Ludwig Thoma
Der Ruepp
Ludwig Thoma

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Achtes Kapitel

Von der Apollonia Amesreiter war in Weidach etliche Stunden nach ihrem Begräbnisse kaum mehr die Rede, und beim Ruepp auf der Leiten machten sie kaum eine Ausnahme.

Der Bauer ging zum Bürgermeister ins Dorf hinunter und überbrachte ihm eine Pappschachtel, die er sorgsam verschnürt hatte.

»Es san der Loni ihre Sachen, a paar Gebetbüacher und so, und aa'r a Geld,« sagte er. »I hab's net zählt und will nix z' toa hamm damit. Zähl's no du und g'halt's bei dir. Du werst nacha scho wissen, wia ma de G'schicht macht, daß all's in Ordnung is, und ob ma was g'richtsmaßig toa muaß. I liefer's bei dir ab und möcht nix mehr z' schaffen hamm damit . . .«

Der Bürgermeister, der Ablbauer von Weidach, war ein ruhiger Mensch, der kein Wort zuviel sagte und sich nicht übereifrig zeigte.

»Wenn's d' willst, nacha zähl i 's Geld. Es waar aber net notwendig g'wen; es hätt mir aa g'langt, wenn du mir g'sagt hättst, so und so vui is da, und na hätt ma ja g'sehg'n, ob no was übrig bleibt nach de Leichenkost'n . . .«

»Wia is na dös mit'n G'richt?«

»I woaß dir's aa net g'nau z' sag'n; i muaß halt de Todesanzeig eini schick'n, und bei dera G'legenheit schreib i dazua, ob was da is . . .«

»Ah so . . . jetzt zähl'n mir amal. Mach nu du d' Schachtl auf, i will da ganz unbeteiligt sei,« sagte der Ruepp und zeigte sich als Ehrenmann, der eine ehrfürchtige Scheu vor fremdem Gut hat.

Es machte aber keinen sichtlichen Eindruck auf den Abl, der den Spagat zerschnitt und die Schachtel öffnete.

Ein paar Rosenkränze, ein paar Gebetbücher, dürre Blumen, ein Wachsstock kamen zum Vorschein; dann eine bunte Schachtel und ganz zuletzt ein Briefkuvert.

Die kleine Schachtel war ziemlich voll.

»Mach s' no auf und zähl!« sagte der Ruepp. »I rühr nix o davo.«

Der Abl schüttete das Geld auf den Tisch; harte Taler, einige Goldstücke und auch kleinere Münze; es machte zusammen etwas über hundertundsiebzig Mark aus.

Und im Kuvert waren zwei Hundertmarkscheine.

»Dös waar also jetzt mitanand dreihundertvierasiewaz'g Mark und zwoaravierzg Pfenning. Mehra is net da?« fragte der Abl.

»Was soll denn no da sein?« fuhr der Ruepp auf. »Du hast ja selm d' Schachtel aufg'macht und hast zählt!«

»I frag di ja grad nebenbei. Was woaß denn i? Es kannt ja no a Schachtl da sei . . .«

»Wenn no oane da waar, hätt i dir s' bracht, net wahr? Mi will do nix z'ruckhalt'n!«

»Sagt do koa Mensch. Also, nacha san dös also dreihundertvierasiewaz'g Mark und zwoaravierzg Pfenning. Viel is ja net.«

»Was soll denn a Deanstbot vui hamm? De andern hamm dös net.«

»Freili net. Natürli . . .« sagte der Abl mit unerschütterlicher Ruhe, und er schien die etwas seltsame Gereiztheit des Ruepp gar nicht zu bemerken.

»Da werd aber nix mehr übri bleib'n, bal de Leichenköst'n zahlt san. Voraus net, wann ma der Alt'n a Grabkreuz ausstellt. Für an Stoa werd's a so nimma g'langa.«

»Den übernimm i; da gibt's nix.«

»Dös is a schön's Wort,« sagte der Abl, der die Geldstücke wieder in die Schachtel und die Banknoten ins Kuvert steckte. »Dös is lobenswert.«

»D' Loni is a richtige Person g'wen und war so lang bei ins, daß sie eigentli zum Haus g'hört. Da laßt ma si net o'schaug'n weg'n de paar hundert Markl.«

Der Ruepp war recht bieder, wie er das sagte, und auch ein bissel großartig.

