl ist es nicht leicht, diesen verschlossenen Charakter zu durchschauen, der selten in Gesprächen oder Briefen die Beweggründe seines Handelns angab. Nur diese Behauptung dürfen wir zuversichtlich aufrecht erhalten: Uhlands dichterisches und gelehrtes Schaffen war nicht bloß fruchtbarer als seine politische Wirksamkeit, es wurzelte auch ungleich tiefer in seinem Gemüte. Uhland war weit weniger als Kleist oder Arndt eine politische Natur; das Unglück des Vaterlandes erfüllte den ruhigen Mann nicht mit jener heißen Leidenschaft, die jeden andern Gedanken übertäubt; gleich den ausschließlich ästhetischen Geistern des älteren Dichtergeschlechts war ihm noch möglich, während der krampfhaften Aufregung des Freiheitskrieges sich die selige Ruhe künstlerischen Wirkens zu bewahren. Nicht in die Wiege gebunden war ihm die Lust am Streite, wie einem Lessing; ihn erfüllte nur das unabweisliche Verlangen, rein und unsträflich vor seinen Augen dazustehen. Wie konnte er also zurückstehen, wenn um die höchsten sittlichen Güter unseres Volkes gestritten ward? Zudem hatte er seinen natürlichen Rechtssinn geschult in den juristischen Studien, die er ohne Freude, aber mit Ernst und Nachdruck trieb, und war früh mit den Ideen des modernen Liberalismus vertraut geworden. Seine schmucklos bürgerliche Art, »dickrindig und schier klotzig«, wie Chamisso sie einmal übermütig nannte, diese keusche Wahrhaftigkeit sah mit bitterem Ekel auf die Leichtfertigkeit der Höfe, auf das vornehme Spielen mit dem Ernste des Lebens. So ward er, der seine gelehrte Arbeit und den besten Teil seiner Dichterkraft unserer Vorzeit widmete, im Leben ein Streiter für die modernen Volksrechte. Bestechend, aber verkehrt ist Heinrich Heines Versuch, aus diesem scheinbaren Widerspruche von Leben und Dichtung das frühe Verstummen von Uhlands Gesang zu erklären. Wir wissen längst, daß nicht »das katholisch-feudalistische«, sondern das volkstümliche Element der mittelalterlichen Gesittung seine dichterische Neigung vorwiegend anzog; also haben seine poetischen Arbeiten seinen vaterländischen Sinn vielmehr gekräftigt. Nur einzelne kleine Schwächen seiner Poesie lassen sich allerdings auf dies zwiegeteilte Streben zurückführen. Wenn dann und wann ein Ritter, ein Mönch seiner Balladen uns mit allzu blassen Farben gemalt scheint, so erinnern wir uns: ein durchaus moderner Mensch hat dies Bild geschaffen, der bereits mit hellem Bewußtsein auf das Mittelalter als auf eine versunkene Welt zurückschaut.

Es ist nicht ganz richtig, wenn Uhland kurzweg den Dichtern der Freiheitskriege zugezählt wird. Der Heldenzorn jenes Kampfes tönt uns mit voller Gewalt nur aus den Liedern der Arndt, Körner, Schenkendorf entgegen, die mitteninne standen in dem Schlachtgetümmel. Dem Schwaben war dies schöne Los versagt; darum hören wir aus den Liedern Uhlands in dieser Zeit nur die Stimme des erregten Beobachters, nicht des Kämpfers. Besonders schön hat er die Angst der Guten geschildert, da die letzte Entscheidung sich verzögerte, bis ihm endlich sein heißer Wunsch erfüllt ward:

Das edle Recht, zu singen
Des deutschen Volkes Sieg.

Demutsvoll stand er zur Seite und fragte sein Land:

Nach solchen Opfern heilig großen
Was gälten diese Lieder dir!

Erst nach dem Frieden, als Süddeutschland der Brennpunkt unserer staatlichen Kampfe war, begannen die großen Tage seiner politischen Dichtung, welche nun, da der Norden ermattet schwieg, den Geist jener nordischen streitbaren Sänger getreulich bewahrte.

