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Tiberius Nero Cäsar.

1. Das patricische Geschlecht der Claudier – es gab nämlich auch noch ein plebejisches, das jenem weder an Reichtum, noch an Ansehen nachstand – stammt aus dem Sabinerstädtchen Regilli. Von dort wanderte es unter Anführung des Titus Tatius, des Mitregenten von Romulus, oder richtiger unter Atta Claudius, dem Stammhaupte, mit einer großen Schar Höriger in das neuerbaute Rom aus. Etwa sechs Jahre nach Vertreibung der Könige ward dasselbe vom Senat unter die patricischen Geschlechter aufgenommen und erhielt von Staats wegen für seine Hörigen ein Stück Land jenseit des Anio Der heutige Teverone. und für sich selbst einen Begräbnisplatz am Fuße des Capitoliums. Im Laufe der Zeit erlangte es achtundzwanzig Konsulate, fünf Diktaturen, sieben Censuren, sieben große und zwei kleine Triumphe. Von den verschiedenen Vor- und Zunamen, nach welchen sich die einzelnen Zweige desselben unterscheiden, verbannte es einstimmig den Vornamen Lucius, seitdem zwei Geschlechtsgenossen, welche denselben geführt hatten, der eine des Straßenraubes, der andere des Mordes überwiesen worden war. Unter die Beinamen dagegen nahm es den Zunamen Nero auf, der in sabinischer Sprache soviel wie tapfer und tüchtig bedeutet.

2. Von den Claudiern hat die Geschichte viele aufzuzählen, die sich große Verdienste um den Staat erworben, aber auch viele, die sich das Gegenteil haben zu schulden kommen lassen. Um nur das bedeutendste zu erwähnen, so war es Appius Claudius, der von dem Bündnis mit König Pyrrhus, als unheilvoll für den Staat, abriet. Claudius Caudex Den Beinamen Caudex erhielt dieser Appius, weil er auf einem elenden Fischerkahne (der caudex, d. i. ausgehöhlter Baumstamm, hieß, da er wenig besser war, als ein solcher) den Feind rekognosziert haben sollte. S. Aurelius Victor. Etwas anders Seneca, Von der Kürze des Lebens, Kap. 13. war der erste, der mit einer Flotte über die Meerenge setzte und die Punier aus Sizilien vertrieb. Claudius Nero schlug und vernichtete den von Spanien mit großer Heeresmacht heranziehenden Hasdrubal, ehe derselbe sich mit seinem Bruder Hannibal vereinigen konnte. Dagegen Claudius Appius Regillanus, einer der zur Gesetzesabfassung verordneten Decemvirn, bewirkte einen abermaligen Aufstand der Plebejer gegen die Patricier durch die Frechheit, mit welcher er eine freigeborene Jungfrau in wollüstiger Absicht gewaltsam zu seiner Sklavin machen wollte. Claudius Drusus ließ sich bei Forum Appii Städtchen an der Appischen Straße in den Pomptinischen Sümpfen, wo noch jetzt ein Ort den Namen Forappi oder Foro appio führt. Niebuhr III, S. 355 setzt diesen Drusus in die Zeit des Ersten punischen Kriegs. Von dem Versuche des Appius, dessen Sueton hier erwähnt, sich zum Könige zu machen, redet sonst kein alter Schriftsteller. S. Paulys Realencyklopädie II, S. 412. eine Statue mit dem Diadem setzen und versuchte, mit Hülfe seiner Klienten sich zum Herrn von Italien zu machen. Claudius Pulcher (der »Schöne«) ließ bei Sizilien die Hühner, die bei den Auspicien nicht das Futter nehmen wollten, mit Verachtung der Religion ins Meer werfen, damit sie saufen möchten, da sie nicht fressen wollten, und begann so die Seeschlacht. In derselben geschlagen und vom Senat aufgefordert, einen Diktator zu ernennen, trieb er zum zweiten Male gleichsam seinen Spott mit der Gefahr des Staates, indem er seinen Gerichtsdiener Glycias dazu ernannte. S. Niebuhr, Römische Geschichte III, S. 715. Glycias war ein Freigelassener des Appius. S. Realencyklopädie II, 408. Auch Beispiele von Frauen eben so verschiedener Art hat dies Geschlecht aufzuweisen. War es doch eine Claudia, die das mit den Heiligtümern der Idäischen Göttermutter Der auf dem Berge Ida in Kleinasien hauptsächlich verehrten Cybele. Über die Thatsache s. Realencyklopädie II, S. 409. in der Tiber auf einer Untiefe festgefahrene Schiff von derselben wegzog, nachdem sie laut gebetet: » so gewiß sie eine Jungfrau sei, möge das Schiff wieder flott werden!« und eine zweite, die wegen Beleidigung der Majestät des Volkes, was bei einem Weibe unerhört war, vor Gericht gestellt ward, weil sie, als ihr Wagen einmal bei einem großen Volksgedränge nur langsam sich fortbewegen konnte, laut gewünscht hatte: » daß doch ihr Bruder Pulcher wieder aufleben und aufs neue eine Flotte verlieren möchte, damit des Gesindels in Rom weniger würdeDiese unmenschliche Verhöhnung hat im neunzehnten Jahrhundert ein Seitenstück gefunden an dem Wunsche des am 24. April 1878 verstorbenen Hallischen Professors Heinrich Leo: daß das »skrofulose Gesindel« durch einen frischen fröhlichen Krieg vertilgt werden möchte! Leider aber gab und giebt es bei uns noch kein Gericht der beleidigten Volksmajestät und der Menschheitslästerung. Vgl. Niebuhr, Römische Geschichte III, 714. Daneben ist es allbekannt, daß sämtliche Claudier, mit alleiniger Ausnahme des Publius Clodius, der, um Ciceros Vertreibung durchzusetzen, sich von einem Plebejer, der obendrein an Jahren jünger war, als er, adoptieren ließ S. zu Cäsars Leben Kap. 20., allezeit heftige Aristokraten und fanatische Verteidiger des Machteinflusses der Patricier und dem Volke gegenüber stets so gewaltthätig und starrköpfig gewesen sind, daß selbst, wo es Leib und Leben galt, nie einer von ihnen als Angeklagter es über sich gewinnen mochte, vor dem Volke in Trauerkleidern zu erscheinen und dasselbe mit Bitten anzugehen, ja manche sich im Hader und Zank sogar an den Gesetzlich unverletzlichen. Volkstribunen thätlich vergriffen haben. Eine Claudia, die Vestalin war, stieg sogar zu ihrem Bruder, der gegen die Erlaubnis des Volkes einen Triumphzug hielt, auf den Wagen und begleitete ihn bis zum Kapitol, damit kein Tribun den Zug durch sein Veto oder sein Einschreiten aufhalten könnte. In Gegenwart einer Vestalin durfte gegen niemand Gewalt angewendet werden. Andere Schriftsteller nennen die Vestalin eine Tochter des von ihr beschützten Triumphators. S. Realencyklopädie II, S. 410.

3. Von solchem Stamme leitet Tiberius Cäsar seinen Ursprung her, und zwar von väterlicher wie von mütterlicher Seite. Sein väterliches Geschlecht geht zurück auf Tiberius Nero, sein mütterliches auf Appius Pulcher, welche beide Söhne des Appius Cäcus (des »Blinden«) waren. Er gehörte auch zu der Familie der Livius, weil sein mütterlicher Großvater durch Adoption in dieselbe aufgenommen worden war. Diese Familie gehörte zwar zu den plebejischen, stand aber dennoch in hohem Ansehen, denn sie zählte acht Konsulate, zwei Censoren, desgleichen einen Diktator und einen Magister Equitum unter ihren Ahnen und hatte glänzend ausgezeichnete Männer, vor allen Salinator und die Drusus, aufzuweisen. Salinator Einer der großen Römerfeldherrn im Kriege gegen Hannibal. Siehe Realencyklopädie IV, S. 1113 ff. verhängte als Censor über sämtliche Tribus den Tadel der Leichtfertigkeit, »weil sie ihm, den sie nach seinem ersten Konsulat im Staatsgerichte verurteilt und mit einer Geldstrafe belegt, ein zweites Konsulat und das Censoramt verliehen hätten«. Drusus erhielt diesen Beinamen für sich und seine Nachkommen, weil er im Zweikampfe den feindlichen Anführer Drausus Ein keltischer Name. Dieser erste Livius Drusus lebte etwas nach der Mitte des dritten Jahrhunderts vor Chr.; Realencyklopädie IV, S. 1118. erlegt hatte. Auch soll er als Proprätor aus der Provinz Gallien das Gold heimgebracht haben, das den Senonen einst, als sie das Kapitol belagerten, ausgezahlt und das ihnen nicht, wie die Sage geht, vom Camillus wieder abgezwungen worden war. Vgl. Mommsen. Römische Geschichte I, 215. (S. 306 der 2. Ausg.) Sein Urenkel, der wegen seiner gegen die Gracchen geleisteten wichtigen Dienste den Namen »Schirmherr des Senates« erhielt, hinterließ einen Sohn, den in einer Zeit ähnlicher innerer Spaltung, obschon er seine Politik möglichst den Umständen und Verhältnissen anzupassen suchte, dennoch die Gegenpartei meuchelmörderisch umbringen ließ. Über die beiden letzten Drusus s. Realencyklopädie IV, S. 1108 bis 1112. Vgl. Mommsen, Römische Geschichte II, 114 ff. und 203-208.

4. Tiberius' Vater, Quästor unter Gajus Cäsar, trug als Befehlshaber der Flotte im Alexandrinischen Kriege viel zum Siege bei. Daher ward er an der Stelle des Publius Scipio mit der Pontifexwürde bekleidet und mit der Leitung der gallischen Kolonisierungen, unter denen sich Narbo und Arelate Narbo, das heutige Narbonne; Arelate, das heutige Arles. befanden, beauftragt. Trotzdem trug er, nach Cäsars Ermordung, als alle (im Senat) aus Furcht vor Unruhen auf Erlaß einer Amnestie drangen, sogar darauf an: die Belohnung der Tyrannenmörder in Beratung zu ziehen. Als darauf, um die Zeit, wo seine Prätur zu Ende ging, zwischen den Triumvirn Zwiespalt ausbrach, verlängerte er widerrechtlich seine amtliche Würde, folgte dem Konsul Lucius Antonius, dem Bruder des Triumvirs, bis nach Perusia und harrte, als bereits alle übrigen sich ergeben hatten, allein bei der Partei aus, indem er zuerst nach Präneste, dann nach Neapel entfloh und, als er hier ohne Erfolg die Sklaven zur Freiheit aufrief, weiter nach Sizilien flüchtete. Aber im Unwillen darüber, daß ihn Sextus Pompejus nicht sogleich vor sich ließ und ihm Weil seine Prätur abgelaufen war und er nicht mehr gesetzlich dazu das Recht hatte, Liktoren mit den Rutenbündeln und Beilen vor sich hergehen zu lassen. das Führen der Fasces untersagte, segelte er zum Marcus Antonius nach Achaja hinüber. Mit diesem kehrte er bald darauf, als der Friede allerseits wiederhergestellt war, nach Rom zurück, woselbst er seine Frau Livia Drusilla, die in diesem Augenblicke schwanger war und ihm obenein bereits einen Sohn geboren hatte, an Augustus auf dessen Bitte abtrat. Nicht lange darauf starb er, mit Hinterlassung seiner zwei Söhne Tiberius und Drusus, beide Nero benannt. Tiber führte den Namen Nero als Zunamen, Drusus als Vornamen.

5. Einige nennen Fundi Das heutige Fondi bei Terracina. als Geburtsort Tibers, wofür sie den allerdings sehr wenig stichhaltigen Grund anführen, daß seine Großmutter von mütterlicher Seite eine Fundanerin gewesen und daß bald darauf infolge eines Senatsbeschlusses eine Statue der Felicitas (des Glücks) dort öffentlich aufgestellt worden sei. Aber wie bei weitem die meisten und zuverlässigsten Schriftsteller melden, ist er zu Rom auf dem Palatin geboren am 16. November, unter den Konsuln Marcus Ämilius Lepidus, der die Würde zum zweiten Male bekleidete, und Lucius Munatius Plancus, nach Beendigung des Philippensischen Krieges. Denn so ist es in den Jahrbüchern In den sogenannten Fasti. Die weiterhin genannte »öffentliche Tageschronik« ( Acta publica, auch Acta diurna, Acta populi) vertrat die Stelle unserer Zeitungen. Vgl. Realencyklopädie I, S. 49 ff. und in der öffentlichen Tageschronik aufgezeichnet. Doch fehlt es nicht an solchen, welche ihn teils ein Jahr früher unter den Konsuln Hirtius und Pansa, teils ein Jahr später unter dem Konsulate des Servius Isauricus und Antonius geboren werden lassen.

6. Seine erste Kindheit und Knabenzeit war voll Mühsal und Widerwärtigkeit, indem er seine Eltern überall hin auf ihrer Flucht begleitete, wie er sie denn auch bei Neapel, als sie beim Überfall der Feinde heimlich sich nach ihrem Schiffe retten wollten, zweimal durch sein Weinen beinahe den Verfolgern verriet: einmal, als er von der Brust seiner Amme und sodann, als er von den Armen seiner Mutter hastig durch diejenigen weggerissen wurde, welche in diesem dringenden Augenblicke den schwachen Frauen ihre Last abnehmen wollten. Auch durch Sizilien und Achaja ward er mit umhergeführt und den Lakedämoniern, deren Patrone die Claudier waren, von Staats wegen anempfohlen. Als man von da bei Nacht abreiste, geriet er in Lebensgefahr, indem plötzlich in einem Walde von allen Seiten her eine Feuersbrunst ausbrach, die das ganze Reisegefolge dergestalt einschloß, daß der Livia ein Teil ihrer Kleider und ihr Haupthaar versengt wurden. Die Geschenke, welche er von der Pompeja, der Schwester des Sextus Pompejus, in Sizilien erhielt, ein Oberkleidchen mit einer Schnalle, desgleichen die goldenen Büchschen Bullae, die Amulettkapseln, welche die vornehmen römischen Knaben um den Hals hangend trugen. Vergleiche Mommsen, Römische Geschichte I, S. 170 (2. Ausg.). sind noch erhalten und werden noch heute zu Bajä gezeigt. Nachdem er mit seinen Eltern in die Stadt zurückgekehrt war, wurde er von dem Senator Marcus Gallius durch Testament adoptiert, trat die Erbschaft an, legte aber den Namen bald wieder ab, weil Gallius auf seiten der Gegner des Augustus gestanden hatte. In einem Alter von neun Jahren hielt er seinem verstorbenen Vater auf dem Forum die Lobrede. Bei seinem Eintritt in das Jünglingsalter begleitete er dann beim Aktischen Triumphe den Wagen des Augustus auf dem linken Handpferde, während Marcellus, der Sohn der Octavia, auf dem rechten ritt. Auch nahm er einen Ehrenplatz ein bei den Aktischen Spielen und bei dem Trojaspiel im Cirkus, wo er die Reiterschar der größeren Knaben führte.

7. Nachdem er die männliche Toga angelegt hatte, war der Verlauf seiner ganzen Jugend und der Zeit des darauf folgenden Alters bis zum Antritt seiner Regierung etwa folgender. Zunächst gab er ein Gladiatorenspiel zum Andenken seines Vaters und ein zweites zum Andenken seines Großvaters Drusus zu verschiedenen Zeiten und Orten, das erste auf dem Forum, das zweite im Amphitheater, wobei er auch Fechter, welche bereits ehrenvoll ausgedient hatten, um einen Sold von hunderttausend Sesterzien 21 750 Reichsmark. für einen jeden, wieder auftreten ließ. Auch Spiele gab er, aber abwesend, wobei alles sehr prächtig war, auf Kosten seiner Mutter und seines Stiefvaters. Er heiratete die Agrippina, eine Tochter des Marcus Agrippa und Enkelin des römischen Ritters Pomponius Atticus, an den Ciceros Briefe gerichtet sind; allein nachdem sie ihm einen Sohn Drusus geboren, sah er sich gezwungen, dieselbe, obschon er gut mit ihr lebte und sie aufs neue von ihm schwanger war, zu verstoßen und unmittelbar darauf die Julia, die Tochter des Augustus, zu heiraten, was er nicht ohne großen Kummer that, da er sehr an Agrippina hing, während der Charakter der Julia ihm zuwider war, die, wie er wußte, schon zu Lebzeiten ihres früheren Mannes ihr Absehen auf ihn gehabt hatte. Wie dem auch sei, er empfand auch nach der Scheidung fortwährend Schmerz darüber, daß er die Agrippina verstoßen hatte, und das einzige Mal, wo er sie bei einer zufälligen Begegnung erblickte, schaute er ihr mit so starren und thränenvollen Augen nach, daß man von der Zeit an darüber wachte, daß sie ihm nie wieder zu Gesichte kam. Mit der Julia lebte er anfangs einträchtig und in gegenseitiger Neigung; bald aber zerfiel er mit ihr, und zwar so heftig, daß er sich für immer von ihrem Lager schied, sogar nachdem das Pfand ihrer gegenseitigen Liebe, ein Sohn, der, zu Aquileja geboren, als Kind starb, ihnen entrissen worden war. Seinen Bruder Drusus verlor er in Germanien; den Leichnam desselben brachte er nach Rom, indem er auf der ganzen Reise ihm zu Fuß voranschritt.

8. Die ersten Anfänge bürgerlicher Thätigkeit machte er damit, daß er den König Archelaus Von Kappadokien, der zum Antonius gehalten hatte. die Bewohner von Tralles Stadt in Lydien am Mäander. und die Thessalier in verschiedenen Prozessen vor dem Richterstuhle Augusts verteidigte. Für die Bewohner von Laodicea, Thyatira Zwei Städte in Lydien. und Chios, die durch ein Erdbeben gelitten hatten und die Hülfe des Staates anflehten, verwendete er sich beim Senate. Den Fannius Cäpio, der sich mit dem Varro Murena gegen Augustus in eine Verschwörung eingelassen hatte, klagte er vor Gericht auf Hochverrat an und bewirkte seine Verurteilung. Daneben besorgte er noch zwei andere Angelegenheiten, die Zufuhr des Brotkorns, welche spärlich geworden war, und die scharfe Untersuchung der Sklavengefängnisse durch ganz Italien, deren Besitzer in den gehässigen Verdacht geraten waren, daß sie insgeheim Menschenraub trieben, und zwar nicht allein an Reisenden, sondern auch an solchen, welche die Furcht vor dem Eintritt in den Kriegsdienst in solche Schlupfwinkel getrieben hatte.

