Charlot Strasser
Reisenovellen aus Russland und Japan
Charlot Strasser

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Fräulein Drache

Am Vorabend des Tages, an dem die hier folgende Geschichte geschah, – (wir wohnten in Kyoto im Sawabun-Hotel, – das Herz geht mir heute noch auf beim Klange Sawabun, welcher Gasthofsname für mich alles echtjapanisch Freundliche und Liebe in sich schliesst) – war auch mir die Ehre eines offiziellen Pressbesuches zuteil geworden. Meinen Reisegenossen kannten die Zeitungsleser schon des längeren genau; – meine Wenigkeit dagegen sollte erst jetzt den Glorienschein empfangen.

Eine mächtige Visitenkarte, mit vielen schönen chinesischen Zeichen bedruckt, verkündigte die Ankunft des Zeitungsmannes, der sich gleich nach seinem Eintritt ins Zimmer, der japanischen Sitte gemäss, in einer Unmenge von Entschuldigungen, wegen des schlechten Empfanges in Japan, was natürlich rein imaginär war, erschöpfte, – dann sich nach meinem Vaterlande erkundigte und endlich, nachdem er unter einem Schwall von Dankesbeteuerungen eine russische Zigarette, die ich noch von Wladiwostok mitgebracht, wahrscheinlich mit vielem patriotischen Widerwillen (es war kurz nach dem Kriege) in Brand gesteckt hatte, sich noch nicht empfohlen hätte, wenn nicht ein Diener des uns befreundeten Kunsthändlers Ichida mit einer Einladung nach dessen Landhausgarten zur Besichtigung des Mondscheins zu Hilfe gekommen wäre. Immerhin konnte ich am nächsten Morgen in der Zeitung lesen:

». . . er stammt aus Suitsuru, dem Lande der ewigen Schneeberge, und hat seinem Vaterlande schon viele 128 herrliche und lehrreiche Gedichtbücher über die letzteren geschrieben. Sein Gesicht ist eiförmig und edel, obschon sein Bart noch sehr jung ist und besonders auf der Oberlippe wenig Haare hat. Seine Kleidung besteht aus einem Yukata, einem Badekimono, der ihm zu kurz ist, so dass man die entblössten Beine sehen konnte, aber er sagte, dass ihm diese Kleidung sehr leicht und angenehm wäre. Er schälte gerade einen Apfel aus Hokkaido und ass ihn mit vielem Behagen. Ein Diener des Herrn Ichida aus Kyoto machte unserer interessanten Unterhaltung ein Ende. Herr V. S., der bekannte deutsche Japanfreund und sein junger Gefährte beehrten dann den Mondschein im Garten des Herrn Ichida durch ihre Anwesenheit . . .«

Wenn der grosse Zeitungsmann geahnt hätte, was mir von jenem milden, gesegneten Mondschein alles beschert worden war. Gepriesen hätte er die Schönheit seines Vaterlandes und die Lieblichkeit seiner Frauen.

Nachdem er sich also gestern mit unzähligen Verbeugungen und »arigato« (Dank!) empfohlen hatte, waren wir, so wie wir des Abends, der Bequemlichkeit halber uns zu bekleiden pflegten, in blossen Badekimonos, schlafrockartigen Hemden, aufgebrochen, hatten unsere Schuhe aus der langen, friedlichen Schuhreihe, die sich vor jedem japanischen Gasthaus beim Eingangstor befindet (denn auf den blitzblanken Matten im Innern der japanischen Häuser werden niemals Schuhe getragen) glücklich herausgefischt und uns in die leichten Kurumas, die von Männern gezogenen, zweiräderigen Wägelchen gesetzt.

An dem Hügel, der im Westen von Kyoto ansteigt, am Kinukasayama, dem Seidenhut-Berg, der solchen 129 Namen darum trägt, weil der Ex-Mikado Uda eines heissen Tages befohlen hatte, den Hügel ganz mit weisser Seide zu bekleiden, damit er sich an einer kühlen Winterillusion erfreuen könne, an diesem Berg befand sich die Villa unseres Gastfreundes. Eine deutsche und eine japanische Flagge, über dem Tor kreuzweise aufgepflanzt, bewiesen, dass wir erwartet wurden.

