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Religiöse Betrachtung

Es gibt Dinge, die wir von außen bekommen und als Besitz an uns nehmen. Aber mit der religiösen Betrachtung ist es umgekehrt. Hier treten wir mitten in eine große Wahrheit ein und werden von ihr in Besitz genommen.

Laßt uns im Gegensatz dazu sehen, was Reichtum ist. Geld repräsentiert eine entsprechende Summe von Arbeit. Vermittelst des Geldes kann ich die Arbeit vom Menschen loslösen und sie in mein Eigentum verwandeln. Ich erwerbe sie von außen und wandle sie in eigene Kraft um.

Oder nehmen wir das Wissen. Es gibt eine Art, die wir von andern übernehmen, und eine andre Art, die wir uns durch Beobachtung, Experimente und Nachdenken erwerben.

Alles dies sind Versuche, uns etwas, was wir nicht haben, zu eigen zu machen. Bei diesen Dingen sind unsre geistigen und physischen Kräfte in ganz entgegengesetzter Weise tätig als bei der religiösen Betrachtung.

Die höchste Wahrheit können wir nur erfassen, indem wir uns in sie versenken. Und wenn unser Bewußtsein ganz in sie eingetaucht ist, dann wissen wir, daß sie kein bloßer Besitz ist, den wir erworben haben, sondern daß wir eins mit ihr sind.

So werden durch solches Versenken, wo unsre Seele ihre wahre Beziehung zur höchsten Wahrheit findet, auch alle unsre Handlungen und Worte, unser ganzes Wesen wahr.

Ich möchte hier einen Text anführen, der uns in Indien zu solcher Versenkung dient.

Om bhûr bhuva? sva?.
tát savit?r váre?yam
bhárgo devásya dhimahi
dhíyo yó na? pracodáyat Mit Ausnahme der 4 ersten Worte die berühmte Gâyatrî (?gveda 3, 62, 10), s. Sâdhanâ S. 15..

Om. Das heißt Vollkommenheit; es ist in der Tat das symbolische Wort für das Unendliche, Vollkommene, Ewige. Der Laut an sich schon ist vollkommen und stellt die Ganzheit aller Dinge dar.

All unsre religiösen Betrachtungen beginnen mit Om und enden mit Om. Es soll den Geist mit der Ahnung der ewigen Vollkommenheit erfüllen und ihn aus der Welt der engen Selbstsucht befreien.

Bhûr bhuva? sva?.

Bhûr bedeutet die Erde.

Bhuva? bedeutet die mittlere Region, den Luftraum.

Sva? bedeutet die Region der Sterne.

Erde, Luft- und Sternenraum. Mitten ins Herz dieses Weltalls sollst du deinen Geist richten. Du sollst dir gegenwärtig halten, daß du im Unendlichen geboren bist, daß du nicht nur einem besonderen Fleck dieser Erde angehörst, sondern der ganzen Welt.

Tát savitúr váre?yam bhárgo devásya dhímahi. Laßt uns nachdenken über die anbetungswürdige Kraft des Weltschöpfers. Das Wort Schöpfer ist durch beständigen Gebrauch abgegriffen. Aber wir müssen uns die Unermeßlichkeit des Weltalls ins Bewußtsein rufen, wenn wir sagen, daß Gott das Weltall aus seiner unendlichen Schöpferkraft erschafft, nicht durch eine einmalige Schöpfungstat, sondern unaufhörlich, jeden Augenblick.

Alles dies ist ein Ausdruck des ewigen Schöpferwillens. Dieser ist nicht wie das Gesetz der Schwere oder andere Naturgesetze etwas Abstraktes, das wir nicht verehren können und das auf unsre Verehrung keinen Anspruch erheben kann. Sondern unser Text sagt, daß jene Kraft »anbetungswürdig« ist, daß sie unsre Verehrung fordert, weil sie einem höchsten Wesen angehört und keine bloße Abstraktion ist.

Wodurch offenbart sich diese Kraft?

