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Kindervergnügen.

Als Großmutter ist man den Enkeln schuldig, ihre jungen Seelen mit Geistessämereien fürs Leben zu bestellen und, da ich ihnen von den Löwen und Elephanten und den Eisbären erzählt hatte, die, wenn sie auch weniger ins Gewerbliche, so doch ins Verdienliche schlagen und deshalb ausstellungsberechtigt sind, ließen die lieben süßen Wesen keine Ruhe, bis der Vater schalt: »Hat sie Euch den Kopf voll geschwatzt, scheert Euch zu ihr, ich gebe bei den schlechten Zeiten kein Geld für Allotria her.«

Dies vernahm ich unbemerkt im Nebenzimmer sitzend, auf meine Tochter wartend, die zu ihrer Schneiderin geeilt war, um bei der verabredeten Kinderpartie ihren Stand tadellos zu vertreten. Und beispiellos billig: einfach ein älteres Schwarzes aufgedoktert, mit einem maigrünseidenen goldgestickten Schultereinsatz durchaus nicht auffallend knallig, sondern hochdezent, nebst schwarzgarnirtem Hut, aus dessen Federn und aufgerichteten Schleifen schmale, ebenfalls maigrüne, mit Goldlitze eingefaßte Sammetbändchen hervorlugen, so daß durch die Mitwirkung ihres rosigen Teints meine Tochter in dieser Zusammenstellung sich als sogenannte Farbensymphonie sehen lassen kann.

Und dies Vergnügen wollte der eigene Gatte stören, weil ihm die Löwen zu theuer waren. Freilich kannte er das Kostüm noch nicht, da sie ihm wohlweislich nie mit der Kleiderfrage kommt, bevor sie drin sitzt und er sein Wohlgefallen äußert. Er mag es, wenn seine Frau liebreizend aussieht, und, wenn sie ihm vorrechnet, wie sparsam sie sich verschönert hat, giebt er ihr einen Kuß extra.

Ich wollte mein Maisgelbes anziehen, Betti hatte sich für helles verwaschenes Blumenmuster entschieden, Ottilie, wie immer, in ihrem Blauen, und Tante Lina Grünbräunlich-Changeant. Die Kinder waren sämmtlich in Weiß gedacht, die Knaben mit Marinekragen, weil, wenn man zufällig jemand aus maßgebenden Sphären anrennt, dieser sagt: »Sieh da, eine Familie, die die steigende Bedeutung des Seewesens erfaßt hat. Wer mag das sein? – Und man kann nicht wissen, ob solcher Zufall dem Fortkommen der Enkel nicht von Vortheil ist? In den Schicksalen berühmter Männer liest man stets, wie ähnliche Nebenthatsachen die Wandlung zur Größe verursachten.

Und dann hatte ich Frau Butsch mit den beiden Stief-Kinderchen eingeladen. Sie möchte ihnen gern mehr gewähren, als Herr Butsch gestattet wegen ihrer Groschensiebe von Händen und da dachte ich: nimm sie auf Dein Konto, Wilhelmine, sie übertragen es aus die Stiefmutter, und in das Wurachen um den Erwerb scheint ein Tag der Liebe hinein, an dem die Herzen einander zublühen, wie Erika sagte, als ich ihr meine Ansicht mittheilte und sie fragte, ob sie und klein Wilhelmine sich anschlössen?

Sie hatte Lust, aber Onkel Fritz war verweigernder Meinung.

»Mein Töchterchen ist noch zu harmlos, die Verdienste des Arbeits-Ausschusses zu würdigen.«

»Wird auch nicht verlangt, für sie sind die übrigen Schaustellungen.«

»Zu zart.«

»Die wilden Thiere.«

»Zu ängstlich.«

»Aber die Aeffchen im Affenparadies?«

»Die Affen überläßt sie ihrem Vater.«

»Also Du willst nicht?«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Beantworte mir: was bleibt dem Erwachsenen, wenn er als Kind schon alle Reizmittel durchkostet, die zum Todtschlagen der Zeit geboten werden? – Uebersättigung. Man badet einen Säugling in der Wanne und hält ihn nicht unter den Rheinfall.«

»Seit wann bist Du so weise.«

»Seit ich Vater bin.«

Er sprach das mit einem Ausdruck tiefinnerer Glücklichkeit, der alles weitere Anpurren hinfällig machte. Seine Liebe ist es, die über dem Kinde schützend die starken Arme ausstreckt. Und wenn Liebe übertreibt, wer möchte sie darum schelten?