Der japanische Garten gehört zu den lieblichsten Wundern, die den Europäer im Sonnenlande erwarten. Die Gartenbaukunst zählt dort unter die hohen Künste. Die Landschaftsgartenkünstler haben eine Reihe von Schulen gebildet, deren Geschichte bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts zurückreicht. Ich erinnere mich besonders an Gärten im Stile von Tokio, die klein und liliputhaft, und an solche im Stile von Kyoto, die gross und mit mächtigen Perspektiven angelegt waren.

Der Garten, in den wir hier geführt wurden, lag von Mondlichtwellen übergossen da und hatte in seinen grossartigen Formen und Linien etwas zur Andacht Gebietendes. Alle die Zwergbäumchen, die seltsam ausgesuchten Steine, die, symbolisch angeordnet, die abstraktesten Dinge bedeuten sollten, alle die Bächlein, Brücklein, Steglein und Weglein, die uns sonst gerne wie Puppenspielzeug vorkommen, waren vergrössert und zum Teil versteckt unter dem Schatten einer riesengrossen Nacht, – überflutet vom Glanz der »Tsukisama«, der »Lady moon«, des geliebten Mondes. Zwischen dem Dunkel der Ziersträucher glommen wie glühende Augen kleine Kerzen, die in den Steinlaternen, den Toros, für die Seelen der Ahnen angezündet waren; weit hinten schimmerte das dunkelgelbe Licht von den gefelderten Papierfenstern des Landhauses, während wir uns gegen einen offenen Pavillon 130 hinbewegten, auf dessen etwas erhöhten Matten unsere Gastgeber und ihre Gesellschaft uns erwarteten. Der Weg zu ihnen war von beiden Seiten mit weissen Lampions eingefasst, die sich, Perlenketten gleich, rechts und links zum Ziele wanden. Und während ringsum die mächtigen Mondnachtsfarben, Schwarzgrün und Silber, – die Natur im Banne des Schweigens hielten, erweckte im Pavillon die schillernde Schmetterlingsbuntheit der japanischen Kleider uns wieder zum Leben und Lachen.

Die Teilnehmer eines Festmahles in Japan werden immer nach der Form eines Hufeisens gesetzt, das heisst, sie kauern am Boden vor halbmeterhohen, kunstvoll geschmückten und gearbeiteten Tischchen. Den Gästen gegenüber sitzen die zierlichsten Dienerinnen der Welt, Geishas und Nesans, und wenden kein Auge vom Gesicht ihres Schutzbefohlenen, um dessen Wünsche ohne Befehl, ohne Frage zu erraten. Wo das Hufeisen sich öffnet, im Hintergrunde des Raumes, wird meistens ein Tanzspiel von Geishas aufgeführt.

Zwischen den Holzpfeilern, die das Dach des Pavillons trugen, sahen wir hinaus in das stille, mächtige Weben der Mondnacht; unmittelbar vor uns schillerte und leuchtete die Farbensymphonie der japanischen Tausendundeinenacht-Märchenwelt.

Eine ganz besondere Ehrung war uns diesmal zugedacht worden dadurch, dass wir nicht von Dienerinnen oder Geishas, sondern mein Reisegenosse, als der Ältere, vom ältesten Sohne, und ich von der ältesten Tochter des Hauses bedient wurden.

Sie war mir keine Unbekannte.

Sie hatte mir vor einigen Tagen bei einer Teezeremonie Gelegenheit gegeben, mich zu berauschen 131 an ihrer Schönheit, an Schönheit, wie sie nur der japanischen Frau eigen ist und sein wird.

Sogar der Globetrotter, der Japan flachhin durchreist, – der Globetrotter communis –, ohne Land und Leute näher kennen zu lernen, singt jedesmal, wenn er vom Sonnenlande berichtet, das Preislied seiner Töchter in hohen Hymnen. Und doch kommt er ausschliesslich mit Geschöpfen der niedersten Klassen in Berührung, mit Dienerinnen und Geishas unterster Ordnung, und kann sich auch so nicht genug verwundern über den scheinbar selbstverständlichen, aber doch durch Jahrhunderte kultivierten Liebreiz ihres Wesens. Wir Glücklichen hatten das Vertrauen unserer japanischen Gastfreunde in dem Masse gewonnen, dass wir in ihre Familien eingeführt, mit ihnen in ihre Häuser zum Wohnen mitgenommen und zu ihren Festen eingeladen worden waren.

