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XV

Seine Lippen bewegend, ging Dutloff seinem Hause zu. Anfangs war es ihm unheimlich; je näher er aber dem Dorfe kam, um so mehr schwand dies Gefühl, und das Gefühl der Freude erfüllte mehr und mehr seine Seele. Im Dorfe hörte man Singen und betrunkene Stimmen. Dutloff trank niemals und ging auch jetzt geradeswegs nach Hause. Es war schon spät, als er die Hütte betrat. Seine Alte schlief schon. Der älteste Sohn und der Enkel schliefen auf dem Ofen, der zweite Sohn in der Kammer. Nur das Weib des Iljuschka schlief nicht und saß in schmutzigem, werktägigem Hemde, ohne Kopfputz, auf der Bank und heulte. Sie war nicht herausgekommen, dem Onkel zu öffnen, sie begann vielmehr noch lauter zu heulen und vor sich hinzusprechen, als er in die Hütte trat. Nach Ansicht der Alten klagte sie sehr gut und schön, ungeachtet dessen, daß sie wegen ihrer Jugend noch gar keine Übung haben konnte.

Die Alte stand auf und machte sich daran, dem Gatten Abendessen zu geben. Dutloff jagte das Weib des Iljuschka vom Tisch fort. »Genug, genug!« sprach er. Aksinja stand auf, legte sich auf die Bank und hörte nicht auf zu heulen. Die Alte deckte schweigend den Tisch und nahm dann ab. Der Alte sprach gleichfalls kein einziges Wort. Nachdem er zu Gott gebetet hatte, stieß er auf, wusch seine Hände, nahm das Rechenbrett vom Nagel und ging in die Kammer. Dort flüsterte er erst mit seiner Alten, dann ging die hinaus, er aber begann mit den Kugeln des Rechenbretts zu klappern; endlich schlug er den Deckel der Truhe zu und kroch in den Keller. Lange machte er sich zu schaffen in der Kammer und im Keller. Als er wieder eintrat, war es in der Hütte bereits dunkel, der Leuchtspan brannte nicht. Die Alte, die tagsüber gewöhnlich still und unhörbar war, hatte sich schon auf dem Schlafgerüst niedergelegt und schnarchte, daß es durch die ganze Hütte klang. Das vordem so wenig stille Weib des Iljuschka schlief gleichfalls und atmete unhörbar. Sie schlief auf der Bank, unausgekleidet, wie sie war, und ohne etwas unter den Kopf gelegt zu haben. Dutloff begann zu beten, blickte dann auf Iljuschkas Weib, schüttelte den Kopf, löschte den Leuchtspan aus, stieß noch einmal auf, kroch auf den Ofen und legte sich neben seinen Enkelknaben. Im Finstern zog er die Bastschuhe aus, warf sie hinunter und legte sich auf den Rücken, wobei er auf den Dachbalken über dem Ofen schaute, der kaum zu sehen war über seinem Haupte, und lauschte den Tarakanen, die an der Wand summten, dem Seufzen, Schnarchen, Fuß an Fuß Reiben und den Lauten des Viehs auf dem Hofe ... Lange konnte er nicht einschlafen; der Mond ging auf, es ward heller in der Hütte; er konnte in der Ecke Aksinja erkennen und etwas, was er nicht herausbekommen konnte: hatte sein Sohn seinen Rock vergessen oder die Weiber ein Faß aufgestellt, oder steht da irgendwer. War er eingeschlafen oder nicht, aber er begann nur wiederum hinzuschauen ... es war zu ersehen, jener finstere Geist, der den Iljitsch zu seiner furchtbaren Tat verleitet hatte, und dessen Nähe die Hofleibeigenen in dieser Nacht empfanden, dieser Geist reichte mit seinem Flügel auch bis zum Dorfe, bis zur Hütte Dutloffs, wo jenes Geld lag, das »er« benutzt hatte, um Iljitsch ins Verderben zu stürzen. Wenigstens fühlte Dutloff »ihn« dort, und Dutloff war es ganz sonderbar zumute. Weder zum Schlafen noch aufzustehen. Als er irgend etwas erblickt hatte, was er nicht zu bestimmen vermochte, erinnerte er sich an den Iljuschka mit gebundenen Händen, erinnerte er sich an das Gesicht der Aksinja und ihr klangvolles Klagen, erinnerte er sich an den Iljitsch mit seinen herumschwankenden Händen. Plötzlich schien es dem Alten, als ob etwas am Fenster vorübergegangen sei. »Was ist das, oder geht schon der Dorfälteste, etwas anzukündigen?« dachte er. »Wie hat er denn da geöffnet?« dachte der Greis, als er Schritte im Vorraum vernahm, »oder hat die Alte nicht zugeriegelt, als sie in den Vorraum ging?« Der Hund bellte im Hinterhof, »er« aber ging durch den Vorraum, wie später der Greis zu erzählen pflegte, als ob er die Türe suche, »er« ging vorüber, »er« begann wiederum an der Wand zu tasten, »er« stieß an das Wasserfaß, und es knarrte. Und wiederum begann er zu tasten, gerade so, als ob »er« den Handgriff suche. Da hat »er« ihn erfaßt. Dem Greis lief ein Schauer über den Rücken. Jetzt hat »er« am Riegel gezogen und ist in menschlicher Gestalt eingetreten. Dutloff wußte schon, daß »er« das war. Er wollte ein Kreuz schlagen, konnte das aber nicht. »Er« ging zum Tisch hin, auf dem ein Tischtuch lag, zog es herab, warf es auf den Boden und kroch auf den Ofen. Der Greis wußte, daß das »er« war, in der Gestalt des Iljitsch. »Er« fletschte die Zähne, die Hände hingen herab. »Er« kroch auf den Ofen, stürzte sich geradeswegs auf den Greis und begann ihn zu würgen.

