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VII.

[Widerlegung der Behauptung, dass diese Gebote unausführbar seien.
Diese Behauptung wird veranlasst durch den Aberglauben vom Sündenfall und der Erlösung.
Auch die Wissenschaft und alle philosophischen Systeme, welche die bestehende Ordnung gutheissen, sind abhängig von diesem Glauben.
Wahre Religion ist Aufklärung der Vernunft.
Parabel.]

 

Weshalb thun denn die Menschen nicht das, was Christus ihnen gesagt hat und was ihnen das höchste dem Menschen erreichbare Glück verleiht, das Glück, das sie ewig erwünscht und stets wünschen? Und von allen Seiten vernehme ich, in verschiedenen Worten, eine und dieselbe Antwort: Christi Lehre ist sehr schön und es ist wahr, dass bei Erfüllung derselben das Reich Gottes auf Erden hergestellt würde; sie ist aber schwierig und deshalb unausführbar.

Christi Lehre davon, wie die Menschen leben sollen, ist göttlich schön und bringt den Menschen Heil; dem Menschen aber ist es schwer sie zu befolgen. Wir sagen dies und hören es so oft aussprechen, dass uns der Widerspruch, der in diesen Worten liegt, gar nicht auffällt.

Der menschlichen Natur ist es eigen das zu thun, was besser ist. Und jede Lehre über das Leben der Menschen ist nur eine Lehre dessen, was für die Menschen besser ist. Wenn nun den Menschen gezeigt wird was für sie besser ist zu thun, wie können sie da sagen: sie wünschten wohl zu thun was besser ist, sie könnten es aber nicht? Die Menschen können nicht nur das nicht thun, was schlimmer ist, sondern sie können es auch nicht unterlassen das zu thun, was besser ist.

Die vernünftige Thätigkeit des Menschen ist, seit Bestehen des Menschen, darauf gerichtet, zu finden, welcher der bessere von allen Widersprüchen ist, die das Leben der einzelnen sowohl wie das Leben aller Menschen unter einander erfüllen.

Die Menschen kämpfen um Land, um Gegenstände, die sie brauchen, und kommen schliesslich dazu alles zu theilen und es »Eigenthum« zu nennen; sie finden, dass es zwar schwer ist eine derartige Ordnung einzuführen, dass es aber auf diese Art besser ist, und halten am Eigenthum fest. Die Menschen kämpfen um ihre Weiber, verlassen ihre Kinder; dann finden sie, dass es besser für jeden ist seine eigene Familie zu haben und obgleich es sehr schwer ist, eine Familie zu ernähren, halten sie dennoch am Eigenthum fest, an der Familie und an vielem andern. Und sobald die Menschen gefunden haben, dass es so besser ist, so handeln sie danach, möge es ihnen noch so schwer fallen. Was heisst das also, wenn wir sagen: Christi Lehre ist herrlich; das Leben nach der Lehre Christi ist besser als das, welches wir fuhren; wir können aber nicht so leben, wie es besser wäre, weil es »schwer« ist –?

Wenn das Wort »schwer« derart zu verstehen ist, dass es schwer ist die momentane Befriedigung seiner Begierden dem grösseren Glücke zu opfern, – warum sagen wir denn nicht auch, dass es schwer ist zu pflügen, auf dass wir Brod haben, und schwer Aepfelbäume zu pflanzen, auf dass Aepfel wachsen? Dass man Schwierigkeiten zu ertragen hat um grösseres Heil zu erringen, das weiss jedes Geschöpf, das mit dem ersten Keime der Vernunft begabt ist. Und plötzlich erweist es sich, dass wir, zugebend, dass Christi Lehre herrlich sei, sagen, sie sei unausführbar, weil sie schwierig ist. Schwierig, weil wir, in der Befolgung derselben, das entbehren müssen, was wir bisher nicht entbehrt haben. Es ist gleichsam, als hätten wir nie vernommen, dass es manchmal vortheilhafter ist zu dulden und zu entbehren als nichts zu erdulden und stets nur seine Begierden zu befriedigen.

Der Mensch kann Thier sein und niemand wird ihm daraus einen Vorwurf machen; der Mensch kann aber nicht mit Ueberlegung Thier sein wollen. Sobald er überlegt, gesteht er seine Vernunft zu; sobald er seine Vernunft zugesteht, kann er nicht das nicht erkennen, was vernünftig und was unvernünftig ist. Die Vernunft schreibt nichts vor; sie klärt nur auf.

Ich habe mir im Finstern Hände und Kniee gestossen, indem ich nach der Thüre suchte. Es trat ein Mensch mit Licht herein – und ich sah die Thür. Ich kann mich nicht mehr an der Wand stossen, weil ich die Thür sehe: noch weniger kann ich behaupten, dass ich die Thür sehe und finde, dass es besser ist durch die Thür zu gehen, dass es aber beschwerlich ist und ich deshalb fortfahren will mit den Knieen an die Wand zu stossen.

In dieser merkwürdigen Beurtheilung: die christliche Lehre ist gut und bringt der Welt Heil; die Menschen sind aber schwach, die Menschen sind schlecht und wollen es besser machen, machen es aber nur schlimmer und können es deshalb nicht besser machen – ist ein offenbares Missverständniss.

