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Die wissenschaftliche Erforschung des menschlichen Sexuallebens, seiner Bedeutung für die Kultur und für den Entwicklungsprozeß der menschlichen Gesellschaft, ist noch in den Anfängen, sie hat erst seit wenigen Jahrzehnten begonnen und ist von der spezielleren rein medizinischen zur allgemeineren sexualpsychologischen und anthropologischen Betrachtungsweise fortgeschritten, die nicht bloß dem Standpunkte des Arztes, sondern auch demjenigen des Anthropologen, Psychologen und Kulturhistorikers Rechnung trägt und so die Fundamente für eine künftige biologisch-soziologische Sexualwissenschaft auf breiterer Basis errichtet.
Für den Sexualpsychologischen liefern Geschichte, Völkerkunde, individuelle und soziale Psychologie, Anthropologie (einschließlich Kriminalanthropologie) und Kulturgeschichte ein ebenso wertvolles und grundlegendes Material wie die Medizin. Die notwendige Sexualreform der zivilisierten Gesellschaft, insbesondere die Ausrottung der Prostitution und der Venerie, kann sich nur auf die echte sexualpsychologische Erkenntnis der allgemeingültigen Erscheinungen im Sexualleben der Menschheit gründen, wie sie überall, unter den mannigfaltigsten äußeren Verhältnissen, zu verschiedenen Zeiten und bei den verschiedensten Völkern zutage treten.
Unter diesem Gesichtspunkte ist die »Sexualpsychologische Bibliothek« begründet worden, so soll sie beurteilt werden. Herausgeber und Verleger bieten in den sechs Bänden der ersten Serie und in den geplanten weiteren eine Sammlung von wertvollen, aber in Deutschland wenig bekannten und für die wissenschaftliche Sexualforschung noch fast gar nicht ausgenutzten Beiträgen zur Sexualwissenschaft, die durchweg aus der Feder anerkannter Forscher des Auslandes stammen – für die späteren Serien sind auch deutsche Originalbeiträge in Aussicht genommen – und das in Frage stehende Gebiet in origineller Weise bereichern, sei es in kulturgeschichtlicher, ethnologischer, anthropologischer oder in psychologischer und soziologischer Beziehung.
Die »Sexualpsychologische Bibliothek« wird aber nicht nur dem Forscher eine brauchbare Grundlage für die unerläßliche Sammlung des Quellenmaterials bieten, sie wird auch darüber hinaus jedem Gebildeten Einblick gewähren in die großartige Fülle der Probleme, der verschiedenartigsten Anschauungen und Erscheinungen auf dem Gebiete des Sexuallebens und seiner vielseitigen sozialen Beziehungen.
Möge sie ihren wesentlichen Zweck, eine unbefangene Würdigung der sexuellen Fragen zu fördern, für die dringend notwendige neue Sexualreform den Weg zu bahnen, anstatt des engen geistigen Horizontes große, weite, gesunde und ideale Gesichtspunkte zu entwickeln, wie wir sie in dem Kampfe gegen Prostitution und Venerie, gegen Korruption und Heuchelei so bitter nötig haben, möge sie diesen Zweck in weitestem Umfange erfüllen!
Charlottenburg, den 22. September 1909.