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Drittes Kapitel

Als ihr Bräutigam sie verlassen hatte und ihr kleiner Haushalt zur Ruhe gegangen war, das heißt, als das Dienstmädchen oben in seiner Dachkammer eben laut schnarchte, die alte Tigerkatze in der Küche unten behaglich schnurrte und Cynthia in ungewohntem Aufruhr ihres Innern regungslos, aber wach im Bette lag und an den Himmel hinauf starrte, da kniete Lätitia Primrose in der Stille der lieblichen Sommernacht nieder und sandte ihr Dankgebet zum Herrn, der den Geliebten ihrer Jugend glücklich zu ihr zurückgeführt hatte.

Unten in dem mit Wohlgerüchen erfüllten dämmerigen Garten standen die schlanken, weißen Lilien kerzengerade wie Schildwachen und machten, von dem fahlen Mondlicht übergossen, einen geisterhaften Eindruck. Unbewegt und teilnahmlos blinkten die Sterne herab, und auch der zunehmende Mond lugte heiter und ungerührt zwischen den flatternden Gardinen hindurch zum offenen Fenster herein. Er war an derlei Dinge längst gewöhnt; denn diese uralte Geschichte, die Geschichte unendlicher Wonne und unsäglicher Leiden, hat sich im Lauf der Zeiten, von seinem milden Licht beschienen, so oft abgespielt, daß man es ihm wirklich nicht verübeln darf, wenn sie ihm gleichgültig geworden ist.

Mit Thränen in den Augen erhob sich Lätitia; aber es waren Thränen des Glücks, in deren Schimmer sich ihr mattbeleuchtetes Zimmer in eine Laube im Garten Eden verwandelte. Sie schloß eine Schublade ihres altmodischen, eichenen Sekretärs auf, der in einer Nische stand und mit einer zierlichen Decke geschmückt war. Der Schlüssel drehte sich schwer in dem eingerosteten Schloß, und die Lade wollte sich nicht herausziehen lassen und bewegte sich nur langsam und widerstrebend.

Als sie sich mit einem ächzenden Ton, der weder ein Schrei noch ein Stöhnen war, aber von beidem etwas an sich hatte und in dem stillen Haus geisterhaft widerhallte, endlich öffnete, entströmte ihr ein süßlicher Lavendelduft.

Die Lade enthielt nichts als Leinen, vergilbtes, mit Stockflecken bedecktes, verlegenes Leinen, dessen glitschige Falten einen moderigen, muffigen Geruch ausatmeten, den zu unterdrücken, selbst dem Lavendel nicht gelang. Lätitia seufzte, als sie die verfärbten Sachen aus der Lade nahm und mit sorglichen Händen auf ihrem Bett ausbreitete; aber sie sah sie nur durch einen Nebel, denn noch immer standen die Thränen des Glücks in ihren Augen. Vor zwanzig Jahren, als sie ihre Ausstattung hatte wegpacken müssen, waren andre Thränen darauf gefallen; aber in ihrem schlichten, starken Glauben hatte sie den Schlüssel umgedreht und bis zu Basils Rückkehr nicht wieder aufgeschlossen.

Zwanzig Jahre geduldigen Wartens, aber nicht in Seufzen und Klagen, zwanzig Jahre guter Werke und täglicher Arbeit waren vergangen, und nun war der Geliebte wieder gekommen!

War es denn nicht erst gestern gewesen? Die Lilien hatten doch geblüht, als er schied?

Der Ton seiner Stimme, der Druck seiner Hand hatte ihr die Vergangenheit zurückgebracht und über diese zwanzig wechselreichen Jahre eine Brücke geschlagen. Noch fühlte sie sich von dem süßen Hauch der Lilien umweht, die vor zwanzig Jahren ihre silbernen Kelche entfaltet hatten. Die roten Rosenblätter, die nebst dem Lavendel über diese einfache Ausstattung gestreut waren, Rosen, die er vor zwanzig Jahren gepflückt hatte, dufteten noch immer. Hier war kein Tod und kein Zerfall zu spüren. Durch den Thränenschleier hindurch konnte sie die Veränderung nicht erkennen, die im Laufe der Zeit mit der schönen Leinwand vor sich gegangen war. Der Duft der roten Rosen, die der Geliebte ihrer Jugend für sie gepflückt hatte, täuschte sie über den Schimmel- und Moderduft weg, mit dem die Zeit in aller Stille diese hochzeitlichen Kleidungstücke durchsetzt hatte.

