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Die Not in Deutschland wächst, das Brot wird schlechter, die Milch dünner, die Bauern jagen die Städter von den Höfen, die Hamsterer kehren mit leeren Taschen heim, die Soldaten an der Front, erbittert über das Prassen und Schwelgen der Etappe, über das Elend der Heimat, haben den Krieg satt. »Gleiche Löhnung, gleiches Essen, wär' der Krieg schon längst vergessen«, singen die Soldaten.
Vier Jahre haben sie an den Fronten im Osten und Westen, in Asien und Afrika gekämpft, vier Jahre dem Gegner widerstanden, im Schlamm und Regen Flanderns, im Giftdunst der wolhynischen Sümpfe, in der sengenden Glut Mesopotamiens.
In der Nacht vom 3./4. Oktober wird die Friedensnote an Wilson gesandt.
Dem deutschen Volk, das die Katastrophe nicht ahnte, öffnet das unerwartete Friedensangebot die Augen, so war alles umsonst, die Millionen Tote, die Millionen Krüppel, das große Sterben, das große Hungern, alles umsonst.
Der Sieg der bürgerlichen Demokratie, der das Friedensangebot begleitet, weckt keinen Widerhall, weder der Reichstag erkämpfte sie noch das Volk, sie wurde diktiert, wie die Brotkarte, wie die Kohlrübe. Und was hat sich denn sichtbar gewandelt? Das Klassenwahlrecht ist verschwunden, Liebknecht und die anderen politischen Gefangenen sind amnestiert, aber die Presse bleibt unterdrückt, Versammlungen bleiben verboten, die Generäle herrschen wie früher, die Minister entstammen der alten Machtkaste, die Rechtssozialisten Scheidemann und Bauer Staatssekretäre, Exzellenzen, du lieber Gott.
Nur an den Frieden denkt das Volk, es hat allzulange an den Krieg gedacht, allzulange an den Sieg geglaubt, warum sagte man ihm nicht die Wahrheit, wenn sogar die Generäle verzagen, wie sollte das Volk nicht verzweifeln, nur keinen neuen Kriegswinter, nur nicht wieder Hunger, wieder Kälte und ungeheizte Stuben, wieder Blut, das Volk hat genug gehungert, genug geblutet, es will Frieden.
Die herrschenden Männer, die jahrelang das Volk in blinden Gehorsam zwangen und die Fühlung mit ihm verloren, spüren seine Unruhe, seine Müdigkeit, seine Verzweiflung, aber sie denken nur an die Gefährdung der Monarchie. Wenn der Kaiser abdankt, glauben sie, ist die Monarchie zu retten. Das Volk schert sich den Teufel um die Monarchie, längst hat Wilhelm das Volk verloren, die Frage heißt nicht mehr Wilhelm oder ein anderer Kaiser, sondern Krieg oder Frieden.
Die Matrosen der Flotte, des Kaisers blaue Jungen, rebellieren zuerst. Die Hochseeflotte soll auslaufen, die Offiziere wollen lieber »den Untergang in Ehren als schmachvollen Frieden«, die Matrosen, die schon 1917 Pioniere der Revolution waren, weigern sich, sie löschen die Feuer, sechshundert Mann werden verhaftet, die Matrosen verlassen die Schiffe, stürmen die Gefängnisse, erobern die Stadt Kiel, die Werftarbeiter verbünden sich mit ihnen, die deutsche Revolution hat begonnen.
München folgt, Hannover, Hamburg, das Rheinland, Berlin. Am 9. November 1918 verlassen die Berliner Arbeiter die Betriebe, von Osten, Süden, Norden ziehen die Massen zum Zentrum der Stadt, alte ergraute Männer, Frauen, die jahrelang an den Drehbänken der Munitionsfabriken gestanden haben, Kriegsinvaliden, Knaben, die die Arbeit der Väter übernahmen. Fronturlauber stoßen zum Zug, Kriegswitwen, Krüppel, Studenten, Bürger. Nicht Führer haben die Stunde des Aufbruchs bestimmt, die revolutionären Obleute der Betriebe rechneten mit einem späteren Tag, die rechtssozialistischen Abgeordneten sind überrascht und bestürzt, sie waren dabei, mit dem Reichskanzler Prinz Max von Baden über die Rettung der Hohenzollern-Monarchie zu verhandeln.
