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Zweyter Brief.

London den 24. August.

Ich habe gestern einen meiner schönsten Tage auf Garrick's Landhause zugebracht. Ich verließ, in Murphy's Ein Rechtsgelehrter, der es auf dem Theater, aber ohne Glück, versuchte. Einige seiner Stücke werden mit Beifall gespielt. Hier sind die Titel der bekanntesten: The Orphan of China, Zenobia, All in the wrong, The old maid, The desert island, No one's ennemy but his own, What we must all come to, The apprentice, The way to keep him, The citizen u. s. w. Gesellschaft, London früh. Es war ein wollüstiger Sommermorgen; ein durchsichtiger Nebel zitterte durch die warme Gegend, wie in Claude Lorrain's Landschaften, und die Natur gewann im Schleier. Ich fühlte mich wie vom Äther getragen; alles rund um lächelte Wonne. So ein Gefühl des Lebens, mein Freund, vernichtet alle Sophismen vom Übergewicht des Übels in der besten Welt.

Garrick's Haus ist ein kleiner Pallast, und nach guten Verhältnissen gebaut. Es liegt am Ufer der Themse, die sich hier durch eine reichbewohnte und ausgeschmückte Gegend windet; was man aber seinen Garten nennt, ist nichts mehr, als ein rein gehaltener Rasen, auf welchem mancherlei Gebüsche und gesellschaftliche Bäume ohne Symmetrie verstreut sind. Horaz beschreibt eine solche Gegend:

                   

Qua pinus ingens altaque populus
Vmbram hospitalem consociare amant
Ramis, et obliquo laborat
Lympha fugax trepidare rivo.

Unten am Wasser steht Shakespeare's Tempel, ein Heiligthum für jeden Britten, im eigentlichsten Verstande. Das Bild des Unsterblichen ist von weißem Marmor, in natürlicher Größe, zur Verehrung aufgestellt, und der Künstler hat ihm einen Blick der Entzückung gegeben, als wenn er in den Welten seiner eignen Schöpfung herumirrte, und auf die Gesänge Ariels lauschte. Im Wohnhause finden Sie weder Pracht, noch Modegeschmack, aber eine heitre, edle Einfalt, die in das ländliche Leben gehört, und hie und da Merkmale von dem Geiste, oder auch der Laune des Besitzers. Alle Tapeten sind helle, von sanften, verträglichen Farben; sie sind mit den Gemählden berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen behangen, welche sämmtlich in wichtigen Scenen ihres Spiels mit vielem Ausdruck vorgestellt sind. Vier Gemählde von Hogarth sind merkwürdig; es sind die Originale zur Election. Ein fünftes von eben dem Meister ist es noch mehr. Es sollte das Gegenbild der Heirath nach der Mode werden, und in vier Gemählden eine vollkommen glückliche Ehe vorstellen; aber, entweder ist die Natur an Modellen zu diesem Sujet zu dürftig, oder Hogarth war in Fictionen nicht fertig; nur ein Stück isi angefangen, und in solchem allein der Kopf der Braut vollendet. Hogarth zeigt sich hier auch als ein Mahler der Schönheit; denn es ist das sanfteste, liebevolleste Gesicht. Ferner sah ich hier Garrick's Bildnis von unsrer Landsmänninn Angelica Kaufmann grau in Grau gemahlt, und ein andres, in China, nach Reynold's, sclavisch copirt, in welchem Garrick einem verkleideten Chinesen gleicht. Ich darf auch unter den Kunstwerken ein Kästchen von dem heiligen Maulbeerbaum nicht vergessen, unter dessen Schatten Shakespeare geruht haben soll, und das hier mit Andacht, wie eine wunderthätige Reliquie, gezeigt wird. Aber Sie verlangen den Mann kennen zu lernen; von dem Schauspieler rede ich heute nicht. Und niemals; denn man kann darüber nichts Bessers, als Herr Professor Lichtenberg, sagen. Sie wissen schon, daß er ein schöner Mann ists, zwar nicht aus der Classe der schönen Körper, die zu Halbgöttern taugen: denn er ist kaum von mittler Größe; und zu den Idealfiguren der römischen und griechischen Helden, zu dem, was die Franzosen das hohe Tragische nennen, fehlt ihm beinah ein pied du Roi; aber seine Figur ist zierlich gebaut; er ist nervig und fein, gedrungen ohne Fettigkeit, und jede Spiel seiner Muskeln, jede äußre Schwingung stimmt genau zur innern Empfindung, die überall, in der Bewegung der Hand so gut, als im Ausdruck des Angesichts, durchscheint: und daraus erklärt sich ein Wort von ihm zu Previllen. Als dieser einst, zur Bewunderung aller Zuschauer, den Betrunkenen machte, so rief ihm Garrick zu: »Ihre Füße sind nüchtern!«

