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Guten Abend! – Mir scheint, Sie haben heute etwas vor. Es duftet im Korridor so eigentümlich nach Eau de Cologne und Bügeleisen. – Auf den Ball wollen Sie gehen . . .? So, so – adieu!
Bleiben soll ich, soll Ihnen, bis die Friseurin kommt, die Zeit vertreiben? Und wenn Sie mir ein tête-à-tête bis Mitternacht versprächen, ich liefe doch davon, solange Friseurin und Jungfer im Hintergrunde lauern. Mit zwei so einflußreichen Damen kann unsereins nicht konkurrieren. Oder soll ich etwa die paar bescheidenen Chancen, die ich bisher bei Ihnen hatte, mutwillig aus den Händen geben? –
Nein, nein, ich geh' auf der Stelle.
Oder vielmehr, ich bleibe, damit ich Ihnen beweise, warum es gut ist, daß ich nicht bleibe.
Ich könnte dabei mit Adam und Eva beginnen und Ihnen sagen: Wäre Eva zur richtigen Zeit auf die Idee gekommen, daß es für das Weib geraten ist, sich dem Manne seiner Wahl so schön geputzt wie möglich zu präsentieren, 168 jenes folgenschwere Ereignis, das die Bibel den »Sündenfall« benennt, hätte niemals stattfinden können. Ihr Interesse wäre von Anfang an durch die kleinen Künste der Toilette so sehr in Anspruch genommen worden, daß sie den Zweck derselben vollkommen außer acht gelassen und Adam niemals Gelegenheit gefunden hätte, in den süßen Apfel zu beißen.
Ich könnte ferner, um beim Obste zu bleiben, den braunlockigen Hirten des Ida in den Kreis meiner Betrachtungen ziehen, aber ich glaube, diese Philosophie der Geschichte würde uns zu weit führen.
Halten wir uns an die Gegenwart!
Wenn der Mann, frisiert und parfümiert mit dem ganzen Apparat modischer Unarten ausgerüstet, zum Balle geht, so träumt er sich in ritterliche Romantik hinein und schmiedet aus sich einen Helden – den Helden, den er begreift. – Die Frau macht eine andere Wandlung durch. Sie wird zur Statue.
Ja, zur Statue, sag' ich. Oder haben Sie noch nie bemerkt, mit welch lebloser Starrheit in Mienen und Gebärden das Gros der Frauen einen Ballsaal betritt? Wie leer selbst der leuchtendste Blick, wie automatenhaft selbst das bezauberndste Lächeln?
Was diese Erscheinung bewirkt, weiß ich nicht. Ob das landläufige Weiß des Festgewandes mit seinen steinern festgelegten Falten, ob der marmorhafte Schimmer des entblößten Busens, der sich hier in antiker Unbefangenheit profanen Männeraugen preisgibt – ich lass' es dahingestellt. – Vielleicht ist es latentes Schamgefühl ob dieser Blöße, vielleicht jener geheimnisvolle Instinkt der Mimicry, 169 derselbe Instinkt, der die Schmetterlinge bewegt, Form und Farbe lebloser Blätter anzunehmen, um sich vor nachstellenden Blicken zu schützen, vielleicht – und dafür würde ich am ehesten plaidieren – das Uebermaß der Eitelkeit selber, das geradezu versteinert wirkt.
Wie meinen Sie? Ich solle keinen Unsinn schwatzen? – Ich red' im Ernst, in heiligem Ernst. – O, ich weiß, was Sie mir einwerfen wollen: ob denn ein Ballgewühl mit seinem Kreuzfeuer glühender Blicke, mit seiner wildgraziösen Lässigkeit und dem wellenschlagenden Meer fiebernder Atemstöße einem Saal voll toter Statuen gleiche?
Hören Sie mich nur weiter! Mein Bild hat sich gar bald geändert. Denn kaum sind die ersten Klänge durch den Saal gerauscht, kaum haben die ersten Hände in leisem Drucke sich gefunden, so beginnt langsam und unwiderstehlich der Prozeß der Wiederbelebung, jene entzückende Auferstehung des Fleisches, die ihren jüngsten Tag am jungen Tage feiert.
Das Weib, das in der Dämmerung des Toilettenzimmers beim Rauschen und Rieseln des neuen Festgewandes, beim schmeichlerischen Widerschein des matterhellten Spiegels zu Marmor erstarrte, jetzt wird es wieder zum Weibe. – Mancher walzende Pygmalion sieht die Galatea, die er als Statue empfing, an seiner Brust zu heiß atmendem Leben erwachen, und was in Eitelkeit begann, endet in Liebe.