Schweigend marschiert der Zug, kein Lied flammt auf, kein Jubel. Am Tor der Maikäfer-Kaserne hält der Zug. Die Tore sind versperrt, aus Fenstern und Scharten drohen Flintenläufe, Maschinengewehre. Werden die Soldaten schießen?
Aber die Feldgrauen sind die Brüder dieser ausgemergelten, verhungerten Massen, sie schleudern die Gewehre zu Boden, die Tore springen auf, das Volk dringt in die Kaserne und verbrüdert sich mit den Soldaten des Kaisers.
Die kaiserliche Flagge wird eingezogen, die rote Fahne gehißt, vom Balkon des Schlosses verkündet Liebknecht die deutsche sozialistische Republik.
Die herrschenden Gewalten weichen ohne Kampf, ohne Widerstand, die Offiziere ergeben sich, nur einer, in ganz Deutschland einer, der Kapitän des Schiffes »König«, hält seinem Kaiser die Treue und stirbt für ihn. Und was tun die Fürsten? Prinz Heinrich, der Bruder des Kaisers, bindet sich um den Arm eine rote Binde und flieht, der bayerische Kronprinz Ruprecht verläßt im rotbeflaggten Auto des Brüsseler Soldatenrats die Truppe, Wilhelm II. flieht nach Holland. Kläglich ist dieses Schauspiel, aber gefährlich für das Volk. Wollte es denn Revolution? Es wollte Frieden. Kampflos ist ihm die Macht zugefallen. Wird es lernen, die Macht zu bewahren?
Im Schloß zu Potsdam sitzt die Kronprinzessin, sie hat ihre Kinder um sich versammelt, sie denkt an das Schicksal Marie Antoinettes, an das Schicksal der Zarin, gleich werden die Revolutionäre das Schloß stürmen und sie umbringen samt ihren Kindern. Ein alter Diener meldet mit bleicher Stimme, der revolutionäre Soldatenrat von Potsdam wünsche Kaiserliche Hoheit zu sprechen, der Soldatenrat tritt ins Zimmer, an der Tür schlägt er die Hacken zusammen, nicht die Verhaftung verkündet er, ehrerbietig spricht er: »Im Namen des Potsdamer Soldatenrats soll ich Kaiserliche Hoheit fragen, ob sich Kaiserliche Hoheit sicher genug fühlen, auf alle Fälle hat der Rat von Potsdam bestimmt, daß zehn revolutionäre Soldaten den Schutz Eurer Kaiserlichen Hoheit übernehmen.« Spricht's, schlägt die Hacken zusammen und geht davon.
Ein Märchen? Der zweite Sohn der Kronprinzessin hat es mir erzählt.
»So sah eure Revolution aus«, sagte er.
In Hamburg besetzten die Unabhängigen das Gebäude der rechtssozialistischen Zeitung, zeternd laufen die Rechtssozialisten zum alten kaiserlichen Richter, der erläßt eine einstweilige Verfügung, mit dem Papier in der Hand stürmen sie ins Verlagsgebäude, die unabhängigen Revolutionäre lesen das Papier, sehen den Stempel der Behörde, erbleichen und verlassen mit knirschenden Zähnen das eroberte Haus.
