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1. Aus dem Geschlecht der Domitier sind zwei Familien berühmt geworden: die Calvinus und die Aenobarbus. Die Aenobarbus haben zum Gründer ihrer Familie und des Beinamens derselben den Lucius Domitius. Als dieser einmal vom Felde heimkehrte, begegneten ihm zwei Jünglinge von übermenschlich erhabener Gestalt, die ihm im Vorbeigehen befahlen, dem Senat und Volke einen Sieg zu melden, von dem man (in Rom) noch nichts Zuverlässiges wußte Über diese Erscheinung der Götterjünglinge Kastor und Pollux, welche so dem römischen Volke den Sieg am Regillussee verkündeten, und über die daran sich knüpfende Verehrung der Dioskuren in Rom findet man das Nähere bei Plutarch, Ämilius Paullus 25, und Adolf Stahr, Torso I, S. 227-229., und ihm zum Zeichen ihrer Göttlichkeit durch eine leise Berührung seiner Wangen sein bisher schwarzes Haupt- und Barthaar in rötliches und erzfarbenes verwandelten. Diese Auszeichnung blieb auch seinen Nachkommen, und die meisten derselben haben einen rötlichen Bart gehabt. Auch als sie dann bereits in ihrer Familie sieben Konsulate, zwei Triumphatoren und zwei Censoren zählten und unter die Patrizier aufgenommen worden waren, behielten sie alle denselben Zunamen bei. Selbst Vornamen hatten sie keine anderen, als Gnäus und Lucius, und zwar mit der bemerkenswerten Eigentümlichkeit, daß sie entweder je einen derselben durch drei aufeinander folgende Personen beibehielten oder einzeln damit abwechselten. Denn der erste, zweite und dritte Aenobarbus hießen, wie berichtet wird, alle Lucius, die drei der Reihe nach folgenden wieder Gnäus, die übrigen im regelmäßigen Wechsel bald Lucius, bald Gnäus. Ich halte es für zweckmäßig, den Leser mit mehreren Gliedern dieser Familie bekannt zu machen, damit man desto leichter einsehe, daß Nero, trotz seiner Entartung von den Tugenden seiner Ahnen, doch von ihren besonderen, gleichsam überlieferten und angeborenen Lastern ein treues Abbild gewesen.
2. Also, um etwas weit auszuholen: Sein Großeltervater, aufgebracht auf die Pontifices, weil sie einen anderen als ihn an seines Vaters Stelle zu ihrem Kollegen gewählt hatten, entzog während seines Tribunals den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung und übertrug dasselbe dem Volke. Als Konsul nun gar durchzog er, nachdem er die Allobroger und Arverner überwunden hatte, die Provinz auf einem Elefanten, begleitet, wie auf einem Triumphfestzuge, von einer Schar Soldaten. Die Ausleger bemerken, daß dieser Zug übermütigen Stolzes von dem Vater des ersterwähnten Domitius erzählt werde. Dieser Domitius war es, von dem Licinius Crassus, der Redner, sagte: » es sei kein Wunder, daß er einen ehernen Bart habe, da seine Stirn von Eisen und sein Herz von Blei sei«. Sein Sohn war es, der als Prätor den Gajus Cäsar, als derselbe das Konsulat niedergelegt hatte, das er nach der Meinung der aristokratischen Partei gegen Auspizien und Gesetze verwaltet hatte, zur Untersuchung vor den Senat zog Vgl. oben im Leben Cäsars Kap. 23-24. und später als Konsul den Imperator von seinen gallischen Heeren abzuberufen versuchte und, von der dem Cäsar feindlichen Partei zu dessen Nachfolger ernannt, im Anfange des Bürgerkrieges bei Corfinium gefangen wurde. Aus der Gefangenschaft entlassen, begab er sich zu den hartbelagerten Massiliern und verstärkte durch seine Ankunft deren sinkenden Mut, verließ sie aber plötzlich Vgl. Cäsar, Bürgerkrieg II, 22. und fiel endlich in der Pharsalischen Schlacht. Vgl. Cäsar am angeführten Orte III, 99. Er war ein Mann von unbeständigem Charakter, aber von trotziger Sinnesart, der in einer verzweifelten Als Gefangener in Korfu. S. Plutarch, Cäsar 34. Lage vor dem Tode, den er aus Furcht gesucht hatte, dergestalt erschrak, daß er das genommene Gift voll Reue über seinen Entschluß durch ein Brechmittel wieder von sich gab und seinem Arzte die Freiheit schenkte, weil derselbe ihm in wohlüberlegter Absicht eine unzureichende Dosis gemischt hatte. Und doch war er es, der, als Cnejus Pompejus über die Behandlung der Neutralen, die sich für keine von beiden Parteien erklärten, Beratung hielt, allein dafür stimmte, daß man sie als Feinde ansehen müsse.
3. Er hinterließ einen Sohn, der ohne Zweifel vor allen seines Geschlechts den Vorzug verdient. Er befand sich unter denen, welche von dem Mordanschlage gegen Cäsars Leben Kenntnis hatten, wurde, obgleich er an der Tat keinen Teil genommen, in die Verurteilung durch das Pedische Gesetz »Ein Gesetz, welches der Konsul Quintus Pedius vorgeschlagen hatte und das die Teilnehmer an der Verschwörung gegen Cäsar ächtete. Siehe Vellejus Paterculus II, 69; Galba 3.« Bremi. mit einbegriffen, begab sich zu Brutus und Cassius, mit denen er durch nahe Verwandtschaft verbunden war, behauptete nach beider Untergange die ihm unlängst anvertraute Flotte, verstärkte sie sogar und ergab sich erst, als seine Partei überall völlig zu Boden geschlagen war, freiwillig dem Antonius Asinius Pollio bestimmte ihn dazu. S. Vellejus II, 76., was ihm so hoch angerechnet wurde, daß er allein von allen unter die Verurteilung desselben Gesetzes begriffen Gewesenen die Erlaubnis zur Rückkehr nach Rom erhielt und die höchsten Ehrenstellen der Reihe nach durchlief. Als in der Folge der bürgerliche Zwist von neuem ausbrach, war er Legat desselben Antonius, und da er den Oberbefehl über die Armee, welcher ihm von denen, die sich der Kleopatra schämten, angetragen wurde, wegen einer plötzlichen Erkrankung weder anzunehmen, noch geradezu auszuschlagen wagte, ging er zum Augustus über, wo er innerhalb weniger Tage starb, nicht ohne einen gewissen Makel seines Ruhmes zu erleiden. Denn Antonius sagte ihm laut nach, daß ihn die Sehnsucht nach seiner Geliebten, Servilia Nais, zum Überläufer gemacht habe. Die von Shakespeare in seiner Tragödie »Antonius und Kleopatra« benutzten einzelnen Züge aus den letzten Lebenstagen des Domitius findet man bei Plutarch im Leben des Antonius 68 und bei Vellejus Paterculus II, 84.
4. Dies ist der Vater jenes Domitius, der, wie späterhin allgemein als bedeutungsvoll bezeichnet wurde, im Testamente des Augustus den Käufer der gesamten Hinterlassenschaft machte Der Erblasser berief, wenn er sein Testament machte, jemand zu sich, dem er in Gegenwart von Zeugen alles, was er besaß, zum Schein verkaufte. Der Scheinkäufer zahlte dann den Erben die ihnen im Testamente bestimmten Anteile aus. (Nach Bremi.), in seiner Jugend als trefflicher Wagenlenker, später durch die im Germanischen Kriege erworbenen triumphalischen Auszeichnungen berühmt, dabei aber anmaßend, verschwenderisch und unholder Gemütsart. Den Censor Lucius Plancus zwang er, obschon er nur erst Ädil war, ihm auf der Straße auszuweichen; als Prätor und Konsul ließ er römische Ritter und edle Frauen auf dem Theater zur Darstellung von Mimen auftreten. Tierhetzen gab er nicht nur im Circus, sondern auch in allen Regionen der Stadt, ferner auch ein Gladiatorenkampfspiel, wobei er so grausam verfuhr, daß Augustus sich in die Notwendigkeit versetzt sah, ihm, da er auf private Ermahnungen nicht geachtet hatte, durch ein Edikt Einhalt zu tun.
5. Er hatte von der älteren Antonia einen Sohn, der später Neros Vater wurde und in allen Beziehungen seines Lebens ein abscheulicher Mensch war. So ließ er als Begleiter des jungen Gajus Cäsar Sohn des Agrippa und der Julia. S. August 64 u. 65. in den Orient seinen Freigelassenen umbringen, weil derselbe sich geweigert hatte, so viel zu trinken, als ihm befohlen worden war, und wurde dafür aus dem Gefolge des Prinzen entlassen, lebte aber nichtsdestoweniger in seiner Wüstheit fort, wie er denn (gleich bei der Rückreise nach Rom) in einem Weiler an der Appischen Straße einen Knaben in einem plötzlichen Anfalle seiner Laune vorsätzlich durch schnelles Fahren räderte und in Rom selbst einem römischen Ritter, der sich erlaubte, ihm in einem Zanke mit dreisten Worten zu erwidern, mitten auf dem Forum ein Auge ausschlug. Dabei war er von solcher Niederträchtigkeit, daß er nicht nur die Bankiers um die Beträge der für ihn gemachten Ankäufe, sondern während seiner Prätur sogar die Wagenlenker um die von ihnen gewonnenen Siegespreise betrog. Als ihn seine Schwester hierüber aufzog und die Vorsteher der Wettrenngesellschaften Beschwerde führten, bestimmte er feierlich: » in Zukunft sollten die Siegespreise sofort bar ausgezahlt werden!« Auch dies war nur ein boshafter Witz, weil dies Edikt keinen Schadenersatz für das Geschehene gewährte und für die Zukunft keine Gültigkeit hatte. Auch wegen Majestätsbeleidigung S. Tacitus, Annalen VI, 47., mehrfachen Ehebruchs und Blutschande mit seiner Schwester Lepida ward er gegen das Ende von Tibers Regierung angeklagt, schlüpfte aber infolge des eintretenden Thronwechsels durch und starb zu Pyrgi Stadt in Etrurien, römische Kolonie, jetzt Santa Severa. an der Wassersucht mit Hinterlassung eines Sohnes von der Agrippina, der Tochter des Germanicus.
6. Nero wurde zu Antium im neunten Monate nach Tibers Ableben, den 15. Dezember, genau beim Aufgange der Sonne geboren, so daß er sozusagen von ihren Strahlen früher als von der Erde berührt wurde. D. h. ihre Strahlen trafen den Neugeborenen, ehe er noch, was sofort nach der Geburt geschah, der Sitte gemäß auf die Erde gelegt wurde, von welcher ihn der Vater, zum Zeichen der Anerkennung, aufzunehmen hatte. Die meisten Übersetzer fassen terra fälschlich als Nominativ. Die Umstände seiner Geburt Sein Horoskop u. a. m. veranlaßten gleich anfangs viele Personen zu vielfachen fürchterlichen Prophezeiungen, zu denen auch seines Vaters Domitius Ausruf gehörte, der auf die Glückwünsche der Freunde äußerte: » von ihm und der Agrippina habe unmöglich etwas anderes, als ein Scheusal und Verderben der Welt, geboren werden können!« Zugleich aber ward ein augenfälliges Vorzeichen seines zukünftigen Glückes an seinem Lustraltage Wir würden sagen: »an seinem Tauftage«. Denn der Lustraltag hieß bei den Knaben der neunte (bei den Mädchen der achte) Tag nach ihrer Geburt, wo sie in Gegenwart der Verwandten unter allerlei Ceremonien ihre Namen erhielten. Vgl. Macrobius I, 16. Hier war es der Kaiser Caligula (Gajus), der den Namen zu geben aufgefordert wurde. wahrgenommen Das Glück bestand in seiner Gelangung zum Throne durch die Adoption des Claudius. Ich übersetze nach Lipsius und Ernesti felicitatis statt infelicitatis., indem Gajus Cäsar auf die Bitte seiner Schwester, dem Kinde einen ihm beliebigen Namen zu geben, mit einem Blicke auf seinen väterlichen Oheim Claudius, der später als Kaiser den Nero adoptierte, ausrief: » Nun wohl, so möge er Claudius heißen!« Er sagte dies aber nicht etwa im Ernst, sondern bloß, um einen Spaß zu machen, und auch Agrippina verwarf den Namen, weil damals Claudius das allgemeine Gespött des Hofes war. Dreijährig verlor er seinen Vater, der ihn nur zum dritten Teil als Erben eingesetzt hatte, und auch diesen Teil erhielt er nicht einmal vollständig, weil sein Miterbe Gajus sämtliche Güter an sich riß Vgl. oben Caligula 38; und als später auch seine Mutter verbannt worden war Vgl. Caligula 24., wurde er fast mittellos und dürftig im Hause seiner Tante Lepida unter der Aufsicht von zwei Hofmeistern auferzogen, von denen der eine ein Tänzer, der andere ein Barbier war. Als aber Claudius zur Regierung gelangt war, erhielt er nicht nur sein väterliches Vermögen zurück, sondern wurde auch durch die Erbschaft seines Stiefvaters Crispus Cassienus völlig ein reicher Mann. Durch die Gunst und den Einfluß seiner aus der Verbannung zurückberufenen Mutter gelangte er dann zu einer so hervorragenden Stellung, daß sich im Publikum das Gerücht verbreitete: Messalina, des Claudius Gemahlin, habe Leute abgeschickt, die ihn als einen Nebenbuhler des Britannicus, während er Siesta hielt, erwürgen sollten. Als Zusatz dieses Stadtgesprächs hieß es später: die Mörder seien vor Schreck über eine aus dem Lagerpolster sich hervorringelnde große Schlange zurückgeflohen. Andere Version dieses Schlangenmärchens bei Tacitus, Annalen XI, 11. – [Exuvien = abgestreifte Haut.] Dieses Histörchen entstand dadurch, daß einmal in seinem Bette unter den Kopfkissen die Exuvien einer Schlange gefunden worden waren, die er wirklich später nach dem Willen seiner Mutter lange Zeit hindurch in einem goldenen Armbandmedaillon am rechten Arme getragen hat, welches er erst spät, als ihm das Andenken seiner Mutter zuwider geworden war, von sich tat und erst in der Not seiner letzten Lebenstage, wiewohl vergeblich, wieder aufsuchte.
7. Noch im zarten Alter stehend und kaum ein Knabe zu nennen, spielte er schon in den Circusvorstellungen das Trojaspiel mit höchster Ausdauer und großem Beifall. Im elften Jahre seines Alters wurde er von Claudius adoptiert und dem Annäus Seneca, der damals bereits Senator war, zur wissenschaftlichen Erziehung übergeben. Man erzählt, Seneca habe die Nacht darauf geträumt: er unterrichte den Gajus Cäsar (Caligula), und Nero bewährte bald darauf diesen Traum, indem er die Unmenschlichkeit seiner Natur durch alle ihm damals möglichen Proben zu erkennen gab. Denn er erfrechte sich, seinen Bruder Britannicus, aus Ärger darüber, daß dieser ihn nach erfolgter Adoption noch aus Gewohnheit (mit seinem bisherigen Namen) Aenobarbus gegrüßt hatte Vgl. Tacitus, Annalen XII, 41., bei dem Vater als untergeschobenen Sohn auszugeben. Gegen seine Tante Lepida, welche angeklagt war, trat er öffentlich als Belastungszeuge auf, um seiner Mutter, deren Haß auf der Angeklagten lastete, einen Gefallen zu tun. Bei seiner Bekleidung mit der männlichen Toga aus dem Forum versprach er dem Volke eine Gabenspende und dem Militär ein Donativum So hieß das Geldgeschenk der Soldaten., ließ die Prätorianer ein Manöver ausführen, wobei er selbst kommandierte, und hielt zum Schlusse im Senat seinem (Adoptiv-)Vater eine Dankrede. Vor demselben als Konsul plädierte er für die Einwohner von Bononie in lateinischer, für die von Rhodus und Ilium in griechischer Sprache. Er debütierte auch im Rechtsprechen als Stadtpräfekt am Lateinerfeste S. oben die Anmerkung zu Claudius 4., wo die berühmtesten Anwälte auftraten und nicht, wie gewöhnlich zu geschehen pflegt Nämlich zur Zeit dieses Festes, wo man vor die während desselben mit der Präfektur der Hauptstadt eigens betrauten Magistrate nur geringfügige und schnell zu entscheidende Rechtshändel zu bringen pflegte. Allein diesmal wollten die Sachwalter, weil ein Prinz diese Stellung bekleidete, diesem ihre Achtung bezeigen., geringfügige und schnell zu entscheidende, sondern hochwichtige Rechtsfälle in großer Anzahl ihm wetteifernd zur Entscheidung vorlegten, obschon Claudius es verboten hatte. Nicht lange darauf heiratete er die Octavia, wobei er infolge eines Gelübdes für das Leben des Claudius Circusspiele und Tierhetzen veranstaltete.
8. Er war siebzehn Jahre alt, als er, nachdem das Ableben des Claudius offiziell verkündigt worden war, zwischen der sechsten und siebenten Stunde aus dem Palaste zu der wachthabenden Kohorte hinaustrat Das Dramatischlebhafte in dieser Schilderung bei dem sonst so ruhigen Sueton erklärt sich durch die Wichtigkeit und Bedeutung einer Erscheinung wie Nero auf dem Throne der Cäsaren und aus dem Streben, seine Anfänge möglichst prägnant hervorzuheben. Die Schilderung des Tacitus (Annalen XII, 69) ist freilich noch plastischer. – weil nämlich der ganze Tag ein Unglückstag war, schien diese Stunde noch als der einzig passende Moment der feierlichen Besitzergreifung der Herrschaft – und, auf der Freitreppe des Palastes als Imperator begrüßt, sich in einer Sänfte ins Lager und, nachdem er dort in aller Eile die Garden zur Huldigung aufgefordert hatte, zur Kurie tragen ließ. Erst gegen Abend kehrte er zurück, überhäuft mit Ehrenbezeigungen, von denen er nur eine, den Namen » Vater des Vaterlandes«, seines Alters wegen abgelehnt hatte.