Hier ist offenbar nicht ein Fehler in der Beurtheilung, sondern etwas anderes.

Es muss hier eine falsche Vorstellung zu Grunde hegen. Nur eine falsche Vorstellung derart, dass das ist, was nicht ist, und das nicht ist, was ist, kann die Menschen zu einem so sonderbaren Ableugnen der Ausführbarkeit dessen bringen, was nach Eingeständniss der Menschen selbst ihnen Glück verleiht.

Die falsche Vorstellung, die dazu verleitet, ist das, was man den christlichen Dogmenglauben nennt, den Glauben, der von Kindheit auf allen Christen laut den verschiedenen orthodoxen, katholischen, protestantischen Katechismen gelehrt wird.

Dieser Glaube, laut der Definition des Glaubenden selbst, ist das Anerkennen der Existenz dessen, was scheint (so heisst es bei Paulus und so wiederholt es sich in allen Gotteslehren und Katechismen, als die beste Erklärung des Glaubens). Und gerade dieses Anerkennen der Existenz dessen, was scheint, hat die Menschen zu einer so sonderbaren Behauptung gebracht: dass die Lehre Christi für die Menschen gut ist, dass sie aber für die Menschen nicht taugt.

Die Lehre dieses »kirchlichen« Glaubens, in ihrem genauesten Ausdruck, ist folgende: Der persönliche, ewige, in drei Personen einige Gott verfiel plötzlich darauf, eine Welt der Geister zu schaffen. Dieser wohlwollende Gott schuf diese Welt der Geister zu deren Heile, es traf sieh aber, dass einer der Geister durch sich selbst bös und deshalb unglücklich wurde. Es verging eine lange Zeit und Gott schuf eine andere, materielle Welt und schuf den Menschen, gleichfalls zu dessen Heile. Gott schuf den Menschen glückselig, unsterblich, unschuldig und müssig. Die Glückseligkeit des Menschen bestand im mühelosen Genüsse der Gütern des Lebens, seine Unsterblichkeit bestand darin, dass er ewig in derselben Weise leben sollte; seine Unschuld bestand darin, dass er das Böse nicht kannte.

Dieser Mensch wurde im Paradiese von jenem Geiste aus der ersten Schöpfung verführt, der durch sich selbst böse geworden war, und der Mensch ist seit der Zeit gefallen, und eben solche gefallene Menschen wurden fortan geboren. Seitdem begannen die Menschen zu arbeiten, zu kränkeln, zu leiden, zu sterben, körperlich und geistig zu kämpfen, d. h. der fictive Mensch ward zum wirklichen, zu dem, als welchen wir ihn kennen und den wir uns anders vorzustellen weder die Möglichkeit, noch das Recht und die Veranlassung haben. Der Zustand eines arbeitenden und leidenden Menschen, der das Gute wählt und das Böse vermeidet und stirbt, dieser tatsächliche Zustand, ausser welchem wir uns keinen andern vorstellen können, ist nach dieser Glaubenslehre nicht der wahre Zustand des Menschen, sondern ein ihm durchaus nicht natürlicher, ein zufälliger, vorübergehender Zustand.

Obgleich dieser Zustand für alle Menschen, laut dieser Lehre, von der Verstossung Adams aus dem Paradiese d. h. von Anbeginn der Welt bis zur Geburt Christi gedauert hat und ebenso für alle Menschen auch nachher fortdauert, müssen die Gläubigen annehmen, dass es blos ein zufälliger und zeitweiliger Zustand ist. Dieser Lehre nach ward der Sohn Gottes – Gott selbst, die 2. Person der Dreieinigkeit – von Gott in menschlicher Gestalt zur Erde gesandt um die Menschen von diesem, ihnen nicht eigenen, zufälligen, zeitweisen Zustand zu retten, den Fluch von ihnen zu nehmen, den dieser selbe Gott ihnen für Adams Sünde auferlegt hat, und sie zu ihrem früheren, natürlichen Zustand der Glückseligkeit zurückzuführen, d. h. zu Schmerzlosigkeit, Unsterblichkeit, Unschuld und Müssiggang. Die zweite Person der Dreieinigkeit, Christus, hat dieser Lehre nach dadurch, dass die Menschen ihn getödtet haben, die Sünde Adams gebüsst und diesen unnatürlichen Zustand des Menschen, der von Anbeginn der Welt bestand, aufgehoben. Seitdem ist der Mensch, der an Christus glaubt, derselbe geworden, der er im Paradiese gewesen ist, d. i. unsterblich, von Krankheit frei, unschuldig und müssig.