Die deutsche Revolution fand ein unwissendes Volk, eine Führerschicht bürokratischer Biedermänner. Das Volk rief nach dem Sozialismus, doch nie in den vergangenen Jahren hatte es klare Vorstellungen vom Sozialismus gewonnen, es wehrte sich gegen seine Bedrücker, es wußte, was es nicht wollte, aber es wußte nicht, was es wollte. Die Rechtssozialisten und Gewerkschaftsführer waren versippt und verfilzt mit den Gewalten der Monarchie und des Kapitalismus, deren Sünden waren ihre Sünden. Sie hatten sich abgefunden mit dem bürgerlichen juste milieu, ihr Ideal war die Überwindung des Proletariers durch den kleinen gehobenen Bürger. Ihnen fehlte das Vertrauen zu der Lehre, die sie verkündet hatten, das Vertrauen zum Volk, das ihnen vertraute.
Am Tage nach der Revolution nahmen sie den Kampf auf, nicht gegen die Feinde der Revolution, nein, gegen ihre leidenschaftlichsten Pioniere, sie hetzten und jagten sie, bis sie zur Strecke gebracht waren, und quittierten den Dank in den Salons der feinen Gesellschaft. Sie haßten die Revolution, Ebert hatte den Mut, es auszusprechen.
Das Volk, durch die Monarchie ferngehalten von der Verwaltung seiner Geschicke, verzichtete jetzt freiwillig. Der Fuchsbau der alten reaktionären Bürokratie, anstatt ihn zu zerstören, wurde gehätschelt und gepflegt. Bald pfiff aus ihm die Antwort.
Den Offizieren wurden in den ersten Tagen die Achselstücke von den Schultern gerissen, das Volk wollte nicht einmal ihren Trägern wehe tun, es wollte das Symbol des Herrentums und des Kadavergehorsams zerstören, weil es mit sicherem Instinkt erkannte, daß in Symbolen Traditionen, Gefühle und Wünsche der herrschenden Klasse eingefangen sind. Bald waren die Offiziere wieder Herren und obenauf.
Ende Oktober war ich nach Berlin gekommen. Ich sprach in den Versammlungen der Bürger und Studenten, in denen Walter Rathenaus Aufruf zum nationalen Widerstand, zur Levée en masse umkämpft wurde. Mag der einzelne Mensch das Recht haben, den Freitod zu wählen, wahnwitzig ist es, ein Volk in den Selbstmord zu treiben, weil seine Führung versagt hat. Der Aufruf beschwört die sinnlose Verwüstung Deutschlands. Wir Heidelberger Studenten, erfahrener und reifer jetzt, haben uns wiedergefunden und versuchen, gegen diesen Wahnwitz zu kämpfen. Wir sehen die Revolution kommen und sammeln die Kameraden.
Am 9. November liege ich in Landsberg im Haus meiner Mutter mit schwerer Grippe. Während der Arzt mit bedenklicher Miene das steigende Fieber beobachtet, bringt die Schwester die Nachricht der Revolution. Am nächsten Tag fahre ich nach Berlin.
Hugo Haase, der Volkskommissar, schlägt mir vor, Georg von Arco, den man als Gesandten des Reichs nach München schicken will, als Sekretär zu begleiten. Aber inzwischen hatte Eisner mich eingeladen. –
Auch in Bayern war das Volk kriegsmüde, zur Kriegsmüdigkeit kam die Angst, daß italienische Truppen nach dem Zusammenbruch Österreichs in Bayern einmarschieren würden. Die Bauern hatten den Krieg in Frankreich und Rußland gesehen, sie dachten an die granatenzerwühlten Gräben, die zerschossenen Dörfer, die verwüstete Erde. Der traditionelle Haß gegen Preußen, gegen die Hohenzollern erwachte, mögen die den Krieg weiterführen, ohne sie. Vom Hause Wittelsbach erwarteten sie nichts mehr, der König, sagten die Bauern, hat sich von Berlin einwickeln lassen, würde er sich sonst nicht gegen die bürokratischen Kriegsgesellschaften, die agrarischen Zwangsmaßnahmen gewehrt haben? Weil's die in Berlin so haben wollen, dürfen sie in Bayern ihr Korn nicht mahlen, weil die Saupreußen schlechtes Bier trinken, müssen auch sie Spülwasser schlucken.