Beim ersten Anblick entscheiden Sie gleich, daß ihn die Natur zur Freude, zum Spott, und folglich zum Lustspiel berief. Aus den Augen strahlt launiger Scharfsinn und satyrische, hudibrastische Archneß, Schalkheit drückt dieß Wort nicht völlig aus. die aber, durch offne Freude gemildert, mehr anzieht, als abschreckt. Sie begreifen, welche sichere Kunst, welche Schöpfergewalt über seine Physiognomie dazu gehört, in den großen tragischen Rollen diesen Stempel der Natur zu verwischen; und doch forschen Sie umsonst darnach, wenn er als Lear im Ungewitter schrecklich bethet, oder mit der Hölle im Blick, als Richard vom Tyrannenlager auffährt.

Garrick lebt mit den Ersten des Königreichs, und wird in ihrer Gesellschaft geehrt und geliebt; aber zum Glück für seine Freunde hat ihn der Ton der grossen Welt nicht angesteckt, wo die Gesetze des conventionellen Anstands Natur und Freude fesseln, und jeden freien, edlen Baum zur Gartenhecke verschneiden. Garrick überläßt sich ohne Zwang seiner Laune, und glaubt, daß Scherz und treuherziges Lachen die Würze des Lebens sind. Von der Art seines Witzes gibt nichts einen deutlichern Begriff, als seine Prologen und Epilogen, die voll gesellschaftlicher Einfälle sind. Fremde unerwartete Gleichnisse, glückliche Anspielungen, Entdeckungen ganz neuer Seiten an gewöhnlichen Gegenständen, auch Doppelsinn und Wortspiele, die ihr verschrienes Geschlecht wieder ehren, glücklich angebrachte Stellen aus alten und neuen Schauspielen, oder aus seinem Lieblingsdichter Horaz, alles das strömt mannigfaltig und unaufhörlich daher. Sein Herz würden Sie am besten aus seinen freundschaftlichen Briefen kennen lernen, wo er, in einem leichten gefälligen Styl, alle Accorde der edelsten Gefühle durchläuft, und seinen Verstand, wenn er von seiner Kunst spricht. Er ist voll der interessantesten Anekdoten; und wenn er erzählt, so handelt er zugleich. Jeder erscheint mit einer Grimasse aus seinem Gesicht, und spricht mit dem Ton seiner Stimme; auch das kleinste Geschichtchen wird zum Drama. Hier ist Geberdensprache, deren Beweglichkeit und Wahrheit einen Theil der Pantomimenwunder begreiflich macht. Was er dadurch, ohne Sprache, zu wirken vermag, sah ich neulich im Macbeth. Als er, mit einem zum Mord entschlossenen, satanischen Blick, einen Dolch zu sehen glaubt, und mit einem Griff, wie man nur nach Kronen greift, nach dem Hefte haschte, sank ein Fremder in meiner Loge, der nichts von der Handlung begriff, weil er nicht ein Wort Englisch verstand, vor Entsetzen ohnmächtig zurück.

Wir unterredeten uns viel vom armen Sterne. Garrick liebte den Menschenfreund, und ehrte den Mahler des Herzens; aber doch sagte er irgendwo strenge genug von ihm:

                   

I will not like friend Shandy rattle,
And lose my matter in my prattle. Ich will nicht wie Freund Shandy klappern und meine Materie in meinem Geplapper verlieren. Von rattle, einer Kinderklapper.

Auch nennt er ihn a lewd companion, der noch ausgelassener in seinem Umgang, als in seinen Schriften, war, und gewöhnlich alle Frauen durch seine Zoten verjagte. Er artete in London aus, wie mir alle meine Bekannte versichern, einer übelversetzten Pflanze gleich; der Weihrauch der Großen verdarb ihm den Kopf, und ihre Ragouts den Magen; er wurde kränklich und stolz, ein Invalide am Leibe und Geist.