Auf der einen Seite durch Erde, Luftraum und Sternenhimmel, auf der andern durch unser Bewußtsein.

Es besteht eine ewige Verbindung zwischen uns und der Welt, weil diese Welt in unserm Bewußtsein erst ihre volle Verwirklichung findet. Ohne dies Bewußtsein und ohne das höchste Bewußtsein als Quelle und Mittelpunkt, könnte es keine Welt geben.

Gottes Kraft strahlt von ihm aus und strömt als Bewußtsein in mir und in der Außenwelt. Wir selbst trennen gewöhnlich diese beiden Welten, aber in Wahrheit sind sie zwei Seiten derselben Schöpfung, sie sind gleichen Ursprungs und daher eng miteinander verbunden.

So vergegenwärtigt mir diese Betrachtung, daß mein Bewußtsein und die weite Welt außer mir eins sind. Und worin besteht diese Einheit?

Sie besteht in der großen Kraft, die zugleich mich und die Welt außerhalb meiner mit Bewußtsein durchströmt.

Durch solche Versenkung erwerbe ich nicht etwas für mich, sondern ich gebe mich selbst auf und werde eins mit der ganzen Schöpfung.

Dies ist also unser Text, und wir richten unsre Gedanken ganz auf ihn und wiederholen ihn immer wieder, bis unsre Seele still ist und nichts uns mehr zerstreut. In diesem Zustand kann kein Verlust, keine Angst, kein Schmerz uns berühren, wir sind frei. Dies bedeutet also religiöse Versenkung: wir tauchen ganz ein in die höchste Weisheit, wir leben und weben in ihr und haben in ihr unser Sein.

Ein anderer Text, der in unsrer Schule den Knaben zu ihrer täglichen Andachtsübung dient, lautet:

Om. Pitâ no 'si, pitâ no bodhi. Namas te' stû Du bist unser Vater. Sei unser Vater! Anbetung sei dir! ( bodhi kann »sei« und »erwache, merke auf etwas« bedeuten. Die Erklärung des Textes nimmt es in letzterem Sinne, zu dem Verb budh – erwachen, bewußt werden, wissen). .

Pitâ no 'si. Du bist unser Vater.

Pitâ no bodhi. Gib uns das Bewußtsein, das Erwachen zu der Gewißheit, daß du unser Vater bist.

Namas te 'stu. Für nama? läßt sich schwer ein genau entsprechendes Wort finden, vielleicht kommt »Verneigung« oder »Verehrung« seiner Bedeutung am nächsten.

Meine Anbetung dir – laß sie wahr werden.

Dies ist der erste Teil des Textes unsrer Andachtsübung. Ich will versuchen, zu erklären, was ich darunter verstehe.

Pitâ no 'si. Der Text beginnt mit der Versicherung, daß Gott in Wahrheit unser Vater ist.

Aber diese Wahrheit ist in unserm Leben noch nicht als solche erfaßt und zum Ausdruck gekommen, und das ist die Ursache all unsrer Unvollkommenheiten und Sünden und all unsres Elends. Daher beten wir, daß sie in unserm Bewußtsein Wirklichkeit werde.

Dann schließt der Vers mit Namas te. Laß meine Anbetung wahr werden! Weil Anbetung die Haltung ist, die uns ihm gegenüber gebührt. Wenn ich diese große Wahrheit – Pitâ no 'si – vollkommen erkannt habe, dann bringt mein Leben sein wahres Wesen zum Ausdruck, durch demütige Selbsthingabe und anbetende Verehrung.

Beim Gebet brauchen wir mitunter Worte, die zwar unserm Empfinden Ausdruck geben, die wir aber doch nur mechanisch äußern, ohne uns in dem Augenblick ihre volle Bedeutung klarzumachen. Solch ein Wort ist »Vater«.

Daher versuchen wir in dieser Betrachtung seinen Sinn in seiner ganzen Tiefe zu erfassen und unser Herz in Einklang mit seiner Wahrheit zu bringen.