Der württembergische Verfassungsstreit brach aus. Schon als Arbeiter im Justizministerium hatte der junge Jurist erfahren, was die Willkürherrschaft des geistvollsten und ruchlosesten der Napoleonischen Satrapen bedeute. Jetzt, ein unabhängiger Rechtsanwalt in Stuttgart, ward er der beredte Mund des empörten Rechtsgefühls seines Stammes. Er forderte das alte Recht zurück, verwarf sowohl die neue vom König Friedrich eigenmächtig geschaffene Verfassung als die wohlmeinende Vermittlung des Nachfolgers König Wilhelm und seines alten Gönners, des Ministers Wangenheim, schrieb unermüdlich Adressen, Flugschriften und die »Vaterländischen Gedichte«. Zu ihnen möchte ich alle Verächter der politischen Dichtung führen, damit sie erkennen: ein echter Dichter ist, derweil er singt, immer im Rechte, Auch wer das starre Festhalten der Altwürttemberger an dem alten Rechte politisch verwirft, muß ergriffen werden von dem so männlich-stolzen und so christlichdemütigen Gebete:

Zu unsrem König, deinem Knecht,
Kann nicht des Volkes Stimme kommen.

Und wenn irgendwo, so ist hier Uhland der deutschen Dichterweise treu geblieben und hat die Form seiner Lieder sich schaffen lassen durch den Inhalt. Dichter und Staatsmann hatten schier die Rollen ausgetauscht: der phantastischen, dreist experimentierenden Staatskunst Wangenheims stand der Sänger mit der nüchternen bedachtsamen Mahnung gegenüber, das Altbewährte treu zu hüten. Wirken sollten die Lieder, haften im Gedächtnisse des Volkes. Darum die einfachste Form für den einfachen Inhalt, unermüdliche Wiederholung, schmucklose, allen verständliche, dann und wann fast prosaische Worte:

Schelten euch die Überweisen,
Die um eig'ne Sonnen kreisen,
Haltet fester nur am Echten,
Alterprobten, Einfach-Rechten!

Die verschiedensten Beweggründe zugleich trieben den Dichter in die buntscheckigen Reihen der Opposition: die gemütliche Anhänglichkeit an das altheimische Recht so gut wie der noch ungeschulte Liberalismus, der die alte Verfassung pries, weil sie die Macht des Monarchen beschränkte, doch nicht begriff, daß sie den modernen Staat aufhob. Mächtiger als all dies wirkte in ihm der edle sittliche Zorn, der freie Männerstolz, der auch der wohlmeinenden Macht nicht gestatten wollte, das Recht zu beugen. In solchem sittlichen Zorn liegt die Idee, die Berechtigung dieser Opposition. Ihm dankte der Dichter auch seine poetische Überlegenheit, als er jetzt einen neuen heftigeren, politischen Sängerstreit mit Rückert durchfechten mußte. So hatte einst sein Lehrer Walther für den Staufer Philipp kampflustige Lieder gesungen, derweil Wolfram von Eschenbach für den Welfenkaiser Otto in die Schranken trat. Diesmal sprach Uhland zum Herzen der Hörer, während der Gegner, indem er Wangenheims Reformpläne verteidigte, nur an den Verstand des Volkes sich wenden konnte. Und nicht an der Scholle haftete der Blick des Sängers, er sah in dem Ringen seiner Heimat nur eine Schlacht des langen Krieges, der das weite Vaterland erfüllen sollte, und verwundete die Elenden, die nach geheimen Bünden spürten, mitten ins Herz mit den Versen:

Ich kenne, was das Leben euch verbittert,
Die arge Pest, die weit vererbte Sünde:
Die Sehnsucht, daß ein Deutschland sich begründe,
Gesetzlich frei, volkskräftig, unzersplittert.

Oftmals in diesen Händeln traf seine noch unfertige politische Bildung mit sicherem Takte das Rechte; so, wenn er wider den Plan einer württembergischen Adelskammer das gute, durch schwere Erfahrungen bestätigte Wort sprach: »Das heißt den Todeskeim in die Verfassung legen.« Auch an den Fehlern der Opposition hatte er seinen Teil, an jener eigensinnigen Hartnäckigkeit, welche die gute Stunde, die freieste Verfassung in Deutschland zu gründen, verscherzte. In späteren Jahren hat er selbst eingesehen, wie sehr ihm die Freiheit des Urteils fehlte, als er die wohldurchdachten Entwürfe der Regierung kurzab als Machwerke verdammte. Doch von allen Irrtümern dieses Mannes gilt sein eigenes Wort:

Wohl uns, wenn das getäuschte Herz
Nicht müde wird, von neuem zu erglüh'n:
Das Echte doch ist eben diese Gluth.

