Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Am folgenden Tage ließ Balthasar den jüngern Freund zu sich entbieten. Als er sein Zimmer verschlossen hatte, fing er an: Sie sind der einzige Vertraute eines Verhältnisses und einer Begebenheit, die mich gestern so tief erschütterte, daß es mir unmöglich war, Ihnen etwas darüber zu sagen. Da ich Sie aber ganz wie meinen Sohn betrachte, so bin ich Ihnen auch schuldig, Ihnen etwas mehr von mir und meiner Geschichte zu entdecken, als noch irgend ein sterblicher Mensch erfahren hat.

168 Sie setzten sich, der Alte gab dem jüngern Freunde die Hand, die dieser herzlich drückte, worauf er sagte. Sie können an meiner Liebe und Freundschaft nicht zweifeln, und was Sie mir mittheilen, ist bei mir eben so verborgen, wie im verschweigenden Grabe.

Ich habe Sie lange beobachtet, sagte der Alte, und kenne Sie. Wir haben bis jetzt wenig mit einander gesprochen, ich bin jetzt gezwungen, meine Sitte gegen Sie zu ändern und zu brechen, denn es liegt mir auch daran, daß irgend ein Wesen mich kennt und versteht.

Eduard war gespannt, und der Alte fuhr mit zitternder Stimme fort: ich bin noch so bewegt, die gestrige Erschütterung wirkt noch in allen meinen Organen so fort, daß Sie Geduld mit meiner Schwäche haben müssen. – Daß mein Leben kein freudiges ist, daß ich auf alle jene Erholungen und Genüsse, um derentwillen die meisten Menschen eigentlich nur leben, längst verzichtet habe, müssen Sie schon seit lange bemerkt haben. Von Jugend auf bin ich dem Vergnügen aus dem Wege gegangen, mit einem Gefühl, das ich fast Furcht nennen möchte. Von einem strengen Vater erzogen, der in der größten Dürftigkeit lebte, war meine Jugend und Kindheit nur Leid und Trauer. Als ich größer war, diente mir mein wachsender Verstand nur dazu, das Elend meiner Eltern, so wie den Jammer der ganzen Erde um so deutlicher wahrzunehmen. Kein Schlaf kam oft viele Nächte durch in mein Auge, indem meine Thränen flossen. So gewöhnte sich meine Phantasie, die ganze Welt nur wie eine Strafanstalt anzusehen, wo Jammer und Noth jedem beschieden sei, und diejenigen, die der Armuthseligkeit des Lebens enthoben waren, fast um so schlimmer an einer blödsinnigen Verblendung litten, in der sie weder ihren 169 Beruf noch das allgemeine Schicksal erkannten, sondern nur in nüchterner Freude und verächtlichem Wohlleben dahin und dem Grabe entgegen taumelten. Nur ein Stern schien in diese trübe Nacht hinein, aber auch eben so unerreichbar, wie ein Himmelsgebild, jene Elisabeth, mir verwandt, aber reich, vornehm und für Glanz und Genuß erzogen. Ein Vetter, Holbach, noch reicher und übermüthiger, war ihr bestimmt, unsre Familie sah jene so hochmüthigen Anverwandten fast niemals, und mein strenger Vater besonders haßte sie und sprach nur mit Ingrimm von ihrer Verschwendung. Diesen Haß trug er auch auf mich über, als er meine stille und heftige Neigung entdeckte. Er gab mir seinen Fluch, wenn ich nur an jenes schöne und liebe Wesen denken wolle. Es währte auch nicht lange, so ward sie jenem übermüthigen jungen Manne vermählt, und ein Reichthum floß zum andern, und erschuf eine so vornehme Haushaltung, daß die ganze Stadt die Herrlichkeit dieses Lebens beneidete. Dieser Bruder meiner Mutter, der seinen Sohn so reich ausgestattet hatte, schämte sich unserer Armuth so sehr, daß er meine Eltern nicht einmal zur Hochzeit lud, was den Kummer und Verdruß meines schon tief gekränkten Vaters so vermehrte, daß er an den Nachwehen dieser Verletzung starb. Die arme Mutter folgte ihm bald. Von mir selbst will ich schweigen. War mir das Leben bis dahin finster erschienen, so verwandelte es sich jetzt in ein Gespenst, dessen gräßliche, verzerrte Mienen und Blicke mich erst entsetzten, und mich nachher in kalter Gewöhnung alles, mich selbst aber am meisten, verachten lehrten. Elisabeth hatte um meine Leidenschaft gewußt. Sie hatte sich nicht bemüht, so selten wir uns auch sahen, ihre Neigung, mit welcher sie mir entgegenkam, zu verbergen. Wenn sie auch nicht so, wie ich, allen Freuden abgestorben war, so blieb ihr ganzes Dasein doch 170 verschattet und von schweren Wolken bedeckt. Sie hat nachher genug gelitten. Der Mann war ausgelassen und ruchlos, er verschwendete Tausende aus Eitelkeit und geringen, verwerflichen Absichten. Es ist, als wenn manche elende Menschen eine Art von Bosheit und Haß gegen das Geld fühlten, so daß sie die wunderlichsten Anstalten treffen, es auf allen Wegen von sich zu jagen, wie der Geizige es mit unverständiger Liebe hegt und pflegt, und sich von seinem Götzen erdrücken läßt. Elisabeth war schwach genug, dem Mann ihr Eigenthum unbedingt zu übergeben, sich als Mitschuldnerin, als der Credit schon gesunken war, zu erklären, und so ist denn Elend, Verwirrung, Haß und Zank in demselben Hause, in welchem alle Götter des Olymp eingekehrt schienen, um ewige Freude zum Geschenk zu bringen. Der elende Gatte, der Rath Holbach, hat sein Letztes als Leibrente verkauft, ohne auf Gattin und Sohn Rücksicht zu nehmen. Dieser Sohn ist wie von den Furien begeistert, unbändig, wild und ohne Gefühl, er hat Schulden gemacht, dann betrogen, und endlich vor zwei Jahren die weinende Mutter, die ihn ermahnen wollte, in seiner thierischen Wuth mit Schlägen gemißhandelt. Nach dieser großen That ist er in alle Welt gelaufen. Der Vater aber schwelgt und lacht, verzehrt an gutbesetzten Tafeln sein Einkommen, das noch reichlich seyn mag. So kam sie zu mir, ihren Stolz, ihre Gefühle unterdrückend, um durch mich eine Schuld tilgen zu lassen, die sie in Schmach und Gefängniß würde geführt haben. Schon seit zwanzig Jahren wünscht sie zu sterben, lebt aber, sich zum Grauen und keinem Menschen zur Freude. – Senden Sie ihr vierteljährig tausend Thaler; sie hat mir versprochen, weder jetzt noch künftig den ruchlosen Mann von dieser Hülfe etwas wissen zu lassen.