Wir können diese Welt als das nehmen, als was sie uns erscheint. Wir können in unserm Geiste die Vorstellung haben, sie sei eine Welt der Kraft und des Stoffes; dann wird unsre Beziehung zu ihr die rein mechanische Beziehung der Naturwissenschaft. Aber auf diesem Wege gelangen wir nie zu der höchsten Wahrheit, die im Menschen offenbar wird. Denn was ist der Mensch? Er ist ein persönliches Wesen. Das Naturgesetz kümmert sich darum nicht. Das Naturgesetz hat es mit der Physiologie und Psychologie, mit dem Mechanismus unsrer Natur zu tun. Und wenn wir zu unserm persönlichen Wesen kommen, so finden wir kein Naturgesetz, das es uns erklären könnte. Daher hat die Naturwissenschaft keine Ahnung von dem, was die Grundlage unsres Wesens ist. Für sie wird die ganze Welt zur Maschine, und so kann sie nicht auf den Gedanken kommen, in dem Schöpfer den Vater zu sehen oder »die Mutter«, wie wir Inder ihn oft nennen.

Wenn wir in der Welt nur ein Zusammenwirken verschiedener Kräfte sehen, so kann von Anbetung keine Rede sein. Aber wir sind nicht nur Gegenstände der Physiologie und Psychologie. Wir sind Männer und Frauen. Und wir müssen versuchen zu erkennen, welchen Sinn es für uns und für die ganze Welt hat, daß wir Menschen sind.

Die Existenz meines Körpers erklärt die Naturwissenschaft aus allgemeinen Gesetzen. So erkenne ich, daß mein Körper nicht eine isolierte Schöpfung ist, sondern ein Teil eines großen Ganzen. Dann komme ich zu der weiteren Erkenntnis, daß auch das Denken meines Verstandes im Einklang mit allen Vorgängen in der Welt steht, und so kann ich mit Hilfe meines Verstandes all die großen Gesetze, die das Weltall regieren, erkennen.

Aber die Naturwissenschaft verlangt, daß ich hier stehen bleibe. Für sie haben Körper und Geist ihren Hintergrund in dem Weltall, aber für die Persönlichkeit gibt es keinen solchen Hintergrund. Jedoch unser Gefühl wehrt sich gegen solche Behauptung. Denn wenn diese unsre Persönlichkeit keine ewige Beziehung zur Wahrheit hat, wie alles andre, was für eine Zufallserscheinung ist sie denn? Wozu ist sie denn überhaupt da und wie ist ihr Dasein möglich? Diese Tatsache meiner Persönlichkeit bedarf zu ihrer Stütze der Wahrheit der unendlichen Persönlichkeit. Durch die unmittelbare Wahrnehmung des Ichs in uns sind wir zu der großen Entdeckung gekommen, daß es ein unendliches Ich geben muß.

Dann stellt sich uns die Frage: Wie ist unsre Beziehung zu diesem unendlichen Ich? In seinem innersten Herzen findet der Mensch die Antwort, daß es die engste aller Beziehungen, daß es die Beziehung der Liebe ist.

Es kann keine andere sein, denn es gibt keine vollkommene Beziehung außer der der Liebe.

Die Beziehung zwischen König und Untertan, zwischen Herr und Diener, zwischen dem Gesetzgeber und denen, die dem Gesetz gehorchen, – alle solche Beziehungen sind einseitig und dienen einem besonderen Zwecke. Sie umfassen nicht das ganze Wesen. Aber die Beziehung zwischen dem Einzel-Ich und dem Welt-Ich muß vollkommen sein. Denn nur in der Liebe findet unsere Persönlichkeit vollkommene Befriedigung, und daher muß auch unsre Beziehung zu der unendlichen Persönlichkeit die der Liebe sein. Und so hat der Mensch gelernt zu sagen: »Unser Vater«. Gott ist nicht nur unser König oder unser Herr, er ist unser Vater.

Das heißt, es ist etwas in Ihm, woran wir teilhaben, etwas Gemeinsames zwischen diesem ewigen Ich und dem endlichen kleinen Ich.