»Mein Geld!« murmelte Iljitsch.

»Laß ab, ich werde nicht,« wollte Simon sagen und konnte es nicht.

Iljitsch würgte ihn mit der ganzen Schwere eines steinernen Berges, wobei er ihm noch die Brust preßte. Dutloff wußte, daß, wenn er ein Gebet hersagen werde, »er« ihn loslassen werde, und er wußte, was für ein Gebet er sprechen mußte; dies Gebet sprach sich aber nicht aus. Einer seiner Enkel schlief neben ihm. Der Knabe schrie durchdringend auf und begann zu weinen: der Großvater hatte ihn an die Wand gedrückt. Der Schrei des Knaben befreite die Lippen des Greises. »Möge Gott auferstehen!« murmelte Dutloff. »Er« ließ ein wenig nach. – »Und seine Feinde zerstreuen sich ...« lispelte Dutloff. »Er« stieg vom Ofen herab. Dutloff hörte, wie er mit beiden Füßen auf den Boden aufstieß. Dutloff sagte alle Gebete her, die er kannte, er sprach sie alle hintereinander. »Er« ging zur Türe, ohne den Tisch zu berühren, und schlug derart die Türe zu, daß die Hütte erzitterte. Alle schliefen indes, außer dem Großvater und dem Enkel. Der Großvater sprach Gebete und zitterte am ganzen Körper; der Enkel aber weinte im Einschlafen und schmiegte sich an den Großvater. Alles verstummte wiederum. Der Großvater lag ohne sich zu rühren. Der Hahn krähte hinter der Wand unter dem Ohr Dutloffs. Er hörte, wie die Hühner sich rührten, wie ein junges Hähnchen versuchte, dem alten Hahn nachzukrähen, und es nicht fertig brachte. Irgend etwas bewegte sich zu den Füßen des Alten: das war die Katze; sie war auf ihre weichen Pfoten vom Ofen auf den Boden gesprungen und begann zu miauen. Der Großvater stand auf und hob das Fenster auf; auf der Straße war es dunkel und schmutzig; ein Vorderwagen stand gerade dort unter dem Fenster. Er schritt barfuß, sich bekreuzigend, auf den Hof zu den Pferden: auch dort war es zu ersehen, daß der »Hausherr« kam. Eine Stute, die unter dem Schirmdach bei der Krippe stand, hatte sich mit dem Fuß in dem Zügel verwickelt, hatte Spreu verschüttet, und ein Bein erhoben, den Kopf umdrehend, erwartete sie den Hausherrn. Ein Füllen war in den Mist gefallen und konnte sich nicht erheben. Der Großvater stellte es auf seine Beine, machte die Stute frei, legte ihr Futter vor und trat in die Hütte. Die Alte erhob sich und zündete den Leuchtspan an. »Wecke die Burschen,« sprach er; »ich werde in die Stadt fahren,« und nachdem er eine Wachskerze von den Heiligenbildern genommen und sie angezündet hatte, kroch er mit ihr in den Keller. Schon nicht bei Dutloffs allein, vielmehr bei allen Nachbarn brannte Licht, als er von dort hervorkam. Die Kinder standen auf und machten sich fertig. Die Weiber kamen und gingen mit Eimern und Holzschöpfern voll Milch. Ignatz spannte den Wagen an. Der zweite Sohn schmierte einen zweiten ein. Die junge Frau heulte nicht mehr, sie hatte sich vielmehr herausgeputzt, mit einem Tuch umbunden, und saß nun in der Hütte auf der Bank, indem sie die Zeit erwartete, in die Stadt zu fahren, um sich von ihrem Gatten zu verabschieden.