Bei jenem Theile der vollbrachten Erlösung, laut welchem die Erde nach Christus überall für die Gläubiges ohne Mühe zu gebären begann, und laut welchem Krankheiten aufhörten und Mütter ohne Schmerzen Kinder gebaren, hält sich die Lehre nicht lange auf, weil es schwer ist diejenigen, denen das Arbeiten schwer fällt und die Schmerzen wehe thun trotz ihres Glaubens, zu überzeugen, dass es nicht schwer ist zu arbeiten und dass Schmerzen nicht wehe thun. Der Theil der Lehre aber, laut welchem es keinen Tod und keine Sünde mehr giebt, wird mit besonderem Nachdruck hervorgehoben. Es wird behauptet, dass die Todten fortfahren zu leben. Und da die Todten in keinem Falle bestätigen können, weder dass sie gestorben sind, noch dass sie weiter leben, ebensowenig wie ein Stein bestätigen kann ob er sprechen kann oder nicht, so wird diese Ermangelung der Verneinung für einen Beweis des Lebens der Todten angenommen und es wird behauptet, dass Menschen, die gestorben sind, nicht gestorben sind. Und mit noch grösserer Feierlichkeit und Bestimmtheit wird behauptet, dass nach Christus der Mensch, durch seinen Glauben an ihn, von der Sünde befreit wird, d. h. dass der Mensch nach Christus nicht mehr sein Leben durch die Vernunft aufzuklären und das zu wählen braucht, was für ihn das Bessere ist. Er braucht nur zu glauben, dass Christus ihn von der Sünde erlöst hat, und dann wird er immer sündenfrei, d. h. vollkommen gut sein. Laut dieser Lehre müssen die Menschen sich einbilden, dass die Vernunft in ihnen machtlos ist und dass sie eben deshalb sündenlos sind, d. h. nicht irren können.

Der wahrhaft Gläubige muss sich einbilden, dass von Christi Zeiten an die Erde ohne Mühe gebiert, dass Kinder ohne Qualen zur Welt kommen, dass es keine Krankheiten, keinen Tod und keine Sünde, d. h. keine Fehler giebt, d. h. dass das nicht ist, was ist, und das ist, was nicht ist.

So spricht die streng logische Theorie der Gottesgelahrtheit.

Diese Lehre erscheint an und für sich unschuldig. Jedoch das Abweichen von der Wahrheit ist nie unschuldig und zieht stets Folgen nach sich, die um so bedeutender sind, je wichtiger der Gegenstand ist, über den die Unwahrheit gesagt wird. Hier aber ist der Gegenstand, über den die Unwahrheit gesprochen wird, das ganze menschliche Leben.

Das, was dieser Lehre nach das wahre Leben ist, ist ein persönliches, glückseliges, sündenfreies und ewiges Leben, d. h. ein solches, wie es nie jemand gekannt hat und wie es keines giebt. Das Leben aber, welches ist und welches allein wir kennen, welches wir leben, welches die Menschheit gelebt hat und lebt, ist dieser Lehre nach ein gesunkenes, ein schlechtes Leben, ist nur eine Probe jenes guten Lebens, das uns in unbekannter Zukunft erwartet.

Der Kampf zwischen dem Streben nach sinnlichem Genuss und den Geboten der Vernunft, die in der Seele eines jeden Menschen ruhen und das Wesen seines Lebens bilden, wird dieser Lehre nach vollständig beseitigt. Dieser Kampf wird in ein Ereigniss übertragen, das im Paradiese mit Adam, bei der Erschaffung der Welt stattgefunden hat. Und die Frage: soll ich die Aepfel essen, die mich verlocken, oder nicht? – existirt dieser Lehre nach nicht für den Menschen. Diese Frage ist ein für allemal von Adam im Paradiese im bejahenden Sinne entschieden worden. Adam hat für mich gesündigt, d. h. geirrt, und alle Menschen sind unwiderruflich gefallen, und alle unsere Bemühungen vernünftig zu leben sind vergeblich und sogar gottlos. Ich bin unverbesserlich schlecht und muss wissen, dass ich es bin. Und meine Rettung liegt nicht darin, dass ich durch meine Vernunft mein Leben aufklären und, nachdem ich das Gute und das Böse erkannt, das thun kann, was besser ist – nein, Adam hat für mich ein für allemal schlecht gehandelt und Christus hat ein für allemal diese böse That Adams gutgemacht und deshalb soll ich blos als Zuschauer mich fortwährend um den Fall Adams grämen und über die Rettung durch Christus freuen.

Alle Liebe zum Guten und Wahren aber, die in der Seele des Menschen ruht, alle seine Bemühungen die Erscheinungen des Lebens durch die Vernunft zu beleuchten, sein ganzes geistiges Leben – alles das ist nicht nur unwichtig, dieser Lehre nach, sondern es ist sogar Arglist oder Hochmuth.

Das Leben, wie es hier auf Erden ist, mit all' seinen Freuden und Schönheiten, mit all' dem Kampf der Vernunft gegen die Finsterniss, das Leben aller Menschen, die vor mir gelebt, mein ganzes eigenes Leben mit seinen innern Kämpfen und Siegen der Vernunft – ist kein wahres, sondern ein gesunkenes, hoffnungslos verdorbenes Leben; das wahre Leben aber, das sündenlose – ist im Glauben, d. h. in der Einbildung, im Wahnsinn.

Möge der Mensch der von Kindheit an angenommenen Gewohnheit alles das zuzulassen entsagen und diese Lehre einfach anschauen; möge er sich in Gedanken in einen neuen, ausserhalb dieser Lehre erzogenen Menschen versetzen und sich fragen: wie würde diese Lehre einem solchen Menschen erscheinen? – Als der vollkommenste Wahnsinn!

Wie sonderbar und schrecklich es sein muss solches zu denken, so konnte ich dennoch nicht umhin dies einzugestehen, denn dies allein erklärte mir jene merkwürdige, widerspruchsvolle, sinnlose Entgegnung, die ich von allen Seiten gegen die Ausführbarkeit der Lehre Christi vernahm: sie ist gut und bringt den Menschen Heil, die Menschen können sie aber nicht befolgen.