Bei einer dieser Einladungen hatte man uns eine Teezeremonie aufgeführt.

Das japanische Mädchen aus guter Familie lernt, wie unsere »höheren Töchter«, eine Reihe gesellschaftlicher Unterhaltungskünste, etwa dem Tanzen, Singen, Klavier-, Tennis- und Theater-Spielen bei uns entsprechend. Die Japanerinnen lernen dafür: das Blumenbinden, – den Tanz (aber in weit höherem Sinne als bei uns), – das Spielen auf dem Koto, einer Art auf dem Boden liegender Harfe, – den Gesang und die Begleitung dazu auf dem Shamisen, einer langhalsigen Gitarre, – und endlich, als Höchstes und Wichtigstes: Die Teezeremonie. Diese wird von besonders dazu berufenen Lehrern einstudiert und im allgemeinen von den Europäern sehr langweilig befunden. Sie ist auch in Wirklichkeit lange dauernd und wenig dramatisch, 132 aber, wer mit den Augen des Japaners schauen lernt und, wie der Japaner, der sich in die voreuropäische Zeit zurückversetzt, den Begriff der Zeit ausschalten kann, der trinkt sich den herrlichsten Rausch von den geschulten, fehlerlosen Bewegungen der ausführenden Frauen an.

Die Teezeremonie ist für den Japaner der Ausdruck archaistischer Reinheit und Einfachheit. Ihrer Pflege schreibt er grossen Einfluss auf seine Kunst zu. Ursprünglich eine medico-religiöse Erfindung, die von buddhistischen Priestern eingeführt worden sein soll, um den Shogun Minamoto-no-sano (1203 bis 1218) vom Sake-, vom Reiswein-Trinken abzulenken, wurde sie bald an den Höfen der Daimyos zum Anlass der luxuriösesten und glänzendsten Festlichkeiten, an denen die ausübenden Geishas mit fürstlichen Geschenken bedacht worden sein sollen. Zu dieser Zeit (im vierzehnten Jahrhundert) war die Teezeremonie eine Unterhaltung der obersten Klassen Japans. Dann kam sie mehr und mehr ins Volk. Es wurden Schulen gegründet und Diplome an Lehrer erteilt, welche die richtige Art des Teetrinkens zu lehren berechtigt waren. Einfachheit wurde nun, der allgemeinen Armut des Landes wegen, das durch die vielen Kriege im sechzehnten Jahrhundert ganz ausgesogen war, zum ersten Postulat dieser Aufführungen gemacht, und die Verehrung des Altmodischen, zusammen mit einem erstarrten Etiketten-Kodex, gaben die Regeln, die bis heute unverändert fortbestehen bei Darstellung der Teezeremonie. Grüner Tee in Pulverform, vor den Augen der Eingeladenen in einer ungewöhnlichen, komplizierten und formellen Art zubereitet, wird Tasse um Tasse den Gästen angeboten, unter Beachtung einer Folge von bis auf die 133 letzte Bewegung des kleinen Fingers vorgeschriebenen, unveränderlichen Regeln.

Wenn, wie gesagt, der Europäer Tee und Zeremonie auch etwas langweilig findet, so dürfte sich doch der und jener überlegen, dass beides im Grunde mindestens harmloser ist, als bei uns Kaffee und Kaffeeklatsch.

In jedem vornehmen Haus ist ein eigener Teezeremonienraum, der, wie jedes japanische Zimmer, nach Strohmatten berechnet ist und nicht mehr und nicht weniger als viereinhalb Matten Fläche haben darf.

In einem solchen Raum hatten wir damals der einen Wand lang gesessen und der Dinge geharrt, die da kommen sollten.

Wie die Zeremonie vor sich ging, daran liegt mir wenig, es genau zu beschreiben, und ich würde gewiss vieles vergessen, – aber das Mädchen, das die Hauptrolle darin spielte, und das mir nun am heutigen Abend gegenübersass, das werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen.

