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Wie – nach der Lampe wollen Sie klingeln? – Wofür strafen Sie mich so hart? – – Seien Sie gut, liebste Freundin, wir beide dürfen uns den Luxus schon erlauben, zwischen Sternenschein und Abendröte bei einander zu hocken . . . Ihnen wird der Puls nicht höher schlagen, auf Ihren Wangen wird kein verräterisches Rot sich schamhaft in der Finsternis verbergen wollen – –
Und was mich betrifft . . . nun, Sie wissen ja, ich bin gut gezogen . . . ich komme aus Ihrer Schule – leider! –
Dieser Seufzer, meinen Sie, sei an sich schon eine Ungezogenheit! Er galt nicht Ihnen – beileibe nicht – wie dürft' ich das wagen? – er galt vielmehr dem fallenden Sterne dort, der im geeignetsten Momente – Sie sahen ihn doch? – Und sahen Sie, wie er von der kalten, stahlblauen Himmelshöhe sich loslöste, in leuchtendem Bogen niederschoß und in dem Purpur des Abendrots ertrank, gleichwie in einem Flammenmeer von Leidenschaft? –
2 Wissen Sie, was dieses feurige Symbol uns Männern bedeutet? Ja, wundern Sie sich nicht, wenn ich plötzlich die Arme zum Sternenhimmel emporstrecke und voll Inbrunst in den Aether hinausrufe:
»Hier unten sitzt ein armer, sündiger Erdensohn. Er fleht euch an, ihr hohen Sterne: einer von euch, ein einziger nur, soll sein leuchtendes Antlitz gewährend zu mir herniederneigen und die große Gefälligkeit haben, mir in den Schoß zu fallen. . . . Ich kann dich ja so nötig brauchen, du schöner, unbekannter Stern, der du mir bestimmt bist, ohne daß einer von uns beiden vorläufig was davon weiß; an deines Atems Gluten will ich mein einsames Herz erwärmen; will mit deinem Strahlenauge eine höchst wissenschaftliche Sterndeuterei treiben, und die einzige Frage, deren Antwort ich darin lesen will – mit Perhorrescierung jeglichen Fernrohrs, versteht sich! – diese einzige große, kopernikanische Frage soll lauten: ›Liebst du mich?‹«
So – hab' ich Ihnen diese poesievolle Rede etwa gehalten, damit Sie mich auslachen? – Und nun citieren Sie gar noch das schöne Verschen:
»Die Sterne, die begehrt man nicht!«
Ja, warum begehrt man sie nicht? Kourage haben ist alles! – Warum hat man diese Kourage nicht? –
Und Sie entgegnen mir darauf: Weil jedermann weiß, daß die Sterne, treu den Gesetzen des Himmels, wunschlos auf den ewigen Bahnen wandeln, die ihnen vorgezeichnet sind, und nichts zur Antwort haben als ein eisiges Lächeln, wenn drunten irgendwo ein Narr sie anschmachtet! –
3 Mit dem Narren meinen Sie selbstverständlich nicht mich.
Und übrigens! Muß ich angesichts jenes Sternes, den wir beide fallen sahen, noch erst zu beweisen suchen, wie wenig haltbar die himmlischen Gesetze sind, denen Sie schlankweg Ewigkeit zusprechen? Sahen wir nicht, wie er mir nichts, dir nichts dem Banne der Keplerschen Gesetze entschlüpfte und sich kopfüber einem sehnenden Erdensohne in die Arme warf? Denn gewiß saß dort im Abendrot einer dieser Narren, die Sie so verächtlich behandeln, und breitete die Arme aus, den sehnenden Blick zu den Sternen emporgewandt!
Da gibt es eine provençalische Sage, die behauptet, jeder fallende Stern sei eine irrende Frauenseele, die ins Paradies eingehe. Ins Paradies der Liebe, füg' ich hinzu, in das sie sich gebannt sieht durch einen kühnen Manneswillen, der so allmächtig ward, daß selbst die Gesetze des Himmels sich ihm beugten. Und da sagen Sie mir nun: »Die Sterne, die begehrt man nicht.«
Wenn Sie aber fein stille halten und mir zur größeren Sicherheit den Griff des Glockenzuges in die Hände geben, so will ich Ihnen als Erläuterung Ihres Citats eine Geschichte erzählen, die – doch Sie werden ja sehen.
Der Marchese Lagri hat eine Oper geschrieben. »Le nozze del banditto« heißt sie und ist wohl nicht besser, vielleicht auch nicht schlechter als das Dutzend sonstiger Banditenhochzeiten, mit welchen italienische Komponisten die Welt beglückt haben. Für einen vornehmen amatore ist sie jedenfalls gut genug; und als mehr will der junge Marchese 4 auch nicht gelten, da sein musikalischer Ehrgeiz nach seinem Eintritte in die große Welt durch die Erfolge, die er als Lebemann genoß, zu einer wohlthuenden Lauwärme herabgedämpft worden ist.
Er gilt als einer der elegantesten Kavaliere des jungen Rom; in seinem luxuriösen Junggesellenheim am Fuße des Monte Pincio werden kleine verschwiegene Feste gefeiert, von welchen bei den Morgenvisiten die vornehmen Damen sich wunderbare Sachen in die Ohren flüstern, und wenn er über den Korso reitet, bleibt manch strahlendes Auge in selbstvergessener Bewunderung an der stolzen, jugendlichen Gestalt, an dem vornehmen, dunkelbärtigen Antlitz haften, hinter dessen interessanter Blässe eine Fülle zartester Geheimnisse sich zu verbergen scheint.
Ja, wenn er plaudern wollte! – allein er plaudert nicht. Sein Mund gleicht einer Kirchhofspforte. Und der Ruf unbedingter Diskretion, der ihm voranläuft, dient noch dazu, seine Erfolge zu vervielfältigen.
Ja, er ist ein glücklicher Mann, unser Marchese, und ich muß einen Seufzer des Neides hinunterschlucken, wenn ich an ihn denke.
Freilich hat auch er seine trüben Stunden. An jenen Vormittagen, welche in Wein und Liebe durchschwärmte Nächte leider im Gefolge haben, und von denen auch die seligen Engel sagen würden: »sie gefallen uns nicht«, sitzt er, die schmerzende Stirn in die blassen, schmalen Hände gestützt, und brütet mit düsteren Brauen über düsteren Gedanken. – Das zwecklose Dasein – die zerschellten Ideale – die wachsende Leere in der Brust – die unaufgeführte 5 Oper und das greuliche Kopfweh – – o, man kennt das alles!
An einem solchen Vormittage, zu Ende des Monats April, geschah es, daß er von einem befreundeten Kapellmeister, der in einer Stadt des hohen Nordens – nennen wir diese Stadt Stockholm – den Stab des Dirigenten schwang, einen in heimatliche Glut getauchten Brief erhielt:
»Geliebter Marchese!
Sieg! – ich umarme Sie – ja – Sieg! schrei' ich. Gelungen ist's mir, zu einem großen Feste – baldigst wird es stattfinden – die großen Scenen des zweiten Aktes aus Ihrer »No. d. B.« zur Aufführung zu bringen. Marchese, nichts fesselt Sie an Rom; wie wäre es, wenn Sie das Dampfroß bestiegen und herüberflögen, die Proben Ihres Meisterwerkes selber zu leiten? – Und wenn Sie noch zögern: Marchese, die Blonden, die Blonden! – – Sie kennen sie nicht, Sie ahnen sie nicht; die Inglesi, die auf den Trümmern des Forums herumkriechen, sind Gespenster dagegen. Zu Tausenden laufen Göttinnen hier auf den Straßen umher, die Haare aus Sonnengold gesponnen, die Augen von der Farbe unseres Campagnahimmels! Da ist der Stern unserer Oper – Fröken Dagmar heißt diese herrlichste der Barbarentöchter. – Marchese, welch ein Weib! – Sie wird Ihre Viola singen – sie hat Ihr Bild gesehen – sie nennt Sie einen schönen Mann. – Kommen Sie, – 6 auch sonst haben brünette Jünglinge manch eine Chance hier! – Kommen Sie rasch! Marchese, die Blonden!
