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Wie war er doch so lebensfroh und menschenselig, der junge Oberförster, der seit einem Jahre den großen Schönthaler Staatsforst bewirthschaftete! »Warum sollte ich mich des Lebens nicht freuen, da es so schön ist, und warum die Menschen nicht lieben, da sie alle meine Brüder und Schwestern sind?« sprach er oft zu sich selbst. Und wenn gute Bekannte ihn fragten: »Sag' uns nur, Karl, woher Du immer den Frohsinn, woher die unverwüstliche Jugendlichkeit nimmst, die Dich immer um ein halb Jahrzehent jünger erscheinen läßt, als Du bist?« dann erwiederte er: »Das ist Gottes Gabe, die ich nur darum vor manchem Menschenkinde voraushabe, weil sie mir in der Kindheit nicht verkümmert wurde. Ich bin ein Sohn des Gebirges, im frischen, freien Wald geboren und erzogen. Mein Vater war ein Forstmann, der seine Erziehungskunst bei der Forstcultur gelernt hatte. Da wurden meiner Seele die Flügel nicht abgestutzt und meinem Herzen die Fühlhörner nicht beschnitten, darum schwebt jene immer hoch und frei über den Grüften, und dieses empfindet jeden seligen Pulsschlag der Natur im Innersten nach und mit. Und überdies,« fügte er hinzu, »seht nur, wie reich Gott mich sonst gesegnet hat! Dieser herrliche, üppige Buchenwald ist mein Reich, dieses nette, freundliche Forsthaus an seinem Saume, mit der Aussicht auf das weite, liebliche Thal und auf seinen silbernen Strom, meine Residenz. Mein Amt bringt mir Ehre und Brod, der Wald gewährt mir tausend Freuden bei mäßiger und gesunder Arbeit, und mein Haus Schutz, Bequemlichkeit und einen gemüthlichen Herd. Und wenn mich ja einmal eine unzufriedene Laune beschleichen wollte, weil ich vielleicht über mich geblickt, so darf ich nur flugs meine Augen gerad' aus richten, da hinüber nach dem Huthause, das sich über den Wald erhebt – dort haust ein armer Bergmann mit zehn lebendigen Kindern, einer kranken Frau und einem alten »bergfertigen« Vater und ist doch mit seinem Loose zufrieden. O wie undankbar wäre ich gegen Gott, wenn ich mich seiner reichen Gaben nicht freuete! Die Freude aber ist es, die mich jung erhält; darum, Brüder, freuet Euch, und wenn Eure dumpfe Stadt Euch trüben Muth macht, so kommt heraus zu mir, in meinen frischen, duftigen, lustigen Wald, und ich und meine Vöglein wollen Euch lernen froh sein und dankbar gegen den Schöpfer. Ach, könnte ich doch alle meine Menschenbrüder und Schwestern so froh, so glücklich machen, wie ich bin!«
Zu den Gottesgaben, welche der gute Oberförster pries, kam jetzt noch eine mehr – wie ihm dünkte, die herrlichste von allen: eine Braut. Und was für eine Braut! Weithin gepriesen als eine strahlende Schönheit, war Diana Strunz zugleich die reichste Erbin der ganzen Pflege, die einzige Tochter des Kammerrathes Strunz, der auf dem großen Lehngute Hof hielt, dessen Fluren den Schönthaler Forst zu einem Drittheil umschließen. Dabei galt sie für ebenso tugendhaft als schön, für ebenso geistvoll als reich. Viele heirathslustige Herren mit und ohne »von« hatten seit Jahren nach der Hand der reichen und schönen Diana Strunz getrachtet. Karl hatte sie, wie seine Freunde sagten, im Schlafe gewonnen. Wenn sie damit sagen wollten, er habe sich nicht mehr Mühe um sie gegeben, als ein Schlafender, so war das wohl richtig, allein gerade weil sein ganzes Wesen das Gegentheil vom Schlafe, dem Bruder des Todes – weil es lauter Geist und Leben war, hatte das Herz der Vielbegehrten sich ihm