Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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In jener Stadt, in welcher der verschwenderische Rath Helbach lebte, war ein großes Fest, zu dem sich alle Schwelger, die gut zu essen wußten und Leckerbissen kannten, versammelt hatten. Der Rath selbst war die Seele dieser Gesellschaften, er galt ihnen als Gesetzgeber und er war es auch, der diesen Schmaus angeordnet hatte.

Man näherte sich dem Beschluß der Mahlzeit, einige der Gäste, die Geschäfte hatten, entfernten sich schon, die Gesellschaft ward stiller, und nur am obern Ende der Tafel, wo der Rath und einige der wissenden Speiser saßen, war das Gespräch noch laut. Glauben Sie mir, meine Freunde, sagte der Rath sehr lebhaft, die Kunst zu essen, die Bildung, die sich der Mensch hierin geben kann, hat eben so gut ihre Epochen, ihre classischen Zeiten, ihre Verderbniß und Verdunkelung, wie alle übrigen Künste, und mir scheint 252 es, daß wir uns jetzt wider einer gewissen Barberei nähern. Schwelgen, Uebermaß, Seltenheiten, neue Moden, das zu Gepfefferte, zu Gewürzreiche, alle diese Sachen, meine Herren, sind es, die jetzt nur so oft einem Gastmahle sein Lob bereiten, und doch sind es gerade diese Dinge, von denen sich der denkende Esser mit Geringschätzung verachtend abwenden wird. Es ist überhaupt in diesem Felde noch viel zu leisten, und das, was wir vom alten Schwelger Heliogabal und ähnlichen aus den Zeiten des entarteten Römerstaates lesen, und das viele Menschen mit dumpfen Erstaunen erfüllt, verdient unser Mitleid.

Es ist wohl überhaupt schwer, sich von den Speisen und Leckerbissen einer frühern Zeit, so fing ein andrer an, eine deutliche Vorstellung zu machen. Kocht man nach übriggebliebenen Recepten, so muß es wohl immer abgeschmackt ausfallen, so wie jenes Gastmahl, das uns Smollet so launig in seinem Peregrine Pickle schildert.

Es fehlt immer, antwortete der Rath, der Handgriff, auf welchen doch alles ankommt, das seine sichre Maß, das nur aus dem Instinkt hervorgeht, und dann an der Bearbeitung des Feuers, dessen reifende Eigenschaft sich niemals beschreiben läßt, sondern das jeder Koch nur durch lange Erfahrung, Takt und Beobachtung in seine Gewalt bekommen kann, vorausgesetzt, daß er zum Koch geboren ist. Das Wichtigste aber ist, daß unsre Zunge und Gaumen von Kindheit an zu bestimmten Empfindungen, Sympathieen und Antipathieen erzogen und gebildet sind, und daß oft das Beste, Richtigste und Edelste, wenn es, als Neuling, als noch Ungeschmecktes, scharf eintritt und sich dieser Störung des Vorurtheils widersetzt, oft verkannt und gelästert wird, bis fortgesetztes Studium alsdann auch das Fremde einbürgert, und oft von dieser neuen Erkenntniß die heilsamsten 253 Einflüsse und Belehrungen wieder auf andre alte und neuerfundene Speisen übergehn, so daß sie dem Gaumen eine neue Saite aufziehn, die vielseitig und reizend tönt. Aber auch die Vorwelt, die Bildung unsrer Voreltern spielt in diese Tastatur unsers schmeckenden, prüfenden und genießenden Wesens hinein, und wie in der Philosophie und Wissenschaft, in Staatsgeschichte und Verwaltung ist hier ein Continuum, das uns aus früher Vorzeit schon so und nicht anders gestimmt hat, welche Stimmung nur nach und nach, nicht durch Revolution, kann und soll modifizirt, aber niemals von Grund aus umgestürzt werden. Geschichte ist für den Menschen das Höchste.

Sie sollten selbst, sagte der Gast, eine solche Geschichte von den Nahrungsmitteln, der Kunst des Essens, und den geistigen Fortschritten derselben schreiben.

Wenn man selbst, antwortete der Rath, praktisch, so gern wie ich, und so viel arbeitet und sich neue Erfahrungen nicht gereuen läßt, so muß man dergleichen wohl den müßigen und mehr beobachtenden Leuten überlassen. Man kann nicht alles leisten wollen, ohne die ächte Thätigkeit zu hemmen und zu verkürzen.

Warum, fing jener wieder an, das ewige Schelten auf die Sinnlichkeit: warum gestehn sich die Menschen so selten, und auch dann nur ungern, die Freuden am Essen und Trinken?