9. Den Anfang seiner Regierung machte er hiernächst mit der Schaustellung seiner Pietät, indem er den Claudius prachtvoll bestattete, ihm eine Lobrede hielt und ihn apotheosierte. Dem Gedächtnis seines Vaters Domitius erwies er die größte Ehre. Seiner Mutter überließ er die ganze Leitung der Staats- und häuslichen Angelegenheiten. Auch gab er am ersten Tage seiner Regierung dem die Palastwache kommandierenden Tribunen als Parole »Die beste Mutter!« und zeigte sich in der Folge häufig mit ihr öffentlich in derselben Sänfte. Nach Antium führte er eine Kolonie zum Teil aus Veteranen der Garde und versetzte zugleich die reichsten unter den Oberoffizieren (Primipilaren) dorthin Die reichen und angesehenen ausgedienten Centurionen (Primipilares, s. zu Caligula 38), deren Wohnsitz er nach dem neu kolonisierten Antium, seinem Geburtsorte (jetzt Porto d'Anzo), verlegte., erbaute auch daselbst mit vielen Kosten einen prachtvollen Hafen.
10. Um aber noch deutlicher zu beweisen, welches Geistes Kind er sei, erklärte er öffentlich, daß er nach Vorschrift der politischen Grundsätze des Augustus Augustus hatte eine Art von politischem Testament für seine Nachfolger hinterlassen. regieren werde, und ließ keine Gelegenheit unbenutzt, seine Freigebigkeit, seine Milde, ja selbst seine Leutseligkeit ins Licht zu setzen. Die drückendsten Steuern schaffte er teils ganz ab, teils verringerte er sie. Die durch das Papische Gesetz für die Angeber der Übertreter desselben bestimmten Geldbelohnungen setzte er auf den vierten Teil herab. Unter das Volk verteilte er Mann für Mann vierhundert Sesterzien und setzte allen altadeligen aber vermögenslosen Senatoren jährliche Gehalte aus, die bei manchen sich auf fünfhunderttausend Sesterzien beliefen Z. B. bei dem Senator Messalla. (S. Tacitus, Annalen XIII, 14.) Vespasian tat ähnliches. (S. unten Vespasian 17.) – 400 Sesterzien = 87,01 Reichsmark; 500 000 S. = 108 760 Rmk.; gleicherweise bewilligte er den prätorianischen Kohorten monatlich freies Brotkorn. Und als man ihn daran mahnte, unter ein Todesurteil, wie herkömmlich, seine Unterschrift zu setzen, rief er aus: » Wie sehr wünschte ich, nicht schreiben zu können!« S. Seneca, Von der Gnade II, 1. Mitglieder aller beiden Stände grüßte er zuweilen, und zwar ohne Nomenklator, mit ihren Namen. Auch dies nach dem Beispiel des Augustus. Siehe oben Augustus 53. Den Senat, der ihm einmal eine Danksagung darbringen wollte, wies er mit den Worten ab: » Wenn ich sie verdient haben werde!« Zu seinen Leibesübungen auf dem Marsfelde gewährte er auch dem Volke Zutritt, hielt auch zum öftern öffentliche Redeübungen und recitierte auch Gedichte, nicht nur bei sich zu Hause, sondern auch im Theater, und zwar zu so großer Freude aller Anwesenden, daß ihm einmal wegen einer solchen Recitation ein Dankfest Das sonst nur einem Feldherrn für einen großen Sieg zuerkannt wurde. Vgl. Cäsar 24. zuerkannt und die vorgelesenen Gedichtstücke in goldener Schrift dem Jupiter Capitolinus geweiht wurden.
11. Schauspiele hat er sehr viele und verschiedenartige gegeben: Jünglingsspiele, Circusspiele, dramatische Vorstellungen und ein Gladiatorspiel. An den Jünglingsspielen Diese Festspiele stiftete Nero zur Feier des Tages, wo er zum ersten Male seinen Bart ablegte, und Sueton (weiter unten Kap. 12) sowie Dio Cassius LXI, (19-20) beschreiben dasselbe ausführlich. Die Hauptsache dabei waren theatralische Vorstellungen von Liebhabern, und da Nero selbst mitspielte (er schämte sich damals noch, sagt Tacitus, Annalen 14, 15, öffentlich im Theater aufzutreten), so »drängte sich alle Welt« zu der Ehre, in diesen Vorstellungen mitzuwirken. Selbst die vornehmsten Personen, ja hochbejahrte Frauen, wie die achtzigjährige Älia Catula oder Catella, die eine Art von Ninon de l'Enclos der Neronischen Zeit gewesen zu sein scheint, übernahmen Rollen, wenn es nicht anders ging, maskiert oder als Choristen, worüber Dio Cassius nachzulesen ist. ließ er selbst alte Herren, die schon Konsuln gewesen, und alte Damen sich bei der Aufführung beteiligen. Für die Circusspiele gab er dem Ritterstande feste abgesonderte Sitzplätze Bisher hatten die Ritter solche nur im Theater., auch ließ er bei diesen Spielen Viergespanne von Kamelen wettrennen. An den für die ewige Dauer des Reiches veranstalteten Spielen, welche er » die größten« benannt wissen wollte, übernahmen sehr viele Personen beiderlei Geschlechts aus den beiden Ständen Rollen bei den Schauvorstellungen. Ein allbekannter römischer Ritter machte, auf einem Elefanten sitzend, den Ritt auf einem ausgespannten Seile. Es war dieses Kunststück der von Sueton so genannte »Abwärtslauf« ( catadromus). Das Seil ging schief gespannt von einer Seite der Arena zur anderen hinab. Von der Abrichtung der Elefanten siehe Plinius, Naturgeschichte 8, 3. Man spielte auch das Togalustspiel des Afranius, welches »Die Feuersbrunst« betitelt ist, und Nero erteilte den Schauspielern die Vergünstigung, den Hausrat des brennenden Gebäudes plündern und behalten zu dürfen. Über den Ausdruck »Togalustspiel« siehe die Anmerkung zum Leben Augusts 45. Desgleichen wurden alle Tage Gaben Sogenannte Missilia. S. oben Augustus. aller Art unter das Volk ausgeworfen: tausend Vögel verschiedener Gattung, vielfältige Eßwaren, schriftliche Anweisungen auf Kleidungsstücke, Gold und Silber, Edelsteine, Perlen, Gemälde, Sklaven, Zugvieh, selbst zahmgemachte wilde Tiere, zuletzt auch Schiffe, Wohnungen, Grundstücke. Diesen Spielen wohnte er auf einem erhöhten Sitze des Prosceniums bei.
12. Bei dem Fechterspiele, welches er in einem hölzernen Amphitheater gab, das er in der Marsfeldregion binnen Jahresfrist hatte herrichten lassen, ließ er keinen Gladiator umbringen, nicht einmal von denen, welche wegen Verbrechen zu diesen Kämpfen verurteilt worden waren. Dagegen ließ er sogar vierhundert Senatoren und sechshundert Ritter, unter denen gar manche von großem Vermögen und unbeflecktem Rufe, im Schwertkampfe auftreten; ja, aus denselben Ständen sah man einige sich sogar als Tierkämpfer und in anderen verschiedenartigen Verrichtungen der Arena Z. B. Flötenspieler, Tänzer oder als Maschinisten, Aufseher u. s. w. Traten doch selbst Damen als Gladiatoren auf, wie Tacitus (Annalen XV, 32) und Juvenal melden. Über die allgemeine Entwürdigung der edlen Familien bei diesen Gelegenheiten lese man die feurige Deklamation von Dio Cassius LXI, 17. zeigen. Ferner gab er ein Seegefecht, wobei Seeungeheuer im Meerwasser schwammen, desgleichen gewisse dramatische Tänze S. oben Cäsar 39. Die ausführenden »Epheben« waren wohl vornehme griechische oder kleinasiatische Jünglinge. Claudius hatte nach Dio Cassius (60, 7) dasselbe getan., ausgeführt von einer Anzahl junger Leute, denen er nach Beendigung ihrer Leistungen jedem das Diplom als römischer Bürger zum Geschenk machte. Unter den Sujets dieser Tänze kam auch eins vor, bei welchem ein Stier die Pasiphae Die Sage von der durch Anreizung der Liebesgöttin in einen Stier verliebten Pasiphae, Gemahlin des Minos, hat auch zu plastischen Darstellungen, z. B. auf einem der sogenannten Spadareliefs, Anlaß gegeben., welche in dem hölzernen Abbilde einer Kuh verschlossen war, wie wenigstens viele Zuschauer geglaubt haben, wirklich bediente. Ein Icarus stürzte gleich beim Beginn seines Fluges von der Höhe herab neben Neros Loge nieder und bespritzte ihn selbst mit seinem Blute; er pflegte nämlich nur selten bei diesen Spielen den Vorsitz zu führen, sondern meistens, in seiner Loge liegend, anfangs nur durch kleine Löcher, später aus dem dazu völlig eröffneten Balkon zuzusehen. Er führte auch zuerst einen alle fünf Jahre gefeierten Kunstwettstreit in Rom ein, welcher nach griechischer Sitte die drei Bereiche der Musik Musik ( musicum certamen) begreift hier auch die Poesie und Redekunst. Über diese Einführung der griechischen Wettkämpfe, welche den olympischen nachgebildet waren, siehe Tacitus (Annalen 14, 20 und 47). Mit der Stiftung dieser Spiele hing der Bau der Thermen und des Gymnasiums zusammen, von denen Sueton demnächst spricht., Gymnastik und Reitkunst umfaßte und den er Neronia nannte; zugleich erbaute er Thermen und ein Gymnasium, zu welchem er auch den Senat und die Ritterschaft durch Gewährung freien Salböls einlud. Für den gesamten Kunstwettstreit ließ er Vorsteher magistri, zugleich Kampfrichter. unter den Konsularen durchs Los ernennen, denen er den erhöhten Sitz der Prätoren verlieh. Dann begab er sich hinab in die Orchestra, wo die Senatoren saßen, und empfing dort den ihm sogar von allen Mitkämpfern einstimmig zugestandenen Siegeskranz der lateinischen Beredsamkeit und Dichtung, um den sich mit ihm die ausgezeichnetsten Redner und Dichter beworben hatten; die Siegerkrone für das Zitherspiel dagegen, die ihm von den Preisrichtern gleichfalls übergeben wurde, nahm er nicht an, sondern neigte sich bloß verehrungsvoll vor ihr und hieß sie zu dem Standbilde des Augustus bringen. Bei dem gymnischen Festspiele, das er in den Septa gab, legte er bei einem großen Farrenopfer zum ersten Male den Bart ab, den er in ein goldenes, mit den kostbarsten Perlen besetztes Etui tun ließ und ihn so auf dem Kapitol als Weihgeschenk niederlegte. Zu den Athletenvorstellungen lud er auch die Vestalischen Jungfrauen ein, weil auch zu Olympia den Priesterinnen der Ceres gestattet ist, denselben zuzuschauen. Kaiser Augustus hatte allen Frauen verboten, diesen Vorstellungen beizuwohnen. S. oben Augustus 44.
13. Nicht mit Unrecht darf ich unter den von ihm gegebenen Schauspielen auch wohl den Einzug des Königs Tiridates in Rom anführen. Da er diesen König von Armenien, den er durch große Versprechungen nach Rom zu kommen bewogen hatte, an dem durch ein Edikt bekannt gemachten Tage dem römischen Volke wegen nebligen Wetters nicht zeigen konnte, so führte er das dadurch aufgeschobene Schauspiel später an einem möglichst günstigen Tage auf. Vor allen an das Forum grenzenden Tempeln waren Kohorten in voller Rüstung aufgestellt, während er selbst auf dem kurulischen Sitze bei der Rednerbühne im Gewande eines Triumphators, umgeben von Feldzeichen und Standarten, thronte. Darauf schritt der König die erhöhte Estrade zu ihm hinauf und ließ sich vor ihm auf die Kniee nieder, worauf ihn Nero mit der Rechten aufhob, ihn mit einem Kusse begrüßte und nach Anhörung seiner Bitte ihm die Tiara Die Tiara war der turbanähnliche Hauptschmuck der orientalischen Fürsten; das Diadem, welches Nero an dessen Stelle ihm aufsetzte, war das Zeichen der von Rom anerkannten Königswürde. vom Haupte nahm und das Diadem an ihre Stelle setzte, während ein gewesener Prätor die Worte des sich der kaiserlichen Gnade empfehlenden Königs laut der Menge verdolmetschte. Dann führte er ihn ins Theater Plinius, Naturgeschichte 33, 3, meldet, daß Nero das Theater des Pompejus für einen einzigen Tag mit Gold bedeckte, um seine Pracht vor dem Tiridates, König von Armenien, zu zeigen. und ließ ihn, nachdem er aufs neue sein Gnadengesuch empfangen hatte, neben sich zur Rechten Platz nehmen. Dafür wurde er von der Versammlung als Imperator begrüßt, worauf er eine goldene Krone auf dem Kapitol niederlegte Was sonst nur die für einen großen Sieg mit dem Triumphe Belohnten taten. und das Doppeltor des Janus schloß, gleich als ob kein Krieg mehr vorhanden sei. Ich übersetze nach Lipsius Konjektur.
14. Das Konsulat hat er viermal bekleidet, das erste während zwei, das zweite und letzte während sechs, das dritte während vier Monaten. Die beiden mittleren ließ er unmittelbar aufeinander folgen, bei den übrigen ließ er jedesmal ein Jahr verstreichen. Nero war Konsul in den Jahren Roms 808, 810, 811 und 813
15. Wenn er Recht sprach, erteilte er den Parteien in der Regel immer erst am folgenden Tage und zwar schriftlichen Bescheid. Hinsichtlich der Prozedur der Verhandlung hielt er den Weg ein, daß er mit Beseitigung der alles mit einem Male zusammenfassenden Anklage- und Verteidigungsreden über jeden einzelnen Punkt die Parteien abwechselnd hörte. Wenn er sich dann zur Beratung zurückzog Nämlich mit den Gerichtsbeisitzern., so ließ er sich auf keine allgemeine oder mündliche Beratung ein, sondern ließ sich von jedem seine Meinung schriftlich geben, las sogar die Abstimmungen schweigend und insgeheim für sich durch und sprach dann das Endurteil aus, wie es ihm beliebte, als wäre dasselbe die Ansicht der Majorität. In den Senat nahm er längere Zeit keine Söhne von Freigelassenen auf und versagte denen, welche von den früheren Kaisern aufgenommen worden waren, die Zulassung zu Ehrenstellen. Die überzähligen Kandidaten zu den letzteren machte er, um sie über ihre Zurückstellung und die Verzögerung ihrer Wünsche zu trösten Aus Tacitus (Annalen XIV, 28) sehen wir, daß die Sucht nach Ehrenämtern damals besonders groß war., zu Legionskommandeuren. Das Konsulat verlieh er meist auf sechs Monate, gab aber, als einmal der eine Konsul kurz vor dem ersten Januar gestorben war, demselben keinen stellvertretenden Nachfolger, indem er das alte Beispiel des Caninius Rebilus, des eintägigen Konsuls Sueton erwähnt dies Beispiel oben (im Leben Cäsars 76), ohne den Namen des »eintägigen Konsuls« zu nennen, über dessen Einsetzung durch Cäsar sich Cicero sehr bitter äußert. S. Cicero, Briefe an Freunde 7, 30., mißbilligte. Die triumphalischen Auszeichnungen verlieh er auch Leuten, die nur quästorischen Rang hatten, und sogar einigen aus dem Ritterstande, und zwar keineswegs immer für militärische Verdienste, sondern auch für allerhand andere Dinge. Mit den Textesschlußworten dieses Satzes sed et quibusdam rebus weiß ich so wenig, wie meine Vorgänger, etwas anzufangen. So viel scheint festzustehen, daß in dieser verderbten Stelle Sueton etwas gesagt haben wird, was dem in unserer Übersetzung Gegebenen ähnlich ist. Seine Vorträge, die er schriftlich an den Senat sandte, pflegte er mit Übergehung des Quästors, dessen Amt es war S. oben Augusts Leben 65. – Diese neue Bauordnung muß nach dem großen Brande gegeben worden sein. S. Dirksen a. a. O. S. 58., durch einen Konsul vorlesen zu lassen.
16. Für den hauptstädtischen Häuserbau erdachte er eine neue Gestalt; insbesondere drang er darauf, daß vor allen Inselhäusern Insulae sind zusammenhängende Häuserkomplexe, die man, rings umgehen kann, meist von reichen Kapitalisten erbaut und an Ärmere vermietet. Domus ist das mehr oder minder großartige einzelne Wohnhaus, der italienische palazzo (von Palatium, dem Wohnhause der Kaiser in Rom). und einzelnen Palästen Portiken sein mußten, um von den platten Dächern derselben aus die Feuersbrünste bekämpfen zu können; und zwar erbaute er dieselben auf seine Kosten. Er hatte sogar vorgehabt, die Stadtmauer bis nach Ostia vorzurücken und von dort das Meer durch einen Kanal bis an die alte Stadt zu leiten. Viele alte strenge Straf- und Verbotsbestimmungen wurden wieder unter ihm in Kraft gesetzt und nicht minder neue eingeführt. So wurden dem Aufwande Schranken gesetzt, die Volksspeisungen durch vollständige Mahlzeiten auf Speiseportionen S. zu Augustus 74. beschränkt und ein Verbot erlassen, in den Schenken Gekochtes, mit Ausnahme von Kohl und Hülsenfrüchten, zu verkaufen, während früher alle möglichen Arten von Gerichten daselbst feil gehalten wurden. Todesstrafen trafen die Christianer, eine Sekte von einem neuen Aberglauben. Vgl. Tacitus, Annalen XV, 33 und 44; Juvenal, Satiren I, 155. Verboten wurden die Belustigungen der Rennkutscher, die das hergebrachte Recht genossen, (zu gewissen Zeiten) durch die Stadt zu schweifen und unter der Maske des Spaßes allerlei Betrügereien und Diebesstreiche auszuführen. Die Claqueursbanden der Pantomimen, sowie diese selbst, wurden aus der Hauptstadt verwiesen. Warum? sagt uns Tacitus, Annalen 13, 25; wie es in den Streitigkeiten der verschiedenen Parteien für oder wider diesen und jenen Künstler dieser Gattung herging, erzählt Sueton weiter unten Kap. 26.