9. Seine ersten Kriegsdienste that er im Kantabrischen Feldzuge als Kriegstribun. Da führte er ein Heer in den Orient, setzte den Tigranes wieder in sein Königreich Armenien ein und schmückte ihn vor seinem Tribunale Das »Tribunal« des Feldherrn war eine Erhöhung von Rasen, wo derselbe auf einem Thronsessel Platz nahm, wenn er Recht sprechen, Gesandte empfangen, die Truppen anreden wollte. Sein Gefolge stand hinter ihm. Auf den Reliefs der Trajanssäule sehen wir solche Scenen mehrfach abgebildet. Siehe Torso von Ad. Stahr, T. II, S. 338 ff. mit dem Diadem. Auch empfing er die Feldzeichen zurück, welche die Parther dem Crassus abgenommen hatten. Darauf ordnete er beinahe ein Jahr lang die Provinz Gallia Comata Das transalpinische, eigentliche Gallien hieß bei den Römern comata , d. i. das langhaarige, von der Haartracht der Bewohner des Landes. Der südlichste Teil desselben hieß auch Gallia braccata, d. i. das Land der Hosengallier. Gallien diesseit der Alpen ( Gallia cisalpina) hieß dagegen togata, weil dessen Bewohner die römische Toga trugen und seit dem Bundesgenossenkriege römische Bürger waren., die durch Einfälle der Barbaren und innere Unruhen heimgesucht wurde. Später führte er den Krieg gegen Rhätien und Vindelicien, darauf den Pannonischen und endlich den Deutschen Krieg. In dem Kriege gegen Rhätien und Vindelicien unterwarf er die Alpenvölker, im Pannonischen Kriege die Breuker und Dalmater. Im Deutschen Kriege führte er vierzigtausend Unterworfene über den Rhein nach Gallien, wo er ihnen am Rheinufer Wohnsitze anwies. Wegen dieser Thaten hielt er den kleinen Triumphzug zu Wagen in die Stadt, und zwar war er, nach der Meinung einiger Schriftsteller, der erste, dem die Triumphalauszeichnungen, ein neuer und bis dahin noch niemand zuerkannter Schmuck, verliehen wurden Diese Stelle ist schwierig zu erklären. Fest steht, daß seit der vollendeten Alleinherrschaft unter Augustus nur die Kaiser allein noch den eigentlichen großen Triumph hielten. (Bloß Germanicus erhielt noch einmal diese Ehre; s. Realencyklopädie III, 845.) Alle Feldherrn begnügten sich seitdem, wie selbst Agrippa und hier Tiberius, mit dem kleinen Triumphe, der Ovation; doch erhielt Tiberius ausnahmsweise dabei die Ornamenta triumphalia, d. h. gewisse, nur dem eigentlichen Triumphator zustehende Auszeichnungen, wohin auch der » Wagen« gehört zu haben scheint, während sonst beim kleinen Triumphe der Feldherr zu Pferde einherzog.. Die Staatsämter bekleidete er nicht nur, ehe er das gesetzliche Alter erreicht hatte, sondern er machte Quästur, Prätur und Konsulat auch beinahe hintereinander durch und erhielt nach Verlauf einiger Zeit das zweite Konsulat und die Volkstribunenwürde auf fünf Jahre.

10. Mitten in diesem auf ihn einströmenden Glücke faßte er plötzlich in voller Kraft des Lebensalters und der Gesundheit den Entschluß, vom Schauplatze abzutreten und sich möglichst weit von der Öffentlichkeit zurückzuziehen: man weiß nicht, ob aus Widerwillen gegen seine Gemahlin, die er weder anzuklagen, noch zu verstoßen wagte und mit der zu leben er doch nicht länger ertragen konnte, oder um sich nicht durch stete Anwesenheit abzunutzen, vielmehr durch Entfernung vom Schauplatze sein Ansehen zu behaupten und zu kräftigen, für den Fall, daß einst der Staat seine Dienste nötig haben sollte. Viele sind der Ansicht, er habe den bereits herangewachsenen Kindern Augusts die bis dahin von ihm behauptete Stellung und den Besitz des Platzes als zweiter im Range freiwillig geräumt, nach dem Vorgange des Marcus Agrippa, der, als Marcus Marcellus zu den Staatsgeschäften gezogen wurde, sich nach Mytilenä zurückzog, um nicht den Anschein zu haben, als stehe er durch seine Gegenwart demselben hindernd und verkleinernd im Wege. Vgl. Leben Augusts Kap. 66. Diesen Grund hat er auch selbst, wiewohl später, geltend gemacht. Damals jedoch schützte er bei seiner Bitte um Urlaub Überdruß an den Staatsgeschäften und Bedürfnis nach Ruhe vor und gab weder den flehentlichen Bitten seiner Mutter, noch den Vorstellungen seines Stiefvaters Gehör, der selbst im Senate darüber klagte, »daß man ihn verlasse«. Ja, er enthielt sich sogar, als man seinem Vorhaben hartnäckiges Widerstreben entgegensetzte, vier Tage lange der Nahrung. So erhielt er endlich die Erlaubnis zu gehen, ließ Frau und Sohn in Rom zurück und begab sich sofort an die Küste hinab nach Ostia, ohne auch nur ein Wort auf die Reden derer, welche ihm das Geleit gaben, zu erwidern und nur sehr wenige beim letzten Abschiede umarmend.

11. Während er von Ostia aus längs der kampanischen Küste hinfuhr, machte er auf die Nachricht von der Erkrankung des Augustus einen kleinen Aufenthalt. Als sich aber das Gerücht verbreitete, daß Aussicht auf ein für ihn günstigeres Ereignis Auf Augustus Tod und die Herrschaft. der Grund dieses Verweilens sei, fuhr er trotz des ungünstigen Wetters in einem Striche nach Rhodus, wohin ihn die Schönheit und gesunde Luft der Insel zogen, die er bei seiner Rückkehr aus Armenien vorübergehend besucht hatte. Hier ließ er sich an einer mäßigen Stadtwohnung und einem nicht viel größeren Landsitze genügen und führte ein überaus bürgerlich einfaches Leben, ging ohne Liktor oder Staatsboten zuweilen im Gymnasium spazieren und hielt geselligen Verkehr mit den so tief unter ihm stehenden Griechen fast auf gleichem Fuße. Einmal hatte er morgens, als er seinen Tag einteilte, die Absicht geäußert, er wünsche sämtliche Kranke in der Stadt zu besuchen. Dies wurde von seiner Umgebung mißverstanden, und sofort ließ man alle Kranken in einen öffentlichen Portikus bringen und sie nach den verschiedenen Krankheiten ordnen. Dieses unerwartete Schauspiel setzte ihn vollständig außer Fassung, und erst nach längerem Schwanken trat er endlich an jeden einzelnen heran und entschuldigte sich wegen des Geschehenen selbst gegen die niedrigsten und gänzlich unbekannten Leute. Nur folgender einzige Vorfall findet sich vermerkt, wo er von seiner tribunicischen Amtsgewalt Gebrauch machte. Er pflegte nämlich die Vorträge und Hörsäle der Professoren Zu Suetons Zeit war dies die Benennung der öffentlichen Lehrer der Grammatik, Rhetorik und anderer Bildungswissenschaften. Insofern sie häufig einander in Parteien gegenüberstanden, nennt sie Sueton hier auch »Antisophisten«. fleißig zu besuchen, wobei es geschah, daß bei einem zwischen den disputierenden Parteien der Sophisten entstandenen ungewöhnlich heftigen Zanke ein Individuum ihn, da er vermitteln wollte und dabei die eine Partei zu begünstigen schien, mit einem Schimpfworte angriff. Da ging er langsam nach Hause und erschien plötzlich, umgeben von seinen Gerichtsdienern, ließ durch Heroldsruf den Beleidiger vor seinen Richterstuhl laden und ihn in den Kerker werfen.

Darauf erhielt er die Nachricht, daß seine Gemahlin Julia wegen ihres ausschweifenden und ehebrecherischen Lebenswandels verurteilt und ihr in seinem Namen von August der Scheidebrief gegeben sei. Obschon er bei dieser Kunde Freude empfand, so hielt er es doch für Pflicht, nach Kräften für die Tochter bei dem Vater in zahlreichen Briefen Fürbitte einzulegen, desgleichen ihr, so wenig sie es auch verdient hatte, alles, was er ihr jemals geschenkt hatte, als Eigenthum zu belassen. Als die Zeit seiner tribunicischen Amtsgewalt um war, bat er, indem er endlich bekannte, »seine Entfernung von Rom habe nur den Verdacht einer Nebenbuhlerschaft gegen Gajus und Lucius vermeiden wollen«, um die Erlaubnis, »daß ihm jetzt, wo in dieser Hinsicht nichts mehr zu fürchten und jenen die Behauptung des zweiten Platzes im Staate durch ihre eigene Kraft gesichert und leicht sei, erlaubt werden möchte, seine Verwandten wieder zu sehen, nach denen er Sehnsucht empfinde«. Aber er erhielt diese Erlaubnis nicht nur nicht, sondern obenein noch die tadelnde Weisung, »er möge sich um die Seinigen, die zu verlassen er so große Begier gezeigt, keine weitere Sorge machen«.

12. So blieb er denn also in Rhodus gegen seinen Willen und kaum daß er es durch seine Mutter erreichte, den Schimpf unter dem Schein einer vom August erhaltenen Legation Als Legatus, d. i. Botschafter, hatte er wenigstens einen öffentlichen Charakter. verhüllt zu sehen. In der That spielte er damals nicht nur den Privatmann, sondern selbst den Unterwürfigen und Ängstlichen, zog sich in die Verborgenheit des Binnenlandes der Insel zurück und vermied die Aufwartungsbesuche der Vorbeisegelnden, die ihn sonst beständig zu besuchen pflegten, indem kein kaiserlicher und kein senatorischer Provinzialgouverneur in seine Provinz ging, ohne einen Abstecher nach Rhodus zu machen. Auch erhielt er bald Ursache zu größerer Besorgnis. Denn bei einem Besuche, den er seinem mit der Verwaltung des Orients betrauten Stiefsohne Gajus in Samos abstattete, bemerkte er, daß sich dieser infolge der böslichen Eingebungen des Marcus Lollius, seines Begleiters und Hofmeisters, gegen ihn sehr kalt und fremd benahm. Auch geriet er in den Verdacht, daß er durch einige von ihm früher zu ihrer Stelle erhobene Centurionen, die nach Ablauf ihres Urlaubs wieder zum Heere zurückgingen, an mehrere Personen zweideutige Aufträge gesendet und dabei die Absicht verraten hätte, die Gesinnungen der einzelnen für den Fall eines Regierungswechsels auszuforschen. Als er durch Augustus Kunde von diesem gegen ihn entstandenen Verdachte erhielt, bat er denselben wiederholt auf das dringendste, er möchte ihm irgend jemand, wes Standes er auch sei, als Beobachter seiner Thaten und Worte an die Seite setzen.

13. Selbst die gewohnten Übungen im Reiten und in den Waffen gab er von da an auf; ja, er legte sogar die römische Nationaltracht ab und ließ sich herbei, im griechischen Pallium und Sandalen einherzugehen. In solchem Zustande verharrte er fast zwei Jahre, während er täglich in der Achtung und Teilnahme der Menschen verlor, so daß die Bürger von Nemausus Das heutige Nismes in Südfrankreich, wo Tiberius früher kommandiert hatte. S. Kap. 9. seine Brustbilder und Statuen niederrissen und, als einmal im engeren Zirkel eines Gastmahls auf ihn die Rede kam, einer der Gäste gegen den Gajus mit dem Erbieten aufzutreten wagte, er sei bereit, wenn Gajus befehle, auf der Stelle nach Rhodus zu segeln und ihm den Kopf des »Verbannten« – so nannte man ihn nämlich allgemein – zurückzubringen. Durch solche, jetzt nicht mehr eingebildete, sondern wirkliche Gefahr seiner Lage wurde er daher hauptsächlich genötigt, sowohl selbst, als durch seine Mutter mit den inständigsten Bitten um die Erlaubnis seiner Rückkehr anzuhalten, die er denn auch, durch einen Zufall begünstigt, erlangte. Augustus hatte sich nämlich vorgenommen, über diese Angelegenheit nichts ohne die Zustimmung des älteren seiner Söhne Des Gajus Cäsar, den Augustus nebst seinem Bruder Lucius Cäsar (beide Söhne des Agrippa und der Julia) adoptiert hatte. zu beschließen; dieser aber war gerade damals ungewöhnlich gespannt mit Marcus Lollius Seinem früheren Hofmeister und Ratgeber. S. Kap. 12. und deshalb gegen seinen Stiefvater milder und versöhnlicher gestimmt. Da also Gajus seine Erlaubnis gab, wurde er zurückberufen, jedoch unter der Bedingung, daß er auf jeden Anteil an der Staatsregierung und an politischer Thätigkeit verzichte.

14. Seine Rückkehr erfolgte im achten Jahre nach seiner Entfernung, begleitet von großer und sicherer Hoffnung auf die zukünftige Gestaltung der Dinge, in welcher er durch Wunderzeichen und Verheißungen vom Beginn seines Lebens an bestärkt worden war. Denn als Livia mit ihm schwanger ging und aus mancherlei Wahrzeichen zu erfahren wünschte, ob sie einen Knaben zur Welt bringen werde, hatte sie unter anderem auch einmal ein Ei aus dem Neste der Bruthenne genommen und dasselbe abwechselnd mit ihren Kammerfrauen lange in der Hand erwärmt, bis ein Hähnlein mit einem überaus schönen Kamme aus der Schale brach. Als er noch Kind war, hatte der Astrolog Scribonius ihm schon eine herrliche Zukunft verheißen: »sogar König sein werde er einst, doch ohne Diadem«; damals war nämlich von dem Herrschertum der Cäsaren noch nicht die Rede. Tiberius wurde im Jahre der Schlacht von Philippi (42 v. Chr.) geboren, wo allerdings noch niemand etwas von dem schließlichen Ausgange der Triumviratsherrschaft wissen konnte.

Als er dann später auf seinem ersten selbständigen Feldzuge das Heer durch Makedonien nach Syrien führte, geschah es, daß bei Philippi von den vor Jahren errichteten Altären der siegreichen Legionen plötzlich von selbst Flammen aufloderten; und bald darauf, als er auf seinem Zuge nach Illyricum bei Patavium Padua. das Orakel des Geryon besuchte und daselbst das Los zog, das ihn wegen der von ihm gestellten Fragen goldene Würfel in die Quelle des Aponus Berühmte heiße Schwefelquelle bei dem heutigen Abano, unweit Padua. werfen hieß, begab es sich, daß seine Würfel die höchste Zahl zeigten, wie denn auch heutigestages noch die Würfel unter dem Wasser zu sehen sind. Wenige Tage endlich, bevor die Erlaubnis zu seiner Rückkehr anlangte, ließ sich ein Adler, dergleichen nie auf Rhodus gesehen worden Auch nach Plinius (Naturgeschichte X, 29) gab es auf Rhodus keine Adler., auf den First seines Wohnhauses nieder, und am Tage vorher, ehe er die Nachricht von seiner Rückberufung erhielt, schien ihm, als er die Kleider wechselte, die Tunika zu brennen. Damals war es auch, wo er den Astrologen Im Texte steht hier, wie kurz zuvor, »Mathematiker«, die gewöhnliche Bezeichnung für Sterndeuter und Wahrsager bei den Römern. Über die folgende Geschichte vergl. die Erzählung bei Dio Cassius 53, 11. Thrasyllus, den er als Professor der Geheimwissenschaft in sein Gefolge aufgenommen hatte und der ihm jetzt versicherte, »das in der Ferne wahrgenommene Schiff bringe ihm frohe Botschaft«, bewährt erfand, während er gerade in demselben Augenblicke bei sich beschlossen hatte, denselben, da sich die Verhältnisse immer ungünstiger und allen Weissagungen desselben zuwiderlaufend gestaltet hatten, als einen falschen Propheten und gefährlichen Mitwisser seiner Geheimnisse auf dem Spaziergange, den er eben mit ihm machte, ins Meer hinabzustürzen.

15. Als er nach Rom zurückgekehrt war und dort seinen Sohn Drusus auf dem Forum dem Volke als Volljährigen vorgeführt hatte S. zu Augustus Kap. 26., verließ er sofort seine Wohnung, das in den Karinen belegene Haus des Pompejus Das er seinem nun majorennen Sohne überließ., um in die Gärten des Mäcenas auf dem Esquilinischen Hügel überzusiedeln, wo er, in vollständiger Ruhe lebend, nur seine Privatgeschäfte besorgte, ohne an irgend einer amtlichen Thätigkeit teilzunehmen. Als aber Gajus und Lucius innerhalb drei Jahren vom Tode hinweggerafft worden waren, wird er von Augustus, zugleich mit Agrippa, dem Bruder der Verstorbenen, an Kindes Statt angenommen, nachdem er selbst zuvor den Germanicus, seines Bruders Sohn, hatte adoptieren müssen. Auch übte er seitdem keine der Thätigkeiten, die einem Hausvater obliegen, wie er denn auch überhaupt von den Rechten, die er durch die Adoption verloren hatte, nicht das geringste auch nur teilweise in Anspruch nahm. Eben weil er durch die Adoption nach römischem Rechte ganz unter die väterliche Gewalt des Augustus zurückkam. So machte er keine Schenkung, ließ keinen Sklaven frei, ja er trat nicht einmal eine Erbschaft anders an, als daß er sie in seinen Vermögensbestand als Haussohn Der alles, was er besaß, nur als Eigentum des Vaters besaß und ohne dessen Willen darüber nicht disponieren konnte. – Tiberius wollte mit alledem seine völlige Unterwürfigkeit zeigen. eintrug. Seit dieser Zeit ward nichts verabsäumt, um seine Stellung zu erhöhen; und als nun gar Agrippa seiner Ansprüche verlustig erklärt und verbannt worden war, da war es vollends sicher, daß auf ihm allein die Hoffnung der Regierungsnachfolge ruhe.

