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2.

Es ist zwei Stunden später. Christel hat in der Zwischenzeit im Keller noch einige zerstreut umherliegende Kartoffeln aufgefunden und dieselben nebst »einem Kaffee« gekocht. Damit hat sich die beklagenswerthe Familie nothdürftig gesättigt. Der Jammer ist stumm geworden; der heilige Schlaf hat die armen Kinder in seine weichen Arme genommen; selbst die leidende Mutter ist eingeschlummert, nur Christel sitzt am Tisch und bessert den Grubenkittel des Vaters aus. Ihre Gedanken, erst so bekümmert und ahnungsvoll, sind bei einer freundlichen, einer lieben Erinnerung. Das Bild ihres Franz steigt vor ihrer Seele auf, des blühenden Burschen, der nun seit länger als einem Jahre fortgezogen ist ins ferne Rußland, um mit seiner Geige sich Gold und einst in der Heimath einen Heerd zu gewinnen. – Wo mag er wohl sein und wie mag es ihm gehen? – Hu! fürchterlich heult der Sturm da draußen, und schnell fliegen die Gedanken des Mädchens zum Vater zurück. – Wo mag er nur hingegangen sein in der schaurigen Winternacht? – Zum öftern hört sie ein Geräusch an der Thür, aber es ist nicht der Vater, es ist nur der Sturm, der an der Thür rüttelt. So vergeht ihr eine Viertelstunde um die andere in wachsender Angst und Sorge. Endlich werden Tritte vor dem Hause hörbar; laut schlägt des Mädchens Herz; es wird an den Fensterladen geklopft – das muß er sein! Sie springt hinaus und öffnet freudig die Thür.

»Seid Ihr endlich wieder da, Vater?« fragt sie den Eintretenden.

»Ich bin es, liebes Kind! ich, der Waldmüller.«

Das Mädchen fährt erschrocken zurück.

»Was wollt denn Ihr noch so spät bei uns?«

»Laßt mich nur ein! Ich komme von meinem Torfhaus herüber und habe mich in dem Unwetter verlaufen. Dein Vater soll mir nach Hause leuchten, ich will ihm auch noch einmal Brod borgen.«

»Der ist nicht zu Hause.«

»So will ich mich wenigstens bei Euch wärmen und abwarten, bis das Wetter etwas nachläßt.«

»So tretet ein, aber möglichst sachte, daß Ihr meine Mutter nicht aufweckt.«

In der Stube bot Christel dem unerwarteten Gast einen Stuhl, nahm ihm den schneebedeckten Mantel ab und schürte das Feuer im Ofen an.

Daß Rümmlers Christel dem Waldmüller gefiel, war Jedermann erklärlich, daß er ihr aber nicht wiederum gefallen wollte, konnten viele Leute sich nicht erklären. Denn es war ein stattlicher Mann, sowohl von Leibesgestalt, als an Kleidung, und artig wie wenig Müller. An Vermögen übertraf ihn Niemand drei Meilen im Umkreise. Wenn er Sonntags aus der Kirche kam (wohin er fleißig ging), sah ihm manche Jungfer des Dorfes nach, und oft sagte eine zur andern: Die Rümmler Christel ist doch ein dummes Ding. Zu mir sollte so ein reicher und feiner »Kampel« nicht kommen, ich wollte mein Glück nicht mit Füßen fortstoßen.

In ähnlicher Weise hatten sich auch Christels Muhmen und Pathen öfters vernehmen lassen, und eine von den letzteren hatte unumwunden geäußert, daß Christel nicht zum Müller ziehen wolle, sei Ziererei, sie könne sich für ihre Tugend nicht einmal ein neues »Gottestischkleid« kaufen, die Armen würden auf der Welt alle in einen »Tümpel« geworfen, sie möchten leben, wie sie wollten, und des Müllers Haushälterin würde doch von den Leuten mehr ästimirt, als alle Eheweiber anderer Männer. Vielleicht sprachen sie nur also, weil sie meinten, wenn Christel in der großen Mühlenwirthschaft waltete, könnte es ihnen auch etwas abwerfen, oder vielleicht hatte der Müller um deswillen gar ihre Brodschulden quittirt, oder ihnen einen artigen Kuppelpelz verheißen. Seit einiger Zeit waren sie jedoch weggeblieben, weil sie zur Einsicht gekommen, daß Christels Herz das eigensinnigste und unbeugsamste Ding im ganzen Gebirge sei, und weil Vater Rümmler die lästige Sippschaft, welche auch die Mutter mit ins Complott gezogen, zum Hause hinausgefegt hatte. Der Waldmüller aber konnte sich das Häuermädchen nicht aus dem Sinne schlagen, er schwor, Alles daran zu setzen, sie unter sein Dach zu bringen. Seine sündige Flamme ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe.

Nachdem Christel das Feuer geschürt hatte, setzte sie sich, dem Waldmüller gegenüber, wieder an die verlassene Arbeit. Sie verwandte kein Auge davon; der Müller aber heftete seine Blicke fest auf sie. Sein Gesicht war nicht unschön, aber der Ausdruck von Lüsternheit, der auf demselben lag, ließ es keineswegs angenehm erscheinen.