17. Gegen die Fälscher von Dokumenten ward damals zuerst das Sicherheitsmittel erfunden, die Tafeln immer mit Löchern zu versehen, durch welche man einen dreifachen Faden zog und so das Siegel daraufsetzte. Der Rechtsgelehrte Paullus (Sentenzen 25) beschreibt dies Verfahren so: »Nach Senatsbeschluß müssen alle öffentlichen und Privatkontrakte derart geschrieben und untersiegelt werden, daß die Tafeln oben am Rande und in der Mitte durchlöchert und mit dreifachen Leinenfäden zusammengeheftet und über diese Fäden die Wachssiegel gesetzt werden, so daß die Schrift der Außenseiten die Echtheit der Innenseiten verbürgt; Dokumente, die nicht so beschaffen, haben keinen Wert.« In bezug auf die Testamente wurde verordnet: daß die beiden ersten Blätter Im Texte steht »Wachstafeln« (cerae)., auf denen nur der Name des Testators geschrieben stand, denen, die das Testament als Zeugen untersiegelten, nur leer zu Gesicht kommen sollten Auf diese Blätter schrieb dann später der Testator die Namen der Erben.; ferner: daß niemand, der für einen anderen ein Testament schriftlich aufsetzte, sich ein Legat in demselben einschreiben dürfe. D. h. entweder: er durfte überhaupt nicht mit einem Legate in dem von ihm niedergeschriebenen Testamente vorkommen oder, was mir wahrscheinlicher dünkt: er durfte das ihm etwa bestimmte Legat nicht mit seiner Hand schreiben. Desgleichen wurde bestimmt, daß die Prozeßführenden den Sachwaltern für die Vertretung ihrer Sache eine feste angemessene Gebühr, für die Richterbänke dagegen überhaupt gar keine entrichten, sondern die letzteren von dem Staatsschatze übernommen werden sollten Die Advokatengebühren waren so hoch gestiegen, daß Claudius ein Maximum derselben (bis 10 000 Sesterzien = 2175 Reichsmark) zu setzen sich genötigt sah ( Tacitus, Annalen XI, 7). – Nero führte eine feste Taxe ein und ließ die weiteren Prozeßkosten »für die Richterbänke« vom Staate übernehmen., sowie endlich, daß die fiskalischen Prozesse dem priesterlichen Vorstande des Staatsschatzes entzogen und dem Forum und den Rekuperatoren übertragen werden und daß alle Appellationen von dem Spruche der Richter an den Senat gehen sollten. Recuperatores hieß eine Kommission von drei oder fünf Mitgliedern, welche ursprünglich die Rechtshändel zwischen Römern und Nichtrömern und später die Privatrechtshändel über Mein und Dein zu entscheiden hatte. Über die Appellation an den Senat berichtet Tacitus (Annalen XIV, 28) genauer.
18. Vermehrung und Ausbreitung des Reiches lag weder überhaupt in seiner Neigung, noch ließ er sich jemals dazu durch irgend eine Aussicht bewegen, vielmehr dachte er sogar daran, das in Britannien stehende Heer zurückzuziehen; und nur die Scheu, dadurch dem Ruhme seines Adoptivvaters zu nahe zu treten, ließ ihn davon abstehen. Nur das Königreich von Pontus, das Polemo freiwillig abtrat, und das Alpenkönigreich des Cottius, als dieser starb, machte er zur römischen Provinz.
19. Reisen außerhalb Italiens unternahm er überhaupt nur zwei, die nach Alexandrien und die nach Achaja. Die alexandrinische jedoch gab er noch am Tage der Abreise auf, abgeschreckt durch gefahrdrohende Vorzeichen. Bei seinem Umzuge durch die Tempel von Rom begegnete es ihm nämlich, daß er im Tempel der Vesta, wo er sich niedergesetzt hatte, zuerst beim Aufstehen mit dem Zipfel der Toga hängen blieb, und darauf wurde es ihm so dunkel vor den Augen, daß er nichts mehr deutlich sehen konnte. In Achaja unternahm er es, den Isthmus Die Landenge von Korinth. zu durchstechen; er ließ seine Prätorianer zusammenkommen und forderte sie auf, Hand ans Werk zu legen. Und als mit der Tuba das Zeichen gegeben worden war, tat er die ersten Spatenstiche, sammelte die ausgegrabene Erde eigenhändig in einen Korb, den er auf den Schultern wegtrug. Er machte auch längere Zeit hindurch Anstalten zu einem Zuge nach den Kaspischen Toren Der Engpaß, der von Medien durch den Taurus in das Partherland führt. und hob dazu unter den Italikern eine neue Legion von lauter sechs Fuß [1,774 m] hohen Rekruten aus, die er Alexanders des Großen Phalanx zu nennen pflegte.
Alle diese zum Teil keinem Tadel unterliegenden, zum Teil sogar nicht geringen Lobes würdigen Handlungen habe ich hier zusammengestellt, um sie von seinen Fehlern und Lastern zu sondern, von denen ich im folgenden reden will.
Dieser Satz charakterisiert so recht die Manier des zwar im Detail gewissenhaften, aber geistlosen Pedanten, dessen Biographieen genau nach dem Rezepte verfaßt sind, welches Mephistopheles dem Schüler mit den bekannten Worten gibt:
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben;
Dann hat er die Teile in seiner Hand;
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
20. Da er, wie überhaupt in allen anderen Künsten und Wissenschaften, in seiner Knabenzeit auch in der Musik unterrichtet worden war, so zog er sofort nach seiner Gelangung zur Herrschaft den Zitherspieler und Sänger Terpnus, welcher damals der ausgezeichnetste Virtuose seiner Kunst war, an seinen Hof, ließ sich von ihm viele Tage hintereinander nach der Tafel bis tief in die Nacht hinein vorsingen und begann allmählich selbst das Studium und die Übungen seiner Kunst, wobei er nichts verabsäumte, was derartige Virtuosen zur Erhaltung und Kräftigung ihrer Stimme zu tun pflegten. Ja, er trug sogar, auf dem Rücken liegend, eine Tafel von Blei auf der Brust, reinigte sich durch Lavements und Brechmittel, enthielt sich des Genusses von Obst und der Stimme schädlichen Speisen Dafür aß er desto mehr Lauch mit Öl, um seine Stimme zu kräftigen, und an gewissen Tagen im Monat war dies sogar seine einzige Nahrung. Plinius, Naturgeschichte 19, 33., bis er endlich, befriedigt durch seine Fortschritte, obschon seine Stimme schwach und dumpf war, Verlangen trug, sich auf der Bühne zu zeigen, wobei er von Zeit zu Zeit unter seinen Vertrauten das griechische Sprichwort Dies griechische Sprichwort, welches besagt: daß man »ein Licht nicht unter den Scheffel stellen müsse«, lesen wir bei Gellius 13, 30 und bei Lucian, Harmonides I. – Nero hatte bisher nur in seinem Hause und an dem Feste der Juvenalien seine Kunst vor einem verhältnismäßig kleinen Kreise produziert und sehnte sich nach einem großen Auditorium für seine Kunst und Stimme. Doch scheute er sich, in Rom zuerst aufzutreten, und begann in einer Stadt, die damals noch als eine griechische gelten konnte, in Neapel. Tacitus, Annalen XV, 33. Das Erdbeben, welches, als er eben auf der Bühne sang, das Theater erschütterte, veranlaßte unmittelbar darauf den Einsturz des Gebäudes, doch ohne daß jemand ums Leben kam, worin er ein günstiges Götterzeichen erblickte. hinwarf: » verborgene Musik werde nicht beachtet«. So trat er denn zuerst in Neapel auf, und selbst ein Erdstoß, der das Theater erschütterte, hielt ihn nicht ab, sein Gesangstück zu Ende zu singen. Ebendaselbst sang er häufiger und während mehrerer Tage, gönnte sich auch, um seine Stimme wiederherzustellen, eine kurze Zeit Ruhe, konnte dieselbe aber nicht aushalten, sondern begab sich von den Bädern wieder in das Theater, speiste mitten in der Orchestra bei zahlreich versammelten Volke und rief demselben in griechischer Sprache zu: » er wolle nur ein Schlückchen trinken und dann etwas Volltönendes vor ihren Ohren erklingen lassen!« Bezaubert von den harmonischen Beifallsrufen Die Alexandriner verstanden es, wie wir sehen, ihre Beifallsrufe harmonisch abgestimmt erschallen zu lassen, ähnlich etwa den vierstimmigen Lebehochs unserer Liedertafeln. Die ganze Stelle ist ein Beitrag zur ältesten Geschichte des Claqueurwesens. der Alexandriner, welche bei Gelegenheit der neuen Messe nach Neapel zusammengeströmt waren, ließ er deren noch mehrere von Alexandria herbeirufen. Nicht minder eifrig wählte er junge Leute aus dem Ritterstande und über fünftausend der handfestesten jungen Burschen aus dem Volke aus, die, in Banden geteilt, die verschiedenen Arten der Beifallsbezeigungen, das damals sogenannte »Bienensummen«, den »Hohlziegelton« und den »Topfschall«, sich einstudieren und ihm, wenn er sang, ihre Dienste leisten mußten; es waren alles Burschen, die sich durch ihr prachtvolles Haar und ihren glänzenden Anzug, bei dem der Ring an der Linken nicht fehlte, auszeichneten und deren Anführer jeder vierzigtausend Sesterzien D. i. 8701 Mark deutscher Reichswährung. Sold erhielten.
21. Da er sehr viel Wert darauf legte, auch in Rom zu singen, so ließ er das Neronische Wettkampffest Die oben beschriebenen, von ihm gestifteten, den olympischen nachgebildeten Festspiele. S. oben Kap. 12. vor dem Tage, auf den es der Einsetzung nach fiel, wiederkehren. Als nun bei dieser Gelegenheit alle Welt ihn bat, seine »himmlische Stimme« hören zu lassen, gab er zwar zuerst zur Antwort: » in seinen Gärten werde er denen, die es wünschten, ihr Verlangen erfüllen«; als aber auch die gerade diensttuende Abteilung seiner Leibwache die Bitten des Volkes unterstützte, war er sogleich gern bereit, ihnen sein Auftreten auf dem Theater zuzusagen, und befahl unverzüglich, seinen Namen dem Verzeichnisse der Zithersänger, die sich zum Auftreten gemeldet hatten, beizufügen, zog, wie alle übrigen, sein Los aus der Urne und betrat, als die Reihe an ihn kam, die Bühne, begleitet von den Oberbefehlshabern seiner Leibgarde, welche ihm die Zither trugen, und gefolgt von den Kriegstribunen und den vertrautesten unter seinen Freunden. Sobald er seinen Stand eingenommen und das Vorspiel beendet, ließ er durch Cluvius Rufus, einen Mann, der das Konsulat bekleidet hatte, verkünden, daß er die »Niobe« singen werde, welches er auch bis zur zehnten Stunde tat, worauf er die Erteilung des Siegeskranzes und den übrigen Teil des Kunstwettstreites auf das folgende Jahr verschob, um Gelegenheit zu haben, öfter zu singen. Da ihm das aber zu lange währte, fuhr er fort, zu wiederholten Malen öffentlich aufzutreten. Er nahm sogar keinen Anstand, auch bei Schauspielen, welche andere Sueton sagt: privati, denn zur Kaiserzeit galten alle, außer dem Kaiser, als Privatpersonen, auch wenn sie öffentliche Ämter bekleideten; privata spectacula sind also hier »Schauspiele, welche von Untertanen gegeben werden«. veranstalteten, unter den Bühnenkünstlern mit seinen Leistungen aufzutreten, als ihm ein Prätor dafür eine Million Sesterzien 217 520 Reichsmark. anbot. Auch in Tragödien spielte er Sueton sagt: »sang er« ( cantavit), weil die Recitation gesangähnlich war. Kostüm und Maske, wobei die Masken der Heroen und Götter sowie der Heroinen und Göttinnen seine und seiner jedesmaligen Geliebten Gesichtszüge tragen mußten. Unter anderem spielte er die »Canace in Kindesnöten«, »Orest den Muttermörder«, den »geblendeten Ödipus«, den »rasenden Herkules«. Von der letzteren Vorstellung erzählt man sich, daß ein noch nicht lange im Dienst befindlicher Soldat, der beim Eingange der Bühne Schildwache stand, als er den Kaiser dem Inhalte des Stückes gemäß aufputzen und mit Ketten fesseln sah, herbeigestürzt sei, um ihm Hilfe zu leisten.
22. Seine Pferdeliebhaberei Der Zusatz im folgenden erklärt, was Sueton hier mit diesem Ausdrucke bezeichnen will. war schon in früher Jugend bei ihm vorzugsweise leidenschaftlich, auch war seine Lieblingsunterhaltung, trotz aller Verbote Von seiten seiner Erzieher und Lehrer, die es ihm untersagten, während der Studienstunden mit seinen Kameraden über dergleichen zu sprechen., über die Circuswettrennen, und einmal, als er seinen Mitschülern klagend erzählte, daß ein Rennkutscher von der grünen Partei geschleift worden, und der Lehrer ihn deswegen ausschalt, log er sich damit heraus, daß er von Hektor spreche. In der ersten Zeit seiner Regierung spielte er täglich mit elfenbeinernen Quadrigen auf seinem Spieltische und kam zu allen, selbst den unbedeutendsten Rennspielen aus seinen Landhäusern nach Rom, zuerst heimlich, dann ganz öffentlich, so daß jedermann sicher war, daß er an einem solchen Tage in Rom sein werde. Auch machte er gar kein Hehl daraus, daß er Lust habe, die Zahl der Siegespalmen zu vermehren, weshalb denn das Schauspiel durch Vervielfältigung der Rennen bis zum späten Abend hingezogen wurde, so daß selbst die Herren der Wettrennerbanden so übermütig wurden, daß sie ihre Banden anders, als für ein den ganzen Tag dauerndes Wettrennen, herzugeben Nämlich den Personen, welche dem Volke das Schauspiel eines solchen Circusrennens zu geben beabsichtigten. Die »Herren« sind die Chefs der verschiedenen Banden oder Parteien der Rennkutscher, d. h. diejenigen, welche Gespanne und Kutscher vermieteten. sich weigerten. Bald bekam er Lust, selbst den Kutscher zu machen und sogar zum öftern sich als solchen öffentlich sehen zu lassen. Nachdem er also in seinen Gärten vor Sklaven und gemeinem Volke seine ersten Übungen gemacht hatte, legte er vor den Augen der gesamten Bevölkerung im Circus Maximus seine Probe ab, indem irgend ein Freigelassener von der Stelle aus, von welcher die Magistrate dies zu tun pflegen, mit dem Tuche das Zeichen zum Anfang gab. Und nicht zufrieden, Beweise dieser seiner Kunstfertigkeiten in Rom gegeben zu haben, ging er, wie wir bereits gesagt haben, nach Achaja S. oben Kap. 19., wozu ihn vorzüglich folgender Umstand bewog. Auf Beschluß der Städte, in welchen musikalische Kunstwettstreite stattzufinden pflegen, waren alle Siegeskränze der Kitharöden ihm übersendet worden. Dieselben nahm er so dankbar an, daß er die mit der Überbringung beauftragten Abgeordneten nicht nur zuerst zur Audienz ließ, sondern sie auch im engeren Kreise seiner Vertrauten zur Tafel zog. Bei solcher Gelegenheit bat ihn einer derselben, doch über Tische etwas zu singen, und seine Leistung wurde mit solcher Begeisterung aufgenommen, daß er ausrief: » nur die Griechen verstünden zu hören, und sie allein seien würdig, sich seiner Kunst zu erfreuen«. Und so trat er ohne Aufschub die Reise an und begann, sobald er nur bei Kassiope Stadt und Vorgebirge auf der Insel Corcyra, wo Jupiter, der den Beinamen Cassius führte, ein Heiligtum hatte. gelandet war, seinen ersten Gesangvortrag sofort am Altar des Jupiter Cassius.
23. Sofort besuchte er der Reihe nach alle Festspiele. Bitteren Hohn gießt über ihn deshalb der Satiriker Juvenal aus. Satiren 8, 224. Er befahl nämlich, daß auch die, deren periodische Wiederkehr ganz verschieden fällt, alle in ein Jahr zusammengedrängt werden sollten, wobei einige in demselben Jahre zweimal gefeiert wurden, und zu Olympia ließ er gar gegen alles Herkommen einen musikalischen Wettstreit halten. Und damit ihn von diesen Beschäftigungen ja nichts abziehen oder stören möchte, schrieb er dem Freigelassenen Helius, der ihn erinnerte, daß die hauptstädtischen Verhältnisse seine Anwesenheit dringend erforderten, wörtlich zurück: » Wenn du auch jetzt noch so sehr rätst und wünschest, daß ich schnell zurückkehre, so ist es doch vielmehr deine Pflicht, mir zuzureden und zu wünschen, daß ich Neros würdig zurückkehre.« So oft er sang, durfte niemand, auch nicht wegen dringender Notwendigkeit, das Theater verlassen. So erzählt man denn, daß manche Frauen während der Schauspiele niedergekommen und viele Männer, die es satt waren, ihn zu hören und zu bewundern, da die Tore verschlossen waren, heimlich von der Stadtmauer gesprungen oder sich totgestellt und so als Leichen aus der Stadt getragen worden seien. Man vgl. die Schilderung von Tacitus, Annalen XVI, 5. Wie angst und bange er sich aber jedesmal bei seinem Auftreten gezeigt, wie groß seine Eifersucht auf seine Gegner, seine Furcht vor den Richtern gewesen, ist kaum glaublich. Seine Gegner behandelte er, als wären sie vollständig seinesgleichen, war höflich aufmerksam gegen sie, suchte ihre Gunst zu gewinnen, während er ihnen insgeheim Böses nachredete, auch wohl bei gegenseitigem Begegnen auf sie schimpfte oder die, welche ihm überlegen waren, zu bestechen suchte. Die Kampfrichter aber pflegte er, bevor er begann, auf das ehrerbietigste anzureden: » er habe alles getan, was ihm zu tun obgelegen. Der Erfolg sei freilich in der Hand des Zufalls. Sie als Männer von Geschmack und Bildung hätten die Pflicht, alles Zufällige auszuschließen.« Und wenn sie ihn dann ermahnten, gutes Mutes zu sein, so trat er beruhigten Herzens ab. Aber selbst dann war er nicht ohne Besorgnis, indem er die Schweigsamkeit und Zurückhaltung dieses und jenes unter ihnen als Härte und Böswilligkeit des Urteils auslegte und dieselben als ihm verdächtige Subjekte bezeichnete.
