Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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XV.

Am folgenden Tag erhielt Eva durch die Post das angesagte Checkbuch. Der ihr zur Verfügung gestellte Betrag war ein ziemlich beträchtlicher: 40,000 Gulden – ein kleines Vermögen. Sie hielt das Ding in der Hand, erstaunt, bestürzt – was mochte Ralph nur bestimmt haben, ihr dieses Geschenk zu machen, und konnte, durfte sie es annehmen? Noch ein Gedanke stieg ihr auf, indem sie das Büchelchen betrachtete: mit diesem Besitz war sie unabhängig geworden, sie konnte nunmehr, falls sie Großstetten meiden wollte, dasselbe fliehen und sich auswärts durch das Leben schlagen; die Möglichkeit, daß ihre Existenz an Roberts Seite unerträglich werde, war nicht ausgeschlossen. Es war ihr schon öfter eingefallen: wie, wenn Ralph wieder abreiste oder gar – stürbe, wie könnte sie dann neben Robert ausharren? Ralph war ihr Stütze, Trost, Lebensmittelpunkt – vor Robert hatte sie Angst. Die Rauschszene konnte sie nicht vergessen, und seit sie wußte, daß er eines Trunkenboldes, eines Verbrechers Kind war, erschien ihr das rohe, wilde Wesen, welches er damals gezeigt hatte, als sein eigentlicher – im nüchternen Zustand nur verborgener Charakter. Ja, das edle Geschenk Ralphs war eine große Wohlthat: es ließ ihr gegen fürchterliche Möglichkeiten einen Ausweg offen. Sie verschloß das Checkbuch in ein Schreibtischfach und nahm sich vor, dem Geber – wenn sie ihn nun unten beim Frühstück sehen würde zu sagen, daß sie annehme und warum sie annehme, und wie herzlich dankbar sie ihm sei.

Ralph erschien jedoch nicht beim Frühstück. Der Herr Graf, so berichtete der Kammerdiener, war mit dem Förster in die Nachbarschaft gefahren, wo ein Wald lizitirt ward, den der Herr Graf schon lange zu erwerben wünschte.

Auch Robert war abwesend. Von diesem erfuhr Eva, daß er mit dem Frühzug nach Wien gefahren sei. »Also dazu die dreihundert Gulden«, dachte sie achselzuckend. Vielleicht war er sogar bis nach Krems gefahren, das wäre ihr vollkommen gleichgültig – eher angenehm. Die Abwesenheit Ralphs hingegen verursachte ihr eine unsäglich bange Leere. Wie froh war sie, daß er sich nur in die Nachbarschaft begeben; hätte man ihr statt dessen gemeldet, daß er nach Wien gefahren, da wäre die Besorgniß so nah gelegen, daß er wieder, wie das letzte Mal, plötzlich, ohne Abschied, sich für eine weite Reise auf den Weg gemacht. Von dem Waldlauf würde er sicherlich noch heute zurückkommen. Schade nur um die angenehme Arbeitsstunde im Theaterflügel ...

Der Tag wurde Eva lang. Keine Beschäftigung vermochte ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. So beschloß sie, in den Garten hinabzugehen – es zog sie zu dem Teiche hin. Doch, als sie aus dem Schlosse heraustrat, sah sie einen Wagen durch das Parkgitterthor hereinrollen – die Dürenbergsche Equipage.

»Wie fad!« konnte sie sich nicht enthalten, mit Roberts Lieblingswort im Geiste auszurufen. Vermuthlich das alte fürstliche Paar selber, und sie war so gar nicht aufgelegt, einen Ceremonienbesuch anzunehmen – sie hätte so gern am Teichesrand nachgedacht über gestern – an die schöne Fahrt zurückgedacht. Aber was half's? Sie war die Hausfrau. Ihre Pflicht war es, die Gäste mit geheuchelter Freude zu empfangen. Sie blieb vor dem Thore stehen und in der nächsten Sekunde hielt der Wagen an.

Heraus stiegen Liuba und – ein junger Mann. Erstere fiel Eva stürmisch um den Hals:

»O wie ich froh, wie ich froh! Jetzt müssen wir oft, oft uns sehen – alle Tage! ... Hier habe ich Ihnen geführt meinen Schwager, der Bruder von feu, mein Mann –«

Der Vorgestellte verneigte sich, und Eva reichte ihm die Hand.

»Sehr erfreut, Graf Dürenberg.«

Dann führte sie die Gäste in den Saal hinauf.

Auf der Stiege legte Liuba ihren Arm um Evas Taille und flüsterte ihr Mittheilungen über ihren Schwager Adolf zu, der, einige Stufen zurück – außer Gehörweite – den Damen nachging.

»Er ist so gefährlich, chère, Sie müssen Ihr Herz zurückhalten mit zwei Händen. In Wien und überall machte er victimes

»So sind Sie wohl selbst in ihn verliebt?« fragte Eva lächelnd.

Liuba schüttelte den Kopf.

»Nein – ich betrachte ihn als Bruder – denn lieb' ich einen Anderen.«

Im Saale angelangt, nachdem sie ihren Gästen Sitze angewiesen, konnte Eva erst den so gefährlichen Grafen betrachten, was sie, nach allem was sie über ihn gehört, nicht ohne Neugierde that.