Das erste, was ich sah, waren die Farben eines irisblauen, crêpeseidenen Kleides, das nach unten dunkler sich tönte, mit wenigen, aber wie schweres, echtes Metall unten zusammenfliessenden, vollendet gearbeiteten Silberstickereien, innen mit einer glutheissen, altroten Seide gefüttert und unten wattiert, so dass ein breiter, roter Saum in einer Kreislinie ihre Füsse umschloss; – um ihre Hüfte lag ein kostbarer, dunkel gehaltener Gürtel, ein Obi von altem Goldbrokat. Aus dem roten Seidensaum des Kimonos flossen die Linien eines weissen, schlanken Halses, – o Utamaro! der du Hals und Nacken deiner geliebten Frauen so unvergleichlich auf deinen Holzschnitten dargestellt hast, wie glaube ich mit dir, dass diese Dinge das 134 unbegreiflich Schönste, das einen Künstler immer und immer wieder Reizende an den japanischen Frauen sind! – und darüber ein Gesichtlein, als hätte der Herrgott Zeit gefunden, einmal Filigranarbeit zu machen. Die Wangen ein wenig weiss gepudert, ein ganz kleiner, etwas zu kleiner roter Mund, mandelförmige glänzende Augen, aus denen die Sterne wie schwarze Achate funkelten, – mattscheinendes, blauschwarzes Haar, kunstvoll und üppig aufgekämmt; aber ohne Schmuck; nur eine schneeweisse Seidenschleife sass, wie ein Apollofalter, darin.

Und als sie sich bewegte, – – darin liegt der Zauber, das Berauschende solcher Zeremonie, dass das Auge mit den langsamen, ausgesuchten, bewussten, sicher beherrschten Linien und Verschlingungen des japanischen Frauenkörpers Orgien, Orgien feiert! Angefangen bei der berühmten S-Linie des Rückens bis zu den leisesten Bewegungen der Hände und Finger.

Du lieblichster der Drachen! Denn so hiess sie.

Ryo-ko-san: Fräulein Drache.

Nach der Zeremonie hatte sie bei dem folgenden Mahl den Platz an meiner Seite, und sagen wir, durch Zufall, legte ich meine Hand über die ihre. Ich spürte erst einen kleinen, erschrockenen Ruck, als ob sie die Hand zurückziehen wollte, dann blieb sie still, – vielleicht bildete ich mir das bloss ein, leise zitternd unter der meinen, wie ein scheues, doch schnurrendes Kätzchen sich unter die kosende Hand duckt. Aber sie wandte ihr Gesicht nicht zu mir, nicht einen Augenblick, und keine Wimper zuckte an ihrem Auge. Ob sie meine bewundernden, geniessenden Blicke bemerkt hatte? Ob sie mich dafür belohnen wollte, indem sie mir ihre weisse Kinderhand liess? 135

Fast eine Stunde waren wir so, reglos, doch nahezu glücklich, geblieben.

Und nun, heute abend, hatte mich ein gütiges Geschick wieder mit ihr zusammengeführt. Ganz nahe vor mir sass sie, im selben irisblauen Kleide, – ich sah ihren schlanken Hals und das feine Gesichtchen, und folgte ihren langsamen, betörenden Bewegungen. Und sie wandte keinen Blick von mir, um den leisesten Wunsch von meinen Augen ablesen zu können.

Wir kamen allmählich in ein Gespräch. Wir sprachen englisch, denn sie war modern erzogen und sprach recht gut und fliessend, was bei einer Japanerin für ihre Intelligenz viel besagen will, denn die japanischen Frauen sind im allgemeinen bis heute in ihrer Erziehung noch arg vernachlässigt worden.

Den Gästen hatte man unterdessen Champagner vorgesetzt, dann, als er ausgetrunken war, Sake; die gemeinsame Fröhlichkeit löste die Gesellschaft in einzelne Gruppen auf, die sich selbständig unterhielten und wenig mehr auf ihre Umgebung achteten, und so kam es, dass wir uns unversehens ganz einsam unter den vielen Menschen zu seltsamen Gesprächen fanden.

Viele Männer kennen die bewährte Taktik, dass, wenn sie auf Liebeswegen gehen, sie jene Frauen preisen, die sich frei und rücksichtslos ausleben, obschon solche Männer gerade die Reinheit und Unnahbarkeit, um so mehr, wenn sie in Gesellschaft wirklich reiner Frauen sind, verehren.