Eisner, mit psychologischem Instinkt, erfaßte die Stimmung des Landes, er gewann die Bauern und Arbeiter für den Sturz der Monarchie, gegen den Widerstand der Rechtssozialisten, die über die Bildung einer konstitutionellen Regierung verhandelten.
Kiel war das Fanal. Am 7. November zogen zweihunderttausend Menschen, voran Eisner und der blinde Bauer Gandorfer, von der Theresienwiese in die Stadt, der König flüchtete, die Revolution eroberte Bayern. In der Nacht wählte der Arbeiter-und-Soldaten-Rat Eisner zum Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern.
In München ernennt mich der Zentralrat der bayerischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, in dem ich viele Kameraden vom Januarstreik wiederfinde, zu seinem zweiten Vorsitzenden. In der Kleinarbeit des Tages lerne ich die mannigfachen praktischen Nöte der Bauern und Arbeiter verstehen.
Mitte Dezember fahre ich zum Rätekrongreß nach Berlin. Hier sollte sich endlich der politische Wille der deutschen Revolution zeigen. Welche Zerfahrenheit, welches Unwissen, welchen Mangel an Willen zur Macht beweist er!
Der deutsche Rätekongreß verzichtet freiwillig auf die Macht, das unverhoffte Geschenk der Revolution, die Räte danken ab, sie überlassen das Schicksal der Republik dem Zufallsergebnis fragwürdiger Wahlen des unaufgeklärten Volks. In jeder parlamentarischen Republik sind die Minister dem Reichstag verantwortlich, die Räte bestimmen, daß die Volkskommissare ohne die Kontrolle und unabhängig vom Willen des Zentralrats regieren mögen. Die Republik hat sich selbst das Todesurteil gesprochen.
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die Pioniere der Revolution, wollen vor den Räten sprechen. Der Kongreß lehnt ab, sie anzuhören.
Einen Monat später, beim Spartakusaufstand, der gegen Liebknechts und Rosa Luxemburgs Willen losbricht, werden beide erschlagen, auf der Flucht erschossen, sagt die amtliche Meldung. Die Nachricht erreicht mich in München, ich jage in eine Massenversammlung der Rechtssozialisten. »Liebknecht und Luxemburg sind ermordet«, rufe ich, und die Menge, die verblendete Menge, schreit: »Bravo! Recht ist ihnen geschehen, den Hetzern!«
In Bayern erschwert die Aktivität der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte der Reaktion die Sammlung. Sie findet Verbündete in den rechtssozialistischen Ministern, eine Bürgerwehr wird mit Hilfe Auers, der sie öffentlich fördert und bewaffnet, formiert. Diese Bürgerwehr ist der erste Bund, der die Kräfte der Konterrevolution organisiert, Vorläufer der Orgesch, des Stahlhelm, der Einwohnerwehr, der nationalsozialistischen Sturmtruppen. Eines Tages werden sie ihre Paten davonjagen. Neben der legalen Wehr arbeitet die illegale, Fabrikanten geben das Geld zur Bezahlung einer Söldnertruppe, die alten Offiziere haben wieder zu tun, sie hecken Pläne aus zur Besetzung der Regierungsgebäude, sie organisieren Spionagebüros und Sprengkommandos, sogar der Glocken- und Fliegeralarm wird vorbereitet. Wenn sie losschlagen, wollen sie sagen, sie müßten die Nationalversammlung vor den Bolschewisten schützen, in Wirklichkeit gilt ihr Putsch dem Sturz der Republik. Im provisorischen Nationalrat enthülle ich im Auftrag des Arbeiterrats die Pläne, die uns verraten waren. Die Bürgerwehr arbeitet im geheimen weiter, bald wird es sich zeigen.
Anfang Februar fahre ich mit Eisner nach Bern zum Kongreß der Zweiten Internationale. Mit welch inbrünstigen Hoffnungen glaubte das Proletariat aller Länder an diese Internationale.