Nur die Vorstellung des Daseins dessen, was nicht ist und des Nichtseins dessen, was ist, konnte zu diesem merkwürdigen Widerspruch führen. Und eine solche falsche Vorstellung fand ich in dem 1500 Jahre lang gepredigten pseudo-christlichen Glauben.

Den Einwand aber gegen die Lehre Christi, dass sie gut, jedoch unausführbar sei, erheben nicht allein die Gläubigen; auch die Nichtgläubigen machen ihn – solche Leute, die nicht glauben oder die da meinen, dass sie an das Dogma des Sündenfalls und der Erlösung nicht glauben. Den Einwand gegen die Lehre Christi, dass sie unausführbar, machen Leute der Wissenschaft, Philosophen, überhaupt gebildete Menschen, die sich für vollkommen frei von allem Aberglauben halten. Sie glauben nicht oder meinen, dass sie an nichts glauben, und halten sich deshalb für vollkommen frei vom Aberglauben, vom Sündenfall und von der Erlösung. Auch mir erschien es anfangs so. Auch mir schien es, dass diese gelehrten Leute andere Gründe haben um die Ausführbarkeit der Lehre Christi abzuleugnen. Nachdem ich in die Grundlagen ihrer Verneinung tiefer eingedrungen bin, habe ich mich überzeugt, dass auch die Ungläubigen dieselbe falsche Vorstellung davon haben, dass unser Leben nicht das ist, was es ist, sondern das, was es ihnen erscheint, und dass diese Vorstellung der Ungläubigen sich auf dieselbe Grundlage stützt wie die Vorstellung der Gläubigen. Die sich zum Unglauben Bekennenden glauben, es ist wahr, weder an Gott, noch an Christus, noch an Adam; an die falsche Grundvorstellung aber über das Anrecht der Menschen auf ein glückseliges Leben, auf der alles beruht, glauben sie ebenso fest, ja fester noch als die Theologen.

Wie die privilegirte Wissenschaft mitsammt der Philosophie auch grossthun mag, behauptend die Entscheiderin und Leiterin der Geister zu sein, sie ist dennoch nicht Leiterin, sondern Dienerin. Ihr ist stets eine fertige Weltanschauung gegeben und die Wissenschaft arbeitet nur weiter auf dem Wege, der ihr von der Religion angewiesen ist. Die Religion eröffnet den Menschen den Begriff des Lebens und die Wissenschaft wendet diesen Begriff auf die verschiedenen Seiten des Lebens an. Wenn daher die Religion dem Leben einen falschen Sinn beilegt, so wird die in dieser religiösen Weltanschauung auferzogene Wissenschaft von verschiedenen Seiten diesen falschen Sinn auf das Leben der Menschen anwenden. Eben dieses geschah von unserer europäisch-christlichen Wissenschaft und Philosophie.

Die kirchliche Lehre gab dem Leben der Menschen einen Grundbegriff darin, dass der Mensch ein Recht an ein glückseliges Leben hat und dass diese Glückseligkeit nicht durch die Bemühungen des Menschen, sondern durch etwas Aeusserliches erreicht wird – und diese Weltanschauung ward zur Basis unserer ganzen Wissenschaft und Philosophie.

Religion, Wissenschaft, öffentliche Meinung, alle sagen einstimmig, das Leben welches wir führen, sei schlecht, die Lehre Christi aber, wie wir uns selbst zu bessern bemühen und dadurch auch das Leben selbst bessern sollen, sei unausführbar.

Die Lehre Christi im Sinne der Verbesserung des Lebens der Menschen durch die Kräfte ihrer Vernunft ist unausführbar, weil Adam gefallen ist und die Welt im Argen liegt: – so sagt die Religion.

Diese Lehre ist unausführbar, weil das menschliche Leben durch bestimmte, vom Willen des Menschen unabhängige Gesetze gelenkt wird: – so sagt unsere Philosophie. Folglich sagt die Philosophie und die ganze Wissenschaft mit anderen Worten genau dasselbe was die Religion im Dogma von der Erbsünde und von der Erlösung sagt.

In der Lehre über die Erlösung giebt es zwei Grundsätze, auf die sich alles stützt: 1) das normale menschliche Leben ist ein Leben der Glückseligkeit, das Leben auf Erden aber ist ein schlechtes, durch Menschenmühe nicht zu verbesserndes Leben, und 2) die Rettung aus diesem Leben, d. i. auf Erden, liegt im Glauben.

Diese zwei Grundsätze sind zur Basis der Weltanschauung der Gläubigen sowohl wie der Ungläubigen unserer pseudo-christlichen Gesellschaft geworden. Dem zweiten Grundsatze entsprang die Kirche mit ihren Einrichtungen. Dem ersten entspringt unsere öffentliche Meinung und entspringen unsere philosophischen und politischen Theorien.

Alle philosophischen und politischen Theorien, welche die bestehende Ordnung gutheissen, wie die Philosophie Hegels und seiner Jünger, stützen sich auf diesen Grundsatz. Ihm entspringt auch der Pessimismus, der vom Leben das verlangt, was es nicht geben kann, und deshalb in seiner Verleugnung des Lebens sich zu demselben Grundsatz bekennt.