24. Bei dem Wettkampfe selbst gehorsamte er so pünktlich den Theatergesetzen, daß er niemals auszuspeien wagte, ja selbst den Schweiß der Stirne mit dem Ärmel abwischte. Andere Bestimmungen waren nach Tacitus für die Kitharöden noch: sich nicht zu setzen, kein Schnupftuch zu benutzen u. s. w.; Annalen 16, 4. Ja, als er einmal bei der Aufführung eines tragischen Stückes seinen Königsstab fallen gelassen und ihn schnell wiederaufgehoben hatte, geriet er in die größte Angst, daß man ihn dieses Fehlers wegen von dem Wettkampfe ausschließen möchte, und beruhigte sich erst, als sein Partner Der Partner ( hypocrita) ist der stumme Akteur, der zu Neros Gesangdeklamation die mimischen Bewegungen und Gesten machte. ihm zuschwor: die Sache sei inmitten des Beifallsjubels der Volksmenge gar nicht bemerkt worden. Als Sieger rief er sich gewöhnlich selbst aus, zu welchem Ende er überall auch den Wettkampf der Herolde Die Herolde hatten gleichfalls eine Probe ihrer Fähigkeit im Ausrufen zu bestehen, nach deren Ausfall der Siegesherold für das Festspiel erwählt wurde. mitmachte. Und um das Andenken und die Spur jedes anderen Siegers in den heiligen Spielen Sueton nennt diese Sieger mit dem griechischen Namen: Hieroniken. vor ihm überall zu vernichten, gab er Befehl, die Statuen und Porträtbildnisse Über den Unterschied derselben vgl. Torso T. I, S. 478 ff. derselben samt und sonders umzustürzen und mit Haken in die Latrinen zu schleifen. Als Rennkutscher trat er an verschiedentlichen Orten auf, zu Olympia sogar mit einem Zehngespann, obgleich er ebendies dem Könige Mithridates in einem von ihm verfaßten Gedicht zum Vorwurf gemacht hatte. Er wurde indessen dabei aus dem Wagen geschleudert; man hob ihn zwar wieder hinein, er konnte aber das Rennen doch nicht durchhalten, sondern zog sich vor dem Ende desselben zurück, wurde jedoch nichtsdestoweniger gekrönt. Bei seiner Abreise beschenkte er die ganze Provinz (Achaja) mit der Freiheit D. h. mit dem Vorrechte, sich ihrer eigenen Gesetze und der Selbstverwaltung zu bedienen. Die politische Abhängigkeit von Rom blieb natürlich dieselbe. und zugleich die Preisrichter mit dem römischen Bürgerrecht und großen Geldsummen. Den Helden dieser Gnadenbezeigungen machte er mitten im Stadium am Ende der Isthmischen Festspiele mit seiner eigenen Stimme.
25. Von Griechenland nach Neapel zurückgekehrt, hielt er dort, weil er in dieser Stadt zuerst seine Kunst gezeigt hatte, seinen Einzug mit weißen Pferden durch ein niedergerissenes Stück der Stadtmauer, wie das beim Einzuge der Festspielsieger (Hieroniken) üblich ist. Auf ähnliche Weise zog er in Antium, dann in Albanum Jetzt Albano. Damals das Versailles der Kaiser, mit einem großen kaiserlichen Lustschlosse. und von dort in Rom ein. Bei seinem Einzuge in Rom bediente er sich obenein noch des Wagens, in welchem vor Zeiten Augustus triumphiert hatte, bekleidet mit einem purpurnen Gewande und einem mit goldenen Sternen bestickten griechischen Mantel (Chlamys), die olympische Siegeskrone auf dem Haupte, die pythische in der Hand haltend, während die übrigen ihm in feierlichem Zuge vorausgetragen wurden, mit Inschriften versehen, welche das Wo, die besiegten Gegner, die Gesangsstücke oder die Dichtungen anzeigten, mit welchen und in welchen er gesiegt hatte, während seine Claqueurs dem Wagen wie das Gefolge eines Triumphators nachschritten unter dem Rufe: » sie seien die Augustianer, die Soldaten seines Triumphes!« Über diese seine Claqueurs haben wir oben Kap. 20 Näheres erfahren. Tacitus beschreibt sie gleichfalls Annalen XIV, 15. Dann ging der Zug über einen niedergerissenen Bogen des Circus Maximus über das Velabrum S. Cäsars Leben 37. zum Palatium und zum Tempel des Palatinischen Apollo. Unterwegs wurden überall zu seiner Ehre Opfertiere geschlachtet, die Straßen wiederholentlich mit Krokuswein besprengt Dessen man sich auch zur Parfümierung der Theater bediente; vgl. Plinius 21, 6. und Singvögel Die Lesarten aller Handschriften aves (Vögel) habe ich durch Singvögel übersetzt, weil ich in den hier aufgezählten Gegenständen eine Art Anspielung des Volkes auf Neros Singkunst und ihre Triumphe ( lemnisci sind die von den Siegeskränzen herabhängenden wollenen Purpurbänder) zu sehen glaube; die bellaria (wörtlich Bonbons) sollten seine Kehle erfrischen!, Kranzbänder und Konfekt ihm zugeworfen. Die heiligen Siegeskränze stellte er in seinem Schlafgemache rings um sein Lager auf, desgleichen Statuen, welche ihn als Citharöden vorstellten, in welcher Gestalt er sich auch auf Münzen prägen ließ. Und nach allem diesem war er so weit davon entfernt, in seiner Leidenschaft irgendwie nachzulassen, daß er vielmehr, um seine Stimme zu schonen, Ansprachen an seine Soldaten nie anders, als schriftlich oder, wenn er selbst anwesend war, durch den Mund eines anderen hielt und überhaupt bei allem, was er im Ernste oder im Scherze tat, stets seinen Stimmlehrer Über diese Stimmlehrer vgl. zu Augustus 84. neben sich hatte, der ihn an die Schonung seiner Lungen erinnern und ihm ein Schweißtuch vor den Mund halten mußte, ja, daß er vielen Personen teils seine Freundschaft anbot, teils ihnen seine Freundschaft ankündigte, je nachdem sie ihm mehr oder minder Beifall geklatscht hatten.
26. Proben von Übermut, Wollust, Schwelgerei, Habsucht und Grausamkeit gab er anfangs zwar nur sehr vereinzelt und verborgen und als Erzeugnisse jugendlichen Leichtsinns, doch von der Art, daß selbst damals schon niemand darüber im Zweifel sein konnte, daß diese Laster seinem Naturell, nicht seiner Jugend angehörten. So pflegte er gleich nach Eintritt der Dämmerung rasch einen Schifferhut oder eine Kutschermütze aufzusetzen und die Schenken zu besuchen oder unter allerlei Mutwillen in den Gassen umherzuschweifen, wobei es indes nicht ohne bösartige Streiche abging, indem es sein stehendes Vergnügen war, die von einer Tischgesellschaft Heimkehrenden zu prügeln und, wenn sie sich wehrten, zu verwunden und in die Kloaken zu werfen, desgleichen kleine Kaufläden zu erbrechen und auszurauben, wozu er in seinem Hause eine Quintana So hieß im römischen Lager der hinter dem Hauptquartier abgesteckte Ort, wo der Soldat seine Beute verkaufte und manches Bedürfnis einkaufte. eingerichtet hatte, wo die gemachte Beute an den Meistbietenden verkauft und der Erlös verteilt und vertan wurde. Zuweilen freilich setzte er bei solchen Raufhändeln Augen Wir sagen statt »Auge« in solchen Fällen »Arm und Beine«. und Leben aufs Spiel, wie er denn einmal von einem Ritter alten Geschlechts Sueton sagt: »von einem Latiklavier«, d. h. von einem solchen der das Recht hatte, auch ohne daß er öffentliche Ämter bekleidet, den breiten Purpurstreifen zu tragen. Dieser tapfere Ehrenmann, der den Nero behandelte, wie alle ähnliche Streiche machenden Prinzen und »Herrscher der Völker« und Völkchen von Ehrenmännern behandelt werden müßten, hieß Julius Montanus ( Tacitus, Annalen XIII, 25)., dessen Ehefrau er unzüchtig zu betasten sich erfrecht hatte, fast zu Tode geprügelt worden ist. Deshalb wagte er sich späterhin um diese Tageszeit niemals mehr ins Publikum, ohne daß ihm Militärtribunen insgeheim und von ferne folgten. Auch bei Tage ließ er sich wohl heimlich in einer verschlossenen Sänfte ins Theater tragen, wo er von seinem Platze auf dem obern Stocke des Prosceniums aus den wilden Streitigkeiten der Pantomimen Und ihrer Parteien. S. die Note zu Kap. 16. Da Sueton hier, wie immer, die Zeitfolge der erzählten Charakterzüge unberücksichtigt läßt, so müssen wir annehmen, daß dies Jugendstreiche Neros waren, da er, wie Sueton 16 erzählt, um solcher Skandale willen die Pantomimen aus Rom verbannte. als Tonangeber und Zuschauer beiwohnte und, wenn es zum Handgemenge kam und der Streit mit Steinen und Bankbeinen ausgefochten wurde, selbst dergleichen in großer Anzahl unter das Volk schleuderte, wobei er sogar einmal den Prätor schwer am Kopfe verwundete.
27. Allmählich aber, als seine lasterhaften Neigungen sich steigerten, ging er von solchen heimlichen Bubenstreichen, ohne sich weiter um Verheimlichung zu kümmern, ganz offen zu größeren über. Seine Tafelstunden verlängerte er von Mittag bis Mitternacht, wobei er inzwischen oft durch warme und im Sommer durch geeiste Bäder sich zu erfrischen suchte. Er speiste zuweilen auch im Freien, in einem zu diesem Zwecke mit Schranken umgebenen Schiffsbassin In einer »Naumachie«, wie Sueton sagt, d. h. in einem für Seeschaugefechte bestimmten Bassin. Eine solche Festlichkeit und ihre Ausschweifungen schildert Dio Cassius 62, 15. oder auf dem Marsfelde oder im Circus Maximus, wobei ihm die Freudenmädchen und Tänzerinnen Die auch von Horaz unter dem liederlichen Gesindel Roms aufgeführten sogenannten Ambubajen. von ganz Rom aufwarteten. So oft er nach Ostia den Tiberfluß hinabfuhr oder am Golf von Bajä vorbeisegelte, wurden jedesmal an bestimmten Stellen des Ufers Schenken hergerichtet, wohlausgestattete Lusthäuser, wo selbst vornehme Frauen die Wirtinnen machten und bald hier, bald dort ihn zu landen einluden. Oft sagte er sich selbst zu Tisch bei seinen Freunden an, wobei denn einmal einem derselben die Mitellita »Das Wort Mitellita scheint Salmasius am besten erklärt zu haben. Mitella ist eine seidene Hauptbinde, deren sich Schwelger besonders bei Gastmahlen bedienten. Der Name Mitellita bezeichnet aber nur eine kostbare Mahlzeit, zu der unter anderem auch jene Binden gegeben wurden.« – So erklärt Bremi, der auch unter »Rosenessenz« ( absortio rosarum) nur die Mahlzeit versteht, die von der Rosenessenz, welche dabei gegeben wurde, ihren Namen hatte. Andere verstehen unter beiden Kränze, dort die aus Nardenblättern und Seidenzeug, hier die aus lauter Rosenblättern geflochtenen, von deren Luxus Plinius, Naturgeschichte 21,8, redet, und wenn diese allein schon so große Summen kosten, so soll das nach Suetons Absicht einen Begriff von den Gesamtkosten einer solchen Mahlzeit geben. 400 000 Sesterzien = 87 010 Reichsmark. auf viermalhunderttausend Sesterzien, einem anderen die Rosenessenz noch weit höher zu stehen kam.
28. Außer dem unzüchtigen Verkehr mit freien Knaben und mit verheirateten Frauen verübte er Gewalt gegen die Vestalin Rubria. Die Freigelassene Acte hätte er beinahe in aller Form geheiratet und bereits Männer konsularischen Ranges angestiftet, welche ihre erdichtete Abstammung von königlichem Blute beschwören sollten. Den jungen Sporus, den er entmannen ließ und auf alle Weise zu einem Individuum weiblichen Geschlechts umzugestalten suchte, ließ er mit rotem Schleier und Mitgift nach feierlicher Vollziehung der Heiratsceremonien unter großem Gepränge in seinen Palast führen und wie seine Gemahlin behandeln. Es existiert darüber noch heute ein nicht ungeschickter Einfall eines Witzlings: » es wäre ein Glück für die Menschheit gewesen, wenn Domitius der Vater Neros Vater Domitius. eine solche Gemahlin gehabt hätte!« Diesen Sporus kleidete er in die Tracht der Kaiserinnen, ließ ihn in einer Sänfte tragen und führte ihn auf den Festversammlungen und Messen von Griechenland und darauf auch zu Rom am Bilderfeste S. die Bemerkung zu Claudius, Kap. 5 und 6. unter häufigen zärtlichen Küssen als Begleiter mit sich umher. Und dies ist um so glaublicher, als niemand daran gezweifelt hat, daß er selbst nach dem geschlechtlichen Umgang seiner Mutter lüstern gewesen und nur durch die Feinde der letzteren, die da fürchteten, daß das maßlos heftige und herrschsüchtige Weib infolge solchen Verhältnisses einen übermächtigen Einfluß gewinnen möchte, davon abgeschreckt worden sei. Jedenfalls ist es Tatsache, daß er eine Buhlerin, von der es hieß, daß sie der Agrippina überaus ähnlich sehe, unter seine Beischläferinnen aufnahm. Auch behauptet man, daß in früherer Zeit, so oft er mit seiner Mutter sich in einundderselben Sänfte tragen ließ, die Spuren seines unzüchtigen Verkehrs mit derselben sich durch die Flecken seiner Kleider verraten hätten. Andere Versionen über diese und die folgenden kaiserlichen Unflätereien findet man erzählt bei Tacitus, Annalen 14, 2 und 15, 37.
29. Seinen eigenen Leib gab er in dem Maße preis, daß er, nachdem fast kein Teil desselben unbefleckt geblieben war, eine Art Spiel ausdachte, in welchem er in das Fell eines wilden Tieres genäht aus dem Behälter herausgelassen wurde und in diesem Aufzuge sich auf die Schamteile der an den Pfahl gebundenen Männer und Frauen losstürzte und, nachdem er seine wüste Lust gebüßt, sich endlich von Doryphorus, einem Freigelassenen, erlegen Auch in diesem Worte scheint eine unzüchtige Bedeutung zu liegen. ließ, den er sogar ebenso seinerseits zum Manne nahm, wie er den Sporus zur Frau genommen hatte, wobei er auch die Töne und Aufschreie der Gewalt leidenden Jungfrauen nachahmte. Von manchen Leuten habe ich erfahren, daß er der vollkommenen Überzeugung gewesen sei, kein Mensch sei keusch und irgendwie unbefleckten Leibes, die meisten verstellten sich nur und wüßten ihre Laster schlau zu verheimlichen, weshalb er denn auch denen, die ihre Unkeuschheit offen zur Schau trugen, alle übrigen Vergehen nachgesehen habe.
30. Von Reichtum und Geld, meinte er, sei der einzige Genuß die Verschwendung derselben; Filze und Knauser seien diejenigen, die Ordnung in ihren Ausgaben hielten, flotte und wahrhaft prächtige Leute nur die Verschwender und Durchbringer. Er pries und bewunderte seinen Oheim Gajus vor allem deshalb, weil er die ungeheueren, von Tiberius hinterlassenen Schätze in so kurzer Zeit durchgebracht habe. Deshalb hielt er denn auch weder im Wegschenken, noch im Vertun Maß. Auf die Schaustellung des Tiridates Vgl. oben Kap. 13. verwandte er, was kaum glaublich erscheinen mag, täglich achtmalhunderttausend Sesterzien 174 020 Reichsmark. und schenkte demselben bei seiner Abreise über hundert Millionen Sesterzien. 21 750 000 Reichsmark. Den Zithersänger Menekrates und den Schaufechter Einen Mirmillo nennt ihn Sueton. S. zu Caligula 32. Der hier genannte Günstling wurde nach Neros Sturz zu Tode geschleift. Plutarch, Galba 8. Spiculus beschenkte er mit dem Vermögen und den Palästen von Männern, welche die triumphalischen Auszeichnungen geführt hatten. Den Cercopithekus Panerotes, einen Wucherer, der (durch ihn) in den Besitz der wertvollsten städtischen und ländlichen Grundstücke gelangt war, bestattete er mit fast königlicher Pracht. Kein Kleid zog er zweimal an. Beim Würfelspiel spielte er den Point Wörtlich; denn Sueton sagt: in punctum, d. h. auf jedes »Auge« des Würfels. Vierhundert Sesterzien sind 87,01 Reichsmark. immer zu vierhundert Sesterzien. Beim Fischen bediente er sich eines vergoldeten Netzes, dessen Stricke von Purpur und Scharlach gedreht waren. Nie soll sein Gefolge auf Reisen unter tausend Wagen gewesen sein, wobei die Hufbeschläge der Maultiere von Silber, die Maultiertreiber in canusischen Canusium, eine Stadt in Apulien, berühmt neben Tarent durch ihre Wollenzeugfabriken; Plinius, Naturgeschichte 8, 73. – Poppäa, Neros Geliebte, beschuhte ihre Maultiere mit Gold; Plinius, Naturgeschichte 33, 49. Scharlach gekleidet waren und ein Schwarm von Mazakern Mazaker hieß ein berühmtes Reitervolk Mauritaniens. und Läufern mit kostbaren Spangen und reichgeschirrten Rossen den Zug begleiteten.
