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5.

Es lag kein Grund vor, unsere Hochzeit hinauszuschieben, und weder er noch ich wünschte es. Katja wäre allerdings am liebsten erst nach Moskau gefahren, um Einkäufe und Bestellungen für die Aussteuer zu machen, und seine Mutter hatte verlangt, daß er noch vor der Hochzeit eine neue Equipage und neue Möbel anschaffen und das ganze Haus neu tapezieren lassen solle, doch wir bestanden beide darauf, daß alles das nach der Hochzeit geschehen solle, wenn es schon durchaus geschehen müßte. Die Hochzeit sollte zwei Wochen nach meinem Geburtstage stattfinden, ganz in aller Stille, ohne Herrichtung der Aussteuer, ohne Gäste, ohne Brautjungfern, Festmahl, Champagner und all die üblichen Zutaten. Er erzählte mir, wie unzufrieden seine Mutter darüber sei, daß die Hochzeit ohne Musik, ohne all die Berge von Kisten, ohne Umwälzung des ganzen Hauswesens gefeiert werden solle, nicht so wie ihre Hochzeit, die dreißigtausend Rubel gekostet habe, und wie sie mit höchst wichtiger Miene in aller Heimlichkeit sämtliche Koffer der Vorratskammer durchwühle, um unter Assistenz der Wirtschafterin Marjuschka alle möglichen Teppiche, Gardinen und Teebretter zusammenzusuchen, die nach ihrer Meinung für unser Glück unentbehrlich seien. In unserem Hause gab sich Katja, unterstützt von der Kinderfrau Kusminischna, einer ähnlichen Beschäftigung hin, und sie verbat sich jede scherzende Bemerkung darüber. Sie war fest überzeugt davon, daß wir, wenn wir von unserer Zukunft redeten, nur an Zärtlichkeiten und verliebte Possen dachten, wie dies nun einmal bei Leuten in unserer Lage üblich sei, daß jedoch in Wirklichkeit unser Glück nur vom richtigen Zuschnitt der Leibwäsche und vom sauberen Einsäumen der Tischtücher und Servietten abhänge. Zwischen Pokrowskoje und Nikolskoje gingen mehrmals am Tage geheime Nachrichten darüber hin und her, was hier oder dort vorbereitet würde, und obschon zwischen Katja und seiner Mutter äußerlich die herzlichsten Beziehungen bestanden, spürte man doch auch eine gewisse feine, nicht ganz eines feindseligen Anstrichs entbehrende Diplomatie heraus.

Tatjana Semjonowna, seine Mutter, deren nähere Bekanntschaft ich jetzt machte, war eine pedantische, strenge Hausfrau und lebte ganz in den Überlieferungen der alten Zeit. Er liebte sie nicht nur als Sohn aus Pflichtgefühl, sondern auch als Mensch aus herzlicher Zuneigung und hielt sie für die beste, verständigste und liebevollste Frau in der Welt. Tatjana Semjonowna war immer gut gegen uns, namentlich gegen mich, und sie freute sich darüber, daß ihr Sohn sich verheiratete; als ich jedoch ihr meine Antrittsvisite als Braut machte, hatte ich den Eindruck, als wolle sie mir zu verstehen geben, daß ich nicht gerade die beste Partie für ihren Sohn sei, und daß ich dies nur immer im Auge behalten solle. Und ich verstand sie, war vollkommen ihrer Meinung und stimmte ihr bei.

Während dieser letzten beiden Wochen sahen wir einander jeden Tag. Er kam zum Essen zu uns und blieb bis Mitternacht. Aber obschon er sagte, daß er ohne mich nicht leben könne, was ich ihm aufs Wort glaubte, brachte er doch niemals einen ganzen Tag in meiner Gesellschaft zu und beschäftigte sich nach wie vor mit seinen wirtschaftlichen Angelegenheiten. Unsere Beziehungen blieben bis zum Hochzeitstage selbst ganz so, wie sie bisher gewesen waren, wir sprachen uns gegenseitig mit »Sie« an, er küßte mir nicht einmal die Hand und suchte nicht nur keine Gelegenheit, mit mir allein zu sein, sondern schien sie sogar absichtlich zu meiden. Es schien, als fürchte er, er könnte sich allzusehr jener großen Zärtlichkeit hingeben, die seinem Wesen eigen war. Ich weiß nicht, ob mit ihm oder mit mir eine Wandlung vorgegangen war, ich fühlte mich ihm indes jetzt vollkommen ebenbürtig, bemerkte an ihm nicht mehr jene gemachte Einfachheit, die mir früher an ihm so mißfallen hatte, und sah häufig in ihm mit herzlicher Freude nicht den Achtung und Furcht einflößenden Mann, sondern den zärtlichen, ganz in seinem Glücksgefühl aufgehenden Knaben.

