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(statt eines Vorworts)
Der Onkel-Götti ist wieder einmal irgendwo in einer Sitzung, und die Tante-Gotte begleitet eine Freundin zum Tram. Der Augenblick ist günstig. Klein Barbla schleicht in Onkels Arbeitszimmer, diesmal nicht zum Kamin, denn es ist Sommerszeit, und die leere Feuerstelle hat nichts Anziehendes. Nein, Barbla hält viel auf Bilderbüchern und noch mehr auf den Geschichten, die Onkel erzählt. Er weiß zu jedem Bild eine Geschichte. Wo er sie nur alle hernimmt? Barbla weiß es. Dort, auf dem Schreibtisch macht er sie. Und sie weiß noch mehr. Die Geschichten sind fast alle zuerst in dem roten Heft. Das liegt in der obern Schublade links. Sie hat einmal gesehen, wie er daraus spickte. Die Tante hat aber gesagt, der Schreibtisch sei ein Heiligtum, man dürfe nichts anrühren, was darauf liegt, sonst... Ja, was sonst? Da ist eben noch dem Onkel seine gewaltige Soldatentrommel von blankem Messing, mit schwarzroten Reifen und weißem Lederzeug. Und ein kunstvoll geflochtener Strick hängt dran. Die Trommel dient als Papierkorb, ist aber augenblicklich leer. Irgendwer hat Barbla gesagt, es sei da etwas nicht ganz geheuer. Jedes Jahr, 8 in der Nacht vom 5. auf den 6. März um Mitternacht, komme die Trommel ganz allein unterm Schreibtisch hervor, wandere um das Haus herum, und eine unsichtbare Hand schlage darauf den alten Bernermarsch. Jetzt ist sie still und blinkt ganz zufrieden im Schatten des Schreibtisches. Aber oben, auf dem Bord, stehen Photographien von Herren und Damen — auch Tante ist darunter — die schauen auf Barbla, als wollten sie sagen: «Was tust du da?» — Barbla aber, wenn sie einmal etwas vorhat, weiß sich zu helfen. Sie klettert auf den Tisch, kommandiert «rechtsum kehrt!» und dreht alle die Damen und Herren gegen die Wand. So — jetzt ist der Weg frei. Sie zieht die Schublade heraus und richtig, da ist das große, dicke rote Heft. Es hat zu viel gegessen — jawohl — zu viel gegessen. Es sind so viele Zettel und Zettelchen zwischen die vollbeschriebenen Seiten hineingeschoben, daß man's gar nicht mehr zumachen kann. Was da nicht alles drin steht!
Kaum aber hat Barbla ihr Wundernäschen hineingesteckt, so hört sie Schritte. — Es ist Tantes rasch entschlossener Gang. Die offenen Türen verraten ihr Barblas Fährte. — Schublade zu! Eins, zwei! — Und unter den Tisch! Hinter die Trommel! — Ja, eins, zwei. Das war so schnell gegangen, wie wenn eine Maus in ihr Loch schlüpft. Aber das dicke rote Heft war nicht flink genug. Es blieb stecken, und jetzt streckt die Schublade 9 ihre rote Zunge der Tante entgegen. Barbla hält sich mausstill und hört die Tante sagen: «Immer die gleiche Wundernase!» — Dann bleibt es still. Auf einmal aber fängt es in der Trommel an zu bummern. Ganz leise, langsam — bumm — bumm — bumm. Was gilt's, der gespenstige Tambour...! Es ist zwar nicht der 5. März und nicht Mitternacht. Aber wer weiß, wenn man ihn stört...! Bumm — bumm... Jedenfalls ist die Sache nicht nach Barblas Geschmack. Als nun vollends der Tante ein Schrei des Schreckens entwischt, findet die Kleine es für angezeigt, ihr Alibi preiszugeben und an die Helle hinauszuschlüpfen, koste es, was es wolle.
«So — so?» wird sie von Tante empfangen. «Schau, du Racker, was hast du nun wieder angestellt!»
Der Klopfgeist ist entlarvt. Barbla hat beim Umwenden der Photographien Onkels Tintenfaß umgeworfen. Das schwarze Bächlein hatte beim Zustoßen der Schublade eben den Rand des Tisches erreicht und fällt nun — bumm — bumm — in platzenden Tropfen auf das untere Trommelfell.
