Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.
In dem Gespenstergemache.


Der Criminalrath Huber war allein in dem Zimmer seines Amtsvorgängers, das er von jetzt an das seinige nennen sollte. Er konnte sich wohl denken, daß er bald Gesellschaft erhalten werde; der alte Hartmann mußte zu ihm zurückkehren, und wahrscheinlich in Gesellschaft irgend eines dienenden Wesens. Und wer das sein mag? fragte sich der junge Rath. Er sollte im Augenblick nachher Antwort auf seine Frage erhalten.

Ein schwerer Schritt nahte sich in dem Gange, ein leichterer folgte.

Ueber Eins mußte der Rath einen schleunigen Entschluß fassen.

»Theile ich dem Alten mit, was der Herr von Detting mir über den Spuk gesagt hat?«

»Nein!« stand es in ihm fest. »Es würde wie Furcht aussehen. Und hätte er auch selbst gesagt, daß er zu mir davon gesprochen habe, mein Stillschweigen zeigt, daß ich kein Gewicht darauf lege.«

Der alte Gefangenwärter trat nach bescheidenem Anklopfen in das Zimmer.

Beim Oeffnen der Thür sah der Criminalrath eine Frauengestalt hinter ihm.

»Du wartest hier,« sagte der Gefangenwärter zu ihr.

Sie blieb draußen.

Der Rath hatte sie sich nicht näher ansehen können.

»Der Herr von Detting,« sagte der Alte, »hat mit dem Herrn Criminalrath über Ihre Bedienung hier gesprochen. Ich komme, Ihre Befehle einzuholen.«

Der Rath hatte das erwartet.

»Ich wünsche,« antwortete er, »daß Sie mich vor der Hand ganz in derselben Weise behandeln, wie den Herrn von Detting.

»Der Herr Criminalrath sollen so bedient werden,« sagte der Alte.

Er sprach immer ruhig, bescheiden zwar, wie der Untergebene zu seinem Vorgesetzten, aber nicht unterwürfig; seine finstere Miene blieb unverändert.

»Was befehlen Sie für heute Abend?« fragte er.

»Ich bitte um Thee.«

»Und wo wünschen Sie Ihr Schlafgemach eingerichtet? Der Herr von Detting schlief zuerst dort rechts, in der letzteren Zeit hier links.«

Die Frage war eine heikliche für den Rath. Der alte Mann sah ihn dabei etwas forschend an; der Herr von Detting mußte wirklich mit ihm gesprochen haben. Adalbert Huber wußte sich zu fassen.

»Besehenen wir beide Zimmer,« sagte er.

Der Alte nahm schweigend ein Licht und führte seinen Chef zuerst in das Zimmer rechts.

Der Rath folgte ihm, doch wohl nicht ohne eine gewisse Befangenheit.

In dem Gemache zeigte sich nichts Besonderes.

Es war zur sofortigen Aufnahme eines Gastes bereit, wie ein Fremdenzimmer stets bereit gehalten zu werden pflegt. Etwas Auffallendes fand der Rath nicht darin.

»Und das andere?« sagte er.

Der Gefangenwärter führte ihn in das Zimmer links.

Es war eingerichtet, wie jenes, nur sah man, daß es noch heute bewohnt gewesen war.

»Sie müssen,« sagte der Rath, »noch in der späten Nacht Anstalten zu meiner Aufnahme treffen. Ich werde dort rechts bleiben.«

Der alte Mann war überrascht. Es schien ihm sogar nicht ganz recht zu sein.

»Die Anstalten wären leicht getroffen,« sagte er.

Aber Adalbert Huber schien eigensinnig zu sein, oder seinen Muth zeigen zu wollen; oder war er sonst gereizt?

»Wenn Sie nicht einen besonderen Grund haben,« sagte er.

In dem alten Manne zuckte etwas auf, als habe er wohl einen.

Aber der Rath setzte schnell hinzu:

»Indeß, dann hätten Sie mir ja nicht die Wahl gelassen.«

»Wie Sie befehlen!« erwiderte mit seinem ruhigen, finsteren Wesen der Alte.

Er ging. Draußen sprach er ein paar Worte zu der Frau oder dem Mädchen, die auf ihn gewartet hatte.

Beide entfernten sich.

Schon nach wenigen Minuten kam Jemand zurück. Es war ein weiblicher Schritt.

»Sie bringt mir den Thee! Wer wird es sein?«

Die Thür öffnete sich.

Der Thee wurde ihm gebracht.

Eine ältliche Frau trug ihn, eine Haushälterin, vielleicht nur eine Magd.

Sie entfernte sich sofort wieder. Sie hatte ihn nur kurz gefragt, ob er sonst noch etwas wünsche.

»Warum bin ich denn so enttäuscht?« fragte sich der Criminalrath.

Dann sah er sich doch das Theebrett an. Zu dem Thee war ihm Brod gebracht und Butter und Schinken, und es war Alles so besonders gut und war so gefällig arrangirt, wie in einem vornehmen Hause, sagte sich der Criminalrath und der Thee duftete und hatte den Geschmack, wie der feinste Pecco.

»Auf dem Weißenstein läßt sich doch am Ende leben,« meinte der Criminalrath.