16. Er erhielt aufs neue die tribunicische Amtsgewalt auf fünf Jahre, ward beauftragt, die Ruhe in Germanien wiederherzustellen, und die Gesandten der Parther wurden angewiesen, nachdem sie ihre Botschaft an Augustus in Rom ausgerichtet, sich auch zu ihm in die Provinz zu begeben. Inzwischen lud ihm die Nachricht von dem Abfalle Illyricums die Sorge eines neuen Krieges auf. Derselbe war der schwerste aller auswärtigen Kriege seit den punischen Kriegszeiten, und er führte ihn mit fünfzehn Legionen und einer gleichen Anzahl Bundestruppen drei Jahre lang unter schwierigen Verhältnissen aller möglichen Art und unter höchstem Mangel an Lebensmitteln. Und obgleich er mehrmals zurückgerufen wurde, setzte er dennoch den Krieg mit Ausdauer fort, weil er die gegründete Furcht hegte, daß ein so außerordentlich mächtiger und den Reichsgrenzen so naher Feind gegen die Römer, wenn sie zurückwichen, die Offensive ergreifen möchte. Diese seine Beharrlichkeit wurde denn auch mit dem herrlichsten Erfolge belohnt, indem er zuletzt das ganze Illyricum in seiner gesamten Ausdehnung zwischen Italien, dem Norischen Reiche, Thrakien, Makedonien, dem Donaustrom und dem Adriatischen Meerbusen vollständig bezwang und zur Unterwerfung brachte.

17. Der Ruhm dieses Erfolges ward noch gesteigert durch die gelegene Zeit, in welcher er gewonnen wurde. Denn ziemlich zu derselben Zeit ging Quinctilius Varus mit drei Legionen in Germanien zu Grunde, und kein Mensch zweifelte daran, daß sich die siegreichen Germanen mit den Pannoniern verbunden haben würden, wenn nicht Illyricum vorher unterworfen worden wäre. In Betracht dieser Thaten ward ihm der Triumph zuerkannt und außerdem zahlreiche und große Ehrenbezeigungen. Manche trugen sogar darauf an, daß er den Beinamen Pannonicus, andere, daß er Invictus Invictus, d. h. der »Unbesiegte«; Pius, d. h. der »Fromme«, »Heilige«. einige, daß er Pius als Beinamen führen sollte. Doch in betreff eines solchen Beinamens trat Augustus ablehnend ein, indem er seinerseits die Versicherung gab, Tiberius werde mit demjenigen Beinamen zufrieden sein, den derselbe nach seinem Tode erhalten werde. Den Triumph vertagte Tiberius selbst in Anbetracht der Trauer des Staates über die Varianische Niederlage. Dennoch hielt er, mit der golddurchwirkten purpurnen Prätexta bekleidet und mit dem Lorbeerkranze gekrönt, seinen Einzug in die Stadt, schritt in Gegenwart des umherstehenden Senates zu dem in den Septa errichteten Tribunale hinauf und nahm zugleich mit Augustus seinen Platz in der Mitte zwischen den beiden Konsuln, worauf er, nachdem er das Volk begrüßt hatte, in Prozession zu den verschiedenen Tempeln geleitet ward.

18. Im folgenden Jahre ging er von neuem nach Germanien, und da er die Überzeugung gewann, daß die Varianische Niederlage durch die Unbedachtsamkeit und Nachlässigkeit des Heerführers herbeigeführt worden sei, so unternahm er nichts ohne Zuziehung eines Kriegsrates. Er, der sonst stets nach alleinigem, eigenem Gutdünken handelte und sich selbst vollkommen genügte, beriet damals mit mehreren den Plan des Feldzuges. Auch übte er in allen Stücken verschärfte Aufsicht und Vorsorge. Bei seinem Rheinübergange ließ er den gesamten Wagentroß, den er auf ein bestimmtes Maß eingeschränkt hatte, nicht eher über die Brücke gehen, als bis er selbst, am Ufer stehend, die Ladungen der Wagen genau untersucht hatte, damit nichts, als das Erlaubte und Notwendige, mitgenommen würde. Nach dem Übergange über den Rhein richtete er seine Lebensweise so ein, daß er auf dem bloßen Rasen sitzend seine Speise zu sich nahm, oft ohne Zelt übernachtete und die Ordern für den folgenden Tag und wenn irgend ein plötzlicher Auftrag zu erteilen war schriftlich gab, wobei er die Mahnung hinzufügte, daß jeder, der über irgend etwas im Zweifel sei, sich an ihn und keinen andern, und zwar selbst zu jeder beliebigen Stunde der Nacht, um Auskunft wenden sollte.

19. Die Kriegszucht verschärfte er auf das äußerste, wobei er alte Züchtigungsarten und Ehrenstrafen wieder einführte, wie er denn sogar einen Legionslegaten Kommandeur einer Legion, der Prätorsrang hatte., weil derselbe einige Soldaten mit einem Freigelassenen zur Jagd auf das andere Ufer geschickt hatte, schimpflich bestrafte. Zum Angriff pflegte er sich, obschon er sonst dem Glück und Zufall möglichst wenig überließ, mit der meisten Zuversicht zu entschließen, so oft, wenn er nachts arbeitete, plötzlich und ohne äußern Anstoß das Licht herabfiel und erlosch. Denn dies war ein Vorzeichen, dem er, wie er sagte, sicher vertraute, weil sowohl er selbst, als seine Vorfahren, es bei jedem Kommando bewährt gefunden hatten. Doch wäre er nach glücklicher Beendigung des Feldzuges beinahe von einem Brukterer ermordet worden, der sich unter seine nächste Umgebung gemischt, aber durch sein scheues Benehmen verraten hatte, worauf ihm dann das Geständnis der beabsichtigten Frevelthat durch die Folter erpreßt wurde.

20. Von Germanien kehrte er nach einem Zeitraume von zwei Jahren in die Stadt zurück, worauf er den früher verschobenen Triumph in Begleitung seiner Legaten abhielt, für welche er die triumphalischen Auszeichnungen erwirkt hatte. Bevor er zum Kapitol hinlenkte, stieg er vom Wagen herab und beugte die Kniee vor seinem Vater, der (an der Spitze des Senates beim Triumphthore) den Vorsitz führte. Den Pannonierfeldherrn Bato versetzte er, nachdem er ihn auf das reichste beschenkt hatte, nach Ravenna, zum Danke dafür, daß derselbe ihn einst, als er mit seinem Heere sich in einem Engpasse eingeschlossen fand, hatte entkommen lassen. »Sonst wurden gewöhnlich die, welche man im Triumphe aufgeführt hatte, nachher im Kerker ermordet.« Bremi. Darauf gab er dem Volke ein Frühstück von tausend Tischen und ein Festgeschenk von je dreihundert Sesterzien (65,25 Reichsmark) für jeden Bürger. Zugleich weihte er den Tempel der Concordia, sowie den des Kastor und Pollux in seinem und seines Bruders Namen aus dem Ertrage der Beute.

21. Nachdem nicht lange danach durch Vermittelung der Konsuln ein Gesetz erlassen war, durch welches ihm gemeinsam mit Augustus die Verwaltung der Provinzen und zugleich die Vornahme des Census übertragen wurde, ging er nach Abhaltung des letzteren in die Provinz Illyricum ab. Doch schon unterwegs zurückberufen, traf er den Augustus zwar noch am Leben, aber doch bereits in einem gefährlichen Zustande und war mit ihm einen ganzen Tag lang ohne Zeugen beisammen. Ich weiß, daß man allgemein glaubt, nach dem Austritte des Tiberius aus dieser geheimen Unterredung hätten die lauschenden Kammerdiener den Ausruf Augusts vernommen: » O über das unglückliche römische Volk, das zwischen diesen so langsam malmenden Zähnen liegen wird!« Auch das ist mir keineswegs unbekannt, daß einige berichtet haben, Augustus habe ganz offen und ohne Hehl das fürchtende Mißfallen an seinem menschenfeindlichen Charakter in dem Grade zu erkennen gegeben, daß er zuweilen ein ungezwungenes und heiteres Gespräch bei Tibers Eintritt plötzlich abgebrochen; allein er habe, bestimmt von den Bitten seiner Gemahlin, die Adoption nicht verweigern wollen, vielleicht sogar bestimmt durch die eigennützige Absicht, daß ein Nachfolger, wie dieser, das Andenken an sein eigenes Regiment dereinst noch teuerer machen möchte. Auch Dio Cassius 56, 45 erwähnt diese Ansicht. Doch kann ich mich nicht davon überzeugen, daß ein so überaus umsichtiger und kluger Fürst, zumal bei einer Sache von so ungeheuerer Wichtigkeit, sollte leichtsinnig gehandelt haben, sondern ich glaube vielmehr, daß er, nach reiflicher Abwägung der bösen und guten Eigenschaften Tibers, die guten für überwiegend geachtet hat, zumal, da seine vor dem versammelten Volke abgelegte eidliche Versicherung dahin lautete, » er adoptiere ihn einzig aus Rücksicht auf das Beste des Staates«, und da er ihn ferner auch in mehreren Briefen als »den erfahrensten Feldherrn und als die einzige Stütze des römischen Volkes« rühmend hervorhebt. Zum Beweise dessen lasse ich hier einige solche Stellen aus verschiedenen Briefen folgen: » Lebe wohl, mein herzliebster Tiber, und das Glück sei mit deinen Unternehmungen für mich wie für die Musen, du trefflichster der Feldherrn!« – » Geliebtester und, so wahr ich glücklich zu sein wünsche, tapferster Mann und vollendetster Feldherr, lebe wohl!« Ein andermal: » Du willst meine Ansicht über deinen Sommerfeldzugsplan wissen? In der That, mein Tiber, ich meinerseits bin der Meinung, daß unter so unzähligen Schwierigkeiten aller Art und bei so großer Schlaffheit der Truppen kein Mensch sich klüger aus der Affaire Ich bemerke, daß die von mir in der Übersetzung dieser Augusteischen Brieffragmente gebrauchten einzelnen Fremdwörter einen Anklang geben können an die vielen griechischen Phrasen, mit denen nach Sitte der damaligen Zeit diese Briefe durchspickt sind. ziehen konnte, als du gethan hast. Auch gestehen die, welche bei dir gewesen sind, sämtlich, daß jener bekannte Vers (des Ennius) von dir gelten kann:

Ein Mann hat uns den Staat durch wachsame Sorge gerettet. Der Vers des Ennius bezog sich auf den Zauderer Fabius; Augustus hat hier das Wort cunctando (»durch weises Zaudern«) mit vigilando (»durch Wachsamkeit«) vertauscht.

So oft etwas passiert, das mein ganzes Nachdenken in Anspruch nimmt, und so oft ich mich über etwas sehr zu ärgern habe, sehne ich mich, so wahr mir Hercules helfe, nach meinem teuren Tiberius, und es fällt mir dann der Homerische Vers Ilias X, 246 fg., wo Diomedes dies von Odysseus sagt. Die Übersetzung ist von Joh. Jak. Christian Donner. ein:

Wenn mich dieser geleitet, sogar aus flammendem Feuer
Kehrten wir beide zurück: so weise versteht er zu raten.

Wenn ich höre und lese, daß du durch die fortgesetzten Strapazen ganz herunter bist, so schaudere ich, Gott strafe mich Im Original: Dii me perdant! d. h.: Die Götter mögen mich verderben! (nämlich: wenn es nicht, wahr ist.), am ganzen Körper zusammen. Ich bitte, schone dich doch, damit nicht die Nachricht, daß du krank liegst, mir und deiner Mutter den Tod zuführt und das römische Volk für die Existenz seines Reiches zittern muß. Es ist gar nichts daran gelegen, ob ich wohl bin oder nicht, wenn du nicht wohl bist. Ich flehe zu den Göttern, daß sie dich uns erhalten und dich immerdar gesund sein lassen, wenn sie nicht dem römischen Volke gram sind.«

22. Das Hinscheiden Augusts machte er nicht eher bekannt, als bis der junge Agrippa aus dem Wege geräumt worden war. Diesen erschlug der ihm als Wächter beigegebene Kriegstribun, nachdem er die Kabinettsorder gelesen hatte, die ihm dazu den Befehl erteilte. In betreff dieser Kabinettsorder hat man gezweifelt, ob Augustus sie sterbend hinterlassen, um die Veranlassung zu Unruhen nach seinem Tode zu beseitigen, oder ob Livia dieselbe in Augusts Namen, und zwar mit oder ohne Wissen Tibers, diktiert habe. Tiberius seinerseits gab dem Tribunen, der ihm meldete, es sei geschehen, was er befohlen, zur Antwort, er habe nichts befohlen und jener werde vielmehr vor dem Senate sich zu rechtfertigen haben. Seine Absicht dabei war, für den Augenblick sich dem Hasse zu entziehen, denn später ließ er die Sache durch Stillschweigen in Vergessenheit geraten.

23. Nachdem er darauf kraft seiner tribunicischen Amtsgewalt den Senat berufen und seine Ansprache begonnen hatte, that er, als wenn ihm plötzlich mit seufzendem Schluchzen vor übergroßem Herzeleid die Stimme versagte, sprach dann den Wunsch aus, daß ihn, wie die Stimme, so auch der Lebensodem verlassen möchte, und reichte den schriftlich verfaßten Aufsatz seinem Sohne Drusus, der ihn zu Ende lesen mußte. Darauf legte er das Testament des Augustus vor und ließ es durch einen Freigelassenen vorlesen, wobei jedoch von den Mitunterzeichnern nur die, welche Senatorsrang hatten, zugelassen wurden, während die anderen ihre Unterschriften und Siegel außerhalb der Kurie anzuerkennen hatten. Der Anfang des Testaments lautete: » Da ein unseliges Geschick mir meine Söhne Gajus und Lucius entrissen hat, so soll Tiberius Cäsar zur Hälfte und einem Sechsteil mein Erbe sein.« Auch hierdurch wurde der Verdacht derer bestärkt, welche der Meinung waren, daß Tiberius mehr aus Not, als aus freier Wahl von August zum Nachfolger ernannt worden sei, da dieser sich einer solcher Bevorwortung nicht hatte enthalten können.

24. Obgleich Tiberius ohne Bedenken sofort von der höchsten Gewalt Besitz ergriffen und sie auszuüben begonnen hatte, indem er auch die Leibwache, das heißt die Macht und das Ansehen der Herrschaft, sich zulegte, so lehnte er dieselbe doch lange Zeit mit dem unverschämtesten Gaukelspiel von sich ab, indem er bald den zuredenden Freunden scheltend erwiderte, sie wüßten nicht, welch ein wildes Tier die Herrschaft sei, bald den ihm mit Bitten zu Füßen fallenden Senat durch zweideutige Antworten und verschmitztes Zaudern in der Schwebe hielt, bis endlich einigen die Geduld riß und einer in dem allgemeinen Wirrwarr laut ausrief: » entweder er regiere weiter oder höre auf!« und ein zweiter ihm den Vorwurf ins Antlitz schleuderte: » alle anderen Menschen pflegten, was sie versprochen, zögernd zu leisten; er aber verspreche zögernd, was er bereits leiste«. Endlich übernahm er, gleichsam als zwinge man ihn dazu und mit der Klage: » man bürde ihm eine mühselige und drückende Sklaverei auf«, die Herrschergewalt, jedoch nicht, ohne die Hoffnung durchblicken zu lassen, sie dereinst wieder niederzulegen. Seine eigenen Worte lauten: »– bis ich zu der Zeit gelange, wo es euch billig scheinen dürfte, meinem Alter einige Ruhe zu gewähren.«

25. Der Grund seines Zögerns war die Furcht vor den von allen Seiten her drohenden Gefahren, wie er denn öfters äußerte: » er halte einen Wolf bei den Ohren«. Griechisches Sprichwort zur Bezeichnung einer gefährlichen Lage. Der Wolf hat sehr kleine Ohren. So hatte bereits ein Sklave Agrippas, mit Namen Clemens, um seinen ermordeten Herrn zu rächen, eine nicht verächtliche Heerschar zusammengebracht Vgl. Dio Cassius 57, 16; Tacitus, Annalen II, 40.; zu gleicher Zeit stand Aulus Scribonius Libo, ein Mann von Adel, an der Spitze einer heimlichen Verschwörung, und ein doppelter Soldatenaufruhr war in Germanien und Illyricum ausgebrochen. Beide Heere stellten viele außerordentliche Forderungen, vor allem: Gleichstellung im Solde mit den Prätorianern. Die Soldaten des germanischen Heeres weigerten sich sogar, einen Fürsten anzuerkennen, den sie nicht erwählt, und drangen mit aller Kraft in den Germanicus, der sie damals kommandierte, daß er sich an die Spitze des Staates stellen sollte, obschon er fest auf seinem Widerstreben beharrte. Die Furcht vor diesem letzteren Falle war es hauptsächlich, die den Tiberius an den Senat die Bitte stellen ließ, derselbe möge ihn mit irgend einem beliebigen Teile der Geschäfte beauftragen, da einer allein dem Ganzen ohne einen oder gar mehrere Gehülfen unmöglich zu genügen im stande sei. Er stellte sich sogar krank, damit Germanicus desto gelassener eine baldige Nachfolge oder jedenfalls eine sofortige Mitregentschaft erwarten möchte. Nachdem die Soldatenaufstände beigelegt waren, brachte er auch den Clemens durch List in seine Gewalt. Den Libo aber, um nicht im Beginn seines Regimentes gleich mit harten Maßregeln vorzuschreiten, klagte er erst im zweiten Jahre vor dem Senate an und begnügte sich, ihn in der Zwischenzeit bloß genau zu beobachten. So ließ er z. B. bei Gelegenheit eines Opfers, das derselbe mit den anderen Oberpriestern vollzog, ihm statt des Opferstahls Der Opferstahl ( secespita) war ein langes, scharfes, zweischneidiges Messer mit kurzem Elfenbeingriff. ein bleiernes Messer in die Hände spielen: und als er einmal um eine Privataudienz bat, gewährte er ihm dieselbe nur im Beisein seines Sohnes Drusus, hielt auch die Rechte des mit ihm auf und ab Gehenden, als wenn er sich darauf stützen wollte, bis zur Beendigung der Unterredung fest.