Eurer Herrlichkeit unterthänigster
Martinuccio.
P. S. Vergessen Sie den Pelz nicht.«
Der Marchese jubelte auf. – Das war es, was ihm fehlte, um seinem stagnierenden Leben neue Quellen zuzuführen.
Er ließ seine Koffer packen, schrieb ein halbes Dutzend rührender Abschiedsbriefe und fuhr leichten Herzens zur Bahn. Selbst der Gedanke, daß er in der Eile leichtlich die Adressen verwechselt haben könnte, war nicht im stande, ihn seiner Glückseligkeit zu entreißen.
Aber die Wandlung kam rascher, als er geahnt hatte.
Als er vier Tage später die Wunder des nordischen Venedigs vor seinen Blicken liegen sah, war er vor lauter Frost so wütend geworden, daß er nur den einen Wunsch empfand, dieses Barbarennest an allen vier Ecken anzünden zu dürfen, um sich an seinen Gluten zu durchwärmen. Der arme Martino! Mit seiner langen, klapperdürren Gestalt und seinem flatternden Rabenhaar stand er am Landungsplatz und streckte dem nahenden Freunde liebeglühend die mageren Arme entgegen. Aber ihm geschah schon recht. Die Begrüßung, die ihm zu teil ward, entsprach durchaus den Temperaturverhältnissen.
Doch schon nach einer halben Stunde, als die beiden Freunde in einem behaglich geheizten Salon des Hotel 7 Rydberg am Abendbrotstische saßen und auf Martinos Klingeln eine blonde, hochbusige Brunhildengestalt mit züchtigen Augen und zahmem Lächeln zur Thür hereintrat, um sich nach den Befehlen der Herren zu erkundigen, begann der Marchese zu ahnen, daß er alsbald mit seinem Schicksal versöhnt sein werde.
»Gibt es hier viele von diesem Schlage?« fragte er, indem er die hohe Gestalt, die sich gar anmutig in den Hüften zu wiegen verstand, mit leuchtenden Blicken verfolgte.
Sein Herz hatte bedenklich zu klopfen begonnen.
Der Kapellmeister geriet auf diese Frage hin sofort in Begeisterung.
»O padrone carissimo!« rief er, »so ist ja alles, was hier kreucht und fleucht. Und wenn Eure Herrlichkeit erst noch die Elite kennen lernen wollten. – Marchese, die Blonden, die Blonden!«
Und in einem Anfall von Raserei wühlte er sich in den schwarzen Lockensträhnen.
»Aber,« fuhr er in leidenschaftlichem Flüstertone fort, »die Schönste der Schönen, die unnahbare Königin des Nordens, sie hab' ich meinem teuren Gönner bestimmt.«
»Jene, – wie nannten Sie sie doch?«
»Ja, – jene – jene – jene! Morgen vor der Opernprobe werden Sie sie kennen lernen.«
Das Herzklopfen des Marchese verstärkte sich noch.
Am andern Morgen brauchte er zwei Stunden zu seiner Toilette. Einer solchen Zeitverschwendung hatte er noch nie ein Weib für wert gehalten.
8 »Ist sie das – ist sie das?« fragte er leise den Freund bei jeder der hohen blonden Gestalten, an denen dieser ihn im Vestibül des Opernhauses mit leichtem, vertraulichem Gruße vorüberführte.
Martino hatte zur Antwort nur ein Achselzucken.
Endlich klopfte er an eine kleine, mit Decken verhängte Thür, welche das Ende eines schmalen, spärlich erleuchteten Ganges bildete.
»Ihre Garderobe,« flüsterte er dem bebenden Marchese zu, und durch das Schlüsselloch rief er: »Ich bin's, Signora – ich und der Freund – Sie wissen.«
»Ich bitte,« rief eine Stimme von dunklem, vollem Timbre.
Eine Lichtflut strömte durch die geöffnete Thür. Da stand sie, die Diva, hochaufgerichtet inmitten all des Glanzes, das Antlitz beschattet, doch umgeben mit einer Glorie von Sonnenstrahlen, die in tausend kleinen Lichtern in dem matt gekräuselten Blondhaar flimmerten.
Und wie sie ihm ruhig und hoheitsvoll entgegentrat, wie sie in einfacher Herzlichkeit die Hand zum Willkomm ausstreckte . . .
Der Marchese stand geblendet. Er mußte sich all seiner Erfolge erinnern, ehe er die Kraft zu einer höflich-weltmännischen Anrede gewann.
Fünf Minuten später saß er ihr gegenüber an dem winzigen, weißverhängten Guckfensterchen und erzählte mit Feuereifer von den Wonnen des italischen Lenzes.
Sie hatte die Ellenbogen auf die Kniee und das Kinn in die Hände gestützt, wie Desdemona, die Othellos Abenteuern lauscht, und ihre Augen, – o Marchese, diese blauen, 9 feuchten, zärtlichen Augen! – hingen in harmloser Selbstvergessenheit an seinem Angesicht. Manchmal, wenn sie dem Strom seiner Worte nicht zu folgen vermochte, warf sie lächelnd ein »Langsamer, bitte!« dazwischen.
Der Kapellmeister stand derweilen im dunkelsten Winkel, sah von Zeit zu Zeit nach der Uhr und rieb sich in kupplerischem Vergnügen die knochigen Virtuosenhände.
Und nun fing auch sie zu reden an. Es war eine kuriose Art, in der sie die lingua toscana handhabte, stockend und mit poetischen Floskeln untermischt, das Italienisch, das die Opernsängerinnen aus Textbuch-Reminiscenzen zusammenflicken. Und doch – wie melodisch, wie berückend in ihrer Fremdartigkeit kamen die Worte aus ihrem Munde!
Sie sprach von ihrer Sehnsucht nach dem gelobten Lande, das er seine Heimat nannte. Schon seit drei Jahren habe sie mit ihrer Schwester Pläne geschmiedet, gen Rom zu pilgern, aber – und sie seufzte.
»O wären Sie gekommen!« sagte er mit Emphase, »wir hätten Sie gefeiert wie eine Königin.«
Sie drohte ihm mit dem Finger, und über ihr errötendes Antlitz flog ein Schimmer holder Schelmerei.
Dann erhob sie sich, ihn zu verabschieden. »Auf morgen also, Maestro – und ich hoffe, Sie werden zufrieden sein.«
Er küßte ihr zweimal die Hand und taumelte hinaus wie ein Betrunkener. Seinen Freund übersah er.
10 Als er nach zweistündiger Fahrt durch die fremde Stadt in sein Hotel zurückkehrte, glaubte er auf dem altbekannten Korso umher flaniert zu sein, so wenig war irgend etwas Fremdartiges ihm aufgefallen. Er hatte während der ganzen Zeit nur sie gesehen.
