Rudolf Stürzer
Lustige Geschichten aus dem Wiener Leben
Rudolf Stürzer

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Der Vierte.

Leut' gibt's auf der Welt!

Man sitzt im Schottenkeller, hat schon gezahlt und will den Rest seines Viertels »Spezi« in Ruhe schlürfen. Da kommt einer, setzt sich mit einem vollen Glase neben hin und hebt also an:

». . . 'tschuldig'n S' schon, was trink'n S' denn für an?«

»Einen Spezial.«

»Na, den trink' i net, i derf nur an Heurig'n trink'n, i derf net misch'n, mir hab'n schon im Melkerkeller an Heurig'n trunk'n, aber weil i da grad vorbei geh', denk' i ma, kaufst d'r no a Vierterl, wer waß, was murg'n is! D'r Mensch is ja d'r reine Nixnet auf d'r Welt – is a so oder net?«

»Na ja, wie man's nimmt.«

»Na, na, Herr, dös is net a so, wia ma's nimmt, dös is schon a so: d'r Mensch is heut' da und murg'n net. Sehg'n S' bei mir is a so – um a Haarl Haar hat's g'fehlt und i war heut' net mehr da und gestern aa net und vurgestern aa net. . . .«

»Na also, sind S' froh!«

»Dös bin i aa, – aber so leicht derf ma dös net nehma, wia Sö, auf ja und na kann S' Ihna aa hab'n. . . .«

»Ich dank' schön, Sie sind ja ein recht angenehmer Nachbar!«

»Ja Herr, i derf so red'n, denn i wir Ihna jetzt was sag'n: ›Sö kennan mi, aber i kenn' Ihna net‹ – – ja, ja schau'n S' nur: i kenn' Ihna net, aber Sö kennan mi!«

»Daß ich nicht wüßt. . . .«

»Na, dös is gar net so merkwürdig, i kenn' Ihna net, aber Sö kennan mi!«

»Ja, von woher denn?«

»Les'n S' die Zeitung?

»Natürlich.«

»Alle Tag?«

»Freilich.«

»Also, dann kennan S' mi!«

In meinem Gehirn beginnt es zu »wurl'n«.

»Wann S' die Zeitung les'n, müass'n S' mi kenna!« 4

»Ja wieso denn?«

»I bin nämli d'r Vierte!«

Eine unheimliche Ahnung steigt in mir auf. Um sie zu verschleiern, frage ich schier unwillkürlich. »Von was?«

»Sehr guat: von was? Wann S' die Zeitung les'n, müass'n S' das glei wiss'n!«

»Wann ich's aber nicht weiß?«

»Sö wiss'n S' schon – Sö werd'n do g'les'n hab'n, daß am Samstag vier Arbeiter in an Starkstrom einikumma san, net? Na also – drei hat's d'rwischt, mi net – i bin also d'r Vierte!«

Die unheimliche Ahnung wandelt sich in einen Vorwurf gegen den Starkstrom, immerhin kann ich – wesentlich erleichtert – dem Manne gratulieren. Auch er zeigt eine merkliche Entspannung und bestellt sich noch ein Viertel Heurigen. Dann wird er ganz kameradschaftlich:

»No sehg'n S', i hab's ja g'wußt, Sö kennan mi – Sö werd'n ja aa mein' Namen g'les'n hab'n. Schindler haß i, net wahr? No ja, i waß ja, Sö hab'n's g'les'n – aber jetzt wir i Ihna aa beweis'n, daß i d'r Schindler bin. . . .«

»Aber das is ja gar nicht notwendig – ich glaub's Ihnen so auch. . . .«

»Na, na, mei liaber Herr, dös is net a so, Sö derf'n net an jed'n glaub'n, was er sagt, da kunnt Ihna ja a jeder sag'n, er is d'r Schindler, net?«

Er zieht eine dicke Brieftasche und blättert in zahllosen Papieren.

»Da is a Briaf von meiner Frau, aber das is ka Beweis, da san a paar Ansichtskart'n mit meiner Adress', aber dö kann a andrer aa hab'n, Jessas, das is a Briaferl von d'r Antschi, wann den mei Alte d'rglengt, den muaß i glei außa geb'n – da san a paar Versatzzettel, dö derf mei Alte aa net sehg'n, aber wart'n S' nur, i wer Ihna schon beweis'n, daß i d'r Schindler bin. . . .«

»Aber es ist gar nicht notwendig, Herr Schindler, ich glaub's Ihnen schon. . . .«

»Jetzt hör'n S' do schon amal auf – wann i Ihna schon sag', Sö derf'n net an jed'n glaub'n, – Sö müass'n Ihna do erscht überzeug'n, bevur S' an was glaub'n, aber i bin a Mensch, der an jed'n beweist, was er sagt – i bin ka Schwindler, i bin d'r Schindler, dös werd'n S' glei sehg'n, wann i mei Legitimation find, i hab nämli a Legitimation mit meiner Photographie – dös is do Beweis gnua, da werd'n S' ma's dann do glaub'n, daß i d'r Schindler bin, net?«

»Aber i glaub's Ihnen so auch. . . .«

»Dös nutzt ma nix, dös sag'n S' nur a so, aber i muaß Ihna aa beweis'n was i sag', i muaß nur mei Legitimation 5 find'n, i hab's ja allerweil mit, aber jetzt find' i s' net glei, nur Geduld, sie muaß da sein – sie is no vom vurig'n Jahr, aber das macht nix, mei Nam' is drauf, von mir selber g'schrieb'n. . . .«

»Aber suchen S' nicht, ich glaub' Ihnen ja eh. . . .«

»Sö derf'n aber net – Sö werd'n in Ihnan Leb'n net weit kumma, wann S' an jed'n glaub'n, was er Ihnen sagt – a jeder is ja net so wia i, i kann Ihna beweis'n was i sag' – aber wann i mei Legitimation net find' . . .«

»Das macht nichts. . . .«

»Sehr guat – und wann is s' net find', dann glaub'n S' ja do, daß i a Schwindler bin – Sö san a merkwürdiger Mensch, der an jed'n glaubt. . . .«

»Also gut: ich glaub's Ihnen nicht!«

Der Mann wirft die Brieftasche auf den Tisch, erhebt sich halb und neigt sich ganz zu mir herüber. Seine Stimme klingt hohl:

»A so! Auf dö Art halten S' mi halt do für an Schwindler – i hab's Ihna ja eh glei angsehg'n – also a Schwindler bin i in Ihnare Aug'n? Warum hab'n S' denn das net glei g'sagt und mi a Weil' suach' n lass'n, han? I bin a Schwindler, Herr? Sö, dös sag'n S' ma net ins Gsicht!«

Nachbarn werden aufmerksam und kommen zum Tische – ich trete einen geordneten, aber raschen Rückzug an. Hinter mir Stimmengewirr und der schauerliche Ruf:

»I bin nämli d'r Vierte!« 6

 


 


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