Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am anderen Tag, früh am Morgen, stand vor der Eingangstreppe des Hofflügels ein zur Fahrt bereites Wägelchen, in dem auch der Verwalter zu fahren pflegte, mit einem breitknochigen, braunen Wallach davor, der aus irgendeinem Grunde »Baraban« (Trommel) hieß. Anjutka, die älteste Tochter des Polikei, stand trotz des mit Schnee gemischten Regens und des kalten Windes barfuß vor dem Kopfe des Wallachs, so weit als möglich entfernt, in sichtlicher Angst, indem sie ihn mit einer Hand am Zügel hielt und mit der anderen auf ihrem Kopfe die gelbbraune Jacke festhielt, die in der Familie die Rolle einer Bettdecke, eines Pelzes, eines Häubchens, eines Teppichs, eines Mantels für den Polikei und noch viele andere Rollen erfüllte. Im »Winkel« ging es drüber und drunter. Es war noch dunkel; kaum merklich drang das Morgenlicht des Regentages durch das Fenster, das an einzelnen Stellen mit Papier verklebt war. Akulina hatte für einige Zeit das Kochen auf dem Ofen und die Kinder vergessen, von denen die Kleinen noch nicht aufgestanden waren und froren, da ihre Decke zum Anziehen genommen und ihnen statt ihrer das Kopftuch der Mutter gegeben worden war. Akulina war damit beschäftigt, ihren Gatten für den Weg zurechtzumachen. Er hatte ein reines Hemd angezogen. Seine Stiefel, die, wie man sagt, »um Grütze baten«, bereiteten ihr besondere Sorge. Erstens einmal hatte sie sich die dicken, wollenen, einzigen Strümpfe ausgezogen und sie dem Gatten gegeben; zweitens aber hatte sie aus einer Schweißdecke, die im Stall »schlecht gelegen« und die Iljitsch vor zwei Tagen nach Hause mitgebracht hatte, mit großer List Filzsohlen gemacht, welche die Löcher ausfüllten und die Füße des Iljitsch vor Feuchtigkeit schützten. Ilja selber, mit den Füßen auf dem Bett sitzend, war damit beschäftigt, seinen Gürtel so zu drehen, daß er nicht das Aussehen eines schmutzigen Strickes habe. Das lispelnde, zornige kleine Mädchen war im Pelz, der ihm über den Kopf angezogen war, aber es gleichwohl am Gehen hinderte, zu Nikita geschickt worden, um einen Hut auszubitten. Den Tumult vermehrten noch die Hofleibeigenen, die gekommen waren, den Iljitsch zu bitten, für sie in der Stadt einzukaufen – diesem Nadeln, jenem ein Teechen, dem Baumöl, jenem Tabak, und Zucker der Tischlersfrau, die es schon fertiggebracht hatte, den Samowar aufzustellen und, um Iljitsch gütig zu stimmen, ihm in einem Krügelchen ein Getränk gebracht hatte, das sie Tee nannte. Wenn auch Nikita seinen Hut nicht hergab und es nötig war, den eigenen in Ordnung zu bringen, das heißt, die aus ihm herausgetretene und heraushängende Watte wieder hineinzustecken und mit der Tierarztnadel das Loch zuzunähen, wenn auch die Stiefel mit den Filzsohlen aus der Schweißdecke anfangs nicht auf die Füße gingen, wenn auch Anjutka durchfror und den Baraban fast losgelassen hätte, und Maschka im Pelz an ihre Stelle trat, und schließlich Maschka den Pelz ausziehen mußte, und Akulina selber den Baraban zu halten ging – endete das alles damit, daß Iljitsch gleichwohl alle Kleiderstücke seiner Familie anzog und nur die Jacke und die Pantoffeln zurückließ, sich zurechtmachte und auf den Wagen setzte, seinen Rock zusammenschlug, das Heu zurechtrückte, noch einmal den Rock zusammenschlug, die Zügel ordnete, noch einmal fester seinen Rock zusammenschlug, wie das sehr würdige Leute machen, und losfuhr.
