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X

Diesen ganzen Tag hatte niemand in Pokrowskoje den Polikei gesehen. Die Herrin hatte nach dem Mittagessen einige Male gefragt, und Aksjutka war zu Akulina geflogen. Akulina sagte aber, er sei nicht gekommen, wahrscheinlich habe ihn der Kaufmann aufgehalten, oder es sei etwas mit dem Pferd vorgefallen. »Ist das Pferd nicht etwa lahm geworden?« sprach sie; »das vorige Mal ist da Maksim einen ganzen Tag gefahren, den ganzen Weg ging er zu Fuß!« Und Aksjutka richtete ihre Perpendikel wiederum dem Hause zu. Akulina aber dachte sich Ursachen für die Verzögerung ihres Mannes aus und bemühte sich, sich zu beruhigen; es gelang ihr aber nicht. Ihr lag es schwer auf dem Herzen, und keine Arbeit zum morgigen Feiertag wollte ihr von der Hand gehen. Um so mehr quälte sie sich, als die Tischlersfrau versicherte, sie selber habe gesehen: Ein Mensch, genau so wie Iljitsch, sei zum »Preschpekt« angefahren gekommen und dann umgekehrt. Auch die Kinder erwarteten mit Unruhe und Ungeduld »Väterchen«, aber aus anderen Gründen. Anjutka und Maschka waren ohne Pelz und Überrock geblieben, die ihnen die Möglichkeit gegeben hätten, wenigstens eine nach der anderen auf die Straße zu gehen, und sie waren deshalb gezwungen, bei dem Hause, nur in ihren Kleidern, mit vermehrter Schnelligkeit im Kreise zu laufen, wobei sie nicht wenig allen Bewohnern des Flügels im Wege standen, wenn diese ein- oder ausgingen. Einmal flog Maschka der Tischlersfrau auf die Füße, die gerade Wasser trug, und obgleich Maschka sofort zu heulen begann, da sie sich an ihren Knien gestoßen hatte, wurde sie gleichwohl am Schopf gezaust und fing noch heftiger zu weinen an. Wenn sie aber mit niemandem zusammenstieß, dann flog sie geradeswegs in die Türe und kletterte an dem Wasserfaß auf den Ofen hinauf. Nur die Herrin und Akulina beunruhigten sich aufrichtig um den Polikei selber; die Kinder nur darum, was er anhatte. Jegor Michailowitsch dagegen, als er der Gnädigen Bericht erstattete, lächelte nur auf ihre Frage, ob Polikei nicht gekommen sei, und wo er denn stecken könne? Er antwortete: »Ich kann das nicht wissen«, und augenscheinlich war er zufrieden darüber, daß sich seine Vermutungen bestätigten. »Er hätte zum Mittagessen zurückkommen müssen,« sprach er bedeutsam. Diesen ganzen Tag über wußte niemand in Pokrowskoje irgend etwas über Polikei; erst später erfuhr man, daß ihn die Nachbarsbauern gesehen hatten, wie er ohne Hut auf dem Wege lief und alle fragte, ob sie nicht einen Brief gefunden hätten? Ein anderer hatte ihn gesehen, schlafend am Wegrande neben dem angebundenen Pferde mit Wagen. »Ich glaubte noch,« sprach dieser Mann, »er sei betrunken, und das Pferd zwei Tage weder getränkt noch gefüttert: so waren ihm die Seiten eingefallen. Akulina schlief nicht die ganze Nacht über; immer lauschte sie, aber auch in der Nacht kam Polikei nicht. Wenn sie nicht allein gewesen wäre und einen Koch und ein Dienstmädchen gehabt hätte, wäre sie noch unglücklicher gewesen; als aber die Hähne zum dritten Male krähten, und die Tischlersfrau sich erhob, mußte Akulina aufstehen und sich an den Ofen machen. Es war Feiertag; bis zum Tagesanbruch mußte man das Brot herausnehmen, Kwaß machen, Plätzchen backen, die Kuh melken, Kleider und Hemden bügeln, die Kinder waschen, Wasser bringen und die Nachbarin nicht den ganzen Ofen einnehmen lassen. Ohne aufzuhören zu lauschen, machte sich Akulina an diese Geschäfte. Schon dämmerte es, schon läutete es zum Morgengottesdienst, schon standen die Kinder auf. Polikei war aber immer noch nicht da. Am Vorabend war der Winter eingezogen, Schnee bedeckte ungleichmäßig die Felder, den Weg und die Dächer; und heute, gerade wie für den Feiertag, war ein schöner, sonniger Frosttag, so daß man von weitem alles sehen und hören konnte. Akulina aber, beim Ofen stehend und den Kopf in die Ofenöffnung steckend, war derart beschäftigt mit dem Backen der Plätzchen, daß sie gar nicht gehört hatte, wie Polikei vorfuhr, und erst aus dem Schreien der Kinder erkannte, daß ihr Mann gekommen sei. Anjutka, als die Älteste, schmierte ihren Kopf selber ein und zog sich selber an. Sie war in einem neuen rosafarbenen zerknüllten Zitzkleid, einem Geschenk der Gnädigen, das auf ihr steif wie Baumrinde saß und den Nachbarn in die Augen stach; ihre Haare glänzten, sie hatte das halbe Talglicht darauf geschmiert; ihre Stiefel waren zwar nicht neu, aber fein. Maschka war noch in der Jacke und schmutzig, und Anjutka ließ sie nicht nahe an sich heran, damit sie sie nicht beschmiere. Maschka war auf dem Hofe, als der Vater mit einem Packen anfuhr. »Väterchen ist gekommen,« kreischte sie, stürzte Hals über Kopf zur Türe herein, an Anjutka vorbei und beschmutzte sie. Anjutka aber, ohne zu fürchten, sich dabei noch mehr zu beschmieren, prügelte sogleich Maschka durch, und Akulina konnte sich gar nicht von ihrer Arbeit losmachen. Sie schrie nur auf die Kinder: »Nun ihr! Alle werde ich durchprügeln!« und schaute sich nach der Türe um. Iljitsch, mit dem Packen in den Händen, trat in den Vorraum und kroch sogleich in seine Ecke. Akulina schien es, als ob er bleich sei und ein Gesicht mache, daß man nicht wisse, ob er weine oder lache; sie hatte aber keine Zeit, das herauszubringen.