26. In der That aber benahm er sich, sobald er von der Furcht befreit war, in den Anfängen seines Regiments überaus civil Civilis ist der, der sich wie ein civis (d. h. wie der Bürger einer Republik) beträgt, die Gesetze achtet und die Staatsangehörigen als seinesgleichen respektiert, selbst wenn er ein Amt bekleidet. und wenig fehlte, daß man sagen könnte, wie ein Privatmann. Von all den vielen und großen Ehrenbezeigungen nahm er nur einige und zwar die mäßigsten an. Seinen Geburtstag, der auf die Plebejischen Cirkusspiele fiel, gestattete er kaum durch Hinzufügung eines einzigen Zweigespanns auszuzeichnen. Tempel, Opferdiener und Priester ihm zu stiften, verbot er; selbst Standbilder und Büsten durften ihm nur mit seiner Erlaubnis errichtet werden, und er gab diese Erlaubnis nur mit der Bedingung, daß dieselben nicht unter den Kultbildern der Götter, sondern nur unter den Zieraten der Tempel aufgestellt würden. Desgleichen legte er sein Veto gegen die Senatsbeschlüsse ein, welche bestimmten, daß man seine Verordnungen beschwören und daß der Monat September »Tiberius« und der Oktober »Livius« genannt werden sollte. Auch den Vornamen »Imperator« Diesen Titel nahmen die römischen Kaiser an, um ihre bürgerliche und militärische Vollgewalt auszudrücken, da sie sich nicht »Könige« oder »Diktatoren« nennen wollten. Imperator ist also nur ein Synonym für rex (König) in der Kaiserzeit; in der republikanischen dagegen war es ein rein militärischer Ehrentitel. Vgl. Mommsen, Römische Geschichte III, S. 446 fg. und den Zunamen »Vater des Vaterlandes« und die Aufhängung einer Bürgerkrone im Vorhofe seines Hauses schlug er aus; ja, selbst den Namen »Augustus«, der ihm doch ausdrücklich vererbt war, fügte er nur in seinen Briefen an Könige und Dynasten bei. Auch übernahm er nicht öfter als dreimal das Konsulat, das eine Mal auf wenige Tage, das zweite Mal auf drei Monate, das dritte Mal, während er abwesend war, bis zum fünfzehnten Mai.

27. Schmeicheleien waren ihm so sehr zuwider, daß er keinen Senator, mochte derselbe nun ein geschäftliches Anliegen haben oder ihm bloß aufwarten wollen, an seine Sänfte herantreten ließ; und einem Konsularen, der ihn um Verzeihung bat und ihm dabei zu Füßen fallen wollte, entzog er sich mit solcher Heftigkeit, daß er rücküber fiel. Ja, selbst wenn in der Unterhaltung oder in zusammenhängender Rede jemand irgend eine zu schmeichelhafte Ausdrucksweise brauchte, pflegte er ihm in die Rede zu fallen, seinen Tadel auszusprechen und sofort den gebrauchten Ausdruck zu ändern. Als ihn einmal jemand mit »Herr« anredete, verbat er sich inskünftig eine so beschimpfende Benennung. Als ein anderer von »seinen heiligen Geschäften« redete und wieder ein anderer sagte, »daß er auf sein Geheiß sich an den Senat gewendet«, nötigte er beide, ihre Ausdrücke zu ändern und statt »Geheiß« »Empfehlung«, statt »heilige« »mühsame« zu sagen.

28. Aber auch gegen Schmähungen, böse Gerüchte und Spottgedichte gegen ihn und die Seinen verhielt er sich so ruhig und gelassen, daß er sich zum öftern äußerte: » in einem freien Staate müßten Zunge und Meinung frei sein«. Und als einmal der Senat gegen solche Verbrechen und Verbrecher heftig auf gerichtliche Untersuchung antrug, versetzte er: » Wir haben nicht so viel Zeit übrig, um uns in noch mehr Geschäfte verwickeln zu dürfen. Wenn ihr einmal dies Fenster aufmacht, so werdet ihr bald nichts anderes zu thun haben. Alle Privatfeindschaften werden unter diesem Vorwande den Weg zu uns finden.« Auch ist eine andere von ihm im Senate gethane, überaus leutselige Sueton sagt auch hier wieder »sehr zivile«, d. h. sehr republikanische. Äußerung aufbehalten: » Sollte der Mann anders gesprochen haben, so werde ich dafür sorgen, daß ich meine Reden und Handlungen verantworten kann; sollte er trotzdem (in seiner Gehässigkeit) beharren; nun so werde ich ihn wieder hassen.«

29. Dies sein Betragen war um so bemerkenswerter, weil er selbst in der Höflichkeit und Ehrerbietung sowohl gegen einzelne, als gegen die Gesamtheit (des Senates) fast das Maß der Umgangsformen überschritten hatte. Als er einmal in der Kurie von dem Quintus Haterius in seiner Meinung abwich, brauchte er die Wendung: » Habe die Güte, mir zu verzeihen, wenn ich, als Senator, mich etwas zu frei gegen dich geäußert habe.« Und darauf die Rede an die ganze Versammlung richtend (setzte er hinzu): » Ich habe es jetzt und sonst öfters, versammelte Väter, ausgesprochen, daß ein guter und das Gemeinwohl im Herzen tragender Regent, den ihr mit so großer und so unbeschränkter Machtvollkommenheit bekleidet habt, die Pflicht habe, dem Senate und in vielen Fällen der gesamten Bürgerschaft und häufig auch einzelnen ein treuer Diener zu sein. Und diese Äußerung bereue ich keineswegs; ich habe an euch bisher immer gute, billige und geneigte Herren gehabt und habe sie noch.«

30. Ja, er führte sogar einen gewissen äußern Anschein von Freiheit ein. Dem Senate und den Magistraten blieb ihr altes Ansehen und ihre Machtgewalt bewahrt, und über jede noch so unbedeutende oder noch so bedeutende Angelegenheit, mochte sie nun den Staat oder einzelne betreffen, ward Vortrag an den Senat gehalten: über Zölle und Monopole, über Neubau oder Herstellung öffentlicher Werke, sogar über Aushebung oder auch Verabschiedung des Militärs, über Zahlbestimmung und Verlegung der Legionen und Hilfstruppen, endlich über Verlängerung der Militärkommandos, über die Besetzung der Befehlshaberstellen in außerordentlichen Kriegsfällen, über Inhalt und Form der Antwortschreiben auf die Briefe fremder Könige. Einen Reiterobersten, der wegen Vergewaltigung und Räubereien angeklagt war, nötigte er, sich im Senate zu verteidigen. In die Kurie trat er nie anders, als allein; einmal, als er in einem Krankheitsfall sich in einer Sänfte hineintragen ließ, entfernte er sofort sein Gefolge von sich.

31. Über Beschlüsse, die manchmal gegen seine Ansicht ausfielen, äußerte er nicht einmal ein Wort der Beschwerde. Trotz seiner Behauptung, daß ein zu einem öffentlichen Amte Designierter nicht abwesend sein dürfe, sondern in Rom bleiben und sich auf sein Amt vorbereiten Ich lese mit Bouhier, Ruhnken und Friedrich August Wolf assuescerent statt acquiescerent. müsse, erhielt dennoch einmal ein designierter Prätor eine außerordentliche Gesandtschaft Eine solche libera legatio gab demjenigen, welchem sie der Senat verwilligte, den Namen und die Rechte eines Gesandten des römischen Volks und sicherte ihm sowohl Würde, Glanz und Sicherheit, sowie viele Vorteile während seiner Reise, als auch die leichtere Erreichung seiner Privatzwecke. in Privatangelegenheiten. Ein andermal, als er dafür stimmte, den Trebianern Trebia, umbrisches Städtchen, das heutige Trevi. zu gestatten, eine ihnen zum Bau eines neuen Theaters vermachte Summe auf den Bau einer Heerstraße zu verwenden, konnte er es nicht durchsetzen, daß die Bestimmung des Erblassers umgestoßen wurde. Als einmal über einen Senatsbeschluß durch Auseinandertreten in zwei Partieen abgestimmt wurde und er zu der Seite der Minderzahl sich begab, folgte ihm niemand nach. Auch alles übrige ward nur durch die ordentlichen Behörden und nach dem gewöhnlichen Rechte abgemacht, und das Ansehen der Konsuln war so groß, daß Gesandte aus Afrika sich an sie mit der Klage wenden durften, ihre Angelegenheiten würden vom Cäsar, an den sie abgesendet seien, verschleppt. Freilich war das nicht zu verwundern, da es offene Thatsache war, daß Tiberius selbst beim Nahen der Konsuln aufstand und ihnen auf der Straße achtungsvoll zur Seite auswich.

32. Konsularen, welche Heere befehligten, gab er Verweise, daß sie über ihre Erfolge nicht dem Senate schriftlich Mitteilung machten und daß sie über die Erteilung gewisser militärischer Auszeichnungen erst an ihn berichteten, als wenn sie selbst nicht die volle Gewalt zur Erteilung von allem dergleichen besäßen. Über die Sache vergleiche man das Leben des Augustus Kap. 25. Einen Prätor belobte er, weil er beim Antritt seines Amtes den alten Brauch wieder erneuert hatte, in seiner Rede an das versammelte Volk seiner Vorfahren rühmend zu gedenken. Dem Leichenbegängnis mehrerer vornehmen Männer wohnte er bis zum Scheiterhaufen bei. Eine gleiche Läßlichkeit des Betragens bewährte er auch bei Personen und Sachen von geringerer Bedeutung. Den Magistrat der Rhodier, der in einem öffentlichen Sendschreiben an ihn die übliche Glückwunschformel am Schlusse weggelassen hatte, berief er nach Rom, erteilte ihm aber kein Wort des Verweises, sondern ließ ihn bloß die vergessene Formel nachfügen und entließ ihn dann in seine Heimat. Der Grammatiker Diogenes, der zu Rhodus an den Sabbathtagen Da sich viele Juden zu Rom aufhielten, so scheint der Ausdruck »Sabbath« ( sabbata) zur Bezeichnung des siebenten Tags der Woche unter den Römern gebräuchlich gewesen zu sein. Vgl. Augusts Leben Kap. 76. öffentliche Vorträge zu halten pflegte, hatte ihn einmal, da er zu ihm kam, um ihn außer dieser bestimmten Zeit zu hören, nicht vorgelassen und durch einen Sklaven auf den siebenten Tag wieder bestellt. Als dieser sich später, um ihm aufzuwarten, zu Rom einfand und schon vor der Thüre seines Palastes stand, that er ihm weiter nichts, als daß er ihm bedeutete, nach sieben Jahren wieder zu kommen. Den Statthaltern, die ihm zuredeten, die Steuern in den Provinzen zu erhöhen, schrieb er zurück: » ein guter Hirte dürfe seine Schafe wohl scheren, aber nicht schinden«.

33. Nach und nach kehrte er den Fürsten heraus und zeigte sich als solchen durch Thatsachen. Allein wenn dies auch lange in einem zweideutigen Charakter geschah, so war doch die Seite der Milde und der Richtung auf das allgemeine Wohl vorherrschend. Zunächst legte er sich nur da ins Mittel, wo es galt, Mißgriffe und Ungerechtigkeiten zu verhindern. Zu diesem Ende erklärte er mehrere Verordnungen des Senates für ungültig, bot sich den richterlichen Behörden als beisitzenden Ratgeber an, wobei er seinen Platz entweder neben ihnen oder ihnen gegenüber auf der Vorderseite des Halbkreises einnahm, und so oft sich das Gerücht verbreitete, man werde einen Angeschuldigten aus Gunst durchschlüpfen lassen, erschien er immer urplötzlich im Gerichtshofe und führte den Richtern, entweder von den Schranken aus oder vom erhöhten Tribunal des Gerichtsvorsitzers herab, die Gesetze, ihren Eid und das Verbrechen, über das sie zu entscheiden hätten, in einer Ansprache zu Gemüte. Auch suchte er überall, wo der öffentlichen Sittlichkeit durch Nachlässigkeit der Behörden oder üble Gewohnheit Gefahr drohte, verbessernd einzuschreiten.

34. Den Aufwand für die Schau- und Fechterspiele schränkte er ein, indem er die Besoldungen der Schauspieler beschnitt und die Paare der aufzustellenden Schaufechter auf eine bestimmte Zahl festsetzte. Daß man die Korinthischen Gefäße zu unermeßlichen Preisen hinauftrieb und daß man einmal drei Seefische Mulli, aus dem Geschlechte der Seebarben oder Butten, sehr geschätzt von den römischen Gastronomen, zumal die großen. Vgl. darüber Heindorf zu Horaz' Satiren II, 2, 33. auf dem Markte mit dreißigtausend Sesterzien 6525 Reichsmark. bezahlt hatte, brachte er im Senate mit Ausdrücken des heftigsten Unwillens zur Sprache und sprach sich dafür aus, den Hausratluxus gesetzlich zu beschränken und den Marktpreis der Lebensmittel alljährlich durch eine Bestimmung des Senates zu regeln. Zugleich erhielten die Ädilen den Auftrag, alle Garküchen und Schenkwirtschaften dergestalt einzuschränken, daß nicht einmal feines Backwerk öffentlich zum Verkauf ausgestellt werden durfte. Und um die öffentliche Sparsamkeit auch durch sein eigenes Beispiel zu befördern, ließ er auf seiner eigenen Tafel selbst bei Festmahlzeiten Speisen, die vom vorigen Tage übrig geblieben, und angebrochene Schüsseln aufsetzen, ja sogar einmal einen halben Eber, indem er versicherte: » derselbe habe völlig dieselben Eigenschaften, wie der ganze«. Das gewöhnliche Küssen Diese Maßregel war eine gesundheitspolizeiliche Notwendigkeit, da durch die Sitte der Kußbegrüßung zwischen allen Verwandten schreckliche Krankheiten, zumal orientalische Ausschläge, sich in furchtbarer Weise durch Ansteckung mitteilten, wie dies Plinius in seiner »Naturgeschichte« zu Anfang des XXVI. Buches erzählt. Über das Jus osculi (Recht des Kusses) s. Realencyklopädie IV, S. 660. Ueber den damit getriebenen lästigen und widerlich gefährlichen Unfug in der Kaiserzeit s. Martial, Epigramme XI, 99. bei der Begrüßung verbot er durch ein Edikt und bestimmte zugleich, daß der übliche Austausch der Neujahrsgeschenke Strenae, noch heute bei den Franzosen mit demselben Namen ( étrennes) üblich. Man schickte sich Früchte und andere Eßwaren, aber auch Geldgeschenke und Kostbarkeiten. Auf diese Sitte bezieht sich das Horazische Gedicht Oden IV, 8, wo der Dichter sagt, daß er eben nur »Gedichte« schenken könne. Vergl. » Torso« von Adolf Stahr Teil II, S. 283 ff. nicht über den ersten Januar fortgesetzt werden sollte. Er selbst war früher gewohnt gewesen, die ihm verehrten Neujahrsgeschenke mit dem vierfachen Werte derselben, und zwar in eigener Person, zu erwidern; später aber belästigte es ihn, daß die, welche am Festtage selbst nicht hatten zu ihm gelangen können, ihn den ganzen Monat hindurch überliefen, und so gab es ferner überhaupt gar keine Gegengeschenke mehr.

35. Gegen Ehefrauen, die einen unkeuschen Lebenswandel führten und gegen die kein öffentlicher Ankläger auftrat, verordnete er, daß die Verwandten durch einen Familienrat nach der Sitte der alten republikanischen Zeit einschreiten sollten. Einen römischen Ritter, der seiner Frau bei der Verheiratung den Schwur geleistet hatte, daß er sie nie verstoßen werde, sprach er von seinem Eide los, damit er die Frau, die er im Ehebruch mit seinem Schwiegersohn betroffen, verstoßen könnte. Ausschweifende Frauen von Rang waren, um den gesetzlichen Strafen zu entgehen, daraus verfallen, sich als Lustdirnen bei der Behörde zu melden und dadurch allen Rechten und aller Würde des Frauenranges zu entsagen; und alle jungen Hauptwüstlinge des Senatoren- und Ritterstandes pflegten sich freiwillig der Schande einer entehrenden Verurteilung zu unterwerfen, um nicht durch den Senatsbeschluß gehindert zu werden, als Schauspieler und Fechter öffentlich aufzutreten. Allein jene sowohl, als diese bestrafte Tiberius mit Landesverweisung, damit solche List keinem mehr zu gute käme. Einem Senator nahm er die Senatorenwürde, als er erfuhr, derselbe sei kurz vor dem ersten Juli auf seinen Landsitz gegangen, um nach diesem Tage um desto geringern Preis seine Stadtwohnung zu mieten. Der erste Juli war der »Ziehtag« für die Hausmieter. Der Senator scheint mittelst irgend eines unanständigen Kniffes zu spät »aufgesagt« zu haben, so daß der Hausbesitzer, der sein Haus nicht mehr vermieten konnte, ihm dasselbe zu einem geringen Preise weiter überlassen mußte. Es scheint nicht anständig gewesen zu sein, vor dem ersten Juli aufs Land zu ziehen. Einen Quästor setzte er ab, weil er seine Frau, die er am Tage der Verlosung der Provinzen geheiratet, am Tage nach derselben wieder verstoßen hatte. Vermutlich, weil ihm die Heirat nicht mehr zu der Spekulation auf die erwartete und nicht erhaltene Provinz paßte, in welcher vielleicht die Familie der Frau großen Einfluß hatte oder Geldgeschäfte betrieb, wovon der Quästor jetzt nicht mehr Nutzen ziehen konnte.

36. Der Einführung fremder Religionsgebräuche, zumal der ägyptischen und judäischen, that er Einhalt, indem er diejenigen, welche sich zu solchem Aberglauben bekannt hatten, zwang, die dazu gehörigen gottesdienstlichen Kleider samt allen übrigen Gerätschaften zu verbrennen. Die jungen Juden ließ er als Soldaten ausheben und so in Provinzen von rauhem Klima verteilen. Die übrigen Genossen des Volkes und die, welche einem ähnlichen Glauben anhingen Die Christen sind gemeint. Man sehe Lipsius zu Tacitus, Annalen XV, 44., wies er aus Rom aus und setzte die Strafe ewiger Sklaverei für jeden aus, der etwa dem Befehl nicht gehorsamen würde. Auch die Sterndeuter trieb er aus Rom; doch erlaubte er denen, welche bittend einkamen und ihre Kunst aufzugeben versprachen, zu bleiben. Und dabei hielt Tiberius sich selbst einen Sterndeuter!! Vergl. oben Kap. 14.