Jawohl, das Feuer einer reinen Begeisterung flammt in diesen württembergischen Liedern; darum werden sie auch dann noch in unserem Volke leben, wenn das Königreich Württemberg längst aufgehört haben wird zu bestehen. Die Lieder zogen als Flugblätter durch das Land. Einzelne nichtschwäbische Zeitungen wagten sie in ihren Spalten aufzunehmen. So brachte ein norddeutsches Blatt das an den wackeren Stuttgarter Bürgermeister Klüpfel gerichtete Gedicht »die Schlacht der Völker war geschlagen« unter der für den Geist der Presse jener Tage bezeichnenden Überschrift: »an den Repräsentanten einer angesehenen Stadt bei einer bekannten Ständeversammlung, gesungen bei einem festlichen Mahle, das dem würdigen Manne am 18. Oktober 1815 von seinen Kommittenten gegeben wurde.« Diese Gedichte gründeten dem Sänger zuerst einen geehrten Namen in der Literatur, und das schwäbische Volk sah mit begreiflichem Stolze auf den Mann, der also mit Ehren die Stammesart vertrat. Alsbald nachdem er das gesetzliche Alter erreicht, 1817, ward er in die Kammer gewählt, und mit Unwillen mußte er jetzt den Umschlag der Volksmeinung wahrnehmen. Dem zähen Eigensinne folgte übereilte Nachgiebigkeit, nur das eine ward erreicht:

Daß bei dem biedren Volk in Schwaben
Das Recht besteht und der Vertrag.

Nicht durch königlichen Befehl, durch Vertrag zwischen Land und Krone kam die neue Verfassung zustande, doch fehlte viel, daß ihr Buchstabe zur Wahrheit ward. Bald befestigte sich unter König Wilhelm die gefährlichste Form des scheinkonstitutionellen Regiments, welche Deutschland vor der Revolution gesehen hat: ein aufgeklärter Despotismus, den Großmächten gegenüber liberal, nach innen tätig für das materielle Wohl, eifersüchtig gegen jede selbständige Haltung des Landtags, von gewandten klugen Männern geleitet, eifrig bestrebt, alle Talente des Landes in den Dienst der Minister zu ziehen. Ohne Freude hielt Uhland unter den Landständen aus. »Nur als Freiwilliger,« sagt er selbst, »als Bürger, als einer aus dem Volke trat ich mit an.« Persönliche Würde, Pflichttreue und die Gewalt seiner Feder verschafften ihm trotzdem eine Stelle unter den Führern der Opposition. Während des Kampfes um die Verfassung hatte er Staatsämter, die man ihm anbot, ausgeschlagen. Jetzt mußte er für seine Festigkeit büßen; erst im Jahre 1829 berief ihn die Regierung zu der Stelle, die ihm gebührte und seinen liebsten Wünschen entsprach, auf den Lehrstuhl der deutschen Literatur in Tübingen.

Dort ist fortan sein Wohnsitz geblieben, und es war ein echtdeutscher Zug, daß er an einem Stilleben sich genügen lassen konnte, welches einen Franzosen von seiner Bedeutung zur Verzweiflung gebracht hätte. Nahe an der Neckarbrücke stand sein freundliches Haus mitten im Rebgarten am Abhänge des Österberges, dessen schöngeschwungene Formen der aus Italien heimkehrende Tübinger Philolog mit dem Vesuv zu vergleichen liebt. Dort sah er Jahr für Jahr jene denkwürdigen Ereignisse an sich vorübergehen, welche die Ruhe dieses akademischen Flachsensingen unterbrechen. Immer wieder zogen der Pauperpräfekt und die Armenschüler in ihren hohen Hüten singend durch die winkligen rinnsalreichen Gassen, das Vieh ward in den Neckar zur Schwemme getrieben, die Stadtzinkenisten bliesen ihren Choral vom Turme, und – das wichtigste von allem – die berufenen Flößer, die Jockeles, führten das Holz des Schwarzwaldes talwärts und wechselten mit den alten Erbfeinden, den Studenten, homerische Schimpfreden. Es liegt ein eigener stiller Reiz über dieser kleinstädtischen Welt, wo an jedem Hause ein uralter derber Burschenwitz oder eine gute Erinnerung an einen tüchtigen Mann haftet. Im Verkehre mit vortrefflichen Männern fühlte Uhland sich bald wieder heimisch in der Vaterstadt, und durch seine kurze akademische Wirksamkeit erweckt«: er in den Schwaben zuerst den Sinn für die germanistische Wissenschaft. Noch ein anderes rühmen seine Landsleute ihm nach: der angesehene Professor vernichtete durch persönliche Würde und gediegene Gelehrsamkeit jene kleinlichen Vorurteile gegen den Beruf des Dichters, die seit Schubarts und Hölderlins Tagen von dem schwäbischen Bürger gehegt wurden.