31. Die größten Summen jedoch verschlang seine Bauwut. Er verlängerte den Kaiserpalast vom Palatium bis zu den Esquilien Auf dem Esquilin lagen die Gärten des Mäcen, die August geerbt und auf denen er einen Palast erbaut hatte. Nero verband also den Kaiserpalast auf dem Palatinischen Berge mit dem auf dem Esquilin gelegenen. Tacitus, Annalen 15, 39. Daher der Name » Durchgangshaus«, d. h. Galerie, ähnlich der Verbindung der Tuilerien mit dem Louvre. Die großen Architekten Neros waren Celer und Severus; Tacitus, Annalen 15, 42. und nannte ihn zuerst das Durchgangshaus, später nach dem Wiederaufbau infolge einer Feuersbrunst das Goldene Haus. Hinsichtlich der Ausdehnung und Pracht desselben dürften folgende Angaben genügen. Das Vestibül war der Art, daß darin der hundertundzwanzig Fuß [177,42 m] hohe Koloß, ein Porträt Neros, stehen konnte Vgl. über dieses Riesenwerk Torso T. II. S. 276 und S. 460., die Ausdehnung des ganzen Baues so ungeheuer, daß seine aus drei Säulenreihen bestehenden Portiken tausend Fuß [1,479 km] lang waren, daß es ferner einen Teich einschloß, der wie ein Meer mit Gebäuden umgrenzt war, welche Städte vorstellen sollten Diese bisher von den mir vorliegenden Übersetzern und Erklärern falsch gefaßte Stelle ist ein Beweis mehr von der spielerischen Geschmacklosigkeit, welche damals mit der Neigung zur Kolossalität Hand in Hand ging. In Hadrians Villa gab es ähnliche Spielereien. Übrigens erbauten Vespasian und Titus auf der Stelle dieser Neronischen Teiche das Colosseum. S. Martial I, 2., dazu Ländereien, wo Kornfelder mit Weinpflanzungen, Viehweiden mit Wäldern, belebt von einer Menge der verschiedenartigsten zahmen und wilden Tiere, abwechselten. In dem Gebäude selbst war übrigens alles mit Vergoldungen, edlen Steinen und Perlmutter ausgelegt. Die Speisezimmer hatten getäfelte Decken von Elfenbeinplatten, welche beweglich waren, um Blumen, und mit Röhren versehen, um wohlriechende Wasser von oben her über die Gäste zu streuen und zu sprengen. Der Hauptspeisesaal war eine Rotunde, welche in einem fort Tag und Nacht sich wie das Weltall herumdrehte. Sueton drückt sich ungenau aus; nicht der Saal drehte sich, sondern nur seine gewölbte Decke. Die Bäder wurden teils mit Meerwasser, teils mit Wasser aus der Albula Vgl. August 82. gespeist. Als er dieses Prachtgebäude nach der Vollendung desselben einweihte, sagte er, um seine Zufriedenheit mit demselben auszudrücken, bloß: » jetzt fange er doch endlich an, wie ein Mensch zu wohnen!« Außerdem unternahm er auch die Anlage eines bedachten und mit Portiken eingefaßten Bassins von Misenum bis zum Arvernersee, wohinein alles, was in ganz Bajä an warmen Quellen vorhanden war, geleitet werden sollte; desgleichen die Ausgrabung eines Kanals vom Arvernersee bis nach Ostia, mittels dessen man zu Schiff, und doch nicht zur See, dorthin gelangen und der bei einer Länge von hundertundsechzig römischen Meilen Das sind 31,936 geographische Meilen. eine Breite haben sollte, daß sich begegnende Fünfruderer einander ausweichen könnten. Um diese Arbeiten auszuführen, hatte er befohlen, sämtliche Gefangene des ganzen Reiches nach Italien zu bringen und von jetzt an selbst die überwiesenen schweren Verbrecher nur zur Strafarbeit zu verurteilen. Tacitus sah noch die Spuren dieser unvollendet gebliebenen Riesenunternehmung, zu deren Ausführung sich gleichfalls Celer und Severus, Neros Hofarchitekten, erboten hatten. S. Annalen a. a. O. Zu dieser wahnsinnigen Geldverschwendung ermunterte ihn, außer der Zuversicht auf seine Kaisermacht, auch noch die ihm unvermutet eingeflößte Hoffnung auf Entdeckung unermeßlicher verborgener Reichtümer infolge der Anzeige eines römischen Ritters Er hieß Cesellius Baffus. Tacitus. Annalen 16. 1., welcher die feste Versicherung gab: der uralte Schatz von Gold und Silber, den die Königin Dido auf ihrer Flucht von Tyrus mit sich genommen, liege noch in Afrika in großen Höhlen verborgen und könne mit ganz geringem Aufwande von Nachgrabungen ans Licht gefördert werden.
32. Als er sich nun aber in dieser Hoffnung betrogen und, von ihr im Stiche gelassen, so an Geldmitteln erschöpft und arm sah, daß man selbst die Soldzahlungen der Soldaten und die Pensionen der Veteranen aussetzen und verschieben mußte, da nahm er seine Zuflucht zu falschen Anklagen und Räubereien. Vor allem verordnete er, daß von dem hinterlassenen Vermögen der verstorbenen Freigelassenen fünf Sechstel für ihn eingezogen werden sollten, wenn sie ohne zureichenden Grund den Namen irgend einer Familie geführt hätten, mit der er selbst verwandt sei. Gesetzlich gehörten dem Patron fünfzig Prozent von der Erbschaft seiner Freigelassenen. Ferner, daß der testamentarische Nachlaß aller Personen, die sich gegen den Kaiser in ihren Testamenten undankbar bewiesen haben würden D. h. die in ihren Testamenten den Kaiser gar nicht oder unbedeutend bedacht haben würden. Damit wurde die bei Caligula 39 erwähnte Verfügung noch erweitert., dem Fiskus verfallen, ja, daß es selbst den Rechtsgelehrten, welche solche Testamente aufgesetzt hätten, nicht ungestraft hingehen sollte; endlich, daß alle Handlungen und Reden, welche irgend ein Angeber zur Anzeige zu bringen sich gemüßigt sähe, nach dem Gesetz über Majestätsbeleidigung behandelt werden sollten. Er forderte auch die Belohnungen zurück, welche er den Staaten erteilt hatte, die ihm irgendeinmal Siegeskränze bei den Kunstwettstreiten zuerkannt hatten. Und die er dafür mit Geldsummen und Privilegien beschenkt hatte. S. oben Kap. 24. Ferner untersagte er den Gebrauch der Amethyst- und der Purpurfarbe, stiftete dann einen Menschen dazu an, daß er am Markttage wenige Unzen derselben verkaufte und ließ darauf (unter diesem Vorwande) die Magazine aller Handelsleute mit Beschlag belegen. Ja, wie es heißt, soll er sogar eine vornehme Frau, die er, als er einmal öffentlich sang, mit dem verbotenen Purpur gekleidet unter den Zuschauern bemerkte, seinen Prokuratoren angezeigt haben, worauf dieselbe fortgeschleppt und ihr nicht nur das Kleid, sondern auch ihr ganzes Vermögen konfisziert wurde. Keinem übertrug er eine Stelle, ohne hinzuzufügen: » Du weißt, was ich brauche!« und: » Unsere Aufgabe ist, daß keiner etwas behält.« Zuletzt nahm er sogar aus vielen Tempeln die Weihgeschenke weg; ja, er schmolz sogar die goldenen und silbernen Bildnisse ein, darunter sogar die der römischen Penaten, die jedoch später Galba wiederersetzte. Gleiches von Neros Räubereien erzählt Tacitus 15, 45.
33. Das Morden seiner Verwandten und anderer Personen begann er mit dem (Kaiser) Claudius, an dessen Ermordung er, wenn nicht als Anstifter, doch als Mitwisser beteiligt war, wie er denn auch dessen kein Hehl hatte, indem er die Pilze, in denen man jenem das Gift beigebracht hatte, später mit Anwendung eines griechischen Sprichwortes als Götterspeise zu preisen gepflegt haben soll. Gewiß ist, daß er den Verstorbenen in Worten und Werken auf alle und jede Weise beschimpfte Dies stimmt nicht mit Suetons eigenem Berichte im neunten Kapitel. Jedenfalls begann Nero anders., indem er ihn bald der Narrheit, bald der Grausamkeit beschuldigte. Einer seiner Lieblingswitze in dieser Beziehung war, daß er von ihm sagte: » er habe aufgehört, unter Menschen zu verweilen« ( morari), wobei er die erste Silbe des letzteren Wortes lang aussprach Der Witz des Wortspiels ist für uns unübersetzlich; morari mit kurzgesprochenem ǒ bedeutet verweilen, mit langgesprochenem ō heißt es albern sein und ist gebildet nach dem griechischen Worte μωρός [sprich: moros], d. i. albern, einfältig. auch setzte er viele seiner Beschlüsse und Verordnungen als die eines Unklugen und Verrückten außer Kraft. Endlich ließ er aus Nichtachtung seine Brandstätte »Die Stätte, wo der Leichnam verbrannt worden war und die man fast ebensosehr zu ehren pflegte, als den Ort, wo die Asche beigesetzt wurde.« Bremi. nur mit einer niedrigen und schlechten Mauer umgeben. Den Britannicus vergiftete er ebenso aus Neid über dessen Stimme, die von Natur wohlklingender als die seine war, wie aus Furcht, daß derselbe einmal in der Gunst der Menschen durch das gute Andenken, in welchem sein Vater stand, die Oberhand gewinnen möchte. Als das Gift, das er von einer gewissen Locusta, einer berühmten Giftmischerin Genaueres bei Tacitus 13, 15, der von diesem Brudermorde ein wahrhaft schauerlich ins Detail gemaltes Bild entwirft., empfangen hatte, allzu langsam wirkte und bei Britannicus bloß Durchfall erregte, ließ er das Weib vor sich bringen und prügelte sie mit eigener Hand, indem er sie beschuldigte, statt des Giftes ein Heilmittel gegeben zu haben. Und als sie sich damit entschuldigte: sie habe eine geringe Dosis gegeben, um die gehässige Tat besser zu verheimlichen, rief er aus: » Ach freilich, ich fürchte das Julische Gesetz!« Das Sullanische Gesetz gegen Giftmischerei, das Julius Cäsar erneuert hatte. und nötigte sie, vor seinen Augen in seinem Schlafkabinett ihr schnellstes, augenblicklich wirkendes Gift zu bereiten. Darauf versuchte er dasselbe an einem Bocke, und da der Todeskampf bei diesem fünf Stunden währte, ließ er es wieder und wieder durch Einkochen verstärken und warf es dann einem Ferkel vor. Als dieses unmittelbar darauf starb, gebot er, das Gift ins Speisezimmer zu bringen und es dem mit ihm speisenden Britannicus zu reichen. Und als dieser nach dem ersten Schluck zu Boden stürzte, log er den Tischgästen vor, es sei dies ein bei jenem gewöhnlicher Fall von Epilepsie, und ließ ihn tagsdarauf in großer Eile unter stürzenden Regengüssen ohne alles Gepränge bestatten. Der Locusta erteilte er für ihre Leistung Straflosigkeit ihrer früheren Verbrechen S. Tacitus 12, 66., große Geschenke an Grundbesitz, ja noch mehr: er gab ihr Schüler. S. Juvenal, Satiren I, 71.
34. Seine Mutter, die ihn dadurch beschäftigte, daß sie seine Reden und Taten mit einer ihm unangenehmen Schärfe kontrollierte und kritisierte, begnügte er sich anfangs beim Publikum verhaßt zu machen, indem er aussprengen ließ: er sei willens, abzudanken und von Rom fort nach Rhodus zu gehen. Später beraubte er sie aller äußeren Ehren und alles Einflusses, nahm ihr die römische und germanische Ehrenwache und entzog ihr sogar die Wohnung im Palatium. Ausführlicher Tacitus, Annalen 13, 18-19 und 12, 64; 14, 3. Auch machte er sich kein Gewissen daraus, sie auf alle Weise zu quälen. War sie in Rom, so hetzte er ihr Prozesse auf den Hals; zog sie sich aufs Land zurück, um ruhig zu leben, so stiftete er Individuen an, die, zu Lande und zu Wasser bei ihrem Landsitze vorbeifahrend, sie durch Schimpfreden und schlechte Witze beleidigen mußten. Allein erschreckt durch ihre Drohungen und Heftigkeit, beschloß er, sie zu verderben. Nachdem er dreimal es mit Gift versucht und bemerkt hatte, daß sie mit Gegengiften versehen sei, ließ er in ihrem Schlafgemache die Decke so einrichten, daß dieselbe über die Schlafende mittels einer Maschinerie einstürzen mußte. Als dieser Plan durch die Mitwisser nicht geheim genug gehalten worden war, geriet er auf den Gedanken, ein leicht auseinandergehendes Schiff herrichten zu lassen, mittels dessen sie entweder durch Schiffbruch oder durch den Einsturz der Kajüte ums Leben kommen sollte. Der Erfinder dieser nach dem Muster einer Theatermaschinerie hergerichteten Höllenmaschine war Anicetus, Neros früherer Hofmeister; Dio Cassius 61, 12. Vgl. Tacitus, Annalen 14, 15. Er lud sie also unter dem heuchlerischen Scheine einer Aussöhnung mit ihr durch einen höchst liebenswürdigen Brief ein, nach Bajä zu kommen, um dort das fünftägige Minervafest mitsammen zu feiern, und indem er dem Trierarchen den Befehl erteilte, die liburnische Jacht, auf der sie gekommen war, wie durch Zufall seeuntüchtig zu machen, verlängerte er das Festmahl Das der nachmalige Kaiser Otho gab. S. unten Otho 3. bis in die Nacht hinein. Als sie dann nach Bauli Eine Anlage mehrerer Villen zwischen Misenum und Bajä. zurückzukehren begehrte, bot er ihr statt des schadhaft gewordenen Fahrzeuges jenes künstlich hergerichtete an, gab ihr sehr heiter das Geleit bis zu demselben und küßte ihr beim Abschied sogar den Busen, brachte aber den Rest der Nacht in großer Angst wachend hin, den Ausgang seines Anschlages erwartend. Als er aber erfuhr, daß alles anders gekommen und daß sie sich durch Schwimmen gerettet habe, gab er plötzlich, da er sich weiter nicht zu helfen wußte, den Befehl, ihren Freigelassenen Lucius Agerinus, der ihm voll Freude die Botschaft brachte, daß sie gesund und unverletzt sei, nachdem er heimlich dicht neben denselben einen Dolch hingeworfen hatte, als einen gegen ihn ausgesendeten Meuchelmörder festzunehmen und zu binden, seine Mutter aber zu töten und zwar dies so einzurichten, daß es den Anschein habe, als ob sie sich der Bestrafung für ihr entdecktes Verbrechen durch freiwilligen Tod entzogen habe. Noch Grauenvolleres wird hinzugefügt, und zwar von namhaften Schriftstellern: daß er herbeigeeilt sei, um den Leichnam der Ermordeten zu beschauen Doch gab es auch Schriftsteller, die dies in Abrede stellten. S. Tacitus, Annalen 14, 9, der nichts entscheidet., daß er ihre Glieder betastet, einige derselben getadelt, andere gelobt und zuletzt, als ihn Durst ankam, getrunken habe. Dennoch konnte er das Bewußtsein dieses Verbrechens, obschon Soldaten, Senat und Volk ihm durch ihre Glückwünsche Mut zu machen suchten, weder jetzt noch jemals ertragen, und oft bekannte er, daß er durch die Erscheinung seiner Mutter und durch die Furien mit ihren Geißeln und brennenden Fackeln fort und fort verfolgt werde. Tacitus, Annalen 14, 11. Ja, er versuchte sogar, durch ein von Magiern veranstaltetes Opfer ihren abgeschiedenen Geist beschwörend zu versöhnen. Auf seiner Reise durch Griechenland wagte er den Eleusinischen Mysterien, von deren Weihe durch den Ruf des Herolds alle Schuldbeladenen und Verbrecher fern gehalten werden, nicht beizuwohnen. Auf den Mord der Mutter ließ er die Hinrichtung seiner Tante folgen. Als er nämlich derselben, die an Verstopfung litt, einen Krankenbesuch machte, und die bereits hochbejahrte Frau, wie das alte Leute wohl zu tun pflegen, indem sie seinen Milchbart durch die Finger gleiten ließ, liebkosend sagte: » Wenn ich den empfangen haben werde, will ich gern sterben!«, versetzte er, gegen die Umstehenden gewendet, ironisch: » Da will ich ihn gleich ablegen!« und gab den Ärzten Befehl, »der Kranken reichlichere Öffnung zu schaffen«. Und noch war sie nicht gestorben, als er sich schon in Besitz ihres Vermögens setzte und ihr Testament unterschlug, damit nichts davon abgehe.