Sein Bübchen Mischka war zur Eingangstreppe herausgelaufen und bat, man möchte ihn spazierenfahren lassen. Die lispelnde Maschka begann gleichfalls zu bitten, man möchte sie spazierenfahren, und es sei ihr auch ohne Pelz warm; Polikei hielt den Baraban an und lächelte mit seinem schwachen Lächeln; Akulina setzte die Kinder zu ihm, beugte sich zu ihm hin und flüsterte ihm zu, er solle sich an den Eid erinnern und unterwegs gar nichts trinken. Polikei fuhr die Kinder bis zur Schmiede, ließ sie aussteigen, deckte sich wieder warm zu, rückte wiederum seine Mütze zurecht und fuhr allein in einem kleinen, gemessenen Trab, wobei ihm beim Aufstoßen des Wagens die Backen zitterten und seine Füße auf den Boden des Wagens pochten. Maschka aber und Mischka flogen in einer solchen Schnelligkeit und mit so lautem Kreischen barfuß nach Hause den glatten Abhang hinab, daß ein Hund, der vom Dorf zum Hofflügel gelaufen war, plötzlich auf sie schaute, den Schwanz einzog und bellend nach Hause lief, wodurch sich das Gekreisch der Polikeischen Nachkommenschaft noch verzehnfachte.
Das Wetter war schlecht, der Wind schnitt ins Gesicht, es war bald Schnee, bald Regen, bald begannen einzelne Hagelkörner dem Iljitsch ins Gesicht und über die nackten Hände zu peitschen, die er mit den Zügeln unter dem Ärmel seines Rockes verborgen hielt, bald fegten sie über das Leder des Kumts und über den alten Kopf des Baraban, der die Ohren andrückte und mit den Augen blinzelte.
Dann hörte es plötzlich auf, und augenblicklich wurde es hell; klar erblickte man die bläulichen Schneewolken, und es war, als ob die Sonne durchzuschauen beginne, aber unentschlossen und unfroh, wie das Lächeln des Polikei selber. Dessenungeachtet gab sich Iljitsch angenehmen Gedanken hin. Er, den man zur Ansiedlung verschicken wollte, dem man drohte, unter die Soldaten zu stecken, den nur der nicht schalt und nicht schlug, der zu faul dazu war, den man immer dahin stieß, wo es möglichst schlecht war – er fährt jetzt, eine Summe Geldes abzuholen, und zwar eine große Summe, und die Gnädige vertraut ihm, und er fährt im Wägelchen des Verwalters mit dem Baraban, mit dem die Gnädige selber fährt, er fährt wie irgendein Verwalter, mit ledernen Kumtriemen und Zügeln. Und Polikei richtete sich noch mehr auf, rückte die Watteflocken auf dem Hut zurecht und schlug seine Rockschöße noch mehr zusammen. Wenn übrigens Iljitsch glaubte, er sehe durchaus so aus wie ein reicher Verwalter, so irrte er. Das weiß freilich jeder, daß auch Händler, die Zehntausende haben, im Wägelchen mit Ledergespann fahren; nur ist dies – das, aber doch nicht das. Es fährt da ein Mann mit einem Barte, in einem blauen oder schwarzen Kaftan, mit einem satten Pferd, allein sitzt er im Wagen drin; schau du nur hin, ob das Pferd satt ist, ob er selber satt ist, wie er sitzt, wie das Pferd angeschirrt, wie das Wägelchen beschient, wie er selber gegürtet ist, sogleich ist zu sehen, ob der Bauer da um Tausende oder um Hunderte handelt. Jeder Mann von Erfahrung, wenn er nur aus der Nähe auf den Polikei hinschaute, auf seine Hände, auf sein Gesicht, auf seinen erst unlängst stehengelassenen Bart, auf seinen Gurt, auf das irgendwie in den Wagenkasten geworfene Heu, auf den hageren Baraban, auf die ausgeriebenen Radschienen, hätte sofort erkannt, daß da ein kleines, leibeigenes Bäuerlein fährt, aber kein Kaufmann, kein Großhändler, kein Verwalter, ein Bäuerlein weder von tausend, noch von hundert, noch von zehn Rubeln. Iljitsch dachte aber nicht so; er täuschte sich und täuschte sich in angenehmer Weise. Drei Halbtausende werde er an seiner Brust mitbringen. Wenn er will, wird er den Baraban statt nach