Adolf Dürenberg war in der That eine äußerst einnehmende Erscheinung. Sehr hoch und ebenmäßig gewachsen, achtundzwanzig Jahre, feiner lichtblonder Schnurrbart, etwas dunklere dichte Haare, lachende blaue Augen, wunderschöne Zähne; dabei in Kleidung, Haltung und Sprachweise tadellos vornehm.

»Wie lange gedenken Sie sich in Dornegg aufzuhalten?« leitete Eva das Gespräch ein.

Dürenberg antwortete, daß er gewöhnlich so lange bleibe, als die Dornegger Jagden währen – ungefähr vier Wochen. Und in diesem banalen Tone ging es eine Zeitlang fort, doch was die Beiden dabei beschäftigte, war, weit mehr als der Inhalt der ausgetauschten Phrasen, gegenseitige Beobachtung. Denn auch Dürenberg war auf Eva neugierig gemacht worden; Liuba hatte sie ihm als große Schönheit geschildert – und er war in seinen Erwartungen nicht enttäuscht.

»Wie schade,« fiel Liuba ein, »daß Sie sind in Trauer. Während der Jagdsaison ist Dornegg so lustig – da wird Theater gespielt, getanzt – und auch Ihr beau-père wird uns sehr fehlen. Wo ist er denn, der Graf Siebeck? ... Lassen wir ihm doch sagen, daß wir sind gekommen –«

»Mein Schwieg –« Eva brachte das Wort nicht über die Lippen – »er ist nicht zu Hause – schon früh Morgens zu einer Waldversteigerung gefahren.«

»O, wie schade! Wir wollten ihn entführen und Sie auch, Gräfin und Ihren Mann –«

»Mein M –«, auch das war ihr unangenehm auszusprechen, »Robert ist nach Wien.«

»So sind Sie ganz allein? Dann entführen wir Sie ganz allein. Nicht so, Adolf?«

»Das unterliegt gar keiner Frage.«

»Ich verstehe nicht –« sagte Eva.

»Sie fahren mit uns nach Dornegg zurück,« entschied Liuba. »Sie bleiben uns zum Diner. Wir sind noch à peu près en famille« – davon müssen wir profitiren. Morgen kommt schon die erste Serie Eingeladene und da ist's für Euch Andere – mit Eurer Trauer – nicht mehr möglich. Allons! Kommen Sie? Oder besser: Kommst Du? So langweilig, das »Sie« – nicht so?«

Eva drückte der Andern die Hand:

»Sehr gern – wie Du willst ...«

Liuba sprang auf:

»Also schnell – nimm einen Hut und imperméable und komm.

Graf Adolf schloß sich dem Zureden seiner Schwägerin an und Eva willigte ein. Ralph würde doch nicht vor Abends nach Hause kommen ... und übrigens wäre es schwer gewesen, der leidenschaftlichen Liuba Widerstand zu leisten. Zudem versprach sie sich von dem Ausflug Vergnügen.

Zehn Minuten später stieg Eva mit ihren Besuchern in den Dürenbergschen Wagen und befahl, daß ein Großstettner Wagen sie um acht Uhr Abends von Dornegg abholen solle – Liubas Vorschlag, dort zu übernachten, hatte sie dennoch abzulehnen den Muth gefunden. Ihre Sehnsucht war zu groß, heute noch König wiederzusehen.

Graf Adolf saß auf dem Rücksitz. Eva gegenüber. Er sprach viel und amüsant – es gewährte Eva Vergnügen, ihm zuzuhören. Um so mehr Vergnügen, als sie mit dem untrügerischen Instinkt, welcher in diesen Dingen den meisten Frauen eigen ist, recht gut fühlte, daß der glänzende junge Aristokrat sich Mühe gab, ihr zu gefallen – und deshalb sich Mühe gab, weil sie ihm lebhaft gefiel.

Liuba ihrerseits erzählte von ihrer eben durchgemachten Badesaison in Ostende und aus ihren Berichten funkelte es von Glanz und Lustbarkeiten. Es schien, als ob das berühmte Seebad diesmal der Sammelplatz des europäischen Hochlebens gewesen wäre – die Namen, mit welchen Liuba um sich warf, die klirrten nur so von Kronen und Millionen! Orléans – Norfolk – Rothschild – Arenberg – Doria –; und russische Großfürsten, schwedische Prinzen, deutsche Herzoge, indische Nabobs; und Alles badend, reitend, tanzend, »flirtend«. Besonders letzteres schien – in Liubas Auffassung – die angelegentlichste Beschäftigung der Ostender Saisongäste und der »Gesellschaft« im Allgemeinen zu sein: Jener hat Dieser die Cour gemacht: – und Dieser und Jene » se sont quittés«; und der Graf X. machte Narrheiten für die Marquise Z; und die Prinzessin L. wird sich scheiden lassen, um ihren Geliebten, den Fürsten N., zu heirathen – und so ins Unendliche.