Nach wenigen Jahren rief ihn eine abermalige Wahl in die Kammer von seinem gelehrten Wirken ab. In den zwanziger Jahren hatte sich die Opposition in Württemberg vorwiegend auf örtliche Zwecke beschränkt. Ein fleißiger Arbeiter in den Kommissionen, ein karger, ungewandter Redner, aber wenn er sprach, schlagend, gedankenreich, entschieden, war damals Uhland für den von der Regierung mißhandelten Friedrich List in die Schranken getreten, hatte gewirkt für die Neuordnung der Rechtspflege, namentlich die Unabhängigkeit des Richterstandes, und für die Minderung der Militärlast. Höhere Ziele steckte sich die Opposition nach der Juli-Revolution. Noch immer freilich blieb unter den deutschen Liberalen die alte weltbürgerliche Neigung lebendig; diese Gesinnung hatte Uhland vordem zum Eintritt in die Philhellenenvereine bewogen, ihr verdanken wir auch eines seiner besten Gedichte, die Ballade »die Bidassoabrücke« zum Preise des Verwegensten der Spanier, Mina. Jedoch unter den Besseren wenigstens »prägte sich jetzt – nach Uhlands Worten – ein deutscher Liberalismus aus, der die freisinnige Idee mit der Vaterlandes-Ehre zu verbinden trachtete«. Als Süddeutschland fürchten mußte, durch die absolutistische Tendenzpolitik Österreichs in einen Krieg gegen das liberale Frankreich hineingerissen zu werden, und die nicht minder verblendete Parteiwut vieler Liberalen freudig den Augenblick ersehnte, der den Südwesten zum Verrat an Deutschland, unter die »liberale« Trikolore der Fremden führen würde – in diesen angstvollen Tagen wandte sich das Auge der Besseren über die schwarzroten Grenzpfähle hinaus den deutschen Bruderstämmen zu. Man empfand bitter den Mangel einer Volksvertretung in Österreich und Preußen und »die Unnatur der deutschen Zustände, daß die schwächeren Schultern die Träger der größeren Volksrechte sein sollen«. Aber unverzagt mahnte Uhland die Freunde, »unsere ehrenvolle Bürde, das zukünftige Eigenthum des gesammten Deutschlands, einer helleren Zukunft entgegenzutragen«.

Mit dem stolzen Bewußtsein eines ernsten nationalen Berufs betrat die Opposition den Ständesaal. Der Landtag des Jahres 1833 ward einer der wichtigsten in Deutschland vor der deutschen Revolution. Nicht nur eine große Zahl von Talenten füllte das Haus: hier ward auch zum ersten Male grundsätzlich eine Lebensfrage der Politik des deutschen Bundes erörtert. Die sittliche ebenso sehr als die politische Pflicht gebot, daß einem großen politischen Lügensysteme ein Ende gemacht werde, daß die konstitutionellen Regierungen nicht mehr durch Bundesbeschlüsse im Geiste des Absolutismus sich ihres Verfassungseides entheben ließen. Darum stellte Paul Pfizer seine berühmte Motion, daß der Verfassung widersprechende Bundesbeschlüsse in Württemberg keine Geltung haben sollten. Umsonst zeigten befreundete Landsleute in der Ferne, wie Wurm, die Unausführbarkeit des Antrags. Es war und ist ein Widersinn, daß ein Bund konstitutioneller Staaten von einer absolutistischen Körperschaft geleitet wird; der Unwille darob ward unter den Liberalen so übermächtig, daß sie, die Verfechter des Einheitsgedankens, den Teil grundsätzlich über das Ganze stellten – ein denkwürdiges Symptom der Verwirrung und Verbildung deutscher Politik. Das Verlangen der Minister, die Kammer solle die Motion mit verdientem Unwillen zurückweisen, ward mit einer scharfen Adresse aus Uhlands Feder beantwortet. Hierauf erfolgte die Auflösung und eine Reihe von Ereignissen, welche in jener Zeit der politischen Unschuld ungeheures Aufsehen erregten, während die Gegenwart bereits an einen weit roheren Mißbrauch der Regierungsgewalt gewöhnt ist. Schon von dem aufgelösten »vergeblichen Landtage« hatten die Minister ihre Gegner durch gesuchte Gesetzesauslegungen auszuschließen getrachtet; Uhland war damals für die Gültigkeit der Wahl seines alten Gegners Wangenheim aufgetreten in einer Rede, die seinem Herzen Ehre macht. Jetzt wurden diese alten Künste der Regierung weiter ausgebildet. Uhland, abermals gewählt, erhielt den Urlaub nicht und legte rasch entschlossen seine Professur nieder.