Auf seinem Zimmer hielt er sich folgende Rede:
»Du bist ein Esel, Antonio! – Zu Hause sitzt ein halbes Dutzend der schönsten Weiber und zählt die Stunden, bis du wiederkehrst. – Die kleine Contessa Rotti mit dem cremefarbenen Schlafrock, dessen feuerrote Busenschleifen du so oft zu graziösen Knoten schürztest. – – Die süße Annina mit den weißen Zähnchen und dem schwarzen Flaum auf der Oberlippe – Giudetta, die Heroische, in deren gelöstes Wellenhaar du dein Antlitz hineinzutauchen pflegtest, wie in die Meerflut – Margherita, Luigia und Lidia gar nicht zu rechnen – sie alle hast du im Sturm erobert – und nun sitzest du hier, verschüchtert wie ein Page, und seufzest zu der Fremden empor, als wär' sie unerreichbar wie die Sterne. – Wie gesagt, du bist ein Esel, Antonio!«
Dann fiel Martinos schmerzlich-seliger Aufschrei ihm ein: »Marchese, die Blonden, die Blonden!«
Aber sind sie nicht auch Weiber, diese Blonden? Weiber von Fleisch und Blut mit warmen Herzen und aufwallenden Sinnen? Warum hier zagen und dort kühn sein? –
Und er beschloß, Dagmar, die Blonde, für sich zu gewinnen um jeden Preis. Allein dabei ging ein Schaudern durch seine Glieder, ein Schaudern, wie es der Mönch verspüren mag, der in frevelndem Begehren die Arme zum Bilde der Madonna emporreckt. –
11 Am folgenden Tage fuhr er mit Martino zum Grand Hotel, um die erste Orchesterprobe seines Werkes selber zu leiten.
Das Erscheinen des jungen brünetten Kavaliers, der mit eleganter Verbeugung zu dem Podium des Dirigentenpultes emporstieg, erregte nicht geringes Aufsehen im Saale. In dem Chor der Räuberbräute – aus lauter blondhäuptigen Honoratiorentöchtern bestehend – erhob sich ein vielsagendes Flüstern, und aus dem Häuflein der Banditen schoß manch neidischer Blick zu ihm empor.
Sein Blick durchflog die Reihen, Dagmar zu suchen; allein sie war noch nicht erschienen. – Er fühlte eine quälende Angst in sich erwachen. – Wie würde er mit seinem stümperhaften Können vor ihr bestehen, vor ihr, deren musikalischer Sinn sich an den Werken der erhabensten Meister genährt hatte. –
Wie, wenn es ihr einfiele, im letzten Augenblicke ihre Solopartie zurückzusenden? – Der kalte Schweiß stieg ihm ins Gesicht bei diesem Gedanken.
Aber – Gott sei gelobt! Da stand sie vor ihm, die Notenrolle in der Hand, und nickte freundlich zu ihm hinauf.
Der Stab in seiner Hand erzitterte, die Krähenfüße der Partitur verschwammen in Nebel.
»Soll ich für Sie eintreten, Marchese?« flüsterte hinter ihm die Stimme Martinos, der seine Bewegung bemerkt haben mußte.
Er schüttelte hastig den Kopf – und die Probe begann.
12 Dank Martinos trefflicher Schulung ging alles besser, als er geahnt hatte.
Und als nun gar sie zu singen anhub! Wie war's anders möglich, als daß an diesem Feuer, dieser Hingebung nicht auch der anderen Ehrgeiz sich entzündete? –
Nie im Leben hatte er geahnt, daß es so schön war, was er da geschrieben. Das Herz schwoll ihm vor Dankbarkeit, seine Augen schwammen in Thränen.
Sie sah es wohl und schloß mit einem kleinen Seufzer die Augen.
Ihm war zu Mute, als müßte er den Taktstock wegwerfen und sie vor aller Augen in die Arme schließen. – »Wär' ich ein alter Mann wie Wagner oder Verdi –« dachte er bei sich, »weiß Gott, ich thät's.« Der Abstand von dem Genie der beiden Meister kam ihm in diesem Augenblick nicht halb so lebhaft zum Bewußtsein, wie der Unterschied von ihrem Alter.
So stolz und glücklich war er sein Lebtag nicht gewesen.
Als er Dagmar zum Wagen geleitete, fand er kühne, leidenschaftliche Worte für die Empfindungen, die sie in ihm geweckt.
Sie wurde nicht verlegen, sie errötete nicht einmal, mit schelmischem Lächeln sah sie ihm unverwandt von der Seite ins Gesicht. Es schien fast, als verstände sie nicht den dritten Teil von dem, was er ihr sagte. –
Mit einem kleinen, verstohlenen Händedruck schlüpfte sie in den Wagen. Und was nun gar ihr Blick verhieß! – – –
13 Als er, berauscht von hoffender Liebe und befriedigter Eitelkeit, die fremden Straßen entlang wandelte, sah er in dem Schaufenster eines Kunstgärtners einen Büschel leuchtend weißer Lilien, dem durch kunstvoll dazwischen gefügte Begonienblätter die natürliche Steifheit genommen war.
Ein triumphierendes Lächeln glitt über sein Gesicht. Er kaufte den Strauß und befahl, ihn zu dem nächsten Juwelier hinüber zu senden. Dort ließ er die Staubfäden sorgsam entfernen und statt ihrer an Goldfäden befestigte kleine Brillanten in die Kelche hineinhängen.
»Eine zartere und doch beredtere Huldigung dürfte sich kaum ausfindig machen,« dachte er, als er, stolz über sein Arrangement, den Laden verließ.
Der Scherz hatte ein kleines Vermögen gekostet. –
Am nächsten Morgen wurde er durch einen Boten geweckt, der ihm ein Päckchen überreichte, nicht größer als eine Pillenschachtel. Eine solche fand sich in der That in der Umhüllung. Ringsherum war ein Briefbogen gewickelt, der folgende Zeilen enthielt:
»Herr Marchese!
Die Lilien, die Sie mir als Symbol Ihrer Achtung übersenden, habe ich mit der Freude entgegengenommen, die man stets empfindet, wenn man sich nach seinem Werte taxiert sieht. Die Thränen aber, die Sie um mich in die Kelche hineingeweint haben, sende ich Ihnen dankend zurück, da ich mich nicht gerne an dem Schmerze meiner Freunde weide, wenn ich ihnen nicht helfen kann.
Dagmar.«
14 Der Marchese belegte sich mit einer Anzahl jener Kosenamen, an welchen die Sprache seines leidenschaftlichen Volkes so reich ist.
Je höher die angebetete Barbarin vor seinen Blicken in die Wolken stieg, desto kläglicher schrumpfte sein wildes Begehren neben ihr zusammen.
»Sie muß auf der Stelle versöhnt werden,« das war die erste Ueberlegung, deren er wieder fähig war. –
Noch hatte die Stunde der Besuche nicht geschlagen, als die Equipage seines Hotels ihn hinaus zur äußersten Nordstadt führte, wo in der Nähe des Humlegardens die Sängerin ihr Heim aufgeschlagen hatte. Eine kleine umbuschte Villa, kaum größer als eine Spielzeugschachtel, mit hellblinkenden Spiegelfenstern und einer zierlichen Gartenterrasse, auf welcher Krokus und Hyazinthen in leuchtenden Reihen künstlich geformte Beete umfriedeten.
Die Glocke, die er zog, hallte tief und voll im Innern wieder. – –
»Ein Haus mit solchen Fenstern, solchen Glocken kennt keine Heimlichkeit,« sagte er sich seufzend, derweil er wartete.
Die Zofe, die ihm öffnete – groß, blond, blauäugig, wie natürlich – nahm mit einem schüchternen Lächeln seine Karte in Empfang, murmelte ein paar Worte in einer fremden Sprache und schlug ihm sodann die Thür vor der Nase zu.
Wiederum wartete er eine Weile, denn er glaubte die ungefüge Nordlandstochter mit einer Botschaft ihrer Herrin zurückkehren zu sehen – aber nein – nichts regte sich 15 fürder; erst als er bebend vor Scham und Zorn der ungastlichen Thür den Rücken kehrte, drang aus dem Innern ein Lebenszeichen an sein Ohr – in Form eines Kicherns, silberhell, verliebt und übermütig, wie die Schellen einer Pulcinella.
Dieses Kichern begleitete ihn, während er die Stufen der Terrasse hinabstieg, es klingelte noch durch sein fieberndes Hirn, als er die Pforte des Gartengitters wuchtig ins Schloß warf.
Den Wagen besteigend, sandte er noch einen scheuen Blick nach der entgegengesetzten Straßenseite. Seine Auffahrt schien dort als ein Alarmsignal gewirkt zu haben. Aus allen Fenstern guckten neugierige Köpfe, und vor der Thür eines Bäckerladens stand eine Gruppe schwatzender Weiber, welche sich eigens dazu versammelt zu haben schien, um hinter ihm her zu lachen und mit Fingern auf ihn zu zeigen.