Eva lauschte mit Interesse. Seit jeher, d. h. seit ihrer ersten Jugend, als sie mit ihrem Vater klassische Dramen und mit ihrer Mutter moderne Romane gelesen, war eine große Lebensneugierde, ein unersättliches Erfahrenwollen um das Weltgetriebe in ihr rege geworden, und es machte auf sie den Eindruck eines Stückchens Wirklichkeitsromans, was Liuba da unter ihrem übersprudelnden Geschnatter durchschauen ließ. Die Erzählerin selber, in ihrer Pariser Toilette, die den unnachahmlichen Stempel der großen Modeschneider trug, mit ihrer lebhaften, fremdartigen, dabei aber durch und durch » grande dame«-mäßigen Sprechweise – gab die nicht ein lebendiges Romanfigürchen ab? und der erlauchte, korrekte, wunderhübsche junge Weltmann ihr gegenüber, war der nicht auch eine typische Gestalt aus der rauschenden Festkomödie der oberen Zehntausend? Und sie schließlich, die dreiundzwanzigjährige Gräfin Siebeck, mit Schönheit und Geist – dessen war sie sich bewußt – nicht gerade stiefmütterlich ausgestattet, durch Verwandtschaft und Nachbarschaft mit diesen Großen auf gleichen Fuß gestellt, schlecht verheirathet, von ihrem Manne beinahe freigegeben – stand ihr nicht auch die Möglichkeit offen, sich in diesen Strudel zu werfen, alle die Herrlichkeiten mitzumachen: tanzen, reiten, kokettiren, Romanheldin spielen? Der gegenüber wäre gleich Einer – man sieht das Begehren darnach schon bei dieser ersten Begegnung in seinen Augen leuchten – wäre wohl gleich Einer, der sie – in dankbarer Huldigung – mit den so toll zu Kopfe steigenden Freuden eines verbotenen Liebeshandels bekannt machen wollte ...?«

Ein Schauer durchrieselte sie bei diesem Gedanken; aber kein Schauer der Begehrlichkeit, sondern des Abscheues. Unwillkürlich griff sie nach der Kapsel an ihrer Uhr. Da lagen die Talismanworte: »Dank und Verehrung«. Das war ja ihr stolzester Besitz – Königs Achtung – den würde sie nimmermehr verwirken. Und sehnend, Beruhigung suchend flüchteten ihre Gedanken wieder zu Ralphs theurem Bilde. Wie war der doch ganz anders als diese Weltpuppe ... wie viel höher sein Geist, gerader sein Sinn, wärmer sein Herz?

In Dornegg angekommen, führte Liuba ihre neue Dutzschwester vorerst auf ihre Zimmer. Bis zum Diner waren noch beinahe zwei Stunden, da konnte man, ehe man in den Salon ging, noch einige Zeit verplaudern und verrauchen.

Evas Eintritt wurde wieder mit dem Bellen, Kläffen und Kreischen von Liubas Menagerie begrüßt.

»Schweigt, schweigt, meine Seelchen ... Ach – Du machst Dir nicht Idee, ma chère – setz Dich, so daher – sch – sch – mais taisez-vous donc, monstres! – Du machst Dir nicht Idee, wie sehr meine Lieblinge mir gefehlt haben. Tresor und Darling waren bei mir, aber Galubka, meine Gold-Galubka hab' ich müssen hier lassen.«

»Müssen? warum denn?« fragte Eva, um dieser in so traurigem Tone vorgebrachten Mittheilung gegenüber nicht ganz fühllos zu scheinen.

»Weil mein Kleiner närrisch ist in sie – und auch sie, Galubka, kann nicht leben ohne Sergei Gugowitsch.«

»Ah so, Dein Sohn war hier geblieben? Und den hast Du nicht vermißt?«

»O nein, Kinder auf Reisen und aux eaux sind eine große Plage. Uebrigens – die Großeltern lassen ihn nie fort – ich bin gewohnt, ihn nur zu sehen, wenn ich hier bin, in Dornegg. Was thun?«

»Und der Affe war auch mit?«

»Pedigro – mein süßer Pedigro? nein – er verträgt das Fahren nicht. Auch der Kakadu n'a pas le pied marin. Aber reden wir ernsthaft. Du hast gemacht eine Eroberung. Adolf ist getroffen ins Herz. Gare, gare! ... man sagt: es widersteht ihm Keine. Freilich, Du bist eine jeune mariée – aber weißt Du, ich bin offen – das ist mein Charakter – ich sage Alles grad' heraus. Robert Siebeck ist kein Mann für Dich ... Du liebst ihn nicht – er ist die Prosa selber, kalt, trocken ... Ich kenne ihn lang – der kann einer Frau nicht bieten, was ein Frauenherz begehrt ... Sag mir, hast Du gelesen » Crime d'amour«? Nicht? Das mußt Du lesen – da sind Szenen, man muß zittern und beben. Achch – was ist das Leben ohne Liebe?«

»Doch Du selber? ...« fragte Eva zögernd.

»Du glaubst, ich liebe Niemand? O wie denn nicht? Ich bin leidenschaftlich verliebt und unglücklich – bis jetzt. Es sind Viele, die mir wollen machen den Hof – wie denn! Jetzt auch wieder im Seebad ... Da war ein junger Lord Hillsdale, ein amour von einem Engländer, so korrekt, so schmachtend – aber was thun? Ich hatte einen Traum, und das ist ... Laß mich Dir's sagen: Du bist ja meine Freundin, nicht wahr? und Du hältst mir das Geheimniß? Du schwörst es? Du kennst ihn ... es ist ... schwöre! –«

Eva fürchtete zu errathen:

»Bewahre lieber Dein Geheimniß,« sagte sie.