Erika heißt stillschweigend gut, was er bestimmt oder vielmehr, er vollführt, was ihr Denken und Sinnen ist, und das Töchterchen gedeiht dabei; ein wahres Herzeken. –

Mein Grundsatz ist, wenn Kinder mitgenommen werden, sie erst tüchtig satt zu machen und am weitesten langt man mit Napfkuchen. Der ist nahrhaft, stopft und hält vor.

Es war ein liebliches Bild, als das halbe Dutzend Jugend um den Tisch saß und den Kuchenteller meuchelte: Fritz und Franz, Betti's Karla und Willi und Butschen's Peter und Edmund, alle in weiß, wir Aelteren tranken Kaffee, ebenfalls mit Napfkuchen, von dem Tante Lina sich sogar das Rezept ausbat. Daß sie sich in gehobener Laune befand, betrachtete ich als eine Mahnung aus oberen Regionen und als Gutheißung meiner Absicht mit der verlorenen Tasche, die sich endlich reumüthig angefunden hatte. Die Zahnbürste und das Gläschen Kölnisches Apothekerwasser hatten zum Besitzausweis genügt.

Tante Lina ahnte nicht, daß ihr sehnlich vermißtes Handgepäck im Nebenzimmer auf das Wiedersehen harrte und erst als abgegessen und ausgetrunken war, nahm ich Fritzchen nebenan, gab ihm die Tasche und sprach: »Wenn ich Dich rufe, kommst Du und überreichst sie Tante Lina mit einem höflichen Diener und sagst: ›Liebe Tante‹.«

»Ich hab' ihr garnicht lieb.«

»Doch, mein Fritzchen. Tante Lina wird großmüthig an Dir handeln.«

»Wir wollen bei die Löwen.«

»Erst giebst Du Tante Lina das Täschchen und sagst: ›Liebe Tante, dies hab' ich gefunden, nimm es freundlich hin.‹ Dann umarmt sie Dich und küßt Dich.«

»Will ich nicht.«

»Doch, Fritzchen. Nun sei artig; gleich rufe ich Dich.«

Tante Lina erzählte der Butschen gerade eine Geschichte von Viedt's. »Viedt's haben die schönen Ländereien und könnten viel mehr daraus machen, aber sie sind mit Erlaubniß zu sagen für reichlichern Dung und nicht für das Auspowern der Aecker und sind so thätig im Geschäft, indem sie jede Kleinigkeit mitnehmen und dadurch das Ihrige erreichten. Sie sagen nicht, wie viel sie haben, aber man weiß es doch so ziemlich.«

»Rechnen Sie gern in Anderleuten Portemonnaie herum?« fragte die Butschen.

Tante Lina wurde spitznäsig und dann glimmt es in ihr. Es war höchste Zeit, den Vesuv auszutreten und deshalb sagte ich rasch: »Liebe Tante, bevor wir aufbrechen, wünscht Fritzchen Ihnen einen kleinen Beweis seiner Verehrung darzubringen.« Es war dies zwar nicht ganz zutreffend, aber in der Eile entwegen die Sätze leicht. »Komm, Fritzchen.«

Er kam nicht. Die Kröte tückscht, dachte ich und öffnete die Thür. »So komm doch, Fritzchen!«

Da kam er. Aber wie!

Ihm war wohl die Zeit lang geworden und neugierig, wie Kinder sind, hatte er in Tante Lina's Tasche gekramt. Ihre Korkzieherlocken hatte er sich über die Ohren gehängt und ihr neues Gebiß trug er in der flachen Hand wie ein Vogelnest, die geöffnete Tasche über dem Arm. Und so schob er seelenvergnügt auf Tante Lina zu.

»Meine Tasche!« rief sie und aufgesprungen und die Schönheitsbeihülfen an sich gerissen und weggestochen. Sie flog vor Aufregung und pustete, wir war der Vorfall mehr als peinlich. »Liebe Tante!« begann ich.

»Schon gut! Schon gut!« stieß sie hervor. »Das war ein starkes Stück. Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich noch heute abreise?«

»Aber nein ...«

»Aber ja, und dabei bleibt's.« Und mir einen furchtbaren Blick zuwerfend, fügte sie hinzu: »wir sind für ewig geschieden – Mein bischen Hab und Gut vermach' ich dem Waisenhause, da sind artige Knaben drin und, mit Erlaubniß zu sagen, keine ungezogene Rangen.«

Emmi wollte Petroleum ins Feuer gießen, weil sie doch die Range nicht auf Fritzen sitzen lassen konnte, aber ich rief: »Wenn jemand Schuld hat, bin ich es,« und entfernte mich mit Tante Lina. Es half jedoch kein Bitten und Beten, sie war zu aufgebracht und ließ keine Entschuldigung gelten.

