Theodor Storm
Eekenhof
Theodor Storm

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Draußen lag noch derselbe Sommertag auf Wald und Wiesen; doch neigte sich die Sonne schon allmählich, und auf Eekenhof streckten sich die Schatten der beiden Treppengiebel schon bis auf die andere Uferseite des Ringgrabens; die mächtigen Eichen aber leuchteten noch bis zur Wurzel im warmen Sonnengold.

An einem Mauerringe des Hauses stand mit gesenktem Kopf die Schecke des blonden Reiters angebunden, und eben trat er selber aus der Tür und mit ihm die jungfräuliche Gestalt Heilwigs. Der Reiter löste sein Pferd von dem Ringe; dann, je zu einer Seite es am Zügel fassend, schritten beide mit dem ruhig folgenden Tiere über die Zugbrücke, um es in einer der jenseits stehenden Scheuern unterzubringen. Schweigend gingen die schönen jungen Menschen nebeneinander; aber das Antlitz des Mädchens war von Freude gerötet, und in ihren Augen war ein stiller Glanz; wie eine Braut nach dem erharrten Bräutigam blickte sie mitunter über den Bug des Pferdes nach dem Reiter hin.

Als sie dieses in dem verfallenen Gebäude untergebracht hatten und wieder in das Freie traten, lag ein schweres Sinnen auf der Stirn des jungen Reiters. »Nein, Heilwig«, sprach er zu dem Mädchen, das sorgend zu ihm aufblickte; »es ist nicht um meines Erbes willen; ich trag ernste Kunde für uns beide.«

Und da sie leicht zusammenbebte, setzte er hinzu: »Wir wollen nach unseren Kinderplätzen, Heilwig; erschrick nur nicht: meine Hand soll dich um so fester halten!«

Sie gingen um den Ringgraben, dem Hecktore des Waldes zu, und waren in dessen Schatten bald verschwunden.

– – Über eine Stunde ist dann wohl vergangen, und der Eekenhof hat wie verzaubert einsam dagelegen. Leise breiteten sich die Schatten aus und verbleichte das Licht des Himmels.

Und als im letzten Abendschein die beiden jugendlichen Gestalten aus dem Dunkel des Waldes wieder aufgetaucht, da ist das Mädchen mit den schwarzen Flechten blaß wie eine Lilie gewesen, und die blauen Augen haben weit offen und von Tränen voll gestanden. Mit gesenktem Haupte ging sie neben ihrem ernst blickenden Genossen. »Und ist es denn ganz, ganz gewißlich wahr?« frug sie leise.

Der junge Reiter hatte ihre Hand gefaßt, als ob er sie daran halten müsse. »Dem reichen Kaufherrn«, sprach er, »der unerkannt seines Vaters und Geschlechts Geschicken nachforschte, ist nichts verschwiegen worden.«

Stumm schritten sie über die Zugbrücke dem Hause zu; da sprach er wieder: »Es ist spät, und wir müssen den kargen Schlaf des Alters schonen; morgen, des bin ich sicher, wird da drinnen die alte Frau es uns bestätigen.«

Sie neigte ihr Haupt noch tiefer, und wie in Demut zog sie seine Hand an ihren Mund. »Mein Bruder!« sprach sie; es kam nur wie ein Hauch von ihren Lippen.

 

In der Kammer oben neben dem Rittersaal, an deren Wänden einst sein erster Schrei und seiner Mutter letzter Hauch erloschen war, hatte man zur Nacht dem Gast die Lagerstatt bereitet. Aber sie blieb unberührt; im offenen Fenster lehnte er und blickte über die Waldblöße hinaus, die sich unten jenseits des Ringgrabens ausdehnte. Es war eine jener lichtgrauen, schwülen Sommernächte; nichts rührte sich draußen, weder das Schleichen eines Nachttieres noch das Flattern eines Vogels; dann aber rauschte es plötzlich wie aufatmend durch die Wipfel, und hinter ihm im Hause war es, als ob unsichtbare Hände an allen Klinken rührten. Die Nachtkerze, welche man ihm mitgegeben hatte, flackerte und erlosch; zugleich sprang die Tür auf, welche durch eine Reihe anderer Kammern nach dem oberen Flur hinausführte. Er trat zurück und spähte in die leeren Räume nebenan; dann zog er die offene Tür ins Schloß und drehte wie unwillkürlich von innen den rostigen Schlüssel um.