»Das also ist's, was in ihm steckte!« dachte ich oft. »Er ist also gerade so ein Mensch wie auch ich, und nichts weiter!«

Ich glaubte ihn nun genau zu kennen und sein Wesen zu durchschauen. Und alles, was ich an ihm kennen gelernt hatte, war so echt und einfach und stand mit meinem eigenen Wesen so im Einklang. Selbst die Pläne, die er für unser zukünftiges Zusammenleben entworfen hatte, stimmten ganz mit meinen eigenen Plänen überein, nur daß sie in seiner Darstellung klarer und schöner erschienen.

Das Wetter war in diesen Tagen regnerisch, und wir brachten unsere Zeit zum größten Teil im Zimmer zu. Die schönsten, innigsten Gespräche fanden im Winkel zwischen dem Flügel und dem Fenster statt. In dem schwarzen Fenster spiegelte sich aus nächster Nähe das Licht der Kerzen, und draußen prasselte der Regen gegen die glänzenden Scheiben und floß an ihnen herab. Auf dem Dache hörte man das Trommeln der Tropfen, von der Pfütze vernahm man ein Klatschen und Rieseln, und ein feuchter Hauch ging von dem Fenster aus. Unser Winkel aber schien uns nur noch lauschiger, heller und wärmer.

»Ich wollte mit Ihnen übrigens schon längst über etwas reden,« sagte er einmal, als wir noch spät am Abend allein in diesem Winkel saßen und plauderten. »Ich habe die ganze Zeit, während Sie spielten, darüber nachgedacht.«

»Sagen Sie mir nichts, ich weiß alles,« sagte ich.

»Ja, Sie haben recht, wir wollen nicht davon reden.«

»Oder nein, sagen Sie es mir doch lieber!« versetzte ich.

»Gut also. Erinnern Sie sich noch der Geschichte von Herrn X. und Fräulein Y., die ich Ihnen einmal erzählte?«

»Gewiß erinnere ich mich ihrer, der törichten Geschichte! Es ist nur gut, daß sie dieses Ende nahm ...«

»Ja, noch ein Schritt weiter, und ich hätte selbst mein eigenes Glück zerstört. Sie haben mich gerettet. Aber die Hauptsache ist, daß alles, was ich damals sagte, Lüge war, und das bedrückt mich jetzt, und ich möchte die Sache jetzt zu Ende erzählen.«

»Oh, bitte, tun Sie es nicht!«

»Haben Sie keine Angst,« sagte er lächelnd. »Ich möchte mich nur rechtfertigen. Als ich damals zu reden begann, hatte ich es eigentlich auf einen Disput abgesehen.«

»Warum auf einen Disput?« sagte ich. »Man soll nie ohne Not disputieren.«

»Ich habe mich auch nicht gerade als Meister darin erwiesen. Als ich jetzt nach all den Enttäuschungen, die ich erlitten, all den Fehlern, die ich im Leben begangen, hierher aufs Land kam, war ich mit mir selbst darüber einig, daß es mit der Liebe für mich aus sei, daß mir keine andere Pflicht mehr übrig bleibe, als in Ehren grau zu werden, und daß ich mir über das Gefühl, das ich für Sie hegte, und seine möglichen Konsequenzen doch recht wenig klar war. Ich hoffte und hoffte nicht, bald schien es mir, daß Sie nur kokettierten, bald faßte ich wieder Vertrauen, und schließlich wußte ich selbst nicht, was ich tun würde. Doch nach jenem Abend, an dem wir den nächtlichen Gang durch den Garten machten – Sie erinnern sich? – durchfuhr mich ein Schreck: mein Glück schien mir gar zu groß, ja unmöglich. Was wäre nun geschehen, wenn ich zu hoffen gewagt hätte, und schließlich doch gesehen hätte, daß es umsonst sei? Ich dachte natürlich dabei nur an mich selbst, weil ich nämlich ein ganz abscheulicher Egoist bin ...«

Er schwieg ein Weilchen und sah mich an.