Wehe aber dem Manne, der es nicht versteht, den Zeitpunkt der Wiederbelebung abzuwarten, der es wagt, mitten in die Hypnose der Eitelkeit mit täppischen Gefühlen hinein zu greifen! Gefahren warten seiner – Gefahren –
170 Sie lachen mich aus. Das ist kein schöner Zug von Ihnen, das fordert Rache. – Und da ich den Dolch stets im Gewande trage, so will ich Ihnen auf der Stelle – eine Geschichte erzählen. Härter kann eine Frau, die auf den Ball gehen will, wohl kaum bestraft werden. – Also:
Einer meiner ältesten Bekannten in Berlin ist Robert F . . ., der begabte Historienmaler, derselbe, dessen vorvorjähriges Bild: »Gruppe aus dem Tartarus« haarscharf an der Medaille vorüberschlüpfte.
Ich kannte ihn noch von unseren gemeinsamen Studienjahren her, als er in einer fürchterlichen Flausjacke mit langwallenden Locken und schwärmerischem Augenaufschlag zum Aktsaal wanderte. – Wir haben dazumal zu mancher späten Nachtstunde im »Café latin« mitsammen am Biertische gesessen und uns mit glühenden Gesichtern die titanischen Ideen offenbart, die in unseren unreifen Hirnen spukten.
Sodann verloren wir uns aus dem Gesichte, und als ich ihn nach Jahren wieder traf, waren die Locken gefallen, und die schwärmerischen Augen blickten hinter goldenem Klemmer scharf und weltklug in die Runde. Auch trug er einen Frack, dessen Schnitt die fashionable Herkunft nicht verleugnete, und was mehr sagen will, er verstand ihn zu tragen.
Wir setzten uns in einen Winkel, warfen wehmütig spottend den begrabenen Idealen eine Hand voll Erde nach und erneuerten die alte Freundschaft.
Bald darauf hörte ich seinen Namen häufiger an mein Ohr schlagen. – Man sprach viel von seinen Bildern, aber mehr noch von den Aufmerksamkeiten, welche er der schönen Frau Edith X. – Edith genügt wohl? – erwiesen haben 171 sollte. – Man wußte sich allerhand kleine, pikante Sächelchen zu erzählen, wie er heimlich in dem Wagen gesessen habe, der sie aus der Oper holen kam, wie er mit ihr en deux auf einer Mondscheinpromenade am Neuen See betroffen worden sei, und war gütig genug hinzuzufügen, daß sein Ruf dadurch keinen Schaden nehme.
Ich hielt es für meine Pflicht, ihn bei unserem nächsten Zusammentreffen schonend von dem Geträtsche zu unterrichten.
»Es ist ihre Schuld,« murmelte er zwischen den Zähnen, »warum zögert sie?«
»Sie lieben diese Frau?«
»Ich bete sie an.« Und in seinen Augen erglomm ein Schimmer der alten Jugendschwärmerei.
Wenige Tage darauf – an ihrem jour fixe – führte er mich bei Frau Edith ein, und ich sah mit eigenen Augen, wie die Sachen standen.
Frau Edith war Witwe, eine von den begnadeten Witwen, die der liebe Gott eigens für diesen Beruf geschaffen zu haben scheint, wie ich – in Parenthese – überhaupt der Ansicht bin, daß das junge Mädchen bereits als junge Witwe auf die Welt kommen sollte.
Frau Edith war schön, – das Gerücht sprach nicht zu viel von ihr. Noch sehe ich sie vor mir, wie die hohe Gestalt, die am Kamine unter einem Baldachin von Pfauenfedern nachlässig im Sessel ruhte, sich langsam in graziöser Trägheit aufrichtete, den Fremdling zu empfangen, wie das volle, blasse, dunkeläugige Antlitz, das die matt umschirmte Lampe mit rosigem Schimmer überhauchte, sich zu einem scheinbar vielsagenden Lächeln des Willkomms verklärte und 172 dann wieder in Ernst erstarrte. – Wahrlich, sie überstrahlte alles, was an Weiblichkeit in ihrem Salon sich bewegte, und wiewohl sie die Anspruchslosigkeit der Wirtin nie verletzte, so vernahm ich doch gar bald, was Pfauenwedel und Lampenschleier mir zuflüsterten, und erkannte, daß Frau Edith nicht umsonst bei Künstlern in die Schule gegangen war.
