Rudolph Stratz
Die siebte Pille und andere abenteuerliche Geschichten
Rudolph Stratz

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Spuk von gestern

Das Alles, in diesen Zeilen hier, war der Spuk von heute . . .

Der Spuk von heute ist blaß, ist durchsichtig geworden. Ein großer Teil der Menschheit sehnt sich heute wie je nach dem Übersinnlichen – nach dem, was vielleicht gerade deswegen wahr ist, weil es unwahrscheinlich ist. Aber sie schämt sich dieses Sehnens. Sie dämpft es gesittet. Sie glaubt noch an das Tischrücken, aber nicht mehr an den Teufel.

Da war die gute, alte Zeit kerniger im Hinnehmen unbegreiflicher Dinge. Gespenster waren Gegenstände täglichen Gebrauchs. Man fühlte sich, wie Dr. Faustus, von ihnen auf Schritt und Tritt unsichtbar umgeben. Man empfand diesen leichten, kalten Luftzug von nirgendwoher als erfrischende Abwechslung in der Eintönigkeit des alltäglichen Lebens. Bis in das 16. und 17. Jahrhundert kannten auch die größten Geister die Kunst, mit Geistern umzugehen, und schämten sich des nicht.

Und so mögen hier zum Schluß ein paar Proben aus dem dunklen Land von einst folgen.

Nicht die abgedroschene Geschichte von Luthers Tintenfaß. Aber – ich öffne jetzt die Schließen von einem herrlichen Schweinslederband meiner okkulten Bibliothek – kein Geringerer als Melanchthon erzählt da im ersten Teil seiner »Loci communes rerum theologicarum«

Ein fremder Mönch pocht heftig an Meister Martini Tür. Tritt ein. Trägt einige päpstliche Irrtümer vor, wird immer verzwickter und kniffliger. Luther antwortet unbehaglich: »Gehet fort! Ihr verwirret mich!« Steht auf. Faßt den Geist schärfer ins Auge: Na, also! Da haben wir's: Der fromme Vater trägt unter den Kuttenärmeln keine Hände, sondern Vogelklauen! »Ei!« spricht Herr Martinus, »steht nicht von dir geschrieben: Der von einem Weib wird geboren werden, wird den Kopf der Schlange zerquetschen?«

Drei Tage lang mußte das Haus gelüftet werden, mit solch entsetzlichem Gestank war der Teufel abgeschieden, meldet Melanchthon.

Melanchthon hatte auch, wie das so geht, eine Tante. Die Schwester seiner Mutter. Eine Witfrau. Bei der erschien, wie er im obigen Folianten berichtet, zur Schummerstunde ein baumlanger Franziskaner und dahinter ihr verstorbener Mann. Er bittet nur um ein paar Seelenmessen, reicht der Tante die Hand und verschwindet. Die Hand aber war und blieb bis an der Tante seliges Ende schwarz.

Und nun zerbricht sich in seiner gelehrten Abhandlung »Von den Erscheinungen der Geister« der hochwürdige Benediktinerabt Calmet noch zwei Jahrhunderte später den Kopf, ob die Ketzertante Melanchthons Anno dazumal Besuch von guten oder bösen Geistern gehabt habe. Wenn gute: Warum verbrennen sie der armen Frau die Hand? Wenn böse: Was sollen dann die Seelenmessen?

Damals gaben einem noch die Geister Nüsse zu knacken auf! Anders als heute bei dem blöden Tischrücken, Glöckchengeklingel, Schleimgespucke durch Schleier! Was habe ich davon, wenn in der Dunkelkammer Goethe mich am Ohr zupft oder Lukrezia Borgia mir ins Genick pustet oder – wie während des Krieges in München-Bogenhausen – Napoleon durch den Mund des Mediums heftig schwäbelnd ein baldiges Sinken der Fleischpreise prophezeit?

Nein: die Geistergeschichten in meinen alten Schweinslederbänden sind voll und rund. Sie haben Pointen. Sie geben manchmal in einer Nußschale ein Menschenschicksal. Nehmen wir z. B. die Geschichte von der lustigen Magd.

Die geht bei hellem Mondschein, kurz vor der Feuerglocke, mit ihrer Frau außen an der Stadtmauer lang. An einer öden Stelle steht ein Weibsbild und hält ihren Kopf vorn in den Händen. Die Magd, das kühne Mensch, lacht spöttlich darüber und spricht zur Dienstgeberin: »Seht! Was steht dort für ein schönes Müsterlein!« Die Bürgerfrau bekreuzigt sich: »Lasset uns geschwind unseres Weges gehn! Es ist nicht viel Gutes!« Und die Magd trollet denn auch mit viel Gelächter und Schelmerei mit ihr davon.

Und geht tanzen. Und läßt sich mit einem fremden Mann ein, von dem man dann nichts mehr hört. Und erwürgt, ehe ein Jahr um ist, und verscharrt ihr in Unehren heimlich geborenes Kind und wird beobachtet und vor den Rat gebracht.