In ihrem schlichten Glauben und in der unwandelbaren Treue ihrer Liebe übersah sie all die Jahre, die zwischen dem Einpacken und dem Auspacken ihres verborgenen Schatzes entschwunden waren. Sie gedachte nicht mehr der zwanzig Winter und ihres Schnees, noch der zwanzig Sommer und ihrer Sonnenglut, die über sie weggezogen waren, seit die Lilien ihrer Jugend in Blüte gestanden hatten. Sie sah nicht den Schnee, den diese Jahre auf ihrem braunen Haar, sie sah nicht die Runzeln, die sie in ihrem verblühten Antlitz zurückgelassen hatten. Warum sollte sie auch? Ihre Liebe kannte keinen Winter, sie kannte nur den Frühling, den ewigen Frühling, der sich nun in einen strahlenden Sommer verwandeln sollte!

Die geduldigen Liebenden hatten sich so viel zu sagen und so viel miteinander zu überlegen, so viele Pläne für die Zukunft zu entwerfen, für die glückliche Zukunft, die nun diese zwanzig einsamen, geduldig durchharrten Jahre krönen sollte, daß Basil Haworth den größten Teil der langen, strahlend schönen Junitage in dem Häuschen seiner Verlobten zubrachte.

Wie könnte er auch je zuviel bei dem Weib verweilen, das so lange auf ihn gewartet hatte? Und doch fühlte er sich trotz aller seiner edlen Vorsätze manchmal müde, und wurde ungeduldig über den beschränkten Gesichtskreis und die kleinlichen Sorgen, in denen sich das Leben dieses teuren Wesens abspielte. Das würde sich aber mit der Zeit schon geben, redete er sich dann ein, wenn sie in ihrer neuen Stellung als Frau des Seelsorgers einer großen Landgemeinde höhere Ziele zu verfolgen und eine entsprechendere Umgebung haben würde. Mittlerweile ließ es sich Lätitia nicht nehmen, in den Tagen dieses späten, aufregungslosen Brautstandes ihr Federvieh zu füttern, ihren Garten zu jäten und mit hochgeschürzten Röcken und dem flatternden lila Schutzhut in ihren Gemüsebeeten zu hacken und zu harken, während ihr Bräutigam im Schatten der myrtenumrankten Veranda seine Morgenblätter las.

Alle Vorstellungen waren fruchtlos; Lätitia liebte ihre Arbeit und war nie so glücklich und zufrieden, als wenn sie sich mit ihrem Hühnerhof, ihren Bienen und ihren Blumen beschäftigen konnte. Immerhin fand der feurige Liebhaber, der nun nach zwanzig Jahren einsamer Arbeit den Hafen erreicht hatte, auch seine Entschädigung. Die häufigen Besuche in dem Landhäuschen brachten ihn in ständige Berührung mit Cynthia, deren schüchternes, liebliches Antlitz das arme Häuschen mit Licht und Sonnenschein zu erfüllen schien.

Vom ersten Abend an behandelte sie ihn – ihren neuen Bruder, den sie auf Lätitias Wunsch so lieb haben sollte – mit einer lieblichen, schüchternen Vertraulichkeit, die wahrhaft rührend anzusehen war. Sie pflegte, an den groben Kleidungsstücken für Lätitias Arme nähend, bei ihm zu sitzen und den Geschichten zu lauschen, die er nie müde wurde, ihr zu erzählen. Er schilderte ihr sein abenteuerliches Leben, wie er zu Wasser und zu Lande oft nur mit knapper Not dem Tode entgangen, welchen Gefahren er bei den Wilden, in Ländern, die nie zuvor ein weißer Mann betreten hatte, ausgesetzt gewesen war; er berichtete ihr von seinen Zusammenstößen mit feindlichen Stämmen in einsamen Gebirgsgegenden; von dem Schiffbruch, der ihn an das ungastliche Ufer einer Insel der Südsee geworfen hatte, und ihre blauen Augen wurden feucht, ihre roten Lippen zitterten, und ihr liebliches Antlitz glühte durch die mächtige Erregung, in die seine Erzählungen sie versetzen konnten.