»So,« sagte der Abl, indem er den Deckel auf die Schachtel stülpte. »Dös nimmst jetzt wieder mit.«

»Ja, i will dös Geld net bei mir hamm . . .«

»I ko's scho gar net da g'halt'n,« erwiderte der Bürgermeister. »I zahl do de Leut net aus, de für d' Leich was zum verlanga hamm. Dös is dei Sach.«

»Ja so . . . No ja, für dös ko i's ja wieda mit hoam nehma. Und daß i net vergiß, dös will i aa no o'geb'n, was von der Alt'n G'wand da is. A guat's für d' Feiertag, und a paar Röck und Spenser für d' Werktäg, und a weng a Wäsch. Muaß i dir a genau's Verzeichnis z'sammaschreib'n lassen?«

»Für mi? G'wiß net. I sag dir ja, mi, als Bürgermoasta, geht de G'schicht weida nix o.«

»I möcht aber mei Ordnung und möcht a Genauigkeit. Da laß i mir nix nachsag'n.«

»Ja mei, wann Erben da san, und du kennst de Betreffenden, nacha schickst eahna halt dös G'wand.«

»I woaß nix von Erben. Es is amal so an abg'hauster Mensch bei der Alt'n g'wen, aber sie hat selm nix von eahm wissen woll'n, weil er grad aus'n Zuchthaus kemma is. I woaß wohl net, wo der is, oder ob er überhaupts no lebt.«

»Nacha laßt as G'wand im Kast'n hänga. Vielleicht kimmt amal wer.«

»Is mir eigentli zwida, daß dös net glei richtig g'macht werd.«

»I ko mi do erst recht net drum kümmern.«

»Mhm . . . ja . . . und nacha schickst du a Schreibets an's G'richt, daß du allssammete richtig befunden host . . .«

»I schreib, daß de Loni bei dir im Haus g'storben is, daß du mir o'geb'n hast, es san dreihundert und etla siewaz'g Mark da und net mehra, und daß von dem Geld höchstens de Leichenköst'n zahlt wer'n kinna.«

»O'geb'n, sagst du. I hab dir do 's Geld bracht, und du host as selm zählt.«

»Ganz richti. I hab dös zählt, was du mir bracht hast. Und du hast mir g'sagt, daß dös alls sammete ist. Net wahr? Dös hoaßt ma o'geb'n . . .«

»So? No ja, mit dena Sachen kenn i mi z' weni aus. I will gar nix, als daß all's sei Ordnung und sei Richtigkeit hat. Und auf's G'richt, moanst d', brauch i nacha überhaupts nimma?«

»I glaab net. Aba wissen tua'r i's aa net. Wann's d' eini müassest, kriagast scho a Botschaft . . .«

»Aba . . . ja . . . und na hab i jetzt weiters nix mehr z' toa?«

»Bei mir net. Aba die Schachtl muaßt mitnehma . . .«

»Richtig . . . ja . . . zählt is ja 's Geld, net wahr? Und nacha bfüad di!«

Der Ruepp ging und konnte glauben, daß er beim Bürgermeister den Eindruck eines sorgsamen, peinlich genauen Hausvaters und eines ungemein ehrlichen Mannes hinterlassen habe.

Allein es ließ sich nicht sagen, ob der Abl das auch so recht hingenommen hatte, denn er war ein trockener Mensch, der sich oft ganz hintere Gedanken machte, aber sie alle heimlich bei sich behielt.

Auf dem Heimweg ließ der Ruepp recht viel von seiner Großartigkeit nach und hörte auf seine innere Stimme, die ihm Zweifel und Befürchtungen vorhielt.

Hätte er nicht sagen sollen, daß ihm die Alte Geld geliehen hatte?

Und gleich dazusetzen, daß er's nach der Vereinbarung heimzahlen könne, wenn es ihm gut paßt?

Wenn er das erst hinterdrein vorbrachte, nachdem seine Schuld auf andere Weise offenbar geworden war, dann fand es am Ende keinen Glauben mehr.

Wenn er's jetzt gleich frischweg angegeben hätte, dann wär sicherlich wegen des andern Geldes kein Verdacht aufgekommen, und es hätte besonders ehrlich ausgesehen, wenn er sich selber gemeldet hätte, obwohl kein Schuldschein vorhanden war.

Aber halt auf? Hernach hätte er doch zum Gericht gehen müssen, und wenn man ihm das mit der beliebigen Heimzahlung nicht geglaubt hätte, wenn der Zuchthäusler einen Streit angefangen hätte, was dann?

Außerdem, da war noch etwas.

Hätte er dem Ablbauern eingestehen sollen, daß er Geld von einem Dienstboten geliehen habe? Dann war's im Dorf herumgekommen. Nein, da war's schon viel besser, abwarten, ob er's überhaupt angeben mußte, und wenn, nachher bloß beim Gericht und nicht beim Bürgermeister, der ihn darum schief angeschaut hätte.

Vielleicht blieb die ganze Geschichte verschwiegen und vergessen.

Das wär freilich das Beste gewesen und auch das Richtige.

Der Ruepp war ein feiner Denker, der einer Sache schon auf den Grund gehen konnte.

Es war doch gewiß und ausgemacht, daß der letzte Wille der Loni der war, ihr Sach dem Michel zu hinterlassen, und vor allem, es dem schlechten Kerl nicht zu geben.

Das mit dem Michel gab sich leicht, und dem andern hatte er jedenfalls das Bargeld aus den Zähnen geräumt.