Seither verkehrte ich viel und gern bei ihr, und nie hatte ich einen verlorenen Abend zu beklagen, stand doch ihre Thür allen offen, die sich durch Geist oder künstlerische Leistungen zu legitimieren wußten. Der Ton war nicht allzu strenge, aber auch nicht so lax, daß man versucht gewesen wäre, sich gehen zu lassen; und wenn sie von ihrem Throne aus einen gewahrte, der gar zu oft die Hände küßte oder sich gar zu nah nach einem rosigen Ohre hinüberneigte, so winkte sie ihn mit entzückender Vertraulichkeit in ihren Kreis, indem sie sagte: »Lieber Freund, die Herren hier sind so furchtbar langweilig, – machen Sie mir ein bißchen den Hof – Sie verstehen's ja.«
Dies hieß ungefähr: »Du bist unartig gewesen, mein Sohn, stell' dich in den Winkel.«
Doch um auf meinen Freund F . . . zurückzukommen: in diesem Salon mit den Pfauenfedern galt er richtig schon als Hausherr, – pflegte doch, wer hinsichtlich des Büffetts von einigen Wünschen beseelt war, sich vertrauensvoll an ihn zu wenden. – Man war sich klar darüber, daß die Verlobung binnen kurzem publik werden würde, und auch ich zweifelte nicht daran.
Da – auf dem Künstlerfeste, das im Centralhotel gefeiert wurde, bemerkte ich, daß er in eigentümlicher Weise um sie herumschlich und sich ihr nur näherte, wenn es galt, 173 zu repräsentieren. Das wunderte mich um so mehr, als er zu dem Feste eigens aus Thüringen herübergekommen war, wo er den melancholischen Speisesaal eines alten Fürstenschlosses mit griechischen und römischen Gelagen zu erheitern hatte.
Am anderen Morgen besuchte ich ihn, aber er war in der Frühe schon wieder abgereist.
Die Wochen vergingen, F . . . kehrte zurück; aber der Stuhl gegenüber den Pfauenfedern, den wir anderen ihm rücksichtsvoll zu reservieren pflegten, blieb leer . . .
Und ein Vierteljahr später überraschte mich ein Kärtchen:
Frau Edith X.
Kommerzienrat Y.
Verlobte.
Das war im Frühling. Im Sommer darauf fand die Vermählung statt, bei welcher ein Toast auf Frau Ediths nächste fröhliche Witwenschaft, von einem unserer geistvollsten Bankiers in Weinlaune gehalten, gerechtes Aufsehen hervorrief; und als das junge Paar im Herbste aus Capri zurückkehrte, wo Herr Y im Angeln überraschende Resultate erzielt haben soll, öffnete Frau Edith ihre neuen Salons einer Geselligkeit in großem Stile.
Die alten Freunde fanden sich vollzählig ein, versuchten eine Weile der zudringlichen und protzenhaften Gastfreundschaft des Herrn Y. gegenüber stand zu halten und blieben dann einer nach dem anderen aus. So auch ich. F. war der einzige, der nie zu sehen gewesen.
Und wieder kam das Künstlerfest heran.
174 Es war noch früh am Abend. Erst allmählich begann der große Saal des Wintergartens sich zu füllen, der in dem blaßblau verschleierten Lichte seiner elektrischen Sonnen gar seltsam und exotisch dreinschaute.
Einer der ersten, die mir entgegentraten, war Freund F. Froh, ein vertrautes Gesicht zu sehen, hing ich mich an seinen Arm, ging mit ihm eine Weile vor den maurischen Säulenhallen spazieren, die strebsame Akademiker mit viel Gold und noch mehr Pappe an den Wänden hervorgezaubert hatten, ließ das flimmernde Naß der Fontäne über mich herstäuben und blieb schließlich an seiner Seite auf der Terrasse der großen Treppe stehen, wo, wie Sie wissen, der ganze Schwarm der Ankommenden defilieren muß.
Eine Flut von Spitzen, Mull und Samt wogte an uns vorüber, eine Flut, auf der Brillanten funkelten wie Sonnenlichter, die spielend über die Wellen huschen, und aus welcher bald ein Arm, bald eine Schulter weißleuchtend emporstieg, als solle die Geburt Anadyomenens sich hier erneuen und vervielfältigen.
F.'s Künstlerauge schwelgte, und mein Laienauge nicht minder.
Und plötzlich fühlte ich ein Zucken seines Armes, der sich hastig aus dem meinen löste. Eh' ich ihn fragen konnte, war er von meiner Seite verschwunden und in das Gewühl der hinteren Reihen zurückgetreten.
