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Eintönig klang das donnernde Klatschen des Teppichklopfens aus dem Hofe empor, der rechts an den sogenannten Garten angrenzte. Gegenüber aus dem Volksschulgebäude tönte das abgehackte laute Buchstabieren einer Klasse. Zwischen den dürftigen, verkrüppelten paar Bäumen, auf deren Blättern eine dicke Rußschicht lagerte, spielten lärmende Kinder. Ein Hund kläffte dazwischen. Zu beiden Seiten stiegen kahl und öde die hohen Wände der Hinterhäuser empor. Gestickte Strümpfe hingen da und dort an den Fenstern. Frauen in nachlässiger Kleidung und zerzaustem Haar erschienen hinter den Scheiben, keiften schrillen Rufs in den Hof nach ihren Sprößlingen und schlugen das Fenster wieder zu. Von irgendwo her kam das stoßweise Wimmern eines Klaviers. Es war ein nebliger und kalter Morgen.
Käthe Krauß saß in der guten Stube der kleinen Gartenwohnung, in der sie mit ihrer Mutter zusammen hauste, am Fenster und ließ trübselig das Reklam-Bändchen sinken. Bei solchem Lärm konnte man doch nicht lernen. Aus reiner Langerweile studierte sie die Kameliendame und lauschte seit zwei Tagen ununterbrochen, ob nicht die Thürklingel tönen und der Theaterdiener ihr die neulich der Ernesti abgenommene Rolle der »Satanella« bringen würde.
Es kam nichts. Auch im Theater war nicht weiter davon die Rede gewesen. Den Direktor hatte sie überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Der saß gestern Abend mit dem fremden Bankier von neulich stundenlang im Direktionszimmer. Dann war auch, während einer Spielpause, die Ernesti hineingegangen, geschminkt und im Kostüm wie sie war, und nach einiger Zeit ausgelassen lachend wieder herausgekommen. Und bald darauf verbreitete sich das Gerücht, der fremde Herr habe sich bereit erklärt, die nötigen Anzahlungen an die Lieferanten zu leisten, so daß das große Ausstattungsstück demnächst in Szene gehen könne!
Etwas wahres mußte daran sein. Das sah man schon aus der Art, wie Erna seitdem den Bühnenleiter behandelte. Sie war eigentlich die Herrin des Theaters. Alles drehte sich um sie. Auf der Probe wurde jeder ihrer Wünsche befolgt und der Direktor redete von ihr nur noch als von »unserer Ernesti«.
Sie selbst wunderte sich innerlich am höchsten, daß es ihr sofort gelungen war, van Look dazu zu bewegen, dem Direktor runde 12000 Mark für das neue Stück zur Verfügung zu stellen. Allerdings war dies für ihn der einzige Weg, um möglicherweise wieder in den Besitz der zuvor beim Streik des Chors geliehenen tausend Thaler zu gelangen. Denn das Vaudeville versprach allerdings mit seiner gefälligen Musik, seiner Verschwendung von fleischfarbigem Tricot und der Schlüpfrigkeit seines haarscharf der Censur entronnenen Inhalts einen schönen Erfolg. Aber wer will einen Erfolg beim Theater voraussagen?
Van Look hatte einen anderen Grund. Ihm lag daran, Aufsehen mit der Ernesti zu erregen, und diese war, nachdem sie nun an die neunzig Mal in demselben, schon im Frühjahr herausgebrachten Stücke aufgetreten war, ein wenig aus der Mode. Die Zeitungen hatten keine Veranlassung, Kritiken über sie zu bringen, in das Theater selbst ging die Lebewelt schon seit einiger Zeit nicht mehr und die kleinen Reklame-Artikelchen von gestohlenen Diamanten, in der Garderobe versengtem Haar, glänzenden Gastspielanträgen nahmen schließlich doch nur die Freibillet-lüsternen Winkel- und Klatschblätter, nicht die großen Zeitungen auf.
Das alles würde sich ändern, wenn Erna in einer glänzenden, neuen Rolle auftrat! Alle Zeitungen würden darüber berichten, das high-life würde hinströmen, wie es jetzt eben die Logen eines Spezialitäten-Theaters in der Leipziger Straße bevölkerte, um die berühmten »lebenden Bilder« zu sehen, und mit Ernas Triumphe würde natürlich auch die Nachricht von seinen Beziehungen zu ihr in den Kreisen der Wissenden – und nur auf die kam es ihm an – in den Cirkeln der Schadow- und der Potsdamer Straße, in den Casinos und den Hinterzimmern des Weinrestaurants von Mund zu Mund gehen. Ernas Besitz schmeichelte ihn dabei weniger, als die Thatsache, daß er Parsenow den glänzenden Parsenow bei ihr ausgestochen hatte, den berühmten Lebemann und Pistolenschützen, vor dem sich jeder weislich in acht nahm. Erna selbst gefiel ihm eigentlich wenig. Sie war ihm zu laut, zu aufgeregt und lärmend. Sie machte ihn nervös und langweilte ihn zu gleicher Zeit.
