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London den 25. Sept. 1768.
Alle Reisebeobachter sind gewohnt, allgemeine Schlüsse auf einzelne Thatsachen zu gründen, daher rührt das schiefe Urtheil, welches man mit kühnem Leichtsinn über Menschen und Staaten ausspricht. Wer die hiesige Verfassung nicht kennt, und den König, an einem feierlichen Tage, unter seinen Hofämtern erblickt, wie er im glänzenden Haufen, wo er sein Auge hinlenkt, alle Großen niederbeugt, die ihn mit den Zeichen ihrer Würde, mit dem weißen und schwarzen Stab, in dem Kanzler- und Bischofsornat, in schweigender Ehrfurcht umgeben, der glaubt nicht im Lande der Freiheit, sondern an dem Hofe eines morgenländischen Sultans zu seyn.
Wenig Schritte von diesem Schauspiel, in dem Caffé zu St. James, findet er dann ein öffentliches Blatt, welches über die Regierung mit aufrührerischem Frevel lästert. Lange kann er nicht entscheiden, welche von beiden Erscheinungen ein Traum war, er weiß den Widerspruch nicht zu erklären; endlich glaubt er, mit dem großen Haufen, daß das Hofgepräng nur eine leere Theaterpracht, und die Zeitung der Geist und die Stimme eines zügellosen Volks ist. Welche Bosheit, ruft er aus, bringt die gepriesene Freiheit hervor! Wie eingeschränkt ist die Gewalt des Monarchen, der diesen Trotz nicht bändigen kann! Jeder arme Teufel zuckt dann bedeutend die Schultern, und preis't aufrichtig sein Schicksal, daß er nicht König von England ist.
Dennoch ist ein englischer König, sobald er nicht eigenwillig, sondern nach den Gesetzen, regiert, ein mächtiger, und, wenn das Glück auf irgend einem Throne weilt, auch ein glücklicher Herr. Die Verfassung hat seine Würde zuverlässiger gegen alle Gefahren verschanzt, scharfsinniger von den traurigsten Pflichten, von dem Leiden der Herrschaft befreit, als es irgend ein Staatsklügler ausdenken mag. Er kann nur wohlthun, ehren, belohnen, nur vergeben, und nicht strafen; selbst das Richteramt, welches immer den einen Theil beleidigt, ist von dem Thron unabhängig: denn auch im Prozesse gegen die Pairs wird der König, durch den High Steward, allein symbolisch vorgestellt. Er darf seinen Unterhalt nicht durch Kammerkünste aus dem Lande peinigen; was er einnimmt, ist ein freies Geschenk: und wenn sein Volk unter Auflagen seufzet, so haben es seine gewählten Vertreter, nicht der König, dazu verurtheilt. Auch seine Minister sind sicher, unter allem Geheule der Parteien, wenn sie's nur verstehen, im Parlamente der größern Anzahl zu gefallen. Chesterfield und Pulteney Der nachher Graf von Bath wurde, und die Oppositionspartei verließ. haben Robert Walpolen viele Jahre lang, Schritt vor Schritt, durch Philipiquen im Craftsmann Eine periodische Schrift. verfolgt, ohne daß es ihnen gelang, diesen stromkundigen Steuermann des Parlaments zu stürzen.
Jetzt sind unter den namenlosen brittischen Aretinen und Volkstribunen dergleichen wichtige Männer nicht mehr; ein Paragraphenschreiber (so nennt man hier einen Zeitungspolitiker,) und ein elender Kerl sind meist gleichbedeutende Wörter. Die verwegenste Schrift beweis't selten etwas mehr, als daß es einen tollkühnen Dürftigen gibt, der, mit Gefahr am Pranger zu stehen, sein Mittagsessen erschimpft.
Der Catilina Wilkes. dieses Landes, der nur an Bosheit, nicht an Einfluß, seinem Vorbilde gleicht, büßt jetzt seine Ritterzüge durch ein langes Gefängniß. Sein Leben war eine Reihe von Glücksritterstreichen. Ich beziehe mich auf die Thatsachen, die ihm der Pastor Horne in seinem Streite mit ihm vorwarf, und die er nicht ablehnen konnte, auf seine öffentliche Lebensart in Frankreich und Italien, und auf seine Verschwendung in London, welche die Bill of Right's Society bezahlen mußte. Wenn ihm die Sänftenträger Beifall zujauchzen, so verachtet ihn der bessere Theil der Nation; und dennoch, als ihn das Gesetz niederwarf, wagte selbst der Pöbel nicht einen Laut; der neue Brutus ward ohne Lärmen, wie ein gemeiner Taschendieb, eingesteckt.
Freilich bessert ihn wohl diese Züchtigung nicht; ihm bleibt allein die verdrießliche Wahl, entweder fortzuempören, oder im Gedränge zu verschwinden. Durch redliche Thaten wird er nicht glänzen; selbst als Schriftsteller ist er nur mittelmäßig; wär' er nicht Staatsverbesserer, Thronerschütterer, so würde er höchstens zum politischen Romanenschreiber, oder zum Kunstrichter taugen. Er versuchte eine Geschichte von England zu schreiben: aber die ersten Hefte waren so elend, wurden mit einem solchen Hohngelächter aufgenommen, daß er den Einfall klüglich aufgab. Mit einem Fluß von Worten und vieler Insolenz wird man im Parteienzanke berühmt: aber über Schriften, wo dieß Interesse fehlt, urtheilt das kalte Publicum strenger.
