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Mein Fürst!
Ich überreiche Ihnen dieses Werk, nicht nur, als dem trefflichsten Schriftsteller und Kunstrichter, sondern als einem, welcher Europa und besonders Frankreich vollkommen kennen gelernt hat, und von Frankreich ebenso sehr geliebt und vielleicht noch höher geschätzt wird, als vom ganzen übrigen Europa.
Ihr Ruhm ist in Feldlagern, an Höfen, in den geselligen Kreisen begründet. Ich würde mehr sagen, wenn ich nicht besorgen müßte, Ihre Bescheidenheit zu verletzen und die Geheimnisse eines Geschlechtes aufzudecken, welches wir beide noch immer verehren, obschon wir ihm nur von weitem noch Weihrauch streuen.
Ich will Sie aber nicht durch Lobeserhebungen in Verlegenheit setzen, welche der bloße Widerhall Ihrer Erfolge in allen Gattungen sein würden. Der Glanz, den Sie über Ihr Leben verbreitet haben, das Zarte Ihrer Gefühle, die Güte Ihres Herzens, die Schönheit und der Umfang Ihres Geistes stellen sich mir vor Augen. Ich dürfte die Züge nur ausmalen, aber ich übergehe Ihre vielen Vorzüge mit Stillschweigen, weil ihre Aufstellung für andere eine Wiederholung und für Sie ein Mißbehagen sein würde. ... Ich würde mir vielleicht Vorwürfe von Ihnen zuziehen.
Ich breche lieber ab, um Ihnen von den Gründen, die mich zu dieser Schrift bewogen haben, Rechenschaft abzulegen.
Ich schreibe die Geschichte meines besten Freundes – eines Freundes, von dessen Interesse ich das meinige längst getrennt habe; ich schreibe und rede von ihm, als wären wir nie unzertrennlich verbunden gewesen; ich schreibe ohne kindische Eitelkeit, ohne falsche Bescheidenheit; mit einem Worte, ich schreibe seine Geschichte, wie ich die Geschichte eines Unbekannten schreiben würde, dem ich weiter nichts als Wahrheit schuldig wäre. Aber, obschon die Laufbahn meines Freundes mit mehr außerordentlichen Ereignissen übersäet ist als die der meisten Menschen, so sind mir doch die Schicksale von Schriften, denen schon ihr bloßer Name (Memoiren) und die ungeheure Menge derselben, die seit einem Halbjahrhundert erschienen ist, Nachteil bringen, und die Gefahren, welche mit der Ausarbeitung derselben verknüpft sind, zu wohl bekannt, als daß ich die Versuchung, ein Werk dieser Art zu schreiben, nicht lange Zeit hätte bekämpfen sollen.
Sagt man wenig, so ist man unbedeutend und erregt kein Interesse; sagt man alles, so heißt es: man sei von sich eingenommen; und wer weiß, ob die verletzte Eigenliebe der anderen uns nicht Untreue und Verleumdung schuld gibt?
Ich habe die volle Ueberzeugung, daß ich die Feder niedergelegt haben würde, wenn ich bloß von dem Helden dieser Geschichte zu reden gehabt hätte; allein er hat mir erklärt – und man kann es mir aufs Wort glauben –: er ist von allem enttäuscht; er hat die Menschen und ihre Handlungen beobachtet; er hat mir seine Erfahrungen in der Einfalt seines Herzens mitgeteilt – eines Herzens, welches reiner ist als vieler, die sich's angemaßt haben, über ihn zu urteilen. Vielleicht werden die mir von ihm anvertrauten Gemälde die eigene Art und Manier eines Malers bekunden, welcher selbst gesehen, selbst zergliedert, nachgedacht und in der Wahl seiner Tableaus sein eigenes aufgestellt hat; vielleicht wird man es interessant finden, mit ihm die Hälfte einer Laufbahn durchzugehen, die in seinen Augen schon ganz vollendet ist.