Eduard sah den tiefen Gram des Alten und schwieg 171 lange, endlich fing er an: wie konnte aber Herr Eliesar so hart seyn, Ihnen nicht jene Briefe mitzutheilen?

Ich that Unrecht, erwiederte der Alte, ihn neulich deshalb zu schelten. Er handelt in meinem Namen, und weiß recht gut, daß ich schwach und weich bin; die näheren Umstände kannte er nicht und that also nur, was ihm obliegt. Weiß ich doch auch nicht einmal, ob ich recht gethan habe, indem ich meinem zerrissenen und tief erschütterten Herzen folgte, denn sie ist doch vielleicht nicht stark genug, dem Elenden zu verschweigen, was geschehen ist; bleibt er doch ihr Gatte und nächster Angehöriger. Sie, zum Beispiel, weil Sie mich lieben, aber mit weichem Sinn, weil die Noth Sie rührt, würden anders, besser handeln, aber wahrscheinlich auch, wenn ich mich ganz in Ihre Hände geben sollte, mich verziehen und verderben, denn es ist nichts so Gefährliches im Menschen, als seine Eitelkeit, die aus allem Nahrung zieht.

Was nennen Sie Eitelkeit? fragte Eduard.

Alle unsere Gefühle, antwortete der Alte, die besten, redlichsten, weichsten und beglückendsten, ruhen auf diesem Giftboden. – Doch davon ein andermal mehr. – Ich wollte Ihnen nur kürzlich sagen, wie ich zu meinem Vermögen gekommen bin, wie mein Wesen sich so gebildet hat, wie Sie mich haben kennen lernen. Nach dem Tode meiner Eltern erfüllte ich meines Vaters letzten Wunsch und verband mich mit einem Mädchen, das auch durch weitläufige Verwandtschaft zu unsrer Familie gehörte. Sie war arm, unversorgt, ohne Schutz: verkümmert aufgewachsen und ohne alle Bildung, dabei häßlich, und ihr zänkischer, finsterer Charakter so, daß ich keine vergnügte und nur wenige friedliche Stunden mit ihr verlebte, so lange sie mit mir war. Meine Lage war fürchterlich.