35. Frauen nahm er, außer der Octavia, später noch zwei, die Poppäa Sabina »Sie besaß alles«, sagt Tacitus von ihr, »außer Seelenadel«., deren Vater ein Mann von quästorischem Range und die zuvor an einen römischen Ritter verheiratet gewesen war, und darauf die Statilia Messallina, Urenkelin des Taurus, der das Konsulat zweimal bekleidet und einen Triumph gefeiert hatte. Um zu ihrem Besitze zu gelangen, ließ er ihren Gemahl, den Konsul Atticus Vestinus, noch während seines Konsulates ermorden. Diese tragische Scene schildert Tacitus, Annalen 15, 68. Der Octavia ward er bald überdrüssig und gab seinen Vertrauten, die ihn deshalb tadelten, zur Antwort: » sie müsse mit dem Frauenrange zufrieden sein«. Nero macht hier wieder einen Witz. Der Ausdruck »Frauenrang« ( uxoria ornamenta) ist ein von ihm nach Analogie des »Triumphatorranges« triumphalia ornamenta gebildeter. Wie die Kaiser auch Leuten, welche keine Siege erfochten und keine wirklichen Triumphe gehalten hatten, die »triumphalischen Auszeichnungen« erteilten, so, meinte er, könne auch sie sich damit begnügen, äußerlich als »kaiserliche Gemahlin« zu erscheinen. Nachdem er mehrmals versucht hatte, sie zu erdrosseln, schied er sich von ihr unter dem Vorwande der Unfruchtbarkeit; als aber das Volk sich mit dieser Scheidung unzufrieden bezeigte, ja es an Schimpfreden nicht fehlen ließ, verbannte er sie sogar. Zuletzt ermordete er sie unter dem Vorwande ehelicher Untreue, ein Vorwand, der so falsch und schamlos war, daß er zuletzt, als bei der peinlichen Untersuchung alle Befragten ihre Unschuld bezeugten, seinen gewesenen Hofmeister Anicetus dazu anstiftete, als Angeber aufzutreten und zu bekennen, er habe sich durch List den Genuß ihres Leibes verschafft. Das unglückliche Opfer war erst zwanzig Jahre alt, als Nero ihr die Adern öffnen und, da das Blut nicht fließen wollte, sie in einem heißen Bade ersticken ließ. Die Poppäa, die er zwölf Tage nach der Scheidung von der Octavia geheiratet hatte, liebte er leidenschaftlich; und doch tötete er auch sie durch einen Fußtritt, weil sie ihn, krank und guter Hoffnung, wie sie war, als er einmal sehr spät vom Wettfahren heimkehrte, heftig ausgescholten hatte. Von ihr hatte er eine Tochter, Claudia Augusta, die er aber früh wieder verlor.
Man kann sagen, daß es keine Art von Blutsverwandtschaft gibt, gegen die er nicht mit seiner Henkerhand einen Schlag geführt hat. Die Antonia, des Claudius Tochter Man sehe Claudius 27; Tacitus, Annalen 14, 62., die nach dem Tode der Poppäa seine Hand ausschlug, brachte er unter dem Vorwande, daß sie auf Umtriebe sinne, ums Leben. Ebenso brachte er alle um, welche mit ihm durch Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung verbunden waren, darunter den jungen Aulus Plaullius, den er vor der Hinrichtung noch erst durch unzüchtige Gewalt besudelte und dann mit den Worten zum Tode schickte: » Jetzt mag meine Mutter hingehen und meine Nachfolger liebkosen!«, wobei er jedem, der es hören wollte, sagte, derselbe sei seiner Mutter begünstigter Liebhaber gewesen, die demselben Hoffnung auf die Regierung gemacht habe. Seinen Stiefsohn Rufius Crispinus, den Sohn der Poppäa, einen noch unreifen Knaben, ließ er durch dessen eigenen Sklaven, weil es hieß, derselbe spiele in seinen Knabenspielen Generalissimus und Kaiser, im Meere ersäufen, während er mit Fischen beschäftigt war. Den Tuscus, seiner Amme Sohn, verbannte er, weil derselbe als Statthalter von Ägypten sich in den Bädern gebadet, welche man für die erwartete Ankunft des Kaisers herrichtete. Den Seneca, seinen Lehrer, zwang er, sich selbst das Leben zu nehmen, obschon er ihm auf seine wiederholten Urlaubsgesuche und sein Erbieten, dem Kaiser sein Vermögen abzutreten Die Rede, welche Seneca bei dieser Gelegenheit hielt, gibt Tacitus, Annalen 14, 53. Seneca besaß ein Vermögen von fünfundvierzig Millionen Reichsmark, das denn freilich den Nero sehr reizte. In die Verschwörung des Piso verwickelt, starb Seneca im Jahre 65 nach Chr., hoch und heilig zugeschworen hatte; » seine Besorgnis sei grundlos, er wolle lieber sterben, als ihm etwas zu Leide tun«. Dem Burrus, dem Befehlshaber seiner Garde, schickte er anstatt des Mittels gegen Halsweh, das er ihm versprochen hatte, Gift. Dies ist bloß eines der vielen unerwiesenen Gerüchte. S. Tacitus, Annalen 14, 51, welcher sagt: »Man weiß nicht, ob Burrus an Krankheit oder Gift starb.« Seine reichen, bereits bejahrten Freigelassenen, die ihm einst zur Adoption, dann zum Throne verholfen und ihn auf demselben beraten hatten Pallas und Doryphorus. S. Tacitus, Annalen 14, 65., räumte er heimlich durch Gift, das er ihnen teils in Speisen, teils in Getränken beibrachte, aus dem Wege.
36. Mit nicht geringerer Grausamkeit wütete er außerhalb seiner Familie gegen Fremde. Ein Komet, dessen Erscheinen der allgemeinen Meinung nach den höchsten Potentaten Verderben bedeutet, hatte sich bereits mehrere Nächte hintereinander am Himmel gezeigt. Tacitus spricht von zwei Kometen, von denen der erste im Jahre 60, der andere im Jahre 62 n. Chr. G. erschien (Annalen 14, 22; 15, 23. Hierdurch beunruhigt, befragte er den Astrologen Babilus, und als er von demselben den Bescheid erhielt: Könige pflegten derartige schlimme Vorzeichen durch die Hinrichtung irgend einer ausgezeichneten Person von sich ab- und auf die Häupter ihres Adels zu wenden, so beschloß er sofort, alle vornehmsten Römer zu töten, umsomehr, da ihm dazu die Entdeckung zweier Verschwörungen gleichsam einen gerechten Grund gab, von denen die der Zeit nach frühere und gefährlichere, die Pisonische, zu Rom, die spätere, die des Vinicius, zu Benevent angesponnen und entdeckt wurde. Über die erste berichtet Tacitus, Annalen 15, 48; von der zweiten weiß man sonst nichts. Die Verschworenen erschienen bei der Untersuchung dreifach mit Ketten geschlossen; einige bekannten sich freiwillig zu dem angeschuldigten Verbrechen, mehrere rühmten sich sogar desselben, indem sie äußerten: man habe ihm, gebrandmarkt durch alle möglichen Schandtaten, wie er sei, nicht anders als durch seine Ermordung helfen können. Der echte Römer, der ihm auf seine Frage, weshalb er ihm nach dem Leben getrachtet, diese Antwort gab, war ein Kriegsmann, der Centurio Sulpicius. S. Tacitus, Annalen 15, 68. Die Kinder der Verurteilten wurden aus der Stadt verwiesen und durch Gift oder Hunger getötet. Es ist Tatsache, daß einige derselben mit ihren Pädagogen und Kapsarien So hießen die Sklaven, welche jungen vornehmen Römern Bücher und Schreibgeräte in einer Kapsel oder Mappe nachtrugen. durch einunddieselbe Mittagsmahlzeit getötet wurden und daß andere verhindert wurden, sich ihren täglichen Nahrungsbedarf zu verschaffen.
37. Von da ab ward von ihm weder Maß noch Ziel im Morden beobachtet, sondern jeder, der ihm beliebte, und unter jedem beliebigen Vorwande hingewürgt. Um nur einige zu erwähnen, so wurde es dem Salvidienus Orfitus zum Verbrechen gemacht, daß er drei zu seinem Hause gehörende Tabernen in der Nähe des Forums den Gesandten auswärtiger Staaten als Absteigequartiere mietweise überlassen; dem Rechtsgelehrten Cassius Longinus, einem erblindeten Manne, daß er in dem alten Stammbaum seines Geschlechts die Porträts des Gajus Cassius, des Mörders von Cäsar, beibehalten habe S. Tacitus, Annalen 16, 7.; dem Pätus Thrasea Den Tacitus »die Mannestugend selbst« nennt; s. Annalen 16, 21., daß er die finster-mürrische Miene eines Pädagogen zeige. Den zur Selbstentleibung Verurteilten pflegte er nur stundenweise Frist zu gestatten, und damit keine Verzögerung stattfinde, schickte er ihnen Ärzte zu, die den Befehl hatten, sie, wenn sie zögerten, » sofort in die Kur zu nehmen«, wie er das Öffnen der Adern zum Behufs des zu Tode Blutens nannte. Man glaubt sogar, daß er große Lust gehabt habe, einem gewissen Ägypter, einem berüchtigten Vielfraß, der rohes Fleisch und alles, was man ihm sonst gab, zwischen die Kinnbacken zu nehmen sich gewöhnt hatte, lebendige Menschen zum Zerfleischen und Verzehren vorzuwerfen. Stolz und aufgeblasen durch das Gelingen seiner Abscheulichkeiten, äußerte er: » vor ihm habe noch kein Fürst gewußt, was er sich alles erlauben könne!« und warf häufig vielfache und gar nicht zweifelhafte Andeutungen hin: daß er selbst die noch übrigen Senatoren nicht verschonen, sondern den ganzen Stand bei Gelegenheit aus dem Staate vertilgen und die Kommandos der Provinzen und Heere dem römischen Ritterstande und seinen Freigelassenen übertragen werde. In der Tat begnadigte er weder beim Antritt einer Reise, noch bei der Rückkehr von einer solchen irgend einen Senator mit einem Kusse Wie das doch am Kaiserhofe die Etikette forderte. S. Plinius, Panegyricus auf Trajan 23., ja nicht einmal mit einer Erwiderung des Grußes; und als er die Arbeit zur Durchgrabung des Isthmus feierlich eröffnete, lautete die Wunschformel, die er vor zahlreicher Versammlung mit lauter Stimme sprach: » daß ihm und dem römischen Volke dies Unternehmen zum Heil ausschlagen möge!« während des Senates gar nicht gedacht wurde.
38. Aber selbst das Volk und die Mauern der Vaterstadt verschonte er nicht. Als einmal jemand bei einem allgemeinen Gespräche den griechischen Vers citierte:
» Bin ich erst tot, so mische Erd und Feuer sich!« Wahrscheinlich aus einem verlorenen Trauerspiele des Euripides. Denselben Vers führte nach Dio Cassius 58, 23 auch Tiber im Munde. Nero übertraf also noch das moderne » Après nous le déluge!«
sagte er: » Nein!
Und vollkommen also tat er. Denn unter dem Vorwande, daß ihm die Häßlichkeit der alten Gebäude und die engen und krummen Straßen zuwider seien, zündete er die Stadt an Auch hier ist Tacitus vorsichtiger; er sagt nur, daß ein Teil der Menschen Nero als den Brandstifter ansah, während andere dies in Abrede stellten; Annalen 15, 38. Möglich ist, daß Nero die »Speicher« anstecken ließ, die seinen Bauplänen im Wege standen, und daß dadurch der Brand sich verbreitete. Auch die Absingung des Gedichts von Iliums Zerstörung erwähnt Tacitus nur als eines Gerüchts., und zwar so offenbar, daß viele Konsularen seine Kammerdiener, welche sie mit Pechkränzen und Fackeln in ihren Häusern ertappten, nicht anzurühren wagten und daß einige Fruchtspeicher in der Gegend seines Goldenen Hauses, nach deren Grund und Boden er hauptsächlich Verlangen trug, durch Kriegsmaschinen eingerissen und angezündet wurden, weil sie aus Quadersteinen aufgemauert waren. Sechs Tage und sechs Nächte lang wütete dieses Unheil, und das Volk war gezwungen, in Monumenten und Grabmälern Zuflucht und Obdach zu suchen. Damals verbrannten außer einer unermeßlichen Zahl von Wohnhäusern die Paläste der alten Feldherren, die noch mit den feindlichen Spolien geschmückt waren, die von den Königen, und die später in den punischen und gallischen Kriegen gelobten und geweihten Göttertempel sowie überhaupt alles, was sonst noch Sehenswertes und Denkwürdiges die Zeiten überdauert hatte. Dieser Feuersbrunst schaute er vom Mäcenasturme Dieser Turmpalast des Mäcenas ist aus Horaz wohlbekannt. herab zu, und in der Freude über » die Schönheit der Flammenglut«, wie er sich ausdrückte, recitierte er in seinem bekannten theatralischen Kostüme den ganzen Gesang von Ilions Eroberung. Vielleicht eine Komposition von ihm selbst. Vgl. Juvenal 8, 219. Um aber selbst aus diesem Unglück so viel Gewinn und Beute als möglich zu ziehen, kündigte er an, daß er die kostenfreie Wegschaffung des Schuttes und der Leichname übernehme, und gestattete (unter diesem Vorwande) niemand, sich den Trümmern seines Eigentums zu nahen, während er zugleich durch die Hilfsbeiträge, nicht nur durch die freiwillig einlaufenden, sondern weit mehr noch durch die geforderten, die Provinzen und das Vermögen der Privaten völlig erschöpfte.
39. Zu diesen großen vom Kaiser verursachten Übeln und Mißhandlungen kamen nun auch noch einige zufällige: eine Pest, die im Laufe eines Herbstes die Rechnungsbücher der Libitina Tacitus, Annalen 16, 13. Die Verwaltung des Tempeldienstes der Venus Libitina besorgte in Rom die Begräbnisse. Vgl. Horaz, Satiren 2, 6, 19. mit dreißigtausend Leichenbegängnissen füllte; die britannische Niederlage, wobei die zwei bedeutendsten Städte Camulodumum und Verulamium (Maldon und St. Albans) im Jahre 64 nach Chr. Geb. Nach Dio Cassius kamen dabei achtzigtausend Menschen ums Leben. rein ausgeplündert wurden und eine große Anzahl römischer Bürger und Bundesgenossen das Leben verloren; die Schmach im Oriente, wo in Armenien die Legionen unter das Joch geschickt und Syrien nur mit genauer Not behauptet wurde. Zu verwundern und fast am merkwürdigsten unter allen diesen Dingen dürfte es sein, daß er nichts so geduldig ertrug, als die Schimpfreden und Schmähungen der Leute, und daß er sich sein Lebenlang gegen niemand milder gezeigt hat, als gegen solche, die ihn mit Bonmots oder mit Spottgedichten angriffen. Vieles dieser Art wurde in griechischer wie in lateinischer Sprache öffentlich angeschlagen oder sonst verbreitet, wie z. B. folgende (griechische und lateinische) Verse Die zwei ersten Verse sind im Original griechisch, die übrigen lateinisch.:
Nero, Orest, Alkmäon Alkmäon, Sohn des Sehers Amphiaraus, tötete seine Mutter Eriphyle auf Befehl des Vaters, den dieselbe zur Teilnahme an dem Zuge der Sieben gegen Theben gezwungen hatte. Muttermörder sind!
*
Erst schändete, dann schlug die Mutter Nero tot!
*
Wahrlich ein echter Sproß von Äneas Stamme ist Nero:
Schafft er die Mutter doch, wie jener den Vater beiseit!
Die Pointe dieses Epigramms liegt in dem zweimal gesetzten Zeitworte
tollere, das ebenso die Handlungsweise des Äneas, der seinen Vater auf dem Rücken
aus der Gefahr trug, wie die des Nero, der seine Mutter
aus dem Wege räumte, bedeutet.
*
Spannet die Zither der unsre, den hörnernen Bogen der Parther,
Ist der unsre des Sangs, jener des Schusses Apolls.
Das Epigramm spottet darüber, daß sich Nero und der Partherkönig so in die Rollen geteilt haben, daß jener als der Sänger (Päon), dieser als der Ferntreffer (Apollon) erscheint.
*
Rom wird ein einziges Haus
Anspielung auf Neros »Goldenes Haus«, das eine ungeheure Fläche von Rom bedeckte und von Nero fort und fort vergrößert wurde. Siehe oben Kap. 31., nach Veji wandert, Quiriten,
Falls nicht Veji auch frißt jenes räubrische Haus.
Indessen ließ er nach den Verfassern keine besonderen Nachforschungen anstellen; ja, er verhinderte sogar die härtere Bestrafung einiger, die durch Angeber bei dem Senat angezeigt worden waren. Der Cyniker Isidorius hatte ihm einmal im Vorbeigehen auf offener Straße mit lauter Stimme schmähend zugerufen: » daß er die Übeltaten des Nauplius Nauplius, der Vater des von Ulysses listig hingeopferten Palamedes, rächte den Tod des Sohnes dadurch, daß er die Schiffe des Ulysses in klippenreiches Gewässer lockte und scheitern machte. In einem Stücke, das diese Rache behandelte, wird Nero häufig aufgetreten sein. gut zu singen, seine eignen guten Gaben aber schlecht anzuwenden wisse«, und der Atellanenschauspieler S. zu Tiber 45. Datus hatte bei einem Gesangstück die griechischen Worte:
» Lebe Vater wohl! lebe Mutter wohl!«
mit seinem Gebärdenspiel dergestalt begleitet, daß er dort die Gebärde eines Trinkenden, hier die eines Schwimmenden machte und dadurch auf den Tod des Claudius und der Agrippina deutete und bei dem letzten Schlußverse:
» Orkus hat bei den Füßen euch!« Anspielung auf Neros (s. oben Kap. 37) finstere Anschläge gegen den ganzen Senat.
durch seine Gestikulation den Senat bezeichnete. Nichtsdestoweniger begnügte sich Nero damit, den Schauspieler und den Philosophen bloß aus Rom und Italien auszuweisen, sei es, daß er überhaupt gegen Schimpf und Schande gleichgültig war oder daß er durch Eingestehen seines Verdrusses die Gemüter nicht aufreizen mochte.