zugewendet, ihn ausgezeichnet und bald mit jenen holden Banden umschlungen, nach welchen Andere vergebens seufzten. Der Kammerrath, ein »altes fideles Haus«, wie man zu sagen pflegt, hatte den heitern Forstmann gern, der Leben in jede Gesellschaft brachte, und fühlte sich ihm überdies, weil er seine Gutswaldung vermessen und durch Einführung eines trefflichen Wirthschaftsplanes von dem ihr drohenden Ruin geriet hatte, zu großem Danke verpflichtet. Als er daher die Neigung seiner Tochter zu dem jungen Forstmanne wahrnahm und glaubte, daß dieser sie erwiedere, ging er, unbekümmert um das Widerstreben seiner Frau, die mit dem Töchterlein weit höher hinaus wollte, ihm auf halbem Wege entgegen und wußte auf ganz joviale Weise ihm die Werbung um Dianens Hand in den Mund zu legen, so daß Karl sich verlobt fand, er wußte selbst nicht wie. Dennoch war er entzückt über sein ungesuchtes Glück, und den folgenden Tag erzählte er's frohlockend allen Vöglein im Walde, daß er der seligste Bräutigam der schönsten Maid unter dem blauen Himmel sei. Mit ihrem Flammenkuß bei der Verlobung, mit dem Augenaufschlag, womit sie seiner Seele alle sieben Himmel der Liebe zu öffnen schien, hatte sie es ihm gleich angethan und er schalt sich einen Eisblock, daß er nicht schon vorher vor dem Strahle ihrer Reize zerschmolzen war.
Karl war nicht der Mann, der ein Glück genießen konnte, ohne daß Andere mit ihm froh und glücklich waren, und so dachte er, als er im Walde seine Geschäfte beendet und seiner Seligkeit bald in lautem Sang, bald in stillem Sinnen sich hingegeben hatte, darüber nach, wo wohl jetzt Einer traurig läge, dem er von seinem Freudenweine einschenken könnte. Er brauchte nicht lange nachzudenken – sein rascher Schritt führte ihn eben auf eine kleine Waldblöße, in deren Mitte auf hoher Halde das erwähnte altergraue Huthaus der kürzlich »niedergeschriebenen« St. Lazarus-Fundgrube sich erhob. »Da führt mich mein Stern ja gleich vor die rechte Schmiede!« sagte der Oberförster beim Anblick dieses Gebäudes. »Da giebt's mehr wie einen Traurigen.« Und er stieg die Halde hinauf.
Mit einem herzlichen »Glückauf!« trat er in die Wohnung des Hutmanns Ehrenfried Walter. Dieselbe verrieth auf den ersten Blick nicht, daß sie eine Herberge der Traurigkeit sei. Acht Kinder mit vollen Gesichtern, immer eins kleiner als das andere – das älteste nicht über zehn Jahre zählend – saßen oder lagen spielend auf der reingewaschenen Dielung. Unter ihnen herrschte helle, laute Fröhlichkeit. Allein im Hintergrunde stand ein großes Bett, daraus sah ein bleiches, mageres Frauenantlitz hervor und daneben saß ein altes gebücktes Männlein in dürftiger Bergmannskleidung, das den Spielen der Kinder ohne Theilnahme zusah. Aus der »Hölle« trat ein junges Mädchen von vierzehn Jahren, mit schönen, feinen Zügen, aber zu durchsichtiger Haut und einem über ihre Jahre ernsten Gesichtsausdruck. Als sie jedoch den Gruß des Eintretenden vernahm, klärten sich ihre Mienen auf. »Ach der Herr Oberförster!« rief sie, und eilte ihm entgegen, ihn willkommen zu heißen.
Karl reichte ihr freundlich die Hand, bat sie um einen Trunk Wasser und trat an das Bett.
»Glückauf, liebe Frau Waltersagte er. »Geht's noch immer nicht besser?«
Die Gefragte nahm seine dargebotene Hand, dankte mit schwacher Stimme für die Nachfrage und versicherte, daß es seit Anwendung des ihr von ihm gegebenen Mittels merklich besser gehe.
»Wo ist denn Walter?« fragte Karl befriedigt.
