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Am Abend wollte er arbeiten, aber er kam nicht dazu. Er hatte seine Gedanken nicht beisammen. Und da setzte er sich hin, und schrieb eine Anzahl Briefe an seine Freunde, um sie zu Rebhühnern einzuladen, die er von seinem Schwager alljährlich zu dieser Zeit erhielt. –
Nun hatte er ja seine Wette gewonnen. Aber das Glück war ausgeblieben.
Glück, wie wandelbar bist du, sagte er sich.
Nein, er wurde seines Sieges nicht froh, und hätte was darum gegeben, wenn es anders gekommen wäre.
Wie gern, und wie viel lieber hätte er diese Wette, auf die er sich nie einlassen durfte, verloren. Aber nun war es einmal geschehen, obgleich er wahrlich an jenem Abend an alles andere, nur nicht daran gedacht hatte, daß er um Frau Eveline Tismar eine Wette eingegangen war.
Um zehn Uhr hatte er am Vormittage eine Konferenz, aber dann hielt es ihn nicht, er brach die Besprechung ab; er konnte nicht folgen. Er mochte von seinen Geschäften nichts mehr wissen, und er ging von den Linden aus in den Tiergarten, und setzte sich, was er noch nie getan, auf eine Bank, strichelte mit dem Stocke im Sande und sah ein paar Kindern zu, die in seiner Nähe Ball spielten.
Und dann wanderte er weiter, und plötzlich fand er sich in ihrer Straße und sah schon das Haus, wo sie wohnte.
Sie war ja auf dem Lande, bei Hellesens. Also konnte er ruhig hier vorbeigehen. Er brauchte nicht zu besorgen, daß sie ihm in den Weg trat.
Aber wie er zu dem Hause aufblickte, und stehen blieb, noch vor dem Nebengrundstück, von einem Baum geborgen, daß ihn niemand erblicken konnte, kam sie ihm entgegen, mit dem raschen Jungmädchengange, den er so an ihr liebte. Und da wußte er, wie es um ihn stand, daß er sich einfach sinnlos, verzehrend nach ihr gesehnt hatte, und daß nun das Glück auf ihn zukam, – und er eilte auf sie zu, um ihr das alles zu sagen, um ...
Aber als er vor ihr stand, die erschreckt stehen geblieben war, schon dabei umzukehren, da sah er in ein ganz verzerrtes, blasses Gesicht.
Er wollte nach ihrer Hand fassen, aber dann trat er einen Schritt zurück, während sie stolz den Kopf hob.
Er suchte nach ihrer Hand, die sie ihm nicht geben wollte, und dann hob sie die Hand, und mit dem Handschuh, den sie im Begriff gewesen, anzuziehn, schlug sie ihm, ohne jede Energie, mit einer fast müden Bewegung ins Gesicht, mitten in das Gesicht.
Und während er im ersten Impulse sich wehren und nach ihr greifen wollte, aber dann wie erschrocken vor sich selbst einen Schritt zurücktrat, drehte sie ihm den Rücken zu, – und mit raschen Schritten, den Kopf hoch, aber mit Schultern, deren Zittern er deutlich wahrnahm, ging sie zurück in das Haus, aus dem sie gerade gekommen war.
Die Fingerspitzen des Handschuhs hatten nur eben seine Backe gestreift, aber er hatte das Gefühl, als habe ihm einer mit einem glühenden Eisen hart durch das Gesicht geschlagen. Wie erstarrt blieb er noch immer, und sah ihr nach, die längst in der Tür verschwunden war.
So also faßte sie das auf? ...
So wollte sie sich zu ihm stellen? – –
Er sah noch immer nach der Tür, hinter der sie verschwunden war; und einen Augenblick wollte er in das Haus eindringen, mußte sie fragen, weshalb sie ihm das eben angetan hatte, mit welchem Rechte?
Dann wandte er sich ab, strich sich mechanisch über die Wange und ging weiter, mit gesenktem Kopfe. Ganz wie ein geprügelter Hund, sagte er voller Ironie zu sich selber.
Er mußte lachen, wie er an die Briefe dachte, die er gestern abgesandt hatte. Denn nun hätte er sich das alles gern und gut sparen können, wenn sie so mit ihm umging.
In das Haus hier kam er nun nie wieder, und sie selber würde er ja wohl auch nicht wiedersehn.
Zu erklären brauchte er seinen Freunden auch wohl nichts weiter. Die würden es so verstehen, daß er sich von ihr fern hielt.
Also das war nun erledigt und begraben. Punkt dahinter.
Noch heute Abend! und dann: Schluß!
Die Episode Frau Eveline war zu Ende.
Eigentlich hatte er die letzten Tage gedacht, es könne viel mehr werden als nur eine Episode, viel, viel mehr. Schade! ...
Im letzten Augenblicke wich er noch einem Auto aus, das ihn sonst angefahren hätte, so unachtsam ging er über den Damm. Aber nun nahm er sich in acht und paßte wieder auf den Weg auf.
Nein! als Selbstmordkandidat wollte er doch nicht enden. Das hatte immerhin noch eine Weile Zeit. –
Und er sah interessiert zwei jungen Damen nach, deren Gang ihm aufgefallen war. Dann dachte er an die Martell. Mit der hatte er es auch vor kurzem absichtlich völlig verschüttet.
Nun saß er da, einsam und verlassen, und konnte sehen, wie er weiter durchs Leben kam.
Auch das würde sich schon wieder einrenken.
Es gab ja mehr Frauen als nur Frau Eveline, die heute die Ballade mit dem Handschuh gespielt hatte, wenn auch auf eine andere Art und nach sehr anderer Melodie.