»Nein – da bin ich zu offen. Ich muß mich – ausschütten. Dein beau-père –«

»Und er?«

»O, er wird mich lieben – Kennst Du das Buch » Suggestion de la passion?« – Er muß mich lieben – wie denn nicht?«

»So beabsichtigst Du, meine Stief-Schwiegermutter zu werden?«

»Das nicht, ma chérie« – ich will mich nicht wieder verheirathen. Er wahrscheinlich auch nicht. Und Euch, besonders Robert, wäre das gar unangenehm, nicht so? Lord Hillsdale hat mich auch verlangt in Heirath, pauvre garçon – mager, furchtbar wie mager, war er im Kostüm von Bad. Da ist mein Pedigro neben ihm ein Adonis an Wuchs. Man sagt dort, daß er war du dernier bien mit einer polnischen Fürstin – die Arme! Uebrigens – alle Geschmacke sind in der Natur. Mir haben gefallen in Ostende nur Ein Mann – nur der hätte mir sein können gefährlich: Ein Violinvirtuose. Aus Neapel. Ganz Flamme. Schwarze Augen – so groß (sie zeichnete einen Kreis in der Luft) – sein Spiel wild und süß – aber er war jung verheirathet und verliebt in seine Frau – l'imbécile

So schnatterte Gräfin Liuba noch lange fort. Im Laufe ihrer Herzensergießungen kam sie noch ein paar Mal auf Ralph Siebeck zurück, sprang aber sogleich wieder auf Pedigro, Sergei Gugowitsch oder gar auf den Kakadu ab, welch letzterer mehrere Mal angelegentlich und auch mit Erfolg sich bemühte, die Stimme seiner Herrin zu überkreischen.

Als die beiden jungen Frauen in den Salon hinabkamen, war Eva einigermaßen bestürzt, daselbst eine ziemlich große Gesellschaft versammelt zu finden.

»Du sagtest, ihr wäret en famille,« flüsterte sie Liuba zu, »und diese Menge Leute – in großer Toilette, während ich in meinem Trauerkleid –«

»Das thut nichts. Du bist doch die Schönste.«

Nach den verschiedenen Begrüßungen und Vorstellungen zog Liuba ihre neue Freundin in einen Kreis junger Damen und Herren, welche nunmehr ihre vorher unterbrochene Unterhaltung wieder aufnahmen. Dieselbe schien Eva jedoch ziemlich matt und steif zu sein. Vielleicht galt die Steifheit ihr – war sie doch Keine von der »Coterie«. Sie war in diesen Kreisen nicht aufgewachsen, hatte eine andere Erziehung erhalten, sprach nicht denselben »Jargon«, kannte nicht alle dieselben Leute und Dinge, um welche sich die Interessen der hier Anwesenden drehten, kurz sie fühlte sich einigermaßen als Eindringling. Wieder flüchteten ihre Gedanken sehnsüchtig zu Ralph.

Jetzt kam Graf Adolf zur Thüre herein und eilte auf sie zu:

»Ach, hat Sie Liuba endlich der Mitwelt wiedergegeben, Gräfin? – Erlauben Sie, daß ich mir einen Sessel hierher schiebe – so. – Wie schade doch, daß Ihre Trauer Sie hindert, an unsern bevorstehenden Lustbarkeiten theilzunehmen. Ich arrangire lebende Bilder und brauchte eine Herzogin für Torquato Tasso nothwendig wie ein Stückchen Brod ... Sie wären der richtige Typus.«

»Wie es scheint, bereiten sich glänzende Tage vor in Dornegg.«

»In der That – doch um wie vieles glänzender wären sie ausgefallen, wenn diese fatale Trauer ... daß doch Großmütter immer so mal à propos sterben! Künftigen Fasching werden Sie doch in Wien zubringen? Dann kann das Versäumte nachgeholt werden. Wenn dann, wie gewöhnlich, unsere Fürstin Metternich wieder Theatervorstellungen, Tableaux, Ballets oder was weiß ich in Szene setzt, dann wird man Sie jedenfalls stark in Anspruch nehmen.«

»Nein, Graf Dürenberg, ich habe nicht die Absicht, mich in die große Welt zu stürzen – gehöre übrigens auch gar nicht dazu.«

»Sie wollen sich uns entziehen? Das wäre ein Verbrechen! Meine Mutter wird schon dafür sorgen müssen, daß Sie in der Wiener Gesellschaft die Rolle übernehmen, die Ihnen zukommt, nämlich eine Königin der Saison zu sein.«

»Ich bin nicht hoffähig, wie Sie wissen.«

»Das nimmt man in unserer modernen Welt nicht mehr so genau wie vor zwanzig Jahren – Wenn andere blendende Eigenschaften, wenn solcher bestrickende Liebreiz – so viel Schönheit –«

»Warum sagen Sie mir solche Dinge, Graf Dürenberg? Das beschämt mich. Nach der Krone einer Salonkönigin zu greifen, dazu fehlt mir nicht allein die Berechtigung, sondern auch die Lust. Ich wollte – – Ja, was wollte ich?« – unterbrach sie sich, und das traurige Bewußtsein fuhr ihr durch den Sinn, daß ihrem Leben dasjenige fehlte, was einem Leben Halt und Werth giebt: ein Ziel für die Zukunft, ein Pflichtenkreis für die Gegenwart.