Käthe Krauß wußte von alledem noch nichts. Sie wartete auf ihre Rolle. Freilich mit bangem Herzen. »Wären wir doch in Grünstett geblieben,« wendete sie sich seufzend zu ihrer Mutter, der Steuerrätin, die mit hochgekrämpten Ärmeln das Zimmer fegte.
»Es wird auch hier gehen!« tröstete sie die Rätin ... »bedenke nur ... dort hattest Du 180 Mark monatlich und hier 300 ...«
»Ja!« sagte die kleine Käthe betrübt ... »und dann bin ich doch immerhin in Berlin, wo man sein Glück machen kann. Aber es kümmert sich ja niemand um einen. Seit zwölf Tagen spiele ich jetzt in dem dummen Stück und noch ist mein Name nirgends erwähnt und niemand kennt mich ...«
»Das geht nicht so rasch, Kind ... man muß sich durchbeißen. Wenn man noch nicht vierzehn Tage an einem Theater engagiert ist, kann man ja nicht schon berühmt sein ... die andern haben auch klein angefangen ...«
»Ach, die andern.« Käthe hat eine bittere Bemerkung auf der Zunge. Sie kommt sich selbst schon beinahe lächerlich vor mit ihrer Solidität.
Sie geht wieder mit dem Reklam-Bändchen in der Hand murmelnd durch das Zimmer, da tönt draußen die Klingel. Mit pochendem Herzen öffnet sie die Thür. Der Theaterdiener steht draußen. Er überbringt ihr einen Brief der Direktion, läßt sich den Empfang quittieren und verschwindet.
»Was hast Du denn, Kind?« die Rätin springt ganz erschrocken auf, als Käthe totenbleich wieder in das Zimmer tritt, das Schreiben in der Hand.
»Nichts, Mama ... nichts,« Käthe reißt verstört das Schreibtischfach auf ... »mein Kontrakt ... weißt Du nicht, wo mein Kontrakt ist ... ja ... hier liegt er ...«
Sie faltet ihn zitternd auseinander und sucht nach einer Stelle. »Es stimmt ...« sagt sie dann mit bebender Stimme, »es ist richtig mit dem Paragraphen ... ich kann vier Wochen nach Beginn der Saison mit vorhergehender vierzehntägiger Kündigung entlassen werden, wenn ich mindestens einmal vorher aufgetreten bin ... ja ... das stimmt alles ... es sind erst zwölf Tage und aufgetreten bin ich ja auch ...«
Die Rätin sieht sie entsetzt an.
»Aber Kind ... um Gotteswillen!«
»Da stehts!« Käthe setzt sich schwer auf den Stuhl am Fenster, »nun ist alles zu Ende!« Und geistesabwesend starrt sie auf den Hof, aus dem eintönig, unerbittlich donnernd, das Teppichklopfen dringt. Die Kinder balgen sich schreiend, der Hund fährt kläffend dazwischen.
In dem kleinen Zimmer herrscht tiefes Schweigen.
Endlich nimmt Frau Krauß einen Anlauf: »Am Ende ist es nur ein Mißverständnis! ... geh doch hin, Kind ... dann kommt vielleicht alles in Ordnung!«
»Ich weiß, was es ist!« sagte Käthe bitter, »das ist die Rache der Ernesti ... die ist wütend auf mich ...«
»Dann geh' erst recht hin, Kind, und sprich mit dem Direktor!«
»Ja ... ich wills thun« ... Käthe steht auf und nimmt Hut und Mäntelchen ... »Eigentlich traue ich es der Ernesti gar nicht zu. Sie ist furchtbar gutmütig in ihrer Art.«
»Dann kann sie Dir vielleicht helfen.«
»Ach Gott!« trübe lächelnd steigt Käthe die Treppen hinunter und schreitet langsam, wie betäubt durch die wimmelnden Straßen gen Westen, bis das Theater in majestätischer Oede vor ihr liegt.