Der Alte schien besonders streng. Niemandem sagte er ein einziges Wort; er zog seinen neuen Kaftan an, gürtete sich und ging, alles Geld des Iljitsch an seiner Brust tragend, zu Jegor Michailowitsch.

»Du, trödle auch noch!« rief er dem Ignatz zu, der die Räder drehte auf einer aufgehobenen und eingeschmierten Achse. – »Gleich werde ich kommen. Daß dann alles fertig ist!«

Der Verwalter, der eben erst aufgestanden war, trank Tee und bereitete sich selber vor, in die Stadt zu fahren, um die Rekruten zu stellen.

»Was willst du?« fragte er.

»Ich, Jegor Michailowitsch, will den Burschen loskaufen. Erweisen Sie mir schon die Gnade. Sie sagten unlängst, Sie wüßten in der Stadt einen, der bereit sei. Unterweisen Sie mich: unsere Sache ist eine dunkle ...«

»Wie denn, hast du es dir überlegt?«

»Ich habe es mir überlegt, Jegor Michailowitsch; es tut mir leid, es ist der Sohn meines Bruders. Was für einer er auch ist, gleichwohl ist es mir leid. Sünde kommt viel von ihm, von diesem Geld. Übe schon Gnade, unterweise mich,« sprach er, indem er sich bis zum Gürtel verneigte.

Wie immer in solchen Fällen, schmatzte Jegor Michailowitsch tiefsinnig und schweigend mit den Lippen, und nachdem er die Sache überdacht hatte, schrieb er zwei Zettel und gab an, was man in der Stadt zu tun habe, und wie man es anfangen müsse.

Als Dutloff nach Hause zurückkehrte, war die junge Frau schon mit Ignatz weggefahren, und eine graue, dickbauchige Stute stand völlig angespannt unter dem Tore. Er brach eine Gerte vom Zaune, schlug seinen Rock zusammen, setzte sich in den Wagenkasten und trieb das Pferd an. Dutloff trieb die Stute so rasch an, daß bei ihr auf einmal der ganze Bauch schwand, und Dutloff schaute gar nicht auf sie hin, um nicht vor Mitleid schwach zu werden. Ihn quälte der eine Gedanke, er könne irgendwie zu spät zur Musterung kommen, Iljuschka werde zu den Soldaten kommen und das Teufelsgeld ihm in Händen bleiben.