Und das ihm, Antonio Lagri, dem Liebling des Korsos!
In selbiger Nacht wurde er unaufhörlich durch ein Kichern gequält, das gespenstergleich aus allen Winkeln seines Schlafgemachs zu seinem Ohr herniederschwirrte.
Am Morgen litt er an Kopfweh und Ohrensausen und beschäftigte sich mit dem Entschlusse abzureisen, ohne die Grausame wiederzusehen.
So überraschte ihn Martino, der ihm die Meldung brachte, daß Signora Dagmar ihn unverzüglich zu sprechen wünsche. Fünf Minuten später stand er vor ihrer Garderobe.
16 Sie eilte auf ihn zu, sie streckte ihm beide Hände entgegen, derweil ein dunkles Rot auf ihren Wangen erglühte.
»Verzeihen Sie, mein Freund,« sagte sie leise, »daß man Sie gestern auf meiner Schwelle so schnöde behandelte. Allein ich bin nicht schuld daran – wirklich nicht. – Meine Dienerin hat den Befehl, keinem männlichen Wesen, wer es auch sei, den Zutritt zu meinen Zimmern zu gestatten – sie sagte Ihnen, was sie ein für allemal zu sagen hat: ich sei nicht zu Hause, – zum Unglück wußte sie nicht, daß sie von Ihnen nicht verstanden werden konnte, und – das Uebrige erklärt sich von selber.«
»Also es war keine Strafe?« stammelte er mit einem tiefen Aufseufzen. –
»Man straft ein Vergehen – nicht einen Irrtum,« erwiderte sie leise, indem sie noch tiefer errötete.
Für einen Augenblick verspürte er den Drang, vor ihr niederzustürzen und das Antlitz, auf dem verräterisch Liebe und Schuldbewußtsein flammten, in den Falten ihres keuschen Gewandes zu verbergen.
»Beschönigen Sie nichts,« flüsterte er ihre Hand ergreifend; und diese Hand entzog sich ihm nicht, sondern führte ihn mit leisem Drucke zu dem Platz, auf dem er vor drei Tagen gesessen.
»Sehen Sie, mein Freund,« sagte sie dann, »ich bin an dergleichen Kränkungen gewöhnt, die meine Stellung mit sich zu bringen scheint, und ich verzeihe diese hier um so leichter, als noch keine vorher eine so zarte Form gewählt hatte, um an mich heranzuschleichen.«
Eine Regung naiven Stolzes tauchte in ihm auf, wie 17 der Schüler sie empfindet, der aus dem Tadel des Lehrers ein geheimes Lob herausspürt. Aber sie ging sofort wieder in Zerknirschung unter.
»Euch vornehmen Herren,« fuhr Dagmar fort, »erscheint es ja nun einmal angemessen, uns Künstlerinnen als Ware zu behandeln, und ich muß zur Schande meines Berufes gestehen, daß man euch das Recht dazu gegeben hat. – Wir, die wir etwas auf uns halten, dürfen daher nicht zu strenge mit euch ins Gericht gehen. – Um so pedantischer aber müssen wir darüber wachen, daß die Achtung, die wir von euch fordern, nicht durch den leisesten Schatten einer übeln Deutung getrübt werde. Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß die ganze Stadt von hoch bis niedrig mich mit ihrer innigsten Anteilnahme beehrt, daß ich keinen Schritt wagen darf, ohne von tausend Späheraugen verfolgt zu sein, und daß in meiner Nachbarschaft über jeden Besuch, der bei mir vorfährt, aufs genaueste Buch geführt wird. . . . Noch darf kein einziger Mann der Stockholmer Gesellschaft sich rühmen, das Innere meiner Wohnung gesehen zu haben, denn ich fühle, daß in meiner exponierten Stellung selbst das harmloseste Gewährenlassen zur Sünde werden kann.
– »Nicht an mir,« fuhr sie mit plötzlichem Erschrecken fort, denn sie empfand, daß sie sich im Worte vergriffen hatte, »an mir wahrhaftig nicht; denn ich kenne den Weg, den Frauenwürde mir vorgezeichnet hat; ich weiß, wie weit ich mich wagen darf, ohne daß ich schwindlig werde und in Gefahr gerate, in den blumenbedeckten Abgrund zu stürzen – aber« – sie stockte, während ihr Auge in einem berauschenden Schimmer von Zärtlichkeit verschwamm.
18 »Aber?« – Er zitterte in eifersüchtiger Angst.
»Ja, warum soll ich nicht im Vertrauen zu Ihnen reden? – Ich habe eine Schwester, eine Schwester, die bei mir wohnt, die ich erzogen habe, die ich hüte und hege mit der angstvollen Sorgfalt einer Mutter. Noch ist sie unberührt von jedem Hauch der Welt, rein, wie ich sie aus den Händen meines sterbenden Vaters empfing – aber sie ist allzu leichten Sinnes und dürstet nach den Genüssen des Lebens. – Auch sie schlägt die Künstlerlaufbahn ein, – mir bangt nicht für ihre Erfolge, denn sie ist ein herrliches Talent, aber ich zittre, wenn ich an die Gefahren denke, denen sie ahnungslos entgegenjauchzt. – Was kann ich ihr da Besseres als Mitgift auf den Weg geben, als ein strenges, meinetwegen allzu strenges Beispiel, an dem sie in Stunden des Wankens Stab und Stütze finden kann?«
Der Marchese fühlte plötzlich ein andächtiges Interesse für jenes zarte Geschöpf in sich erwachen.
»Soll ich diese Glückliche niemals kennen lernen,« fragte er, »an die ein Weib, wie Sie, all seine Liebe verschwendet?«
»Nicht verschwendet, Herr Marchese,« erwiderte Dagmar mit freundlichem Tadel. »In der That, Sie werden ihr alsbald begegnen. Auf dem Feste im Ritterhause, an dem ja auch wir beide beteiligt sind, soll sie in einem lebenden Bilde mitwirken und so den Fuß auf die Schwelle der großen Welt setzen. Ich gestehe, mir bangt davor, aber länger kann ich sie nicht in Einsamkeit halten; denn sie ist siebzehn Jahre alt.«
»Gleicht sie Ihnen?« fragte er.
19 Sie schüttelte den Kopf. »Uebrigens haben Sie an ihr eine Gönnerin, eine – – –«
Sie hielt lächelnd inne und errötete, dann erhob sie sich rasch. »Addio, mein Freund – ich höre die Klingel des Regisseurs, die zur Probe ruft.«
»Und darf ich wiederkommen?«
»Warum nicht? Diese Garderobe ist neutrales Gebiet, auf dem ich zu Gaste bin wie Sie. – Dort ist die eigentliche Herrin.« – Und sie wies an ihm vorüber nach einem Nebengemache hin, wo, halb verdeckt durch eine grüne Gardine, ein altes, in sich zusammengekrümmtes Weibchen sich eifrig über ein Nähzeug neigte.
»Ah,« machte er enttäuscht, denn er hatte sich in dem wohligen Gefühle gewiegt, mit ihr allein zu sein. Doch als sie ihn darauf hin verwundert ansah, schlug er beschämt die Augen nieder.
Von Minute zu Minute fühlte er sich bescheidener werden.
Als er den dämmerigen Korridor entlang ging, fiel jenes rätselhafte Kichern ihm ein. Er lauschte. – Ob sie auch jetzt hinter ihm her lachte? Alles blieb still.
»Nein, wahrlich, sie war es nicht – sie nicht!« so tröstete er sich im Weitergehen, – »ich müßte ja toll werden, wenn sie es gewesen.«
An diesem Tage hatte er den Stern gefunden, den man nicht begehrt. – – –
Das große Wohlthätigkeitsfest nahte heran.
Ganz Stockholm befand sich in Aufregung; sollte doch für diesen Abend das alte Ritterhaus, die Hochburg der 20 schwedischen Pairsgeschlechter, dem profanen Publikum die geheiligten Thore öffnen.