»Wie denn, Iljitsch, wohlbehalten?« fragte sie vom Ofen aus.

lljitsch murmelte etwas, was sie nicht verstand.

»Wie,« rief sie, »warst du bei der Gnädigen?«

Iljitsch saß in seiner Ecke auf dem Bette, schaute wild um sich und lachte sein schuldbewußtes und tief unglückliches Lächeln. Lange antwortete er gar nichts.

»Was denn, Iljitsch, weshalb denn so lange?«

»Ich, Akulina, übergab das Geld der Gnädigen. Wie sie dankte!« sprach er plötzlich und begann noch unruhiger um sich zu blicken und zu lächeln. Zwei Gegenstände zogen besonders seine unruhigen, fieberhaft aufgerissenen Augen auf sich: die Schnüre, die an die Wiege angebunden waren, und das Kindchen. Er ging zur Wiege und begann hastig mit seinen dünnen Fingern den Knoten der Kordel aufzuschlingen. Dann blieben seine Augen auf dem Kinde haften; da trat aber gerade Akulina mit den Plätzchen auf dem Brett in den Winkel hinein. Iljitsch verbarg rasch die Kordel in seinem Busen und setzte sich aufs Bett.

»Wie denn das, Iljitsch; es ist gerade so, als ob du nicht bei dir wärest?« sprach Akulina.

»Ich schlief nicht!« antwortete er.