»Nun, schließlich war es ja auch nicht lauter Unsinn, was ich damals vorgebracht habe. Ich hatte ja auch alle Ursache, mich zu fürchten. Ich empfange so viel von Ihnen und kann nur so wenig geben. Sie sind noch ein Kind, eine Knospe, die sich erst noch öffnen soll, Sie lieben zum erstenmal, und ich ...«

»Ja, sagen Sie mir aufrichtig ...« sagte ich, doch plötzlich ward mir vor seiner Antwort bange. »Nein, es ist nicht nötig, lassen Sie es lieber,« fügte ich hinzu.

»Sie wollen wissen, ob ich früher schon geliebt habe?« sagte er, meine Gedanken sogleich erratend. »Darauf kann ich Ihnen antworten: nein, ich habe noch nicht geliebt. Ich habe niemals etwas empfunden, das nur im geringsten meinem jetzigen Gefühle geglichen hätte ...«

Doch plötzlich war es, als ob eine schmerzliche Erinnerung in seiner Vorstellung auftauche. »Ja – und so mußte ich denn wissen, wie es um Ihr Herz stand, damit ich ein Recht hätte, Sie zu lieben,« fuhr er in schwermütigem Tone fort. »Hieß es da nicht sehr eingehend überlegen, bevor ich Ihnen sagte, daß ich Sie liebe? Was biete ich Ihnen? Meine Liebe, gewiß ...«

»Ist das so wenig?« sagte ich, während ich ihm in die Augen sah.

»Ja, meine liebe Freundin, es ist wenig, sehr wenig für Sie,« fuhr er fort. »Sie prangen in Jugend und Schönheit! Ich verbringe meine Nächte jetzt oft schlaflos vor lauter Glück und denke nur immer daran, wie wir zusammen leben werden. Ich habe viel erlebt, und ich glaube, daß ich jetzt das gefunden habe, was zum Glücke erforderlich ist: ein stilles, zurückgezogenes Leben in unserer ländlichen Einsamkeit, mit der Möglichkeit, den Menschen hier Gutes zu tun, denen man so leicht Gutes tun kann, da sie nicht daran gewöhnt sind; ferner die Arbeit – solche Arbeit, die Nutzen zu bringen scheint; dann die Erholung, die Natur, die Bücher, die Musik, die Liebe zu einigen Menschen, die uns teuer sind – das war mein Traum vom Glück, über den ich nicht hinauszudenken wagte. Und nun habe ich zu alledem noch eine Herzensfreundin wie Sie gewonnen, und vielleicht kommt auch noch eine Familie hinzu und alles, was nur irgend der Mensch sich wünschen kann.«

»Ja,« sagte ich.

»Für mich, der ich meine Jugend hinter mir habe, mag das reichlich genügen – aber nicht für Sie!« fuhr er fort. »Sie haben noch nicht gelebt, Sie werden das Glück vielleicht noch nach anderer Richtung hin suchen wollen und möglicherweise auch finden. Ihnen mag das jetzt als Glück erscheinen, weil Sie mich lieben ...«

»Ich habe mir immer nur dieses stille Familienleben gewünscht,« sagte ich – »und Sie haben nur ausgesprochen, was ich selbst schon gedacht habe.«

Er lächelte.

»Das scheint Ihnen nur so, meine Freundin – es wird Ihnen nicht genügen, Sie sind schön und jung ...« wiederholte er nachdenklich.

Ich war ärgerlich darüber, daß er mir nicht glauben wollte und mir, wie ich meinte, meine Schönheit und Jugend zum Vorwurf machte.

»Um wessentwillen lieben Sie mich also?« sagte ich gereizt – »um meiner Jugend oder um meiner selbst willen?«

»Ich weiß es nicht, doch ich liebe Sie,« antwortete er und sah mich mit seinem eindringlichen, fesselnden Blicke an.

Ich antwortete nicht und sah ihm unwillkürlich in die Augen. Und plötzlich ging etwas Seltsames mit mir vor: meine ganze Umgebung wurde unsichtbar für mich, dann verschwand auch sein Gesicht vor mir, bis auf seine Augen, die dicht vor den meinigen strahlten, dann schien es mir, als drängen diese Augen in mich ein, alles verwirrte sich in meiner Vorstellung, ich sah nichts mehr und mußte die Augen halb schließen, um mich der Empfindung des Entzückens und Schreckens zu entreißen, die dieser Blick in mir wachgerufen hatte ...