Ich werde nicht ausführlich alle Gänge des Dutloff an diesem Morgen beschreiben; ich werde nur sagen, daß ihm alles ganz besonders glückte. Bei dem Hauswirt, an den ihm Jegor Michailowitsch einen Zettel gegeben hatte, war ein durchaus bereiter Freiwilliger, der schon dreiundzwanzig Rubel verlebt hatte und schon für gut befunden worden war bei der Behörde. Der Wirt wollte vierhundert Rubel für ihn haben, ein Aufkäufer aber, ein Kleinbürger, der schon die dritte Woche zu ihm kam, bat immer noch, ihn für dreihundert abzulassen. Dutloff beendete die Sache mit zwei Worten: »Wirst du Dreihundert mit einem Viertel nehmen?« sprach er, indem er die Hand hinstreckte, aber mit solchem Ausdruck, daß sogleich zu ersehen war, er sei bereit, noch zuzulegen. Der Wirt stieß die Hand zurück und fuhr fort, vierhundert zu verlangen. »Wirst du nicht drei mit einem Viertel nehmen?« wiederholte Dutloff, indem er mit der linken Hand die rechte Hand des Wirtes faßte und Miene machte, mit seiner Rechten in sie einzuschlagen. – »Wirst du nicht nehmen? Nun, Gott mit dir!« sprach er plötzlich, indem er in die Hand des Wirtes schlug und sich mit einem Schwung mit dem ganzen Körper von ihm wegwandte: »Es ist zu sehen, so soll es auch sein! Nimm mit einem halben Hundert! Mach' die Quittung zurecht. Bring' den Burschen her. Jetzt aber hier das Handgeld. Zwei Rote Zehnrubelscheine. wird wohl genug sein, wie?«

Und Dutloff entgürtete sich und holte das Geld hervor.

Wenn auch der Wirt seine Hand nicht wegzog, so schien es gleichwohl, als ob er noch nicht völlig einverstanden sei, und ohne das Handgeld anzunehmen, erhandelte er noch ein Trinkgeld und eine Bewirtung für den Freiwilligen.

»Sündige nicht,« wiederholte Dutloff, indem er ihm das Geld zuschob; »wir alle werden sterben,« wiederholte er in einem so sanften, lehrhaften und überzeugten Tone, daß der Wirt sagte:

»Da ist nichts zu machen;« er schlug ihm nochmals auf die Hand und begann, zu Gott zu beten. – »Gib Gott gute Stunde,« fügte er hinzu.

Man weckte den Freiwilligen, der noch vom gestrigen Trinkgelage schlief, sah ihn sich aus irgendeinem Grunde an, und dann gingen alle zur Behörde. Der Freiwillige war lustig, verlangte Rum, um sich nach dem Rausch zu stärken, wozu ihm Dutloff Geld gab, und ward erst in dem Augenblick kleinlaut, als sie den Vorraum des Amtsgebäudes betraten. Lange standen dort der alte Wirt in blauem Kaftan und der Freiwillige in kurzem Schafpelz mit aufgezogenen Brauen und weitaufgerissenen Augen; lange flüsterten sie dort miteinander, fragten sich irgendwohin durch, suchten irgendwen, nahmen aus irgendeinem Grunde vor jedem Schreiber die Mützen ab, verbeugten sich und hörten aufmerksam die Entscheidung an, die ein dem Wirte bekannter Schreiber ihnen mitteilte. Schon war jede Hoffnung aufgegeben, die Angelegenheit heute zum Abschluß zu bringen, und der Freiwillige begann wiederum lustiger und ungezwungener zu werden, als Dutloff den Jegor Michailowitsch erblickte, sich sogleich an ihn festkrallte und ihn zu bitten und sich vor ihm zu verneigen begann. Jegor Michailowitsch half so gut, daß man bereits in der dritten Stunde den Freiwilligen zu seiner großen Unzufriedenheit und seinem großen Staunen vor die Aushebungskommission führte, ihn dort aufstellte und aus irgendwelchem Grunde unter allgemeiner Heiterkeit, vom Wächter an bis zum Präsidenten, auszog, rasierte, einkleidete und hinausführte. Fünf Minuten später zahlte Dutloff das Geld aus, erhielt eine Quittung, verabschiedete sich vom Wirte und dem Freiwilligen und ging ins Quartier zum Kaufmann, wo die Rekruten aus Pokrowskoje sich aufhielten. Ilja und sein junges Weib saßen in der Ecke der Küche, und als der Greis eintrat, hörten sie auf zu sprechen und schauten ihn an mit ergebenem und nicht eben wohlwollendem Blick. Wie immer betete der Greis zu Gott, entgürtete sich, holte irgendein Papier heraus und rief seinen ältesten Sohn Ignatz herein und auch die Mutter des Iljuschka, die im Hofe war.