Nach den ersten Reinigungsprozeduren fragt Tante: «Was hattest du denn auf dem Schreibtisch zu tun? Warum hast du die Photographien umgewendet?»
«Es ging drum die nichts an.»
10 «Aha, so?» — Tante lacht und dreht die Bilder wieder um. Sie muß erklären, wie zum Bilderbuch. Das ist dem Onkel sein Papa, das seine Mama, das seine Schwester.
«Und dieser Herr da mit dem schönen blonden Bart? Das muß ein lieber sein.»
«Ist er auch. Es ist der Herr Alexander Francke.»
«Wo ist der? Den möcht' ich sehn.»
«Im Himmel ist er.»
«Warum ist er im Himmel?»
«Weil er dem Onkel so brav geholfen hat beim Bücher-Machen.»
Jetzt wird Tantchen den Plaggeist nicht mehr los. Sie muß erzählen, wie es zu- und hergegangen sei beim Bücher-Machen. Sie holt einen Band herunter und zeigt Barbla: «Schau da: bei Alexander Francke.»
«Wo ist denn das?»
«In einem Laden.»
Barbla will wissen, wieso man im Himmel und in einem Buchladen zugleich sein könne. Das sei halt jetzt einmal so, meint Tante, die nicht Zeit hat, alles und jedes zu erklären. Und wie nun gar herauskommt, daß der Laden jetzt Alexander Francke und der jetzige Herr Francke eigentlich Herr Lang heiße und daß Herr Lang jetzt aus Onkels Geschichten Bücher mache, da will sie auch dem Herrn Lang seine Photo sehen und findet es gar nicht in Ordnung, daß die 11 nicht auf dem Schreibtisch steht. Sie will absolt zu ihm, mit dem roten Heft. Da soll er ein schönes Buch draus machen. Da sind noch ein Haufen Geschichten drin. Und sie läßt nicht locker, bis Onkel mit Barbla an der Hand zum Herrn Alexander Francke geht, der zwar im Himmel sein soll, aber in Wirklichkeit ein Buchladen ist und jetzt Herr Lang heißt. Und Barbla darf das rote Heft tragen und Herrn Lang zeigen. Und Herr Lang nimmt aus dem roten Heft die vier Geschichten, die ihm am besten gefallen. — Da sind sie: «Der Landgraf und sein Sohn», «Urs Fankhusers Abenteuer», «Balz Türlistock, der Grenadier» und «Christens Chrigi».
Barbla hat noch eine gesehen, die ihr gefällt, «Theterli vom Wendelsee» und möchte die auch dabei haben; aber Herr Lang will sie nicht. Er sagt: «Die hat der Onkel seither noch einmal erzählt und ganz anders, im ‹Ring i der Chetti›».
«Das war dumm von dir, Onkel», meint Barbla, «warum hast du das getan?»
«Weil die Geschichte sich wohl eher so zugetragen hat», erklärt der Onkel.
«Du mußt aber die Geschichten nicht so erzählen, wie sie geschehen sind», belehrt ihn Barbla, «sondern so, daß sie mir gefallen.»
«Ich glaube, das wäre kein schlechter Rat», gibt der Onkel zu, «aber am besten ist's doch wohl, wenn beides zusammentrifft, wie zum Beispiel in ‹Der Landgraf und sein Sohn›, wo ich 12 sogar des Landgrafen Brief einfach aus dem französischen Original übersetzen konnte.»
«Holla», protestiert da Barbla, «das stimmt nicht, lieber Onkel. Du hast mir doch gesagt, der Landgraf habe noch einen ältern Sohn mit nach Amerika genommen und dort gelassen. Warum sagst du denn gar nichts von dem in der Geschichte?»
«Aha. Ja, schau, ganz alles braucht man nicht zu sagen, besonders wenn eine Geschichte dir gefallen soll. — Wahr bleibt sie nichtsdestoweniger.»
Damit erklären sich nun Herr Lang und Barbla einverstanden, und auf Grund dieses Einvernehmens zwischen der kleinen Sachverständigen, dem Verleger und dem Erzähler ist dieses Buch zustande gekommen. Es fragt sich nur noch, ob auch der Leser sich zu Barblas künstlerischer Auffassung bekennen kann.
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