Am Tage vor der Trauung heiterte sich gegen Abend das Wetter auf, und nach der Regenzeit, die den Sommer abschloß, erschien der erste helle, kühle, blinkende Herbstabend. Alles war feucht, kalt und klar, und im Garten bot sich uns zum erstenmal das durchsichtige, bunte, kahle Bild des Herbstes. Der Himmel war klar, kalt und bleich. Ich begab mich zur Ruhe, glücklich in dem Gedanken, daß morgen, an unserem Hochzeitstage, schönes Wetter sein würde. Am nächsten Morgen erwachte ich schon bei Sonnenaufgang, und der Gedanke, daß es heute schön sei, erschreckte mich und rief zugleich mein Erstaunen hervor. Ich ging in den Garten hinaus. Die Sonne war soeben aufgegangen und sandte ihre Strahlen durch die schon stark entlaubten gelben Linden der Allee. Der Weg war mit raschelnden Blättern bedeckt. Die eingeschrumpften grellroten Trauben der Eberesche schimmerten zwischen den wenigen welken, vom Frost zerknüllten Blättern; die Georginen waren runzelig und schwarz geworden. Silbern glänzender Nachtreif lag zum erstenmal auf dem bleichen Rasen und den zertretenen Lattichbeeten am Hause. Nicht eine Wolke schwebte an dem klaren, kalten Himmel.

»Heut also ist's?« fragte ich mich selbst und konnte an mein Glück nicht glauben. »Und morgen schon werde ich nicht mehr hier, sondern in jenem mir fremden Hause mit den Säulen in Nikolskoje erwachen? Ich werde ihn nicht mehr hier erwarten und ihm entgegengehen, nicht mehr am Abend und in der Nacht mit Katja von ihm sprechen, nicht mehr hier in Pokrowskoje vor dem Klavier im Saale mit ihm plaudern, nicht mehr ihm das Geleit geben und mich um ihn ängstigen, wenn er so in die dunkle Nacht hinausreitet?« Es fiel mir ein, daß er gestern gesagt hatte, er sei nun zum letzten Male herübergekommen, und daß dann Katja mich das Brautkleid anprobieren ließ und dabei sagte: »für die morgige Feier.« Da mußte ich's doch wohl glauben, daß es heute sei, wenn auch immer wieder der Zweifel sich einschlich. »Ich werde also vom heutigen Tage an dort mit meiner Schwiegermutter zusammenleben, ohne meine Nadjoscha, ohne den alten Grigorij, ohne Katja? Ich werde nicht mehr beim Schlafengehen meine alte Kinderfrau küssen, nicht mehr, wie ich es von Kindheit an gewöhnt bin, mich von ihr bekreuzen lassen und ihren Nachtgruß hören: ›Schlafen Sie wohl, gnädiges Fräulein!‹ Ich werde nicht mehr Sonja unterrichten noch mit ihr spielen, nicht mehr des Morgens an ihre Wand klopfen und ihr helles Lachen hören? Ist es denn wahr, daß ich heute mir selbst eine Fremde werden soll, daß nun ein neues Leben sich vor mir auftut, in dem meine Hoffnungen und Wünsche Erfüllung finden sollen? Und wird es mich nun für immer festhalten, dieses neue Leben?« Ich erwartete ihn mit Ungeduld – ich fühlte mich beklommen, so allein mit diesem Gedanken. Er kam schon früh herüber, und erst als er an meiner Seite war, gewann ich die Überzeugung, daß ich heute seine Gattin werden würde, und dieser Gedanke hatte fortan nichts Schreckliches mehr für mich.

Vor dem Mittagessen begaben wir uns nach unserer Dorfkirche, um einer Seelenmesse, die für meinen Vater gelesen wurde, beizuwohnen.