Für ein so junges Mädchen war sie eine vortreffliche Zuhörerin; atemlos, wie verzaubert, hing sie an seinen Lippen, während der Sonnenschein zwischen den sternförmigen Blüten der Passionsblumen hindurch die Veranda übergoß, aus ihrem goldenen Haare spielte und die Umrisse ihres vollen, weißen Halses und ihres zarten Busens, der sich unter dem Einfluß der aufregenden Erzählungen hob und senkte, in ihrer ganzen Reinheit hervortreten ließ; und mittlerweile jätete und harkte das Weib, das er liebte, die fleißige, kleine Gestalt in Holzschuhen und lilafarbenem Schutzhut unten im Garten im nassen Gras.

Unwillkürlich seufzte Basil, wenn sich ihm der unvorteilhafte Gegensatz, gegen seinen Willen, immer wieder aufdrängte; sein Gesicht wurde streng und fahl unter der warmen, braunen Farbe, und mit leisem Stöhnen sprang er auf und eilte in den Garten hinab, um seiner Braut bei ihrer schlichten Beschäftigung Gesellschaft zu leisten.

Hatte sich nicht einstens ein andrer Adam glücklich gepriesen, an der Seite seiner Eva auf den grünen Gartenpfaden, die all ihren Töchtern seither heilig sind, spazieren zu dürfen? Aber vielleicht hat die andre Eva keinen Schutzhut und keine Holzschuhe getragen.

Außerdem war im Garten Eden auch keine so störende Persönlichkeit mit goldbronzefarbenem Haar vorhanden gewesen und hatte in der Laube nebenan gesessen und genäht. Wohl kannte er die anmutvolle Rundung dieses schöngeformten weißen Armes und jedes Grübchen in diesen rosigen, feinen Fingerchen, die immer so emsig drauf los nähten; aber er wußte nicht, ob Lätitias fleißige Hände weiß oder braun, voll oder mager waren.

Einstens, vor Jahren, hatte er es gewußt; aber es lag ein so unendlich langer Zeitraum zwischen damals und heute.

Cynthia war die Gartenarbeit zuwider; bald wurde sie von einer Wespe gestochen, oder von Dornen geritzt, oder von Nesseln gebrannt; schien die Sonne, so wurde ihr zu heiß, fiel Tau, so erkältete sie sich, und der Wind zerzauste ihr Haar und ließ es noch unbändiger erscheinen, als es ohnehin war.

So blieb sie drinnen und nähte für die Armen, während Lätitia nach Herzenslust in ihrem Garten arbeitete.

Als wohlverdiente Belohnung für seine langjährige eifrige Thätigkeit im Missionsdienst war Basil Haworth bei seiner Rückkehr nach England eine große Pfarrei in einer der Midlandschen Grafschaften verliehen worden. Auch auf dem neuen Arbeitsfeld, das sich ihm eröffnete, war ein gut Teil zu thun; aber er verzögerte den Antritt seines neuen Amtes, um gleich eine Gehilfin mitzubringen, die dessen unzweifelhafte Mühen und dessen höchst zweifelhafte Freuden mit ihm teilen sollte.

Mittlerweile waren Basils Pflichten sehr geteilter Natur und verursachten ihm mehr Gewissensbisse und Selbstprüfungen, als seine ganze, abwechselungsreiche Missionarslaufbahn.

Diese schlichte Chloe mit ihren über den flinken, dienstwilligen Knöcheln geschürzten Röcken, mit dem so ausnehmend praktischen, in jedem Luftzug flatternden Schutzhut, die in so angreifender Weise zwischen ihrem Lattich und ihren blühenden Bohnenstangen herumtrampelte, hatte die heiligsten Ansprüche auf seine Treue. Wohl anerkannte er ihre Rechte, aber der Adam in ihm begehrte nicht mehr danach, an der Seite der treuen Eva auf den reinlichen Wegen des wohlgehaltenen Gartens dahinzuschreiten.

Ja, so weit war es mit ihm gekommen, daß die Gegenwart des Mädchens, das nächstens sein Weib werden sollte, daß die Nähe des liebevollen Wesens, das all diese Jahre hindurch in Treue seiner geharrt hatte, zu seinem Glück durchaus nicht mehr nötig war.