Ich hätte meinen Freund vor der Gefahr warnen sollen, von sich selbst zu reden; ich habe es auch getan; aber er gab mir zur Antwort: eben deswegen wolle er nicht schreiben; er lege nicht Wichtigkeit genug auf seine Person, um es zu tun; er mache mich zu seinem Stellvertreter; ich würde ihm, wenn ich statt seiner die Feder führte, die Unannehmlichkeit ersparen, welche von Pascal so treffend »das Gehässige des Egoismus« genannt wird. Er setzte hinzu: diese Schrift wird nicht ohne Interesse für die heutigen Menschen und für die unglücklichen Zeiten sein, in welchen wir leben.Das Jahr 1804; – aber auch selbst noch, zwanzig Jahre später, für ein anderes Geschlecht und für glücklichere Zeiten. Uebers. Er sagte, und ich bin davon ebenso überzeugt als er: es sei ihm gleichgültig, was für ein Urteil man über sein Werk, in dem Augenblicke, wo es erschiene,Um so mehr, da seine Absicht war, daß es erst zwanzig Jahre nach seinem Tode erscheinen sollte. Uebers. sprechen würde. Er schloß mit der Versicherung: man habe sehr in ihn gedrungen (und das ist die Wahrheit!), diese Arbeit zu unternehmen.
Dieser letzte Grund schien mir nicht haltbar; denn die Eigenliebe soll nicht in die Schlingen fallen, die ihr von Gleichgültigen gelegt werden ... nicht einmal in die Netze, welche ihr die Freundschaft aufstellt.
Er sagte ferner: er glaube an ein Fatum, welches über alles walte; niemand dürfe darüber stolz sein, daß er dies oder jenes gewesen, dies oder jenes getan; nur die höchste Tugend, ein Geschenk des allerhöchsten Wesens, dürfe uns stolz machen; nur das Laster, ein Hang unserer Natur, könne uns demütigen, wenn wir uns das Zeugnis geben müßten, es nicht besiegt, wenigstens nicht bekämpft zu haben.
Mein Freund bemerkte noch: es sei mehr die Geschichte seiner Zeit (ein Abschnitt von 24 Jahren und darüber, wenn diese Schrift fortgesetzt werden sollte) als die seinige, welche er mir zu bearbeiten gebe; er glaube besser aufgefaßt, genauer beobachtet und erforscht, den Begebenheiten näher gestanden zu haben als viele andere, welche so schlecht gehört, so falsch und von weitem gesehen haben, und denen keine anderen Mittel und Quellen zu Gebote gestanden als öffentliche Blätter, lügenhafte Flugschriften, Märchen, Vorurteile, vorgefaßte Meinungen, verstümmelte, gehässige Berichte untergeordneter Personen, Antichambre-Geträtsch- und das ganze Heer von giftigen Verleumdungen, an deren Fortpflanzung ihre Verbreiter heimlichen Gefallen fanden, und die sie auch fortgepflanzt haben würden, wenn ihr Stil nicht von der Art gewesen wäre, daß er selbst vor Wahrheit Ekel erregt hätte.
Diese Gründe meines Freundes haben mich bestimmt.
Ihnen, mein Prinz, überlasse ich die Entscheidung, ob sie haltbar sind. Ich wähle Sie und eine kleine Anzahl von Lesern für jetzt, und die Nachwelt, wenn ja dieses Werk zu ihr gelangt, zu meinen Richtern.
Das Wenige, was ich Ihnen in Berlin daraus mitteilte, schien mir Ihren Beifall zu erhalten; Ihre gütige Nachsicht schenkte mir so viel Lob, daß es mich aufgemuntert haben würde, weiter zu schreiben, wenn mich auch eigene Gleichgültigkeit davon abgehalten hätte. Denn wer vermöchte wohl, Selbstverleugnung und Entsagung aller Eigenliebe so weit zu treiben, daß er sich über den Zauber des Beifalls der Kenner, welcher schon an sich die schönste Belohnung ist und den Erfolg verbürgt, wegsetzen könnte!
In diesem Werke ist, was die Persönlichkeit betrifft, nur Wahrheit vorhanden; in den darin aufgenommenen Berichten und Nachrichten anderer nur das, was man als wahr erkennt oder aufrichtig für wahr hält. Man hat mit eigenen Augen gesehen, eigene Erfahrungen gemacht, aus Quellen geschöpft, welchen die Tatsachen in ihrer ganzen Lauterkeit entflossen sind; oder man hat sich auf bewährte Berichte, auf rühmlich bekannte Zeugen, auf unverwerfliche Gewährsmänner und Beweistümer gestützt und verlassen.