Wieder sank die schwüle Stille auf Haus und Wald, und wieder lehnte er halb wach, halb träumend in dem offenen Fenster. Schon seit langem hatte es von der Glocke aus dem Giebel zwölf geschlagen: nun war nichts hörbar als oben von dem Uhrboden her das einförmige Klirren der Eisenräder und das Rucken der Ketten, an denen die Gewichte hingen. Da endlich scholl wieder ein dröhnender Glockenschlag in das Haus hinunter; der Junker wandte sich vom Fenster ab und lauschte. Es folgte kein weiterer Schlag, es hatte eins geschlagen. Aber nebenan im Rittersaale rauschte es wie von Frauenkleidern, und jetzt deutlich hörte er »Detlev! Detlev!« wie mit angsterstickter Stimme seinen Namen rufen.

Als er die Tür zum Saale aufriß, erblickte er bei dem Nachtschimmer, der durch die Fenster drang, eine weiße Frauengestalt, welche beide Arme ihm entgegenstreckte.

Einen Augenblick nur stutzte er; dann trat er rasch auf die Erscheinung zu. »Du, Heilwig!« rief er, als eine warme Hand die seine faßte. »Was ist dir? Was hat dich nachts hier nach dem öden Saal hinaufgetrieben?«

Sie blickte ängstlich um sich her. »Die Uhr schlug so fürchterlich; ich wollte zu dir; mir war, als droh dir Unheil hier im Hause!«

Er stützte sie sanft in seinen Armen. »Du träumst, Heilwig!« sagte er, »was sollte mir in meiner Mutter Haus geschehen?«

– »Ich weiß nicht, Detlev; aber laß mich bei dir bleiben; die Sommernacht geht ja bald herum.«

»Nicht nur die Sommernacht: bleib immer bei mir, Heilwig!«

– »Ja, immer, wenn du es willst.«

Sie führte ihn zu einem der alten Sessel, der noch wie einstens, da sie als Kinder ihn gemeinschaftlich dorthin getragen hatten, vor dem Bildnis seiner Mutter stand; er sollte nach seiner Reise jetzt der Ruhe pflegen. Als er ihr den Willen getan hatte, zog sie eine Fußbank darunter vor und setzte sich zu seinen Knien, den Kopf in seine beiden Hände legend. Und als er dann im Schlummer sanft zu atmen schien, sprach sie wie aus Träumen vor sich hin: »Mein Bruder! Mein lieber Bruder!«

Aber er hatte nicht geschlafen; er neigte sich zu ihr herab und flüsterte: »Mein traut Geschwister!«

Dann wieder hob sie den Kopf ein wenig aus des Bruders Hand. »Wie seltsam, Detlev«, sprach sie leise; »es ist doch dunkel; aber ich sehe deutlich deiner Mutter Bildnis: sie blickt uns freundlich an!«

»Ja, Heilwig; sehr freundlich.«

Und dann schwiegen sie. Sie wären fast entschlummert; da horchte Heilwig auf: »Was war das, Detlev?«

– »Ich hörte nichts.«

»Doch! Da ist es wieder; hörst du nicht? Da drinnen riß es an der Kammertür!«

Der Junker hatte sich aufgerichtet. »Die Tür ist verschlossen«, sagte er.

Es war wieder alles still geworden; sie hörten nichts mehr; es mochte nur der Wind gewesen sein. Heilwig legte wieder das Haupt in ihres Bruders Hände; dann schwiegen beide, ein plötzlicher Schlummer hatte sie befangen.