Der Direktor kann sie nicht empfangen. Er hat zu thun. Der Sekretär spricht mit ihr, erst einige allgemeine Phrasen über den schlechten Geschäftsgang, die hohen Betriebskosten ... endlich kommt er auch auf die Kündigung zu sprechen.
Damit hat es allerdings seine Richtigkeit. Man kann sie nicht brauchen. »Sie haben zu wenig Schneid, Fräulein ... Sie stellen auf der Bühne nichts vor, ... es fehlt an Temperament ... an Pikanterie ... da ist nichts zu wollen ...«
»Und finden Sie es denn nicht unbarmherzig?« sagte die kleine Krauß mit gepreßter Stimme, »mich nun einfach hier auf die Straße zu setzen. Was soll ich denn jetzt anfangen in Berlin?«
Der Sekretär zuckt die Achseln. »Kontraktliches Recht... mit dem Gemütsstandpunkt gehts nicht beim Theater ... glauben Sie mir ... Sie hätten ja den Kontrakt nicht zu unterschreiben gebraucht...«
»Und nun sitze ich hier ohne Engagement und ohne Geld.« Käthe wendete sich schluchzend ab ... »wie wird das enden?«
Der Sekretär sieht ihr einen Augenblick prüfend nach; dann geht er hinter ihr her und tippt sie leicht auf den Arm. »Hören Sie mal, Fräulein! Wenn Sie wollen, werd' ich noch einmal mit dem Direktor reden ...«
»Am Ende behält er mich doch!« Käthe ist ganz erbleicht vor Schrecken über dies Glück.
»Ich glaube sicher ... er behält Sie ... wenn Sie nur eben darauf eingehen ... wegen der Gage ... daß dreihundert Mark zu viel sind, müssen Sie doch selbst zugeben.«
»Und wieviel meinen Sie ...?« Käthe hält den Atem an, der Sekretär zuckt die Achseln.
»Ja ... lieber Gott ... vielleicht neunzig Mark ... monatlich ... mehr wohl kaum ...«
Neunzig Mark. Käthe Krauß braucht einen Augenblick, um sich zu besinnen. Jetzt wird ihr die Sache klar. Die Ernesti hat nichts mit der Kündigung zu schaffen. Es handelt sich einfach um eine Gagenreduktion
Ein verzweifelter Zorn steigt in ihr empor.
»Also das ists!« wendet sie sich mit zitternder Stimme zu dem Sekretär, »... erst locken sie mich aus meiner sicheren Stellung am Grünstetter Hoftheater hinweg und versprechen mir die hohe Gage und nun, wo ich hier hülflos in Berlin sitze, wollen Sie mich zwingen, mit neunzig Mark zufrieden zu sein und was ich sonst brauche, anderweitig ... wissen Sie, wie ich das nenne? ... das ist ein Betrug, ein ganz gemeiner Betrug ...«
»Sie können das nennen, wie Sie wollen, Fräulein Krauß!« tönt hinter ihr eine Stimme. Der Direktor steht mit majestätischem Gesichtsausdruck da. »Nach dieser Aeußerung bleibt es selbstverständlich bei der Kündigung. Ich verzichte auf ihr weiteres Auftreten! Den Rest der Gage bekommen Sie geschickt! Adieu!«
Gelassen schreitet er davon. Der Sekretär blickt ihm nach und murmelt halb vor sich: »Und den hab' ich noch als Cigarren-Fritzen in der Rosenthaler Vorstadt gekannt, wie er hinterm Ladentisch stand.«
Am Theater-Eingang steht die Ernesti.
»Nanu? ... wirklich gekündigt?« fragt sie Käthe, die leise weinend vorbeigeht.
»Ja! ... nun kann ich verhungern!«
»Schaffen Sie sich 'nen Liebhaber an!« sagt Erna gefühllos und wendet sich lachend wieder zu dem dicken Komiker, der neben ihr steht.
Auf der Straße fiel es Käthe Krauß ein, daß sie nun ihren Agenten aufsuchen müsse, um zu sehen, ob sie nicht irgend ein Engagement bekommen könne. Die Hoffnung war freilich gering. Eben erst waren zwei Theater gleich nach Eröffnung der Saison verkracht. In allen Agenturen saßen die stellenlosen Mimen und waren froh, von kleinen Provinzdirektoren, die sich bis dahin vorsichtig zurückgehalten, zu lächerlichen Gagen angenommen zu werden.