Die mächtige Granitfassade des Palastes, der sonst gar mürrisch wie ein verschlafener Riese auf die dunklen Fluten des Mälarsees herniederschaut, verschwamm in einem Meere bläulichen Lichtes – endlose Equipagenreihen wälzten sich heran, und der gaffende Pöbel rieb sich zufrieden die breiten Schultern wund.
In dem weiten Rittersaale, von dessen altersdunkler Decke riesige Königsgestalten in verstaubten Hermelingewändern und spinnwebüberzogenen Kronen verwundert auf die Brut der neuen Zeit herniederschauten, drängte sich ein buntes, strahlendes Gewimmel im Lichte elektrischer Sonnen.
Augen, so azurn wie der Spiegel der Gletscherseen, Schultern, so weiß wie des Snehättan ewiger Schnee, Haare, so golden wie König Arthurs sieghaftes Saitenspiel!
Und die Männer! Welch prächtige Gestalten! Wie leuchtend ihr Blick, wie eisern ihr Nacken, wie treu und ach! wie schmerzhaft ihr Händedruck!
Zwischen den Violinen vergraben saß der Marchese, sprungbereit, um Martino am Dirigentenpulte abzulösen. – Er bebte nicht. Das Selbstgefühl des römischen Nobile half ihm über jedwede Herzbeklemmung hinweg.
Einer Ouverture von Gade folgte ein Brautmarsch, wie ihn die schwedischen Bauerntöchter auf ihren Bergen singen. – Ein raffinierter Griff Martinos! Nach diesen schlichten, getragenen Duraccorden mußten die leichtfüßigen Rhythmen italienischer Musik berauschend wirken.
Und so geschah es.
21 Freilich, halb gewonnen war die Schlacht bereits in dem Momente, da der junge Feldherr aus dem Orchester emportauchte, um den Kommandostab zu ergreifen.
»Ein römischer Fürst soll es sein!« raunten die Männer.
»Das schöne goldene Ordensband!« tuschelten die Frauen.
»Die schönen, dunklen Augen,« seufzten die Mädchen. – Seine Oper war nur ein Appendix seines Erfolges.
Dagmar!
In ein Gewoge blendender Spitzen gehüllt, das sinnige Auge lächelnd zu ihm aufgeschlagen, betrat sie die Bühne. – Eine Fee, die zur Erde niedergestiegen.
Rauschender Beifall begrüßte den Liebling der Stadt; sie verneigte sich dankend, doch ihr Auge wich nicht von seinem Angesicht.
Sie vollendete den Sieg!
Und als er, zum fünftenmale vom Volk gerufen, die heißen Lippen andachtsvoll auf ihren Handschuh drückte, da ward auch des letzten Weibes Herz erbaut. Denn jede nahm den Handkuß als eine Huldigung, die der Fremdling ihr persönlich dargebracht.
Arm in Arm schritten sie zum Zuschauerraum hinab, stolz und strahlend beide, von Glückwünschen überschüttet, als wären sie ein Brautpaar.
Nebeneinander durften sie sich niedersetzen, derweil das Konzert seinen Fortgang nahm.
»Fühlen Sie sich glücklich?« flüsterte er ihr zu.
22 »So glücklich,« gab sie leise zurück, »daß ich meine Pflichten versäume.«
»Welche Pflichten?«
»Hinter der Scene steht mein Schwesterlein, zitternd vor Lampenfieber, und ich, ihre Patronesse, bin nicht an ihrer Seite.«
»Um Gotteswillen – Sie wollten –«
»Sie sehen ja – ich rühre mich nicht.« – Und hinter ihrem Fächer sah sie mit einem Blicke voll bezaubernder Hilflosigkeit zu ihm empor.
Die lebenden Bilder sollten beginnen.
Ein kurzatmiger Herr erging sich in einem langatmigen Prologe.
Der Marchese fühlte, wie Dagmar zitterte. »Eine Furcht hab' ich,« flüsterte sie, »wie ich sie um mich mein Lebtag nicht empfunden.«
In welchem Bilde sie mitwirke? Im ersten. – Als was? Sie habe dem König Gustav Wasa im Namen der Patrizier –
In diesem Augenblicke teilte sich der Vorhang. Ein Laut des Staunens hallte durch den Saal. Inmitten eines Massenbildes, das ganz durchflammt war von der farbenfrohen Pracht der Renaissance, stand vor den Stufen eines goldenen Thrones ein süßes, junges Mädel in blauem, kurzem Kleidchen, das in seinem kindlich-knappen Zuschnitt sich über vollgewölbten Formen straffte! – Sie hatte den Fuß, über dem am Knöchel ein zierlicher Zwickel hervorleuchtete, keck gegen die unterste Stufe gestemmt und streckte mit schnippischem Lächeln und erhobenem Näschen 23 dem König einen Lorbeerkranz entgegen, als wollte sie sagen:
»Bedank' dich für die Ehr', Herr König!«
»Ist sie das?« fragte der Marchese belustigt.
Dagmar nickte und verbarg das Antlitz, das verschämte Freude rosig überstrahlte, hinter dem wehenden Fächer.
Und noch kecker hob sich das Näschen, noch lustiger lugten die Aeuglein unter dem mächtigen Rembrandthute hervor.
»Die sieht gerade nicht aus, als ob sie Lampenfieber hätte,« dachte er.
Und als der Vorhang zum drittenmale auseinanderging, da blinzelte sie sogar mit einer kleinen Grimasse zum Publikum hinab, daß alles in Jubel ausbrach.
»Gott sei Dank!« flüsterte Dagmar hinterher, »ich bin fast gestorben um das Kind.« – – –
Von der Bühne strömte der bunte Schwarm der Mitwirkenden zum Zuschauerraum hinab. – Männlein und Weiblein sollten in ihren Kostümen bleiben, damit es dem Tanze nicht an Farben fehle.
Dagmar eilte dem »Kinde« entgegen, das am Arme des langen Martino, schwatzend wie eine Elster, dahergetrippelt kam. Als sie die Schwester sah, machte sie ein frommes Gesicht; doch während sie ihr die Stirn zum Kusse bot, lugte sie mit kokettem Schielen zum Marchese hinüber.
Als sie ihm vorgestellt wurde, kopierte sie einen Kinderknix und lächelte dabei schlau und vertraulich zu ihm empor.
24 Und dieses Lächeln kehrte jedesmal wieder, wenn sie bei der Tafel zu ihm hinübersah.
»Was mag sie nur von dir wollen?« dachte der Marchese. Je scheuer und einsilbiger sie ihm Rede stand, sobald er das Wort an sie richtete, desto verständnisinniger ward ihr Blick. Ein Blick war's, der ihm durch Mark und Bein ging, als hätte sie unter dem Tische seinen Fuß berührt.
Die vier waren beisammen geblieben.
Martino, welcher die Damen als Kavalier zum Balle geleitet hatte, führte das Kind, der Marchese durfte an Dagmars Seite sitzen.
Sie war einsilbig, trank Wasser und ließ die Platten unberührt an sich vorübergehen.
Der Marchese fürchtete an ihrer Verstimmung schuld zu sein. Er neigte sich zu ihrem Ohre und sagte ihr ein paar versöhnende Schmeichelworte.
»Lassen Sie mich,« erwiderte sie, indem sie herb die Lippen schürzte.
Als der Champagner kam, begann es auch drüben, wo bislang das Kind laut und ausgelassen auf Martino dreingeredet hatte, merkwürdig stille zu werden. Der Kapellmeister hatte das Kinn in die Hände gestützt, so daß die langen Spinnenfinger über dem Munde eine Wölbung bildeten, und flüsterte durch die Lücken zu seiner Nachbarin hinüber. Von Zeit zu Zeit blitzte ein Strahl spitzbübischen Einverständnisses in ihren Augen – dann wieder sahen sie beide zum Marchese hinüber und wandten, sobald er es bemerkte, schmunzelnd und beschämt wie zwei ertappte Sünder die Gesichter zur Seite.