Der Materialismus mit seiner merkwürdigen siegestrunkenen Behauptung, dass der Mensch ein Prozess sei und weiter nichts, ist ein rechtmässiges Kind dieser Lehre, die da zugiebt, das Leben hier sei ein gesunkenes Leben. Der Spiritismus mit seinen gelehrten Anhängern ist der beste Beweis dafür, dass die wissenschaftliche und philosophische Anschauung keine freie ist, sondern sich auf die religiöse Lehre über das glückselige, ewige Leben stützt, das dem Menschen zukommt.

Die falsche Auslegung der Bedeutung des Lebens führte zur falschen Auffassung der vernünftigen Thätigkeit des Menschen. Das Dogma des Falles und der Erlösung des Menschen verhüllte vor den Menschen das wichtigste Gebiet menschlicher Thätigkeit, indem es aus dem ganzen Gebiete menschlichen Wissens das Wissen dessen ausschloss, was der Mensch thun soll um selbst glücklicher und besser zu werden. Wissenschaft und Philosophie, im Glauben, feindlich gegen das Pseudo-Christenthum zu handeln und sich dessen sogar rühmend, arbeiten nur für dasselbe. Wissenschaft und Philosophie behandeln alles was ihr wollt, nur nicht die Frage, wie der Mensch besser werden und besser leben soll. Das was man Ethik, Sittenlehre nennt, ist aus unsrer pseudo-christlichen Gesellschaft gänzlich verschwunden.

Gläubige sowohl wie Ungläubige fragen sich nicht wie man leben und wie man jene Vernunft anwenden soll, die uns verliehen worden, sie fragen sich dagegen: warum ist unser menschliches Leben kein solches, wie wir es uns vorgestellt, und wann wird es ein solches werden, wie wir es wünschen?

Nur dank dieser falschen Lehre, die sich in Fleisch und Blut unserer Generationen eingesogen hat, konnte jene merkwürdige Erscheinung entstehen, dass der Mensch jenen Apfel der Erkenntniss des Guten und des Bösen, den er der Sage nach im Paradiese gegessen, gleichsam ausgespuckt hat, und vergessend, dass die ganze Geschichte des Menschen nur im Entscheiden des Widerspruchs zwischen Vernunft und thierischer Natur besteht, seine Vernunft darauf zu verwenden begonnen hat die historischen Gesetze zur Rechtfertigung seiner thierischen Natur heranzuziehen.

Die religiösen und philosophischen Lehren aller Nationen, mit Ausnahme der philosophischen Lehren der pseudo-christlichen Welt, alle, die wir kennen: das Judenthum, die Lehre des Confucius, der Brahmanen, der Buddhisten, der griechischen Weisen, – alle Lehren haben den Zweck die Menschen darüber aufzuklären, wie sie ihr Leben zu gestalten haben, wie jeder danach streben soll sich und sein Leben zu bessern. Die ganze Lehre des Confucius besteht in der persönlichen Vervollkommnung; die der Juden im persönlichen Befolgen eines jeden Gebotes Gottes, der Buddhismus lehrt, wie jeder sich vom Uebel des Lebens befreien soll. Sokrates lehrte die persönliche Vervollkommnung im Namen der Vernunft; die Stoiker erklären die vernünftige Freiheit für die einzige Grundlage des wahren Lebens.

Die ganze vernünftige Thätigkeit des Menschen bestand nur in dem einen: in der Aufklärung durch die Vernunft, deren Inhalt das Streben zum Guten ist. Die Freiheit des Willens, sagt unsere Philosophie, ist eine Illusion, und ist stolz auf die Kühnheit dieser Behauptung. Die Freiheit des Willens ist aber nicht nur eine Illusion, sondern es ist ein Wort ohne alle Bedeutung, ein Wort, das von Theologen und Kriminalisten erfunden ist, und dieses Wort widerlegen hiesse gegen Mühlen kämpfen. Die Vernunft aber, die unser Leben erhellt und uns veranlasst unsre Handlungsweise zu ändern, ist keine Illusion und sie lässt sich auf keine Weise ableugnen. Der Vernunft zu folgen zur Erreichung der Glückseligkeit – darin bestand stets die Lehre aller wahrhaften Lehrer der Menschheit; darin beruht die ganze Lehre Christi, und sie, d. h. die Vernunft selbst, durch Vernunft ableugnen, das ist durchaus nicht möglicher

Die Lehre Christi ist die Lehre von des Menschen Sohne, der mit allen Menschen identisch ist, d. h. von dem allen Menschen innewohnenden Streben nach Glückseligkeit und der allen Menschen eigenen Vernunft, die den Menschen in jenem Streben erleuchtet. (Zu beweisen, dass »des Menschen Sohn« des Menschen Sohn bedeutet, ist überflüssig. Um unter des Menschen Sohn nicht das zu verstehen, was diese Worte bedeuten, muss man beweisen, dass Christus absichtlich zur Bezeichnung dessen, was er sagen wollte, Worte gebraucht hat, die einen ganz andern Sinn haben. Doch wenn auch, nach dem Willen der Kirche, »des Menschen Sohn« »Gottes Sohn« heisst, selbst dann bedeutet »des Menschen Sohn« einen Menschen seinem Wesen nach, denn »Söhne Gottes« nennt Christus alle Menschen.)