Weil sie, sagte der Rath Helbach, eben nicht wissen, was sie wollen. Es ist mir immer merkwürdig und seltsam vorgekommen, daß in dem runden Kästchen, in welchem alle unsre feineren Sinne eingefugt und aufbewahrt liegen, und dem zugleich oben das Denkvermögen, die geistigen und edelsten Arbeiten der Seele anvertraut sind, dicht darunter die roth ausgelegte Schieblade eingesetzt wurde, mit seinen 254 Warzen, die wie Kleinodien die tönende und zitternde Zunge und Gaumen belegen, vorn mit arbeitenden und schneidenden Zähnen versehn und vom anmuthigen Munde beschlossen. Speisen ist nur ein andres Denken. So wird nun in dieses Kästchen alles, was an feineren und gröberen Essenzen erschaffen ist, Duft und Saft, das anschmiegende und feine Oelige, das scheinbar widerstrebende Knuspernde, das sich schnell in Wohllaut auflösende Geistige, auf die Capelle gebracht und geprüft. Nun knirren und schneiden die Zähnchen, die so geschwätzige Zunge wälzt und handhabt das Zermahlene, drückt es freundlich und mittheilsam an den Gaumen, um ihm Freude zu machen und selbst zu genießen, und wenn der zärtlichen Bemühung genug geschehen ist, schiebet sie es fast unwillig endlich hinten dem schluckenden Freunde zu, der eigentlich den wahren Genuß davon hat, aber nur einen Moment, den höchsten, und der es nun, sich aufopfernd, einer andern Kraft resignirend übergiebt. Nun fängt zum zweiten, zum drittenmal das Spiel an. Ich habe noch von keinem sich quälenden Anachoreten gehört, daß er die Lust des Speisens, und wenn er nur Brod genoß, hätte hindern wollen. Auch hat die gütige Natur dafür gesorgt, daß es so gut wie unmöglich ist.

Fein bemerkt! erwiderte der Speisende.

Wir sehn auch, fuhr der Belehrende fort, wie diese Operation des Zehrens, Essens, Zerbeißens und Verschlingens von der Natur in allen Reichen so wichtig genommen, und ganz vorzüglich berücksichtigt ist. Wo blieben alle die Thiergeschöpfe auf Erden, die umschweifenden Vögel der Luft, und die Massen der großen und kleinen Bildungen des Wassers und der Meere, wenn jeder nicht einen Wechsel, auf Sicht zahlbar, auf den andern erhalten hätte? Es wechselt ja nur der zwiefältige Prozeß, hervorzubringen und zu 255 verschlingen. Der König der Schöpfung, der Mensch, steht nun als Krone und Endpunkt dieser vielgestalteten Gäste. Jene Subalternen, die einer auf den andern, oder auf Pflanzen angewiesen sind. schauen ihn mit bewundernder Ehrfurcht an, denn nicht blos dieses und jenes, nicht bloß Thier oder Pflanze, nicht bloß Fisch oder Wild, nein, fast alles ohne Ausnahme weiß er, sich an allen seinen Untergebenen beglückend, zu verspeisen. Nur seines Gleichen, und mancher dienenden Vasallen, oder deren, die aus Vorurtheil oder in der That übel schmecken, enthält er sich. Mit Feuer, das ihm gehorcht, mit starken Geistern, Fett, Oel und Gewürz, Pflanze und Thier, alles künstlich gemischt und chemisch verarbeitet, erschafft er dem Gaumen wundersame Erzeugnisse. Indessen oben das Auge weint, das Gehirn ob dem Auge rührende Sachen denkt, oder sich und das Herz an Erhabenheit begeistert, die Nase, über Hyacinthenflor gehalten, der Phantasie die süßesten Bilder der Sehnsucht erweckt, lüstert und züngelt schon unten der Mund nach dem Braten, oder der Leckerpastete, die vorüber getragen wird. Das empfindsame Fräulein füttert gerührt ihre Täubchen, und derselbe Mund, der ihnen aus Gedichten die artigsten Verse und Idyllen vorspricht, verspeiset dieselben unschuldigen Wesen nachher mit vielem Wohlgeschmack. Könnten die Thiere, so wie wir, beobachten, und es stünde einmal ein Dichter unter ihnen auf, mit wie seltsamen Farben müßte ein solcher den Menschen malen können.

Ja wohl, sagte der Freund, ein solcher, auf den Menschen zurückgedrehter Spaß müßte sehr ergötzlich seyn.

Wir sprechen fuhr der Rath Helbach fort, von Universalität, und in der Kunst, wo uns die Natur selbst angewiesen hat, universell zu seyn, ich meine in der des Essens, verschmähen es so viele, und meinen, sie sind edler, wenn 256 sie die ganze Wissenschaft mit Verachtung behandeln. Und doch fliegt der Schwarm der Zugvögel, schwimmen die wandernden Fische nur für unsern Gaumen in das Netz, und Luft, Klima und ferner Welttheil geht im Genuß in unserm Innern auf. Wer empfindet nicht in den Austern, wenn der Sinn für sie ihm geworden ist, alle Kraft und Frische des Meeres? O Spargel, wer dich nicht zu genießen versteht, der weiß nichts von den Geheimnissen, die die träumende Pflanzenwelt uns offenbart. Kann man was von der Weltgeschichte oder Poesie wissen, wenn man in allen diesen Naturgefühlen ein Fremdling ist, und nicht einmal den Werth einer Schnepfe oder gar eines Steinbutt zu würdigen weiß? –