»Was Sie wollten? Das will ich Ihnen sagen.« Graf Adolf neigte sich knapp zu ihr, so daß seine Worte von den Anderen nicht gehört werden konnten. »Genießen wollten Sie, Rosen pflücken, in Freudenfluthen untertauchen, mit Ihren kleinen weißen Füßen auf Flaumenteppichen wandeln, Ihr diamant und perlengeschmücktes Bild von hundert wandhohen Spiegeln und im Auge eines wahnsinnig Geliebten widerstrahlen sehen –«

»Erzählen Sie mir keine Märchen –«

Die Speisesaalthüren wurden geöffnet. Das Diner war aufgetragen. Dürenberg sprang auf:

»Darf ich Ihnen meinen Arm –?«

»Unter der Bedingung, daß Sie vernünftig sein werden,« erwiderte Eva lächelnd.

»Eine harte Zumuthung – in Ihrer Nähe.«

Während des ganzen Speisens gab sich Graf Adolf wenig Mühe, die ihm auferlegte Bedingung zu erfüllen. Er begann, in aller Form dasjenige auszuführen, was Liuba vorausgesagt: nämlich der jungen Gräfin Siebeck lebhaft den Hof zu machen. Sie aber gab ihm wenig Gehör, denn sie fühlte sich mehr beleidigt als geschmeichelt, daß ein Mann, der ihr erst am selben Tage vorgestellt worden, es wagte, so ohne Weiteres als Bewerber um ihre Gunst in die Schranken zu treten. Und sie war kaum ein halbes Jahr verheirathet! War es denn in der Gegend bereits bekannt, auf welchem Fuße sie mit ihrem Gatten stand, oder mißachteten die Leute Robert so sehr, um annehmen zu können, daß seine jungangetraute Frau geneigt wäre, anderweitigen Trost zu suchen?

»Sie kennen Robert schon lange?« unterbrach sie einmal den Rosenkranz von Schönheiten, welche der Nachbar ihr aufsagte.

»O, seit meiner Knabenzeit. Damals haben wir uns öfters geprügelt – und zur Jagd kommen wir öfters zusammen. Aber Freunde sind wir nicht. Merken Sie sich das, Gräfin Siebeck.«

In dem Tone, mit welchem Dürenberg gesprochen, klang es wie große Geringschätzung für ihren Mann. Aber – obwohl sie fühlte, daß ihre Würde ein solches erfordert hätte – Eva fand kein Wort, das sie für den Abwesenden hätte einlegen können. Wieder, wie jedesmal, wenn ihre Gedanken in eine schmerzliche Klemme gerieten, flüchteten dieselben zu Ralph.

»Und sind Sie ein Freund meines Schwiegervaters?«

»Ralph Siebeck? Ich verehre ihn von Weitem.

Wir sind weder Alters- noch sonstwie Genossen. Er hat sich von den Kreisen, in denen ich mich bewegte, immer fern gehalten ... Ich halte ihn für einen edlen, braven, hochdenkenden Menschen. – Wie freundlich Sie doch schauen können, Gräfin – ein so warmer Blickstrahl, wie eben jetzt, hat mir bisher aus Ihren Augen noch nicht geleuchtet.«

An dem anderen Ende des Tisches, wo der Hausherr saß, ward natürlich wieder »Politik« betrieben. Die Gäste des Fürsten kannten dessen Steckenpferd und waren stets bemüht, es ihm vorzuführen, um ihn zu einem kleinen Ritte zu verleiten. Da genügte die geringste Anspielung auf irgend ein im Leitartikel des Morgenblattes behandeltes Thema – und sogleich öffneten sich die Schleusen staatsmännischer Weisheit, von welcher der alte Herr zu überfließen wähnte.

Die Diskussion an dem politischen Tafelende schien eine sehr angeregte gewesen zu sein, denn sie dehnte sich bis über die Dauer des Speisens hinaus; und als man in den Salon zurückgekehrt war, hatte Eva Gelegenheit, die Fortsetzung zu hören, da sie in der Nähe des Kamins saß, an welchen gelehnt der Hausherr also sich vernehmen ließ:

»Es ist eine Schande, eine Schmach ist es, daß das Gift des Liberalismus bis in jene Kreise dringt, auf deren Niedergang er es abgesehen hat. Da giebt es sogar unter unseren Standesgenossen solche, die mit der radikalen Linken kokettiren und dabei vergessen, daß, wenn man sich einmal von der konservativen Sache lossagt, es keinen Einhalt auf dieser schiefen Ebene mehr giebt. Vom Liberalismus zur Sozialdemokratie ist nur ein Schritt, von dieser zum Anarchismus nur ein halber und von letzterem zu Raub, Brandlegung und Mord gar keiner mehr.«

»Ich denke doch«, bemerkte Jemand schüchtern, »es eien da Abstufungen – Nuancen – Fraktionen – aber im Prinzip haben Durchlaucht ja Recht. Wenn man von den gesunden Grundsätzen abweicht ... aber schließlich, eine Opposition muß doch sein.«

»Meinethalben – denn dieselbe hebt die Siege der Regierungspartei nur desto besser hervor und giebt ihr Gelegenheit, die schädlichen Gegenmeinungen zu widerlegen. Aber was ich tadle, ist, daß Leute aus unseren Reihen sich den Wühlern anschließen. Dort sollen nur die Rabulisten – Advokaten und Professoren und solche Leute – ihr Unwesen treiben, aber daß Angehörige des alten Adels wie z. B. Ralph Siebeck –«

»Graf Siebeck ist ja nicht Abgeordneter,« wagte wieder Jemand einzuwenden.