In diesem Augenblicke traf mich der leichte Schlag eines Fächers.
Frau Edith, am Arme ihres wohlbeleibten Gatten, rauschte an mir vorüber.
Sie war schöner denn je. Ihr schwarzes Auge brannte 175 in sieghaftem Feuer, stolz wiegte sich ein Solitär in ihren locker geschlungenen Flechten, und die dunkelroten Centifolien die in S-förmiger Guirlande von der linken Achsel bis zur Taille hinuntersanken, schienen ihre Kelche der blendenden Haut wie zum Kusse entgegenzuneigen.
Ich schlug in schuldiger Ekstase die Augen zum Himmel.
Sie quittierte mit einem Lächeln, und ihr Gatte mit einer Einladung zum Abendbrot.
Ich dankte. Ich lehne gewöhnlich ab, wenn er mich einladet.
Während diese Verhandlung ihr rasches Ende fand, bemerkte ich, wie Frau Edith mit zerstreuter, wartender Miene an mir vorüberspähte und dann plötzlich mit leisem Neigen den bezauberndsten, den vielsagendsten ihrer Grüße in die Ferne sandte.
Unwillkürlich wandte ich mich um. Da stand F., der die Reihen nicht hatte durchbrechen können, lächelnd, doch blaß vor Erregung, wie erstarrt in der devoten Verbeugung, mit der er das Weib seines Herzens begrüßt hatte.
Und eine Sekunde später hatte das Gewühl sie alle verschlungen.
Eine halbe Stunde verging, da fand ich F . . . in dem Winkel eines der Vorsäle einsam vor einer Rotweinflasche sitzen.
Ich holte mir ein zweites Glas und setzte mich ihm gegenüber.
»Haben Sie Vertrauen zu mir, alter Freund,« sagte ich, »es wird Ihnen leichter ums Herz werden.«
»Ich wünschte, ich hätte Ihnen etwas zu vertrauen,« erwiderte er mit grellem Auflachen.
176 »Und Sie lieben sie nicht mehr?«
»Wer seine Liebe verkauft, der hat das Recht auf Liebe verwirkt.«
»Warum also brüten Sie vor sich hin?«
»Weil ich ein Rätsel lösen will.«
»Welches Rätsel?«
»Wie ich mit ihr auseinander kam.«
»Das wissen Sie nicht?«
»Ich ahne es nicht einmal.«
Verständnislos sah ich ihn an. Mir war, als ob er ein Märchen erzähle.
»Hören Sie zu,« fuhr er fort. »Vielleicht sind Sie im stande, Licht in dieses Dunkel zu bringen. – Ich habe dieses Weib geliebt, – das wissen Sie – zwei Jahre lang scheu und verschwiegen; und als ich mir endlich ein Herz faßte und ihr mit schüchterner Werbung näher trat, da bot mir ein freundliches Lächeln, ein verstohlener Händedruck Hoffnung auf höchstes Erdenglück. – Aber unsere Beziehungen änderten sich darum nicht. Und wenn sich ihre Seele mir auch ganz eröffnete, wenn beim Alleinsein auch hier und da eine bescheidene Liebkosung gewährt und wohl gar erwidert wurde, mehr als ein treuer, anspruchsloser Freund ward ich ihr nicht. Meinen Heiratsplänen aber ging sie aus dem Wege, und sie that recht daran, denn meine Position war noch nicht derart, uns beiden ein behagliches Dasein zu sichern. So vergingen anderthalb Jahre.
Da kam im vorigen Herbste meine Berufung nach Schloß Eckartsburg, von der Sie wissen. – In dem düstern, himmelhohen Saale, in dessen plumpen Kaminen von morgens 177 früh bis in die Nacht mächtige Scheiterhaufen brannten, damit mir und meinen Gehilfen der Pinsel nicht aus den erstarrten Fingern falle, stand ich während der knappen Tagesstunden, wie im Traume schaffend, auf dem hohen Gerüste und ließ meine Sehnsucht in kecken, glutatmenden Gebilden auf die kahlen Wände hinausströmen, rosenbekränzte Weiber, halbnackte Thyrsosschwingerinnen, das ganze holde Gesindel des Genusses. Und je mehr ich malte, desto mehr entzündete sich meine Phantasie, so daß sie wie im Fieberrausch dahinschritt. Und von diesem Fieberrausch durchtränkt waren auch die Briefe, die ich an den langen Winterabenden in der öden, hochgewölbten Halle meines Schlafzimmers an die Geliebte richtete. – All' die Leidenschaft, die ich mehr als ein Jahr lang mühsam zurückgedrängt hatte, kam nun jählings zum Durchbruch.