Und wird an eben derselben Stelle geköpft, wo damals das Jüngferlein ohne Kopf gestanden. Und sagt auf dem Richtkarren zum Beichtvater: »Ich hätt' es wissen können, daß ich mir selbst erschienen bin! Trug doch die Jungfer Ohnekopf eben einen so geblümten Schurz und auch solch ein Oberröcklein wie ich. Ich selbsten habe mich gewarnt, als es noch Zeit war. Denn damals«, schließt die reuige Sünderin, »war ich noch für eine Jungfrau erfunden. Nun muß ich's büßen, und sollen mir meine Blutstropfen auf dem Rabenstein eitel purpurbraune Muskatellertrauben dünken . . .«

In dem Poem des weimarischen Staatsministers v. Goethe heißt das arme Mägdelein Gretchen.

Oder die Historie vom tapferen Jesuiten, deren Pointe darin besteht, daß sie eigentlich keine Pointe hat.

Das ist in Böhmen – einer Gespenstergegend ersten Ranges – Anno 1626 – also mitten im schönsten Dreißigjährigen Krieg, zur Zeit der Gegenreformation nach der Schlacht am Weißen Berge.

Der Jesuitenpater Johannes Drachovius zieht mit kaiserlichen Befehlsschreiben im Lande umher, um die Hussiten wieder zu Rom zu bekehren. Kommt auch in das berühmte Schloß Pernstein. Predigt da gewaltig und unter viel Zulauf. In seinen Mußestunden leidet es den feurigen Ordensmann nicht in seinem Losament. Er läuft durch alle Gänge, klettert auf die Türme, ist emsig, alles zu besehen. Da geht eine Tür auf. Aus einem Gemach kommt eine zierlich ausgeschmückte Jungfrau mit einem Bund Schlüssel. Er hält sie für eine Kammerjungfrau und bietet ihr freundlich seine geistliche Aufwartung an. Die Schöne, gleich als ob ihr die Schamhaftigkeit keine Gegenrede zuließe, schweigt, neigt höflich, wie das Frauenzimmer pflegt, mit einem züchtigen Blick den Kopf und geht.

Am Sonntag darauf wandelt der Pater, seine Predigt meditierend, durch den Garten und trifft in einer Sommerlaube die Jungfrau, die sich die aufgelösten Locken kämmt, und verweist ihr die Eitelkeit. Sie solle lieber beten. Die Jungfrau verbirgt stracks den Kamm, legt erschrocken die Hand auf den Mund und macht, daß sie wegkommt.

Wer aber beim Gottesdienst nachher durch Abwesenheit glänzt, das ist das schöne Fräulein! Das ärgert den Pater Drachovius. Er fragt den Schloßhauptmann nach ihr, beschreibt sie. Der Eisenfresser faltet die Hände: »Großer Gott! Das ist ja die Perchta! Das ist keine rechte Jungfrau, hochwürdiger Herr, sondern unser jungfräuliches Schloßgespenst, das als des Teufels Affe die Gestalt eines lieblichen Weibes anzeucht und allen Männern sündig die Sinne verwirrt.«

Na warte, Perchta von Pernstein! Dir werd' ich kommen! Der Missionarius der Gesellschaft Jesu geht und sucht den Satan in allen Winkeln. Steigt treppauf, treppab. Stöbert in Kellern und Kammern. Umsonst! Die schlimme Perchta hält sich voll Todesangst vor dem Pater versteckt, bis er endlich Abschied nimmt und weiterreist. Denn das ist kein Priester wie andere. Das ist ein Mitglied der Kompanie Jesu, und vor der flieht spornstreichs auch der Teufel. Und deswegen berichtet der P. Balbinus in seiner »Geschichte Böhmens« diese Mär.

Gleich nachher, schließt er behaglich, war die Perchta wieder da. Sie hatte durch ihre Flucht immerhin an Ansehen verloren. Und wie sie wieder herumgeistert, schwört ein vollgesoffener Torknecht: Pah – er wolle sie löffeln und ihr einen steifen Schmatzer aufs Maul geben – es sei ihr lieb oder leid! Perchta läßt sich auch geduldig küssen. Sie umschlingt zärtlich ihren Verehrer, sie drückt und drückt ihm die Seele aus dem Leib, und wie sie den Kerl losläßt, fällt er tot hin. Er war eben kein Jesuit.

Diese Geister der guten alten Zeit stellen den Menschen auf die Probe. Wer das Weiße im Auge der Mitternacht sieht, sieht in sich selber, was an ihm gut und böse ist – gut für alle guten Geister – böse für den bösen Feind. Daher das Interesse, das die Geistlichkeit immer an diesem Widerstreit des göttlichen Reichsapfels und des höllischen Totenkopfs nahm.

Da ist zum Exempel die Historie von dem Geheimschreiber.