37. Hauptsächliche Sorgfalt verwendete er auf den Schutz öffentlicher Sicherheit gegen die Landstreicher und Straßenräuber, sowie gegen das überhandnehmende Emeutenwesen. Er vermehrte die Zahl der durch ganz Italien stationierten Militärposten. Zu Rom richtete er Standlager ein, um in denselben die Prätorianerkohorten, die zuvor zerstreut inner- und außerhalb der Stadt einquartiert lagen, besser zusammenzuhalten. Diese erste große »Gardekaserne« lag zwischen dem Viminalischen und Tiburtinischen Thore, da, wo heute die Novizen der Jesuiten ihre Vigne haben, außerhalb der Stadt. Erst Aurelian nahm sie in die Ringmauer auf. Reste sind noch heute erhalten. Siehe Ein Jahr in Italien von Adolf Stahr, Bd. 3, S. 49 fg. Gegen Volksemeuten schritt er auf das nachdrücklichste ein, während er ihrem Ausbruche anderseits möglichst sorgsam vorzubeugen suchte. Als im Theater durch den Parteienstreit es zu einem Totschlage gekommen war, schickte er die Häupter der Parteien und die Schauspieler, um welche man sich stritt, in die Verbannung und ließ sich in der Folge durch keinerlei Bitten des Volkes zu ihrer Rückberufung bewegen. Als der Pöbel zu Pollentia Römische Municipalstadt am Ursprung des Po, unweit Turin; jetzt Pollenzo. den Leichenzug eines Oberoffiziers nicht eher vom Marktplatze weggelassen hatte, bis den Erben eine Geldsumme zu einem Fechterspiel abgepreßt worden war, ließ er eine Kohorte von Rom und eine andere aus dem Gebiet des Königs Cottius Dessen am Fuße der Alpen gelegenes kleines Königreich nach seinem Tode unter Nero zur Provinz des Reichs gemacht wurde. Siehe Nero Kap. 18. unter einem erdichteten Vorwande aufbrechen und plötzlich mit entblößten Waffen unter Trompetenschall zu allen Thoren der Stadt einrücken und den größten Teil des Volkes und der städtischen Behörden in ewiges Gefängnis werfen. Auch das Recht und die Sitte der Asyle schaffte er allerorten ab. Solche Freistätten des Verbrechens waren damals die Tempel, wie später die Klöster und Kirchen. Ueber den Grund von Tibers Verfahren giebt Tacitus (Annalen III, 60) genügende Auskunft. Den Einwohnern von Kyzikos, die sich Gewaltthätigkeiten gegen römische Bürger erlaubt hatten, nahm er samt und sonders die Staatsfreiheit, die sie sich im Mithridatischen Kriege erworben hatten. Feindliche Schilderhebungen ließ er, ohne selbst mehr irgend einen Feldzug in Person zu unternehmen, durch seine Legaten unterdrücken, und auch dazu entschloß er sich nur nach langem Zögern und notgedrungen. Feindlich gesinnte und verdächtige Könige hielt er mehr durch Drohungen und Beschwerden, als durch Gewaltmaßregeln im Zaume. Einige lockte er durch Freundlichkeiten und Versprechungen zu sich nach Rom und ließ sie nicht mehr zurückkehren, wie den Germanen Marobod, den Thraker Rhaskupolis Über den Namen s. d. Ausleger zu Tacitus, Annalen II, 64. und den Archelaus von Kappadokien, dessen Reich er zugleich zur römischen Provinz machte.

38. Ganze zwei Jahre lang nach dem Antritt seiner Regierung setzte er keinen Fuß vor das Thor hinaus; in der nächstfolgenden Zeit kam er in seinen Ausflügen nur in die allernächsten Städte und, wenn's weit ging, bis nach Antium und auch dies sehr selten und immer nur auf wenige Tage, obschon er sehr häufig ankündigte, daß er auch die Provinzen und die Heere zu besuchen beabsichtige, und fast alljährlich Zurüstungen zur Reise traf, Wagen zusammenbringen und Vorräte aller Art in den Municipalstädten und Kolonieen bereit halten, zuletzt sogar Gelübde für glückliche Abreise und Heimkehr thun ließ, so daß man ihn bereits im Publikum spottweise »Kallipides« nannte, der, wie es in dem bekannten griechischen Sprichworte heißt, »immer läuft und keine Elle weiter kommt«. Sprichwörtlicher Spott, der von einem athenischen Schauspieler und Dichter dieses Namens herkommt. – »Elle« Verdeutschung von cubitus = 0,444 m.

39. Allein nachdem er seine beiden Söhne, den Germanicus in Syrien, den Drusus in Rom, durch den Tod verloren hatte, zog er sich nach Kampanien in die Einsamkeit zurück, und fast allgemein glaubte und sagte man bestimmt, daß er nicht mehr nach Rom zurückkehren und auch wohl bald sterben werde. Beides traf halb und halb ein. Denn in der That kam er nie mehr nach Rom zurück, und wenige Tage nach seiner Abreise, als er bei Terracina auf einem Landhause, das die Grotte heißt, zu Nacht speiste, stürzten mehrere gewaltige Blöcke zufällig von dem überhängenden Felsen nieder, wodurch viele Gäste und Diener erschlagen wurden, während er selbst wider Verhoffen unbeschädigt davonkam. Man sehe die Erzählung bei Tacitus, Annalen IV, 59.

40. Nachdem er Kampanien durchreist, in Capua das Kapitol, zu Nola den Tempel des Augustus eingeweiht, was er als Vorwand seiner Reise gebraucht hatte, begab er sich nach der Insel Capri, welche ihm vor allem deshalb gefiel, weil sie nur mit einem einzigen, obendrein sehr schmalen, Landungsplätze versehen und sonst ringsum von steilabfallenden himmelhohen Felswänden und tiefem Meere umgeben war. Sehr bald jedoch ging er, da die Volksstimme anhaltend nach ihm verlangte, wegen des Unglücks bei Fidenä, wo über zwanzigtausend Menschen bei einem Fechterschauspiel durch den Einsturz des Theaters umgekommen waren, Über dieses bei Fidenä, eine deutsche Meile von Rom, geschehene entsetzliche Unglück vgl. die nach Tacitus gegebene Schilderung in Ein Jahr in Italien Bd. 3, S. 95-98. wieder auf das Festland zurück und gewährte allen, die sich ihm nahten, um so lieber freien Zutritt, als er bei seiner Abreise von der Stadt ausdrücklich verboten hatte, ihn anzugehen, und auch auf der ganzen Reise niemand vor sich gelassen hatte.

41. Nach seiner Rückkehr auf die Insel aber vernachlässigte er die Staatsgeschäfte so völlig, daß er seitdem nicht ein einziges Mal mehr die Dekurien der Ritter ergänzte, keine Veränderungen in den Befehlshaberstellen bei dem Fußvolke und der Reiterei oder bei der Besetzung der Statthalterposten in den Provinzen mehr vornahm, Spanien und Syrien mehrere Jahre lang ohne konsularische Legaten ließ und sich nicht darum kümmerte, daß Armenien von den Parthern, Mösien von den Dakern und Sarmaten, Gallien von den Germanen, zu großem Schimpf und nicht minderer Gefahr des Römischen Reiches, durch Einfälle heimgesucht wurden.

42. Dagegen ließ er jetzt endlich, durch die Verborgenheit jeden Zwanges ledig und, so zu sagen, den Augen des Publikums entrückt, allen seinen Lastern, die er lange nur mühsam verhehlt hatte, auf einmal völlig freien Lauf, wovon ich mit Rücksicht auf die Anfänge derselben im einzelnen berichten will. In den Lagern pflegte man ihn schon, als er zuerst in den Kriegsdienst, eintrat, wegen seines übergroßen Hanges zum Weine statt Tiberius Biberius, statt Claudius Caldius, statt Nero Mero Sämmtliche Namensverdrehungen bezeichnen: die erste den »Trinker«. die zweite den »vom Trunk erhitzten«, die dritte den, »der den Wein ungemischt trinkt«. zu nennen. Später, als Regent, brachte er einmal, gerade als er mit der Verbesserung der öffentlichen Sitten beschäftigt war, zwei ganze Tage und eine Nacht in Gesellschaft des Pomponius Flaccus und des Lucius Piso mit Schmausen und Trinken zu, von denen er dem einen die Provinz Syrien, dem anderen die Präfektur der Hauptstadt übertrug und sie auch in den Ernennungsschreiben als » seine lieben Genossen aller guten Stunden« bezeichnete. Bei dem Sestius Gallus, einem alten unzüchtigen und verschwenderischen Schwelger, den schon Augustus mit einer Ehrenstrafe belegt und den er selbst wenige Tage zuvor im Senat ausgescholten hatte, sagte er sich mit dem Befehle zur Tafel an, »daß derselbe nichts an seiner bisherigen Gewohnheit ändere oder kürze und daß auch nackte Mädchen bei Tische aufwarten sollten«. Einen ganz namenlosen Kandidaten des Quästoramtes zog er den adeligsten Mitbewerbern vor, weil derselbe beim Schmause auf sein Zutrinken eine Amphora Wein ausgetrunken hatte. Eine Amphora ist gleich 26,26 Liter, also zwanzig und einige Flaschen. Dem Asellius Sabinus schenkte er zweimalhunderttausend Sesterzien [43 500 Reichsmark] für einen Dialog, in welchem derselbe einen Pilz, eine Schnepfe, eine Auster und einen Krammetsvogel redend eingeführt hatte, die sich um den Vorrang stritten. Endlich stiftete er ein neues Hofamt, das der Vergnügungen, und bekleidete mit demselben den römischen Ritter Titus Cäsonius Priscus.

43. In seiner Abgeschiedenheit zu Capri aber erdachte er gar sein Sofazimmer als Sitz geheimer Ausschweifungen, in welchem Scharen von überall zusammengebrachten Mädchen und Lustknaben und Erfinder unnatürlicher Beischlafsweisen, die er »Spintrier« zu benennen pflegte, zu dreien verbunden mit einander Unzucht treiben mußten, während er zuschaute, um durch den Anblick die abgestumpften Begierden aufzustacheln. Seine verschiedenen Schlafgemächer schmückte er mit den malerischen und plastischen Darstellungen lasciver Scenen und Figuren und versah sie mit den Schriften der Elephantis Eine griechische Schriftstellerin der Augusteischen Zeit, die in Versen und Prosa nicht nur über Toiletten-, sondern auch über andere Geheimnisse geschrieben hatte., damit es niemand beim Ausüben der Wollust an einem Muster der vorgeschriebenen Weise fehlen möchte. Auch in Parks und Gehölzen legte er an vielen Stellen sogenannte Venusplätze an, wo in Grotten und Felshöhlen junge Leute beiderlei Geschlechts als Panisken und Nymphen verkleidet zur Wollust einluden. Daher pflegte man ihn denn auch bereits ganz öffentlich und allgemein, mit Verdrehung des Namens der Insel, mit dem Beinamen Caprinëus Der »Ziegenbockige«. Der Name der Insel Capreä erinnerte an das Wort caper, das »Ziegenbock« bedeutet. zu benennen.

44. Noch Ärgeres und Schmählicheres ist ihm nachgesagt worden, was sich kaum erzählen oder anhören, geschweige denn glauben läßt: als habe er Knaben vom zartesten Alter, die er seine »Fischchen« nannte, angeleitet, ihm beim Baden an den Hüften herumzuschwimmen und zu spielen, ihn zu lecken und zu beißen; ja sogar, daß er sich von halbwüchsigen und doch noch nicht der Brust entwöhnten Kindern an dem Schamgliede oder an den Brustwarzen habe saugen lassen – lauter Arten der Wollust, zu denen ihn allerdings seine Körperbeschaffenheit und sein Alter geneigter machen mochten. Daher er denn auch das bekannte Bild des Parrhasios, welches Atalante darstellt, wie sie dem Meleager mit dem Munde Wollust erregt, welches ihm mit der Bedingung vermacht worden war, daß er, falls er an dem Gegenstande Anstoß nähme, eine Million Sesterzien [217 500 Reichsmark] statt desselben erhalten solle, nicht nur der letzteren Summe vorzog, sondern es sogar in seinem Schlafgemache aufstellte. Auch geht die Rede, er sei einmal beim Opfern von der Schönheit eines Knaben, der das Rauchfaß vortrug, so entzündet worden, daß er sich nicht habe enthalten können, gleich nach vollbrachtem Opfer denselben abseits zu führen und ihn, sowie dessen Bruder, einen Flötenspieler, zu mißbrauchen, worauf er später beiden, weil sie sich einander diese Unzucht vorgeworfen hatten, die Beine habe zerschlagen lassen.

45. Wie gewohnt er war, auch Frauen, und zwar von edler Familie, frech zu mißbrauchen, bewies am klarsten das Endschicksal einer gewissen Mallonia, die ihm zugeführt worden war und sich schlechterdings geweigert hatte, sich seinen unnatürlichen Lüsten zu bequemen. Er gab sie den öffentlichen Anklägern preis und ließ selbst vor Gericht nicht ab, sie zu fragen: » ob sie sich jetzt anders besonnen habe?« bis sie aus dem Gerichte fort nach Hause stürzte und sich dort den Dolch ins Herz stieß, nachdem sie zuvor ihm, »dem alten stinkenden Bocke«, mit lauter Stimme seine unnatürlichen Lüste vorgeworfen hatte. Daher würden bei den nächsten Theatervorstellungen in einem atellanischen Die »Atellanen«, von der oskischen Stadt Atella so benannt, waren eine Art possenhafter einheimischer Dramen. Siehe darüber Mommsen, Römische Geschichte Teil II, S. 419 ff. Nachspiele die Worte: »Der alte Bock beleckt den Ziegen die Natur« als Anspielung auf ihn mit allgemeinem Beifall ausgenommen und verbreitet.

46. Mit dem Gelde war er sparsam, ja selbst geizig. So gab er auf Reisen und Feldzügen seinen Legaten nie Tafelgelder, sondern immer nur Naturalverköstigung. Nur einmal bewies er sich gegen sie freigebig, weil sein Stiefvater die Kosten trug; er teilte sie nämlich je nach ihrem Range in drei Klassen und verteilte unter die Mitglieder der ersten sechshunderttausend, der zweiten vierhunderttausend Sesterzien 130 510, bezw. 87 010 Reichsmark., unter die der dritten, die er nicht »Freunde«, sondern nur »Gesellschafter« benannte, zweihunderttausend.

47. Während seiner ganzen Regierung hat er weder irgendwelche Prachtbauten ausgeführt – denn die einzigen, welche er unternommen hatte, den Tempel Augusts und die Wiederherstellung des Pompejustheaters hinterließ er nach so vielen Jahren unvollendet –, noch irgend ein Schauspiel gegeben, wie er denn auch den von anderen gegebenen nur selten beiwohnte, um nicht mit Bitten um ähnliche Leistungen angegangen zu werden, zumal seit er gezwungen worden war Durch die stürmischen Bitten des zuschauenden Volkes., den Schauspieler Actius freizulassen. Nachdem er mehreren in Not geratenen Senatoren Unterstützung hatte angedeihen lassen, erklärte er, um nicht diese Unterstützung auf viele andere ausdehnen zu müssen: er werde solche keinem mehr gewähren, der nicht seine Hilfsbedürftigkeit als unverschuldete vor dem Senate nachgewiesen haben werde. Infolge dieser Erklärung schreckte er die meisten durch solche Appellation an ihre Bescheidenheit und ihr Ehrgefühl ab, unter ihnen auch den Hortalus, den Enkel des Redners Quintus Hortensius, der bei einem sehr mäßigen Vermögen sich auf Zureden des Augustus verheiratet und vier Kinder gezeugt hatte. Tacitus, der dasselbe erzählt (Annalen II, 37-38), entwickelt dabei geradezu eine junkerhaft aristokratische Ansicht, während vielmehr die Antwort, welche Tiber auf das Verlangen des Hortalus gab, sowie seine ganze Verfahrungsweise höchlich zu loben ist. Tiberius erkannte kein Pochen auf großen Namen und große Vorfahren an und war, wie er sagte, nicht geneigt, »die herabgekommenen Enkel der alten Adelsgeschlechter auf Staatskosten standesgemäß zu füttern, bloß weil sie alte Namen führten«. Als man über einen gewissen Rufus spottete (der sich aus niedrigem Stande durch Talent und Geschick emporgearbeitet hatte), daß er »keine Ahnen habe«, antwortete Tiberius: » Meiner Meinung nach ist Rufus sein eigener Ahnherr!« (Siehe Tacitus, Annalen 21.) Hier steht Tiber über seinem überhaupt, sehr schwarz malenden Portraitmaler Tacitus.

48. Nur zweimal überhaupt übte er einen Akt öffentlicher Freigebigkeit aus, das eine Mal, als er hundert Millionen Sesterzien 21 750 000 Reichsmark. als Anlehen ohne Zinsen auf drei Jahre vorstreckte, und ein andermal, wo er den Besitzern gewisser, »Insulä« genannten Siehe Leben Cäsars, Kap. 41., Mietswohnungen, die auf dem Cäliushügel abgebrannt waren, den Wert der Häuser ersetzte. Zu dem ersteren nötigte ihn das Hilfegeschrei des Volkes in der Zeit einer großen Geldklemme, als er durch einen Senatsbeschluß verfügt hatte, daß. die Bankiers zwei Dritteile ihres Vermögens auf Grundstücke anleihen und die Schuldner ebensoviel von ihrer Schuld sofort bar abzahlen sollten, und beides ins Stocken geriet; das andere that er, um die furchtbare Not der Zeit zu lindern. Doch legte er auf die zuletzt erwähnte Wohlthat ein solches Gewicht, daß er den Namen des Cäliushügels in Augustushügel umzuändern befahl. Den Soldaten gab er, nachdem er ihnen die von Augustus vermachten Legate hatte verdoppelt auszahlen lassen, weiterhin niemals mehr irgend ein Geschenk, außer daß er den Prätorianern jedem tausend Denare gab, weil sie sich dem Sejan nicht angeschlossen, und den syrischen Legionen einige Geldbelohnungen erteilte, weil sie allein nicht Sejans Bildnis unter den Feldzeichen zur Verehrung aufgestellt hätten. Selbst Verabschiedungen der Veteranen bewilligte er selten, indem er ihres Alters wegen auf ihren Tod und für den Todesfall auf die ihm dadurch erwachsende Ersparnis spekulierte. Nicht einmal die Provinzen begünstigte er mit irgend einer Unterstützung, ausgenommen Asien, als dessen Städte durch ein Erdbeben zerstört worden waren. Noch jetzt ist von einem Denkmale, das ihm dafür die dankbaren Städte Asiens zu Puteoli (Pozzuoli) bei Neapel errichteten, die Basis erhalten. (S. Torso T. II, S. 415.)