Dann kam ihm ein anderer Gedanke. »Den Thee hat die Alte nicht gemacht! Das Arrangement ist von einer anderen Hand. Von jener ordnenden da unten! Auch hier oben bei dem blasirten hysterischen Herrn? Und der läppische Spuk der Geister konnte ihn dennoch von hier vertreiben?«

Und wie er es sprach, mußte er unwillkürlich nach rechts, nach dem Gespensterzimmer blicken. Er hörte Bewegungen darin, aber kein Knistern und kein Schleichen, und er erschrak auch nicht; ein ganz anderes Gefühl packte ihn.

Zwei Frauen sprachen in dem Zimmer und der Criminalrath hörte, wie sie dabei das Zimmer für seine Nachtruhe ordneten. Die eine war die Alte, die ihm den Thee gebracht hatte; er erkannte sie an der Stimme, und die andere schien ihm eine so melodische Stimme zu haben, daß er seinen Thee darüber vergaß. Freilich sprachen sie leise und er verstand kein Wort von ihrem Gespräch. Zu ihnen hinein zu gehen, erschien ihm nicht passend.

Sie waren nach kurzer Frist fertig und verließen das Zimmer durch die in den Gang führende Thür, durch die sie also auch gekommen waren.

Der Schritt der Einen nahete sich dann dem Zimmer, in dem er war.

Die Alte wieder?

Sie war es.

»Befehlen der Herr Criminalrath noch etwas?«

»Ich danke.«

»Befehlen Sie morgen früh Thee oder Kaffee? Und zu welcher Stunde?«

»Ich wünsche Kaffee! Um sieben Uhr!«

»Gute Nacht!«

Adalbert Huber war wieder allein, allein für den Abend, für die Nacht.

»Auch für die Nacht?« fragte er sich doch mit einem Blicke nach seinem Schlafgemach, dem Zimmer des Gespensterspukes.

Er verzehrte seinen Thee. Es war nahe an Mitternacht. Er fühlte sich körperlich ermüdet; er war geistig aufgeregt. Schlafen konnte er noch nicht; aber er mußte sich zur Ruhe legen.

»Vorher muß ich doch sehen, wo ich hier bin. Man kann nicht wissen, wozu es gut ist.«

Er sah sich zunächst in dem Wohnzimmer um. Er bewunderte noch einmal dessen Eleganz, Ordnung und Wohnlichkeit.

Dieser Herr Von Detting war ein Sybarit!

Aber auch ein Mensch von Geist und Bildung, mußte er hinzusetzen, als er in den sauberen Glasschränken des Zimmers eine Auswahl der besten Classiker des griechischen und römischen Alterthums und der neueren Literatur Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Englands fand.

Er ging dann in das Zimmer links, in welchem der Herr von Detting zuletzt geschlafen hatte. Hier hatte er einen anderen Zweck. Das Zimmer hatte drei Thüren, die Verbindungsthür mit dem Wohnzimmer, eine zweite, dieser gerade gegenüber, die dritte, die auf den Gang führte. Der Criminalrath versuchte die beiden letzten Thüren, ob sie verschlossen seien. Sie waren es; selbst feste Riegel waren von innen vorgeschoben. Auch die beiden Fenster des Zimmers fand er fest verschlossen. In das Wohngemach zurückkehrend, verschloß er hinter sich auch die Verbindungsthür zu diesem.

In gleicher Weise hatte sein neues Schlafzimmer drei Thüren; die alten Klosterzellen waren eine wie die andere eingerichtet. Die Binnenthür dem Wohnzimmer gegenüber war verschlossen und verriegelt. Die Thür nach dem Gange verschloß und verriegelte der Rath.

Er kehrte dann in sein Wohnzimmer zurück, zu dessen Gangthür. Er verschloß sie.

»Ob ich sie auch von innen verriegle? Es könnte mir Niemand Hilfe bringen. Aber welcher Hilfe könnte ich denn bedürfen? Und doch! Der Spuk muß dem armen Herrn von Detting von innen gekommen sein. – Pah!«

Er verriegelte die Thür von innen, wie die anderen.

So war er in einer von allen Seiten wohlverschlossenen Festung.

»Und gegen wen verrammle ich mich mit dieser Sorgfalt?«

Er wußte es selbst nicht. Er mußte darüber lachen, daß er es nicht wußte.

»Gegen die Ammenmärchen!« sagte er dann.

Aber er ließ ruhig die festen Riegel, wo sie waren, untersuchte noch einmal sorgfältig sein Wohnzimmer und sein Schlafgemach, die Thüren, die Mauern, die Dielen des Bodens, sah selbst zu dem Jahrhunderte alten Staub der Decke hinauf, ob er nicht irgend einen Riß oder eine Ritze erspähe, die ihn auf die Entdeckung einer Oeffnung führe.

Er legte sich endlich zu Bette. Er wollte schlafen, er konnte es nicht; er wollte ruhig sein, er wurde um so unruhiger; er wollte nichts hören, er mußte schärfer und schärfer horchen; er wollte nichts sehen, die geschlossenen Augen sahen weiße Gestalten und dunkle Fratzen; er wollte nichts glauben und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er glaubte, das erste Morgengrauen zu sehen, als er einschlief.

Er erwachte von einem Geräusch.

Er fuhr aus dem Schlafe empor.



 << zurück weiter >>