Theodor Storm
Eekenhof
Theodor Storm

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Theodor Storm

Eekenhof

Es klingt wie eine Sage, und man könnte es fast für eine solche halten; an mehreren Orten soll es geschehen sein, und die Poeten haben hie und da einen Fetzen davon abgerissen, um ihn, jeder nach seiner Weise, zu verwenden. Dennoch möchte ich eine abgelegene Wiese unserer engeren Heimat, auf welcher die deutlich erkennbare Vertiefung eines jetzt verschütteten Ringgrabens und einige halb zersplitterte Eichenriesen am Rande derselben die Stätte eines einstigen Herrensitzes anzeigen, für den Schauplatz halten, auf welchem diese Schatten der Erinnerung einst in lebendiger Gestalt vorübergingen. Nicht etwa, weil es dort vor Jahren noch in selten ausführlicher Überlieferung erzählt wurde; aber es ist nachweisbar von Geschlecht zu Geschlecht bis in die Gegenwart heraufgeklommen, und wenn wir die Stufen wieder abwärtssteigen, so treffen wir auf den ersten Erzähler, dessen Name in dem noch erhaltenen Kirchenbuche verzeichnet steht, der nicht nur die Uhr des alten Herrenhauses in seinem Dorfe noch hat schlagen hören, wenn just die Luft nach dieser Richtung wehte, sondern der im Vorbeigehen auch noch den alten menschenscheuen Herrn in einsamer Mittagszeit unter einer der großen Eichen sitzen sah, den greisen Kopf unbeweglich nach dem in jähem Verfall begriffenen Gebäude hingewandt. Bei stillem Wetter, wenn etwa die Augustsonne recht heiß vom Himmel brannte, hat man es hören können, wie drinnen der Kalk herabgerieselt, wie es im Gebälk gekracht oder gar, wer mag wissen was, mit dumpfem Fall herabgestürzt ist.

Jetzt ist alles längst verschwunden; aber auf den verstaubten Trümmern eines hölzernen Epitaphiums, welche in meiner Jugend auf dem Boden der dortigen Dorfkirche lagen, war noch das Bild des alten Herrenhauses sichtbar, wie es sich einstöckig mit hohem, fast fensterlosen Unterbau innerhalb des Ringgrabens erhoben hat. Nach der Struktur der beiden Zackengiebel zu urteilen, mußte es im sechzehnten Jahrhundert erbaut sein; die gegen Morgen belegenen Fenster des oberen Stockwerks schienen in ihrer Zusammenstellung anzudeuten, daß sich dort, wie in den meisten derzeitigen Landsitzen des Adels, zunächst der Stiege die kleinere Winter- und daran in gleicher Lage die geräumige Sommerstube oder, wie man gern zu sagen pflegte, der Rittersaal befunden hatte.

Und so stimmt es auch mit jener bis auf uns gekommenen Erzählung: aus dieser ist sogar noch weiterhin zu schließen, daß man aus dem Saal in einige gegen Abend belegenene Kammern habe eintreten und durch diese wieder auf den oberen Flur habe hinausgelangen können. Der Saal selbst aber, welcher die Bildnisse aus dem mütterlichen Geschlechte des letzten, in seiner Jugend verschollenen Eigentümers soll enthalten haben, spielt noch heute in der Phantasie des Volkes eine Rolle; noch jetzt weiß man von dem Bilde eines jungen blonden Obristers im Reiterkoller aus der Zeit der Grafenfehde, über dessen blasses Antlitz eine blutrote Narbe hingelaufen, und neben diesem von einer stolzen schwarzäugigen Dame mit Reiherfedern auf dem Schlapphute und einem Stieglitz auf der Hand. Das verbundene Geschick dieses Paares soll für das des ganzen Geschlechtes vorbestimmend gewesen sein; aber die Sage über sie ist verschollen und jählings wieder stumm geworden, sobald die Seele sich von ihrem Leib gelöset habe. Neben der Tür aber, welche in eine der westlichen Kammern führte, hing ein anderes Frauenbild, an welches unsere Erzählung ihre Fäden anknüpft.

Wenn außerdem die Überlieferung von einem Walde wissen will, an dessen Rande einst das Haus gelegen habe, so gab auch hievon jenes Epitaphienbild eine Andeutung; denn zur Linken außerhalb des Ringgrabens zeigte sich ein Hecktor, hinter dem sich ein Weg in Bäumen zu verlieren schien.

 

In der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, um die Zeit, da Herzog Christian Albrecht und der dänische König gemeinschaftlich das Land regierten, ist es gewesen, als dieser Hof – im Volksmunde, wie noch jetzt der Platz, wo einst das Haus gestanden, »Eekenhof« genannt – durch Heirat in den Besitz eines Herrn Hennicke kam, der vordem als Hofjunker unter des Herzogs Leuten lebte. Er ist ein jüngerer Sohn gewesen und soll von seinen Knabenjahren an das Majoratsgut seines Hauses nur mit Neid und Haß in seines ältesten Bruders Hand gesehen haben; denn Habgier und Verschwendung haben in seinem Herzen sich gestritten. Zum Glücke aber gab es auch schon derzeit jenes zweite Mittel, um mühelos, wie durch Geburt, zu Hab und Gütern zu gelangen; und es ist auch zweimal glücklich von ihm angewandt worden, so daß späterhin die Rede ging, Herr Hennicke lebe von seinen beiden Weibern, der lebenden und der toten.