25 Eben wollte er hinüberfragen, was sie gegen ihn im Schilde führten, da sah er, wie Dagmar mit einem Seufzer, der fast wie ein Aufschrei klang, das leere Kelchglas erhob und es ihm in wild graziöser Gebärde entgegenhielt.
Ihre Gläser klangen zusammen – ihre Blicke küßten sich.
»Füllen Sie – ich will trinken,« rief sie und reckte sich.
Wieder neigte er den Mund zu ihrem Ohre:
»Prego, ch' appaghe il cor, vera beatrice,« flüsterte er.
»Ein Vers – von wem?«
»So betet Petrarca zur heiligen Jungfrau, so bet' ich zu Ihnen.«
Sie lächelte träumerisch und ließ den Rand des Glases an ihren Zähnen klirren.
»Und Sie sagen mir nichts?«
»Ich hab' Ihnen nichts zu sagen!«
»Es genügt Ihnen, daß man zu Ihnen betet?«
Sie schwieg. –
»Sie haben nie die Sehnsucht empfunden, niederzusteigen von Ihrem Altare, Sie Bild ohne Gnade, und dem Beter Gewährung auf die fiebernden Lippen zu drücken?«
Sie schwieg auch jetzt, aber sie schauerte zusammen, und ihr Blick glitt zur Schwester hinüber, als ob er dort Hilfe suche.
Seiner bemächtigte sich ein wilder Trotz, wie die Flammen des Champagners ihn erwecken. »Was red' ich 26 da viel?« murmelte er vor sich hin, »ja, wenn sie ein Weib wäre! Doch sie ist nur eine Heilige!«
Nur!
Der Ball ging zu Ende. Martino hatte ihn schon früher verlassen müssen. – Ohne daß er dem Anscheine nach mehr als schicklich getrunken hatte, war er in einen Zustand vollendeter Sinnlosigkeit hineingeraten.
Seine Augen rollten, seine Haare sträubten sich, er seufzte, er lallte.
»So ist er immer auf den Bällen hier,« sagte der Musiker, den der Marchese zu seinem Beistande herbeigeholt hatte, »er kann das Blond nicht vertragen – er betrinkt sich daran.«
Als er in die Garderobe geschafft wurde, waren seine letzten Worte:
»Marchese, die Blonden, die Blonden!« – –
Das Kind trank den ersten Becher der Weltlust in vollen gierigen Zügen, als ob's der letzte gewesen wäre. – Sie tanzte wie eine Besessene. – Im tollsten Gedränge wirbelte stets wie ein großer bunter Vogel, der in die Lüfte steigen will, der Rembrandthut, den sie am Bande hinter sich her schleifte.
Dem Marchese warf sie von Zeit zu Zeit einen ihrer kokett-geheimnisvollen Blicke zu, war aber noch immer nicht zu bewegen, ihm Rede zu stehen.
Um vier Uhr gebot Dagmar, die sich bisher bemüht hatte, den Schwarm ihrer Anbeter in gemessene Entfernung zu verweisen, dem Kinde Halt. –
27 »Wir müssen gehen,« sagte sie zu dem Marchese gewandt, der naturgemäß Martinos Stellvertretung übernommen hatte, »ich glaube – der Morgen bricht durch die Fenster.«
»Zu Ende also,« sagte er mit einem Seufzer.
Sie nickte ein paarmal, und als ob sie sich dieses Nickens schäme, wandte sie sich zur Seite und lächelte. – Ein weiches Sichgehenlassen, ein verhaltenes Liebebedürfnis schien ihr ganzes Wesen zu durchtränken. –
Er geleitete die Damen zur Garderobe, legte ihnen die leichten Ueberwürfe um die entblößten Schultern und hüllte sich selber fröstelnd in seinen Pelz; denn eine echt nordische Maienkühle drang dem verzärtelten Südländer aus den Vorgemächern entgegen.
Als die drei das hohe Treppenhaus betraten, blieben sie überrascht und geblendet stehen.
Helles Morgenrot strahlte ihnen entgegen. Durch die mächtigen Fenster flammten schon purpurne Wolken mit goldenen Säumen, deren Widerschein das zarte Geäder der Marmorsäulen wie transparent erscheinen ließ; die spiegelnden Stufen, an deren Seiten rote Azaleen ihre Feuerfunken streuten und schlankes Palmengezweig seine graziösen Fächer ineinanderschlang, hatten das Ansehen blumenbestandener Kaskaden, die durch ein Zauberwort zu Stein erstarrt waren. – Die Milchglaskuppeln, welche bronzene Nymphen vom Geländer aus emporhoben, glichen erbleichenden Monden. Ihr weißes Antlitz schimmerte übernächtig und verschlafen und drohte in dem Meer des Morgenlichts zu versinken.
28 Eine zauberische Sonnenahnung lag über dem ganzen Bilde.
»Wie traurig,« sagte Dagmar, sich leise an den Arm ihres Führers schmiegend, »ein Moment – und alles ist gewesen!«
»Braucht es das?« fragte er, sich schmeichlerisch zu ihr niederneigend.
»Wie sonst?«
»Kosten wir ihn doch aus, den Augenblick des Glückes. – Fahren wir nicht nach Hause, dem Hause, das mir so grausam seine Pforten verschließt. – Fahren wir hinaus über die See nach Ihrem lieblichen Djurgard, und hören wir im jungen Grün die Finken schlagen.«
»Schön wär's,« sagte sie, indem sie träumerisch in die Weite schaute, »und im Grase müssen schon die Anemonen blühen. – Ich habe noch nie im Leben eine Extravaganz begangen und möchte doch auch einmal über die Stränge schlagen.«
»So haben Sie doch den Mut!«
»Möcht' schon!« – Aber plötzlich schrak sie zusammen und beugte sich ängstlich nach der Schwester zurück, die an seinem anderen Arme hing. – Allein die schien nichts gesehen und gehört zu haben, sie hielt das Taschentuch vor den Mund gepreßt und hüstelte.
»Reden wir nicht mehr davon,« flüsterte Dagmar, sich zu seinem Ohre emporreckend, »das Kind darf von solchen Dingen nichts wissen.«
Das Kind hüstelte noch stärker.
Als sie ins Freie hinaustraten, vergoldete der erste Sonnenstrahl die Zinnen des alten Königsschlosses, das auf 29 seinem Granitfelsen düster brütend dastand wie ein Wikingerheld, der am Gestade von wilden Fahrten träumt.
Noch waren die Straßen menschenleer, doch auf den blauen Fluten des Mälarsees schossen schon kleine, flinke Schaluppen zwischen den Inseln auf und nieder, lange, perlmutterglänzende Furchen hinter sich herziehend; und auf dem »Salzsee« kam majestätisch ein mächtiger Dampfer daher, hohle Pfiffe ausstoßend, die schauerlich über die schweigende Stadt hinrollten.
Auf der »Stromterrasse«, jener weltberühmten Konditorei, in welcher die elegante Gesellschaft Stockholms ihren Mittelpunkt findet, herrschte noch reges Leben. Ob »schon« oder »noch«, ließ sich nicht entscheiden. Wahrscheinlich waren es Teilnehmer des Festes, welche sich hier ein zweites Rendezvous gaben. Gläser klirrten, und jubelnde Stimmen hallten dazwischen.
»Wir wollen zu Fuße gehen,« sagte Dagmar, »es wäre schad' um jegliche Sekunde.« – Und ihr Blick heftete sich voll Entzücken auf die weißen Häuserreihen, die in der Ferne rechts und links und überall aus den Wassern emporstiegen, lange zitternde Schraffierungen über die spiegelnde Flut hinziehend.
»Sieh nur, Kind, sieh –«
Aber das Kind hörte nicht. Es hatte die Augen geschlossen und lehnte mit mattem Aufseufzen das Köpfchen an des Marchese Schulter.
»Um Gotteswillen – was ist dir?«
Sie schwieg und schleppte sich mit schwankenden Schritten weiter.