Ein Fürst in Böhmen weilt bei Tisch und schickt einen Edelknaben hinauf in seine Kanzlei, etwas zu holen. Der Junge kommt wieder, blaß und aufgeregt, und erzählt unten an der Tafel, in dem Kabinett sitze ein fremder Mönch am Tisch und schreibe. Ein Kammerjunker lacht, geht hinauf. Als er zurück ist und sich wieder setzt, ist ihm das Lachen vergangen. Da oben ist wirklich so ein unbekannter Sekretarius. Das Gemurmel läuft die Tafel lang. Der Potentat hört es. Erhebt sich. Windlichter her! Hofjunker und Pagen die Hand am Seitengewehr! Hinauf in die Kanzlei!

Dort sitzt der Mönch, ehrbar, unverrückten Stuhles, fein still. Ein Talglicht flackert vor ihm, und er schreibt und schreibt, ohne sich um die seidenen Herren und Buben an der Tür zu kümmern. Denen gibt der Fürst einen Handwink, ihm nicht zu folgen. Er schreitet allein auf den gespenstigen Sekretär zu, tritt nahe vor ihn hin und redet ihn beherzt an: »Was machst du hier?«

Hebt der Aktuarius in der Kutte den Kopf und spricht, den Gänsekiel in der Hand: »Hier sitze ich und schreibe deine Sünden auf!«

Was soll der Potentat nun tun? Vor den Augen seines Gefolges schlottern und zittern und um Vergebung flehen? Er weiß: Alles mögliche mag einem Herrscher durchgehen! Nur schwach darf man ihn nicht sehen – nicht als einen Menschen wie Hinz und Kunz! Er ist von Gottes Gnaden! Er steht mit unserem Herrgott auf einem anderen Fuß! Und so antwortet er laut und kurz: »Hat dir Gott die Macht gegeben, so schreib immerhin!«

Damit verläßt er samt seinen Kavalieren und Aufwärtern den Raum, setzt sich unten wieder zu Tisch und tafelt weiter, als sei nichts geschehen. Und als er um Mitternacht noch einmal in seine Kanzlei schaut, ist das Zimmer leer und dunkel, die Talgkerze niedergebrannt, der gespenstige Sekretarius samt seinen Akten verschwunden. Der Fürst legt sich geruhsam schlafen. Er hat vor der Welt sein Gesicht bewahrt.

Was ist Wahrheit? – spricht der Landpfleger. Das ist auch die Schlußfrage in der Historie von dem König Chunibert und der kundschaffenden Roßmucke.

Diesem Langobardenkönig stellen zwei seiner Großen heimlich nach dem Leben. Er weiß das. Er entbietet seinen Vertrauten, den Kronmarschall, in den Turmsöller seiner Burg zu Pavia, überzeugt sich, daß keine Horcher hinter den Wandvorhängen oder der Tür, und eröffnet ihm sein Vorhaben: Er hat den beiden Verrätern, dem Aldo und dem Grauso, eine gute Kappen zugemessen und die zwei, die sich keiner tödlichen Ungnade versehen, für heute zur Tafel gebeten. Sind sie erst tüchtig trunken – dabei spielt Herr Chunibert oder Kühnbart schon mordlustig mit einem blanken Dolch in seiner Hand – dann . . .

Das Gebrumm einer Pferdebremse stört ihn in seinem Geflüster. Er haut mit dem Stilett nach ihr. Die Roßmucke läßt ein Bein vor dem Messer fallen. König Kühnbart will ihr den Kopf abschlagen. Tut einen Fehlschnitt. Die Mucke salviert sich, unter Hinterlassung des einen Beins, durch das offne Fenster und summt eilig davon.

Chunibert schaut ihr nach. Siehe: Da unten kommen schon die Herren Aldo und Grauso ahnungslos angeritten! Doch was ist das? Dicht vor der Burg werfen sie die Gäule herum, jagen mit verhängten Zügeln davon, fliehen in das Asyl der nächsten Kirche des heiligen Romanus.

Der König schickt hinterher: Was ist denn los? Antwort der beiden: Sie wüßten schon, daß es um ihren Kopf ginge! Neue Post des Herrschers: Sie sollten ihm, bei Zusicherung seiner künftigen Gnade, den Verräter seines Anschlags verraten!

Gut. Die Langobardenherren treten aus der Kapelle und berichten: »Vor dem Burgtor ist uns ein vermeinter lahmer Krüppel begegnet, der auf einem Stelzen ging und eines Beines beraubt war. Der hat uns gewarnt, es sei ein Schluß verfaßt, uns ums Leben zu bringen. Die Totenglocke sei schon über unserm Haupt gegossen! Diese Weissagung haben wir nicht zur Erde fallen lassen, sondern sofort die Flucht ergriffen!«

Da merkte der König Chunibert: Das war die Rache des Insekts, dem er den Fuß abgeschnitten, und er sprach wütend zum Marschall: »So hat mich der Teufel in Gestalt einer fünfbeinigen Roßmucke geprellt!«

Die beiden Herren aber falteten die Hände und beteten: »So hat uns ein Engel des Herrn in Gestalt eines einbeinigen Bettlers gerettet!«

Und wer von ihnen hat nun recht: Der König oder die Ritter? . . .

 


 


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