Von neuem entspann sich der Streit wider die verfassungswidrigen Bundesbeschlüsse. In diesen Debatten verkündete Uhland in schwungvoller Rede den nationalen Beruf der süddeutschen Opposition und sprach das kühne Wort: »diese Rechte und Freiheiten werden einst von einer deutschen Nationalvertretung zur vollen und segensreichen Entfaltung gebracht werden.« Was er schon während des alten Verfassungsstreites dunkel geahnt, sah er jetzt klar vor Augen: daß alle Sünden der Einzelstaaten ihre Wurzel haben in dem Mangel einer volkstümlichen einheitlichen Verfassung Deutschlands. Darum deckte er bei der Beratung des Militärbudgets schonungslos das große Übel auf, das alle Militärdebatten in den Kleinstaaten noch heute verbittert und vergiftet. Er fragte: »hat sich die Einigung im Bunde selbst schon als eine in der Nation begründete erwiesen? Kann bei solchem Stande der Dinge Württemberg wissen, unter welcher größeren Fahne und zu welchen Zwecken seine Truppen zunächst ausziehen werden?« Nicht zufrieden mit der unfruchtbaren abwehrenden Haltung dem Bunde gegenüber, sprach er jetzt ein altes wohlberechtigtes Verlangen der Liberalen aus: er forderte, daß die Minister wegen der Instruktionen an die Bundestagsgesandten den Kammern Rede stehen sollten.

Heftiger von Jahr zu Jahr wurde die Erbitterung. In ihrem allerdings wohlbegründeten Mißtrauen gegen die Minister stimmte die Opposition einmal sogar für die Verwerfung des gesamten Budgets, ja, befangen in kleinstädtischen volkswirtschaftlichen Begriffen und voll Widerwillens gegen Preußen, erklärte sich Uhland sogar gegen den Beitritt Württembergs zum deutschen Zollvereine. Auch er litt an jener Verblendung, womit die meisten Liberalen des Südwestens in jenen Tagen behaftet waren: stolz auf sein schwäbisches »constitutionelles Leben«, das doch in Wahrheit die Willkür der Krone nicht wesentlich beschränkte, handelte er unwillkürlich als Partikularist. Aus Liebe zu Deutschland ward er mitschuldig an der unseligsten politischen Sünde des alten Liberalismus: er widerstrebte dem großartigsten und wirksamsten Versuche einer praktischen Einigung des Vaterlandes, der seit Jahrhunderten gewagt worden! Dies Verfahren ist um so befremdlicher, da Uhland selbst bald nachher die Unfruchtbarkeit der kleinen Landtage für das große Vaterland scharf erkannte: »wir stehen an der Grenze einer lebendigen Wirksamkeit auf diesem Wege,« schrieb er 1840, »der Bündel ist nicht zu Stande gekommen, das Beil hat kein Heft und die Stäbe liegen zerknickt umher.« Endlich, im Jahre 1839, beging die Opposition einen letzten verhängnisvollen Fehler. Wie oftmals in reichen, warmen Gemütern, liegt auch in dem tüchtigen Charakter der Schwaben ein Zug von unberechenbarem Eigensinn, von pessimistischem Trotz. Häufig in ihrer Geschichte, und immer zum Unheile des Landes, war er zu Tage gekommen; so während des Verfassungsstreites, so jetzt wieder in anderer Weise, als die Uhland, Schott, Pfizer, Römer, vereinsamt unter dem gleichgültigen Volke, auf die Wiederwahl verzichteten. Dergestalt war der Landtag seiner besten Kräfte beraubt, und dem schwäbischen Staatsleben, das in seinem abgeschlossenen Sonderdasein dringender als die meisten anderen Staaten der fortwährenden Mahnung an die nationalen Pflichten bedarf – ihm fehlten fortan gerade jene liberalen Talente, welche freieren Blicks über die Landesgrenze hinausschauten.