49. Im weiteren Verlaufe der Zeit verfiel er aber auch auf förmliche Räuberei. Es ist Thatsache, daß er den Augur Cnejus Lentulus seines außerordentlichen Vermögens halber durch Furcht und Angst bis zum Lebensüberdrusse und dahin gebracht hat, ihn und keinen andern zum alleinigen Erben zu ernennen. Ebenso, daß er die Lepida, eine Frau von sehr hoher Geburt, zu gunsten ihres Mannes, des Quirinus, eines sehr reichen und kinderlosen Konsularen, verurteilen ließ, als dieser sie, nachdem er sich bereits zwanzig Jahre von ihr geschieden hatte, eines früheren Vergiftungsversuches anklagte, und daß er ferner in Gallien, Spanien, Syrien und Griechenland das Vermögen angesehener Personen unter den nichtswürdigsten und schamlosesten Vorwänden einziehen ließ, wie denn manchen derselben kein anderer Vorwurf gemacht wurde, als daß sie einen Teil ihres Vermögens in barem Gelde liegen hätten. Er folgerte daraus, daß sie Schilderhebungen gegen ihn und das Römische Reich beabsichtigten, und konnte sich dabei auf ein von Julius Cäsar erneuertes Gesetz berufen, nach welchem niemand über 60,000 Sesterzien [10 524, bezw. 13 051 Reichsmark] bar haben durfte. (Nach Bremi.) Sehr vielen Stadtgemeinden und Privaten nahm er ihre alten Freiheiten, Bergwerks- und Zollgerechtigkeiten, ja, den Partherkönig Vonones, der, von seinem Volke vertrieben, sich in den Schutz des römischen Volkes und mit einem ungeheuren Schatze nach Antiochien begeben hatte, ließ er hinterlistigerweise berauben und töten.

50. Den Haß gegen seine Verwandten offenbarte er zuerst an seinem Bruder Drusus, indem er einen Brief desselben (dem Augustus) verriet, in welchem jener mit ihm über die Mittel und Wege verhandelte, den Augustus zur Wiederherstellung der Freiheit zu nötigen. Später ließ er ihn auch gegen die übrigen aus. Weit entfernt, seiner Gattin Julia in ihrer Verbannung, was doch das geringste ist, irgend eine Gefälligkeit oder Teilnahme zu erweisen, verbot er ihr, die nach des Vaters Bestimmung nur auf den Aufenthalt in einer kleinen Stadt beschränkt war, sogar das Ausgehen aus dem Hause und den Genuß des gesellschaftlichen Verkehrs mit Menschen; ja, er entzog ihr sogar noch das ihr vom Vater belassene eigene Vermögen und das bisher gezahlte Jahrgeld, indem er den Rechtsvorwand geltend machte: Augustus habe in seinem Testamente darüber nichts bestimmt. Seine Mutter Livia ward ihm lästig, weil er glaubte, daß sie seine Macht mit ihm teilen wolle, weshalb er jedes häufige Zusammenkommen und alle längeren und geheimen Unterredungen mit ihr vermied, damit es nicht den Anschein habe, als bestimme ihr Rat, den er doch zuweilen nötig hatte und wirklich benutzte, sein Handeln. Auch nahm er es sehr übel, daß man im Senate darauf antrug, zu seinen Titeln neben der Bezeichnung »Sohn des Augustus« auch die »Sohn der Livia« hinzuzufügen. Er litt es daher auch nicht, daß man sie »Landesmutter« nannte oder ihr sonst irgend eine bedeutende öffentliche Auszeichnung zuerteilte. Ja, er ermahnte sie sogar wiederholt, sich in keine wichtigeren und für Frauen nicht passenden Staatsgeschäfte zu mischen, zumal seit er gesehen hatte, daß sie bei einer in der Nähe des Vestatempels ausgebrochenen Feuersbrunst selbst an Ort und Stelle erschienen war und Volk und Soldaten, wie sie es bei ihres Gemahls Lebzeiten gewohnt gewesen, zu kräftigerer Hilfeleistung angefeuert hatte.

51. Von da kam es zu offener Feindschaft, wie es heißt, aus folgender Veranlassung. Als sie einmal wiederholt in ihn drang, einen mit dem römischen Bürgerrechte beschenkten Mann in die Richterabteilungen aufzunehmen Vgl. Leben Augusts Kap. 51; Leben Tibers Kap. 41., gab er den Bescheid, daß er die Aufnahme nur unter der Bedingung vollziehen werde, wenn sie ihm erlaubte, im Protokoll beizufügen: » die Bewilligung sei ihm von seiner Mutter abgepreßt worden«. In ihrer Aufregung darüber holte sie aus ihrem geheimen Kabinette Im Texte steht: sacrarium, d. i. Hauskapelle, wo man Heiligtümer bewahrte und verehrte und auch wichtige Urkunden ausbewahrte. gewisse alte Briefe des Augustus an sie hervor, in welchen Klagen über Tibers herben und unverträglichen Charakter enthalten waren, und las sie ihm vor. Daß sie diese so lange aufbewahrt hatte und ihm dieselben so bitter vorrückte, verdroß ihn dergestalt, daß dies, nach der Meinung einiger, unter den Gründen, welche seine Entfernung von Rom veranlaßten, der Hauptgrund gewesen sein soll. Jedenfalls hat er während der ganzen drei Jahre, welche seine Mutter nach seiner Entfernung noch lebte, dieselbe nur einmal auf einen einzigen Tag und auch da nur ein paar Stunden gesehen. Ja, selbst in ihrer bald darauf erfolgten Krankheit gab er sich nicht die Mühe, sie zu besuchen, und als sie gestorben war, machte er längere Zeit zwar Hoffnung, zum Leichenbegängnis zu kommen, kam aber nicht und verbot schließlich, als man die bereits in Verwesung und Fäulnis übergegangene Leiche bestattete, ihre Vergötterung Die Ehre der Apotheose, durch welche die verstorbenen Kaiser und Kaiserinnen heilig gesprochen wurden und den Titel Divus (der Vergötterte) erhielten. Die dabei stattfindenden Ceremonieen beschreibt der Geschichtschreiber Herodian IV, 2. Über die plastische Darstellung der Kaiser als Divi siehe Torso T. II, S. 412 fg., indem er vorgab, sie hätte das selbst so verfügt. Auch ihr Testament behandelte er als ungültig, und alle ihre Freunde und Vertrauten, selbst die, denen sie sterbend die Besorgung ihres Leichenbegängnisses aufgetragen hatte, ließ er binnen kurzer Frist seine schwere Ungnade empfinden, ja einen derselben, einen Mann ritterlichen Standes, verurteilte er sogar zur Zwangsarbeit in einer Wassertretmühle.

52. Von seinen Söhnen liebte er weder den leiblichen, Drusus, noch den adoptierten, Germanicus, mit väterlicher Zärtlichkeit. Auf den erstern war er böse wegen seiner Fehler, denn Drusus war leichtsinnig und führte einen lockern Lebenswandel. So nahm er sich denn auch dessen Tod nicht sehr zu Herzen, sondern ging fast unmittelbar von dem Leichenbegängnisse wieder an seine gewohnten Geschäfte, indem er einen längern Stillstand der Gerichte verbot. Wie derselbe behufs der Totenfeier eines Mitglieds der fürstlichen Familie und der mit derselben verbundenen öffentlichen Schauspiele stattzufinden pflegte. Ja, er gab sogar den Abgeordneten von Ilium, die ihm etwas spät ihr Beileid bezeigten, als habe die Zeit ihn bereits seinen Schmerz vergessen machen, die spottende Antwort: » auch er bezeige ihnen sein Beileid darüber, daß sie einen so trefflichen Mitbürger, den Hektor, verloren hätten«. Gegen den Germanicus bewies er sich in dem Maße eifersüchtig, daß er seine herrlichen Thaten zu überflüssigen herabsetzte und seine glorreichsten Siege als nachteilig für den Staat schalt. Als derselbe vollends aus Veranlassung einer außerordentlichen und plötzlichen Hungersnot, ohne ihn befragt zu haben, sich in Person nach Alexandria begab, beklagte er sich darüber im Senate. Ja, sogar an seinem Tode soll er, wie man glaubt, durch Vermittelung des Legaten von Syrien, Gajus Piso, schuld gewesen sein; und manche meinen, der letztere, der nicht lange darauf dieses Verbrechens angeklagt ward, würde die erhaltenen Befehle zum Vorschein gebracht haben, wenn ihn die Beiseitebringung derselben nicht daran verhindert hätte. Daher fand man an vielen Orten angeschrieben und hörte nächtlicherweile aus zahlreichen Volkshaufen den Zuruf erschallen: » Gieb uns den Germanicus wieder!« Jenen Verdacht bestärkte er später selbst dadurch, daß er auch die Gattin und Kinder des Germanicus auf grausame Weise seinen Haß empfinden ließ.

53. Seine Schwiegertochter Agrippina, die nach ihres Gatten Tode sich in etwas heftige Klagen gegen ihn ergoß, ergriff er bei der Hand und rief ihr mit den Worten eines griechischen Verses zu: » Glaubst du, weil du nicht herrschest, Töchterchen, daß dir unrecht geschieht?« und würdigte sie bald überhaupt nicht mehr irgend einer Unterredung. Als sie aber gar einmal bei Tafel von Früchten, die er ihr darreichte, nicht zu kosten wagte, hörte er auch auf, sie zur Tafel zu laden, indem er vorgab, sie beschuldige ihn der Absicht, sie zu vergiften; und doch war beides eine angelegte Wahrscheinlich vom Sejan. Sache, indem er seinerseits sie durch jenes Anerbieten einer Frucht auf die Probe stellen wollte, während sie angewiesen war, sich davor als vor sicherem Verderben zu hüten. Zuletzt schuldigte er sie an, daß sie bald zu der Statue des Augustus Unglückliche und Verfolgte suchten bei der Bildsäule eines Gottes oder, wie hier, bei der des vergötterten Kaisers eine Zufluchtsstätte, was in diesem Falle das Zeichen zu einem Aufruhr für das Volk gewesen sein würde. Über die Sache selbst s. Tacitus, Annalen IV, 54., bald zum Heere ihre Zuflucht zu suchen beabsichtige, und verbannte sie in Folge dessen auf die Insel Pandataria; und als sie Schmähungen gegen ihn ausstieß, ließ er sie durch einen Centurionen mit Schlägen mißhandeln, wobei ihr derselbe ein Auge ausschlug. Dann wieder, als sie freiwillig Hungers zu sterben beschloß, ließ er ihr gewaltsam den Mund öffnen und Speise einstopfen. Da sie aber bei ihrem Vorsatze beharrte und wirklich starb, so verfolgte er sie noch über das Grab hinaus mit den allergehässigsten Anschuldigungen und trug sogar (im Senate) darauf an, ihren Geburtstag unter die unheilbringenden Tage des Kalenders Tage, an denen kein Recht gesprochen, keine Versammlungen gehalten, keine Staatsverhandlungen vorgenommen werden durften. aufzunehmen. Er bezeichnete es sogar als eine Gnade, daß er sie nicht habe mit dem Strick erdrosseln und in die Gemonien Gemoniae, eine steile Felsentreppe am Abhange des Aventin gegen die Tiber hin, zu welcher man die Leichen der Hingerichteten schleifte und in den Fluß hinabstürzte. Der Name soll nach einigen von gemere, d. i. seufzen (also Seufzertreppe), herkommen. werfen lassen, und erlaubte, daß ihm für solche Gnade mittelst eines Senatsdekrets gedankt und dem Kapitolinischen Jupiter ein goldenes Weihgeschenk dargebracht wurde!

54. Da er vom Germanicus drei Enkel, Nero, Drusus und Gajus, und vom Drusus einen, den Tiberius, hatte, so empfahl er nach dem Verluste seiner beiden Söhne die beiden ältesten Kinder des Germanicus, den Nero und den Drusus, dem Senate und feierte den Tag ihrer Bekleidung mit der männlichen Toga Siehe die Anmerkung zum Leben Augusts Kap. 26. durch ein Geschenk, das er dem Volke gab. Sobald er jedoch erfuhr, daß beim Jahresanfange auch für ihr Wohl öffentliche Gelübde gethan worden seien Was etwa unserem Aufnehmen des Kronprinzen ins Kirchengebet neben dem Regenten entspricht., stellte er dem Senate vor: » dergleichen Ehrenbelohnungen dürften nur bewährten und älteren Männern erteilt werden«, und gab sie dadurch, da er so seine innersten Herzensgedanken kund gegeben hatte, den Anschuldigungen aller Verleumder preis, ließ sie durch List aller Art zu heftigen Äußerungen reizen, die ihm alsbald verraten wurden, klagte sie dann brieflich an, wobei er sie obenein mit den bittersten Schmähungen überhäufte, und brachte sie endlich, nachdem er sie für seine Feinde hatte erklären lassen, durch Hunger ums Leben: den Nero auf einer der Ponzasinseln, den Drusus in den untersten Gewölben des Palatiums. Man glaubt, Nero sei zum Selbstmorde dadurch genötigt worden, daß ihm ein Henker, anscheinend im Auftrage des Senates, Strick und Haken vorzeigte; Drusus aber sei durch Hunger dergestalt gequält worden, daß er die Füllung seines Bettpolsters zu kauen versuchte, und beider Überreste seien dergestalt umhergestreut worden, daß sie nimmermehr jemals hätten gesammelt werden können.

55. Neben seinen alten Verwandten und Vertrauten hatte er sich einen Staatsrat von zwanzig Männern aus den ersten Geschlechtern Roms zugelegt. Von diesen allen ließ er kaum zwei bis drei unangefochten, alle übrigen traf sein Arm, den einen aus diesem, den andern aus jenem Grunde. Unter ihnen riß die meisten Schlachtopfer mit sich der Sturz des Älius Sejanus, den er zur höchsten Macht, nicht sowohl aus Wohlwollen, als aus dem Grunde emporgehoben hatte, um an ihm einen Helfershelfer zu haben in seinen ränkevollen Anschlägen wider die Kinder des Germanicus und in dem Streben, seinem natürlichen Enkel von Drusus die Thronfolge zu sichern. Dieser Enkel Tibers war seines Sohnes Drusus Sohn, Tiberius, den jedoch der Großvater, wie Sueton weiterhin (Kap. 61) und Dio Cassius (58, 23) berichten, nicht sonderlich liebte, weil er ihn nicht für einen echten Sohn des Drusus, sondern nur für einen Sprößling der ehebrecherischen Verbindung hielt, in welcher Drusus' Gattin Livilla mit dem Sejan gelebt hatte.

56. Nicht gelinder behandelte er seine griechischen Hofphilosophen und Hofgelehrten, an deren Verkehr er noch den meisten Gefallen zu finden pflegte. Einen gewissen Xeno, der einmal in sehr gezierter Sprache redete, fragte er: » was das für ein unausstehlicher Dialekt sei?«, und auf die Antwort: » Dorischer!« verbannte er ihn nach Cinaria Auch Cinara, geheißen, eine sehr kleine, unwirtliche Insel unter den Sporaden des Ägäischen Meeres., weil er in dieser Antwort eine Anspielung auf sein eigenes zurückgezogenes Leben als Verbannter in Rhodus zu finden glaubte, dessen Bewohner dorisch sprechen. – Er hatte die Gewohnheit, aus seiner täglichen Lektüre über Tische Fragen vorzulegen, und als er einmal erfuhr, daß der Grammatiker Seleucus sich bei seinen Kammerdienern immer eifrig erkundigte, welche Schriftsteller er gerade läse, und so stets vorbereitet bei Tafel erschien, verbot er ihm zunächst seine Gesellschaft und zwang ihn später, sich das Leben zu nehmen.

57. Seine grausame und gefühllos zähe Natur zeigte sich schon bei ihm als Knaben, und Theodorus von Gadara, sein Lehrer in der Rhetorik, war der erste, der sie scharfsinnig durchschaute und sehr geschickt durch ein Bild bezeichnete, indem er ihn zuweilen, wenn er ihn zu schelten hatte, auf griechisch » einen mit Blut gekneteten Lehmkloß« nannte. Aber bedeutend stärker trat sie nach seiner Thronbesteigung hervor, selbst schon in den ersten Jahren seiner Regierung, als er noch die Gunst der Menschen durch den Anschein von Mäßigung zu erwerben beflissen war. Einen Possenreißer, der beim Vorüberziehen eines Leichenbegängnisses dem Toten mit lauter Stimme den Auftrag zugerufen hatte: » er möge dem Augustus melden, daß die Legate, die er dem Volke hinterlassen, noch immer nicht ausbezahlt würden«, ließ er vor sich schleppen, ihm das zukommende Geld ausbezahlen und ihn dann zur Hinrichtung abführen: » damit er nun seinem Vater die Wahrheit vermelde«. Nicht lange darauf bedrohte er im Senate einmal einen gewissen Pompejus, einen römischen Ritter, mit Kettenstrafe und gab ihm dabei die Versicherung, »es werde dahin kommen, daß er aus einem Pompejus ein Pompejaner werde«: ein bitterer Spott, durch welchen er, wie den Namen des Mannes, so auch das alte Mißgeschick der (Pompejanischen) Partei verhöhnte.

58. Um dieselbe Zeit war es auch, wo er dem Prätor auf die Anfrage: ob er die Zusammenberufung der Majestätsgerichte befehle? die Antwort gab: » Gesetze müßten gehandhabt werden«; und er handhabte sie auf eine entsetzliche Weise. Es hatte einmal jemand einer Statue des Augustus den Kopf abnehmen lassen, um einen andern darauf zu setzen. Über dieses bei den Römern wie bei den späteren Griechen sehr gewöhnliche Verfahren sehe man: » Torso«, T. I, S. 500-501. Den hier erwähnten Fall erzählt auch Tacitus, Annalen I. 74. Die Sache wurde im Senate verhandelt, und da der Beweis mangelhaft war, ward die Folter angewendet. Als darauf der Angeklagte verurteilt worden war, ging allmählich diese Art der böswilligen Anklägerei so weit, daß es todeswürdiges Verbrechen wurde: wenn jemand in der Nähe eines Bildnisses des Augustus seinen Sklaven gepeitscht oder seine Kleider gewechselt, wenn jemand ein Geldstück oder einen Ring mit dem Bilde des Augustus auf den Abtritt oder in ein Bordell mitgenommen oder irgend ein Wort oder eine Handlung Augustus auch nur leisem Tadel unterworfen hatte. Ja, sogar der mußte sterben, der sich eine Ehrenbezeigung in seiner Kolonie an einem Tage erteilen ließ, an welchem dergleichen früher auch dem Augustus erteilt worden waren.

59. Zu allen diesen beging er, unter dem Scheine sittlichen Ernstes und der Sittenverbesserung, in der That aber mehr um seinem natürlichen Hange zu genügen, noch eine solche Anzahl grausamer und empörender Dinge, daß manche auch in Versen seine gegenwärtigen Schändlichkeiten brandmarkten und die folgenden verkündeten:

Fühlloser Unhold du! Soll alles ich drängen in ein Wort?
Sterben will ich, wenn je lieben die Mutter dich kann.