Hinterher erschrak ich ob der Glut dessen, was ich geschrieben, und die Furcht erfaßte mich, daß ihre Neigung sich nun in Widerwillen verwandeln könne. Ich wollte per Eilboten Entschuldigungsbriefe hinterher senden, sie solle nicht allzu strenge mit mir ins Gericht gehen, nicht ich sei's, der so zu ihr zu sprechen wage, der ruhige, bescheidene Freund, den sie von jeher gekannt; ein Wahnwitziger sei's, dem ein Bacchantenreigen den armen Kopf verrückt habe. Aber diese Briefe blieben ungeschrieben.
Als ihre erste Antwort kam, zitterte ich wie ein Schulbube. – Aber Gott sei gelobt: sie zürnte nicht. Nein, zwischen den Zeilen leuchtete ein schalkhaftes Lächeln hervor, und zum Schlusse gar stand – ich sah's mit diesen meinen trunkenen Augen, – stand ein langersehntes, stets verweigertes »Du«.
178 Freund F . . . unterbrach sich und maß mich mit strafendem Blicke. »Wenn Sie hier lächeln wollen,« sagte er, »erzähl' ich überhaupt nichts mehr.« – Ich versprach es nicht wieder zu thun, und er fuhr fort:
»Dem Briefe folgte ein zweiter, ein dritter; bald schrieb auch sie mir täglich. Und von Tag zu Tag erkannte ich mit wachsendem Entzücken, wie auch sie Feuer zu fangen begann, wie ein mühsam gedämpftes Liebesbedürfnis in abgebrochenen Zwischenreden, verstohlen zwar, doch öfter und öfter emporloderte.
Zu derselben Zeit kam das Künstlerfest heran, das ich dieses Mal nicht mit ihr zusammen feiern sollte. Und um wie viel stolzer und freier hätte ich nun an ihrer Seite daherschreiten können, ein glücklicher Mann des Besitzes! Aber es durfte nicht sein.
Und sie schrieb:
»Komm, Lieber, komm! Ich sehne mich nach Dir – komm zum Feste! An Deinem Arme will ich den Saal durchwandeln! An Deinem Arme will ich ihn verlassen, glücklich, dem Getümmel entronnen zu sein! Komm, verscherze Dein Glück nicht – komm!«
Ich schlug mir mit der Faust vor die Stirn. Verstand ich recht oder träumte ich – sah ich Visionen?
Aber die Pflicht, die Pflicht! Wenn man hörte, daß ich die angefangene Freske im Stiche gelassen habe, um eines Balles willen! Meine Künstlerehre stand auf dem Spiel.
Ein kurzer, harter Kampf, und – ich schrieb ihr ab.
Der Morgen des Festes kam heran. Ein trüber, 179 naßkalter Februarmorgen. – Um zehn war es noch nicht Tag geworden.
Ein dumpfer Kopfschmerz wühlte mir im Hirn, und die Finger zitterten im Fieber des Ueberwachtseins.
»Wie? Wenn du krank wärest und doch nicht arbeiten könntest!« rief der Versucher in mir, »zudem bedenke die Dunkelheit – um drei wirst du doch schon Feierabend machen müssen.«
Dann packte mich eine plötzliche Wut. Ich schleuderte mein Handwerkszeug zur Seite, kleidete mich um und stürmte thalab zur Bahn hinunter. In einer Viertelstunde kam der Zug. Wenn ich ihn zur Zeit erreichte, konnte ich noch vor dem Balle in Berlin eintreffen.
Alles ging gut. Vom Coupé aus richtete ich ein Telegramm nach dem Schlosse, worin ich meine Abreise ankündigte und morgen wiederzukommen versprach, wiewohl ich im geheimen zweifelte, daß das geliebte Weib mich alsobald aus ihren Banden lassen werde.
Aber ich war in einer Laune, Ruhm und Zukunft, selbst das verpfändete Wort um ihretwillen daran zu geben.
Während der Fahrt saß ich regungslos in einen Winkel gedrückt und träumte mit geschlossenen Augen von dem Momente des Wiedersehens. Wie wird sie aufjauchzen, wie wird sie dir in die Arme stürzen, sie, die nichts von deinem Kommen ahnt, die sich mißmutig zum Balle schleppen läßt, weil sie keinen Grund zum Daheimbleiben findet.