172 Aber warum? fragte Eduard.

Weil ich es meinem Vater versprochen hatte, fuhr Balthasar fort: und weil es mein Grundsatz ist, der Mensch müsse nie seine Leidenschaften, am wenigsten die der Liebe befriedigen. Ich bin der Ueberzeugung, unser Leben sei Qual und Angst, und jemehr wir diesen Gefühlen entfliehen wollen, um so fürchterlicher rächt sich späterhin unsere Flucht. Warum es so ist; wer kann es ergründen?

Dieser Glaube, erwiederte Eduard, ist höchst sonderbar und widerspricht allen unsern Wünschen, ja der alltäglichen Erfahrung.

O, wie wenige Erfahrungen müssen Sie dann noch gemacht haben, erwiederte der Alte. Alles lebt, bewegt sich, um zu sterben und zu verwesen; alles fühlt nur, um Schmerzen zu finden. Die innere Qual treibt uns zur sogenannten Freude, und alles, was Frühling, Hoffnung, Liebe und Lust den Menschen vorlügen, ist nur der umgekehrte Stachel der Pein. Leben ist Schmerz, Hoffnung, Wehmuth, Nachdenken und Besinnen Verzweiflung.

Und finden wir nicht, sagte Eduard etwas furchtsam, wenn alles so wäre, Trost und Hülfe in der Religion?

Der Alte sah auf und dem jungen Mann starr ins Angesicht; sein finsterer Blick erhellte sich, aber nicht freudig oder gerührt, sondern ein so wundersames Lächeln lief über das bleiche, faltenreiche Antlitz, daß es fast wie Hohn aussah, und Eduard unwillkührlich an die Worte des Bergmanns dachte.

Brechen wir davon heute ab, sagte der Alte mit seiner gewöhnlichen finstern Miene, es findet sich wohl ein andermal Gelegenheit, darüber zu sprechen. So lebte ich denn meine Verdammniß fort, und das Andenken an Elisabeth schien freundlich, aber peinigend, in meine Hölle hinein. 173 Der Wahnsinn des Lebens hielt mich aber fest, auch meine Stelle in der großen Irrenanstalt einzunehmen, und meine Rolle unter dem großen Zuchtmeister durchzuspielen. Man sagt, daß wir im Tode geheilt sind: andere hoffen wieder, aus einer Anstalt in die andere versetzt zu werden, Ewigkeiten hindurch Narren zu bleiben, und am Schein als flüchtige Wesen verloren zu gehn. Mit wenigem Gelde, es ist lächerlich, wenn ich die Summe nennen wollte, manche brauchen so viel, um sich einmal zu sättigen, fing ich ein kleines Geschäft an. Es gedieh. Ein kleiner Handel ward unternommen. Er gerieth. Ich trat mit einem vermögenden Mann in Verbindung. Es war, als wenn ich allenthalben erriethe und fühlte, wo Gewinn und Vortheil in fernen Gegenden, in unscheinbaren, oder mißlichen Unternehmungen schlummerten. So erzählt man von der Wünschelruthe, daß sie auf Metalle, auf Wasser einschlägt. Wie manche Gärtner eine glückliche Hand haben, so gerieth mir im Handel jede, auch die unwahrscheinlichste Spekulation. Es war weder Verstand, noch tiefe Kenntniß, sondern nur Glück. Man wird aber verständig, wenn man Glück hat. Mein Compagnon war erstaunt, und da er hier einen kleinen Besitz hatte, so zogen wir in diese Gegend, wo wir bis zu seinem Tode die Geschäftsgebäude und Fabriken vermehrten. Als er starb, und ich mich mit den Erben auseinander setzte, konnte ich schon für einen reichen Mann gelten. Aber ein Grauen kam mir mit diesem sogenannten Besitz. Denn welche Verantwortung, ihn gut zu verwalten! Und warum hatten so viele redliche Menschen Unglück, da mir so unbegreiflich alles einschlug? Nach vielen Leidensjahren starb auch meine Frau; ohne Kinder, ohne Freunde, war ich wieder allein. Wie sehr mich das blinde Wesen, was die Menschen Glück nennen, begünstigte, können Sie aus folgendem 174 Umstand sehn. Es war immer mein Abscheu, Karten oder ein andres Spiel um Geld zu spielen. Denn was thut der Mensch, als erklären, daß das elende Wesen, was ihm als Geld schon so wichtig ist, ihm noch zum Orakel, zu einem göttlichen Ausspruch erhöht werden soll? Nun setzt er Herz und Gemüth auf diese Einbildung; wechselnder Zufall, der Aberwitz selbst soll ihm in ersonnenen Verschlingungen heraus rechnen und klügeln, was er werth, wie er begünstigt sei: die dunkeln Leidenschaften erwachen, wenn er sich von diesem Zufall vernachlässigt glaubt, er triumphirt, wenn er sich begünstigt wähnt, sein Blut fließt schneller, sein Gehirn braust, sein Herz schlägt gewaltsam, und er ist unglücklicher, als der Rasende, der an Ketten liegt, wenn jene Karte, auch die letzte endlich, gegen ihn aussagt. Sehn Sie, da ist der König der Schöpfung in seinem geflickten Bettlerhabit, den er für einen Königsmantel hält.