Auf ihren Wunsch blieb Ottilie bei ihr, packen zu helfen, und wir karawanten nach Treptow.

Unterwegs machten mir Emmi und Betti Beide Vorwürfe: was der Sanitätsrath sagen würde, wo ich doch hätte wissen müssen, daß die Tante den Knaben unbedingt etwas ausgesetzt hätte und sie deshalb ganz anders zu behandeln gewesen wäre. Die Butschen meinte, selbst im Schauspielhause fielen Stücke durch, ich hätte mir es wohl anders gedacht, wie es hinterher kam.

»Sie verstehen mich, Frau Butsch,« entgegnete ich. »Meine Absichten waren lauter und rein.«

»Wieviel hat die Olle denn?« fragte sie.

Ich war zu zerklüftet, um sie zurechtzustoßen.

»Mama,« sagte Emmi, »denke Dir, ich habe meine Börse vergessen. Du bist wohl so gut und legst aus?«

»Ich bezahle Alles!« erwiderte ich ergebungsvoll. – Durch diese Versicherung wurden sie heiterer und dachten nicht mehr so nagend und anhaftend an Tante Linas Testament. Und war es so bombensicher, daß sie die Enkel hineingenommen hätte, auch wenn nichts passirt wäre? Denn erstens ist die Verwandtschaft nur weitmaschig und zweitens: wenn irgend ein Viedt Wittwer wird ... sie ist im Stands, in den heiligen Ehestand hineinzuschliddern.

Betti und Emmi wollten erst nach dem Damenheim, wo die neuesten Moden alle acht Tage wechseln, und dann mit den Kindern nach den wilden Thieren; die Butschen hatte ihren Beiden versprochen, den Walfischkopf in der Fischerei zu zeigen, worüber Uneinigkeit auszubrechen drohte.

Unter lebhaftem Für und Wider langten wir an. Ich löste die Eintrittszettel. In Summa fünf Mark.

Oben von der Ueberbrückung aus gewahrten die Kinder sogleich den Riesen-Elephanten, der als bewohnbares Symbol des Gregory'schen Exportbieres dasteht, das in Hunderttausenden von Flaschen in die heißen Länder versandt wird, wie die Inschrift besagt.

»Merkwürdig,« sagte die Butsch, »daß der Durst allerwärts derselbige ist. Oder kriegen sie ihn erst, wenn das Bier hinkommt?«

Es freute mich, hieran wahrzunehmen, daß sie anfängt, sich auf überseeische Kulturfragen zu werfen, was sie früher nie fertig gebracht hätte. Wegen der Kinder war jedoch eine gründliche Erörterung unstatthaft. Denn was ist, genau genommen, Durst? Wo fängt er an und wo wird er sträflich?

»Gehen wir jetzt ins Damenheim?« fragte Betti in einem Tone, als wenn wir uns nach ihr richten müßten. Ich verstand sie natürlich nicht und sagte: »Was meint Ihr zu einer Nordpolfahrt? Seht doch diese Gletscher und Eishöhlen, täuschend aus Gips geklackst, belehrend für jedermann, der keine Aussicht hat, je in seinem Leben den wirklichen Nordpol zu erreichen.«

»Ich habe mir erzählen lassen,« bemerkte die Butschen, »der Nordpol wäre blos, daß einer sich berühmen kann, dagewesen zu sein, und Butsch sagte, wenn man hinkommt, ist er es gar nicht! Ob sie dort auch wohl solche Sitzbänke haben, die von selbst in'n Gang gehen?«

Ich hatte mittlerweile für Fahrscheine eine Mark vierzig abgeladen, wir selbst luden uns auf die fahrbaren Bänke und sausten in den Gips hinein mit der sich steigernden Besorgniß: »Wo ist die Umstürzecke?« wir hatten mehr Glück als Vergnügen, indem wir unzerbrochen landeten und waren herzlich froh, diese Belustigung hinter uns zu haben.

Betti beantragte nunmehr die elektrische Rundbahn. wir rasch zur Haltestelle, für eine Mark Nickel zusammengesucht, den Automaten gefuttert, durch das Drehkreuz gezwängt und am Halteplatz waren wir. Die Bahn kam; zwei Wagen voll, wir sahen ihr mit gemischten Gefühlen nach, als sie schnöde davon fuhr.

»Wir benutzen den nächsten Wagen.«

Der war noch völler.

Dann kamen wieder zwei mit Platz, aber schlecht gemessen für uns alle.

Der folgende Solowagen war auch zu klein.