*
Aber daheim ärgerte er sich doch sehr.
Das war ja noch schöner, daß man von einer Frau am hellichten Tag so auf der Straße ahnungslos überfallen wurde.
Und als Mann konnte er nichts dagegen tun, nichts, – es kam ja von einer Dame!
Die Geschichte hatte ihn doch völlig aus dem Gleichgewichte gebracht.
Er kam absolut nicht zum arbeiten. Immer sah er sie vor sich, wie sie den Handschuh abgestreift hatte, – oder trug sie ihn schon in der Hand, und ihn hob, um damit nach ihm zu schlagen.
Wenn er sie nun bei der Hand gepackt hätte, wie er das einen Augenblick wollte, und sie wären damit ins Ringen gekommen? – Es konnte doch auch geschehen sein. Eine Rauferei mit einer Dame auf offener Straße.
Ein liebliches Bild hätte das geben können. Wahrhaftig!
Und wenn er ihr nun zum ersten Mal irgendwie in Gesellschaft begegnet wäre? ... Hätte sie da ebenso gehandelt wie vorhin? ...
Offenbar hatte sie mehr Temperament, als er ihr zugetraut hatte.
Denn an jenem Abend hatte sie sich nur nehmen lassen, da hatte er von Temperament nicht viel gemerkt.
Aber sie konnte auch nicht sagen, daß sie ihm gegenüber willenlos gewesen war, oder daß er sie gar mit Gewalt genommen. Nein, sie hatte sich ihm ebenso im Rausche des Augenblicks gegeben, wie er sie genommen hatte. – Sie konnten sich einander darin gegenseitig nichts vorwerfen. Sie aber tat es ihm gegenüber.
Sie tat ihm entschieden unrecht, wenn sie deshalb die Hand gegen ihn erhoben hatte.
Wenige Augenblicke zuvor an jenem Abend im Garten hatte er sich die Möglichkeit, daß sie je die Seine würde, nicht vorstellen können. Nur ganz vage hatte er die Hoffnung gehabt, daß es einmal geschehen könnte und sie ihm später einmal gehörte.
Daß sich sein Wunsch so rasch erfüllen würde, hatte er nicht erhofft. – –
Er saß an seinem Arbeitstische und kam zu nichts.
Manchmal mußte er Fragen beantworten oder Bestimmungen treffen. Er tat das alles rein mechanisch, ohne sich recht klar zu werden, ob er auch das Richtige sagte. Ihm war, als höre er einen fremden Menschen sprechen, – als sei er das gar nicht, der da mit den Leuten verhandelte.
Er hatte für all diese Dinge so gar kein Interesse, und fragte sich, wozu das denn alles noch dienen sollte.
Es gab ja so viel Wichtigeres, wie zum Beispiel: Weshalb Eveline Tismar die Hand gegen ihn, den Dr. Kurt Laue erhoben hatte? wo er sie doch so gern hatte, und er ihr wahrlich nichts Böses antun wollte. Und er hatte gemeint, auch sie habe ihn gern.
Sie hatte ihn jetzt für immer aus ihrer Nähe verjagt.
Weshalb mußte sie aber auch gerade in dem Augenblicke aus dem Hause kommen? während er doch meinte, sie sei weit fort, bei den Hellesens auf dem Gute, und er könne ganz ohne Sorge an ihrem Hause vorbeigehn.
Ein zu dummer Zufall war das gewesen. –
Er ging unruhig auf und ab, nahm ein Buch auf, versuchte zu lesen, und legte es wieder hin, und war froh, als seine Wirtschafterin kam, und er sich mit ihr besprechen und Anordnungen für den Abend treffen mußte, die ihn für eine Weile von seinen Gedanken ablenkten.
Aber kaum war er allein, als er auch schon wieder in seine Grübeleien verfiel: Wie sie nur dazu gekommen sein mochte, die Hand gegen ihn aufzuheben.
Das begriff er nicht.
Und er hatte in dem Augenblicke, als er sie gesehen, gefühlt, wie all sein Blut ihm zum Herzen strömte, und mit lachenden Augen war er vor sie hingetreten, und wollte ihr sagen ...
Was hatte er ihr denn sagen wollen?
Daß er seit jenem Abend keinen anderen Gedanken mehr hatte, als sie und immer wieder nur sie. – Weshalb sie sich nur so versteckt hatte? Wie er sie gesucht hatte, wie er da draußen bei ihr gewesen war, und sie nicht angetroffen, und es nur nicht gewagt ihr zu schreiben, um ihr zu sagen, was er empfand. Wenn sie ihm doch nur nicht seine Karte so hartherzig zurückgeschickt hätte, die er seinen Blumen beigelegt, die ihr sagen sollten, was alles er für sie fühlte.
Sie tat ihm unrecht, wenn sie böse von ihm dachte. Aber sie hatte es gar nicht dazu kommen lassen, daß er ihr eine Erklärung gab; denn nicht einen einzigen armseligen Laut hatte er über die Lippen bringen können, als sie ihm schon so begegnete, daß er nun ganz verstummte und kein Wort mehr fand.
Nun freilich gab es keine Rückkehr mehr zu ihr, – nun hatte sie jede Möglichkeit ertötet. – Alles war aus!
Aber vielleicht kam einmal die Zeit, wo sie einsah, daß sie ihm unrecht getan hatte, – wo sie erkannte, daß sie ihn ganz falsch eingeschätzt. Aber was würde es ihm da noch helfen?
Sie hatte ja alle Wege verschüttet, die von einem zum anderen führten, alle Wege; denn es hatte viele gegeben, viele Wege von einem zum anderen.
Das war nun alles aus. –