Auch auf dem Bureau ihres Theater-Agenten sah es nicht besser aus. In dem halbdunkeln Warteraum, an dessen einzigem Fenster zwei Schreiber, über die Pulte gebeugt, eifrig Korrespondenzen erledigten, saßen und standen wohl ein halbes Dutzend Herren und Damen umher und schauten nach der Thüre des Empfangszimmers, hinter der zwei Männerstimmen tönten.
Gleich darauf ging die Thüre auf. Ein heller Lichtstrahl fiel in das Gemach und umfloß die beiden im eifrigen Gespräch Herauskommenden.
»Sie müssen mir eine Naive verschaffen,« sagt der eine, ein eleganter, jüngerer Herr mit sympathischem Gesicht, der, wie Käthe aus dem Geflüster zweier neben ihr stehender Damen entnimmt, der Leiter des vornehmen ›Theater an der Spree‹ ist ... »Sie müssen ... ich kann wegen der kleinen Rolle die Novität nicht herausschieben und habe nun thatsächlich gerade dafür niemanden, der ...«
»Also ist Fräulein Lowinska ernstlich krank?« fragt der Agent, der seinen distinguierten Besucher dienstfertig bis zur Thür begleitet.
»Aber natürlich ... Lungenentzündung ... seit vierzehn Tagen ... mußte gleich ins Spital ...«
»Ja woher 'ne Naive nehmen und nicht stehlen?«
Der Agent sinnt nach ... »es ist gar nichts da eben!«
Käthe fühlt den Mut der Verzweiflung in sich erwachen. Sie tritt auf die beiden zu. »Ach ... verzeihen Sie ... Herr Gorwitz ...«
»Nachher, bitte ... Fräulein ... Fräulein Krauß!«
»Ich hörte eben,« fährt Käthe hastig fort ... »Sie suchen eine Naive ... ich bin eben frei ... ich habe viele naive Rollen gespielt am Hoftheater in Grünstett ... ich kann die Kritiken zeigen ... und ich ...«
»Hm ... am Hoftheater in Grünstett!« Der berühmte Bühnenleiter sieht sie forschend an. Ihr ängstliches Kindergesicht mit den großen blauen Augen gefällt ihm offenbar. Dann wirft er einen fragenden Blick auf den Agenten, der diplomatisch schweigt.
»Kommen Sie morgen um zehn Uhr zu mir zur Sprech-Probe,« sagt er endlich, lüftet höflich seinen Hut und entfernt sich.
»Na ... Sie haben Glück!« sagt Herr Gorwitz, als jener gegangen, ... »nun greifen Sie mal mit beiden Händen zu, liebes Fräulein ... Sie können sich jetzt mit einem Schlag eine Position machen!«
Die Aufregung schnürte Käthe fast die Kehle zusammen, als sie am nächsten Morgen auf der Bühne des »Spree-Theaters« stand, um mit dem Oberregisseur, der ihr die Stichworte markierte, eine Szene aus den »Journalisten« zu spielen. Der Direktor saß daneben am Regietisch und sah sie aufmerksam an. Vor ihr lag in gähnender Finsternis der mächtige Zuschauerraum! Da und dort konnte man dunkle, leise mit einander flüsternde Gestalten in den Parkettreihen erkennen. Zuweilen wurde eine Thür nach dem Gang, unten geöffnet. Dann fiel ein greller Lichtschein in die staubige Nacht und erlosch eben so plötzlich wieder.
Ihre Stimme zitterte. Es war ihr, als ob ein Knäuel in ihrem Hals stecke, während sie zu sprechen begann. Fremd, beinahe unheimlich klang ihr die eigene Stimme in dem weiten, finstern Raum.
Als sie geendet, machte der Oberregisseur ein sehr zweifelhaftes Gesicht und trat zu dem Direktor. Beide sprachen leise miteinander.
»Natürlich« ... sagte der Bühnenleiter ... »sie ist eine Anfängerin ... eckig ... unbeholfen ... was Sie wollen ... aber gerade darum ... dem Publikum macht es oft mehr Spaß, eine talentvolle Anfängerin zu entdecken als eine Berühmtheit zu sehen. Ich wills mit ihr versuchen!«
»Ich wills versuchen!« Käthe hatte diese letzten Worte gehört. Ihr Herz pochte wie ein Hammer, während der Direktor auf sie zutrat.
»Sie können also die Rolle bekommen« sagte er ... und zunächst dreimal darin als Gast auftreten. Weitere Verpflichtungen vermag ich vorderhand natürlich nicht zu übernehmen ... sehen Sie zu, was Sie aus der Rolle machen können! Im ersten und zweiten Akt haben Sie wenig zu thun, aber im dritten eine dankbare Szene!«
Damit ging er. Der Regisseur gab Käthe das dünne blaue Heftchen.