Aber die Nacht war noch nicht herum, und es schlief nicht alles in diesem Hause. Wäre sonst ein Ohr noch wach gewesen, es hätte draußen im Flur das leise Öffnen der Tür zur Winterstube vernehmen müssen; dann ebenso leise unsichere Schritte durch dieselbe bis zur Tür des Saales selbst.

Unhörbar tat sich diese auf, und wie vorsichtig gegen die Kammertür hinschreitend, näherte es sich den Schlafenden. Doch erreichte es dieselben nicht; ein dumpfer Schrei, wie aus der Brust eines entsetzten Tieres, durchbrach die Stille der Nacht.

Heilwig war jäh emporgefahren, als müsse sie mit ihrem Leibe den des Bruders decken; aber es war nicht mehr von nöten; sie sah nur noch eine taumelnde Gestalt mit beiden Armen um sich greifen und dann in schwerem Fall zu Boden stürzen. Zugleich erscholl ein Klirren, als würde eine Waffe über den Fußboden bis zu ihren Füßen fortgeschleudert.

Heilwig hielt mit beiden Armen des Junkers Hals umklammert. »Detlev! Detlev!« raunte sie ihm zu. Er aber antwortete nicht; er hatte sich gebückt, und seine Hand griff suchend auf dem Fußboden umher. Als er die Waffe erfaßt hatte, die unter ihrem Sessel lag, und seine Finger an dem Schlosse rührten, zuckte er zusammen, und es schüttelte ihn wie Fieberfrost. Zugleich aber sprang er auf, und, den Arm fest um sie legend, riß er Heilwig mit sich in die Kammer und weiter, nachdem er hastig aufgeschlossen, durch die Reihe der übrigen Kammern auf den Flur hinaus und hinab die Wendelstiege.

»Wer war das?« rief sie, als beide atemlos im Unterhause angekommen waren. »Der wollte dich töten, Detlev!«

»Ich weiß nicht; frag mich nicht, Heilwig; ich will jetzt nur eines wissen! – Aber meiner Mutter Erbe werde ich nimmermehr verlangen.«

Er zog das Mädchen wieder mit sich fort, bis in die Schlafkammer der Großmutter, bis an das Bett der schlummernden Greisin.

Sie hörten es nicht, wie draußen über der Zugbrücke eilige Schritte laut wurden, und sahen nicht die fliehende Gestalt, die jenseits derselben unter dem Schatten der Eichen in die Nacht verschwand.

 

Herr Hennicke hatte recht behalten; der blonde Reiter ist nicht wieder auf den Hof gekommen, so emsig auch Frau Benedikte nach ihm ausgesehen. Mit ersterem selber aber mußte Seltsames geschehen sein; denn als, wie hergebracht, die Hausmagd mit der Morgensuppe an sein Bette kam, lag dort ein eisgrauer Mann mit eingesunkenem Antlitz; als sie aber mit Geschrei von dannen stürzen wollte, war es die Stimme ihres Herrn, welche die Närrin erst zurückrief und sie dann samt ihrer Suppe zu allen Teufeln schickte.

Er hat aber wochenlang in der dumpfen Kammer fortgesessen, bis eines Morgens drüben aus dem Dorf zu Eekenhof das Turmgeläute hell herüberwehte, das man des dazwischen liegenden Waldes wegen nur selten hat vernehmen können. Da hat er aufgehorcht und den eben eintretenden Vogt gefragt, wer denn begraben würde. Als dieser ihm berichtet, es sei die alte Förstersfrau vom Eekenhof, hat er sich arg erbost, daß man ihm nichts davon vermeldet, dann aber plötzlich nur den Namen »Heilwig« ausgestoßen und befohlen, ihm sein Pferd zu satteln. Er ist jedoch nicht fortgeritten; der Hofjunge hat stundenlang das aufgezäumte Tier im Hofe umhergeführt, bis es endlich wieder abgesattelt werden mußte. Und ebenso erging es am anderen und am dritten Morgen.