»Der ist nach der Stadt gegangen, einen Brief auf die Post zu tragen,« war die Antwort: »Das Minel hat dem Käthchen geschrieben, sie solle nun nicht herkommen, weil es wieder besser mit mir geht. Sie hat einen so guten Dienst, daraus möchten wir sie nicht ohne Noth reißen.«
Minchen – das war jenes vierzehnjährige Kind der kranken Frau – brachte ein Glas Wasser, das Karl mit freundlichem Danke nahm. Die Kranke erzählte nun, wie ihre in Freiberg bei einem großen Bergherrn dienende Tochter vor wenig Tagen ihren ersparten Lohn hergeschickt und die Eltern gebeten habe, sie, wenn es nicht dringend nothwendig sei, von ihrer engelguten Herrschaft nicht wegzunehmen. Sie wolle lieber ihren ganzen Lohn heimschicken. »Ach, es ist ein so braves Kind!« schloß die Frau, »wir wollen sie gern lassen, wo sie ist, und wenn wir auch das behalten, was sie geschickt hat, so darf sie doch nichts mehr herschicken, so lange mein Mann noch einigen Verdienst hat.«
»Recht so, Frau Walter!« sagte Karl, »lassen Sie dem Mädchen ihren Verdienst, den sie sich gewiß sauer erwerben muß. Wenn Ihr Mann mit den Entwässerungsarbeiten in der Fuchsleite fertig ist, so übertrage ich ihm die Sprengarbeiten beim Wegebau durch den Höllengrund. Um Feuerholz sorgt Euch nicht – heut' ist Sonntag – nächsten Dienstag will ich dem Walter Stöcke und Reißig anweisen.«
»Ach Herr Oberförster – Sie sind zu gut!« sagte die Frau, wußte aber sonst nicht, wie sie ihrem Dankgefühle Worte geben sollte. Das vierzehnjährige Mädchen stand hinter dem Stuhle, worauf Karl Platz genommen hatte und schaute an ihm mit andachtsvollen Blicken wie eine Betende zu ihrem Heiligen empor.
»Ich komme eigentlich, mir mit Euch eine kleine Freude zu machen, lieben Leute!« sagte Karl nach einer Weile. »Schade nur, daß Sie krank sind, Frau Walter! Der liebe Gott hat mir gestern ein so überschwengliches Glück beschert, daß ich es kaum ertragen kann – Ihr sollt es mir tragen helfen, sollt Euch mit mir freuen. Ich bin verlobt –«
Hier stieß Minchen einen leisen Schrei aus; Karl wendete sich nach ihr um.
»Es war nichts, Herr Oberförster!« sagte das Mädchen erröthend, »verzeihen Sie mir!«
»Du leidest wohl, mein Kind?« sagte Karl, »werde mir nicht etwa auch krank! Ein Wunder wäre es freilich nicht, denn es liegt zu viel auf Deinen schwachen Schultern.«
»O nein!« erwiederte das Kind mit ungekünstelter Heiterkeit, »ich bin ganz wohl auf, die Arbeit im Hause herum bekommt mir besser, als das Stillsitzen am Klöppelsack.«
Karl streichelte ihr schönes weiches Haar und fuhr fort: »Ich bin verlobt mit der Tochter des Kammerrathes auf Schönthal drüben – da möcht' ich nun mein Glück mit allen guten Freunden feiern und bei Euch als meinen nächsten Nachbarn – meinem Gegenüber – den Anfang machen. Ich will einen kleinen Schmaus mit und bei Euch halten – wenn kommt Walter zurück?«
»Er wollte diesen Nachmittag bei Zeiten wieder da sein,« antwortete Frau Walter.
»So sagen Sie ihm,« bat Karl, »er soll im Zigeunerbach so viel Forellen fangen, als er kann, und Du, mein Minchen, nimmst einen Korb Kartoffeln aus dem Acker am Wegweiser unten und kochst sie sammt den Forellen. Du weißt schon, wie ich's gern habe. Heute Abend um sechs bin ich wieder da und wir schmausen zusammen. Ist es Euch so recht?«
»Das paßt sich herrlich!« sagte Minchen, »ich habe diesen Morgen ausgerührt, weil am Freitag keine Zeit dazu war – so können wir dem Herrn Oberförster ganz frische Butter vorsetzen.«
»Bravo, mein Minchen! Dein Produkt soll mir trefflich munden. Und weil mich das auf Euren kleinen Viehstand bringt, sagt mir, wie steht es mit dem Futter? Braucht Ihr vielleicht noch etwas Waldheu?«
»Ei!« nahm jetzt das so lange schweigsam gebliebene alte Männchen das Wort, »wenn wir lieber unsere Kuh mit der Ziege wie sonst in den Wald treiben dürften!«
»Großvater!« rief Minchen dem Sprecher unwillig zu.