Von dem, was mir nicht durchaus bekannt war, habe ich geschwiegen.
Täte jeder Schriftsteller dasselbe, so würden wir weit über die Hälfte weniger Bücher in einem Jahrhundert haben, wo der Bücherdruck zu einer der Weltplagen geworden ist.
Ich habe die Ereignisse, die sich unter meinen Augen zugetragen, mit eben der Unparteilichkeit und Ruhe behandelt und dargestellt, mit welcher ich Begebenheiten erzählt haben würde, welche vor Jahrtausenden vorgefallen sind. Jahrtausende sind über uns hingeeilt, und wir gehören schon der Geschichte zu.
Der Geschichte! Dieser unzuverlässigen Kompilation unserer flüchtigen Erscheinungen auf einem Erdball von Kot und Blut! – Der Geschichte! Die wir nicht einmal von dem kurzen Zeitraum schreiben können, dem wir angehören, und von welcher wir ganze Jahrhunderte in unsere Trugblätter aufnehmen!! – Der Geschichte! Welche wir bis auf die Geheimnisse der Natur, bis auf den verborgensten Plan ihres Urhebers erstrecken wollen!!!
Das Menschengeschlecht gleicht einem Wächter, welchen der höchste Werkmeister neben einen Feuerberg gestellt, und dem er den Auftrag gegeben, alles mit forschendem Auge zu bemerken. Der Wächter hat gesehen und bemerkt, wie sich der Erguß der Lava einen Weg gebahnt; er hat jeden Ausbruch des Vulkans, jede Richtung des Feuerstroms gesehen und bemerkt; besonders sind die letzten Erscheinungen in seinen Augen die furchtbarsten gewesen, weil sie ihm noch immer lebendig vorschweben; – aber was ist ihm vom Innern des Vulkans, vom Feuerstoff und dessen Erzeugung, von der Kraft, die ihn emporschleudert, von dem ungeheuren Mechanismus der Feueresse bekannt? Würde er nicht, ohne zu besserer Kenntnis gelangt zu sein, den Tag erreichen, wo der Berg sich selbst aufzehren, in sich zusammenfallen ... wo der Wächter und Beobachter selbst seine Asche mit der Asche des ausgebrannten Vulkans vereinigen wird? Dieser Vulkan ist die Welt! – Und so wird das ganze Menschengeschlecht, welches bis jetzt mit dem Verluste einzelner von der Natur vernichteter Geschlechter davongekommen ist, einst, ebenso wie der Staub, den es bewohnt, eine vollständige Vernichtung erleiden. Unsere politischen Verbrechen, unsere Rasereien, unsere Kriege, unsere Revolutionen, die beständigen Umänderungen alles dessen, was war, in das, was nicht war, sind einzelne Akte des langen Trauerspiels, dessen letzte Szene die Vernichtung des zertrümmerten Erdballs sein wird.
Und wir könnten noch irgendeiner Sache Gewicht geben und Wichtigkeit beilegen! Wir, die, erst gestern geboren, schon morgen dahinsterben , und eine Erde betreten, welche eben wie wir verschwindet! Wir könnten es wagen, einige Zeilen unserer Geschichte aufzuzeichnen, wenn alle Blätter des Lebens zerrissen sind, wenn das große Weltbuch selbst vertilgt wird und nichts als die Unermeßlichkeit des Nichts übrigbleibt!!
Gleichviel!
Obschon alles auf Erden uninteressant ist, ob man schon Mühe hat, sich den Reiz zu erklären, den es für uns haben kann, auf Trümmern und mitten unter Ruinen sein Andenken zu bewahren, so fühlt gleichwohl der Mensch den Trieb in sich, dem Tode einen Teil seines Raubes streitig zu machen, und einige Spuren seines Ichs und der Gedanken zurückzulassen, welche seine kurze Erscheinung im Leben angedeutet haben. Er hofft, seine Schriften werden ihn einige Tage überleben; es tut ihm wohl, mit dem Nichtsein zu ringen.