Das zurückgezogene Leben, das der Dichter nun in Tübingen begann, fiel gerade in die Tage, da von seiner Heimat jene kühne theologische Bewegung ausging, welche durch das Auftreten von David Strauß veranlaßt war. Abermals bewährte sich der alte Romantiker als ein moderner Mensch. Den vorurteilsfreien Forscher erschreckte es nicht, daß die Grundsätze der wissenschaftlichen Kritik, die ihm selber das Verständnis der heidnischen Götterlehre erschlossen hatten, jetzt auf die christliche Mythologie angewendet wurden. Der theologische Streit lag seinem Sinne fern, doch verteidigte er die Verketzerten und ihr Recht der freien Forschung. Einen anderen modernen Gedanken dagegen, der gleichfalls in seiner Umgebung gehegt ward, hat er nie verstanden. Jenen zukunftreichen politischen Plan, der einst als unbestimmte ferne Hoffnung vor Fichtes Seele geschwebt und dann in Friedrich Gagerns lichtem Haupte sich zu greifbarer Gestalt verdichtet hatte – den Plan des deutschen Bundesstaates unter Preußens Führung verkündete Paul Pfizer, fast noch ein Jüngling, zuerst als ein politisches Programm dem Volke und eroberte sich damit einen Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen nationalen Bewegung. Dem Dichter, der den alten Ruhm der Hohenzollern oftmals freudig besungen hatte und den Widerwillen der Schwaben gegen Norddeutschland nicht teilte, blieb dieser Gedanke immer ein Greuel. Sein Herz war erfüllt von der gemütlichen Vorliebe seines Stammes für die österreichischen Nachbarn; ihm blieb unvergessen, wie oft er einst im Knabenspiele Partei genommen hatte für die Kaiserlichen und in das nahe Rottenburg hinübergewandert war, um das wildfremde Kriegsvolk der Magyaren und Kroaten zu schauen. Wie einst in dem württembergischen Verfassungsstreite, so wirkten auch jetzt zwei grundverschiedene politische Beweggründe in seiner Seele nach einem Ziele zusammen. Die Freude an der althistorischen Herrlichkeit des Wahlkaisertums und das Bekenntnis der Volkssouveränität – romantische und demokratische Neigungen zugleich führten ihn zu dem Ideale des Wahlreichs. Auch eine köstliche, dem deutschen Staatsmanne leider sehr notwendige Tugend brachte Uhland in die Kampfe der Revolution hinüber – das wachsame Mißtrauen gegen den guten Willen der Höfe. Er hatte unter König Friedrich das frevelhafte Mißachten jedes Rechtes, unter seinem Nachfolger – was seinem schlichten Sinne noch tieferen Ekel erregen mußte – das unwahre Buhlen mit dem Liberalismus gesehen, und nur so schmerzliche Erfahrungen konnten seinem warmen wohlwollenden Herzen diesen harten Zug einprägen.