»Nun machen Sie sich nur gleich dran, damit Sie morgen an der Probe teilnehmen können. Am Sonnabend kommt die Geschichte heraus, 's ist eine große Première, schon jetzt die Hälfte der Plätze vorgemerkt ... die erste Garnitur Kritik ... wenn Sie gefallen, ist Ihr Name nächsten Sonntag in aller Welt Mund!«
Käthe erwiederte nichts, während sie auf den Gang heraustrat. Sie war zu erregt über das unerhörte Glück; es lag wie ein rosenroter Schleier über ihren Augen.
»Und dann sehen Sie nach Ihren Toiletten!« sagte der Regisseur, neben ihr zum Ausgang schreitend, wo ein Haufe Schauspieler, des Beginns der Probe harrend, beisammen stand. Zwischen ihnen ein offenbar nicht zur Bühne gehöriger, hübscher, schnurrbärtiger Herr. »Sie wissen ... man legt bei uns großen Wert darauf ...«
Die Toiletten! ... Daran hatte sie nicht gedacht.
»Sie brauchen im ersten Akt ein Reitkleid ... das werden Sie ja wohl haben ... für den zweiten ein Morgenkostüm ... der dritte, wo Sie Ihre große Szene haben, spielt im Ballsaal. Da brauchen Sie also eine schöne Robe ... nun ... Sie wissen ja schon ...!«
Damit trat der Regisseur zur Seite. Käthe blieb wie betäubt stehen.
Die Toiletten!
Das Hoftheater, dem sie bis vor kurzem angehört, lieferte die Kostüme für alle Stücke, die nicht in der Gegenwart spielten. Letztere aber wurden dort selten gegeben. Sie war nur zwei- oder dreimal darin aufgetreten und jedesmal mit einem bescheidenen Gewand durchgekommen. Sie besaß auch ein Ballkleid; aber sie mußte lachen, wenn sie an das armselige, von einer Grünstetter Schneiderin gefertigte Fähnchen dachte und es mit den glänzenden Roben der Berliner Modeschauspielerinnen verglich, deren Toiletten-Etat sich jährlich auf zehntausende belief.
Was sollte sie thun? Der Direktion erklären, sie könne aus Mangel an passenden Gesellschaftskostümen nicht auftreten? Dann kam eine andere an ihre Stelle, dann ließ sie sich eine Gelegenheit entgehen, ihr dauerndes Glück auf der Bühne zu machen. Dieser Abend, das wußte sie, war für sie entscheidend. Siegte sie – ein bestimmtes Gefühl sagte ihr, daß sie siegen würde – dann ging sie einer glänzenden Zukunft entgegen.
Und auf alles das verzichten, um einiger Kleider willen? Nein ... das konnte sie nicht ... das war ein Verbrechen gegen sie selbst, gegen ihre Mutter, gegen ihren Beruf. Aber woher die Toiletten nehmen? Auf Kredit fürchtete sie, keine zu bekommen. Denn es kannte sie ja niemand in Berlin. Und sie zahlen ... du lieber Himmel ... sie hatten jetzt noch etwa dreißig Mark im Hause und mußten damit und mit dem noch zu erwartenden Gagerest von 150 Mark Gott weiß wie lange reichen ...
»Nun, gnädiges Fräulein! ... so in Gedanken?« ein schnurrbärtiger Herr mit blassem Gesicht stand vor ihr ... »gestatten Sie, daß ich mich vorstelle ... mein Name ist Waldegg ... hatte schon das Vergnügen, Sie im Edentheater zu bewundern ... und höre nun, daß Sie hier ....«
»Ja,« sagte Käthe befangen ... »ich gastiere... aber ich weiß nicht ...«
»Sie müssen sich nicht wundern, mich hier zu treffen, mein Fräulein,« sagte der Fremde, ... »ich rechne mich so halb und halb zur Künstlerwelt; verkehre sehr viel mit den Herrschaften, wenn ich auch eigentlich der Börse angehöre ...«
»Oh« ... Käthe wußte nicht recht, was sie antworten sollte. Eigentlich gefiel ihr der Herr.
»Gratuliere Ihnen« ... fuhr jener fort ... »Das Edentheater war nichts für sie ... das ist was für die Ernesti, diese einfältige Person, die sich nicht einmal die Mühe nimmt, Briefe von anständigen Leuten zu beantworten. Aber Sie ... Sie können höheres erreichen ... man sieht es Ihnen an ...!«
Und als ob es sich von selbst verstände, schritt er plaudernd neben Käthe auf die Straße.