Ich fand mich schlecht genug, ihr die europäischen Frauen als von aller lästigen Form befreite Wesen hinzustellen, voller Leichtsinn, Lebenslust und Ausgelassenheit, und zu behaupten, dass sich zwei junge 136 Menschen, wie wir beide, sicher noch heute in Liebe vereinigen würden.

Ich meinte es übrigens nicht unehrenhaft, – ich war restlos verliebt und hatte mich auf einmal beim Gedanken entdeckt: wie nun, wenn du dieses Wesen mit nach Hause bringen könntest, solche Schönheit zu uns hinüber verpflanztest?

»Treibhauspflanze!« raunte mir eine Stimme ins Ohr.

Aber ich wollte nicht hören.

Und meine gewissenlosen, verführerischen Reden wirkten.

Man denke sich ein japanisches Mädchen aus der »Gesellschaft«, das von klein auf schon seinen vorbestimmten Gatten kennt, das streng behütet, nie allein mit einem jungen Manne gelassen wird, das keine Liebesbriefe, keine heimlichen Zusammenkünfte und dergleichen benutzt, auch wenn es diese Hilfsmittel unglücklich oder glücklich Liebender kennte, – vernimmt nun in zauberischer Mondnacht die Moral einer freien, sogenannt unmoralischen Lebensweise, die immerhin darum schon auf vorgeackerten Boden fällt, weil dieses junge Mädchen in die Anfangsgründe der europäischen Lebensweise eingeweiht ist und ausserdem unter den Europäern, die ihm bis jetzt zu Gesicht gekommen sind, unter Globetrottern, Diplomaten und Kaufleuten und ihren weiblichen Genossen manch zweifelhaften Vogel beobachten gelernt hat

Und als sich auf ein gegebenes Zeichen die Gesellschaft erhob, um den Mondschein im Garten zu geniessen, um sich an den kleinen Wasserläufen auf Kieseln niederzulassen und dem Silberstrahlgeriesel im Wasser zuzuschauen, um die Heimchen zirpen zu hören, um zu schwärmen und sentimental zu werden, 137 wie die Japaner es bei solcher Gelegenheit so gerne tun, fanden wir uns unvermittelt allein in der Nähe des Tores und ich machte den Vorschlag, uns ein wenig weiter von den Andern zu entfernen, entgegen aller japanischen Etikette und Sitte.

Der Reiswein und vielleicht die Reden, vielleicht auch das erwachende Blut des jungen Mädchens gaben ihm die für japanische Begriffe unerhörten Worte in den Mund:

»Ich bin deiner ganz unwürdig. Aber, wenn du mir die Ehre deiner Gesellschaft gibst, so weiss ich unter den Kurumaläufern einen mir ergebenen Diener, der kann uns für eine Weile in unserer zweiplätzigen Jinrikisha hinausfahren, damit wir dem lästigen Geschwätz und Getöse der Gesellschaft entrinnen.«

Der Diener war bald abseits gelockt, nahm kopfschüttelnd aber ohne Bemerkung den Auftrag entgegen; – wir schlichen uns, in der Eile notdürftig vermummt, zur Seite, stiegen ein und fuhren in das Mondsilberland.

Schon in der Enge unseres jetzigen Aufenthaltes im knappen Raum des kleinen, zweirädrigen Gefährts, lag etwas unerlaubt Aufregendes, denn die japanische Sitte verbietet möglichst das Sichberühren zweier Menschen und gar, wenn sie sich lieben. Ich wilder Europäer und Barbar hätte natürlich am liebsten gleich beide Arme um ihren Nacken geschlungen und sie auf den kleinen, ein wenig zu kleinen Mund geküsst, – aber das war ein empörender Gedanke in japanischem Stil.

Wir beide sprachen kein Wort. Eng aneinandergeschmiegt glitten wir über die weichen Sandwege, bis der Diener am Tor des schönsten Tempelgartens von Kyoto, vor dem Kinka-kuji, dem »goldenen Pavillon«, anhielt. 138

Eine Sternschnuppe fiel hinter das jetzt wie Phosphor leuchtende Goldlackdach des pagodenartigen Baues.