Unwillkürlich schreckte er vor dem Druck dieser gütigen Hand, vor der Berührung dieser mageren Lippen zurück: aber Fräulein Primrose pflegte ihren Bräutigam stets mit dieser keuschen Liebkosung zu begrüßen und sich von ihm zu verabschieden.

Gar gern hätte er diesen Austausch von Zärtlichkeit wenigstens in Cynthias Gegenwart vermieden; aber er wagte nicht, die arme Dame um diese formellen, leidenschaftslosen Küsse zu betrügen, die sie all diese Jahre hatte entbehren müssen. Allein trotz seines innerlichen Grauens vor dieser zärtlichen Vertraulichkeit, trotz seiner wachsenden Gleichgültigkeit gegen den Zauber von Lätitias Gesellschaft, ließ Basil Haworth keinen Tag vergehen, ohne sich im Myrtenhäuschen einzufinden. Seinem inneren Widerwillen zum Trotz beschleunigte sich sein Puls und klopfte sein Herz in einer Weise, die einem Mann in seinen Jahren und von seiner Gestalt unmöglich zuträglich sein konnte, wenn er errötend und erwartungsvoll den Gartenweg hinaufschritt.

Eines Tages traf ihn Lätitia, als er hastig an den schlanken Lilien vorbeistreifte; sein Gesicht glühte – vermutlich weil er so rasch den Berg heraufgegangen war – und in der Hand hielt er ein kleines Farnkraut.

Diesen Farn suchte er so sorgsam vor der Sonne zu schützen und starrte dabei so eifrig nach dem Fenster, das auf die Veranda ging, daß er unversehens über Lätitia stolperte, die im Weg kniete und eines der zahllosen kleinen Blumenbeete von Unkraut säuberte.

Eilends raffte sie sich auf und begrüßte ihren Bräutigam so freundlich, als sei es eine der notwendigen Zuthaten des Brautstandes, gelegentlich in so unförmlicher Weise über den Haufen gerannt zu werden. Basil entschuldigte sich aufs eifrigste, fuhr dabei aber fort, über Lätitias Schutzhut hinweg nach dem kühlen, dämmerigen Verandazimmer hinüberzublicken.

»Was hast du denn da, Basil?« fragte sie und beguckte die kleinen grünen Wedel mit ihren kurzsichtigen Augen in der Nähe.

Es war ein armseliges, zartes, dürftiges Pflänzchen und welkte schon in seiner heißen Hand.

»Nur einen kleinen Farn,« erwiderte er verlegen, »den ich für Cynthia mitgebracht habe.«

»Es ist sehr lieb von dir, Basil, daß du an sie gedacht hast. Das Kind hat die Farne so gern und sammelt sie seit ihrer frühesten Jugend! Sie muß dir ihre Sammlung zeigen! Von jetzt an müßt ihr miteinander sammeln! Nichts bringt zwei Menschen einander so nah, als eine gemeinschaftliche Liebhaberei. Du wirst dich mit Cynthia gut verstehen, Basil, und ihr werdet bald die besten Freunde sein.«

Ein trauriges Lächeln spielte um Basils Lippen, als das liebe Geschöpf, in dieser Weise plaudernd, neben ihm herging; aber seine Augen sahen über sie weg nach dem offenen Fenster, wo Cynthia stand, die in einem weißen Kleid, von ihrem leuchtenden Haar wie mit einer feurig goldenen Krone geschmückt, einer der weißen Lilien am Wege glich.

Es schwamm ihm vor den Augen, als er sich ihr ehrerbietig näherte und sie mit erglühenden Wangen und einem eigentümlichen Aufleuchten seiner Augen begrüßte. Sie dagegen erblaßte und zitterte und nahm widerstrebend das Farnkraut aus seiner Hand.

Auf Lätitias Begehr brachte sie schüchtern ihr Album herbei und zeigte es dem Geliebten ihrer Schwester mit trauriger, flehender Miene.

Mit dem größten Eifer betrachtete er die ziemlich ärmliche Sammlung der gewöhnlichsten, in England vorkommenden Farne, die keineswegs immer richtig bezeichnet waren. Aber wäre es die herrlichste Sammlung in ganz Europa gewesen, so hätte dieser Schwärmer für Frauenhaar und Polypodiaceen kein tieferes Interesse an den Tag legen können, als jetzt, wo er diese befleckten und beschädigten Blätter umwandte.