Ich fragte nach Fielding. Auch er war einer von Garrick's Lieblingen, als Gesellschafter und als Schriftsteller. Garrick zieht ihn, wie die Engländer alle, dem idealischen Richardson Wir lesen, dünkt mich, nur so lange wir minderjährig sind, den Richardson lieber als den Fielding. weit vor, der sich eine Welt in der Studierstube schuf und Menschen aus dem Berg Athos schnitzte. Fielding mahlte die Natur so getreu, daß Sie in England überall eine Bekanntschaft aus dem Tom Jones antreffen, so wie in Holland aus jeder Hütte ein Ostade, oder ein Teniers kriecht. Sonst war Fielding ein vollkommener Cyniker, der dem alten Hund in der Tonne nichts nachgab, und Tabak und Wein und Epigrammen sehr unappetitlich unter einander käuete. Einst, als Garrick mit einigen Freunden bei ihm speiste, reizte ihre Nasen ein widriger Ausfluß; Fielding half ihnen bald aus dem Traum; denn, indem er lachend aufstand, ward die Gesellschaft gewahr, daß er auf dem Nachtstuhl bei Tische saß. Ich habe nun von Garrick selbst die Geschichte von Fielding's Bildniß bestätigen hören, welches vor Murphy's Ausgabe seiner Schriften steht. Hogarth zeichnete solches nach Fielding's Tod aus dem Gedächtniß; und weil er sich eines merkwürdigen Zuges im Munde nicht erinnern konnte, ahmte Garrick denselben nach, und erfrischte dadurch Hogarth's Einbildungskraft. Dies veranlaßte das oft wiederholte lächerliche französische Mährchen, daß Garrick einem Mahler zu einem fremden Gesicht gesessen habe. Wir würden berühmte Männer oft aufrichtiger bewundern, wenn man weniger Wunder von ihnen erzählte. Wichtiger ist eine Anekdote von Garrick in Rom. Als man in einer Gesellschaft von Künstlern vom Ausdruck der Leidenschaften sprach, so individualisirte er eine nach der andern auf seinem Gesicht mit einer fürchterlichen Wahrheit. Hätte der gegenwärtige Mengs diese Expressionen gezeichnet, so würden sie für den Ausdruck der Seele das Nämliche seyn, was Polyklet's Regel für die Verhältnisse des Körpers war. Ich selbst habe etwas Ähnliches von ihm gesehen, als ich ungefähr vor acht Tagen der Repetition eines Stücks the Padlock von Bikerstaff zusah. Er hatte in solchem selbst keine Rolle, und dennoch machte er alle, auch die Weiberrollen, seinen Schauspielern mit einer täuschenden Wahrheit vor. Es ist unbegreiflich, wie sein feingesponnenes Nervengewebe diese beständige Anstrengung erträgt; wie es zugeht, daß seine Gesundheit nicht unterliegt: denn Sie müssen nicht glauben, daß es nur bei ihm aus der Oberfläche stürmt. Ich sah ihn einst nach vollendeter Rolle Richard's, wie den sterbenden Germanicus auf Poussin's Bilde, hinterrücks auf einer Ruhbank gelehnt, mit keichender Brust, bleich, mit Schweißtropfen bedeckt, und mit herabgesunkener bebender Hand, ohne Sprache. Auf dem Lande sammelt Garrick seine verschwendete Schnellkraft wieder, und er eilt hinaus, so oft er nur einen freien Tag erhaschen kann. Alsdann genießt er, wie er sagt, einige Viertelstunden seines Lebens. In der Stadt gehört er der Nation zu. Sein mühsames Studium nicht allein, sondern auch die Regierung der Bühne raubt ihm oft Zufriedenheit und Ruhe. Diese Regierung hat in England alle Inconvenienzen der brittischen Constitution. Bald stürmt im Green Room Das Zimmer für die Schauspieler auf dem Theater zu Druryplane. das Haus der Gemeinen; bald sind Mylords, die Autoren, unzufrieden.

Who, with a play, like pistol cock'd, in hand,
Bid managers to stand:
»Deliver, Sir,
Your thoughts on this!« –
    »But Madam – Miss –«
»Your answer strait!
I will not wait.« –
    »T' is fit, You know« –
»I'll hear no reason.
This very season,
Ay or no!«
Die, mit einem Drama, wie mit einer aufgezogenen Pistole, in der Hand, dem Director: stehe! zurufen. Ihre Meinung hierüber, eh' Sie sich rühren! – »Aber Madam – Mamsell – Ihre Antwort stracks! Ich warte nicht« – »Es ist gut, daß Sie wissen – Ich höre keine Gründe. Diesen Winter noch muß es gespielt werden. Ja, oder Nein!«

und die Stimme des Volkes ist fürchterlich, weil es, wie in Athen, seine größten Leute in einer üblen Laune mißhandelt. Er ist zwar der Liebling des Volks, und trifft meisten Theils den Geschmack dieser strengen Obrigkeit; dennoch erkennt er ihre Herrschaft mit Ehrfurcht, und weiß, daß sie nie einen Fehler, nicht eine Nachlässigkeit vergibt. Garrick ist auch nicht unempfindlich gegen einzelne Kritiken, und entrann so wenig, als irgend ein verdienstvoller Mann, den Kabalen des Neides und der Schadenfreude schlechter Menschen; ja es war zum Theil Verdruß über mancherlei Beleidigungen dieser Art, was ihn zu einer langen Reise außerhalb Landes bewog. Er schilderte seine damalige Verfassung in folgenden Versen:

