Ludwig Tieck
Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Ludwig Tieck

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Caput XVII.

Einrichtung der Schulen zum Besten des Vaterlandes.

Es sahen die Schildbürger aber sehr wohl ein, daß nicht bloß kräftige Arme und geschliffene Schwerter der Sache den Ausschlag geben würden, sondern daß Kriegeswissenschaft und Staatskunst, so wie die übrigen Wissenschaften, in ihrer jetzigen Lage fast unentbehrlich wären. Sie nahmen daher in der Eil eine Reform der Schulen vor, um schnell noch große Männer zu erziehen, die dem Vaterlande und der Menschheit Nutzen brächten.

Die Jugend ward daher zusammengetrieben und mußte Tag und Nacht in den Lehrstunden aushalten; da gab es keine einzige Wissenschaft, über die nicht etwas Weniges wäre gelehrt worden und von der die Schüler nicht etwas begriffen hätten. Um das ganze Werk desto schneller umzutreiben, hatte man den Staatskniff gebraucht, auch unwissende Leute zu Lehrern anzusetzen, damit diese doch eine Gelegenheit fänden, von denen Sachen etwas zu lernen, über die sie Unterricht ertheilten.

Man sah auch bald die Früchte dieser weisen 78 Einrichtung. Es war kein zehnjähriger Knabe in Schilda, der nicht auswendig herzusagen wußte, was Menschheit und Aufklärung sey, warum die Monarchie zu verwerfen, die Republiken im Gegentheil anzuempfehlen seyen, was Bürgerpflicht auf sich habe, und dergleichen mehr. In Quinta urtheilte man über die großen Heroen des Alterthums ab, und in Quarta fing man schon an, die Existenz Gottes und der Tugend zu bezweifeln. Dann fing man schnell an verliebt zu werden und Metaphysik zu treiben, und so wurde man zwar nach und nach, aber doch immer schnell genug, ein heller Kopf und großer Mann. Ja, als die Zeit am Ende so genau zugeschnitten war, daß man jede Minute sparen mußte, so brachte ein Vater manchmal seinen Sohn in die Schule, und wenn er ihn nicht abmüßigen konnte, wartete er indessen draußen eine halbe Stunde, bis er ihn als vollendeten Gelehrten zurückempfing.

Man hatte, um dieses durchzusetzen, eine sehr heilsame Encyklopädie der Encyklopädie erfunden, die kompendiöseste Bibliothek aus der kompendiösen Bibliothek. Wenn man einen jungen Menschen in die Lehre bekam, so brachte man ihm zu allererst eine große Verachtung gegen viele Wissenschaften bei, dann ein festes Zutrauen zu sich selber, und den Glauben, daß die übrigen Menschen nur Dummköpfe gegen ihn wären, war diese Medicin vorangeschickt, so ward es einem solchen nachher leicht, es bis zu einer merklichen Originalität zu treiben, um nach wenigen Wochen ein fast zu großer und genievoller Mann zu werden.

Dies ist die Auflösung von dem, was Vielen als ein Räthsel, oder gar als eine fabelhafte Tradition vorgekommen ist, daß man nämlich in der Schule zu 79 Schilda Alles, und zwar in einer sehr kurzen Zeit, habe erlernen können.



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