Nie mehr würde es den Herren des Kapitalismus gelingen, Kriege zu entfachen und die Werktätigen zu blenden, nie mehr würde das Märchen vom angreifenden und angegriffenen Staat Glauben finden, die Völker sind nicht mehr folgsame Horden, sie sind erwacht und werden den Brudermord verhindern, eher werden sie die Gewehre umkehren, als neue Verbrechen an der Menschheit dulden.
Am 4. August 1914, am ersten Kriegstag, zerbrach die Zweite Internationale, weder die Führer band sie noch die Massen, ihren Ideen wahrten nur kleine Gruppen die Treue. Dem Rausch des Nationalismus hielt der internationale Gedanke nicht stand, der Chauvinismus triumphierte, die Proletarier aller Länder vergaßen die brüderlichen Schwüre und schossen aufeinander, nicht mehr die Menschheit war das Vaterland, sondern der kapitalistische Staat, nicht mehr der Bourgeois war der Feind, sondern der Genosse jenseits der Grenze, die Ideale der Vergangenheit waren stärker als die Ideale der Zukunft, die von der herrschenden Klasse gezüchteten Instinkte stärker als flüchtige intellektuelle Einsichten.
In Bern treffen sich die Schiffbrüchigen der Zweiten Internationale, sie haben nicht den Mut, ihren Bankerott zu bekennen und die politischen, moralischen und psychologischen Gründe dieses Bankerotts zu erforschen, sie verhandeln tagelang über die Kriegsschuldfrage, Munitionsminister, königliche Sozialisten, militärfromme Sozialdemokraten überhäufen sich mit Vorwürfen, alle suchen und finden die Sünden der andern und vergessen die eigenen. Eisner, Friedrich Adler, einige andere, die im Krieg zum Sozialismus sich bekannten, versuchen, die Zweite Internationale zu retten. Die Manifeste der Einigkeit verdecken nicht den unheilbaren Riß, Parteien, die wahrlich eine Welt gewinnen konnten, haben versagt und versagen weiter, hier zerschellt ein großer Glaube, eine große Menschheitshoffnung, hier scheiden sich Wahrheit und Lüge, neue Fundamente müssen gebaut, neue Formen, neue Wege gefunden werden.
Eisner hat mit seiner Berner Rede gegen den Imperialismus und gegen die Kriegsverbrecher den erbitterten Haß der deutschen Reaktion erregt. Auf dem Weg zum bayerischen Landtag töten ihn die Schüsse des einundzwanzigjährigen Grafen Arco-Valley.
Der Landtag wird eröffnet, da stürzt der Arbeiter Alois Lindner mit erhobenem Revolver in den Saal, schießt auf Auer, dem er die Schuld am Tode Eisners beimißt, schwer verwundet sinkt Auer zu Boden. In wilder Panik stieben die Abgeordneten davon, sie lassen das Parlament, das Volk, ihre Mandate, ihre Hüte und Mäntel im Stich, Bayern hat keine Regierung.
Ich war nach dem Berner Kongreß einige Tage zu Freunden ins Engadin gefahren, in St. Moritz sah ich die jeunesse dorée aller Länder, ein deutscher Dichter hatte eigens für sie ein Stück geschrieben, in stilechten Gewändern, mit Brillanten und Perlen behängt, schauspielerten sie Völkerfrieden und Versöhnung, Gespenster und Lemuren einer wesenlosen Zeit.
Am 21. Februar 1919 fuhr ich nach Bayern. Auf einer Bahnstation hörte ich draußen erregtes Rufen des Schweizer Bahnschaffners, drinnen kräftiges Bravo eines deutschen Spießers, verstand die Worte nicht, die an mein Ohr drangen und mußte endlich begreifen: Kurt Eisner ist ermordet.