»Einerlei; er giebt doch gelegentlich seine Meinung ab, und die ist stark von Liberalismus angekränkelt. Wenn er kandidirte und gewählt würde, so wäre das ein Unglück.«

»Graf Dürenberg,« sagte Eva zu Adolf, »Sie erklärten vorhin, daß Sie für Ralph Siebeck Verehrung, hegen – verteidigen Sie ihn gegen das, was der Fürst soeben gesprochen hat.«

»Ich habe nicht zugehört; wenn Papa von Politik zu reden anfängt, so verschließe ich mein inneres Ohr dagegen, ich finde das Thema zu langweilig – im Salon.«

»So theilen Sie seine Ueberzeugungen nicht?«

»Doch, doch! Ich bin natürlich auch konservativ und rechtdenkend und dergleichen, wie sich das eben für Unsereinen schickt, aber nicht außerhalb der politischen Wirkungssphäre; wenn ich in das Parlament käme, würde ich schon die Interessen unseres Standes vertreten – aber in der Salonunterhaltung: Gott verhüte.«

»Was einem zu Herzen geht, sollt' ich meinen, was man als tiefe Ueberzeugung mit sich herumträgt, das muß man doch bei jeder Gelegenheit –«

»Sie glauben doch nicht, daß mir Politik zu Herzen geht? Mir ist nichts gleichgiltiger als der ganze Schwindel. Die, deren Amtes es ist, sollen sich während der Verhandlungen die Haare ausraufen und Jeder für seine Partei kämpfen, so gut er kann – aber was ficht das uns an? Wir haben, Gott sei Dank, andere Interessen. Nicht wahr, Ihr Andern?« wandte er sich an zwei oder drei junge Herren, die in derselben Gruppe saßen.

Die Gefragten gaben bereitwillig ihre Zustimmung, ab, daß es zahlreiche fesselndere Interessen gäbe, als die im Abgeordnetenhaus verfochtenen, und dadurch entspann sich unter ihnen eine Besprechung dieser Interessen selber: Taubenschießen, Pferderennen, Klubneuigkeiten (daß General Ronsky wieder 100 000 fl. verspielt); Jagdgeschichten; Geschichten aus der Gesellschaft (die schöne Lori Halmerstein mit dem Rittmeister Valmosy durchgegangen); Theatergeschichten (die Wallinger wird jetzt von dem alten Kosteletz ausgehalten, und die Sängerin Seger hat ihren Schmuck versetzt, um dem jungen Gusti Schitterberg auszuhelfen, dessen Vater, der alte Graf Schitterberg, übrigens auch ihr Geliebter war); Duellgeschichten, Heirathsgeschichten, Erbschaftsgeschichten – Eva hatte längst aufgehört, hinzuhorchen. Alle die erwähnten Personen und Namen waren ihr fremd, was kümmerte es sie, ob dieser oder jener die Familiengüter erhalten hatte; ob der Graf N. dem Neffen anläßlich seiner Heirath 500 000 fl. Schulden gezahlt, ob sich Prinz X. so tief in Spekulationen eingelassen, daß er jetzt ganz ruinirt war, ob der Eine sich zu Tode getrunken, der Zweite an Morphionomanie zu Grunde gegangen und der Dritte durch eine gute Heirath sich »ganz rangirt« hatte?

Sie wandte sich von den jungen Herren ab und lauschte nach den Gesprächen einer Damengruppe hin. Diese war jedoch etwas entfernter und es drangen nur einzelne abgebrochene Sätze zu ihr:

»... retraite im Sacré-Coeur gemacht« »... die Hüte von gindrean und die Kleider von der Morisson« »... vortreffliche Ménage – adoriren sich« »... ganz ein gutes Etablissement für die älteste Tochter« »... nirgends empfangen – eine geborene Niemand« »... schreckliches Kreuz mit den Gouvernanten« »... der Rudi hat sein erstes Reh geschossen und die Jüngste bekommt Zähne« »... Hofdame bei der Erzherzogin Clotilde geworden« »... lawn-tennis gespielt und sehr viel voisinirt« »... künftigen Fasching die zweite Tochter aufgeführt« »... drei Dutzend warme Röcke für die Armen gestrickt« »... miserabel die Loge in der Burg man sieht die Bühne kaum« »... für unsern Hauskaplan ein Meßgewand.«

Da war Eva auch nicht länger neugierig. Sie blickte auf die Uhr – es konnte nicht mehr weit von der achten Stunde sein – sie hatte Sehnsucht nach Hause. Ueberall war die Welt leer, leer – nur im Großstettner Theaterflügel, da gab es ein belebtes Stückchen ...

Sie stand von ihrem Sitze auf und begab sich an ein anderes Ende des Salons, wo Liuba am Samovar beschäftigt war.

»Willst Du so gut sein, fragen zu lassen, ob mein Wagen schon da ist – ich muß an die Heimfahrt denken.«

»Ach – quelle idée – wir lassen Dich nicht weg.«

Dieser Widerstand verstärkte Evas Sehnsucht. Dabei befiel sie aber – wie ein Herzkrampf – ein Zweifel: Wie, wenn sie Großstetten auch »leer« fände? Am Ende war er doch nicht zu einer Waldversteigerung gefahren, sondern fort, weit fort ...