*

Du bist kein Ritter! – Warum? – Nicht Hunderttausend Vermögen Hunderttausend Sesterzien (17 540, bezw. 21 750 Reichsmark) mußte einer besitzen, um Ritter sein zu können. Tiberius aber besaß, als ihn August adoptierte, nichts. Siehe oben Kap. 15.
Hast du; und fragst du: »Was denn?« – »Blick' auf dein rhodisch Exil!« Ein Exilierter, für welchen Tiberius während seines Aufenthalts in Rhodus angesehen wurde (s. oben, Kap. 13), besaß nicht die Ehrenrechte eines römischen Bürgers. Tiberius war also, sagt das Epigramm, nicht einmal römischer Bürger.

*

Du hast die Zeiten Saturns, die goldnen, o Cäsar, verwandelt.
Denn so lange du lebst, werden sie eiserne sein.

*

Wein verschmäht er, weil jetzt nach Blute dürstet der Unmensch,
Das er so gierig trinkt, wie er sonst Firnewein trank.

*

Blick auf den Sulla, der »glücklich« Sulla gab sich selbst den Beinamen Felix, d. i. der Glückliche. für sich, nicht, o Römer, für dich war,
Und auf den Marius auch blick, da er kehrte nach Rom;
Auch auf die Hände Antons, der die Bürgerkriege entzündet,
Blicke, wie er sie in Blut wieder und wieder getaucht; –
Dann sprich: »Roma ist hin!« Denn blutig herrschen wird jeder,
Der, vom Exile zurückkehrend, zur Herrschaft gelangt.

Alle diese Angriffe wollte er anfangs so aufgenommen wissen, als rührten sie von solchen her, die mit seinen strengen Maßregeln unzufrieden wären und nicht sowohl ihre wahre Überzeugung damit aussprächen, als vielmehr nur ihrem Ärger und ihrer Galle Luft machten, wobei er denn wiederholt auszurufen pflegte: » Laßt sie hassen, wenn sie mir nur recht geben müssen!« Später freilich bewies er selbst durch sein Betragen, wie vollkommen wahr und richtig alle jene Angriffe seien.

60. Wenige Tage, nachdem er zu Capri gelandet, ließ er einem Fischer, der in einem Augenblicke, wo er sich gerade der Einsamkeit überließ, unerwartet vor ihn hingetreten war und ihm eine ungewöhnlich große Seebarbe als Geschenk dargeboten hatte, mit demselben Fische das Gesicht zerhauen, weil der Mann von dem hinteren Teile der Insel her über steile, unwegsame Felsen mühsam zu ihm hingeklettert war. Als sich der Mensch, während er abgestraft wurde, noch Glück wünschte, daß er nicht auch einen ungeheuern Meerkrebs, den er gleichfalls gefangen, mit zum Geschenke gebracht habe, befahl er, ihm auch mit dem Meerkrebse das Gesicht zu zerfleischen. Einen Soldaten seiner Leibwache bestrafte er mit dem Tode, weil er einen Pfau aus dem Garten stibitzt hatte. Als auf einer Reise die Sänfte, in welcher er saß, in Dorngestrüpp geriet, ließ er den Mann, welcher den Dienst des Vorreiters Im Texte steht: »den Ausforscher des Weges«, was etwa auf das Amt des Vorreiters bei den Spazierfahrten unserer hohen Herrschaften hinauskommt. versah, einen Centurio der ersten Kohorten, auf die Erde legen und fast zu Tode peitschen.

61. Bald brach er mit allen erdenklichen Grausamkeiten hervor, wobei es ihm an Veranlassung niemals fehlte, da er zuerst die Freunde, ja selbst die Bekannten seiner Mutter, dann seiner Schwiegertochter und zuletzt des Sejanus verfolgte. Nach des letzteren Untergange erstieg seine Grausamkeit den höchsten Gipfel, woraus deutlich hervorging, daß er selbst für gewöhnlich weit weniger vom Sejan angetrieben worden war, sondern dieser ihm vielmehr nur die gesuchten Gelegenheiten dargeboten hatte. Dennoch hat er in dem von ihm verfaßten Aufsatze einer kurzen, übersichtlichen Selbstbiographie sich vermessen, zu schreiben: » den Sejan habe er gestraft, weil er in Erfahrung gebracht, daß derselbe gegen seine Enkel, die Kinder seines Sohnes Germanicus, wüte«, obschon er selbst den einen derselben, als Sejan schon verdächtig, den andern, als derselbe bereits hingerichtet war, ums Leben gebracht hat. Seine grausamen Thaten einzeln zu berichten, würde zu weit führen; es wird genügen, die allgemeinen Gattungen gleichsam als Beispiele aufzuzählen. Keinen Tag feierte der Henker, nicht einmal an einem heiligen Feiertage. Manche Todesstrafen wurden selbst am Neujahrstage vollzogen. Viele ließ er samt ihren Frauen und Kindern anklagen und verurteilen. Ein Edikt verbot den Angehörigen, ihre zum Tode verurteilten Verwandten zu betrauern; den Anklägern wurden hohe Belohnungen ausgesetzt, zuweilen auch den Zeugen. Keinem Angeber ward Glauben versagt; jedes angebrachte Verbrechen ward für todeswürdig erachtet, selbst wenn es nur aus ein paar, noch dazu unschuldigen, Worten bestand. Zum Verbrechen ward es einem Dichter gemacht, daß er in einem Trauerspiele dem Agamemnon hatte beschimpfende Vorwürfe machen lassen Wie sie z. B. mit so kräftigen Schimpfworten, als da sind: »Weinschlauch«, »Hundegesicht«, »Hasenherz« u. s. f. Achill bei Homer (Ilias I) dem Oberkönige Agamemnon zu hören giebt.; zum Verbrechen gemacht desgleichen einem Geschichtschreiber Dem vortrefflichen Cremutius Cordus. S. Tacitus, Annalen IV, 34; Dio Cassius 57, 24., daß er Brutus und Cassius »die letzten Römer« genannt hatte. Beide Schriftsteller wurden sofort zur Strafe gezogen und ihre Schriften vernichtet, obschon dieselben bereits seit einer Reihe von Jahren beifällig bekannt und sogar in Gegenwart des Augustus von den Verfassern öffentlich vorgelesen worden waren. Über diese Sitte der römischen Autoren damaliger Zeit, ihre Werke öffentlich einem gewählten Publikum vorzutragen, vergleiche man die vortreffliche Schrift von Martin Hertz: Schriftsteller und Publikum in Rom (Berlin, 1853). Manchen Gefangenen ward nicht allein der Trost wissenschaftlicher Beschäftigungen, sondern selbst Gespräch und Besuch versagt. In diesen Dingen sieht Sueton, ein Heide, ein Römer der verrufenen Kaiserzeit, ein Beispiel unmenschlicher Grausamkeit!! Und – wir, die Christen, die Civilisierten, sahen einen Dichter in einsamer Zelle – Wolle spulen. Viele zur Verantwortung Vorgeladene gaben sich teils zu Hause die Todeswunden, sowohl weil sie ihrer Verurteilung sicher waren, als auch hauptsächlich, um der Quälerei und Beschimpfung zu entgehen, teils nahmen sie mitten in der Kurie Gift. Aber nichtsdestoweniger wurden sie, nachdem man ihre Wunden verbunden, halbentseelt, im Todeskampfe zuckend, in den Hinrichtungskerker geschleppt. Keinem Bestraften blieb das Schleifen mit dem Haken und das Hinabgestürztwerden in die Gemonien erspart; an einem Tage ward beides an zwanzig Personen vollzogen, darunter Knaben und Frauen. Unreife Mädchen wurden, da es von alter Zeit her für Frevel galt, Jungfrauen zu erdrosseln, zuvor vom Henker geschändet, dann erdrosselt. Wer freiwillig sterben wollte, ward mit Gewalt gezwungen, leben zu bleiben. Denn den Tod achtete er für eine so geringe Strafe, daß er auf die Nachricht: ein Angeklagter, ein Mann Namens Carnulius, habe sich vorweg den Tod gegeben, in die Worte ausbrach: » Carnulius ist mir entschlüpft!«; und als er einmal die Gefangenen musterte und einer derselben ihn um Beschleunigung der Strafe bat, gab er zur Antwort: » Ich habe mich noch nicht wieder mit dir ausgesöhnt!« Ein gewisser Konsular hat seinen Memoiren folgenden Vorfall einverleibt. Einst, bei einem zahlreichen Gastmahle, dem auch er selbst beigewohnt, sei an den Tiberius von einem Zwerge, der unter den Possenreißern am Tische stand, unvermutet die laute Frage gerichtet worden: warum der wegen Majestätsbeleidigung angeklagte Paconius noch immer lebe? Zwar habe nun der Kaiser sofort ihn wegen seiner vorlauten Äußerung ausgescholten, habe aber doch wenige Tage später an den Senat geschrieben: er möchte sobald als möglich über die Bestrafung des Paconius Beschluß fassen.

62. Vermehrt und gesteigert ward seine Grausamkeit durch die Erbitterung, welche die Anzeige von der wirklichen Todesart seines Sohnes Drusus in ihm hervorrief. Er hatte geglaubt, derselbe habe sich durch Unmäßigkeit den Tod zugezogen; als er nun aber endlich die Entdeckung machte, daß derselbe den Nachstellungen der Livilla, seiner Gattin, und des Sejan erlegen sei, da ließ er fast alles, was ihm Bei der Untersuchung dieses Verbrechens. in den Weg kam, schonungslos foltern und töten. Ja, er ward von dieser Untersuchung ganze Tage lang so vollkommen hingenommen und beschäftigt, daß er einen rhodischen Gastfreund, den er durch einen vertraulichen Brief zu sich nach Rom berufen hatte, sobald ihm dessen Ankunft gemeldet ward, sofort auf die Folter zu spannen befahl, als ob er einer der Hauptbeteiligten bei der Untersuchung sei, und ihn dann nach Entdeckung des Irrtums töten ließ, damit er das erlittene Unrecht nicht ins Publikum bringe. Noch jetzt zeigt man auf Capri die Stätte seiner Henkerei, von wo er die Verurteilten nach langen, ausgesuchten Martern in seiner Gegenwart ins Meer hinabstürzen zu lassen pflegte, während unten ein auf sie wartender Haufe von Matrosen die Leichname mit Stangen und Rudern vollends zerschmetterte und ihnen den letzten, etwa noch übrigen Lebenshauch austrieb. Unter den Marterarten hatte er auch die ganz eigentümliche ausgedacht, daß er hinterlistigerweise die Leute sich stark mit Wein beschweren und ihnen dann plötzlich das Schamglied dergestalt unterbinden ließ, daß sowohl die straff angezogenen Schnüre, als der zurückgehaltene Urin ihnen die furchtbarsten Schmerzen machten. Hätte ihn nicht der Tod überrascht und hätte nicht Thrasyllus mit Absicht, wie es heißt, ihn überredet, manche Hinrichtungen in Hoffnung auf längeres Leben aufzuschieben, so würde er, wie man glaubt, noch weit mehr getötet und selbst seine noch übrigen Enkel nicht verschont haben, zumal, da er auf den Gajus bereits Verdacht geworfen hatte und den Tiberius Siehe Kap. 54., als im Ehebruch erzeugt, verachtete. Auch ist diese Meinung nicht unwahrscheinlich, denn häufig pflegte er die Äußerung fallen zu lassen: » wie glücklich Priamus gewesen, der alle die Seinen überlebt habe

63. Wie sehr er aber inmitten solcher Unthaten nicht nur als ein Gegenstand des Hasses und Abscheues, sondern auch in steter Gewissensangst und sogar vielfach beschimpft gelebt habe, davon giebt es vielfache Anzeichen. So verbot er, die Zeichendeuter geheim und ohne Zeugen zu befragen. »Aus Furcht, sie könnten irgend etwas Vorhersagen, wodurch einer gereizt würde, einen Angriff auf sein Leben zu machen.« ( Bremi.) Ja, die in der Nachbarschaft der Stadt befindlichen Orakel versuchte er sogar zu zerstören; doch stand er davon ab, aus Schreck über die göttliche Majestät der Pränestinischen Lose Die Römer waren das abergläubischste Volk der alten Welt, und ganz Italien war voll solcher Losorakel, unter denen die » Lose« (d. i. »Runenstäbe«) von Präneste, deren Auffindung Cicero in seiner Schrift Von der Weissagung (II, 41) erzählt, zu den berühmtesten gehörten. Es waren uralte Schriftzeichen, auf hölzerne Stäbchen geschrieben, die ein Knabe zog und aus denen dann ein Orakelspruch gebildet ward. Ausführliches hierüber und über das ganze römische Orakelwesen findet man in der Realencyklopädie von Pauly Band II. unter Divinatio S. 454)., die er versiegelt nach Rom hatte bringen lassen und die nicht eher in dem Kasten wieder sichtbar wurden, bis derselbe in den Tempel zurückgeschafft worden war. Zwei Männer konsularischen Ranges Welche Tacitus, Annalen VI. 27, namhaft macht., die er zu Provinzialgouverneuren ernannt hatte, wagte er nicht von seiner Seite zu entlassen und hielt sie so lange zurück, bis er ihnen nach einigen Jahren Nachfolger geben konnte, während er ihnen in der Zwischenzeit ihren Amtstitel beließ und ihnen dabei zugleich beständig Aufträge erteilte, die sie durch ihre Legaten und Gehilfen vollziehen lassen mußten.

64 und 65. Seine Schwiegertochter und seine Enkel ließ er nach der Verurteilung nie anders, als gefesselt und in einer geschlossenen Sänfte, von einem Orte zum andern bringen, und die Soldaten mußten alle unterwegs Begegnenden oder Reisenden abhalten, sich nach ihnen umzusehen oder auch nur stehen zu bleiben.

Den Sejanus, der heimlich eine Revolution gegen ihn vorbereitete und bereits so hoch gestiegen war, daß Tiberius es mit ansehen mußte, wie sein Geburtstag als Staatsfest gefeiert und seinen goldenen Standbildern öffentliche Huldigungen dargebracht wurden, brachte er doch endlich, wiewohl mit Mühe und mehr durch List und Trug, als durch sein kaiserliches Ansehen, zu Falle. Zunächst nämlich hatte er ihn, um ihn unter dem Anschein einer Ehrenbezeigung aus seiner Nähe Sejan war bei ihm auf Capri. entfernen zu können, zum Kollegen in seinem fünften Konsulate angenommen, das er sich eigens zu diesem Zwecke, nach einer langen Zwischenzeit, abwesend hatte übertragen lassen. Dann wiegte er ihn in Täuschung, indem er ihm Hoffnung machte, ihm die Hand einer seiner Enkelinnen und die tribunizische Machtgewalt zu verleihen, und trat dann ganz unerwartet mit einer schmählichen und niederträchtigen Anklageschrift gegen ihn hervor, in welcher er unter anderem den Senat mit der Bitte anging: »derselbe möchte doch einen der beiden (stellvertretenden) Konsuln »Es waren für das ganze Jahr nicht bloß zwei Konsuln, er und Sejanus, sondern noch zwei andere, welche Consules suffecti hießen und ihr Amt gewöhnlich im Juli antraten, wo denn die beiden ›ordentlichen Konsuln‹ ihre Stellen niederlegten.« ( Bremi.) mit dem Auftrage entsenden, ihn, den schwachen und vereinsamten Greis, mit einer militärischen Bedeckung zu ihnen zu führen«. Doch auch so traute er dem Frieden noch nicht, und in der Furcht, Sejan möchte einen Aufstand erregen, hatte er im voraus den Befehl erteilt, seinen Enkel Drusus, den er noch immer zu Rom in strengem Gewahrsam hielt, im Falle der Not aus demselben zu befreien und ihm den Oberbefehl zu übertragen. Sogar Schiffe hatte er segelfertig machen lassen, indem er zu irgend einem Heere zu flüchten gedachte, während er von der höchsten Felsenspitze der Insel in einem fort nach den Zeichen ausschaute, die er, um nicht auf seine Boten warten zu müssen, von weiter Ferne her, je nach dem Ausfall der Dinge, auf hohen Orten ihm zu geben angeordnet hatte. Die Anfänge solcher Telegraphierung von wichtigen Nachrichten bei den Alten, meist durch Fackeln und Feuerzeichen von Berg zu Bergen, finden sich schon in Äschylus' Tragödie »Agamemnon«. Doch selbst nach glücklicher Unterdrückung der Sejanischen Verschwörung wurde er nicht sicherer und zuversichtlicher, sondern verließ während der nächst darauf folgenden neun Monate nicht seine Wohnung in der sogenannten Jupitersvilla. So hieß eins der zwölf von ihm auf Capri erbauten und nach den Namen der zwölf Hauptgötter benannten Landhäuser.

66. Außerdem erregten seiner geängstigten Seele die vielfachen Schmähungen eine brennende Pein, die von allen Seiten her, teils von den Verurteilten selbst ihm ins Angesicht geschleudert, teils durch Schmähschriften, die man zu Rom heimlich auf die Sitze der Senatoren in der Orchestra legte, verbreitet, und in denen ihm alle möglichen Greuel vorgeworfen wurden. Doch war der Eindruck, den diese Dinge auf ihn machten, ein sehr verschiedener. Bald wünschte er aus Schamgefühl, daß alles dergleichen geheim und unbekannt bleiben möchte; bald gab er seine Verachtung dadurch zu erkennen, daß er selbst solche Schmähschriften freiwillig zu Tage brachte und veröffentlichte. Sogar Artaban, der Partherkönig, riß ihn in einem Briefe herunter, indem er ihm seine gegen Verwandte und Freunde verübten Mordthaten, seine Faulheit und Schwelgerei vorwarf und ihm den Rat gab, möglichst bald durch einen freiwilligen Tod dem allgemeinen und höchst gerechten Hasse aller seiner Mitbürger ein Genüge zu thun.

67. Zuletzt zerfiel er auch völlig mit sich selbst und faßte das ganze Gefühl seines inneren Elends sozusagen in den Worten des folgenden Briefanfanges zusammen: » Was ich euch schreiben soll, versammelte Väter, oder wie ich euch schreiben soll oder was ich überall nicht schreiben soll in meiner jetzigen Lage – mögen alle Götter und Göttinnen mich noch elender hin sterben lassen, als ich mich jetzt schon täglich hinsterben fühle, wenn ich es weiß Tacitus erzählt in seinen Annalen (VI,6), wo er, mehrere Stellen aus diesem Briefe mitteilt, daß derselbe sich auf Cotta, einen Spießgesellen Tibers, bezog. Wie Bremi auf den Gedanken geraten konnte, dieser »Briefanfang« sei vielleicht unvollendet geblieben und erst nach Tibers Tode zum Vorschein gekommen, ist nicht zu begreifen, da Tacitus das direkte Gegenteil davon berichtet. Tiberius schrieb den Brief fünf Jahre vor seinem Tode an den Senat.