»Du wirst dich mit Cynthia gut verstehen, Basil, und bald werdet ihr die besten Freunde sein,« klang es ihm immer in den Ohren, als er sich über die zitternde Hand herunterbeugte, die die Blätter umschlug, und das widerspenstige Haar, das jedermann in den Weg kam, seine Wange streifte.

Ach, als sich beim Umwenden eines Blattes ihre Hände zufällig begegneten, als er sah, wie sie bei seiner Berührung erbebte, als er beobachtete, wie sie erglühte, wie rasch und stoßweise sie atmete, als er sich über sie beugte, da mußte er sich seufzend eingestehen, daß sie sich nur allzu gut verständen.

Eigentlich hätte er die Polypodiaceen betrachten sollen, aber er hatte nur Augen für sie; und obgleich sie beharrlich in das aufgeschlagene Buch sah, und die langen, seidigen Wimpern auf ihren Wangen ruhten, fühlt sie dies doch.

»Und du hast dein ganzes Leben lang Farne gesammelt?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie sanft, aber lebhaft, »solange ich mir's denken kann. Sieh!« Damit schlug sie hastig die Blätter um und deutete auf einige zerbröckelte Ueberreste auf einem ziemlich beschmutzten Blatt. »Sieh, das waren meine ersten Exemplare. Lätitia hat sie mit mir gesucht und mich dann gelehrt, sie zu pressen; sie hat mir auch die Hand geführt, als ich den langen, lateinischen Namen schrieb; keinen einzigen Farn habe ich ohne sie gepflückt oder gepreßt. Solange ich mir's denken kann, hat sie an all meinen kindlichen Beschäftigungen und Freuden teilgenommen.«

»Ich hätte gedacht, sie sei zuviel von ihren eigenen Beschäftigungen in Anspruch genommen worden.« Dabei warf er einen vielsagenden Blick in den Garten hinaus, wo eben der lila Schutzhut zwischen den Rosenbüschen sichtbar wurde.

»Für mich hat sie immer Zeit gefunden! O, du kennst Lätitia nicht, wenn du dies glaubst! Alles, alles hat sie mir geopfert, ihre Zeit und ihre Neigungen, und nie hat sie auch nur gefühlt, daß es ein Opfer war!«

Cynthia war erregter, als die Veranlassung erfordert hätte; und als sie sich von ihm abwandte, sah Basil eine Thräne zwischen den langen Wimpern glänzen und das Grübchen in ihrer glatten Wange sich vertiefen.

Er gab die Betrachtung der Polypodiaceen auf und trat verstimmt ans Fenster. Lätitia bewegte sich noch immer zwischen den Rosensträuchern hin und her, und als sie sich in den unmalerischsten Stellungen mit dem lächerlichen, im Winde wehenden Schutzhut niederbeugte, da hätte der unschöne Anblick auch eines stärkeren Mannes Nerven angegriffen.

Seine Augen wanderten von diesem sonnbeschienenen Bild zu der geschmeidigen Gestalt im kühlen Schatten des verdunkelten Gemaches.

Noch immer blickte Cynthia in das vor ihr liegende Buch; aber wenn sie Basil auch nicht ansah, so fühlte sie doch den Strom von kaum verhaltener Leidenschaft, der aus seinen Augen brach und sie förmlich übergoß.

»Ich hatte Lettice schon gekannt, ehe du geboren warst,« sagte er bitter, »und stets gewußt, daß sie das liebste, beste Geschöpf von der Welt ist – viel zu gut für mich oder für irgend einen Mann!«

Auf Cynthias Antlitz wechselte fliegende Röte mit tödlicher Blässe.

»Nein, nein,« unterbrach sie ihn heftig, »sie ist nicht zu gut für dich, Basil! Alles, was sie ist, ist sie für dich!«

Unschlüssig, halb vorwurfsvoll ruhte sein Auge einen Augenblick auf ihr, dann trat er mißmutig auf die Veranda hinaus.

»Für mich,« wiederholte er bitter, als er über den kleinen Grasplatz schritt, um Lätitia bei ihrer geliebten Beschäftigung Gesellschaft zu leisten.

Mit einem rührenden Ausdruck der Erleichterung in ihren blauen Augen sah Cynthia ihm nach, aber ihre Lippen bebten. Rasch ergriff sie das Buch mit den gepreßten Farnen und das kleine, dürftige Pflänzchen, das er ihr gebracht hatte, und trug beides hinauf in ihr eigenes kleines Nest.