Die erste, die er freite, war ein scheues Kind vom Lande; sie hatte weder Eltern noch nahe Blutsfreunde; aber das Herrenhaus zwischen den alten Eichen war ihr freies Eigen; dazu der Wald und drunter das Kirchdorf mit den Strohdächern der Pachtbauern und der Hörigen. Nicht aus Lust hatte sie nach ihres Vaters Tode sich in die Stadt begeben; auch war die Base, der Herzogin Hoffräulein, die sie in ihr Haus geladen hatte, ihr viel zu mutwillig; aber ihrem Vater, der sehr jung gestorben war, hatte sie geloben müssen, nach seinem Abscheiden für die Sommerstube ihr Bildnis von des Herzogs Maler Jurian Ovens fertigen zu lassen. »Das gehört noch an die leere Stelle«, hatte er gesagt; »dann kann der Schlüssel abgezogen werden, wir sind dann alle wie in einer Gruft beisammen.«

Die düsteren Worte hatten sie erschreckt, und sie hätte sich wohl lieber um eine andere Ursach malen lassen; aber des Vaters Wille mußte doch geschehen.

Und das Bildnis wurde wie sie selber. Das Hoffräulein mochte ihr noch so oft das Kinn emporheben und lachend zu ihr sagen: »Du sollst nur wissen, was für besondere Schönheit an dir ist!« – die blauen Augen wußten nichts von dieser Schönheit und blickten nach wie vor, als bäten sie nur um Schutz in ihrer Einsamkeit.

Daß sie als Braut nach ihrem stillen Herrenhaus zurückkehren sollte, hat sie wohl nicht gedacht; auch soll die muntere Base oft nachher gesprochen haben, sie habe den schwarzen Henne wohl gerne nicht genommen; sie hab nur nicht gewagt, ihm nein zu sagen, und da sie einmal ja gesagt, so sei sie viel zu gut und lang nicht klug genug gewesen, ihm wieder nein zu sagen.

 

Als Herr Hennicke zu seiner Hochzeit über die Ziehbrücke in den Eekenhof einritt, war droben an der Wand des Saales, wo das Fest bereitet stand, die leere Stelle ausgefüllt, und die Gäste sahen mit Verwunderung bald auf die stille, in lichtes Gewand gekleidete Braut in ihrer Mitte, bald auf ihr Bild, das, ganz ihr gleichend, ein blühend Myrthenzweiglein in der Hand, aus dunklem Rahmen von der Wand herniederblickte und die Bilderreihe des zu Ende gehenden Geschlechts beschloß.

Unter den Hochzeitsgästen ist von der Sippschaft der Braut nur die Base aus der Stadt gesehen worden; die Freundschaft des Bräutigams sind stolze herrische Männer gewesen, und Herr Hennicke hat mit ihnen getrunken und sich wenig um die Braut gekümmert.

Als der Tag vorüber und dann alle, mit ihnen auch die lustige Base, den Eekenhof verlassen hatten, ist die junge Frau in Einsamkeit zurückgeblieben; denn ihr Eheherr, wenn er nicht zu Gelag und Spiel bei seinen Nachbarn war, hatte draußen genug zu tun, um, wie er sagte, ein richtig Regiment zu schaffen; die Pachtbauern sollten ganz anders jetzt den Säckel ziehen, der Schweiß der Hörigen ganz anders noch den Acker düngen. Den Vogt und das Gesinde sah er sich mit scharfen Augen an; die alten Diener, deren Knochen ihm nicht stark genug erschienen, hieß er gehen. Seines Weibes Fürbitte, wenn sie sich je und je hervorwagte, hat er mit hartem Wort zurückgeschreckt, daß sie im scheuem Aufblick stumm geworden ist; und bald hat sie gezittert, wenn draußen auf der Treppe nur sein Schritt erscholl. Mitunter, wenn sie aus ihrer Wirtschaft über die Brücke hinausgegangen war, sei es, um drüben unter den Eichen ein Weilchen auf der kleinen Bank zu ruhen oder seitwärts durch das Hecktor ein paar Schritte in den Wald zu schlendern, dann ist es wie ein Traum auf sie gekommen, als sei vor Zeiten – und wenn sie nachgesonnen, gar noch nach ihres Vaters Tode – hier große heitere Gesellschaft um sie her gewesen, die diese Orte nun für alle Zeiten verlassen habe, und doch hat sie gewußt, es sei auch damals so einsam hier wie jetzt gewesen, und grübelnd ist sie in das stille Haus zurückgegangen.