Die Lehre Christi von des Menschen Sohne – dem Sohne Gottes –, welche die Grundlage aller Evangelien bildet, ist am deutlichsten in seinem Gespräche mit Nikodemus ausgedrückt. Jeder Mensch, sagt er, muss, ausser dem Bewusstsein seines fleischlichen, persönlichen Lebens, das vom Vater im mütterlichen Leibe entstanden, sich einer anderen, geistigen Abkunft bewusst sein (Joh. 3, 5-7). Das, was der Mensch als seine Freiheit anerkennt, das ist eben das, was vom Unendlichen geboren ward, von dem, was wir Gott nennen (3, 8. 13). Dieses also von Gott Geborne, diesen Sohn Gottes im Menschen, müssen wir in uns erhöhen, um das wahre Leben zu empfangen (14-17). Des Menschen Sohn ist Gottes gleichartiger (nicht eingeborner) Sohn. Wer diesen Sohn Gottes in sich erhöht über allem anderen, wer da glaubt, dass nur in ihm das Leben ist, der wird nicht in Zwiespalt mit dem Leben gerathen. Der Zwiespalt mit dem Leben entsteht blos dadurch, dass die Menschen nicht an das Licht glauben, das in ihnen ist (18-21), das Licht, von welchem im Evangelium Johannis gesagt ist: »In ihm ist das Leben und das Leben ist das Licht der Menschen.«

Christus sagt, man müsse des Menschen Sohn, der Gottes Sohn und das Licht der Menschen ist, über alles andere erhöhen. Er sagt: wenn ihr des Menschen Sohn erhöhet, werdet ihr erkennen, dass ich nichts persönlich von mir aussage (Joh. 12, 30. 32. 49). Die Hebräer verstehen nicht seine Lehre und fragen: wer ist des Menschen Sohn, der da muss erhöhet werden (34)? Und auf diese Frage antwortet er (35): »Es ist das Licht noch eine kleine Weile in euch In allen kirchlichen Uebersetzungen ist diese Stelle absichtlich falsch übersetzt; anstatt »in euch, ἐν ὑμὶν« steht überall, wo man auf diese Worte stösst, »bei, mit euch«.. Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, dass euch die Finsterniss nicht überfalle. Wer in der Finsterniss wandelt, der weiss nicht wo er hingeht.« Auf die Frage, was es heisse: des Menschen Sohn erhöhen, antwortet Christus: in dem Lichte leben, das in den Menschen ist.

Des Menschen Sohn ist laut Christi Antwort das Licht, in welchem die Menschen wandeln müssen, so lange das Licht in ihnen ist (Luk. 11, 35): »So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsterniss sei.«

»Wenn das Licht, das in dir ist, Finsterniss ist, wie gross wird dann die Finsterniss sein?« sagt [2 unleserliche Buchtaben. Re] Matth. 6, 23 zur Belehrung aller Menschen.

Vor und nach Christus sagten die Menschen dasselbe: dass im Menschen ein göttliches Licht lebt, das vom Himmel kommt, und dass dieses Licht die Vernunft ist; dass man ihm allein dienen und in ihm allein das Heil suchen müsse. Das sagten die Lehrer der Brahminen, die hebräischen Propheten; das sagten Konfuzius Sokrates, Mark Aurel, Epiktetos und alle wahrhafter Weisen, nicht Verfasser philosophischer Theorien, sondern Menschen, welche die Wahrheit suchten zu ihrem eigenen Heile sowohl wie zum Heile aller Mark Aurel sagt: »Ehre das, was das Mächtigste ist in der Welt, was alles benutzt und alles beherrscht. Ehre auch das, was mächtig ist in dir. Es ist dem ersten gleich, weil es das benutzt, was in dir ist und dein Leben beherrscht.«
Epiktetos sagt: »Gott hat seinen Samen gesäet, nicht allein in meinen Vater und Grossvater, sondern auch in alle Geschöpfe, die auf Erden leben, insonderheit in die vernünftigen, weil sie allein in Beziehung zu Gott treten – durch die Vernunft, die sie mit ihm verbindet.«
Im Buche des Konfuzius heisst es: »Das Gesetz der hohen Wissenschaft besteht in der Entwickelung des Keimes und der Aufrechterhaltung des Lichtes der Vernunft, die wir vom Himmel erhalten haben.« Dieser Ausspruch wiederholt sich mehrmals und dient als Grundlage der chinesischen Philosophie.

Und plötzlich haben wir nach dem Dogma der Erlösung erkannt, dass es gar nicht nöthig ist über dieses Licht im Menschen zu sprechen noch daran zu denken. Daran muss man denken, sagen die Gläubigen, welches Wesen den Personen der Dreieinigkeit eigen ist, welche Sakramente vollzogen werden müssen und welche nicht; denn die Erlösung der Menschen wird nicht durch unsere Bemühungen herbeigeführt werden, sondern nur durch die Dreieinigkeit und die regelmässige Vollziehung der Sakramente. Man muss daran denken, sagen die Ungläubigen, nach welchen Gesetzen das unendlich kleinste Theilchen der Materie seine Bewegung im unendlichen Weltraum, in unendlicher Zeit vollführt; daran aber, was die Vernunft des Menschen zu seinem Heile verlangt, daran braucht man nicht zu denken, denn die Verbesserung des Zustandes des Menschen wird nicht durch sie herbeigeführt werden, sondern durch allgemeine Gesetze, die wir entdecken werden.