»Wenn er doch jetzt lebte!« dachte ich, als wir nach Hause kamen, und schweigend stützte ich mich auf den Arm des Mannes, den der Verstorbene seinen besten Freund genannt hatte. Als ich während des Gottesdienstes den Kopf tief auf die kalten Steinfliesen der Kapelle hinabsinken ließ, trat mir das Bild meines Vaters wie lebendig vor Augen, war ich fest davon überzeugt, daß seine Seele im Himmel mich verstehe und meine Wahl billige. Ja, ich fühlte deutlich, daß seine Seele uns umschwebe, und daß ich seinen Segen wirklich und wahrhaftig empfange. Erinnerung und Hoffnung, Glück und Trauer flossen in meinem Herzen zu einem einzigen feierlichen, wohligen Gefühl zusammen, Und diese unbewegte, frische Luft, diese Stille, die Kahlheit der Felder und der bleiche Himmel, von dem die hellen, doch kraftlosen Sonnenstrahlen niederschienen, paßten recht wohl zu meiner Seelenstimmung. Mir war, als müsse auch er, der an meiner Seite Schritt, meine Empfindungen begreifen und sie teilen. Er ging still und schweigend daher, und auf seinem Gesichte, das ich ab und zu verstohlen von der Seite betrachtete, lag ein ernster, zugleich Trauer und Freude verratender Ausdruck, der mit der Stimmung der uns umgebenden Natur wie mit den Empfindungen meines Herzens ganz im Einklang stand.

Plötzlich wandte er sich zu mir um. Ich sah, daß er etwas sagen wollte. »Wie, wenn er nun von etwas ganz anderem spricht als davon, woran ich jetzt denke?« ging es mir durch den Kopf. Er sprach von meinem Vater, ohne ihn auch nur zu nennen:

»Er sagte mir einmal im Scherz: heirate doch meine Mascha!« sagte er.

»Wie glücklich würde er heute sein!« versetzte ich und preßte seinen Arm, auf den ich den meinigen stützte, fester an mich.

»Sie waren damals noch ein Kind,« fuhr er fort, während er mir in die Augen schaute. »Ich küßte damals diese Augen und liebte sie nur darum, weil sie den seinigen glichen, und ich hätte nie geglaubt, daß sie mir einmal um ihrer selbst willen so teuer sein würden. Ich nannte Sie damals einfach Mascha.«

»Sagen Sie ›du‹ zu mir!« sprach ich.

»Ich wollte es soeben tun,« sagte er – »jetzt erst bin ich sicher, daß du ganz die Meine bist.« Und sein ruhiger, glücklicher Blick ruhte voll Innigkeit auf mir.

Wir gingen still den wenig ausgetretenen Feldweg entlang, der über das vom Vieh zertretene Stoppelfeld führte; kein Laut ertönte rings um uns, nur unsere Schritte und unsere Stimmen vernahmen wir. Auf der einen Seite zog sich über die Schlucht hinweg bis zu dem fernen, entblätterten Laubwald das unansehnliche braune Stoppelfeld, auf dem, seitwärts von uns, ein Bauer mit dem Pfluge einen breiter und breiter werdenden schwarzen Streifen aufwarf. Am Fuße der Anhöhe war eine Herde von Pferden zerstreut, die uns trotz der großen Entfernung in der klaren Luft ganz nahe schienen. Auf der andern Seite, wie auch vor uns, bis zum Garten und zu unserem Hause hin, dehnte sich schwarzes, schon bestelltes Ackerfeld, auf dem stellenweise bereits die grüne Wintersaat aufgegangen war. Auf alles das ließ die Sonne ihre herbstlich matten Strahlen fallen, und lange, zerfaserte Spinnenfäden zogen sich darüber hin. Sie flogen rings um uns durch die Luft, senkten sich auf das nach dem Nachtfrost wieder aufgetaute Stoppelfeld, flatterten uns in die Augen, blieben uns an Haaren und Kleidern hängen. Wenn wir sprachen, tönten unsere Stimmen so seltsam, und die Worte blieben gleichsam über uns in der unbewegten Luft hängen. Es schien, als seien wir ganz allein mitten in der ganzen Welt, allein unter diesem blauen Gewölbe, von dem die Sonne ihr zitterndes, leuchtendes, doch nicht wärmendes Licht herabströmen ließ.

Auch ich hätte wohl »du« zu ihm sagen mögen, doch wagte ich es noch nicht recht.

»Warum gehst du so schnell?« fragte ich endlich hastig, fast flüsternd, und errötete unwillkürlich.

Er ging nun langsamer und sah mich noch inniger, noch froher und glücklicher an.

Als wir zu Hause anlangten, war seine Mutter bereits da, und ebenso die Gäste, die wir hatten einladen müssen. Bis zu dem Augenblick, da wir nach der Trauung die Kirche verließen und in den Wagen einstiegen, der uns nach Nikolskoje bringen sollte, war ich nun nicht mehr allein mit ihm.