Danach aber eines Tages sah der Kätner Forthmann, welcher eine blanke Kuh am Seile führte, eine greise Reitergestalt über die Zugbrücke nach dem Eekenhof hinaufjagen und dort am Hause von dem Pferde steigen.

Der Kätner schüttelte den Kopf; er konnte sich nicht denken, was der Mann dort suche, denn es wohnte niemand mehr darin; seine Grete war zu dreien Malen mit der Morgenmilch ans Haus gekommen; aber immer hatte sie vergebens an die ringsum verschlossenen Türen gepocht.

Auch jetzt ist nichts Lebendiges zu spüren gewesen; selbst die schwarzen Krähen mußten auf Atzung fortgeflogen sein.

Der Reiter aber hatte mit einem schweren Doppelschlüssel die Haupttüre aufgeschlossen. Vom Flur aus hat er die Räume des Unterbaus durchwandert; aber es ist nichts darin gewesen als nur das stumme Gerät, das einst den beiden Frauen zu ihrem einsamen Leben diente. Als er auf den Flur zurückgekehrt war, ist er vor der Treppe still gestanden, als müsse er auch hier die Stiegen noch hinauf; er hat aber nur den Fuß auf die unterste Stufe gesetzt und mit heiserer Stimme einen Namen in das Oberhaus hineingerufen. Als ihm von dorther nur ein dumpfer Hall zurückgekommen, hat er, wie von jäher Furcht befallen, das Haus verlassen und ist vom Hofe fortgeritten; aber immer langsamer ist das Pferd gegangen, und immer zusammengesunkener ist die darauf sitzende Gestalt erschienen.

Das alte Haus innerhalb des Ringgrabens lag wieder in seiner stillen Abgeschiedenheit; nur die Krähen, als es Abend wurde, kehrten zurück und lärmten eine Zeitlang, bevor sie sich zum Schlafe in die Eichenwipfel setzten.

 

Herrn Hennickes Wünsche hatten sich erfüllt: der Junker Detlev war durch landgerichtlichen Spruch für tot erklärt worden; Frau Benedikte lag unter ihrem schweren Leichenstein. Aber Herr Hennicke ist ein gebrochener Mann gewesen. Die beiden Füchse, welche sich allmählich zu ein paar breitschulterigen geizigen Hagestolzen ausgewachsen, wirtschafteten emsig auf dem einen wie dem andern Hofe; sie ackerten und ernteten und säckelten die Korngelder ein, ohne daß Herr Hennicke darein geredet hätte. Niemals hat er mehr ein Pferd bestiegen; aber in bestimmten Zwischenräumen ist er am Stabe nach Eekenhof gewandert. Das Haus hat er nie betreten; aber auf der kleinen Bank unter den Eichen hat er oft gesessen, wie erwartungsvoll das Antlitz dem Hause zugewandt, als ob dort in jedem Augenblick die Tür sich öffnen müsse. Nur wenn vom Giebel plötzlich der Schlag der Uhrglocke herabgeschollen, hat er wie erschreckt emporgeblickt; denn die Uhr schlug nach wie vor; er selber hat dem Küster aus dem Dorfe einen hohen Lohn gezahlt, daß er auf dem verfallenen Boden das Werk in stetem Gange halte. Wenn die Dorfkinder, vom Felde herkommend, hier vorüber gingen, haben sie sich schon von ferne die regungslose Greisengestalt gezeigt und heimlich untereinander flüsternd ihren Weg verfolgt, denn ein unsicheres, aber furchtbares Gerücht ist in den Bauernstuben umgelaufen: es seien die Schattenhände der toten Frau gewesen, die Herrn Hennickes Kraft gebrochen hätten.

Und so in seiner Einsamkeit ist er bis an die äußerste Grenze des Menschenlebens gelangt. Von Heilwig aber und dem blonden Reiter hat sich jede Spur verloren.


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