                   

The looking up fatigues the sight:
And mortals, when they soar,
Should they once reach a certain height,
All wish, to have them low'r,
And friends there are in this good town,
Will lend a hand to help them down In die Höhe zu sehn ermüdet die Augen; fängt ein Sterblicher an zu fliegen, und hat erst eine gewisse Höhe erreicht, so wünscht ihn Jeder näher bei der Erde, und es gibt Freunde in dieser guten Stadt, die eine Hand hergeben, um ihm herab zu helfen..

Und die Herren Kunstrichter werden mit einem Gleichniß bewillkommet:

                   

Criticks are, like watchmen in town,
Lame, feeble, half blind, yet they knock poets down Kritiker sind den Nachtwächtern gleich, lahm, krüppelig, halb blind, doch schlagen sie den Poeten zu Boden..

Garrick verdient diese Begegnung nicht. Er hat nie das Genie angefeindet, nie eine Partei, oder, wie man es bei uns nennt, eine Schule Weil das Heer oft aus Schülern besteht. commandirt; er hat kein aufkeimendes Talent durch Verachtung gedemüthigt, oft unerkannte Fähigkeiten hervorgezogen, auch den Fleiß geschätzt, und Ruhm und Belohnung mit seinen Gehülfen getheilt. Er ist nicht allein der Lehrer, sondern auch der Vater seiner Gesellschaft, und ehrt seltene Gaben mit Enthusiasmus. Nachdem Mistreß Pritchard die Bühne verlassen hatte, gab er ihr jeden Winter eine Benefizvorstellung, spielte alsdann immer selbst, und machte nicht selten ein eigenes kleines Stück dazu. Noch spricht er mit Rührung von der berühmten Mistreß Cibber. Sie empfand, sagt er, und wirkte Empfindungen. Seitdem sie todt ist, kann ich keine verliebte Rolle mehr machen.

Es ist wahr, seine Dienste werden reichlich belohnt. Man rechnet sein Vermögen auf 100,000 Pfund Sterling, und das Theater bringt ihm jährlich, als Schauspieler und als Eigenthümer zur Hälfte, noch gegen 4000 Pfund ein. Wenn Reichthum, Verstand und ein großer Name glücklich machen können, so ist Garrick ein glücklicher Mann: und er ist es auch in seinem Hause; denn seine Frau ist eine liebenswürdige, schätzbare Frau, die von ihrem vorigen Stande Sie war eine Tänzerinn. Sterne nennt sie in seinen Briefen: a peerless woman. nichts als die Grazie übrig behielt: aber ihnen fehlen Kinder, der Trost und die Freude des Alters, und Garrick's Vermögen wird der Familie seines Bruders zu Theil. Weil Garrick in künftiger Woche spielen soll, so lag sein Schreibtisch voller Bittschriften von Herren und Damen aus allen Ständen, die um einen Platz in den Logen flehten; ein fremder Prinz war unter den Supplicanten, und ein auswärtiger Minister hatte sein Gesuch durch einen eignen Brief unterstützt. Es wäre kein Wunder, wenn ein so gefeierter Mann endlich stolz würde. Baron war es mit ungleich geringerm Rechte. Garrick aber ist es nur für die Narren, gegen deren Zudringlichkeit nichts in Sicherheit setzt, als Kälte. Alles, was aus den Provinzen, oder übers Meer kömmt, will durchaus die Löwen im Tower, und Garrick, den Wundermann sehen. Ich bin, sagt er, auf dem Theater für Geld zu sehen, aber in meinem Hause allein für meine Freunde.

Auf meinem Rückwege trat ich einen Augenblick in Twickenham, dem berühmten Garten Pope's, ab, der allein durch seinen Namen merkwürdig ist. Die so schön besungene Grotte ist ein mittelmäßiges Gewölbe, mit Muscheln ohne Geschmack überladen, in welchem hie und da etwas Wasser wie von einem Ziegeldache, herabtropft.

Künftig sage ich Ihnen vielleicht etwas über Garricks Schriften und über die Bildnisse von ihm, die mir vorgekommen sind.

 


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