Und er hatte, wenn er das genau überlegte, das Gefühl einer guten Tat, oder doch ein ähnliches, und das bewirkte, daß er alle Bedenken überwand und lebfrisch und zuversichtlich dahinschritt.

Er wollte auch seiner Bäuerin den Kopf zurechtsetzen, denn ihr wortkarges und verdrossenes Wesen, das sie seit dem Tode der Loni angenommen hatte, paßte ihm gar nicht.

Sie ging ihm aus dem Weg, gab ihm beinahe nicht an, wenn er was sagte, und er war viel gesprächiger, wie jemals.

Aber sie vermied es, mit ihm allein zu sein; sie ging aus der Kuchel, wenn er sie gerade einmal ohne die Leni antraf, oder sie rief der Magd und machte sich was zu schaffen.

Ganz auffällig war es, wie sie jedes Gespräch mit ihm vermied oder mit mürrischen Worten abwies.

Er mußte mit ihr auf gleich kommen, und so trat er jetzt daheim recht sicher und laut auf, wie er die Bäuerin allein in der Küche antraf.

Sie griff schon wieder nach einem Wasserschaff und wollte in den Hof hinaus.

»Halt! Halt! Da bleibst!«

»I muaß zum Brunna außi.«

»Nix da! Dös ko'st danach aa toa. Mir hamm jetzt amal was zum Dischkrieren mitanand.«

»I wußt nix . . .«

»I hab 's Geld wieda mitbracht vom Burgermoasta . . .«

»'s Geld?«

Sie fragte es mit einer sonderbaren Betonung.

»Jawohl. 's Geld!« wiederholte er grob. »Du werst scho so guat sei und werst mi amal o'hör'n. Also, daß i's glei sag, de Schachtel von der Alt'n, de hebst jetzt du auf . . .«

»I?«

Sie schrie es beinahe.

»I rühr de Schachtel net o. Mit koan Finga!«

»Wos host denn du? . . .«

»I rühr s' net o . . .«

Sie ging zur Türe, aber der Ruepp stellte sich ihr in den Weg.

»Jetzt laß amal mit dir red'n . . . Dös is ja grad, als wann mir it z'sammg'hör'n tat'n . . .«

»Mit dem hab i nix z' toa . . .«

»Mit was?«

»Über dös ko ma gar it red'n . . .«

»Jo, du muaßt red'n, dös verlang i . . .«

»I mag net . . .«

Sie war so aufgeregt, daß er ihr jetzt sanft zuredete.

»Hock di her und horchst amal mit Ruah auf dös, was i sag . . .«

Sie setzte sich widerwillig auf eine Bank, und man sah es ihr an, daß sie nicht im Sinne hatte, zu bleiben.

»Siehgst, daß mir dös Malör g'habt hamm, leider, daß de Alt so g'schwind wegg'storb'n is, durch dös, siehgst, müassen mir do schaug'n, daß all's a so geht, wia sie's woll'n hat, und bal mir trachten, daß ihr Will'n g'schiecht, nacha tean do mir nix Unrecht's, sondern im Gegenteil, net wahr. Was sagst?«

Sie sagte nichts.

Sie hörte bloß deutlicher wie sonst, daß er log, daß alles falsch war, was er sagte.

Der Ruepp stellte sich an den Herd und war zu einer langen, eindringlichen Rede aufgelegt.

Unterm Sprechen fielen ihm neue Gründe ein, lauter schöne und ganz unwiderlegliche.

Er war jetzt der Mann, nicht wahr, der alles, was halt in Gottes Namen versäumt worden war, wieder so richten mußte, daß es noch gut wurde und den Absichten der Loni entsprach. Sie solle sich ruhig auf ihn verlassen und den Kopf nicht verlieren, und vor allem, sie dürfe über die ganze Geschichte keinen Schnaufer tun, dann komme alles ins rechte Geleis. Dafür sei schon er da, und er garantiere dafür. Sie zwei müßten jetzt zusammenhelfen . . .

Die Rueppin stand auf; sie konnte ihm nicht mehr zuhören, jedes Wort peinigte sie, und es kam ihr so vor, als zöge er sie mit hinein in die Schlechtigkeit.

Nochmals vertrat er ihr den Weg.

»Hoscht du gar koa Antwort auf dös, was i sag?«

»Na . . .«

»Dös waar scho bald a so, als wann du gegen mi arbet'n mögst . . .«

»Laß mi geh . . .«

»An Antwort sollst d' mir geb'n . . .«

»Deine Lüagereien mag i nimmer hören . . .«

»Meine . . .«

»Ja, jed's Wort is derlogen . . .«

Er wollte sie zurückhalten, aber da kam die Leni zur Türe herein, und er ging an den Herd zurück und tat so, als suchte er was, einen Span oder ein Zündholz.

Die Leni warf ihm einen mißtrauischen Blick zu; sie merkte, daß er mit der Mutter einen Streit oder eine zuwidere Aussprache gehabt hatte, und sie war immer bereit, gegen ihn Partei zu nehmen.

Da brummte er was vor sich hin und ging hinaus.


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