»Bist du unwohl?«
30 Das Kind erwiderte nichts, sondern – knickte lautlos zusammen. Hätte der Marchese die zarte Gestalt nicht in seinen Armen aufgefangen, sie wäre auf das Pflaster niedergesunken.
Dagmar stieß einen Schrei aus und umklammerte die Ohnmächtige, ihre Lippen, ihre Augen mit angstvollen Küssen bedeckend.
Ein Glück war's, daß auf der Norrbro kaum fünfzig Schritte entfernt geschlossene Wagen hielten.
Der Marchese winkte den ersten der Reihe herbei und hob das Mädchen auf seinen Armen in das Innere. Dann nannte er dem Kutscher rasch die Adresse der Villa, ihm ein Fünfkronenstück in die Hand drückend.
Traurig und schweigend war die Fahrt. Dagmar weinte leise und streichelte das Antlitz des Kindes, das auf ihrem Schoße lag.
Der Marchese brach die Stille, der Trostlosen Mut einzusprechen.
»Wie sollt' es Gefahr haben!« sagte er, »sehen Sie doch, die gesunde Röte ihres Angesichtes hat sich nicht für einen Augenblick verändert!«
Und so war es in der That! Seltsam – aber es war so.
Als sie vor der Villa hielten, die im Morgensonnenscheine rötlich zu ihnen niederleuchtete, hob er das Kind wiederum auf seine Arme.
»Wie – Sie wollen sie hinauftragen – und allein?« rief Dagmar.
Er nickte. »Ich bin stark,« sagte er mit dem brutalen 31 Stolze, der auch den feinsinnigsten Mann erfaßt, wenn er Frauen physische Kräfte zeigen kann.
Die blühende Last an seinem Halse schaukelte leise. Er fühlte ihr Herz pochen, heftig, stürmisch pochen, und der heiße Atem, der seine Wange streifte, ging aus und ein wie ein Seufzen.
»Seltsam, seltsam,« dachte er bei sich.
Doch auch sein Herz begann zu pochen und pochte noch stärker, als er vernahm, wie Dagmar den Schlüssel im Schlosse zurückschnappen ließ.
Das Eden, das lang ersehnte, lag offen vor seinen Blicken. –
Zuerst kam eine halbdunkle Halle, die Wände mit Lorbeerkränzen austapeziert, welche über mächtigen Garderobeschränken hingen.
»Hier herein!« sagte Dagmar, eine Thür öffnend.
Ein Duft von eigentümlicher Frische, aus Veilchen, Pfefferminz und frischer Wäsche gemischt, drang ihm entgegen.
In der Dämmerung niedergelassener Jalousien sah er zwei weiße Wolken vor sich aufsteigen.
»Hier wollen Sie sie niederlassen,« sagte Dagmar, auf die eine der Wolken weisend.
Er that, wie ihm geheißen. – Die Ohnmächtige stieß einen Laut der Erleichterung aus und streckte sich in den Kissen.
Dagmar wies auf eine Seitenthür. – »Aber leise,« bat sie, »die Mädchen dürfen von Ihrer Anwesenheit nichts erfahren.«
32 Der Marchese trat in einen kleinen Salon, einfach und keusch, wie die Altarnische in einer Dorfkirche. – An den Wänden hingen in großen Stahlstichen die Bilder berühmter Musiker, – an dem einen der Fenster, die ein nebliger Hauch von blaßgelben Spitzengardinen bedeckte, stand ein Nähtischchen mit einer begonnenen Handarbeit, neben dem Sofa Notenschränke, und in einer Ecke ein Erardscher Flügel, der noch geöffnet war.
Auf dem Notenpult lag der Klavierauszug der – »Nozze del banditto«.
Er warf den Pelz ab, setzte sich auf den Drehschemel und drückte in plötzlich aufsteigendem Drange die Lippen auf die weiße Klaviatur, die sie so oft mit ihren zarten Fingerspitzen geliebkost hatte. – Dann lehnte er die heiße Stirn gegen das Notenpult und schloß die Augen. In seinen Schläfen fieberte es, vor seinen Lidern schossen Blitze hin und her. Vergebens bemühte er sich, einen Gedanken zu fassen.
Aus diesem Brüten – wie lange es gedauert, wußte er nicht – erweckte ihn eine Hand, die sich in sanftem Drucke auf seine Schulter legte.
Er fuhr empor. Hinter ihm stand Dagmar und lächelte ihn an.
»Gott sei Dank!« sagte sie, »nun ist alles wieder gut. Ein wenig zu fest ist sie geschnürt gewesen, das war alles. Nun liegt sie im Schlafe und lächelt. Ich bin so froh, ach, so froh!«
Und sie streckte ihm in freudiger Wallung die nackten Arme entgegen.
Es durchschauerte ihn, – er senkte die Blicke zu 33 Boden. Offenbar hatte sie in ihrer Erregung vergessen, daß sie sich noch in Balltoilette befand. Ihr Hals erschimmerte in matter, milchiger Weiße, und auf dem blaugeäderten Nacken entflammte in silbernen Lichtern ein zarter Flaum, sobald ein Sonnenstrahl darüber hinfuhr.
Sie sah seine Bewegung und errötete, wiewohl sie sie nicht zu deuten verstand.
»Aber nun gehen Sie rasch, mein Freund,« bat sie in steigender Angst. »Die Uhr ist halb sechs – wenn meine Mädchen erwachen!«
Er nickte ein paarmal, aber rührte sich nicht.
»Hier ist Ihr Hut – eilen Sie – und den Pelz helf' ich Ihnen anziehen.«
Er ließ mit sich geschehen, was sie wollte. Er war wie im Rausche.
Und dann plötzlich schrak sie zusammen und eilte ans Fenster.
»Heiliger Gott!« rief sie, »Sie können ja nicht fort. Inzwischen sind drüben die Läden geöffnet. Die Bäckerfrau steht vor der Thür und schaut herüber. Um meinen Ruf wär' es geschehen!«
Er hatte ein unbestimmtes Gefühl, als ob ein Ozean von Glück seine Wogen über ihn ergösse.
»So darf ich also bleiben?«
»Sie dürfen nicht – Sie müssen!«
Er schlüpfte eilends aus dem Pelze, warf ihn über den Klavierschemel und setzte sich darauf, die Hände auf dem Schoß haltend wie ein Kind, das aus der Mutter Hand sein Schicksal erwartet.
34 Sie sah es und lachte beklommen. »Was fang' ich nun mit Ihnen an?« sagte sie darauf.
»Sie setzen sich in die Sofa-Ecke und lassen uns plaudern.«
Sie that, als ob sie vor sich hinsänne. »Warten Sie nur,« sagte sie mit einem Versuch, unbefangen zu erscheinen, »ich weiß etwas – ich mache uns Kaffee.«
»Bravo!«
»Pst!« – Und darauf schlich sie auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer. Nach etlichen Sekunden kam sie wieder, eine Tablette mit einer kleinen, kupfernen Kaffeemaschine tragend.
Da – im Vorübergehen fiel ihr Blick zufällig in den Spiegel. Ein Zucken ging durch die ganze Gestalt. Die Tablette klirrte, fast wäre sie zu Boden gestürzt.
»O Gott,« hauchte sie, »ich bin ja – –« Die Tablette sank auf den Tisch, und die Hände, die sie gehalten, preßten sich in qualvoller Scham vor das erglühende Angesicht. – Für einen Augenblick – dann sprang sie zum Fenster, ergriff ein Spitzentüchlein, das neben dem Nähzeug lag, und schlug mit hastiger Bewegung das dichte Gewebe um Schultern und Busen.
Und darauf warf sie sich in die Sofa-Ecke und nagte mit den Zähnen die Unterlippe.
Er erhob sich leise von seinem Sitze und ließ sich in den Fauteuil zu ihrer Seite niedersinken.
Schwüles, herzbedrückendes Schweigen breitete sich über das Gemach. Nichts war zu hören, als beider rasches Atmen, das in wechselnden Stößen durch die Stille hallte.