»Wir lassen uns unser Geld wieder geben,« sagte Emmi ärgerlich.

»Von wem denn? von dem Automaten? Der ist, wie die Steuer, nicht aus Herausrücken eingerichtet.«

»Wir müssen suchen, enzelnt mitzukommen und treffen uns bei den wilden Thieren,« schlug die Butsch vor.

Und so geschah es, wenn auch nicht gleichmäßig hintereinander, sondern je nach der Ueberfüllung in mehrfachen Abständen. Schließlich war ich allein die letzte, die eine Stehgelegenheit auf der elektrischen Ortsveränderung heranlauerte.

Die Fahrt war beharrlich genug, um an Tante Lina zu denken. So in Bitterniß scheiden ... das wurmte mich und gar zu gerne hätte ich sie wieder gut gehabt. Nicht wegen ihrer Groschen – nein. Aber wer weiß, ob wir je wieder zusammenkommen und wir haben den Groll nicht begraben, bis es zu spät ist. Ich hätte doch wohl bei ihr bleiben müssen? Aber ich hatte den Kindern doch auch den Nachmittag versprochen.

Die kleinen Lämmer – sie waren in ihren weißen Anzügen ganz wie Lämmer – freuten sich, als ich endlich anlangte – »wo bleibst Du, Mama?« schalt Emmi, »wir stehen hier wie die Narren.« – »Kind,« entgegnete ich, »warum verdrießlich über so kleines Ungemach? Es giebt Schwereres, als ein bischen warten in schöner, freier Natur. Aber kommt.«

.

Der Hagenbeck'sche Thiercirkus war justement zu einer neuen Vorstellung geöffnet. Für drei Mark fünfzig bekamen wir Plätze, von denen der große runde Käfig gut zu sehen war. Die Kinder saßen vor uns und planschten in Erwartungswonne. Und als es los ging, als drei Seehunde gebracht wurden, die Pfeife rauchten, eine Wiege schaukelten und Pistolen abschossen, brach heller Jubel bei ihnen aus.

»Rauchen die Seehunde immer?« fragte Franz.

»Nur wenn sie müssen,« sagte Emmi. »Sie sind abgerichtet.«

»Ist Papa auch abgerichtet?«

»Dummes Zeug. Papa raucht zum Vergnügen.«

Die beiden Jungen warfen sich Blicke zu, aus denen ich entnahm: Nächstens spielen sie Papa oder Seehund, je nachdem ihnen der Tabak bekommt.

Vier Elephanten machten darauf ihre Kunststücke bewunderungswürdig. Ich bin überzeugt, es giebt Menschen, die nie lernen, auf Weinflaschen spazieren zu gehen, wie diese unvernünftigen Creaturen, oder es liegt am Erziehungswesen, daß sie hoffnungslos bleiben. Der Elephant kann solche Kunst in seiner Heimath allerdings nicht verwerthen, aber man sieht doch, was ihm beizubringen ist. Und wie viel muß der junge Mann sich einrammen, ehe er einjährig dienen darf. Und doch sollen zuweilen Professoren sich anmaßen, mehr wissen zu wollen als ein Einjährig-Freiwilliger.

Nun kam die Glanznummer. Hunde, schöne deutsche Doggen, sprangen herein. Drei Löwen folgten, zwei Tiger, zwei Jaguare, zwei Bären, ein Eisbär. Die setzten sich in der Runde, jeder auf sein Brett und der Bändiger ging mitten unter sie und ließ sie arbeiten. Ein ausgewachsener Königstiger fuhr Zweirad, ein anderer lief auf einer Kugel, ein Bär tanzte aufrecht gehend Seil, kaum wiedererzählbar unwahrscheinlich und doch ohne Augenverblendung. Ein Löwe fuhr auf einem Wagen, mit Krone und Purpurmantel angethan, von zwei Tigern gezogen und zuletzt bildeten alle Thiere, auf Säulen vertheilt, eine malerische Gruppe, worin der Eisbär oben lag, der vorher nie ruhig auf seinem Platz blieb, sondern die anderen wohlerzogenen Mitwirkenden störte und anschnauzte und von ihrer Pflicht abzulenken suchte.

Ich dachte mir mein Theil. Starker Wille und Unbeugsamkeit mit Güte und richtiger Erkenntniß zwingen selbst wilde Raubthiere zu friedlichem Zusammenleben. – Aber ohne einen Stänker geht es auch hier nicht ab.

Wir waren alle hochbefriedigt, nur die Kinder wünschten noch mehr Löwen und Tiger, gaben sich jedoch, als es hieß, nun gehen wir zu den Aeffchen.