»Du, sündige nicht, Iljuschka,« sprach er, indem er zu dem Neffen herantrat. »Gestern hast du mir ein solches Wort gesagt ... Habe ich denn kein Mitleid mit dir? Ich erinnere mich wohl, wie dich mein Bruder mir anbefahl. Wenn es in meiner Kraft gewesen wäre, hätte ich dich dann abgegeben? Gott gab Glück, es war mir leid. Da ist es denn, das Papier,« sprach er, indem er die Quittung auf den Tisch legte und sie sorgfältig glättete mit seinen krummen Fingern, die sich gar nicht mehr gerade biegen konnten.

In die Küche traten vom Hofe her alle Pokrowskischen Bauern, die Knechte des Kaufmanns und sogar fremdes Volk. Alle errieten, um was es sich handelte, aber niemand unterbrach die feierliche Rede des Alten.

»Da ist es, das Papierchen! Vierhundert Rubel gab ich! Stichle den Onkel nicht!«

Iljuschka erhob sich, er schwieg aber, da er nicht wußte, was er sagen solle. Seine Lippen zitterten vor Erregung; seine alte Mutter wollte schluchzend vor ihn hintreten und wollte sich ihm an den Hals werfen; der Greis führte sie aber langsam und gebieterisch mit der Hand zurück und fuhr fort zu sprechen:

»Du hast mir gestern ein Wort gesagt,« wiederholte noch einmal der Greis. – »Du hast mir mit diesem Worte wie mit einem Messer ins Herz gestoßen. Dein Vater hat dich mir sterbend anbefohlen. Du bist mir wie ein leiblicher Sohn gewesen, und wenn ich dich irgendwie beleidigte, so leben wir ja alle in Sünde. Ist es nicht so, Rechtgläubige?« wandte er sich an die ringsumher stehenden Bauern. – »Siehst du, da ist auch deine leibliche Mutter und die junge Hausfrau, da habt ihr die Quittung. Gott mit ihm, dem Gelde! Mir aber verzeiht, um Christi willen!«

Und nachdem er die Schöße seines Rockes auseinandergenommen hatte, ließ er sich langsam aus die Knie nieder und verneigte sich bis zur Erde vor dem Iljuschka und seiner Hausfrau. Vergeblich wollten ihn die jungen Leute zurückhalten; nicht eher, als bis er mit dem Kopfe den Boden berührt hatte, stand er auf, machte sich zurecht und setzte sich auf die Bank. Iljuschkas Mutter und seine junge Frau heulten vor Freude, in der Menge wurden Stimmen der Zustimmung laut. »Nach Gerechtigkeit, nach Gottes Gebote, so ist das getan,« sprach einer. »Was ist Geld? Für Geld kaufst du den Burschen nicht!« sprach ein anderer. »Was für eine Freude,« sprach ein dritter. – »Ein gerechter Mensch, das eine Wort.« Nur die Bauern, die zu Rekruten bestimmt waren, sprachen nichts und gingen leise hinaus.

Zwei Stunden später fuhren die beiden Wagen der Dutloffs aus der Vorstadt hinaus. In dem ersten, vor den die graue Stute gespannt war, mit eingefallenem Bauche und schweißbedecktem Hals, saßen der Alte und Ignatz. Im hinteren Teile des Wagens wurden Pakete, ein Kesselchen und Kringel hin und her gerüttelt. Im zweiten Wagen, den niemand lenkte, saßen ehrsam und glücklich die junge Frau und die Schwiegermutter in ihren Kopftüchern. Die junge Frau hielt unter dem Brustlatz ein Schnapsfläschchen. Iljuschka, hin und her geschüttelt, einen Kringel essend und unaufhörlich schwatzend, saß zusammengekrümmt mit dem Rücken zum Pferde im vorderen Teile des Wagens. Die Stimmen, das Rasseln der Wagen auf dem Pflaster und das Schnaufen der Pferde, alles floß in einem einzigen Klang der Freude zusammen. Die Pferde, mit ihren Schwänzen wedelnd, schlugen immer rascheren Trab an, da sie die Richtung nach Hause fühlten. Die Vorbeigehenden und Vorbeifahrenden schauten sich unwillkürlich nach der fröhlichen Familie um.