Zwischen beiden Personen herrschte eine Zeit lang das tiefste Schweigen, das durch das Heulen des Windes im Schornstein recht schauerlich wurde. Endlich brach es der Müller:

»Diese garstige, grobe Arbeit paßt nicht für Deine zarten Hände, Christel.«

»Meine Hände haben sich vor keiner Arbeit zu scheuen, am wenigsten wenn sie für den Vater ist.«

»Darfst Du mich denn nicht einmal ansehen? Oder bin ich es nicht werth?«

Christel blickte auf, mußte aber das Auge schnell wieder senken vor dem pfeilartigen Blicke des Mannes.

»Ei! bin ich denn so fürchterlich, daß Du meinen Blick nicht verträgst? Hu! wie mich friert und dabei hungert! Gieb mir doch einmal einen Bissen Brod!«

»Sie wollen uns wohl verspotten? Sie wissen doch, daß wir keins im Hause haben, denn Sie haben meinem Vater keins geschickt.«

»Ja so – ich besinne mich, die vier Buben waren bei mir – wärest Du gekommen, so wär' es etwas Anderes gewesen. Seit wann habt ihr denn kein Brod?«

»Seit heute Mittag.«

»Schon? Und wißt wohl auch nicht, woher welches nehmen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hm – über das Elend! Wo ich hier hinsehe, finde ich Jammer und Noth. Hier halbnackte Kinder – da die Mutter im Wochenbette – dort ein neuer Candidat des Hungers – und kein Brod im Hause, und auch keine Aussicht, welches zu erschwingen! Und dieses Jammerleben kannst Du so mit ansehen, Christel? Kannst es ertragen? Kannst es einem Leben voll Bequemlichkeit und Lustbarkeit vorziehen? Wenn das keine Narrheit ist, beim heiligen Johannes von Nepomuk, so sind alle Narrenhäuser in der Welt überflüssig. Sieh! welch ein dünnes, verschossenes Fähnchen deinen schmucken Leib mehr entstellt als kleidet, während du in Sammet und Seide einhergehen könntest. Alle Welt würde Dich beneiden –«

»Und mit Fingern auf mich zeigen und sagen: Seht, wie man zu schönen Gewändern kommt!«

»Und würde sich doch Keine besinnen, so dazu zu gelangen. Bedenk' doch, Närrchen! Haushälterin in einer solchen Wirthschaft. Und wer weiß, was noch daraus folgt; doch ich will Dir Dein Glück nicht mit Gewalt einreden.

»O, Herr Müller, tragen Sie keine Sorge! Das werden Sie nie. Mein Glück? – Erst müßt' es dahin kommen, daß ich es für ein Glück hielte, selbst Ihre Frau zu werden, und dann – glauben Sie denn, ich wüßte nicht, wie Sie es mit der Schmidt-Resi und der armen Nanni von Preßnitz gemacht haben? Haben Sie denen nicht auch eheliche Versprechungen gemacht und sie hinterher sitzen lassen? Da hocken nun die armen Dinger zu Hause, verachtet und verlassen, und können sich und ihre Würmer kaum ernähren. Pfui, Herr Müller, das ist schlecht von Ihnen.«

Die letzten Worte hatte Christel in der Aufwallung so laut gesprochen, daß ihre Mutter darüber erwachte.

»Mit wem sprichst Du so lebhaft, Christel?« fragte dieselbe.

»Guten Abend, Mutter Marthe!« grüßte der Müller schnell; »ich bin der Unglückliche, mit dem Ihr Töchterchen sich zankt. Thut mir leid, wenn ich die Ursache bin, daß Ihr aus Eurem Schlummer aufgewacht sei.«

»Hat nichts zu bedeuten, gar nichts zu bedeuten, Herr Müller, wenn es Euch nur in unserer schlechten Wohnung gefällt.«

»Ihr seid doch eine recht gute, verständige Frau, liebe Martha. Wenn Euer Mann auch so wäre, so würde ich ihm die paar Brode heute nicht abgeschlagen haben. Aber bedenkt nur, wie er sich gegen mich benommen hat, weil ich es mit dem Blitzmädel da so gut meine. Na, um Euretwillen will ich Euch noch eine Trage Brod borgen; schickt nur morgen bei Zeiten hinunter.«

»Tausend Dank, tausend Dank, lieber Herr! Ihr nehmt mir eine Centnerlast vom Herzen. Ach! die Sorge hat mich fast erdrückt, woher nun Brod nehmen für die armen Kinder?«

»Ich glaub's Euch, gute Marthe! Doch entschlagt Euch für diesmal Eurer Sorgen. O, Ihr könntet viel Sorgen weniger haben, wenn das eigensinnige Mädel da wollte. Was käme es mir dann auf ein Dutzend Brode die Woche an? Und an Arbeit sollte es dem Gottlieb auch nicht fehlen. Es sollte wirklich keine Noth mit Euch haben, wenn nur die Christel nicht so –«