Neben dem Thier-Cirkus ist das Hagenbeck'sche Affenparadies. Zweihundert Affen in einem Käfig, wo sie Holzpferde haben, russische Schaukeln und Klettergerüste, die Glieder geschmeidig zu halten. Und nur eine Mark vierzig für uns alle. Man athmete ordentlich über die Billigkeit auf, denn zuletzt kommt man sich auf der Ausstellung vor wie in Umlauf gesetzte Scheidemünze.

Die Kinder waren glücklich, und es läßt sich nicht leugnen, der Affe ist possierlich. An dieser alten Wahrheit rüttelt selbst der Ernst der Zeit vergebens. Aber er ist auch boshaft. Ein kleines Aeffchen war, wie man so sagt, drunter durch, wohin es kam, spielten die anderen Affen ihm übel mit, daß es gellend schrie und sich flüchtete. An die Stäbe des Gitters floh es, als wenn es weit, weit hinweg möchte und bewegte die Lippen und quäkte und schalt und zog Falten vor der Stirn und die blanken Augen flogen hin und her.

Da riefen die Kinder: »Das ist Tante Lina! Das ist Tante Lina!« Und lachten und riefen: »Tante Lina!«

Ich verbot ihnen die Unart. Es half nichts, »wer das noch einmal sagt, kriegt 'ne Abrundung,« drohte Emmi mit einer entsprechenden Handbewegung. Das steuerte etwas. Aber sie lachten innerlich »Tante Lina«.

Ich dankte meinem Schöpfer, daß die Tante nicht zugegen war. Kinder wissen ja nicht, wie grausam sie in ihrer Einfalt sind. Ich nahm Betti abseits, gab ihr ein noch zum versaufen bestimmtes Zehnmarkstück und sagte: »Bleibt Ihr hier und amüsirt Euch, ich muß nach Hause.«

»Wegen Tante Lina?«

»Ja. Sie ist gekränkt, wenn auch das Donnern mehr Scherz war ...«

»Welches Donnern?«

»Nichts! Nichts! Ich habe Eile! Geht mit den Kindern in die Milchhalle, wenn sie hungrig werden, und habt gut acht auf sie!« – Ich eilte heim.

Ich nahm den hinkömmlichsten Omnibus so besetzt er auch war. »Bitte,« sagte der Schaffner, »möchten die Herren sich nicht auf das Blumenbrett bemühen,« worauf die Stehgäste eine Etage höher stiegen. Ich blickte den Fahrdirektor fragend an. – »Wenn ich ›Deck‹ sage,« antwortete der, geht Keiner rauf, aber auf's ›Blumenbrett‹ gehen sie, indem sie sich dann hübscher vorkommen. Und nächstens werden die Decksitze auch für die Damen freigegeben. Blos daß die Treppen noch die öffentliche Sittlichkeit scheniren. Da muß was'rum.«

Da durchzuckte mich die Lösung der Gleichberechtigung. »Einfach Uniform,« hallte es in mir. Wenn die Frau erst Reservelieutnant wird, hat sie das Ziel erreicht. Und wie Mancher würde das zweierlei Tuch bezaubernd stehen. Blos auf Damen im Majorsalter wäre Rücksicht zu nehmen und ich für meine Person, ich glaube, ich bleibe doch lieber unten.

Tante Lina war nicht abgereist. Gottlob! Ottilie hatte ihr zugeredet. Das werde ich ihr gedenken.

»Mir war mit Erlaubniß zu sagen, die Galle hochgekommen,« erklärte Tante Lina ihren Zorn, »und ehe ich reise, möchte ich, daß etwas Gewisses in die Reihe kommt.« Sie sah mich scharf an und fragte: »Finden Sie nicht auch, daß Herr Kriehberg ein sehr netter Mann ist?« –

»Kriehberg? Nein.«

»O doch, er erinnert mich etwas an Johannes Viedt. Und Ottilie ist ihm geneigt.«

»Ottilie,« rief ich, »hinter meinem Rücken, wo ich Dich so gewarnt habe?«

»Da ist nun nicht viel mehr bei zu machen«, sagte Tante Lina scharf. »Hätten Sie mehr Zeit bei uns übrig gehabt, hätte Herr Kriehberg uns nicht herumzuführen gebraucht. wenn junge Leute sich lieben, so soll man ihr Glück nicht hintertreiben. Einmal verjagt, kommt es nimmer wieder. Niemals. Nie.«

Sie zog viele kleine Stirnfalten und auch ihre Augen glänzten bald mich an, bald Ottilie.

Ein Glück, daß die Kinder nicht da waren.

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