»Adieu!« sagte sie ängstlich stehen bleibend.
»Aber gestatten Sie mir doch wenigstens. Sie zur nächsten Droschkenhaltestelle zu bringen. Ich thue Ihnen ja nichts, Fräulein!« setzte er lächelnd hinzu.
Damit ging er neben ihr weiter und sie sah jetzt erst, daß auf einen Wink von ihm ein leeres, elegantes Coupé, das ihm offenbar gehörte, langsam im Schritt hinterher fuhr.
Er war also jedenfalls reich.
Käthe wurde es bang ums Herz. Aber es that ihr doch wieder wohl, in dem großen kalten Berlin einen Menschen zu finden, der freundschaftlich und achtungsvoll mit ihr sprach, sich für ihre Lage interessierte und nicht müde wurde, immer neue Fragen über ihre Mutter, über sie selbst und ihre künstlerische Laufbahn zu stellen.
Und sie fing an zu erzählen. Sie plauderte immer munterer, ihre Wangen röteten sich, sie begann zu lachen und sah von Minute zu Minute hübscher aus. Es entging ihr nicht, daß sie einen starken Eindruck auf ihren Begleiter machte. Doch blieb er höflich und respektvoll wie zuvor.
Er gefiel ihr wirklich. Und als sie mit ihm vor ihrer Hausthüre stand, drückte sie ihm dankbar die Hand.
Waldegg hielt sie fest und frug mit einem merkwürdigen Klang in der Stimme, ob sie sich wieder sehen würden.
Käthe wußte, daß dieser Augenblick entscheidend war. Es tanzte wirr vor ihren Augen. Ein sturmdurchbraustes Parkett, in dem die Handflächen klatschend an einander schlugen, ... ein hübsches aristokratisches Gesicht mit dunklem Schnurrbart ... dann wieder das Hinterstübchen, in dem sie mit ihrer Mutter verstört saß, nachdem sie die Rolle zurückgeschickt und ihr Glück verscherzt ... und über dem Ganzen höhnisch flatternd, eine unbezahlte Schneiderrechnung ...
Waldegg wiederholte seine Frage.
Sie sah ihn fest an und sagte mit einem rauhen Klang in der Stimme: Ja!
»Ich danke Ihnen, Fräulein Käthe!«
Und sie trennten sich ...
Die Rätin wunderte sich in den nächsten Tagen, wie spät Käthe nach Hause kam. Aber freilich ... die Proben zu einer großen Berliner Premiere sind ein anderes Ding als man es an kleinen Hoftheatern gewohnt ist.
Außerdem nahm Käthe die Gelegenheit wahr, um jetzt, wo sie unbeschäftigt war, auf ein Freibillet Abends die Vorstellungen des Theaters an der Spree zu besuchen. Die Rätin hielt das auch für eine ganz natürliche Sache. Daß dort Abend um Abend dasselbe Stück gegeben wurde, fiel ihr nicht weiter auf.
Am Donnerstag kam Käthe besonders spät, erst nach Mitternacht, in der Droschke nach Hause ... Ihre Mutter eilte ihr bis auf den Flur entgegen. Sie war zu aufgeregt, um zu sehen, wie bleich Käthe war und wie unheimlich ihre Augen glänzten.
»Um Gotteswillen, Kind ...« sagte sie ... »sieh nur ... diese Kleider da sind alle heute Abend für Dich abgegeben worden ...«
»Ja ... meine Toiletten!« Käthe starrte gleichgültig auf die prachtvollen, schimmernden Stoffe ... Dann setzte sie in kaltem, höhnischen Tone dazu ... »natürlich meine Toiletten ... die brauche ich ... ohne solche Toiletten kann ich nie eine berühmte Schauspielerin werden ...!«
»Ja ... aber die kosten doch eine Masse Geld, Kind!«
»Ich hab' sie auf Kredit bekommen ...!« Käthe wandte sich ab.
Die Rätin sah sie ängstlich und erwartungsvoll an.
»Es ist doch eine Reklame für die Firma, wenn ihre Kostüme auf der Bühne getragen werden ...« fuhr Käthe mit gepreßter Stimme fort.
Die Mutter antwortete nichts ...
Es herrschte ein unheimliches Schweigen in dem kleinen Raum, in den aus weiter Ferne durch die Nachtluft das Brausen der Weltstadt drang ...