»Ja, Christel, Du bist sehr eigensinnig und unverständig. Du könntest Dich jeden Augenblick aus diesem Elend reißen, könntest bei dem Herrn Müller das schönste Leben von der Welt haben und nebenbei auch Deinen Geschwistern eine Wohlthäterin sein, und greifst nicht zu. Du ärgerst mich noch zu Tode mit Deiner Dummheit. Aber ich weiß schon, was Dir im Kopfe liegt, der Geigenfranz, der so wenig hat wie Du und Dich 'mal zu einer ebenso elenden Mutter machen wird, wie ich bin; – wenn er erst noch wiederkommt, denn das Herumlaufen in der Welt scheint ihm lieber zu sein, als das Arbeiten daheim.«

»Das sag' ich auch, sonst wär' er mir nicht aus der Lehre gelaufen. Er ist ein Thunichtgut, ein trotziger Taugenichts.«

Christel stand auf, trat ans Fenster und vergoß heimliche Zähren.

In demselben Augenblicke knarrte die Hausthür, die sie, des unerwünschten Besuches halber, absichtlich nicht zugeriegelt hatte, und am schweren Tritt erkannte sie ihren Vater. Es fiel etwas wie ein schwerer Sack auf den Hausflur, und keuchend und überschneit trat Rümmler herein.

Er trug eine Büchse in der Hand, die er bei dem Anblicke des unvermutheten Gastes schnell in die »Hölle« warf. Dieser hatte das Gewehr sogleich bemerkt, und ein schadenfroher Blitz schoß aus seinen Augen. Er that indeß, als habe er nichts wahrgenommen.

»Ihr werdet Euch wundern über meinen späten Besuch, Gottlieb,« nahm er das Wort, ohne aufzustehen. »Mein Weg führte mich vorüber, und da ich so nahe war, dachte ich nachzusehen, wie es in Euerm Hause steht. Ich habe gefunden, daß die Noth hier größer ist, als ich mir dachte, und ich will Euch morgen noch einmal Brod borgen.«

»Danke,« erwiederte Rümmler finster – »ist nicht mehr von Nöthen. Ich habe mir inzwischen anders geholfen.«

Auf des Müllers feistem Gesicht erglänzte ein erhöhter Ausdruck von Schadenfreude. »So« – versetzte er – »aber auch ehrlich?«

Rümmler's Gesicht flammte vor Zorn. »Herr,« sagte er, »was giebt Euch ein Recht, mich so zu fragen? Wann saht Ihr je den Rümmler auf unehrlichen Erwerb ausgehen?«

»Nur ruhig Blut, Rümmler! Ihr heißt der Schütz, und mich dünkt, nicht umsonst! Warfet Ihr da nicht ein Ding in die Hölle, was Euch sehr verdächtig macht, diesen Namen heute eben nicht auf ehrliche Art bethätigt zu haben? Laßt doch 'mal sehen!«

Und er ergriff das Lämpchen, das auf dem Tische stand, eilte zur Thür und leuchtete hinaus. – Da lag ein stattlicher Rehbock.

»Sagt' ich's nicht?« sprach der Müller. »Vortrefflich geschossen! Gerade über dem Blatt durch das Genick. Beim heiligen Nepomuk! Ihr macht Eurem Namen keine Schande, Schütz! Nur schade, daß mein Freund, der Oberförster, diese unbefugte Einmischung in seine Gerechtsame nicht dulden und Euch ein paar Jahre ins Zuchthaus wird spazieren lassen.«

»Jesus Maria!« kreischte entsetzt die kranke Marthe – »Gottlieb, was hast Du gethan?«

Rümmler stand wie vernichtet neben der Thür. Sämmtliche Kinder aber waren bei dem kreischenden Ausbruche der Mutter erwacht und umringten heulend den Vater. Christel war ihm jammernd in die Arme gesunken. Mit gräßlicher Kälte kehrte der Waldmüller in die Stube zurück.

»Da hat man die Ehrlichkeit!« sagte er. – »Ich werde stracks zum Oberförster gehen und ihm Anzeige machen.«

»Um aller Heiligen willen!« flehte Marthe – »habt Erbarmen und richtet uns nicht zu Grunde!«

»Christel hat's in ihrer Hand,« murmelte er nach dem Bette hinüber, zog seinen Mantel an, ergriff die Büchse und wollte gehen.

Da riß sich Christel von der Brust des Vaters los, fiel nieder, umfaßte des Müllers Kniee und bat flehendlich, der zahlreichen Familie nicht den Versorger zu rauben.

»Bis morgen früh um 8 Uhr bleibt die Sache mein Geheimniß,« brummte der eherne Mensch und schritt zur Thür hinaus.

Die verschwiegene Nacht deckte jetzt mit ihrem Schleier den Jammer der unglücklichen Familie. Vielleicht, daß der strahlende Morgen Trost und Hoffnung in die kummervolle Hütte bringt.


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