Aber man könnte noch fragen, warum wir denn das Wort Vater gebrauchen, das doch eine persönliche Beziehung zwischen menschlichen Wesen ausdrückt? Warum suchen wir nicht nach einem anderen Wort? Ist dies nicht zu klein und begrenzt?

Das Wort Vater schließt in unsrer Sanskritsprache den Begriff Mutter mit ein. Sehr oft gebrauchen wir dies Wort in seiner Dualform Pitarau, das »Vater und Mutter« bedeutet. Der Mensch wird in die Arme der Mutter geboren. Wir kommen nicht einfach so auf die Erde, wie der Regen aus der Wolke kommt. Das Große für uns ist, daß wir von Vater und Mutter ins Leben geleitet werden. Es zeigt, daß unsre Beziehung zur Welt von vornherein eine persönliche ist. Und so finden wir auch unsre Beziehung zum Unendlichen. Wir wissen, daß wir aus der Liebe geboren sind, unsre ersten und nächsten Beziehungen sind die der Liebe, und wir fühlen, daß unser Verhältnis zu den Eltern das wahre Symbol ist für unser ewiges Verhältnis zu Gott. Diese Wahrheit müssen wir uns jeden Augenblick gegenwärtig halten. Wir müssen wissen, daß wir auf ewig mit unserm Vater verbunden sind. Dann erheben wir uns über die Nichtigkeit der Dinge, und die ganze Welt bekommt für uns einen Sinn.

Daher ist das erste Gebet, daß wir Gott als Vater erkennen. Du, der du die unendliche Welt von Sternen und Welten schaffst, ich kann dein Wesen nicht erfassen, und doch weiß ich eines ganz gewiß: Du bist Pitâ, bist mein Vater.

Das Kindchen weiß noch nicht viel von dem, was die Mutter tut, aber es weiß, daß es seine Mutter ist.

So weiß ich auch sonst nichts von Gott, aber das Eine weiß ich: Er ist mein Vater.

Laß mein ganzes Bewußtsein von diesem Gedanken durchglüht sein: Du bist mein Vater. Jeden Tag laß dies das eine Zentrum all meiner Gedanken sein, daß der Höchste, der das ganze Weltall regiert, mein Vater ist.

Pitâ no bodhi. Laß mich im Licht dieser großen Wahrheit erwachen: Du bist mein Vater.

Laß mich all meine Gedanken wie ein nacktes Kind in deine Arme legen, daß du sie den Tag über behütest und beschützest.

Und dann: Nama?.

Meine völlige Selbsthingabe wird Wahrheit werden. Hierin findet die Liebe des Menschen ihre höchste Freude.

Namas te, nama? – Anbetung dir – laß es wahr werden!

Ich bin mit dem unendlichen Ich verbunden, und daher ist meine wahre Haltung nicht Stolz oder Selbstzufriedenheit, sondern Selbsthingabe. Namas te 'stu.

Dies ist noch nicht der ganze Text, der meinen Schülern zu ihren Gebeten und Betrachtungen dient.

Dies Gebet ist nämlich verschiedenen Stellen unserer ältesten Schriften, der Veden, entnommen. Es steht nirgends im Zusammenhange. Aber mein Vater, der sein Leben dem Dienste Gottes weihte, sammelte diese Worte aus dem unerschöpflichen Schatzhaus unsterblicher Weisheit, den Veden und Upanischaden.

Der nächste Vers lautet:

Mâ mâ hi?si. Triff mich nicht mit dem Tode.

Wir müssen uns genau den Sinn dieses Gebetes klar machen. Ich sagte, daß der erste Vers lautete: »Du bist mein Vater.« Dies ist der Anfang und das Ende aller Wahrheit. In sie müssen wir ganz hineingeboren werden, wenn unser Leben seine Erfüllung finden soll.