Plötzlich huschte irgend etwas am Fenster vorüber, und einen Augenblick später flog wie ein Pfeil das »obere« Mädchen, Aksjutka, herein.

»Die Gnädige befahl dem Polikei Iljitsch, sofort zu kommen,« sprach sie. »Diesen Augenblick, befahl Awdotja Michailowna ... diesen Augenblick ...«

Polikei schaute auf Akulina und auf das Mädchen.

»Sofort! Was ist denn noch nötig?« sprach er so einfach, daß Akulina sich beruhigte: vielleicht will sie ihn belohnen. – »Sage, ich werde sofort kommen!«

Er stand auf und ging hinaus; Akulina aber nahm ein Waschfaß, stellte es auf die Bank, goß kaltes Wasser ein aus den Eimern, die bei der Tür standen, und heißes Wasser aus dem Kessel im Ofen, schürzte die Ärmel auf und probierte das Wasser.

»Komm', Maschka, ich will dich waschen.«

Das zornige, lispelnde Mädchen heulte.

»Komm', Krätzige, ich werde dir ein sauberes Hemd anziehen. Nun, stell' dich nur an! Komm' doch, ich muß auch noch die Schwester waschen.«

Polikei war währenddessen nicht dem »oberen« Mädchen nach zur Gnädigen gegangen, vielmehr an einen ganz anderen Ort: Im Vorraum neben der Wand stand eine steile Leiter, die auf den Boden führte. Polikei trat in den Vorraum, schaute sich um, und da er niemanden sah, bückte er sich und eilte, fast laufend, rasch und geschickt diese Leiter hinauf.

»Was heißt denn das, daß Polikei gar nicht kommt?« sprach ungeduldig die Gnädige zu Dunjascha, die ihr die Haare kämmte. »Wo ist Polikei? Weshalb kommt er nicht?«

Aksjutka flog von neuem nach dem Hofflügel und flog wiederum in den Vorraum und verlangte, Iljitsch solle zur Gnädigen kommen.

»Ja, er ist doch längst gegangen,« antwortete Akulina. Sie hatte Maschka gewaschen, gerade ihr Brustkind ins Waschfaß gesetzt und benetzte ungeachtet seines Schreiens seine spärlichen Härchen. Der Knabe schrie, runzelte das Gesicht und bemühte sich, irgend etwas mit seinen hilflosen Händchen zu erfassen. Akulina hielt mit einer Hand seinen fetten, weißen Rücken, der voller Grübchen war, und wusch ihn mit der anderen.

»Schau hin, ob er nicht irgendwo einschlief,« sprach sie, indem sie sich unruhig umschaute.

Gerade um diese Zeit war die Tischlersfrau, unfrisiert, die Bluse über der Brust noch nicht zugeknöpft, ihre Röcke haltend auf den Boden gegangen, um ihr dort trocknendes Kleid zu holen. Plötzlich erscholl ein Schrei des Entsetzens auf dem Speicher, und die Tischlersfrau flog wie eine Verrückte, mit geschlossenen Augen, auf allen vieren, eher rollend als laufend von der Leiter herunter.

»Iljitsch!« schrie sie.

Akulina ließ ihr Kindchen los.

»Er hat sich erhängt!« brüllte die Tischlersfrau los.

Ohne zu bemerken, daß sich das Kindchen wie ein kleiner Knäuel mit dem Gesicht nach unten gedreht hatte und die Füßchen in die Luft streckend mit dem Kopfe unters Wasser getaucht war, lief Akulina in den Vorraum.

»Am Balken ... hängt er ..murmelte die Tischlersfrau, hielt aber inne, als sie Akulina erblickt hatte.

Akulina stürzte zur Leiter; bevor man sie halten konnte, lief sie hinauf, und mit einem furchtbaren Schrei fiel sie wie ein toter Körper auf die Leiter und hätte sich zu Tode gestürzt, wenn sie nicht das aus allen Winkeln herausgelaufene Volk aufzuhalten vermocht hätte.


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