Hause nach Odest wenden, ja, und fahren, wohin ihn Gott führen werde. Nur wird er dies nicht tun, vielmehr das Geld getreulich der Gnädigen zurückbringen und sagen, daß er schon ganz anderes Geld gefahren habe. Als sie an die Schenke gekommen waren, begann Baraban den linken Zügel anzuziehen, stehenzubleiben und einzulenken. Polikei aber, ungeachtet dessen, daß er Geld hatte, das ihm zum Einkaufen gegeben worden war, schlug dem Baraban mit der Knute über den Rücken und fuhr vorbei. Ganz dasselbe tat er auch bei einer andern Schenke, und gegen Mittag stieg er vom Wagen herab, öffnete das Tor des Kaufmannshauses, in dem alle Leute der Gnädigen einzukehren pflegten, führte das Wägelchen hinein, spannte es aus, band das Pferd an der Krippe fest, aß mit den Knechten des Kaufmanns zu Mittag, ohne es zu unterlassen, zu erzählen, in welcher wichtigen Angelegenheit er gekommen sei, und ging mit dem Brief in der Mütze zum Gärtner. Dieser, der den Polikei kannte, las den Brief und fragte mit sichtbarem Zweifel noch einmal, ob man gerade ihm das Geld zu holen befohlen habe. Iljitsch wollte böse werden, brachte es aber nicht fertig und lächelte nur mit dem ihm eigenen Lächeln. Der Gärtner las noch einmal den Brief und gab das Geld. Polikei steckte es an seinen Busen und kehrte ins Absteigequartier zurück. Weder die Bierbuden noch die Schnapsschenken verführten ihn. Er empfand eine angenehme Aufregung in seinem ganzen Wesen, und mehr wie einmal blieb er stehen bei den Verkaufsbuden mit verführerischen Waren: Stiefeln, Röcken, Mützen, Stoffen und Eßwaren. Und nachdem er ein wenig gestanden hatte, ging er wieder fort mit dem angenehmen Gefühl: alles kann ich kaufen, ja, aber ich tue es nicht. Er ging auf den Bazar, um einzukaufen, was ihm aufgetragen war, kaufte alles ein und handelte um einen Schafpelz, für den man fünfundzwanzig Rubel verlangte. Als der Verkäufer aus irgendeinem Grund sich den Polikei ansah, glaubte er nicht, daß der imstande sei, zu kaufen; Polikei wies aber auf seine Brust, wobei er sagte, er könne die ganze Bude kaufen, wenn er wolle, und verlangte, den Pelz anzuprobieren; er zerknüllte ihn, fuhr mit der Hand über ihn her, blies auf dem Pelz, fing sogar an, nach ihm zu riechen, und zog ihn endlich mit einem Seufzer aus. »Der Preis paßt nicht. Wenn man ihn für fünfzehn Rubel abließe,« sprach er. Der Kaufmann warf wütend den Pelz über den Tisch; Polikei aber verließ die Bude und begab sich in heiterer Laune in sein Absteigequartier. Nachdem er zu Abend gegessen, den Baraban getränkt und ihm Hafer vorgelegt hatte, kroch er auf den Ofen, nahm das Kuvert heraus, betrachtete es lange und bat einen des Lesens kundigen Hausknecht, die Adresse zu lesen und die Worte: Einliegend tausendsechshundertsiebzehn Rubel in Assignaten. Das Kuvert war aus einfachem Papier gemacht, gestempelt war es mit braunem Siegellack und der Darstellung eines Ankers: ein großer Stempel in der Mitte, vier an den Rändern, von der Seite war es mit Siegellack betröpfelt. Iljitsch beschaute dies alles, prägte es sich ein und suchte sogar die scharfen Kanten der Assignaten zu erfühlen. Er empfand ein ganz kindisches Vergnügen in dem Bewußtsein, so viel Geld in Händen zu haben. Er steckte das Kuvert ins Loch der Mütze, schob diese selber unter den Kopf und legte sich nieder, wachte aber in der Nacht mehrmals auf und fühlte, ob das Kuvert noch da sei. Und jedesmal, wenn er das Kuvert auf seinem Platze fand, empfand er das angenehme Gefühl des Bewußtseins, daß gerade er, Polikei, der mit Schmach Bedeckte, Erniedrigte, so viel Geld bringe und es richtig abliefern werde, so richtig, wie das nicht einmal der Verwalter selber tun würde.