Indessen kränkt der Frevel, welchen die Preßfreiheit schützt, alle Freunde der Ordnung und der bürgerlichen Ruhe, und selbst eifrige Whigs haben strengere Mittel gegen ihren Mißbrauch gewünscht; aber man fürchtet die Hand der Regierung zu waffnen, und so erträgt man das Übel; weil es aus der Freiheit, dem größten Vorrecht der Menschheit, entspringt, wie hier und da eine schädliche Pflanze aus einem wohlthätigen Boden sproßt. Weder Locke, noch Rousseau, noch Hume, haben je eine Regimentsverfassung erkünstelt, welche frei von Gebrechen und Widersprüchen wäre; alle wiegen sich in verschiedenen Zeiten nach Anarchie oder Knechtschaft hin; oft sind die Mittel giftiger, als die Krankheit; wenn man es zugeben muß, daß Freiheitsliebe bei diesem Volke zur unanständigen Schimpfsucht artet, so dulden die Britten auch wieder, daß man sie, in dringenden Staatsgefahren, wie Negersclaven, zum Dienst preßt.
In den bittersten Schriften dieser Zeit wird jedoch der persönliche Charakter des Königs geschont. Wahre Tugend erzwingt unwillkührliche Ehrfurcht, und schreckt auch die verwegenste Bosheit zurück. Alle Unzufriedene gestehn, daß er seine hohe Pflichten mit warmer eifriger Treue erfüllt. Er hat seinen Tag nach einer strengen Ordnung vertheilt, und verschwendet für sich nicht eine Stunde, welche seinem Volke gehört. Kein Staatskundiger in diesem Lande ist gründlicher, als er, von dem Zustand der Finanzen, der Flotte, der Kriegsmacht unterrichtet. Wer den täglichen Wandel dieser Gegenstände und ihren weiten Umfang kennt, begreift es kaum, daß er auch seine deutsche Staaten mit einer gleich eingreifenden, durchschauenden, alles umfassenden Sorgfalt regiert: und dennoch ist er nur bei seinen Ministern, im Rath und in St. James König; er erübrigt sich Zeit für den Genuß des häuslichen Glücks. In der Königin Pallast ist er Freund und Beschützer der Wissenschaften und Künste, liebevoller Vater und zärtlicher Gatte. Wahre Freuden der Ehe gedeihen selten am Thron: aber selbst in der Hütte würde so ein Paar die Ehrfurcht der Weisen verdienen. Charlotte verherrlicht die Wahl des Monarchen durch ihre sanfte, Herzen gewinnende Gaben. Sie wandelt in einer verdorbenen Zeit, im Gewühl der Hof-Intriguen und Künste, mit einer Grazie, welche den Weltmann entzückt, und einer Tugend, die den Himmel befriedigt.
Ich habe vor wenig Tagen ihren Pallast mit einem lebhaften Vergnügen besehen. Unten wohnt der König, im zweiten Stock die Königin; die obern Zimmer sind einer Büchersammlung gewidmet, welche merkwürdiger durch ihre Wahl, als durch ihre Menge, ist. Hier fehlt der Raum für den Haufen Müßiggänger, welcher sonst in den Schlössern der Könige wimmelt; außer der königlichen Familie ist nur für unentbehrliche Bediente Platz. Sie glauben in dem reinlichen Hause eines weisen begüterten Privatmanns zu seyn; was vielleicht allein den Besitzer verräth, sind die herrlichsten Werke der Kunst, welche man aus allen Schlössern hier versammelt und zum täglichen Genuß aufgestellt hat.
In den Königspallästen hat mich immer der Mißklang zwischen Pracht und Mangel, die wenige Achtung für Einheit im Ganzen beleidigt; vergoldete Gemächer und schlechtes Geräth, überladene Cabineter und öde Säle, neuer und veralteter Zierath, Verschwendung ohne Bequemlichkeit: alles trägt das Gepräg mannichfaltiger Launen, je nachdem Marschälle, Günstlinge, Hof-Intendanten ihr kurzes Daseyn verewigen wollten; hier aber athmet durch alles der Geist des Monarchen, vernünftige Wahl und gefällige Ordnung, ein sanfter geläuterter Geschmack.
Ein rechtschaffener Mann, und noch vielmehr ein tugendhafter, rechtschaffener König, ist Gottes erhabenstes, edelstes Werk. Ich werde nie an Georg den Dritten, als mit der reinsten Verehrung, denken; dem ungeachtet ist es möglich, daß seine menschenfreundliche Regierung für England nicht die glücklichste seyn kann. Großbritannien nähert sich der Epoche, in der sich Rom befand, als Asien geplündert war. Seine Triumphe im letzten Kriege, die Eroberungen in Indien haben Reichthum und verdorbene Sitten, Üppigkeit und Hochmuth verbreitet.
Heldenkraft eines Volks wird durch Widerstand genährt, und ermattet jenseit des Zieles. Dieser Staat ist auf dem Punct der Reife, welcher an das Verwelken grenzt. Eigener Trotz und fremder Neid, Ohnmacht und Verachtung aller Gefahren, nehmen in bedenklichen Verhältnissen zu.
Diese periodische Fluth und Ebbe, welche alle Staaten fortreißt, hält keines Königs Weisheit auf, weil die Vorsehung reiner Tugend einen Freibrief gegen ihre Rathschlüsse verleiht. Aber auch unter widrigen Schicksalen strahlt diese Tugend auf die Folgezeit; und die Geschichte sondert das Verdienst des Monarchen von seinem Glück.