Eisner war ein Mann von anderem geistigen Format als die Ebert, Scheidemann, Noske, Auer. Deutsche Klassik und romanischer Rationalismus haben ihn geformt und gebildet. Sein politisches Ideal war die vollkommene Demokratie, er verwarf die parlamentarische Demokratie, die das Volk einmal an die Urne führt, um es dann für Jahre auszuschalten. Von unten her sollte der Geist des Lebens und der Wahrheit als kritischer, belebender, anfeuernder Geist das Tagewerk der Gesellschaft durchdringen, darum bekannte er sich zur Rätedemokratie. Die Notwendigkeit raschen sozialen Neubaus erkannte auch er nicht. An die Spitze der Sozialisierungskommission, deren Einsetzung der Rätekongreß gefordert hatte, berief er Professor Brentano, den bekannten Freiwirtschaftler, in der ersten Sitzung dieser Kommission hielt er eine Aussprache, die die Industriemagnaten aufhorchen ließ, sozialisieren, sagte er, könne man nur, wenn etwas zu sozialisieren da ist, diese Voraussetzung fehlte in Deutschland.
Eisner haßte die Presse als eine Volkspest, sie belüge und verhetze die Völker, trotzdem, als einige Revolutionäre die Redaktion einer der übelsten Zeitungen besetzten, fuhr er persönlich in das Verlagsgebäude und sorgte für den Abzug der Eroberer. So stark war seine Verachtung der Journaille, so stark seine Achtung vor formaler Pressefreiheit. »Die Wahrheit«, schrieb er während des Krieges in einer Eingabe an das Münchener Generalkommando, »ist das höchste aller nationalen Güter. Ein Staat, ein Volk, ein System, in dem die Wahrheit unterdrückt wird oder sich nicht hervorwagt, ist wert, so rasch und so endgültig wie möglich zugrunde zu gehen.«
Der Moralist bekämpfte die Entwicklung in Berlin, er glaubte, daß die verantwortlichen Männer des alten Systems, die im Auswärtigen Amt weiterregieren und die Verhandlungen mit der Entente führen, den Frieden erschwerten, neue Männer, aufrechte Republikaner, die nicht teilhatten an der Schuld der Monarchie, seien nötig, sie würden mildere Friedensbedingungen für Deutschland erreichen. Er hegte die Illusion, daß Clémenceau der Vorkämpfer der europäischen Demokratie sei, er möchte ihn sprechen, ihn überzeugen, daß das deutsche Volk durch die Revolution zur Freiheit, zur Verantwortung gefunden habe, daß es ein Verbrechen an Europa wäre, dieses Volk durch einen grausamen Frieden zu erniedrigen. Clémenceau wies den Mittelsmann schroff zurück, ja er bedrohte ihn mit Verhaftung, weil er mit dem Feind konspiriere. Die französischen Regierungsmänner und Militärs dachten nicht daran, die deutsche Republik zu stützen, die einen hielten sie für ein Täuschungsmanöver der Machthaber von gestern, die andern fürchteten den Sieg des Bolschewismus und die Infizierung Frankreichs.
Eisner, zeit seines Lebens arm, bedürfnislos, lauter, war klein, von schmalem Wuchs, graublondes Haar fiel ihm wirr in den Nacken, ein wirrer Bart auf die Brust, die kurzsichtigen Augen sahen fremd über den tief unter der Nasenwurzel lose sitzenden Kneifer, die kleinen gepflegten Hände, von fraulicher Zartheit, erwiderten weder den Druck von Freunden noch von Feinden, diese Geste zeigte seine Scheu vor menschlicher Beziehung.
Eines unterschied ihn von allen anderen republikanischen Ministern, sein Wille zur Tat, sein Todesmut. Er wußte, daß ein Volk, ebenso wie ein Mensch, nur in täglicher Arbeit reift, aber nicht, wenn eine Mauer zwischen Leben und Tat gesetzt ist. Und er fürchtete nicht den Tod. Das fühlte das Volk, und darum glaubte es ihm. Talente und Gaben sind vielen gegeben, aber nur dem, der die Furcht vor dem Tod bewußt überwand, folgen die Massen.