Diese Befriedigung ist vor allem der Lohn derjenigen, welche der Wahrheit treu blieben (wenn es ja überhaupt Wahrheit gibt). Mir werde dieser Lohn! Ich schreibe nur Wahrheit, mein Fürst; und finde mein Vergnügen daran, es zu wiederholen: ich schreibe nur Wahrheit! Rousseau sagte: Vitam impendere vero; ich sage statt vitam, – mortem: denn man ist tot, sobald man sich dem Publikum ganz hingegeben hat.
Dieses Buch wird zwei große Charaktere an der Stirne tragen:
Wahrheit, Unparteilichkeit.
Es wird noch einen ändern Vorzug haben; und zwar in einer Gattung, welche gewöhnlich die Klippe ist, woran obige beiden Charaktere scheitern; es wird ein Libell auf niemanden sein ... außer auf die, welche kein Libell mehr zu scheuen haben, weil ihr Name dem Strafgericht der öffentlichen Meinung anheimgefallen ist und die meisten unter ihnen als Todesopfer geblutet haben.
Wenn ich von den Lebenden rede, so habe ich Sorge getragen, daß niemand darunter leide. In den Fällen, wo der ausgeschriebene Name jemandem nachteilig werden oder nur zu Unannehmlichkeiten Anlaß geben könnte, habe ich ihn entweder ganz ausgelassen oder nur mit Anfangsbuchstaben angedeutet, damit er für den Leser ein Geheimnis bleibe. – Sollten diejenigen, die er bezeichnet, sich zum Teil wiedererkennen und darüber unwillig werden, so glaube ich doch nicht, von ihnen befürchten zu dürfen, daß sie ihren Verdruß an mir auslassen und mich in meiner Entfernung und meiner Einsamkeit aufsuchen werden.
Ich schließe diesen Brief, – denn ich werde ihn weder eine Vorrede, noch eine Zueignung nennen; jenes nicht, weil eine Vorrede meine Kräfte übersteigt, dieses nicht, weil eine Zueignung unter Ihrer Würde sein würde. Ich will diesen Zeilen lieber den Titel: Compte rendu geben, da sie sowohl als das ganze Werk ein Rechnungsabschluß der Gefühle meines Herzens, der Begebenheiten meiner Zeit, der Forschungen meines Verstandes und der Betrachtungen über mein Leben – oder vielmehr über das Leben meines besten Freundes sind; denn er und ich sind nur eines; ... und warum sollte er, dieser Freund, nicht in der Wirklichkeit sein? ... Warum sollten wir beide nicht zusammen existieren, wie Orestes und Pylades und so viel andere Helden aus jener schönen Freundschaftsperiode, in welcher sie, sozusagen, nur eine und dieselbe Person waren?Ich lasse hier eine Epistel folgen, welche ich vor achtzehn bis zwanzig Jahren an ihn, diesen Freund, richtete, um ihn von seinem Leichtsinn und seinen Unbesonnenheiten zu heilen. Diese Epistel ist zwar schon oft im Druck erschienen und noch neulich in eine Sammlung meiner Gedichte aufgenommen worden. Dennoch glaube ich, daß sie auch hier einen Platz einzunehmen verdiene.
Wie glücklich, mein Fürst, wäre der, welcher einen Freund, wie Sie, hätte und mit ihm durch das Leben gehen könnte! Er würde dieses seltene Glück mit der innigsten Dankbarkeit erwidern, sich der Leitung eines solchen Freundes überlassen und seinen höheren Talenten und seiner aufgeklärten Anhänglichkeit ganz vertrauen.
Ein solcher Freund und Gefährte Ihres Lebens (denn die Freundschaft muß früh im Leben anfangen und nur mit dem Leben aufhören) würde Ihnen Gefühle ausdrücken dürfen, welche ich hier zu äußern mich nicht für berechtigt halte; er würde Ihnen aber diejenigen, die ich mit ihm teilen darf, nicht lebhafter und treuer schildern können als ich – die Gefühle der Bewunderung, der Anhänglichkeit und der innigsten Ehrfurcht.