»Lieber Alter!« entgegnete Karl; »das kann und darf nicht sein. Sie verstehen nicht, was die Waldhuth der Forstwirthschaft für Nachtheil bringt. Mit Mühe und Noth habe ich den Mißbrauch hier beseitigt – wollt' ich nun Einem die Huth gestatten, so würden Andere sich darauf berufen und das alte Uebel risse von Neuem ein. Ihr sollt aber noch Waldheu haben. Nehmen Sie mir's nicht übel, Vater Walter! Ich hab' auch etwas für Sie mitgebracht – da, das wird Ihnen besser schmecken als Ihr Kraus.« Er zog ein großes Stück Rollentaback aus seiner Tasche und gab es dem Alten, der es mit sichtbarem Vergnügen in Empfang nahm.
»Heute Abend also, liebe Freunde!« Mit diesen Worten verabschiedete sich Karl, nachdem er Allen, selbst dem kleinsten der Kinder die Hand gereicht hatte. Minchen gab ihm das Geleite vor die Thür. Als sie auf die Halde hinaustraten, sagte Karl: »Es ist doch recht einsam und öde hier, seit die Grube still steht; ich vermisse die arbeitenden Bergleute und den hellen Klang des Glöckchens.«
»O mir thut es schrecklich bang danach,« versetzte Minchen, »es war aber auch recht dumm von den Gewerken, den Lazarus aufzugeben – hätten sie nur noch ein Jahr ausgehalten und recht schwunghaft gebaut, er würde schon höflich geworden sein.«
»Warum glaubst Du denn das?«
»Ich weiß es – mir sagt es eine innere Stimme – ich habe auch oft denselben Traum gehabt, da brachte mein Vater große reiche Silberstufen aus dem Schacht und es wimmelte von Bergleuten hier. Ich wollte es Ihnen schon oft sagen – vielleicht könnten Sie die Grube weiter bauen, da wären wir Alle glücklich.«
»Dazu reichen nur meine Mittel nicht aus, liebes Kind – und ehrlich gesagt, ich habe wenig Vertrauen zum Bergbau – ich denke: wer sein Geld setzt ans Bergwerk oder in die Lotterie, der kommt darum, er weiß nicht wie.«
Minchen ließ betrübt das Köpfchen hängen. Karl streichelte ihre Wange und nahm Abschied. Sie schaute ihm noch lange nach, bis er unter den Buchen verschwand. Und selbst dann noch blieb sie am äußersten Rande der Halde sinnend stehen.
»Die Tochter des Kammerraths,« sprach sie vor sich hin, »das stimmt nicht mit meinem letzten Traum. Freilich paßt das reiche schöne Fräulein besser für einen solchen Herrn, denn eine arme Hutmannstochter. Aber so gut und lieb wie meine Schwester Käthchen ist sie doch nicht – so gut und lieb ist Niemand auf der Welt – als Er! – Aber wenn er das reiche Fräulein heirathet, wird er doch reich – da könnte er wohl den Lazarus bauen.« – Sie versank in tiefes Träumen, woraus erst der Ruf des Großvaters sie erweckte.
Es war nicht das Huthaus allein, wo der glückliche Verlobte heute einsprach, um Theilnehmer seiner Freude zu werben. Jenseits des Berges, welchen der Hauptwald des Schönthaler Reviers in allen Richtungen bedeckt, liegt das Berg- und Waldarbeiterdörflein Hüttenfeld. Da gab Karl seinem Freunde, dem Schulmeister, eine Summe Geldes zu einem Freibier für die gesammte Ortseinwohnerschaft. Auch ließ er sich bei ihr entschuldigen, daß er heute nicht selbst unter den Fröhlichen sein könne, dafür werde er künftigen Sonntag an ihrem »Laubtanz« theilnehmen und, wenn möglich, seine Braut mitbringen. Abends ging er, wie verabredet, nach dem Huthause zurück, wo er mit der Familie den von Minchen trefflich besorgten »Schmaus« in herzlicher Fröhlichkeit hielt.