Um sieben Uhr fuhr der Zug in die Bahnhofshalle.
Ich werfe mich in eine Droschke – eile in meine 180 Wohnung, bin in zehn Minuten ballmäßig umgekleidet und steh' um acht Uhr vor ihrer Thür.
Werd' ich zur Zeit kommen? Werd' ich sie noch zu Hause finden?
Ihr Zöfchen öffnet mir, das Brenneisen in der Hand.
»Die gnädige Frau?« flüstere ich.
»Bei der Toilette,« gibt sie mit schlauem Blicke in gleichem Flüstertone zurück. Sie hat die Situation begriffen.
Ich drücke ihr ein Geldstück in die Hand, groß genug, um sie mir für eine halbe Stunde zur Sklavin zu machen.
»Aber nichts verraten, Kind!«
»I, wo werd' ich denn!«
Sie faßt mich bei der Hand, denn im Korridor ist's heute dunkel, und führt mich auf Zehenspitzen in den kleinen roten Salon – Sie wissen – der neben Ediths Schlafzimmer liegt.
Dort drückt sie mich in einen Sessel.
»Pst – keinen Laut von sich geben!« flüstert sie.
Ich halte den Atem an. Das Herz klopft mir, als sollt' es die Brust in Stücke sprengen.
»Nun, Gustel, wo bleiben Sie?« hör' ich eine liebe, heißersehnte Stimme.
»Komm' schon, gnä'ge Frau.«
Sie hat rasch eine Lampe angezündet und schlüpft durch die Seitenthür, ja, sie thut noch ein Uebriges, die liebe Kleine, sie läßt diese Thür halb offen, so daß ich durch den schmalen Spalt der Angeln einen Teil des nebenliegenden Gemaches überschauen kann.
181 Ein Licht – das Stück eines Spiegels – und weiter unten etwas Weißes, das sich ein wenig hin und her bewegt – der Saum des Pudermantels sonder Zweifel, der über die Stuhllehne gebreitet ist.
Tiefatmend beug' ich mich zur Seite. Nun seh' ich auch ihren Kopf, den blumengeschmückten, seh' den weißen Nacken, den der gefältelte Kragen des Pudermantels in tiefem Bogen umrahmt.
Die Kehle schnürt sich mir zu in freudigem Bangen.
»Wer war denn da?« hör' ich wiederum ihre Stimme.
»Der Zeitungsmann,« antwortet die kleine Katze in gleichgültigstem Tone. »Er hat vorhin die Post statt des Kuriers abgegeben und wollt' nun man bloß –«
»Beeilen Sie sich, Kind, die Uhr hat acht geschlagen,« unterbricht sie Edith.
Ja, beeil' dich, beeil' dich, Kind, gib deinen Händen Flügel, sonst muß ich vergehen in meiner Qual!
Der Pudermantel bewegt sich, und ein blendender Arm hebt sich zum Haupte.
»Diese Flechte muß weiter in die Stirn.«
Ein schwarzer Schatten fährt an dem Spalt vorbei, dann steigt zischend ein kleines Wölkchen auf.
»Nicht zu heiß?«
»Nein, gnä'ge Frau!« Dann nach einer Weile: »Ist's so gut?«
»Ja. – Nun das Kleid.«
Ein leises Knirschen und Rascheln dringt an mein Ohr, dann füllt sich der Spalt mit einem gelblichen Nebel, aus welchem wie Mondlichtstrahlen die Reflexe schillernden Atlaszeuges hervorbrechen.
182 Der Nebel wogt und fällt, und Hals und Arme steigen leuchtend wie Gletscher daraus empor.
Ich muß meinen Ueberrock abwerfen, denn diese Gletscher beginnen es mir heiß zu machen.
Nun wird, nun muß sie doch kommen!
»Ein wenig Puder noch!«
»Ich brauch' keinen Puder,« möcht' ich rufen, »ich will dich ungepudert in meine Arme schließen.«
»Und nun die Rosen.«
Der Teufel hole die Rosen!
Und dann wird's still. Herrin wie Dienerin sind aus meinem Gesichtsfelde verschwunden; nur hin und wieder hör' ich ein leises Klirren, wie wenn eine Metallnadel auf einen steinernen Boden niederfällt.
Und das dauert – das dauert! Vor meinen Augen flimmert's – der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn.