Doch wenn es auch wahr ist, daß wir mit unserm Vater in alle Ewigkeit verbunden sind, so ist doch eine Schranke da, die uns hindert, diese Wahrheit ganz zu erfassen und dies ist die größte Quelle unsrer Leiden. Die Tiere haben auch ihre Schmerzen, sie leiden durch die Angriffe von Feinden und durch physische Unvollkommenheit, und dies Leiden spornt sie noch mehr an, nach Befriedigung ihrer natürlichen Lebensbedürfnisse zu streben und gegen Hindernisse anzukämpfen. Dies Streben und Kämpfen an sich ist Freude. Und wir können sicher sein, daß sie in Wahrheit ihr Leben genießen, weil durch jenen Ansporn ihre ganze Lebensenergie geweckt wird. Sonst würde ihr Leben wie das der Pflanzenwelt sein. Das Leben braucht zu seiner Erfüllung Hemmnisse, um im beständigen Kampf gegen diese materiellen Widerstände sich seiner eigenen Überlegenheit und Würde bewußt zu werden. Aber all diese Hemmnisse werden von den Tieren als Schmerz empfunden.

Allein der Mensch hat noch eine tiefere Leidensquelle. Auch er muß seinen Lebensunterhalt suchen und sich gegen all die Feindseligkeiten der Natur und der Menschen behaupten. Aber das ist nicht alles. Das Wunder ist, daß der Mensch, der in derselben Welt geboren ist, wie die Tiere, der dieselben Lebensprobleme zu lösen hat wie sie, noch etwas anderes hat, um das er kämpft und sorgt, obgleich er es nie ganz zu erfassen vermag. Nur in flüchtigen Augenblicken spürt er seine unmittelbare Berührung, und mitten im Genuß seines Reichtums, in Luxus und äußerem Behagen, umgeben von allen Schätzen dieser Welt fühlt der Mensch doch immer, daß diese Dinge ihm nicht genügen, und aus der Tiefe seines Herzens ringt sich das Gebet, das er nicht an die Naturkräfte der Erde richtet, an Luft oder Feuer, sondern an ein Wesen, das er nur dunkel ahnt – das Gebet: »Rette mich, triff mich nicht mit dem Tode!«

Wir meinen damit nicht physischen Tod, denn wir alle wissen, daß wir sterben müssen. Der Mensch fühlt instinktiv, daß dies Leben nicht sein endgültiges Leben ist, daß er nach einem höheren Leben trachten muß. Und dann ruft er zu Gott: »Laß mich nicht in diesem Tal des Todes. Hier findet meine Seele keine Befriedigung. Ich esse und schlafe, und finde doch weder Sättigung noch Ruhe. Ich darbe mitten in all diesem Reichtum.« Wie das Kind nach der Nahrung schreit, die aus dem eigenen Leben der Mutter quillt, so schreit unsre Seele nach der ewigen Mutter: »Errette mich vom Tode, gib mir Leben von deinem Leben. Ich darbe! Hier finde ich keine Nahrung, und der Tod breitet schon seine Schwingen über mich. Errette mich!«

Víœvani deva savitar duritâni párâ suva! ?gveda 5, 82, 5.

O Gott, mein Vater, nimm diese Welt von Sünden von mir! Wenn dies Selbst alles für sich zu gewinnen sucht, dann stößt es sich beständig wund. Denn das Leben der engen Selbstsucht ist gegen seine wahre Natur; sein wahres Leben ist ein Leben der Freiheit, und daher verletzt es unaufhörlich seine Flügel an den Käfigwänden. Das Selbst kann in solchem Gefängnis kein Genüge und keinen Sinn finden. Es ruft aus: »Ich gelange nicht zu meiner Erfüllung!« Es schlägt gegen die Stäbe des Käfigs, und seine Schmerzen sagen uns, daß nicht das Leben des Ichs, sondern das weitere Leben der Seele sein wahres Leben ist. Dann rufen wir: »Zerbrich dies Gefängnis, ich sage mich los von diesem Ich. Zerbrich alle seine Sünden, all sein selbstsüchtiges Wünschen und Trachten, und nimm mich als dein Kind an, – dein Kind, nicht das Kind dieser Welt des Todes.«