»O, es gibt ein japanisches Kinderlied,« sagte Ryo-ko, »das heisst:

Herr Stern! Herr Stern!
Dass ein einzelnes Licht
alleine fällt,
erlaube ich nicht!
Ein Tausend in Flammen!
Zehn Tausend zusammen!
Dann wird auch die Welt
und mein Herz erhellt!« – –

Der Wagen hielt noch immer.

»Gehen wir in den Garten?« fragte ich. Sie schmiegte sich an und gab mir die Hand. So schritten wir wie Kinder unter den hundertjährigen Fichten.

Wir sprachen nicht.

Sie dachte: »– –« –? –

Ich dachte: »Immer müsstest du diese Schönheit um dich haben. Kein Geschöpf im ganzen Westen hat solchen Liebreiz und solche Feinheit der Sinnenbildung. – Aber auch ihre ganze Umgebung solltest du mitnehmen können. Sonst ist sie vielleicht bei dir gleich einer Treibhauspflanze, saft- und farblos. – Auch eine Treibhauspflanze ist schön. – Aber bietet ein Zusammenleben mit künstlich gezüchteter Schönheit Genüge? – Nicht daran denken! – Nur an ihre Schönheit, nur an den berückenden Zauber ihrer kleinen Persönlichkeit, an ihre Farben, ihre Bewegungen, ihren Körper, an ihre japanische Frauenhingebung, an ihr dienendes, sich unterordnendes Wesen, das nie widerspräche, alles ertrüge, immer treu bliebe, aufginge in des angetrauten Mannes Persönlichkeit, an den –« 139

»S–t!« machte Ryo-ko.

Fern durch die Bäume ein Licht!

Zwei Stimmen: die eine tief, die andere die eines Knaben.

Mit kleinen, trippelnden Sprüngen huschte Ryo-ko zur Rechten in ein Gebüsch und zog mich nach. Dort kauerten wir nebeneinander unter einem berühmten Baum des Parkes, unter einer steinalten Fichte, die künstlich so gezogen worden war, dass die Krone sich nicht in die Höhe richten konnte, sondern sich breit nach unten vorn neigte und ganz dem Bug eines grossen Schiffes glich. Und unter dieser Krone sassen wir, eng, ganz eng aneinander. Ihr kleines Herz schlug hörbar vor Schreck und Aufregung.

Ein buddhistischer Priester in vollem Ornat ging vorüber, und ein kleiner Klosterzögling trug ihm das Lampion voraus über den Weg.

Ryo-ko erzählte mir nachher, dass es ihr buddhistischer Seelsorger gewesen sei, und dass sie gehört habe, wie er zum Knaben gesagt hätte: »Jetzt werden wir endlich die Tempeldiebe erwischen. Du hast doch die Schritte sicher aus dieser Gegend gehört?« Der Knabe antwortete: »So ist es, Hochwürden!«

Wir gaben keinen Laut von uns. Schon, als die beiden Stimmen wieder weit aus der Ferne klangen und das Licht allmählich zwischen den Bäumen erlosch, sassen wir schweigend und ohne Bewegung. Aber in den kurzen Minuten waren in uns Stürme von Empfindungen, Sinneswallungen, Gedanken, Theorien und praktischen Erwägungen niedergegangen.

Sie dachte: »– –« –? –

Ich dachte: »Es wäre sehr peinlich, wenn wir beide da unter unserem Baum erwischt würden. Ich müsste 140 sie natürlich sofort heiraten. Herrgott, ich liebe sie ja! Wie ich jetzt ihren leisezitternden Körper fühle, und ihren Duft einatme und ihre Sinne mich gefangen nehmen. Wie ich sie begehre und ersehne, die duftige, zarte Blumenelfe! – Ich fürchte nur, – ich würde den Staub von ihren Schmetterlingsflügeln abstreifen, und wenn ich sie umarmte, könnte sie gewiss zerbrechen. – Wenn er uns nur nicht sieht, der alte Mönch da! – Wie sie auch Angst hat! – Ich müsste sie heiraten! – Müsste? – Warum dachte ich nur: »Müsste?« – Es wäre kein Müssen! – Oder vielleicht doch? – War ich nicht ganz ehrlich gegen mich selber, als ich ans Heiraten dachte? – Ein Unglück wäre daraus geworden. – Gewiss. – Ihre Schönheit und ihre Reize sind gross – aber hätte das genügt? – Gehört es nicht zu den überirdischen Freuden, in der Kunst Minnedienst zu tun? Lieder zu schreiben einer süssen Frau, zu schaffen und gross zu werden für sie, und zu wachsen an ihrem Glauben? – Wie sollte dieses japanische Kind Träume, solche Träume verstehen? – Denke doch nur an die Glückseligkeit jenes Sommers, da du endlich eine Frau gefunden hattest. . . .«

»Wir müssen leise nach Hause gehen,« sagte sie.