»Aber chére, Du mußt nicht gar so ein Gesicht von martyre machen. Wenn Du bestimmt nach Hause fahren willst, so werde ich Dich nicht zwingen – Adolf wird Dich eskortiren – zu Pferd – oh, ganz bestimmt.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und – Ralph Siebeck trat herein.

Die von allen Seiten sich erhebenden Rufe der Ueberraschung und der Bewillkommnung übertönten Evas leisen Freudenschrei.

»Ich bin gekommen, meine Schwiegertochter abzuholen,« erklärte Ralph seinen unerwarteten, späten Besuch.

»Schön, sehr schön – aber jetzt müssen Beide noch den ganzen Abend hier bleiben.«

Bald war die allgemeine Unterhaltung im Gange.

»Hören Sie, Siebeck,« sagte der junge Dürenberg, im Laufe des Gesprächs, »vorhin bin ich aufgefordert worden, eine Lanze für Sie zu brechen. Jetzt können Sie selber für sich eintreten. Mein Vater nämlich hatte Sie des extremen Liberalismus angeklagt und Gräfin Eva wollte mich zu Ihrem Vertheidiger einsetzen. Das einfachste ist, Sie geben nun selber die Erklärung ab, welcher Partei Sie angehören.«

»Partei? Gar keiner,« erwiderte Ralph »Mein Ideal wird durch keine der bestehenden politischen Gruppirungen vertreten. Gegen die Einreihung unter den »Liberalismus« werde ich mich allerdings nicht verwahren, insofern mit diesem Schlagwort die Bekennung zum Freiheitsprinzip gemeint ist. Denn wahrlich ich glaube, daß es höheres und erstrebenswertheres nicht giebt – auf allen Gebieten – als die Freiheit; aber die politischen Losungsworte verlieren in der Praxis gewöhnlich die ihrer Etymologie entsprechende Bedeutung. Es ist der Parteigeist allenthalben ein jämmerlich enger, und obwohl Jeder vorgiebt, das allgemeine Beste, die Staatswohlfahrt zu fördern, ist Jeder doch mehr oder minder auf die Wahrung des eigenen oder des Standesinteresses bedacht, und auch einem Einzelnen, der wirklich für die Interessen der Allgemeinheit sich begeistert, fehlt innerhalb der heutigen politischen Zustände – die Möglichkeit, dafür zu wirken; er muß seine ganze Kraft auf die Bekämpfung der sich entgegenstemmenden Sonderinteressen verausgaben; seine Ansichten und Ziele sind den Gegnern ganz unverständlich und sie schieben ihm dieselben Motive unter, die sie selber hegen. Das Ideal des sozialen Fortschritts, das mir vorschwebt, die Aufhebung der Schäden und Gefahren, das sind – unter den obwaltenden Umständen – unerreichbare Dinge. So lange die Politiker einander befehden, statt vereinigt einem klar erkannten Ziele entgegenzusteuern; so lange die zu persönlichen Zwecken angewandte Schlauheit für Staatsweisheit gilt, so lange wird von den Volksvertretungen nichts für's Volk ersprießliches errungen werden. Noch ist die Wahrheit – die heilige Wahrheit – nicht zur Grundlage des politischen Denkens und Handelns geworden; weder die objektive Wahrheit erkannter Thatsachen, noch die persönliche Wahrhaftigkeit, und ohne diese ist alles nur – Chaos. Es giebt eine Gesellschaftswissenschaft, gerade so, wie es eine Astronomie giebt; – auf unsere Sternwarten schicken wir nur Astronomen, aber in unsere Parlamente schicken wir zumeist Solche, welche in der Soziologie nicht nur unbewandert sind, sondern gar nicht wissen, daß sie existirt; welche nicht wissen, daß der Gang der gesellschaftlichen Entwickelung ebenso festen Gesetzen folgen muß, wie der Gang der Gestirne. Dabei ist aber die Gefahr eine viel größere, als wenn man Unwissende auf die Sternwarte schickte; die würden höchstens in unsinnige Sterndeuterei verfallen, ohne den Kreislauf der fehlerhaft beobachteten Welten zu hemmen; aber die unwissenden, mit legislativer Macht betrauten Parlamentarier greifen in den Gang der Ereignisse ein, deren Bewegungsgesetze sie nicht kennen, und richten so die heillosesten Zusammenstöße und Verwirrungen an.«

»Glauben Sie denn,« fragte Einer in spöttischem Tone, »daß sich das Gravitationsgesetz finden ließe, welches den ersprießlichen Lauf des sozialen Lebens regieren sollte?«

»Das Gesetz ist gefunden – doch leider sind dessen Formeln noch nicht allgemein erkannt und nicht angewendet – und es heißt: Die Gerechtigkeit.«

Eva hatte dem Sprecher mit höher klopfendem Herzen gelauscht. Nicht, daß sie den Sinn seiner Worte genau erfaßt hätte, dazu lag auch ihr das in Rede stehende Gebiet zu fern; aber sie hatte herausgehört, daß er auf einen höheren Standpunkt sich gestellt, als auf den des Parteihaders, daß sein Geist sich hinausschwang über die Spaltungen und Wirrsale der politischen Praxis bis zu den weiten Gesichtskreisen eines nach ewigen Gesetzen geformten politischen Ideals; wie Musik klangen ihr jene Worte nach, die er in begeistertem Tone ausgesprochen – die Worte Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit.