Yád bhadrá? tán na a suva! ?gveda 5, 82, 5. Gib uns das, was gut ist. Sehr oft sprechen wir dies Gebet und bitten unsern Vater, uns das zu geben, was gut ist, aber wir wissen nicht, wie Furchtbares uns zuteil würde, wenn Gott uns unsre Bitte in vollem Maße gewährte. Es gibt nur sehr wenige unter uns, die, wenn sie erkennen, was das höchste Gute ist, noch darum bitten können. Nur der kann es, der sein Leben gereinigt und es aus den Ketten des Bösen befreit hat, der furchtlos Gott bitten kann, sein Werk an ihm zu tun. Er, der sagen kann: »Ich habe meinen Geist von allen selbstsüchtigen Impulsen und von aller Angst und Sorge des engen Lebens im Ich befreit, und nun kann ich voll Zuversicht beten: ›Gib mir, was gut ist, in welcher Gestalt es auch sei, sei es Leid, Verlust, Schmach, Verlassenheit – ich werde es mit Freuden hinnehmen, denn ich weiß, es kommt von dir.‹«

Aber wie schwach wir auch sein mögen, dies muß unser Gebet sein. Denn wir wissen, daß, wer in Gott seinen Vater erkannt hat, alles, was aus seinen Händen kommt, willig hinnimmt, und müßte er auch in Leid und Elend versinken. Das ist wahre Freiheit. Denn Freiheit ist nicht da, wo nur äußeres Glück ist. Sondern wenn wir Gefahr und Tod, Mangel und Leid Trotz bieten können und uns doch frei fühlen, wenn wir nicht den geringsten Zweifel haben, daß wir in unserm Vater leben, dann kommt alles wie eine frohe Botschaft zu uns, und wir können es mit Demut und Freude empfangen und unser Haupt in Dankbarkeit beugen.

Náma? œambhavaya. Vâjasaneyi-Sa?hitâ 16, 41. Ebenso die folgenden Zitate.

»Anbetung dir, von dem alle Freuden des Lebens kommen.« Wir heißen sie froh willkommen, all die verschiedenen Ströme der Freude, die du durch verschiedene Kanäle uns zuleitest, und wir neigen uns in Anbetung vor dir.

Mayobhavâyaca.

»Anbetung dir, von dem die Wohlfahrt der Menschen kommt.« Wohlfahrt enthält beides, Freude und Leid, Gewinn und Verlust. Dir, der du mit Schmerz, Sorge und Not unser Leben segnest, – dir sei Anbetung.

Náma? œivaya ca œivátaraya ca. Vâjasaneyi-Sa?hitâ 16, 41. Ebenso die folgenden Zitate.

»Anbetung dir, dem Gütigen, dem Allgütigen.«

Dies ist der vollständige Text. Der erste Teil ist das Gebet um Erkenntnis, daß wir nicht nur in der Welt der Natur, in der Welt von Erde, Luft und Wasser leben, sondern in der wahren Welt der Seele, in der Welt der Liebe. Und wenn wir erkannt haben, daß wir von dieser Liebe getragen werden, dann empfinden wir die Disharmonie unsres Lebens, das von Liebe nichts weiß. Wir empfinden sie erst, wenn wir Gott als unsern Vater erkannt haben. Aber sobald wir zu dieser Erkenntnis gekommen sind, fühlen wir die Disharmonie unsres Lebens so stark, daß sie uns vernichtet und wir dies Leben als Tod empfinden. Wir können es nicht mehr ertragen, sobald wir uns bewußt werden, daß die Liebe unsres Vaters uns umgibt.

Dann kommt das Gebet um Befreiung aus der Gewalt der Dinge und um das höchste Gut, um die Freiheit in Gott.

Und dann der Schluß. Wir beugen uns in Anbetung vor Ihm, in dem alle unsre Freuden sind, in dem die Wohlfahrt unsrer Seele ist, in dem das Gute ist:

Om, Úânti?, Úânti?, Úânti?. Om.

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