Der Alte lachte fast, und Eduard erwiederte: so ist aber alles Leben zwischen Wahn und Wahrheit, zwischen Schein und Wirklichkeit auf einer schmalen Linie hinlaufend.

Meinethalben, rief Balthasar. Doch lassen wir das. Ich wollte Ihnen nur erzählen, wie ich mich in seinem letzten Jahr von meinem Compagnon bereden ließ, einmal in die benachbarte Lotterie zu setzen. Ich that es gegen mein Gefühl, weil diese Anstalten mir die strafwürdigsten scheinen. Durch sie autorisirt der Staat Straßenraub und Mord. Erhitzt sich doch der arme Mensch schon von selbst für den Gewinn übermäßig. Ich hatte die Erbärmlichkeit schon vergessen, als man mir den Gewinn des großen Looses meldete. Diese Summen ließen mir gar keine Ruhe. Was der Pöbel von bösen Geistern fabelt, das war mir mit diesen Geldsäcken ins Haus gekommen. Von diesem unseligen Capital ist drunten, zwei Stunden von hier, das Spital für alte, 175 kranke Frauen fundirt, woraus mir elende Zeitungsschreiber ein so großes Verdienst haben machen wollen. Was hatte ich denn dazu gethan? Nicht einmal einen Federstrich. Nun begreifen Sie, wie neue Gewinne und Capitalien, die mir aus allen Unternehmungen zuströmten, mich zwangen, neue Entreprisen zu machen, und wie das immer so fort, und mehr ins Große gegangen ist. Und so giebt es keine Ruhe und Rast, bis der Tod endlich das letzte Punktum für diesmal anfügt. Dann fängt natürlich ein anderer da zu rasen an, wo ich aufgehört habe, und seinem Aberwitz kommt vielleicht jener Unsichtbare in der Gestalt des Unglücks entgegen.

Eduard war verlegen. Sie sind, fuhr der Alte fort, meine Worte und Ausdrücke noch nicht gewohnt, weil wir über diese Gegenstände noch niemals gesprochen haben, Sie kennen meine Art zu denken noch nicht, und weil Ihnen diese Gefühle, diese Blicke in das Leben hinein noch neu sind, so verwundern Sie sich. Glauben Sie, guter Mensch, man wird nur darum nicht wahnsinnig, weil man so stillschweigend mit dem Strome schwimmt, weil man immer fünf gerade seyn läßt, und sich in das Unabänderliche fügt. Indessen hilft auch noch eine andere Cur und hält so hin. Man macht sich feste, unerschütterliche Grundsätze, eine Art zu handeln, von der man niemals abgeht. Geld, Vermögen, Erwerb, der Umschwung und die Strömungen des Eigenthums und des Metalles nach allen Richtungen hin und durch alle Verhältnisse des Lebens und der Länder ist eine der allerwunderlichsten Erfindungen, auf die die Welt gerathen ist. Nothwendig, wie alles, und da die Leidenschaft sich dieses Wesens am heftigsten bemächtigt hat, so hat es auch ein Ungeheuer aus ihm erzogen, mehr Chimäre und fabelhafter, wie alles, was eine toll erhitzte Phantasie 176 nur je hat träumen können. Dies Ungeheuer also verschlingt und zehrt immerdar, unersättlich, nagt und knirscht am Gebeine Verschmachteter und säuft ihre Thränen. Daß in London und Paris vor dem Pallast, in welchem ein Gastmahl tausend Goldstücke kostet, ein Armer verhungert, der mit dem hunderten Theil eines Goldstückes gerettet wäre; daß Familien in wilder Verzweiflung untergehen, Selbstmord und Raserei im Zimmer, und zwei Schritt davon Spieler in Golde wüthen, alles das ist uns so natürlich und geläufig, daß wir uns nicht mehr wundern, daß jeder kaltblütig genug meint, es müsse so, es könne nicht anders seyn. Wie nähren die Staaten, und sie können nicht anders, dieses Geldungeheuer auf, und richten es zum Wüthen ab. In manchen Gegenden kann nur noch oben das Capital wachsen, indem es unten die Armen noch mehr verarmt, bis denn der Verlauf der Zeit das trübselige Exempel einmal ausrechnen und das schreckliche Facit mit blutiger Feder durchstreichen wird. – Als ich mich nun so reich sah, hielt ich es für meine Pflicht, so viel ein Mensch es kann, diesen Reichthum abzurichten und das wilde Thier zu bändigen. Gewiß ist die Schöpfung zum Jammer bestimmt, sonst würden nicht Krieg, Krankheit, Hunger, Schmerz und Leidenschaft so wüthen und zerstören. Dasein und Qual ist ein und dasselbe Wort, indessen muß doch jeder, der nicht selbst ein böser Geist im Muthwillen seyn will, das Elend mildern, so viel er kann. Es giebt keinen Besitz, in dem Sinn, wie die meisten ihn annehmen, er soll nicht seyn, und ihn festhalten zu wollen, ist ein gottloses Bestreben. Noch schlimmer, durch den Einfluß des Reichthums Unglück verbreiten. So verwalte ich denn den meinigen, indem ich der Landschaft aufhelfe, den Armen Arbeit gebe, die Kranken versorge, und durch immer vermehrte Thätigkeit es dahin zu 177 bringen suche, daß recht viele ohne Thränen und Reue ihr Brod essen, sich an ihren Kindern und ihres Geschäfts freuen, und, so weit mein Auge und Arm reicht, nicht so viel die Schöpfung verflucht wird, als in andern Dörfern und Städten.