40. Einen solchen Herrscher hatte der Erdkreis nahezu vierzehn Jahre ertragen Nero regierte von der Mitte des Oktober des Jahres 53 bis Juni 67 nach Christi Geburt., als er endlich von ihm abfiel. Den Anfang machten die Gallier unter Anführung des Julius Vindex Vgl. Dio Cassius 63, 22., der damals diese Provinz als Proprätor kommandierte. Sterndeuter hatten dem Nero einst prophezeit, er werde einmal abgesetzt werden, worauf er jene allbekannte Äußerung getan hatte: » Die Kunst findet auf Erden überall Brot!« Die Worte sind im Original griechisch., womit er seine musikalisch-virtuosistischen Studien rechtfertigen wollte als etwas, das ihm als Kaiser Vergnügen, als Privatmann das tägliche Brot zu gewähren imstande sei. Indessen hatten einige jener Wahrsager ihm für den Fall seiner Absetzung die Herrschaft über den Orient verbürgt, einige namentlich das Königreich von Jerusalem, mehrere sogar die Wiedereinsetzung in seinen ganzen früheren Besitz. Dieser letztern Hoffnung neigte er sich natürlich am meisten zu, und als er Britannien und Armenien verloren und dann beide Provinzen wiedergewonnen hatte, glaubte er, daß nunmehr jene Unglücksprophezeiung erfüllt sei. Als er dann aber bei der Befragung des Delphischen Apoll die Antwort erhielt: er solle sich vor dem dreiundsiebzigsten Jahre in acht nehmen So alt war sein späterer Nachfolger Galba., dachte er nur daran, daß er erst in diesem Alter sterben werde, und nicht von fern an das Alter Galbas und versprach sich so zuversichtlich nicht nur ein hohes Alter, sondern auch ein ununterbrochenes und einziges Glück, daß er einmal, als er durch Schiffbruch gewisse äußerst kostbare Pretiosen verloren hatte, unbedenklich gegen seine Vertrauten äußerte: » die Fische würden ihm dieselben schon wiederbringen!« Zu Neapel erhielt er die Kunde von dem Aufstande Galliens an demselben Tage, an welchem er seine Mutter ermordet hatte, und nahm sie so ruhig und gelassen auf, daß man sogar auf den Gedanken kommen mußte, er freue sich darüber als über eine glückliche Veranlassung, die überaus reiche Provinz nach Kriegsrecht ausplündern zu können. Auch begab er sich unmittelbar darauf in das Gymnasium, wo er den Wettkämpfen der Athleten mit ausgelassenem Vergnügen beiwohnte. Auch um die Zeit des Nachtessens wurde er durch Briefe beunruhigenden Inhalts gestört, doch ging sein Zorn darüber nicht weiter, als daß er drohte, es solle den Abtrünnigen schlecht bekommen. Kurz, ganze acht Tage lang konnte er sich nicht dazu aufraffen, irgend einem der Briefschreiber zu antworten, irgend eine Anweisung oder Vorschrift zu erteilen, sondern er begrub die ganze Sache mit Stillschweigen.
41. Erst die vielen beleidigenden Edikte des Vindex brachten ihn endlich dahin, den Senat durch ein Handschreiben aufzufordern, ihm und dem Staate Genugtuung zu verschaffen, wobei er seine Abwesenheit von Rom mit einem Halsübel entschuldigte. Nichts aber kränkte ihn so tief, als daß ihn Vindex einen schlechten Zitherspieler und statt Nero Aenobarbus genannt hatte. In betreff seines Geschlechtsnamens, den man ihm als einen Schimpf vorwerfe, machte er bekannt, daß er denselben künftig wieder annehmen und seinen Adoptivnamen ablegen werde. Die übrigen Vorwürfe nannte er einfach falsch und führte dafür als Beweis den einzigen Umstand an, daß man ihm ja sogar Unwissenheit in der von ihm so eifrig betriebenen und zu so hoher Vollendung gebrachten Kunst vorwerfe, wobei er von Zeit zu Zeit an einzelne die Frage richtete: » ob sie einen Künstler kennten, der es ihm zuvortue?« Als nun aber Botschaften über Botschaften auf ihn einstürmten, kehrte er in großer Angst nach Rom zurück, wobei ihm unterwegs nur ein unbedeutendes Vorzeichen wieder etwas Mut machte. Als er nämlich an einem Denkmale ein Relief bemerkt hatte, in welchem ein niedergeworfener gallischer Krieger von einem römischen Ritter an den Haaren geschleift wurde, sprang er beim Anblick dieser Darstellung vor Freuden in die Höhe und hob die Hände verehrend gen Himmel empor. Aber auch nach seiner Ankunft in Rom berief er weder den Senat, noch das Volk zu einer Ansprache, sondern ließ bloß einige bedeutende Männer in den Palast kommen, mit denen er eine kurze und eilige Beratung abhielt, worauf er den Rest des Tages mit der Besichtigung und Prüfung neu erfundener Wasserorgeln Der Erfinder war ein Barbier Ktesibios aus Alexandria. Über die Wasserorgel spricht Vitruvius 9, 9. hinbrachte. Er zeigte selbst die einzelnen Teile vor, sprach über Verhältnis und Schwierigkeit des Mechanismus der Instrumente und bemerkte, daß er sie nächstens sämtlich im Theater produzieren werde, » wenn Vindex es erlaube«.
42. Als er darauf erfuhr, daß auch Galba und ganz Spanien abgefallen sei, fiel er in Ohnmacht und blieb völlig gebrochenen Geistes lautlos und fast halbtot lange am Boden liegen. Als er wieder zur Besinnung kam, zerriß er sein Kleid, schlug sich vor den Kopf und rief laut: » es sei aus mit ihm!« Seiner alten Amme, die ihn trösten wollte und dabei äußerte, auch anderen Herrschern sei ja schon ähnliches begegnet, gab er zur Antwort: » er aber leide vor allen anderen ein unerhörtes und nie dagewesenes Geschick, da er den Thron noch lebend verliere«. Dessenungeachtet setzte er sein bisheriges üppiges und träges Leben unverändert fort. Ja, als eine günstige Nachricht aus den Provinzen einlief, veranstaltete er nicht nur ein überaus prächtiges Gastmahl, sondern sang bei demselben sogar selbst auf die Häupter des Abfalls Spottgedichte, die später ins Publikum kamen, nach lasciven Melodieen und unter entsprechendem Gebärdenspiel ab. Und als er sich einmal heimlich hatte ins Theater tragen lassen, wo ein Schauspieler großen Beifall erntete, ließ er demselben sagen: » er mache sich die anderweitige Beschäftigung des Kaisers über Gebühr zu nutze«. D. h. er schnappe den Beifall fort, der dem großen Künstler Nero gebühre und den dieser jetzt zu ernten durch seine Regierungssorgen verhindert sei.
43. Gleich beim Beginn des Aufstandes soll er sich, wie man glaubt, mit vielen unmenschlich grausamen Maßregeln, die jedoch in der Tat seinem Charakter nicht unangemessen sind, getragen haben, als da sind: alle Heer- und Provinzbefehlshaber, weil sie alle eines Sinnes und gegen ihn verschworen seien, abzuberufen und heimlich ermorden, alle Verbannten im ganzen Reiche und sämtliche in der Hauptstadt befindlichen Gallier niedermetzeln zu lassen, jene, damit sie sich nicht den Aufständischen anschlössen, diese, weil sie Mitwisser und Begünstiger ihrer Volksgenossen seien; ganz Gallien seinen Heeren zur Plünderung preiszugeben; den gesamten Senat bei Gastmählern durch Gift zu töten, die Hauptstadt in Brand zu stecken und zugleich die wilden Tiere auf das Volk loszulassen, um dadurch die Löschanstalten noch mehr zu erschweren. Doch ward er von allen diesen Maßregeln abgeschreckt, nicht sowohl durch das Erwachen seines Gewissens, als weil er an ihrer Ausführung verzweifelte, und da er jetzt einen Feldzug für notwendig hielt, entsetzte er die Konsuln vor der Zeit ihres Amtes und trat dasselbe an beider Stelle allein an, angeblich, weil einer Weissagung zufolge die gallischen Provinzen nur von ihm als Konsul besiegt werden könnten. Als er die Fasces in Empfang genommen hatte, verkündete er, während er von der Tafel aufstand und auf die Schultern seiner Vertrauten gestützt das Speisezimmer verließ: » sobald er nur den Fuß auf gallischen Boden gesetzt haben werde, wolle er unbewaffnet den Heeren entgegentreten und nichts weiter tun, als weinen Vielleicht kein Zug in Neros ganzem Leben bezeichnet so schlagend den gekrönten Komödianten, der, selbst erbarmungslos in innerster Seele, seine Hoffnung auf die Rührbarkeit anderer durch Tränen setzt. Es ist dies ein Zug, der in der Geschichte der Tyrannen nicht vereinzelt dasteht.; worauf er denn, nachdem er die Meuterer sicher zur Reue gebracht, tags darauf beim fröhlichen Schmause fröhlichen Herzens die Siegeslieder vortragen werde, mit deren Abfassung er sich jetzt schon beschäftigen müsse«.
44. Bei den Vorbereitungen für den Feldzug sorgte er vor allen Dingen für eine Auswahl von Wagen, um seine theatralischen Instrumente fortzuschaffen, und ließ den Beischläferinnen, die er mit sich ins Feld nehmen wollte, auf Männerart das Haar scheren und sie mit Streitäxten und Schilden als Amazonen ausrüsten. Dann erließ er an die städtischen Tribus die Aufforderung, zur Fahne zu schwören, und da sich keine dienstfähigen Leute meldeten, so forderte er von den Herren Die Domini sind die reichen Sklavenbesitzer. eine bestimmte Anzahl Sklaven, wobei er aus jedem Hause nur die besten annahm und selbst hinsichtlich der Haushofmeister und Schreiber keine Ausnahme gestattete. Zugleich mußten alle Stände einen Teil ihres Vermögens hergeben und obenein selbst diejenigen, welche in Privathäusern oder »Inseln« D. h. großen Miethäusern oder zusammenhängenden Häuserkomplexen, die man rings umgehen konnte und die aufs Vermieten gebaut waren. zur Miete wohnten, den Betrag einer Jahresmiete an den Fiskus zahlen, wobei er mit so quälerischer Härte verfuhr, daß er die Sesterzien nur scharfgeprägt, die Silbermünzen nur vom reinsten Silber und die Goldstücke nur vollwichtig annahm, so daß gar viele ganz offen alle und jede Beitragszahlung weigerten und einstimmig forderten: er möge lieber von seinen Angebern die großen Summen, welche dieselben als Belohnungen empfangen hätten, sich wieder zurückzahlen lassen.
45. Infolge der Kornteuerung vermehrte auch seine Neigung für die Ringkämpfer Ich lese luctantium statt lucrantium. Nero bereitete sich in seiner letzten Lebenszeit durch tägliche Übungen im Ringen vor, bei den nächsten Olympischen Spielen als Ringer und Athlet aufzutreten. Siehe unten Kap. 53. noch den Haß gegen ihn. Es traf sich nämlich zufällig, daß, während im Volke Hungersnot herrschte, sich die Nachricht verbreitete: ein alexandrinisches Schiff sei mit einer Ladung Staub für die Hofringer Ich habe das Wort nach der Analogie unserer Bezeichnung »Hofschauspieler« gebildet. Die »Hofringer« sind die gymnischen Künstler, welche Nero zu seinem Vergnügen und Unterricht besoldete und für die er den Staub zu ihren Kampfübungen aus Alexandria selbst zu einer Zeit kommen ließ, wo jedes Schiff, das von dort kam, höchst nötig zur Getreidefracht war. eingelaufen. Dies stachelte die allgemeine Erbitterung gegen ihn auf, und es gab keine Beschimpfung, die nicht über ihn erging. Man befestigte auf dem Scheitel einer der ihm errichteten Statuen einen Lockenschmuck Mit einem solchen Lockenschmucke trat er, wie die griechischen Wettsänger, bei den öffentlichen Kunstwettstreiten auf (s. Dio Cassius 63, 9), sowie er, wenn er im Circus als Bewerber um den Preis auftrat, die Helmhaube der Wettfahrer trug (ebenda 6). mit einer griechischen Inschrift, welche besagte: » jetzt endlich sei der wahre Wettkampf da«, und: » er möge endlich damit herrücken!« Einer andern Statue band man sogar einen Ledersack an den Hals und schrieb darunter: » Ich habe gegeben, was ich konnte, du aber hast den Ledersack verdient.« Ich lese: Ego quod (statt quid) potui ... und erkläre die Inschrift mit Bezug auf den Geber des ledernen Bettelsacks ( ascopera), der damit zugleich auf Neros Erpressungen, die seinen Untertanen nur den Bettelsack übrig ließen, und auf seinen Muttermord anspielte, den das Gesetz mit dem Säcken bestrafte. Auch an die Säulen schrieb man: » Selbst die Hähne Hähne ( gallos) ist ein Wortspiel. Es heißt nämlich gallos ebensowohl die Hähne, als die Gallier. hat er durch sein Singen aufgeweckt.« Ja, es kam vor, daß viele bei nächtlicher Weile sich stellten, als ob sie mit Sklaven Händel hätten, und dann in einem fort nach dem Vindex Wieder ein Wortspiel. Der Ruf: »Wo ist der Vindex?«, d. h. der Polizeirichter über die Sklaven, erinnerte zugleich an Julius Vindex, den Anführer des gallischen Aufstandes gegen Nero. riefen.
46. Dazu erschreckten ihn unaufhörlich offenkundige üble Vorbedeutungen, sowohl von Träumen, als von Auspizien und Vorzeichen, sowohl alten, als neuen. Er, der nie zuvor zu träumen pflegte, sah jetzt, nachdem er seine Mutter ermordet hatte, ein Traumgesicht, wo ihm, während er ein Schiff lenkte, das Steuerruder aus den Händen gerissen wurde. Dann wieder träumte ihm bald, daß er von seiner Gattin Octavia in eine stockfinstere Kluft geschleppt wurde, bald, daß Scharen geflügelter Ameisen ihn bedeckten, bald, daß die vor dem Pompejustheater aufgestellten Bildsäulen der unterworfenen Nationen S. Torso T. II, S. 178, wo über die von Coponius gearbeiteten ( Plinius, Naturgeschichte 36, 5) Kolossalstatuen der vierzehn Nationen das nähere zu finden ist. ihn umringten und ihm weiter zu schreiten wehrten. Dann wieder: wie sein Asturier Asturier ( asturco) hieß eine spanische Pferdeart von kleinem, zierlichem Bau und zierlich weichem Paßgange. (S. Plinius, Naturgeschichte 8, 67), sein Lieblingsroß, sich in einen Affen verwandelte bis auf den Kopf, mit dem es ein helles Gewieher von sich gab. Am Mausoleum (Augusts) sprangen die Türen von selber aus, und eine Stimme scholl daraus hervor, die ihn mit Namen rief. Am ersten Januar stürzten die aufgeschmückten Larenbilder inmitten der Zurüstungen zum Opfer zur Erde. Als er selbst dann die Auspizien vornahm, bot ihm Sporus einen Ring zum Geschenk, auf dessen Gemme der Raub der Proserpina geschnitten war, und als zur Darbringung der öffentlichen Gelübde Gelübde und Gebete für das Wohl des Kaisers und des Staates, die am ersten Januar auf dem Kapitol getan wurden. bereits alle Stände zahlreich versammelt waren, konnte man lange die Schlüssel zum Kapitol nicht auffinden. Als im Senate aus seiner Rede gegen Vindex die Stelle vorgelesen ward: » die Strafe solle bald die Frevler treffen und dieselben bald ein ihrer würdiges Ende erreichen«, brach die ganze Versammlung in den Zuruf aus: » Du wirst's erreichen, Augustus!« Wieder ein Doppelsinn, der in der doppelten Bedeutung des lateinischen Wortes facere liegt und durch die Übersetzung, wie ich glaube, ziemlich deutlich ausgedrückt ist. Desgleichen war die Bemerkung gemacht worden, daß das letzte Stück, mit welchem er sich öffentlich hatte hören lassen, »Der verbannte Ödipus«, und der Schlußvers, mit dem er geendet, der (griechische) Vers gewesen war:
» Es fordern Gattin, Mutter, Vater meinen Tod!«
47. Als inzwischen die Nachricht anlangte, daß auch die übrigen Heere ihren Abfall erklärt hätten, riß er die Depeschen, welche ihm beim Frühmahl übergeben worden waren, in kleine Stücke, stieß den Tisch um Denselben Wutausbruch erzählt auch Plutarch, Galba Kap. 5., schmetterte zwei ihm besonders werte Mundbecher Sie waren von Kristall; Plinius, Naturgeschichte 37, 10., die er die Homerischen zu nennen pflegte, weil auf denselben Scenen aus Homers Gedichten abgebildet waren, gegen den Fußboden und begab sich dann, nachdem er sich von der Locusta Gift hatte reichen lassen, das er in ein goldnes Büchschen tat, in die Servilianischen Gärten. Von hier sandte er seine treuesten Freigelassenen nach Ostia voraus, um die Flotte segelfertig zu machen, und versuchte dann die Tribunen und Centurionen seiner Leibwache zu bereden, ihn auf seiner Flucht zu begleiten. Als sie aber teils Ausflüchte machten, teils sich offen weigerten und einer sogar laut ausrief:
»Ist denn Sterben so gar was Entsetzliches?« Worte des Turnus bei Virgil, Äneis 12, 646.
da schwankte er zwischen den verschiedensten Plänen hin und her: ob er sich an die Parther oder an den Galba als Schutzsuchender wenden, ob er in Trauerkleidern aufs Forum gehen und von der Rednerbühne herab mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Rührung Verzeihung für sein vergangenes Leben erflehen und, falls er keinen Eindruck gemacht haben würde, wenigstens um Bewilligung der Statthalterschaft von Ägypten bitten sollte. Es fand sich später in seinem Schreibpulte wirklich ein vollkommen ausgearbeiteter Vortrag über diesen Gegenstand. Allein er stand von seinem Vorhaben ab, wie man glaubt, weil er fürchtete, das Volk möchte ihn, ehe er noch das Forum erreiche, in Stücke reißen. So verschob er denn die weitere Überlegung auf den folgenden Tag, wurde aber gegen Mitternacht aus dem Schlafe aufgestört und sprang, als er erfuhr, die diensthabende Soldatenabteilung sei abgezogen, aus dem Bette auf und schickte nach seinen Freunden. Und weil er von keinem einzigen eine Antwort erhielt, machte er sich selbst mit wenigen Begleitern nach den Wohngemächern der einzelnen auf. Die im Kaiserpalast selbst befindlich waren. Da er aber aller Türen verschlossen fand und keiner Antwort auf sein Rufen gab, kehrte er in sein Schlafgemach zurück, wo bereits auch die Kämmerlinge entflohen waren, nachdem sie selbst die Polsterbezüge geraubt, ja sogar das Büchschen mit Gift überseite gebracht hatten. Sofort befahl er, den Gladiator Spiculus S. oben zu Kap. 30. oder den ersten besten geschickten Fechter Das lateinische Wort percussor bedeutet einen Fechter, der den Todesstreich geschickt zu führen weiß; denn Nero wollte nicht lange leiden. herbeizurufen, um sich von dessen Hand den Tod geben zu lassen. Und da man keinen fand, rannte er mit dem Ausrufe: » So habe ich denn weder einen Freund, noch einen Feind!« aus dem Palast, wie wenn er sich in die Tiber stürzen wollte.