Die Anderen spannen das Gespräch noch weiter fort, aber Eva horchte nicht mehr hin, denn Ralph nahm nicht länger Theil daran. Liuba hatte ihn mit einem Zeichen eingeladen, zu ihrem Theetisch zu kommen.

Eva begab sich an dieselbe Stelle. Sie wollte der verliebten Russin nicht Gelegenheit lassen, mit Ralph unbelauschte Worte zu tauschen. Es war eine Regung leiser Eifersucht, welche sie veranlaßte, so zu handeln: Die »Suggestion de la Passion« sollte da nicht abgespielt werden.

»Ich bitte auch um eine Tasse Thee, Liuba!« Und zu Ralph gewendet: »Wollen wir nicht bald nach Hause – ?«

Er warf ihr einen warmen Blick zu:

»Ja, bald, mein Kind – gleich, wenn Du willst.«

»Wie Sie eilig,« bemerkte Liuba in bitterem Tone und mit lauernder Miene, als hätte sie jenen Blick aufgefangen. Eva erröthete.

Graf Adolf Dürenberg trat hinzu:

»Es wundert mich. Siebeck, daß nach dem Trauerfall, der Sie betroffen, Sie nicht wieder eine Ihrer weiten Reisen unternommen haben.«

»Vielleicht findet der Graf genug Zerstreuung zu Hause,« sagte Liuba mit derselben Miene von vorhin, » Dis-donc, Adolphe – kannst Du die Gräfin nicht zurückhalten – sie ist schon ungeduldig, fortzufahren.«

»Ich? Ungeduldig? Durchaus nicht – aber ich dachte, so lange der Mond –«

»Ihr habt doch Laternen am Wagen?«

»Ja,« antwortete Ralph, »aber der Mond ist in der That ein guter Verbündeter zu so einer Nachtfahrt, und wir wollen seine Mitwirkung benutzen.«

Zehn Minuten später, nachdem alle Verabschiedungen bei den Hausleuten und Gästen von Dornegg erledigt waren, gingen Ralph und Eva die Treppe hinab; Letztere am Arme Adolfs, der es sich nicht hatte nehmen lassen, die Gäste zu ihrem Wagen zu geleiten.

»Um welche Stunde störe ich Sie am wenigsten, Gräfin,« sagte er, »wenn ich nach Großstetten komme, Ihnen meine Huldigung darzubringen?«

»O, ich bin den ganzen Vormittag zu Hause.«

»Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich bald, sehr bald komme, ich habe das Bewußtsein, daß ich bis zu meinem nächsten Besuch nur halb am Leben sein werde. Morgen kommt unsere Serie von Eingeladenen an, da muß ich natürlich meinem Vater helfen, die Jagdhonneurs zu machen, aber übermorgen sind Sie vor mir nicht mehr sicher.«

»Wird mich sehr freuen,« entgegnete Eva zerstreut.

Von Liuba war sie etwas kalt geschieden. »Du bist eine schlechte Freundin,« hatte ihr diese beim Abschiedskuß zugeflüstert; »nach der Confidence, die ich Dir gemacht, hast Du mir Jemand nicht so schnell sollen entführen.«

Der Wagen, in welchem Ralph gekommen, seine Schwiegertochter abzuholen, war ein zweisitziger, offener Phaeton, gegen die herbstliche Abendkühle mit Pelzteppich und Decke versehen. Auch einen warmen Mantel hatte er für Eva hineinlegen lassen.

Graf Dürenberg half der jungen Frau diesen Mantel umnehmen, und indem er sie in den Wagen hob, küßte er ihr die Hand. Ralph stieg nach ihr ein und setzte sich an ihre Seite. Dabei war Adolf behilflich, die Pelzdecke über Beider Schooß zu legen.

»Auf übermorgen, Siebeck! Ich habe der Gräfin schon meinen Besuch angesagt ... Ich freu' mich auch, die Sachen anzuschauen, die Sie von Ihrer letzten Reise für Ihr Museum mitgebracht haben. Gute Nacht – glückliche Fahrt.«

Der Wagen rollte hinaus. Nach einiger Zeit:

»Ich glaube, Du hast eine Eroberung gemacht.«

Statt aller Antwort sagte sie:

»Liuba Dürenberg betet Dich an.«

»Das ist mir gleichgiltig, Eva.«

»Und mir die Eroberung, König.«

Eine lange Pause.

»Ist Dir nicht kalt?« Dabei hüllte er sie fester in die Decke.

Sie schüttelte nur verneinend den Kopf; sie sagte nicht laut, daß, weit entfernt, Kälte zu spüren, sie sich glühen und brennen fühlte. Nach einer Weile sagte sie:

»Mir war heute die Idee gekommen, Du seiest wieder fortgereist ...«

»So wie damals, als ich Dich fliehen wollte?

Jetzt könnte ich's nicht mehr – es ist zu spät.«

»Warum auch fliehen – sind wir nicht glücklich so?«

»Nein.«

Auf dieses kurze, in beinah zornigem Tone gesprochene Wort wagte Eva nichts mehr zu erwidern.


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