Die übrigen Gäste hatten sich schon entfernt, die Mahlzeit war völlig beschlossen, und nur der Rath Helbach und seine beiden näheren und vertrauteren Freunde waren sitzen geblieben, um diese und ähnliche Gespräche zu führen. Ich bewundere, fing der eine an, Ihre frische Jugendlichkeit, die Sie sich erhalten, Ihren fröhlichen Muth und diesen poetischen leichten Sinn. Wir übrigen alle sind so alt geworden und die Jahre drücken uns so schwer, indessen Sie noch scherzen und der Genuß Ihnen immer neu und reizend bleibt.

Wir sind jetzt unter uns, sagte der Rath, und darum darf ich wohl etwas aufrichtiger zu Vertrauten sprechen. Es ist wahr, dieser sinnliche Genuß erfreut mich und kann mich zu Zeiten über vieles trösten. aber ich bin der leichtsinnige Mann nicht, für den Sie mich halten, bin es vielleicht niemals gewesen. Fast jeder Mensch hat eine Maske, und so ist dies die meinige. Ich bewege mich bequem und leicht in ihr, und darum sehn sie so viele für meinen Charakter an. Meine Jugend war sehr traurig, ich konnte meine Eltern, die zu deutlich alle ihre Schwächen, ihre Verschwendung und Eitelkeit, mir und der Welt zeigten, nicht achten 257 und das ist für den Jüngling das fürchterlichste Gefühl. Denn Armuth und Elend, Entbehrungen aller Art lassen sich viel leichter ertragen: jenes Unglück aber zerbricht das Herz, bevor es noch ausgewachsen ist. So mußte ich denn reich seyn, verschwenden, hoffärtig mich betragen. Treibe man nur etwas eine Zeit lang zum Schein, so wird es bald ein Theil unsers Wesens werden. Man ahme den Stotternden eine Weile nach, und man muß sich schon sehr zusammen nehmen, nicht im Ernste zu stammeln. Ich liebte, und war im Begriff, ein ganz andrer Mensch zu werden, denn meine Leidenschaft war ernst und heftig. Aber, neue Trübsal. Das edle Wesen, das auch bald meine Gattin wurde, konnte ihr Herz niemals zu mir neigen. Die stärkste Leidenschaft muß erlöschen, wenn sie keine Erwiederung findet, und der Mensch hat dann schon genug gethan, wenn sich sein schönstes Gefühl nicht in Haß und Bosheit umsetzt. Mich warf es wieder in meinen scheinbaren Leichtsinn zurück, und um nur mein Unglück nicht zur Schau zu tragen, so wie meine sonst treffliche Frau, die dieser Schwäche nur zu sehr nachgab, ergab ich mich den tobenden Gelagen, der lauten Freude und unnützen Gesellschaften. Es ist oft ein Trotz in uns, halb edel und nicht ganz zu verwerfen, der die stärkere Natur von der Bekehrung und vom Besserwerden abhält, so sehr uns auch das Gewissen dazu ermahnt. Je unglücklicher ich mich fühlte, je mehr spielte ich den Glücklichen. Als mein Sohn geboren war, zog sich meine Gattin ganz von mir zurück und verkannte mich oft vorsätzlich. Ganz widmete sie Liebe und Sorgfalt dem Kinde, lebte nur für dieses, und bildete ihm Launen und Eigenwillen so stark aus, daß sie selbst am meisten darunter litt, und doch nicht Kraft genug besaß, den boshaften Eigensinn wieder zu brechen, den sie selbst dem Wesen erst anerzogen hatte. Mein Rath 258 wurde nicht gehört, es war schon angenommen, daß ich das Kind so wenig lieben könne, wie ich sie verstehe und achte. Mir blutete das Herz, und doch konnte und durfte ich nicht mit Gewalt durchgreifen, wollte ich nicht vor ihr und der ganzen Welt für einen Unmenschen gelten, da ich schon Tyrann, gefühllos, leichtsinnig hieß, und aus Gewohnheit so nachgegeben hatte, daß ich mir selber oft so erschien. So wurde mein Sohn mir ein Fremdling, vorsätzlich und mit Kunst in allen seinen Gefühlen von mir entfernt, aber die zu weiche, zu leidenschaftlich liebende Mutter gewann nichts dabei, denn sie verlor ebenfalls das Herz des entarteten Wesens, auf das sie, als der Knabe erwachsen war, gar keinen Einfluß mehr haben konnte. Wie wild und unbändig er sich gezeigt hat, wissen Sie ja, wie elend die Mutter geworden ist, ist bekannt, aber mein Leben, Freunde, ist auch ein verlornes.

Ein Diener trat hastig ein, und rief den Rath ab, weil er nothwendig eiligst nach Hause kommen müsse, denn etwas Wichtiges sei vorgefallen.



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