Ich bin überzeugt, dass nach einigen Jahrhunderten die Geschichte der sogenannten wissenschaftlichen Thätigkeit der vielgepriesenen letzten Jahrhunderte unserer europäischen Menschheit einen unerschöpflichen Gegenstand der Lächerlichkeit und des Mitleids für die zukünftigen Geschlechter bilden wird. Einige Jahrhunderte lang waren die gelehrten Leute eines kleinen nördlichen Theiles der grossen Erdoberfläche einem epidemischen Wahnsinn verfallen, indem sie sich einbildeten, dass ein ewiges, seliges Leben ihnen gehöre, und vertieften sich in allerhand tiefe Gedanken darüber, wie, nach welchen Gesetzen dieses Leben für sie eintreten werde; selbst jedoch thaten sie nichts und dachten nie daran wie sie ihr Leben besser einrichten sollten. Und was dem zukünftigen Historiker noch rührender erscheinen wird, ist, dass er finden wird, dass diese Menschen einen Lehrer gehabt haben, der sie klar und bestimmt darauf hingewiesen hat, was sie thun sollten um glücklicher zu leben, und dass die Worte dieses Lehrers von den einen in der Weise erklärt würden, dass er in den Wolken kommen werde um alles einzurichten, und von den andern derart, dass die Worte dieses Lehrers herrlich, aber unausführbar seien, weil das menschliche Leben nicht so ist wie wir es wünschen, und folglich es sich nicht der Mühe lohnt sich mit ihm abzugeben; die menschliche Vernunft aber müsse auf die Erlernung der Gesetze dieses Lebens gerichtet sein, ohne jegliche Beziehung auf die Glückseligkeit des Menschen.

Die Kirche sagt: Christi Lehre ist unausführbar, weil das Leben hier nur eine Probe des wahren Lebens ist; es kann nicht gut sein, denn alles in ihm ist eitel Böses. Das beste Mittel dieses Leben zu durchleben besteht darin, dass man es verachtet und im Glauben (d. h. in der Einbildung) an ein zukünftiges, seliges, ewiges Leben lebt; hier aber soll man nur leben wie es sich gerade leben lässt und – beten.

Philosophie, Wissenschaft und öffentliche Meinung sagen: Christi Lehre ist unausführbar, weil das Leben des Menschen nicht von jenem Lichte der Vernunft abhängt, mit dem er dies Leben erleuchten kann, sondern von allgemeinen Gesetzen, und deshalb soll man dies Leben nicht durch die Vernunft erleuchten, sondern man soll leben wie es sich leben lässt, im festen Glauben, dass, den historischen, soziologischen und anderen Gesetzen nach, unser Leben von selbst, ohne unser Zuthun, nachdem wir sehr lange schlecht gelebt haben werden, ein sehr gutes werden wird.

Es kommen Leute auf einen Hof; sie finden auf diesem Hofe alles, was sie zum Leben brauchen: ein Haus mit allem Zubehör, gefüllte Kornspeicher, Keller und Gewölbe voll Vorräthe aller Art; auf dem Hofe Ackergeräthe, Pferdegeschirr, Pferde, Kühe, Schafe, eine vollständige Wirthschaft: alles, was zu einem behaglichen Leben gehört. Es kommen Menschen von verschiedenen Seiten auf diesen Hof und fangen an alles zu gebrauchen, was sie dort vorfinden, jeder aber nur für sich, nicht im geringsten darum besorgt etwas für diejenigen, die jetzt mit ihm im Hause sind, oder für die, die nach ihm kommen, übrig zu lassen. Jeder will alles für sich. Jeder beeilt sich alles nach Möglichkeit auszunutzen, und es beginnt ein Vernichten des Ganzen, ein Kampf, eine Rauferei um den Besitz aller Gegenstände: Milchkühe, junge, ungeschorne Schafe werden geschlachtet, Gestelle und Karren dienen zum Heizen der Oefen; man schlägt sich um den Wein, um das Korn; man vergiesst und verschüttet und verdirbt mehr als man benutzt. Keiner geniesst in Ruhe seinen Bissen, sondern isst und zankt. Es kommt der Stärkste und entreisst alles den andern; diesem wird wiederum von einem andern alles fortgenommen u. s. f.