Unmittelbar am Ausgang aus der Stadt begannen die Dutloffs eine Partie Rekruten zu überholen. Eine Gruppe von ihnen stand im Kreise herum bei einer Schnapsbude. Ein Rekrut, mit jenem unnatürlichen Ausdruck, den eine rasierte Stirn dem Menschen gibt, hatte die graue Mütze in den Nacken gestoßen und schlug flink in die Saiten der Balalaika; ein anderer, ohne Hut, in einer Hand die Schnapsflasche, tanzte inmitten des Kreises. Ignatz hielt das Pferd an und sprang hinunter, um die Stränge zu spannen. Alle Dutloffs begannen mit Neugier, Beifall und Lustigkeit auf den Tänzer zu schauen. Der Rekrut schien niemanden zu sehen, er fühlte aber, daß das ihn bewundernde Publikum sich immer vermehrte, und das gab ihm Kraft und Geschicklichkeit. Der Rekrut tanzte gewandt. Seine Brauen waren verzogen, sein frisches Gesicht war unbeweglich, sein Mund verharrte bei einem Lächeln, das längst schon allen Ausdruck verloren hatte. Es schien, alle Kräfte seiner Seele waren darauf gerichtet, möglichst rasch einen Fuß hinter den anderen zu stellen, bald auf den Absatz, bald auf die Fußspitze. Bisweilen blieb er plötzlich stehen, zwinkerte dem Balalaikaspieler zu, und der begann dann noch flinker mit allen Saiten zu klirren und sogar auf die Decke des Instruments mit den Knöcheln der Finger zu schlagen. Der Rekrut hielt inne; während er aber auch still stand, tanzte er immer noch, so schien es. Plötzlich begann er sich langsam zu bewegen, mit den Schultern zu zucken, und auf einmal hob er sich drehend empor, ließ sich dann mit einem Schwung in hockende Stellung nieder und begann mit wildem Schrei die Beine vor sich hin zu schleudern. Die Knaben lachten, die Weiber nickten im Takt mit dem Kopfe, die Männer lächelten beifällig. Ein alter Unteroffizier stand ruhig neben dem Tanzenden mit einer Miene, die sagte: »Euch ist dies ein Wunderding, uns aber ist das alles schon genau bekannt!« Der Balalaikaspieler war sichtlich ermüdet, er blickte sich faul um, und nachdem er irgendeinen falschen Akkord gegriffen hatte, schlug er plötzlich mit den Fingern auf die Decke des Instrumentes, und der Tanz war zu Ende.

»Ei, Alecha!« sprach der Balalaikaspieler darauf zum Tanzenden, indem er auf den Dutloff hinwies, »da ist er, dein Pate!«

»Wo? Du, mein lieber Freund!« schrie Alecha, jener selbige Rekrut, den Dutloff gekauft hatte, und indem er mit seinen müden Beinen nach vorne fiel und die Schnapsflasche über den Kopf hob, näherte er sich dem Wagen. »Mischka, ein Glas!« schrie er. – »Mein Wirt! Mein lieber Freund! Das ist mal eine Freude, in Wahrheit!« schrie er, indem er mit seinem betrunkenen Kopf in den Wagen fiel, und er begann die Bauern und Bauernweiber mit Schnaps zu bewirten. Die Bauern tranken, die Weiber schlugen es ab. – »Ihr, meine leiblichen Verwandten, womit soll ich euch beschenken? rief Alecha aus, die Alte umarmend.

Eine Händlerin mit Eßwaren stand in der Menge. Alecha erschaute sie, nahm ihr das Tragbrett ab und schüttelte es ganz in den Wagen.

»Nur keine Furcht, ich zahle es, Teufel,« brüllte er mit weinerlicher Stimme, zog sogleich auch aus der Hose einen Beutel mit Geld und warf ihn dem Mischka zu.