Endlich ist sie fertig. Ich höre ihren Schritt, der, als wolle sie die Tanzschuhe prüfen, bald laut, bald leise, bald auf dem Absatz, bald auf den Zehen, quer durch das Zimmer gleitet; ich sehe die schillernde Gestalt, die, wie im Takte sich wiegend, am Spalte vorüberhuscht und dann vor dem Spiegel Halt macht.
»So – jetzt gehen Sie den Wagen besorgen, mein Kind! Die alten Herrschaften warten, daß ich sie abhole.«
Gustel schlüpft herein, schneidet mir leise auflachend eine Grimasse und verschwindet durch die Korridorthür.
Weiß Gott, das Schicksal verwöhnt mich. Auch das letzte Hemmnis schafft es beiseite.
»Edith, Edith!« will ich rufen. Mit Gewalt muß 183 ich mich an meinem Sessel festhalten, damit ich nicht im letzten Augenblicke den sorgsam aufgebauten Plan zerstöre.
Noch steht sie vor dem Spiegel, die Puderquaste in der Hand, tupft hier etwas auf, wischt dort etwas fort – seufzt – trällert – gähnt auch ein wenig. – Wie soll sie nicht gähnen? denk' ich, ahnt sie doch nicht, wen dieses Fest ihr bringen wird.
Nun naht sie der Thür. – Das Herz droht mir stille zu stehen – – –
Da ist sie. Strahlend, rosenbekränzt, gleich den Weibern auf meinem Bilde, und doch wie ruhig, wie hoheitsvoll, wie unnahbar kühnem Begehren.
Sie sieht mich. – Ein kleines erschrockenes »Ah!« entfährt ihrem Munde – – –
Ich schrei' laut auf – ich breite die Arme aus – ich stürz' auf sie zu, und – Freund, in diesem Augenblicke saust der Schwertstreich auf mich herab.
»Aber bitte – – –!« sagt sie, und drei Schritte zurücktretend, streckt sie in kühler Abwehr die Hände gegen mich aus.
»Edith!« schrei' ich noch einmal.
Ich taumle zurück – ich presse die Fäuste vors Gesicht – – –
Sie scheint sich zu besinnen und will mir in gemessener Freundlichkeit die Rechte zum Willkomm reichen.
Ich aber lache laut auf, raffe Hut und Mantel zusammen und stürze zur Thür hinaus. – – –
Was war geschehen, das sie mir so rasch hatte entfremden können! War ein anderer gekommen?
184 Die Eifersucht schnürte mir die Kehle zu – wie ein Wilder raste ich durch die Straßen. – Am liebsten wär' ich dem Balle ferngeblieben, wär' auf der Stelle zurückgereist, aber den Triumph mocht' ich ihr nicht gönnen.
Ich that also, als ob nichts geschehen wäre, und als ich sie zwei Stunden später im Kreise ihrer Verehrer vorfand, war ich so höflich zu ihr, als es die Höflichkeit irgend gestattete.
Sie vergalt mir mein Benehmen durch die entsprechendste Kühle, und als wir nach Mitternacht schieden, waren wir fertig miteinander, ohne daß auch nur ein böses Wort gesprochen worden.
Ein Vierteljahr später wechselten wir auf ihren Wunsch die Briefe aus, und – voilà tout.«
Er schwieg und starrte mit verbissenem Lächeln in sein Glas.
»Und Sie haben nie eine Aufklärung gefordert?« fragte ich, noch ganz bestürzt über den rätselhaften Ausgang.
»Was sollt' es nützen?« erwiderte er achselzuckend. »Dieses Weib weiß genau, was es will. Während ich, ihren letzten glühenden Brief auf dem Herzen, fiebernd vor ihrer Thür saß, war sie sicherlich schon längst entschlossen, mir den Laufpaß zu geben. – Nur das ›Warum?‹ möcht' ich kennen, das ›Warum?‹«
»Vielleicht spielt ihr jetziger Gatte –«
Er schüttelte hastig den Kopf. »Danach hab' ich mich wohl erkundigt,« erwiderte er, »den hat sie erst später kennen lernen. Wenn Sie keinen anderen Grund in petto haben, Sie, der Sie Menschenkenner sein sollen!« –
185 Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf.
»Wissen Sie was, F . . .? ich werde sie selber fragen.«
»Sie wollten, Mensch, Sie wollten?«
»Ganz einfach – hier – gleich.«
* * *
Nun, gar so einfach war die Sache nicht, und fast zwei Stunden brachte ich lauernd in Frau Ediths Nähe zu, um einen günstigen Augenblick für mich zu erraffen. – Jetzt that es mir beinahe leid, die Einladung ihres Gatten so schroff zurückgewiesen zu haben; aber daran ließ sich nichts mehr reparieren.