Ganz eng, eng an mich geschmiegt, – die kleine nervöse Hand in der meinen, die Finger dicht verschlungen, so suchten wir unseren Diener und Zweisitzwagen.

Wir stiegen ein.

Wir berührten uns so nahe, dass wir fast zur Einheit wurden; ihre weiche, seidene Wange streifte an die meine, und während die Räder über die Sandwege glitten und die nackten Füsse des ziehenden Läufers dumpf klatschend darüber hallten, fing sie leise an zu 141 erzählen, in kurzen, seltsamen Sätzen, voller Japanismen und Unverständlichkeiten; und das Ganze möchte im Deutschen ungefähr wie folgt geklungen haben:

»Als wir zum Tempelgarten fuhren, dachte ich: ›So ist es, – du bist ein Hoher aus dem Westen und der Wert des Einzelnen ist bei euch mehr, als bei uns. Und ich hörte, dass eure Liebe nicht nur Leidenschaft ist, sondern auch Freundschaft. Ihr seid offen und unbeherrscht, wie Kinder. Jeder tut, was ihm seine Lust gebietet. Ihr stellt eure Gefühle voreinander zur Schau, wie es bei uns nur die Schauspieler tun. Was wir in uns verbergen, weil es die Form verlangt, das gebt ihr einander ohne Zwang noch Verstellung. – Ich will dir folgen, du stolzer, starker, kindlicher Mann, wie der Rho-nin, der fahrende Ritter seinem Herrn folgt, auch wenn er ins Unglück schreitet. Du bist ein Shogun der Gedanken und eine Frau in deinen Gefühlen. Es ist schön, wie ein Kind zu leben, und wie ein Kind gütig und voll Liebe und voll Ungebärdigkeit zu sein. Es ist vielleicht schön, immer zu weinen und zu lachen und zu schreien und zu jubeln, wenn die Lust in uns dazu erwacht. Auch die Heimchen tun so, die Tauben und die silbernen Reiher; – nicht aber die Blumen. Die blühen nur und schweigen. Ich will dir folgen und dir dienen und alles tun, zu dem du und ich Lust haben. Und ich liebte dich sehr.‹ –

»Dann mussten wir unter den Baum fliehen und ich dachte: ›Wie ich deine wilde Liebe empfinde. Wie du ein Sturmwind sein musst in der Brautnacht. Ich könnte zittern und vergehen und sterben in dir. Aber ich fürchte mich vor dir. Du könntest die Form vor deiner Kraft vergessen. Du könntest wilder sein, als 142 meine Sinne es ertrügen. Du könntest unschön werden und deine Wünsche könnten hässlich aussehen, wie Inari-sama, der Fuchs, der Gott der Geishas. Du könntest mich zerbrechen. Ich würde grenzenlose Sehnsucht haben nach den Blumen, Kleidern und Sitten meiner Heimat. Niemand würde mich verstehen bei dir, niemand, niemand. Wenn ich, was mein Herz bewegt, nach der Sitte meiner Eltern und Landsleute verbergen müsste, wenn ich Leid und Freude im Schweigen ertragen würde, wie die Chrysanthemen und Blumen, dann würden du und die Deinen mich herzlos, kalt und gefühllos schelten. Du würdest diese selben Empfindungen nicht, wie die meinigen, aus den kleinsten Bewegungen meiner Wimpern, meiner kleinen Hand, meiner Lippen erkennen, die nur der sehen kann, der mit den Augen der Liebe unseres Volkes sieht, – ihr würdet mich verachten, und die Kälte würde mir Glanz und Leben rauben, und ich würde erfrieren, wie die Kirschblüte, wenn der Schnee darauf fällt. Leidenschaft und Wildheit würde ich bald als unschön empfinden, so unschön, als wie wir waren, da wir auf der Erde, unter den stechenden Fichtennadeln zusammengekauert lagen, lächerlich und unschön, um den spähenden Augen des Priesters zu entgehen. Ich würde verderben unter euren grossen Händen, unter euren grauen Kleidern und schwarzweissen Festgewändern.‹« –