Manche sind der Meinung, er habe das alles Die schreckliche Umwandlung seines Charakters. durch seine Gabe, die Zukunft zu erkennen, vorausgewußt und lange vorher (ehe noch irgend jemand es ahnte) vorausgesehen, welcher bittere Haß und welche Schande ihn einst treffen würden; darum habe er denn auch gleich bei seinem Regierungsantritte den Namen eines Vaters des Vaterlandes und den Schwur auf seine Verordnungen hartnäckig zurückgewiesen, damit die Schande nicht um so größer sei, wenn er später solcher Ehren unwürdig erfunden würde. Es ist sehr bemerkenswert, daß selbst gebildete Zeitgenossen und nicht lange nachher lebende Schriftsteller in der furchtbaren Veränderung Tibers in der letzten Hälfte seiner Regierung geradezu etwas Dämonisches, Unfreiwilliges fanden. Auch Sueton gehört, wie wir weiterhin sehen, zu denen, welche zuweilen diese Veränderung nur durch Geistesstörung erklären können, die Tiberius selbst offenbar in früheren Jahren als sein Schicksal gefürchtet zu haben scheint. Was die wahre Charakteristik dieses dämonischen Tyrannen anlangt, so vgl. besonders Stahr, Bilder aus dem Altertum, Teil I, Tiberius, 2. Aufl.. Berlin 1879. In der That kann man das auch aus seiner Rede, welche er über beide Gegenstände gehalten hat, wohl folgern, z. B. wenn er an der einen Stelle sagt: » er werde sich selbst immer gleich bleiben und seinen Charakter nie ändern, solange er bei gesunder Vernunft bleibe; allein um des Beispiels willen müsse vorgesorgt werden, daß der Senat nicht zur Anerkennung aller Handlungen irgend eines Menschen sich verbindlich mache, der ja doch durch irgend einen unglücklichen Zufall verändert werden könne«. Und an einer anderen Stelle wieder heißt es: » Wenn ihr je einmal an meinem Charakter und meiner Hingebung für euch irre werden solltet – ein Unglück, dem ich lieber durch frühzeitigen Tod entzogen zu werden wünschen möchte –, so wird mir der Titel ›Vater des Vaterlandes‹ keine Erhöhung der Ehre, für euch dagegen ein Vorwurf sein, daß ihr mir diesen Beinamen entweder damals ohne Grund erteilt oder euer Urteil später leichtsinnig über mich geändert habt.«

68. Von Körper war er feist und stark, von Wuchs über Mittelgröße hinaus. Brust und Schultern waren breit und auch die übrigen Glieder bis zu den Füßen hinab ebenmäßig und wohlproportioniert. Seine linke Hand war die geschicktere und stärkere und deren Gelenke so fest, daß er einen frischen und unversehrten Apfel mit dem Finger durchbohrte und den Kopf eines Knaben und selbst auch eines Erwachsenen durch ein Schnipsen mit zwei Fingern verwundete. Seine Farbe war weiß, das Haupthaar am Hinterkopfe tiefer hinabgehend, sodaß es auch den Nacken noch bedeckte, was bei ihm als eine Familieneigentümlichkeit hervortrat; seine Gesichtsbildung war edel, doch von häufigen plötzlichen Schwellungen Sogenannten »Hitzblüten«, Geschwüren, die man im gemeinen Leben »Pickel« benennt. entstellt, mit sehr großen Augen, mit denen er, was wunderbar war, auch bei Nacht und im Finstern sah, doch nur kurze Zeit und bald nachdem sie sich vom Schlafe geöffnet hatten; dann pflegten sie wieder schwächer zu werden. Er schritt einher mit steifem, nach hinten übergebogenem Nacken und meist immer scharf angestrafften Mienen. In der Regel schwieg er und sprach auch mit seiner nächsten Umgebung entweder gar nicht oder selten und in sehr langsam gezogener Rede, die er immer mit einer gewissen gezierten Bewegung der Finger begleitete, – lauter Dinge, die schon Augustus als unangenehm und als Zeichen der Anmaßung an ihm tadelte und in seinen Ansprachen an Senat und Volk durch die Bemerkung zu entschuldigen suchte: » es seien Naturfehler, nicht Charakterfehler«. Er erfreute sich einer höchst glücklichen Gesundheit, die auch während seiner ganzen Regierungszeit fast unangefochten blieb Was denn doch darauf schließen läßt, daß die auch von Sueton ihm nachgesagten ungeheuren Ausschweifungen durch die Berichte seiner Feinde sehr übertrieben worden sein müssen., obschon er seit seinem dreißigsten Jahre seine Lebensweise nach eigenem Gutdünken ohne Hilfe und Beirat der Ärzte regelte.

69. Aus den Göttern und deren Verehrung machte er sich nicht viel, da er stark an Astrologie glaubte und überzeugt war, daß alles vom Fatum bestimmt werde. Donnerschläge jedoch flößten ihm große Angst ein, und sobald der Himmel sich etwas stärker bezog, trug er immer einen Lorbeerkranz auf dem Haupte, weil, wie man glaubt, dieses Laub nie vom Blitzstrahle berührt wird.

70. Die Litteratur beider Sprachen trieb er mit großem Eifer. Im lateinischen Prosastile schloß er sich dem Corvinus Messalla an, den er in seinen jungen Jahren, obschon derselbe bereits ein Greis war, viel gehört hatte. Doch machte er durch Affektation und ängstliche Wortklauberei seinen Stil dunkel, sodaß er bedeutend besser aus dem Stegreif, als vorbereitet sprach. Auch verfaßte er ein lyrisches Gedicht, das den Titel führt: Klagegesang über Lucius Cäsars Tod. Auch griechische Gedichte hat er gemacht, in denen er den Euphorion, Rhianus und Parthenius nachahmte, Dichter, an denen er großen Gefallen fand und deren Schriften und Büsten er in den öffentlichen Bibliotheken unter den alten und mustergiltigen Schriftstellern D. h. wie wir sagen würden »unter den Klassikern«. Die drei genannten Dichter dichteten im alexandrinischen Geschmack, in einem teils schwülstigen und dunklen, teils weichlichen Stile. Parthenios war Zeitgenosse des Tiber, die anderen lebten früher, unter den ersten Ptolemäern. aufstellen ließ, weshalb denn auch viele Gelehrte sich wetteifernd beeilten, diese Dichter zu kommentieren und ihm die Kommentare zu widmen. Das größte Interesse jedoch hatte er für die Kenntnis der Fabelgeschichte und ging darin bis zum Läppischen und Lächerlichen. Denn bald stellte er die Grammatiker, Leute, mit denen er, wie schon gesagt, besonders gern verkehrte, durch Fragen folgender Art auf die Probe, wie z. B.: » Wer die Mutter der Hekuba gewesen? Wie Achill unter den Mädchen Unter den Töchtern des Lykomedes auf Skyros, wo Achill als Mädchen verkleidet lebte. geheißen? Was die Sirenen gewöhnlich für Lieder gesungen?« Und am ersten Tage, wo er nach dem Ableben Augusts die Kurie betrat, brachte er, um gleichzeitig der kindlichen Liebe und der Religion genugzuthun, unter Berufung auf Minos Vorgang, der es vor alters bei dem Tode seines Sohnes ebenso gemacht, ein Opfer mit Weihrauch und Wein, aber ohne Flötenbegleitung dar.

71. Obschon er sonst der griechischen Sprache vollkommen mächtig war und sich gewandt und leicht in ihr ausdrückte, so bediente er sich ihrer doch keineswegs überall, zumal nicht im Senate, wo er sich derselben so streng enthielt, daß er einmal, als er das Wort »Monopolium« brauchte, um Entschuldigung dafür bat, daß er sich eines Fremdworts bedienen müsse. Ja, als einmal in einem Dekrete des Senats, das man ihm vorlas, das griechische Wort »Emblem« vorkam, trug er darauf an, das Wort zu ändern und ein heimisches statt des fremden an die Stelle zu setzen oder, wenn sich solches nicht finde, es lieber durch eine Umschreibung mit mehreren Wörtern auszudrücken. Einem Soldaten, den jemand auf griechisch um sein Zeugnis vor Gericht ansprach, verbot er, anders als lateinisch diesem Verlangen zu entsprechen. Wie es scheint, war jener ein Grieche und der Soldat ein Römer, der indessen der griechischen Sprache kundig war.

72. Nur einmal während der ganzen Zeit seiner Zurückgezogenheit nahm er einen Anlauf, nach Rom zurückzukehren. Das eine Mal fuhr er in einem Dreiruderer bis an die Gärten in der Nähe der Naumachie Es waren die »kaiserlichen Gärten«, an welche das Bassin grenzte, das Augustus für das beliebte Schauspiel der »Seegefechte« hatte ausgraben lassen. Dies Bassin hieß »Naumachie«. Vgl. Sueton, Augustus 43, Nero 27; Titus 7., während am Tiberufer aufgestellte Militärposten die ihm aus der Stadt Entgegenkommenden entfernen mußten. Das zweite Mal kam er auf der Appischen Straße bis zum siebenten Meilensteine, kehrte jedoch beide Male wieder um, nachdem er nur aus der Ferne einen Blick auf die Mauern der Stadt geworfen hatte, ohne sie zu betreten. Das erste Mal weiß man nicht warum, das zweite Mal warnte ihn ein Vorzeichen. Zu seinen Vergnügungen gehörte nämlich eine große gezähmte Schlange; als er nun dieselbe wie gewöhnlich füttern wollte und sie von Ameisen verzehrt fand, sah er darin eine Mahnung, sich vor der Übermacht der Menge zu hüten. Er kehrte also eiligst nach Kampanien zurück, verfiel aber bereits zu Astura in ein Erschlaffungsfieber. Nachdem er sich davon ein wenig erholt hatte, setzte er die Reise bis nach Circeji Astura, jetzt Torre d'Astura, Städtchen auf einer Insel des Flusses Astura, der nicht fern vom Vorgebirge Circello, wo das alte Circeji lag, ins Meer fließt. Vgl. Gregorovius, Figuren S. 227 ff. fort. Um nun seine Schwäche nicht zu verraten, wohnte er nicht nur den Lagerspielen bei, sondern schoß sogar selbst mit Wurfspießen auf einen in die Arena gelassenen Eber von seiner Loge herab. Aber unmittelbar darauf fühlte er heftige Seitenkolik, die in starken Schweiß überging, und da ihn während desselben ein Zugwind traf, wurde daraus ein verschlimmerter Rückfall in seine Krankheit. Trotzdem hielt er sich noch eine geraume Zeit hin, obschon er bis nach Misenum weiter fuhr und nichts an seiner täglichen Lebensordnung änderte, ja nicht einmal das üppige Tafeln und die sonstigen Lustgenüsse unterließ, teils aus wirklicher Unenthaltsamkeit, teils aus absichtlicher Verstellung. So hieß er seinen Arzt Charikles, der, im Begriff, eine Urlaubsreise anzutreten, sich bei der Tafel verabschiedete und dabei seine Hand ergriff, um sie zu küssen, – weil er glaubte, jener wolle ihm den Puls befühlen, – noch bleiben und wieder bei der Tafel Platz nehmen, und verlängerte dieselbe bis in die tiefe Nacht hinein. Dasselbe erzählt Tacitus. Annalen VI, 50. Ebenso behielt er auch in seinem damaligen Zustande die Gewohnheit bei, in der Mitte des Speisezimmers stehend, mit einem Liktor zur Seite, die sich Verabschiedenden einzeln, jeden mit namentlicher Begrüßung, zu entlassen.

73. Inzwischen hatte er in den Senatsprotokollen gelesen, daß gewisse Angeklagte, über die er nichts weiter nach Rom geschrieben hatte, als daß der Angeber sie (als verdächtige Personen) namhaft gemacht habe, selbst ohne Verhör entlassen seien. Voll Unwillen über diese ihm, wie er finster vor sich hinmurmelte, angethane Verachtung, beschloß er, auf jede Gefahr hin wieder nach Capri zurückzukehren, da er sich erst in Sicherheit sehen wollte, ehe er irgend eine der ihm nötig scheinenden Maßregeln ergriffe. Allein er ward teils durch widriges Wetter, teils durch die zunehmende Heftigkeit der Krankheit zurückgehalten und starb bald darauf in der Lukullischen Villa im achtundsiebzigsten Jahre seines Alters, im dreiundzwanzigsten seiner Regierung, am 16. März, unter dem Konsulat des Cnejus Acerronius Proculus und des Gajus Pontius Nigrinus. Manche glauben: es sei ihm vom Gajus ein langsam wirkendes, abzehrendes Gift beigebracht worden; andere: man habe nach einem unvermutet aufhörenden Fieberanfalle ihm Nahrung, die er verlangte, versagt; einige: er sei mit einem Kissen erstickt worden, als er den ihm bereits abgezogenen Ring beim Wiederzusichkommen aus der Ohnmacht wiederverlangt habe. Seneca D. h. Seneca, der Vater des philosophischen Prinzenerziehers, ein Schriftsteller, der ein Geschichtswerk über die Zeit vom Anfange der Bürgerkriege bis zu seinem Tode, d. h. bis auf die Zeit Caligulas, verfaßt hatte, dessen Regierungsantritt er nicht lange überlebte. Das Werk umfaßte etwa achtzig Jahre und gehörte zu den vorzüglichsten historischen Memoiren der Zeit. (Siehe Egger a. a. O., S. 137 ff.) schreibt: er habe, als er sein Ende nahe gefühlt, sich selbst den Ring, als wenn er ihn jemand reichen wollte, abgezogen und ihn eine Zeitlang in der Hand gehalten; dann habe er ihn wieder an den Finger gesteckt und sei mit zusammengepreßter Hand lange unbeweglich still dagelegen; plötzlich habe er seine Diener gerufen, und da niemand antwortete, habe er sich vom Lager erhoben und sei nicht weit von demselben, da ihn die Kräfte verließen, tot zu Boden gestürzt.

74. An seinem letzten Geburtstage hatte ihm geträumt, der Temenitische Apoll Diese Apollostatue von Temenos, einem Orte nahe bei Syrakus so benannt, stand in der »Neustadt« von Syrakus und war ein hochberühmtes Kunstwerk selbst in der an plastischen Kunstwerken so reichen Stadt. ( Cicero, Rede gegen Verres II, 4, Kap. 53.), ein ebenso kolossales als vorzügliches Kunstwerk, das er von Syrakus hatte nach Rom bringen lassen, um es in der Bibliothek eines neuen Tempels Vgl. oben Kap. 47. weihend aufzustellen, sei ihm erschienen und habe ihm die Versicherung gegeben: » es sei unmögliche daß er (der Gott) von ihm geweiht werde«. Wenige Tage vor seinem Tode stürzte der Leuchtturm auf Capri durch ein Erdbeben zusammen; und zu Misenum fing die Staubasche, welche aus der in das Speisezimmer, um es zu erwärmen, gebrachten Kohlenglut und Loderasche noch geblieben und längst erloschen und erkaltet war, plötzlich mit Beginn des Abends wieder an aufzuglühen und leuchtete anhaltend bis tief in die Nacht hinein.

75. Sein Tod versetzte das Volk in solchen Freudentaumel, daß auf die erste Nachricht alles durch die Straße lief, bald mit dem Rufe: » In den Tiber mit dem Tiberius!«, bald unter Anrufung der Mutter Erde und der Todesgötter: »daß sie dem Toten keine Stätte, als nur unter den Verdammten, verleihen möchten«, während wieder andere den Leichnam mit »Haken und Gemonien« bedrohten, erbittert nicht nur durch das Gedenken an seine frühere Grausamkeit, sondern auch durch eine Scheußlichkeit von ganz frischem Datum. Da nämlich, einem Senatsbeschlusse Dieser Senatsbeschluß ward im Jahre 774 der Stadt gegeben, wie Tacitus (Annalen III, 51) und Dio Cassius (57, 20) bezeugen. zufolge, die Vollziehung der Todesstrafe der Verurteilten immer erst am zehnten Tage nach der Urteilsfällung eintreten durfte, so wollte es der Zufall, daß der Tag, wo die Nachricht von Tibers Tode eintraf, für mehrere Verurteilte der Hinrichtungstag war. Da nun Gajus noch von Rom entfernt und so niemand vorhanden war, an den man sich hätte wenden und ihn befragen können, so erwürgten die Wächter, um nicht gegen das Gesetz zu handeln, diese Unglücklichen, welche vergeblich um Erbarmen flehten, und warfen sie in die Gemonien. Dio Cassius sagt jedoch, daß sie vielmehr freigelassen wurden, bis auf einen, der sich selbst entleibte. So steigerte der Gedanke, als wirke die Grausamkeit des Tyrannen auch noch nach seinem Tode fort, den Haß gegen ihn. Als sich der Zug mit der Leiche von Misenum aus (nach Rom) in Bewegung setzte, riefen viele Stimmen: » lieber nach Atella soll man ihn bringen und dort auf dem Theater etwas anbraten Ich finde nicht, daß irgend ein Ausleger diesen letztern, offenbar sehr bitter gemeinten Volkswitz erklärt. Vielleicht wollte das Volk, dem bekanntlich Tiber nie Amphitheaterspiele gab, sich wenigstens an seiner Leiche eine Art solcher Augenweide verschaffen und, da es dem Lebenden nichts hatte anhaben können, wenigstens den Toten in dem ersten Amphitheater, das in der Nähe von Misenum zu finden war, »ein bischen anrösten«. Dies aber war das Amphitheater zu Atella, der lustigen Vaterstadt der Atellanischen Volkskomödie.!« Indes ward der Leichnam von den Soldaten nach Rom getragen und dort feierlich verbrannt und bestattet.

76. Ein Testament hatte er zwei Jahre zuvor gemacht, in zwei übrigens ganz gleich lautenden Exemplaren, deren eins von seiner eigenen Hand, das andere von einem Freigelassenen geschrieben war. Zu den unterschreibenden Zeugen hatte er ganz geringe Leute genommen. In diesem Testamente setzte er seine Enkel, Gajus, des Germanicus Sohn, und Tiberius, des Drusus Sohn, zu gleichen Teilen als Erben ein und substituierte sie gegenseitig einander. Auch viele Legate setzte er aus, namentlich für die Vestalischen Jungfrauen, aber auch für die Soldaten insgesamt und für jeden einzelnen Mann aus dem Volke, desgleichen noch ganz besonders für die Aufseher der Straßenquartiere von Rom.


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