48. Indessen besann er sich ebenso plötzlich wieder eines andern und sprach den Wunsch aus nach irgend einem möglichst versteckten Schlupfwinkel, um daselbst sich wieder zu sammeln. Und da ihm der freigelassene Phaon sein in der Nähe der Stadt zwischen dem Salarischen und Nomentanischen Tore, etwa vier Millien von der Stadt belegenes Landgut Vgl. den Aufsatz »Neros Todesstätte« in: Ein Jahr in Italien, Bd. III, S. 137-147. anbot, so warf er, in bloßen Füßen und nur mit der Tunika bekleidet, wie er war, einen alten verschossenen Mantel über, zog die Kapuze über den Kopf, bedeckte das Gesicht mit einem Schweißtuch und schwang sich auf ein Pferd, mit nur vier Begleitern, unter denen sich auch Sporus befand. Nebst Epaphroditus, Phaon und einem vierten, dessen Namen man nicht kennt. Dio Cassius spricht nur von drei Begleitern. Bald darauf, noch ganz entsetzt durch ein Erdbeben und einen vor seinen Augen niederfahrenden Blitzstrahl, hörte er von dem nahen Lager her das Geschrei der Soldaten, die jene Vorzeichen ihm zum Unheil und dem Galba zum Heil auslegten, dazu auch, wie von einer ihnen begegnenden Gruppe von Reisenden einer sagte: » Die da setzen dem Nero nach!«, während ein anderer die Frage an die Reiter richtete: » Was gibts in der Stadt Neues von Nero?« Da scheute sein Pferd vor dem Gestank eines auf der Landstraße liegenden Leichnams, das Schweißtuch fiel von seinem Gesicht, und er ward von einem ausgedienten Prätorianer erkannt und begrüßt. Als man an dem Seitenpfade ankam, stieg er ab, ließ die Pferde laufen und gelangte durch Buschwerk und Dorngestrüpp auf einem durch ein Röhricht gehenden Fußpfade mit großer Mühe, und nur indem man durch untergebreitete Kleidungsstücke den Weg für seine nackten Füße gangbar machte, endlich zu der hinteren Mauerseite der Villa. Hier bat ihn Phaon, sich einstweilen in eine Sandgrube zu begeben, worauf er zur Antwort gab: » er wolle nicht bei lebendigem Leibe unter die Erde gehen!« Nach einigem Verweilen, während dessen man einen heimlichen Eingang in die Villa für ihn zu bereiten suchte, schöpfte er, um seinen Durst zu stillen, Wasser mit der Hand aus einer nahebei gelegenen Lache, indem er sprach: » Dies ist Neros Kühltrank!« Ein kostbar mit allerlei Essenzen zubereitetes, mit Eis gekühltes und, wie wir aus dieser Stelle sehen, den Feinschmeckern unter dem Namen »Neros Dekokt« bekanntes Getränk. Dann zog er, da sein Mantel von Dornen zerrissen war, die durch denselben gegangenen und stecken gebliebenen Spitzen einzeln aus und gelangte so, auf allen Vieren durch ein enges ausgegrabenes Loch sich zwängend, in die nächste Zelle Irgend ein kleines, für Sklaven bestimmtes Gemach, eine Gärtnerwohnung., wo er sich auf ein Lager warf, das mit einem ärmlichen Polster und statt der Decke mit einem alten Mantel versehen war; und da ihn inzwischen Hunger sowie Durst ankamen, verschmähte er zwar das ihm gebotene schwarze Brot, trank dagegen des laulichen Wassers eine ganze Menge.
49. Da jetzt seine Begleiter wiederholt in ihn drangen, sich der ihm drohenden schimpflichen Behandlung baldmöglichst zu entziehen, befahl er, ein Grab vor seinen Augen zu graben, wozu er selbst das Maß seines Leibes gab, und womöglich ein paar Stücke Marmor zusammenzustellen Um das Grab einzufassen. S. oben Kap. 33., desgleichen Wasser und Kleinholz herbeizuschaffen, um sofort seinem Leichnam die letzte Sorge zu erweisen Indem man denselben wusch und dann verbrannte., begleitete alle diese Anordnungen mit Tränengüssen, indem er dabei zu wiederholten Malen ausrief:
» Welch ein Künstler stirbt in mir!«
Während er so die Augenblicke hinzögerte, kam ein Kurier Phaons mit Briefschaften an. Er riß sie demselben aus der Hand und las: » daß er vom Senat in die Acht erklärt Im Texte steht: für einen Feind (des Staates) erklärt. sei und daß man ihn aufsuche, um an ihm die Strafe nach der Vorfahren Weise Vgl. Claudius, Kap. 34. zu vollziehen.« Er fragte, was das für eine Strafe sei? Und als er hörte: der Mensch werde dabei nackt mit dem Halse in eine Strafgabel Ein gabelförmiges Halseisen, in das man Sklaven spannte, die gegeißelt wurden. geschlossen und der Leib mit Ruten zu Tode gehauen, ergriff er entsetzt zwei Dolche, die er mit herausgenommen hatte, prüfte die Spitze beider, und – steckte sie dann wieder ein, indem er bemerkte: » noch sei die Schicksalsstunde nicht gekommen«. Dann forderte er mehrmals den Sporus auf, die Totenklage und das Wehegeschrei um ihn anzustimmen; dann bat er wieder: es möchte doch irgend einer ihm zum Selbstmord durch sein Beispiel behilflich sein. Zuweilen schalt er auf sein feiges Zaudern mit den Worten Der erste der Sätze, die Nero hier spricht, ist lateinisch, die folgenden griechisch.: » Was ist dies für ein scheußliches und schmähliches Leben! Es ziemt einem Nero nicht, ziemt ihm nicht! In solcher Lage gilt's besonnen zu sein; auf, ermanne dich!« Siehe, da sprengten schon die Reiter heran, denen befohlen war, ihn lebendig zu fahen. Als er es bemerkte, recitierte er in Todesangst den Homerischen Vers:
Donnernd schallt mir zu Ohren der Hufschlag eilender Rosse! Ilias X, 535.
und drückte sich den Stahl in die Kehle, wobei ihm Epaphroditus, sein Kabinetssekretär, die Hand führte. Dafür ließ Domitian denselben später hinrichten. S. unten Domitian, Kap. 14. Halbentseelt vermochte er dem hereinstürzenden Centurio, der seinen Mantel auf die Wunde drückte, um ihn glauben zu machen, daß er ihm zu Hilfe gekommen sei, nur noch die Worte zu entgegnen: » Zu spät!« und » Das ist Treue!« Mit diesem Rufe hauchte er seine Seele aus, während ihm zum schaudernden Entsetzen der Umstehenden die Augen weitgeöffnet aus den Höhlen traten. Vor allem und am dringendsten hatte er von seinen Begleitern das Versprechen erbeten, daß sie niemand gestatten sollten, ihm den Kopf abzuschneiden, sondern daß sie ihn unter allen Umständen unverstümmelt verbrennen möchten. Dies bewilligte Icelus, Galbas Freigelassener, der selbst eben erst aus dem Gefängnis befreit worden war, in das man ihn beim Beginne des Aufruhrs geworfen hatte. S. unten Galba 14.
50. Die Kosten seiner Bestattung betrugen zweihunderttausend Sesterzien 43 500 Reichsmark.; man brauchte dabei die weißen goldgestickten Teppiche, deren er sich am 1. Januar bedient hatte. Seine Gebeine bestatteten Ekloge und Alexandria, seine Ammen, gemeinschaftlich mit Akte, seiner Konkubine, in dem Erbbegräbnisse des Geschlechts der Domitier, das man vom Marsfelde aus hochoben auf dem Gartenhügel Der heutige Monte Pincio. gewahrt. In diesem Erbbegräbnisse steht ein Sarkophag von Porphyrmarmor, darüber ein Altar von lunesischem Marmor, das Ganze eingefaßt mit einer Balustrade von thasischem Stein. Lunesisch hieß in der Kaiserzeit der Marmor von Luna, heute der carrarische; Thasos war eine der Cykladeninseln, von deren Marmor Plinius, 36, 6, spricht. Über den Marmorluxus der Römer siehe Ein Jahr in Italien, Bd. III, S. 149-154.
51. Seine Gestalt war fast von mittlerer Mannesgröße, sein Körper mit Flecken bedeckt und übelriechend, das Haar blondgelblich, sein Gesicht mehr schöngebildet, als anmutig, die Augen blau und sehr schwach Nero war weitsichtig. Vgl. Lessing, Werke VIII, S. 146-149., der Nacken übermäßig fett, der Bauch stark vortretend, die Schenkel überaus dünn, seine Gesundheit dauerhaft. Denn trotzdem, daß er der allerunmäßigste Schwelger war, ist er doch in allem nur dreimal während voller vierzehn Jahre krank gewesen, und zwar ohne daß er dabei den Weingenuß oder seine übrige Lebensgewohnheit aufgegeben hätte. In seiner Toilette und in seiner Haltung war er so schamlos, daß er nicht nur das Haar immer in stufenweise geordneten Locken frisiert trug, sondern es auf seiner achäischen Rundreise sogar auf die Schulter hinabwallen ließ und daß er sehr häufig im leichten Nachtkleide, ein Schweißtuch um den Hals geschlungen, ungegürtet und unbeschuht Wir würden sagen »in Pantoffeln«; denn mit bloßen Füßen erschien der Weichling sicher nicht. Wie gekleidet er die Senatoren in der Audienz empfing, erzählt Dio Cassius 63, 13. sich öffentlich zeigte.
52. Mit allen Wissenschaften und Künsten hatte er schon in seiner Jugend sich kostend zu tun gemacht. Nur von der Philosophie hielt ihn seine Mutter ab, indem sie ihm bemerklich machte: Philosophie sei einem künftigen Herrscher hinderlich Ein goldenes Wort, selbst im Munde eines Scheusals wie Agrippina, und die beste Bestätigung des bekannten Platonischen Ausspruchs: »Nur wenn die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen sein werden, wird die Menschheit glücklich sein!«, von der Lektüre der alten Redner sein Lehrer Seneca, um ihn desto länger in der Bewunderung für sein (Senecas) eigenes Rednertalent zu erhalten. Ein französischer Übersetzer (E. Pessonneaux, Paris 1856) citiert hierbei Molières Wort: » Nul n'aura de l'esprit que nous et nos amis!« So wandte er sich denn mit Neigung auf die Poesie und verfaßte mit Eifer und ohne Mühe Gedichte; auch ist es unwahr, daß er, wie einige meinen, fremde Arbeiten als die seinigen herausgegeben habe. Es sind mir Schreibtafeln und Hefte von ihm zu Händen gekommen mit einigen allbekannten, von seiner eigenen Hand geschriebenen Versen, denen man es auf den ersten Blick ansehen konnte, daß sie weder anderswoher entlehnt, noch unter dem Diktat eines andern nachgeschrieben, sondern ganz wie von einem, der meditierend selbst schafft, aufgesetzt worden waren; so viel war darin an einzelnen Wörtern und Sätzen hier ausgetilgt und ausgestrichen, dort übergeschrieben. Ausführlicher über Neros poetische Leistungen spricht Tacitus, Annalen 13, 3 und besonders 14, 16. Vgl. Einleitung S. 24. Auch die Malerei und die Bildnerkunst hatte er mit nicht geringem Erfolge betrieben.
53. Vorherrschend aber war zu allen Zeiten bei ihm das leidenschaftliche Streben nach Beifall beim Publikum, und in dieser Beziehung war er der Rival von allen, die auf irgend eine Art Effekt bei der Menge hervorbrachten. Man glaubte im Publikum allgemein, daß er, nachdem er als Sänger und Schauspieler die Siegeskrone gewonnen, im nächsten Lustrum bei den Olympischen Spielen sich sogar dahin erniedrigen werde, unter den Athleten aufzutreten. Wahnsinniger, falsch gerichteter Ehrgeiz war die Grundquelle aller Laster Neros, während er bei richtiger Leitung leicht die Quelle großer Taten hätte werden mögen. Aber seine Erziehung hatte ihm absichtlich jede Richtung auf Edles, Gutes und Großes verschlossen und ihn so auf die Bahn des Gemeinen, Abgeschmackten, ja Unsinnigen gelenkt. Denn man sah ihn täglich sich im Ringen üben. Auch hatte er den gymnischen Wettkämpfen in ganz Griechenland immer nur so beigewohnt, daß er, gleich den Brabeuten Name der Preisrichter bei den gymnischen Spielen der Griechen., seinen Sitz dicht neben den Kämpfern im Stadium auf der Erde nahm und die kämpfenden Paare, die etwa zu weit gegen die Schranken hin sich entfernten, mit eigenen Händen wieder in die Mitte zurückschleppte. Desgleichen hatte er sich vorgenommen, da man bereits von ihm sagte, er komme im Gesange dem Apoll, im Wagenlenken dem Sonnengotte gleich, seine Nachahmung auch auf des Herkules Taten auszudehnen. Ja, man sagt, es sei bereits ein abgerichteter Löwe in Bereitschaft gewesen, den er mit einer Keule erlegen oder durch Umschlingung mit den Armen in der Arena des Amphitheaters vor dem zuschauenden Volke nackt erwürgen wollte.
54. Gewiß ist, daß er gegen das Ende seines Lebens öffentlich das Gelöbnis getan hatte: wenn seine Herrschaft bestehen bliebe, wollte er bei den Spielen zur Feier seines Sieges Über die aufständischen Provinzen und Befehlshaber. auch als Wasserorgel-, Flöten- und Dudelsackspieler und am letzten Tage als Ballettänzer austreten und »Virgils Turnus« tanzen. Ja, manche berichten sogar, er habe den Ballettänzer Paris S. Tacitus, Annalen 13, 19. als einen gefährlichen Kunstrivalen ermorden lassen.
55. Es lebte in ihm eine heiße Begierde nach Verewigung und Fortdauer seines Gedächtnisses, aber eine unverständige. So nahm er vielen Gegenständen und Örtlichkeiten ihre alte Benennung und gab ihnen neue nach seinem Namen. Auch einen Monat, den Aprilis, nannte er Neroneus. Auch hatte er vor, Rom in Neropolis umzutaufen.
56. Die Götterkulte waren ihm sein ganzes Leben lang lächerlich, nur den Kult der einzigen Syrischen Göttin ausgenommen, die er jedoch bald so verachtete, daß er sie mit Urin besudelte, als ihn ein anderer Aberglaube gefangen genommen hatte, in dessen Banden er ausschließlich dauernd festhängen blieb. Er hatte nämlich eine kleine Mädchen-Porträtstatuette als Schutzmittel gegen Verschwörungen von irgend einem geringen und namenlosen Plebejer zum Geschenk erhalten, und als nun unmittelbar darauf die Entdeckung einer Verschwörung erfolgte, verehrte er sie von da ab gleich der höchsten Gottheit und brachte ihr bis ans Ende seines Lebens täglich dreimal Opfer, wie er denn auch den Glauben verbreitet wissen wollte, daß er durch ihre Eingebung die Zukunft voraus erfahre. Wenige Monate vor seinem Ende wohnte er auch einer Eingeweideschau bei, doch waren die Zeichen niemals glücklich.
57. Er starb im zweiunddreißigsten Jahre seines Alters, an dem Tage, an welchem er einst die Octavia ermordet hatte, und so groß war die allgemeine Freude über diesen Tod, daß das Volk mit Freiheitmützen auf den Köpfen durch die ganze Stadt lief. Und dennoch fehlte es nicht an solchen, welche lange Zeit hindurch sein Grab mit Frühlings- und Sommerblumen schmückten und bald seine Bildnisse in der Prätexta bei der Rednerbühne, bald seine Edikte, als ob er noch lebe und binnen kurzem wiederkehren werde, zum Vorschein brachten. Ja, selbst Vologesus, der Partherkönig, verwendete sich, bei Gelegenheit einer Gesandtschaft an den Senat über Erneuerung des Bündnisses, lebhaft dafür, daß man dem Andenken Neros die gebührende Ehre erzeige. Und als endlich zwanzig Jahre später, da ich ein junger Mensch war, ein Individuum von unbekannter Herkunft auftrat, das sich für den Nero ausgab Der Mann hieß Terentius Maximus und war ein Asiate, dem Nero an Bildung und Stimme sehr ähnlich. Über einen anderen Pseudonero siehe Tacitus, Historien 2, 8-9., war dieser Name noch in solcher Gunst bei den Parthern, daß sie jenen lange eifrig unterstützten und sich nur mit Mühe bewegen ließen, ihn später auszuliefern.