Der Segen, den Sie verbreiten, warf Eduard ein, muß auch Sie beglücken. . . .

Segen? wiederholte der Alte und schüttelte das Haupt. Alles ist ja nur ein Tropfen im Meer. Wie bald müssen auch die jüngsten Kinder sterben; diese Zeit, diese Jahrhunderte und Jahrtausende, wie verlachen sie unsere morschen Gebäude, diese Vergessenheit, wie triumphirt sie allenthalben aus Moder und Schutt, diese Vernichtung, die alle Gebilde so schadenfroh und unempfindlich zerstampft. So habe ich nun heut auch die gute Elisabeth getröstet. Aber kann ich sie wohl trösten? Ihr Schicksal, ihr Leben geht immer mit ihr, die verlorne Jugend, daß sie sich einem schlechten Menschen weggeworfen, daß sie einen Tiger als Sohn der Welt geboren hat. Im Traume kehrt dies Gefühl wieder, im Schlaf und Wachen, und auch in jeder Fiber, daß sie mich einmal geliebt hat, wohl noch liebt, und mein Unglück im Herzen nun mit zum ihrigen trägt. Nicht wahr, – daß ihr nun einmal ein Bissen besser schmeckt, – daß sie einmal, vielleicht bei einem albernen Buch, sich vergißt, sich an Schicksalen freut, für Leiden interessirt, die nur schwache Schatten der ihrigen sind – in diesem rührenden Blödsinn lebt sie vielleicht etwas getröstet in einzelnen Minuten? Das ist was Großes, daß ich ihr das habe leichtern können! Aber das Gefühl, daß von meiner sogenannten Wohlthat weder Mann noch Sohn, der Sprosse ihres eigenen Bluts und Leibes, doch auch ihres Geistes, etwas wissen darf, wenn ihr Elend nicht dadurch 178 wachsen soll – fühlen Sie nicht, wie erbarmenswerth dies, und alles Leben ist? – Doch brechen wir ab, erzählen Sie mir lieber etwas Neues.

Eduard berichtete ihm, daß Wilhelm sich wieder schleunig, und ohne Ursach entfernt habe. Es ist mir lieb, antwortete der Alte, ich habe ihn immer für unsern Dieb gehalten, durch die Finger gesehen, um ihn nicht ganz zu stürzen, aber es muß doch einmal ein Ende damit haben. Ich habe ihn geliebt, und eben darum um so mehr gehaßt.

Wie das? fragte der junge Mann.

Je nun, erwiederte jener, thöricht genug zog seine Physiognomie mich an, der weiche Ton seiner Rede, sein ganzes Wesen. Diese wunderliche Sympathie verfolgt uns ja immerdar. Ich machte viel aus ihm, und da ich mein Herz auf dieser Thorheit ertappte, so strafte ich mich, daß ich einen rechten Widerwillen gegen den Menschen faßte, wie wir immer gegen alles thun sollen und müssen, was uns recht gefällt.

Eduard wollte weiter fragen, aber die schlagende Uhr rief ihn an sein Geschäft, und er ging mit vielen Gedanken, als der Alte ihn beurlaubt hatte, von diesem, um in Ruhestunden dem sonderbaren Gespräch weiter nachzusinnen.



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