Ich wartete also, bis an seinem Tische, wo eine geräuschvolle Lustigkeit sich breit machte, die Cigarren angezündet wurden.
»Ah, da sind Sie ja, Sie Ausreißer!« schrie der Kommerzienrat mir von weitem entgegen. – »Nun kommen Sie zu spät – die Hummern waren sehr gut. – Ausgezeichnet waren die Hummern. – Wollen Sie noch welche?«
Ich bedauerte, ich habe bereits zu Abend gegessen.
»Fredi, Fredi – ein Champagnerglas für den Herrn, Fredi!«
Ich bedauerte, ich tränke niemals Champagner.
»Wie kann man nicht Champagner trinken! Warum trinken Sie nicht Champagner?«
Frau Edith, peinlich berührt, zupfte ihren Gatten leise am Aermel.
»Aber Cigarren rauchen Sie doch? Nehmen Sie, 186 junger Mann, nehmen Sie! So 'n Kraut rauchen Sie nicht alle Tage.«
Ich bin kein Pedant. Ich nahm also das Kraut, das ich nicht alle Tage rauche, froh, ihn damit los zu sein, und schob sodann mit einiger Kaltblütigkeit einen Stuhl zwischen Frau Edith und den Verehrer du jour, der auf ihrer rechten Seite saß.
Dann sprach ich leise mit ihr. Man darf sich das schon erlauben.
Fünf Minuten später waren wir im richtigen Fahrwasser.
»Sie erinnern sich an das Fest im vorigen Jahre, gnädige Frau?«
Sie stutzte. »Warum fragen Sie?
»Ich denke an jemand, der –«
Sie lächelte kalt und zupfte ein Blättchen von einer der Rosen, die, von der Wärme des Körpers versengt, sich zum Fallen auseinander gebreitet hatte.
»Nun – der – – –?«
»Der damals voll freudiger Hoffnung nach Berlin geeilt war, und der heute vergebens darüber nachsinnt, warum diese Hoffnung, die Hoffnung seines Lebens, sich nicht erfüllte.«
Ueberrascht sah sie mich an und lächelte wieder. Doch jetzt war's ein Lächeln freudiger Genugthuung, das ihre Züge erhellte; dann, das Blättchen zwischen die Lippen steckend, flüsterte sie durch die hohle Hand:
»Ich sehe, dieser jemand hat Sie zum Vertrauten gemacht.«
»Und wenn dem so wäre?«
187 »So sind Sie auch sein Abgesandter,« flüsterte sie noch leiser.
»Unversöhnlich ist sie nicht, diese Frau!« dachte ich bei mir, und laut – d. h. immerhin noch leise – sagte ich: »Ich wünschte, ich wäre es, gnädige Frau! Aber leider sprach ich nur für mich, als ein Neugieriger, der gerne in die Karten schaut, wenn andere miteinander – spielen.«
»Ich habe nicht mit ihm gespielt.« Sie biß das Blättchen mitten durch, so daß die eine Hälfte in ihr Weinglas niederflatterte.
»Und doch,« erwiderte ich, »wie kam es, daß Sie ihm an jenem Abende so verändert entgegentraten?«
»Ich ihm? – War er es nicht, der mich auf jenem Feste wie eine Fremde behandelte?«
»Aber vorher – in Ihrem Hause?«
»Hat er sich vorher nicht noch häßlicher benommen? Warum lief er plötzlich davon, als seien die Furien hinter ihm her? – – – O, – ich hatte alle Ursache, mit ihm böse zu sein.«
»Und noch weiter vorher. – Bitte, erinnern Sie sich, Frau Edith! – Als Sie den Salon betraten, in dem er auf Sie wartete – warum wehrten Sie ihn so eisig von sich ab?«
»Warum? Ganz einfach!« – mit hellem Lachen wies sie auf ihre Rosen – »weil der schreckliche Mensch mir beinahe mein ganzes Ballkleid zu nichte gemacht hätte.«
Ich aber neigte mich nieder und küßte in aufrichtiger Dankbarkeit Frau Ediths weiße, schönberingte Hand.
* * *
188 Eine Stunde später verließ ich das Fest. Und als ich einsam im Café Bauer saß, zog ich aus dem Erlebten folgende Lehre:
Von dem Weibe, das du liebst, fordere vor dem Balle – nichts, nach dem Balle – – –
Ah, da kommt die Friseurin!
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