Dennoch, nachdem Zeit verlaufen war, ist es gekommen, daß bei einem Gelage in der Nachbarschaft die Gäste auf die Ankunft des erwarteten Erben haben trinken wollen. Als aber ein alter Herr gemeint, man solle zunächst des jungen Weibes denken, daß sie die schwere Stunde glücklich überstehe, ist eine Gegenrede laut geworden: »Was Weib! ein Weib ist ein zerbrechlich Ding! Stoßt an, wir wollen auf den Buben trinken.«

Und als Herr Hennicke hierauf nur träg sein Glas erhoben, hat ihm ein anderer lachend zugerufen: »Du sinnst wohl, Hennicke, wenn du dein Weib mit einem Buben tauschen müßtest, wie lang du auf dem Hofe noch den Herrn zu spielen hättest? Ich will dir rechnen helfen; mit einundzwanzig Jahren sind die Junker mündig!«

Der halb trunkene Gast mochte nicht weit vom Ziel getroffen haben; denn Herr Hennicke hat ihn drohend angesehen: »Schweig, Wulf! Ruf den Tod dir in dein eigen Haus!« Dann hat er im vollen Haufen angestoßen, daß das Glas zersprungen und der Wein verschüttet ist.

Danach aber, wenn er je zuweilen das bleicher werdende Antlitz seines Weibes gesehen hat, sind jene Worte ihm allzeit wieder vor den Ohren und die weinroten Augen des, der sie gesprochen, vor dem innern Blick gewesen.

– – Und die schwülen Spätsommermonde sind gekommen. – Und, da ihre schwere Stunde näher rückte, hat das junge Weib die Nachmittage in dem Rittersaal verbracht; denn hier in dem weiten Raume, dessen Fenster dann im Schatten lagen, war es frisch und kühl. Schon als Mädchen hatte sie gern mit ihrer Arbeit hier gesessen; jetzt nähte sie eifrig an der kleinen Aussteuer für die Wiege, die voll schwellender Kissen schon daneben in der Kammer stand; und wenn ein Käppchen oder ein Hemdlein auch nur zur Hälfte fertig war, dann hielt sie's vor sich hin und betrachtete es, halb in Entzücken, halb in dunklem Grauen. Früher und noch bis vor kurzem war die Schaffnerin, die alte Maike, ihr zur Gesellschaft da gewesen, aber auch diese hatte Herr Hennicke verabschiedet, weil sie, so sagte er, zu alt in der Herberge geworden sei; in Wahrheit, weil sie der stummen Klage in seines Weibes Auge unterweilen ihren fertigen und dreisten Mund geliehen hatte. Daher ist jetzt nur die stille Gesellschaft der Bilder ihrer Vorfahren um die junge Frau gewesen; aber fast von allen wußte sie, sei es, was ihr Leben einst erfüllt oder was, oft jählings, aus demselben sie hinaus getrieben hatte. Einst hatte die alte Maike ihr das erzählt; jetzt war ihr, wenn sie auf die einen oder andern blickte, als erzählten es die toten Bilder selber, daß ihres Lebens Lust und Jammer nicht vergessen werde. Und von dem milden Antlitz ihres Vaters gingen ihre Blicke stets nach jener fernsten Ecke, wo in dem Schatten der Fensterwand des jungen bleichen Obristers Bildnis hing; von diesem weiter zu der stolzen Dame mit der Reiherfeder, die jetzt mit ihren dunklen Augen in das Leere schaute. Dann schrak sie wohl zusammen und ließ die kleine Arbeit aus den Händen fallen; denn ihr war gewesen, als hübe auf der Dame Hand der Stieglitz seine Flügel, als ob er plötzlich seinen Sang beginnen wolle. Aber wenn sie mit aufgerissenen Augen horchte, so war es totenstill im Saale.

Auch einmal, da in der steigenden Dämmerung es immer einsamer um sie geworden war, als auch draußen das Rauschen in den Eichen aufgehört hatte und ihr die müden Hände in den Schoß gesunken waren, ist es über sie gekommen, als wäre in dem leeren Saal nun auch sie selber nicht da, sondern statt ihrer nur noch ihr Bildnis, das mit den anderen in den stillen Raum hinabgehe. Sie hat versucht, die Arme oder den Fuß zu strecken, aber sie hat es nicht vermocht; ihr ist gewesen, als sei sie nun für immer leblos in den dunkeln Rahmen des Bildes festgebannt. Das finstere Wort des Vaters hat vor ihr gestanden; doch als es jählings sie durchfuhr, daß dies den Tod bedeuten möge, da hat die Mutterangst aus ihr geschrien: »Mein Kind, mein Kind! Was soll aus meinem Kinde werden!« Und mit gelösten Gliedern ist sie aufgesprungen und in dem fast dunkeln Saal umher gewandert; als sie aber an ihrem eignem Bild vorüber gekommen, hat sie geschaudert und ist dann eilig in die Kammer nebenan geflohen, allwo sie mit der teueren Bürde unter ihrem Herzen an der Wiege hingesunken ist.

Herr Hennicke hat dies nie erfahren; aber sein junges Weib hat es in ihrer letzten Not ihrem alten Seelsorger, dem Pastor drunten aus dem Dorfe, anvertraut; von diesem ist es auf seinen Nachfolger Albertus Petri übertragen worden, welcher vor seinem Dienstantritt als Informator in Herrn Hennickes Hause lebte und später der erste Erzähler dieser Geschicht wurde.


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