Die Revolution brach aus, und dem greisen Dichter vor allen galt der Jubel des aus langer Gleichgültigkeit erwachenden schwäbischen Stammes. Der beispiellosen Mißregierung folgte eine beispiellose Demütigung: der Bundestag gestand, daß ihm das Vertrauen des Volkes fehle, und umgab sich mit »Männern des Vertrauens«. Auch Uhland ward unter die Siebzehner gesendet, doch das Vertrauen seines Königs folgte ihm nicht nach Frankfurt; ihm ward keine Antwort, als er sich die persönliche Ansicht des Fürsten über die Aufgabe der Vertrauensmänner erbat. Als nun in dem Ausschusse Dahlmann mit dem Programme des Bundesstaates hervortrat, da schraken anfangs – ich folge hier der mündlichen Erzählung eines der Siebzehn – die meisten zurück vor der Verwegenheit des Gedankens, und Uhland stimmte eifrig gegen das preußische Erbkaisertum, »als es noch in den Windeln lag«. Diese großdeutsche Gesinnung trennte ihn auch im Parlamente von Dahlmann, Grimm, Arndt und vielen anderen, die ihm durch Bildung und Begabung nahe standen. Er hielt sich zu der Linken, und wie sehr auch die demagogischen Ausschweifungen seinen maßvollen Künstlersinn anwiderten: die demokratische Richtung konnte sich einiger Tugenden rühmen, die Uhlands Herz an die Partei fesseln mußten, obwohl sie in der Demokratie der Paulskirche sich oftmals verzerrt und entstellt offenbarten. Ihn erfreute die menschliche Teilnahme der besseren Demokratie für die Armen und Leidenden und der willige Opfermut, welcher sie vor den Mittel-Parteien auszeichnete. Freilich, der schlichte demokratische Bürgerstolz des ehrwürdigen Mannes hatte im Grunde sehr wenig gemein mit jenen gellenden Lobpreisungen des Konventes, welche von den Bänken seiner Parteigenossen erklangen. Ich glaube nicht als ein Parteimann zu reden, wenn ich sage, Uhlands Verhalten in der Paulskirche hinterlasse den Eindruck, als sei er dort nicht an seiner Stelle gewesen. Er stand als ein »Wilder« zwischen den Parteien und blieb doch in einer moralischen Verbindung mit der Linken; schon diese seltsame Mittelstellung läßt ihn wie einen Halbfremden in der Versammlung erscheinen.

Von allen Plänen der Mittelparteien forderte der Gedanke des preußischen Kaisertums Uhlands heftigsten Widerspruch heraus. Dieser Widerspruch bewog ihn zu den beiden einzigen größeren Reden, welche von dem Schweigsamen in der Paulskirche gehalten winden und nach meinem Ermessen das Allerbeste sind, was je für die »großdeutsche« Richtung gesprochen worden. Nicht in Verstandesgründen, sondern in gemütlichen Sympathien liegt die Stärke dieser Partei, und wie mächtig wußte Uhland diese Saite in der Brust seiner Hörer anzuschlagen, als er am 26. Oktober 1848 tiefbewegt in schwungvollen Worten das Parlament ermahnte zu sorgen, »daß die blanke, unverstümmelte, hochwüchsige Germania aus der Grube steige!« Noch kräftiger wirkte seine Rede vom 22. Januar 1849. Die Kapuzinerspäße Beda Webers waren kaum verklungen, da hob Uhland die Debatte wieder auf die Höhe ihres Gegenstandes. Die alte Herrlichkeit des deutschen Wahlkaisertums führte er gegen die preußische Partei ins Feld: »es waren in langer Reihe Männer von Fleisch und Bein, kernhafte Gestalten mit leuchtenden Augen, thatkräftig im Guten und Schlimmen.« Als dann die berühmten Worte folgten, bei jeder Rede eines Österreichers in der Paulskirche sei ihm zu Mute gewesen, »als ob ich eine Stimme von den Tyroler Bergen vernähme oder das Adriatische Meer rauschen hörte,« da freilich war der nüchterne Verstand schnell bei der Hand, über die »Phrase« selbstgefällig zu lächeln. Wer aber den Worten in die Tiefe sah, erkannte ihren ernsten Sinn. Allerdings war es ein schrecklicher Widerspruch, in Wahrheit eine Unmöglichkeit, die in unserer Geschichte nicht wiederkehren darf, daß ein Parlament, worin Österreichs Abgeordnete stimmberechtigt tagten, über die Trennung Deutschlands von Österreich beraten konnte. Ein schönes Seherwort des Dichters beschloß die Rede, das allbekannte: »es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem reichlichen Tropfen demokratischen Oeles gesalbt ist.« Damit hatte er der deutschen Bewegung sein »in diesem Zeichen wirst du siegen« zugerufen, und uns, den Gegnern, vornehmlich geziemt es, das gute Wort in treuem Herzen zu tragen. Die Welt ist heute liberal, und nur im Bunde mit dieser unhemmbaren liberalen Bewegung des Jahrhunderts wird es uns gelingen, die Einheit Deutschlands zu gründen. Das bewährte sich damals schrecklich, als das Herrscherhaus der Hohenzollern den rückhaltlosen Bund mit dem Liberalismus verschmähte und dem Rufe der Nation sich schwach versagte. Furchtlos und treu, ein echter Schwabe, hielt Uhland auch jetzt noch aus bei seiner Partei,