Abgequält, zerschlagen, hungrig verlassen die Leute den Hof. Wieder richtet der Hausherr alles im Hofe derart her, dass die Leute ruhig auf ihm leben können. Wieder ist der Hof ein voller Kelch, wieder kommen Vorübergehende und wieder giebt es Handgemenge und Schlägereien; abermals geht alles verloren und abermals gehen die Leute abgequält, zerschlagen und erbittert fort und schmähen und zürnen den Gefährten und dem Hausherrn, dass er schlecht und ungenügend vorbereitet. Und der gute Hausherr richtet abermals den Hof also her, dass die Leute darauf leben können, und abermals wiederholt sich dasselbe und so fort, immer und immer wieder. Und nun, bei einer Ankunft neuer Menschen erscheint ein Lehrer und spricht zu den andern: Brüder! wir thun nicht das Rechte. Seht, wie viel Hab' und Gut auf dem Hofe ist, wie die ganze Wirthschaft eingerichtet ist! Es wird für uns alle genügen und wird noch übrig bleiben für diejenigen, die nach uns kommen werden; lasset uns nur vernünftig leben: lasset uns nicht einer dem andern die Habe entreissen, sondern einer dem andern helfen, lasset uns säen, pflügen, das Vieh weiden, und alle werden ein gutes Leben haben. Es traf sich, dass dieser und jener verstand was der Lehrer sagte, und die ihn verstanden, begannen also zu handeln; sie hörten auf, sich zu schlagen, sie nahmen nichts mehr einer dem andern fort und begannen zu arbeiten. Die übrigen aber, die theilweise die Reden des Lehrers nicht gehört, theilweise auch sie vernommen hatten ohne ihnen Glauben zu schenken, handelten nicht nach seinen Worten, schlugen sich wie ehedem, verdarben des Hausherrn Hab' und Gut und gingen fort. Es kamen andere und es war dasselbe. Die dem Lehrer gehorsamen wiederholten stets die Ermahnung: »Schlaget euch nicht, verderbet nicht des Hausherrn Gut, es wird besser für euch sein; thuet so wie der Lehrer gesagt hat.« Dennoch waren immer noch viele, die nicht gehört hatten und die nicht glaubten, und alles ging lange Zeit in der alten Weise fort.

Alles das ist begreiflich und konnte sich genau so verhalten, solange die Menschen nicht an das glaubten, was der Lehrer sagte. Nun aber wird erzählt, dass eine Zeit kam, wo alle auf dem Hofe die Worte des Lehrers vernahmen, alle sie begriffen, mehr denn nur begriffen: alle anerkannten, dass Gott selbst durch den Lehrer zu ihnen gesprochen, dass auch der Lehrer Gott selbst gewesen ist, und alle glaubten, wie an ein Heiligthum, an jedes Wort des Lehrers. Es wird aber erzählt, als ob nachher, statt dass alle nach den Worten des Lehrers gelebt hätten, folgendes geschah: dass von nun an sich niemand mehr des Handgemenges enthielt, dass alle einer auf den andern eindrangen und alle anfingen zu sprechen: jetzt wissen wir ganz bestimmt, dass es so nothwendig ist und wir nicht anders handeln können.

Was bedeutet das? Selbst das Vieh richtet sich ein sein Futter derart zu fressen, dass es nicht unnütz durcheinandergeworfen wird; die Menschen aber haben erfahren, auf welche Weise sie besser leben sollen, haben geglaubt, dass Gott selbst ihnen also zu leben befiehlt, und leben noch schlechter: weil man, sagen sie, nicht anders leben kann. Diese Menschen müssen sich etwas anderes vorgestellt haben. Nun, was konnten sich jene Leute auf dem Hofe gedacht haben, um nachdem sie den Worten des Lehrers geglaubt, fortzufahren zu leben wie bisher, einer dem andern die Habe entreissend, sich unter einander schlagend, Hab' und Gut und sich selbst zu Grunde richtend? Es ist dieses. Der Lehrer hat: ihnen gesagt: euer Leben auf diesem Hofe ist ein schlechtes; lebet besser und euer Leben wird ein besseres werden. Sie aber haben sich eingebildet, dass der Lehrer überhaupt ihr Leben auf diesem Hofe verurtheilt und ihnen ein anderes, gutes Leben, nicht auf diesem Hofe, sondern anderswo verheissen hat. Und sie haben ausgemacht, dass dieser Hof eine Herberge sei, dass es sich nicht der Mühe lohne auf ihm gut zu leben, und dass man nur darauf zu achten habe jenes anderswo verheissene gute Leben nicht zu versäumen. Nur dadurch lässt sich das sonderbare Benehmen jener Leute auf dem Hofe erklären, die da glauben, dass der Lehrer Gott war, und der andern, die ihn für einen weisen Mann und seine Worte für gerecht halten und dennoch fortfahren, in der alten Weise, den Rathschlägen des Lehrers zuwider zu leben.

Die Leute haben alles gehört und alles verstanden, haben nur das unbeachtet gelassen, dass der Lehrer blos darüber spricht, dass die Menschen hier auf diesem Hofe, wo sie zusammengetroffen, selbst ihr Glück zu gründen haben; sie haben sieh eingebildet, dass dieser Hof eine Herberge ist. Daraus aber entstand jene merkwürdige Betrachtung: dass die Worte des Lehrers sehr schön, dass sie sogar Worte Gottes selbst seien, sie zu befolgen aber sehr schwer sei.

Wenn nur die Menschen aufhören wollten sich zu Grunde zu richten und zu erwarten, dass irgend jemand kommen und ihnen helfen werde: sei es Christus in den Wolken mit Posaunenstimme oder ein historisches Gesetz oder ein Differenzial- oder Integral-Gesetz der Kräfte. Niemand wird uns helfen, wenn wir uns nicht selber helfen. Nicht einmal uns zu helfen aber haben wir nöthig. Wir müssen nur nichts erwarten, weder vom Himmel noch von der Erde; wir sollen nur aufhören uns selbst zu Grunde zu lichten.


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