Sie sprach das alles, während sie dicht an mich geschmiegt im Wagen sass. Ihre Wange traf mich, wie ein stromgeladenes Katzenpelzlein, und unsere Lippen berührten sich. Die Japanerinnen küssen nicht, aber mir war, als hätte ich sie auf der kurzen Fahrt viel tausendmal geküsst und umarmt. Ich hörte im 143 Ohr das weiche Knistern des irisblauen Seidengewandes und atmete den Duft ein, der mir in Japan so oft begegnet war: Ein Gemisch von Moschus und Lavendel.

Du lieblichster der Drachen!

»Ryo-koo! – Ryo-koo! –« hallte es weither durch die Nacht. Wir waren in der Nähe ihres Hauses angekommen und mussten also vermisst worden sein. Darum sprangen jetzt die Rufe der Suchenden nach uns aus.

Mit Umsicht und Klugheit leitete sie den Rückzug.

»Hinten an der Zaunecke, ganz hinten beim Nachbargarten, weiss ich ein Loch in der Hecke,« sagte sie dem Diener. »Fahr zu! Hayaku! Hayaku! Schnell, schnell!!!«

Er lud uns aus. Ein schmunzelnd eingestrichenes Trinkgeld gebot und gebietet ihm ewiges Schweigen.

Wir krochen durch die Lücke, gingen dann langsam in den Garten und gaben uns Mühe, unschuldig auszusehen.

Kaum waren wir entdeckt, lief die ganze Gesellschaft zusammen.

Die Japaner stumm, doch offensichtlich empört über das arme Mädchen. Die Europäer mit lauten Vorwürfen auf mich eindringend.

Ich log deutsch, sie japanisch.

Der Sturm legte sich.

Aber ihre alte Grossmama, O-ba-san, nahm sie bei der Hand und führte sie hinweg und hinauf ins Haus.

Wir gingen dem Tor zu und nahmen Abschied. Ich geknickt über den kläglichen Aus- und Abgang. Es war eine gewisse Verlegenheit über der biederen Versammlung. Niemand wusste, ob und was eigentlich geschehen war, und die Wahrheit kannten nur 144 wir selber. Aber: »Le vrai est toujours invraissemblable«. Etwas vom Abenteuer lag überdies in der Luft oder doch auf unsern Gesichtern.

Beim Tore war man eben daran, sich unter unzähligen Verbeugungen und Dankesergüssen zu verabschieden und die Kurumas zu besteigen, als oben im Haus ein gelles Geschelte einer alten Frauenstimme anhub, und Ryo-ko-san, mein lieber, kleiner Drache, mit ein klein wenig gelösten Haaren, ein klein wenig gelockertem Seidenkleid, ein klein wenig gerötetem Gesicht, aber immer noch würdigschön; trippelnd, doch anmutig, – immer mit den sicherbewussten, schlangengeformten Bewegungen herabkam, aller verwunderten Augen nicht achtend auf mich zutrat, mir ein längliches Schächtelchen in die Hand drückte und unter dem verwunderten Schweigen und Verlegenheitsgrinsen aller anwesenden Japaner wieder ins Haus verschwand.

Lange sah ich dem Schmetterling nach. Es lag wie ein Sonnenstreif, wo er gegangen war.

In der Schachtel aber fand ich einen einfachen, doch kostbaren Seidenfächer, bemalt mit einem schlanken, goldenen Drachen und einigen chinesischen Zeichen, und ein Band war von ihrer Hand zwischen die Stäbchen hineingeflochten; – ihr weisses Haarband, das so rein und lieb aus den nachtschwarzen Haaren herausgeschaut hatte.

Auf dem Fächer, zu Seite des goldenen Drachens, standen die Worte:

»Zur Erinnerung gehört, dass man einmal vergessen hat. Daher solltest du weder dich erinnern, noch jemals vergessen!«

Du Drache, du goldener, unvergesslicher!

 


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