Sofort verriegelte sie die Thür, drückte den armseligen, kleinen Farn an ihre Lippen und küßte ihn leidenschaftlich; dann warf sie sich neben ihrem Bett auf die Kniee, drückte den Kopf in die Federdecke und schluchzte zum Herzzerbrechen.

»Ach mein Geliebter, mein Geliebter,« rief sie zwischen ihr Schluchzen hinein, »ich kann es nicht! Niemals, niemals könnte ich so undankbar, so grausam sein!«

Niemand sah sie als die Passionsblumen, die zum Fenster herein nickten; niemand hörte sie, als die Drossel, die auf der Rüster am Gartenthor saß und mitleidig über die wilde Rosenhecke herüberzwitscherte: »Liebes Kind, hübsches Kind!«

Etwas später am Tag schleuderte Basil Haworth allein zwischen den Johannisbeersträuchern in Lätitias Garten auf und ab. Cynthia blieb unsichtbar, und ohne sie war das Verandazimmer düster und öde.

Wie es in der letzten Zeit häufig geschah, schalt er sich ob seiner Thorheit aus.

»Ist denn diese Narrheit, deren Beute ich geworden bin, die Liebe?« fragte er sich mit bitterer, unvernünftiger Ungeduld und voll Verachtung für seine eigene Schwäche. »Soll denn ein glattes Mädchengesicht und ein Kopf voll goldener Haare zwischen mich und die treue, ehrliche Liebe meines ganzen Lebens treten?« Wütend stellte er sich diese Frage, als er in der Dämmerung in dem verhaßten Garten spazieren ging. Schon, daß er diese Frage seinem Gewissen überhaupt vorlegen mußte, empfand er als herbe Demütigung, und wieder und immer wieder versicherte er sich selbst, daß er um keinen Preis der Welt das Herz des lieben Weibes brechen würde, das ihm ihre Jugendzeit geopfert und all diese Jahre über auf sein Kommen gewartet hatte und das soeben wieder mürben, schönen Salat zu seinem Nachtessen schnitt; aber mochte er sich mit noch so großer Strenge sagen, daß er das Wort, das er vor zwanzig Jahren, im ersten Jugendfeuer verpfändet hatte, treulich einlösen werde, so hinderte das doch nicht, daß er mit tödlicher Angst, mit namenlosem Entsetzen den kommenden Jahren entgegensah.

Er malte sich aus, wie das herzensgute Geschöpf in dieser trüben Zukunft ständig an seiner Seite weilen, immer älter und grauer werden und in seinen beschränkten Begriffen und kleinlichen Sorgen so aufgehen würde, daß sie sich von Tag zu Tag weiter auseinander leben mußten und weiter getrennt sein würden als zu der Zeit, wo noch der große Ocean seine Wogen zwischen ihnen dahinwälzte.

Ein unerträglicher Widerwille, ein unsagbarer Ekel bemächtigte sich seiner bei dem Gedanken an dies Zusammenleben, nach dem er sich so lange gesehnt, auf das er so lange gewartet hatte, und diese Empfindung demütigte ihn bis in den Staub. Sollte er nicht offen vor sie treten, ihr seine Schwachheit beichten und von ihrem Edelmut seine Freigebung hoffen?

Er hatte das unklare Gefühl, daß dies beträchtlich edler wäre, als ihre beiderseitige Zukunft zu Grunde zu richten; aber instinktiv bebte er davor zurück; denn er begriff die Seelengröße Lätitias nicht, weil er nur ihre gewöhnliche, im Alltagsleben zur Schau getragene Außenseite sah.

Unter herber Gewissenspein sagte er sich, daß es nun zu spät sei, sich zurückzuziehen, daß er seine Ehre schon vor langen Jahren verpfändet habe, und daß Lätitias Glück auf dem Spiel stehe.

»Ich werde ihr Treue halten,« erklärte er feierlich vor sich selbst, als er sie mit einem Korb voll grünen Salats am Arm, aber auch mit freundlichem Antlitz und vertrauensvollem, zärtlichem Ausdruck in ihren kurzsichtigen Augen den Gartenweg herabkommen sah. »Gewiß werde ich ihr Treue halten, um der alten Zeiten willen werde ich ihr meine Treue bewahren.«


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