Die Kirche war fast leer; nur ganz flüchtig bemerkte ich seine Mutter, die hoch aufgerichtet auf einem Teppich neben dem Chor stand, dann Katja in einer Haube mit lila Bändern, helle Tränen in den Augen, und zwei oder drei Leute vom Hofgesinde, die mich neugierig betrachteten. Ihn sah ich nicht an, doch fühlte ich seine Nähe. Ich hörte nach dem Wortlaut der Gebete hin und wiederholte sie, doch fanden sie in meiner Seele keinen Widerhall. Ich konnte nicht beten und richtete mechanisch den Blick auf die Heiligenbilder, die Kerzen, das Kreuz auf dem Rückenteil des Meßgewandes, das der Priester trug, auf die Wand mit den Heiligenbildern vor dem Altar, auf das Kirchenfenster – und ich begriff nichts von dem, was ich sah. Ich fühlte nur, daß etwas Ungewöhnliches mit mir vorging. Als der Priester sich mit dem Kreuze nach mir umwandte, mich beglückwünschte und erklärte, er habe mich getauft und nach Gottes Fügung nun auch getraut, als dann Katja und seine Mutter uns küßten und Grigorij laut nach der Kutsche rief, da war ich ganz erstaunt und erschrocken, daß alles schon zu Ende war, ohne daß irgend etwas Außergewöhnliches, das dem von mir empfangenen Sakrament entspräche, sich in meiner Seele vollzogen hätte. Wir küßten uns, und dieser Kuß hatte etwas so Seltsames, unserem Gefühl Fremdes. »Ist das alles?« dachte ich unwillkürlich. Wir traten in die Vorhalle; das Geräusch der Räder tönte dumpf von der Kirchenwölbung wieder, ein frischer Lufthauch berührte mein Gesicht, er setzte den Hut auf und hob mich dann in den Wagen. Aus dem Kutschenfenster sah ich den kalten, von einem Dunstkreis umgebenen Mond.

Er nahm neben mir Platz und schlug die Wagentür hinter sich zu. Es ging mir wie ein Stich durchs Herz. Die Sicherheit, mit der er das alles tat, erschien mir verletzend. Ich hörte noch Katjas laute Stimme – sie sagte, ich solle das Tuch um den Kopf nehmen; dann rasselten die Räder über die Steinfliesen, bogen auf den weichen Weg ein, und wir fuhren davon. Ich drückte mich in die Wagenecke und blickte durchs Fenster auf die weiten, hell beleuchteten Felder und den Weg, der im kalten Mondschein über die Fluren hinlief. Ohne ihn anzublicken, fühlte ich doch, daß er da ganz dicht neben mir saß. »Das ist also alles, was dieser Augenblick mir gegeben hat, von dem ich so viel erwartet hatte?« dachte ich, und es schien mir so demütigend und kränkend, daß ich nun so allein ganz dicht neben ihm saß. Ich wandte mich nach ihm um und wollte ihm irgend etwas sagen. Aber die Worte wollten nicht über meine Lippen, und es war mir, als wäre nichts mehr von den früheren zärtlichen Gefühlen in meinem Herzen, und als sei an ihre Stelle ein Gefühl der Kränkung und der Furcht getreten.

»Ich habe es bis zu diesem Augenblick nicht für möglich gehalten, daß es so kommen könnte,« sagte er leise, gleichsam meinen Blick beantwortend.

»Ja, aber mir ist so bange ...« sagte ich.

»Vor mir ist dir bange, meine Liebe?« sprach er, nahm meine Hand und neigte sich über sie.

Meine Hand lag wie leblos in der seinigen, und mein Herz durchzuckte es schmerzlich kalt.

»Ja,« flüsterte ich.

Doch da begann mein Herz plötzlich stärker zu schlagen, meine Hand erbebte und ergriff die seine; es überlief mich heiß, meine Augen suchten im Halbdunkel die seinen, und ich fühlte plötzlich, daß ich ihn gar nicht fürchte, daß diese Furcht die Liebe sei, eine Liebe, noch zärtlicher und stärker als die frühere. Ich fühlte, daß ich ganz die Seine war, und daß ich glücklich war durch seine Gewalt über mich und mein Sein.


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