Er stand da, auf den Wagen gestützt, und sah mit feuchten Augen auf die Darinsitzenden.

»Welche ist denn das Mütterchen?« fragte er. – »Wohl die? Auch ihr will ich ein Geschenk machen!«

Er dachte einen Augenblick nach, griff in die Tasche, holte ein neues, zusammengelegtes Taschentuch heraus, ein Handtuch, mit dem er unter dem Mantel gegürtet war, nahm dann rasch vom Hals ein rotes Tuch, drückte alles zusammen und steckte es der Alten in den Schoß.

»Für dich opfere ich es,« sprach er mit leiser Stimme, die leiser und leiser ward.

»Wozu denn? Danke, Lieber! Siehst du, einfach ist der Bursche,« sprach die Alte, indem sie sich an den alten Dutloff wandte, der zu ihrem Wagen herangekommen war.

Alecha war völlig verstummt und wie eine Eule geworden; als wolle er einschlafen, ließ er immer tiefer und tiefer den Kopf sinken.

»Für euch gehe ich, für euch gehe ich zugrunde!« sprach er. »Dafür beschenke ich euch auch.«

»Ich denke, auch er hat ein Mütterchen,« sprach jemand aus dem Haufen. – »Was für ein einfacher Bursche! Erstaunlich!«

Alecha erhob seinen Kopf.

»Ein Mütterchen habe ich,« sprach er. – »Ein leibliches Väterchen habe ich. Alle haben sich von mir losgesagt. Höre du, Alte,« fügte er hinzu, indem er Iljuschkas Mutter am Arm faßte; »ich habe dich beschenkt. Höre mich an, um Christi willen. Geh' du ins Dorf Wodnoje, erfrage dort die Greisin Nikonoff, sie selber ist mein leibliches Mütterchen, verstehst du es, und sage du dieser selben Alten, der Greisin Nikonoff, vom Dorfrande die dritte Hütte, ein neuer Brunnen steht da ... sage du ihr, daß Alecha, dein Sohn ... das heißt ... Musikant, leg' los!« schrie er.

Und wiederum begann er zu tanzen und schmetterte die Flasche mit dem Schnapsrest zur Erde.

Ignatz bestieg den Wagen und wollte losfahren.

»Leb' wohl, gebe dir Gott!« sprach die Alte, ihren Pelz zuschlagend.

»Fahrt ihr zum Teufel!« schrie er mit geballten Fäuste«. – »Möge deiner Mutter ...!«

»Ach, mein Gott!« murmelte sich bekreuzigend Iljuschkas Mutter.

Ignatz trieb die Stute an, und die Wagen rasselten wiederum davon. Der Rekrut Aleksei stand inmitten des Weges, und die Fäuste geballt, schimpfte er mit dem Ausdruck der Raserei im Gesicht die Bauern, was das Zeug hielt.

»Weshalb blieben sie stehen! Vorwärts, Teufel, Menschenfresser!« schrie er. – »Du wirst meiner Hand nicht entrinnen! Ihr Teufel! Ihr Bauernlümmel!«

Bei diesen Worten brach seine Stimme, und wie er stand, schlug er mit aller Kraft auf den Boden hin.

Bald waren Dutloffs aufs freie Feld gekommen, und als sie sich umschauten, sahen sie die Rekruten schon nicht mehr. Nachdem sie fünf Werst im Schritt gefahren waren, stieg Ignatz aus dem Wagen des Vaters, in dem der Alte eingeschlafen war, und ging neben dem des Iljuschka her.

Zu zweit tranken sie das Fläschchen aus, das sie aus der Stadt mitgenommen hatten. Ein wenig später stimmte Ilja ein Lied an, die Frauen stimmten ein; Ignatz schrie lustig auf das Pferd im Takt mit dem Lied. Eilig kam ihnen eine lustige Postkutsche entgegengefahren. Der Fuhrmann schrie munter auf die Pferde, als sie die beiden lustigen Wagen erreicht hatten; der Postillon schaute sich um und wies mit den Augen zwinkernd auf die roten Gesichter der Bauern und Bauernweiber, die sich mit lustigem Liede im Wagen schütteln ließen.


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