So wie ein Fähndrich wund und blutig
Die Fahne rettet im Gefecht,

und sogar die Worte dieses Vaterländischen Gedichts aus seiner Jugend kehrten wieder in dem Manifeste vom 25. Mai, das er im Namen des Rumpfparlaments an die Nation richtete: »Wir gedenken, wenn auch in kleiner Zahl und großer Mühsal, die Vollmacht, die wir von dem Volke empfangen, die zerfetzte Fahne, treu gewahrt in die Hände des Reichstags niederzulegen, der am 15. August zusammentreten soll.«

Freilich, unklar, romantisch verschwommen wie der Wortlaut war auch der Gedankengehalt dieses Aufrufes. Dem Idealisten galt es nur, die Idee des Parlamentes zu retten: er folgte der Linken nach Stuttgart, »darum daß nicht das letzte Band der deutschen Volkseinheit reiße.« Unhaltbarer immer ward die Stellung des maßvollen Mannes unter der wüsten Leidenschaft des Rumpfparlaments. Schon wurde der Klang seiner Rede von dem zornigen Lärm des Pöbels übertäubt, als er vor der Einsetzung der Reichsregentschaft, vor dem Bürgerkriege warnte und den Verblendeten zurief: »Württemberg ist nicht beschaffen wie jetzt diese Versammlung; es stellt nicht wie diese nur Eine der Parteiungen dar, in welche das deutsche Volk zerklüftet ist.« Nur sehr wenige Gesinnungsgenossen zählte er noch in der Versammlung. Der Austritt aber aus einer unterliegenden Partei war seinem Stolze, seiner Treue unmöglich. So ist er geblieben bis zu dem jammervollen Ende des deutschen Parlaments, dem Straßenkampfe in Stuttgart.

Seine Briefe aus diesen Jahren verkünden männlichen Schmerz über den Zusammenbruch der Hoffnungen des Vaterlandes. Weniger tief mag er, der mit all seinem Sinnen in der schwäbischen Heimat wurzelte, das eine empfunden haben, was den meisten heimkehrenden Reichstagsmännern nach den großen Kämpfen des Parlaments überwältigend, demütigend auf die Seele fiel: die bettelhafte Armseligkeit der Kleinstaaterei. Seine demokratische Gesinnung blieb in alter Schroffheit aufrecht: sogar den Orden pour le mérite wollte er nicht annehmen, den einzigen noch unentweihten in Deutschland, den selbst der strenge Republikaner Arago getragen hatte. Die letzten Jahre sind ihm in der Stille wissenschaftlicher Arbeit vergangen. Daß er aber noch lebte in dem Herzen seines Volkes, davon haben ihm alljährlich tausend Zeichen der Teilnahme von fern und nah Kunde gebracht. Sie wurden dem schlichten Manne oft lästig, dem Schwab einst sagte: »du liebest nicht das laute Lieben.«

An dem Grabe des Dichters hat das gesamte Volk empfunden, was einst sein Walther dem süßen Liedermunde Reinmars von Hagenau in die Gruft nachrief:

Deine Seele möge wohl nun fahren,
Deine Zunge habe Dank

Und wie sein Lied nur mit unserer Sprache selber sterben wird, so wird auch fortleben in unserem Volke das Bild des Mannes Uhland, der, menschlich irrend, doch in hohen Ehren, manchen wuchtigen Stein hinzugetragen hat zu dem Neubau des deutschen Staates. Auch im Tode – er selber hat es uns verkündet – wollte er nicht lassen von seinem Volke:

Wohl werd' ich's nicht erleben,
Doch an der Sehnsucht Hand
Als Schatten noch durchschweben
Mein freies Vaterland.

Uns aber, die ihn betrauern, bleibt die schöne Pflicht, mit streitbarem Worte und fester Tat zu sorgen, daß die Sehnsucht des Dichters sich erfülle, daß er die Stätte bereitet finde, wenn er kommt – als Schatten zu durchschweben sein freies Vaterland.


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