»Dagmar!«
35 »Was wollen Sie?« – Sie wagte nicht, das Auge zu ihm zu erheben.
»Sind Sie mir böse?«
Und jetzt sah sie ihn an – sah ihn an mit einem Blicke, der ihn bis ins Innerste erbeben machte. – Jungfräuliche Scheu – Flehen um Schonung – und grenzenloses Sichhingeben – alles das lag in dem langen lieberfüllten Blicke.
Er umklammerte die Lehne des Sessels, sonst wär' er vor ihr niedergesunken. Und er wollte stark sein, – um ihret-, um seinetwillen.
Wiederum Schweigen. –
Dann, mit einem letzten, unglücklichen Versuch, die Unbefangene zu spielen, fragte sie: »Wann werden Sie reisen?« Ihre Stimme klang heiser.
»Wann Sie mich schicken!«
»Also heute!«
»Heute, – Dagmar – heute?«
Sie biß sich auf die Lippen, wie um Thränen zu verbeißen, und nickte.
»Muß es sein?«
»Es muß sein!« – – –
»Dagmar?«
»Nun?«
»Sie sind mir noch eine Antwort schuldig!«
»Ich?« Sie fuhr zusammen.
»Haben Sie vergessen, was ich Sie heute fragte?«
»Ja!«
36 »Dagmar, genügt es Ihnen, daß man zu Ihnen – betet?« –
Und nun sank er doch auf die Kniee.
»Dagmar, – hier lieg' ich vor dir, andächtig und ergebungsvoll – – wie ich so – – noch vor keinem Weibe gelegen. Was Sie – was du – über mich bestimmst, wird gut sein. Aber einmal neig' dich zu mir nieder – berühre einmal mit deinen Lippen meine Stirn – mehr verlang' ich nicht – – wirklich nicht. – – Ich müßte verzweifeln, wenn ich so – von dannen ginge.« –
Und als keine Antwort erfolgte, sank er zusammen und schlug die Hände vors Angesicht. Er erschien sich wie einer, der beim jüngsten Gericht zur Hölle wandern muß.
»O – Sie sind nicht – Fleisch und Blut,« stöhnte er, »Sie sind kein Weib, Dagmar!«
Da plötzlich fühlte er eine weiche Hand auf seinem Haupte, fühlte, wie ein heißer Odem seine Wange streifte, hörte ein Flüstern, leis wie ein Windhauch, dicht an seinem Ohr.
»O, ich bin ein Weib, mein Freund – ein schwaches und liebebedürftiges Weib. – – Ich gesteh' es Ihnen in dieser Stunde, da es über mich gekommen ist, daß ich mich anklammern möchte an Ihre Brust – und weinen an Ihrem Halse – – und Sie nie, nie wieder von mir lassen!« –
»Dagmar!«
»Rühren Sie sich nicht – ich fleh' Sie an bei allem, was Ihnen heilig – und hören Sie mich zu Ende. Schon manche Versuchung ist in meinem Leben an mich 37 herangetreten, und ich – ich will schamlos genug sein, es Ihnen zu gestehen: mein Auge hat wohlgefällig auf dem Versucher geruht. Und ich hab' mir gesagt: du bist jung, und deine Seele ist zärtlich – sei die Seine. – Aber dann hab' ich meine Schwester angesehen – das Kind, das erst vor kurzem zur Jungfrau ward – habe den wirren Lockenkopf an meine Brust gedrückt und habe gesagt: um ihretwillen wahre dich! – Fällst du, dann reißt du sie mit – und es ist nicht auszudenken, wie tief sie in den fürchterlichen Abgrund sinken könnte, denn sie ist wild und leichtsinnig und von heißen Sinnen, obwohl – so hoff' ich – noch alles schlummert in ihr. – – – Um ihretwillen bin ich rein geblieben bis auf den heutigen Tag und habe all die Zärtlichkeit, die mein Wesen von mir fordert, ihr zu eigen gegeben. – Und in dieser Stunde, da die größte von allen Versuchungen an mich herantritt, da ich mich selbst nicht kenne vor lauter Liebe und Liebessehnsucht . . . da ich ganz wehrlos bin vor Ihnen, in dieser Stunde fleh' ich Sie an: Schone mich – schone mich um dieses reinen Kindes willen! . . . Entweihe nicht das Haus, in dem es schläft! . . . Sorge, daß ich nicht schuldbewußt erröte, wenn es mir beim Erwachen in die Augen schaut . . . Geh, mein Freund – und dein Weg soll gesegnet sein für immerdar!«
Und weinend küßte sie ihn auf die Stirn . . .
Er erhob sich . . . Jeder Blutstropfen war aus seinem Angesicht gewichen.
Stumm langte er nach seinem Pelze. Als er bereit war, wies er fragend nach der Straße hinaus.
38 Sie winkte. »Geh, es ist besser so,« hieß dieser Wink.
Und er ging.
Als er die Hausflur durchschritt, glaubte er in jedem Augenblick ihre Stimme zu hören, die ihn zurückrief. – Aber die Stimme schwieg. – Da, in dem Momente, da er die Thür hinter sich ins Schloß warf, vernahm er – vernahm ein leises, halbersticktes Kichern, das wie Hexengelächter hinter ihm herhallte.
Dasselbe rätselhafte Kichern, das ihn bei jenem ersten Besuche zum Gitterthor geleitet hatte; nur der Hohn hatte damals gefehlt.
Was war das? Begann die Erinnerung leibhaftig in seinem Hirn zu spuken? Zog der Wahn in seine Sinne ein? – – –
In halber Betäubung wanderte er die Straßen entlang, bis er sich plötzlich dem Stromparterre gegenüber fand.
Mechanisch trat er näher. Er fühlte dunkel das Verlangen, sich in einen Winkel zu setzen und still vor sich hinzuträumen.
Lautes Gelächter drang ihm entgegen. An einem langen Tische saß eine Schar halbtrunkener Zecher in Frack und weißer Binde, darunter – Martino.
So dumpf war sein Hirn, daß er sich nicht einmal wunderte, ihn hier zu finden.
Der lange Martino aber sprang jauchzend empor, ergriff ihn am Aermel und zog ihn in eine Ecke. Sein hageres, weingerötetes Gesicht verzerrte sich zu einem cynischen Grinsen.
39 »Nun, Euer Herrlichkeit,« flüsterte er. »Was für 'nen Lohn bekomme ich nun? – – Ich hab's der Kleinen eingegeben. – Und gut gespielt hat sie, ich möchte Gift drauf nehmen. Corpo di Bacco, ein gelehriges Früchtchen!«
Wie ein Blitzstrahl fuhr es auf des Marchese Haupt herab:
Das Kind, auf dessen Reinheit und Unschuld sie schwor, dem sie in Liebe sich ganz ergeben, es hatte die Schwester – verraten!
»Na – und ist's gelungen?«
Mit einer Gebärde des Ekels schob er den Kuppler zur Seite und eilte ins Freie. Viel fehlte nicht, so hätte er ihn auf der Stelle gezüchtigt.
Als er am Gestade des Sees stand, über dem der Morgenhimmel in bläulicher Helle sich wölbte, da faltete er die Hände und blickte empor.
Seit er den Stern im Fallen gesehen, war er ihm nur noch höher gestiegen.
Was weiter geschah, weiß ich nicht; doch erzählte man mir jüngst, daß Dagmar, die, seit die Schwester ihr weggelaufen, noch einsamer lebt, ihr Engagement gekündigt habe, da sie, wie es heißt, ihren Aufenthalt im Süden zu nehmen gedenke.
Man munkelt allerhand von einer geheimnisvollen Korrespondenz, doch weiß man nichts Genaues. –
* * *
40 Und nun fragen Sie mich, was diese lange Geschichte eigentlich soll, da sie weder für noch gegen meine These spricht?
Meine verehrteste Freundin, man begehrt die Sterne, ja wohl; allein man begehrt sie – zum Weibe. – 41