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»Hugo, Hugo,« rief sie, »blicke nicht so,« – und halb knieend flehte sie zu ihm: »Lerne mich nun auch als rein kennen, ich bin es – ich werde es sein – o rechtfertige mich vor mir, und lerne mich kennen, daß ich gut bin.« – –
Hugo wurde noch blässer, und sagte: »Ich habe gedacht, ein anderes Leben führen zu wollen, als der Gatte einer Witwe zu sein, von dem sie sagen, daß er schon vor dem Tode ihres Mannes mit ihr im Einverständnisse gewesen sei.«
»Sie werden es nicht sagen, Hugo,« antwortete sie, »denn kein Mensch weiß es.«
»Ich selber würde es sagen,« erwiederte er.
»Du wirst es nicht sagen: denn du bist unschuldig,« antwortete sie; »weißt du? du hattest nie eine Ahnung, daß du jemand andern liebest, als ein Mädchen.«
»Dann bist du desto schuldiger,« sagte er. »Siehe, Cöleste, hättest du mir gesagt, daß du ein vermähltes Weib bist – ich wäre dir ferne gestanden, ich hätte nie eine andere geliebt, und wenn der Himmel unsere Verbindung möglich gemacht hätte, ohne daß wir schuldig waren, wären wir sie frei eingegangen vor Gott und der Welt.«
»Ich hatte Angst, dich zu verlieren,« sagte sie schüchtern. – – »Wenn du verziehest.«
»Das verstehst du nicht, Cöleste,« antwortete er. »Ich verzeihe dir von Herzen, und beklage uns. Wärest du die niedrigste Magd, wärest du die Tochter einer Stalldirne: auf diesen Händen trüg' ich dich – – aber wie könnte ich jetzt vor mir stehen, der ich nie mit Wissen ein Unrecht an mir litt, wie könnt' ich vor den andern stehen, die mich scheuten und verehrten, und die mir nie die kleinste Mackel sagen durften?!«
»Also könntest du der sogenannten Ehre das warme, ewige, klare Leben opfern?« fragte sie.
Hugo antwortete nicht, sondern er preßte die Hände an einander, und in dem ganzen Baue seines Körpers war eine Erschütterung, wie wenn Thränen ausbrechen sollten.
Sie sah ihn einige Augenblicke mit den großen Augen an – dann aber sagte sie sehr ernst: »Ich habe dich nicht umsonst gefürchtet – gehe – möge dir Gott im Himmel diese harte Tugend lohnen, aber mein Herz verflucht sie: denn es wird gebrochen. – Ja, ich war eine Sünderin, aber die Sünde wurde mir nicht leicht; du hast nur ihre holde Frucht gesehen, ihre Kämpfe trug ich allein. Meine Sünde ist menschlicher, als deine Tugend – geh' – so lange die Erde steht, wurde niemand abgöttischer geliebt, als du. – – Nun gehe, Mann, gehe!«
»Wir sind beide zu erregt,« sagte Hugo, »wir sehen uns wieder, und ich werde dir die Sache auseinander setzen.«
»Setze nichts mehr auseinander, sagte sie, es ist ja deutlich. Gehe nur.«
Und wie Hugo in Verwirrung sich gegen die Stelle hin wendete, wo sein kriegerischer Hut lag, trat über die Thürschwelle ein Kind, ein wundervoll blond gelocktes Mädchen herein, und rief mit kindlich klarer Stimme: »Mutter!« – Aber wie sie diese in Aufregung sah, und den fremden Mann vor ihr stehen, schwieg sie betroffen. Cöleste warf sich, als wäre jetzt erst der fürchterlichste Schlag gefallen, plötzlich mit einem lauten und ausschweifenden Schluchzen in die Kissen des Sophas, als müßte ihr das Herz zerstoßen werden. – Hugo betrachtete das Kind einen Augenblick, dann ging er auf dasselbe zu, und legte unter unendlichen Thränen, die aus seinen Augen flossen, den Arm um den dichten, seidenweichen Lockenwald desselben, beugte sich, und küßte es heftig auf den Scheitel.
Das erschreckte Kind hatte es gelitten – auf dem Sopha hatte das Weinen aufgehört, Cöleste hatte das Haupt empor gehoben, und lauschte hin; aber wie er den Arm von des Kindes Locken lösete, seinen Hut nahm, und sanft hinaus ging – da fiel sie mit dem verzweiflungsvollen Schrei zurück: »Er kennt sie nicht, er kennt sie nicht.«
Hugo hatte kein Wort mehr gesagt, kein einziges; es ist unbekannt, ob er nicht konnte, oder ob er nicht wollte. Unten ließ er sich sein Pferd vorführen, bestieg es, und ritt zu dem Thore hinaus. Es war bereits schon dunkel geworden, und ein harter Novemberwind ging durch seine noch immer schönen blonden Locken, die sein ganzes Schicksal eingeleitet hatten. Als er auf die Anhöhe gekommen war, von der aus man das Schloß erblickt, und hinter welcher die Haide anfängt, hielt er ein wenig stille – die Thränen, welche während der Besteigung des Pferdes und während dem Anfange des Rittes versiegt waren, Rossen wieder, und er sagte gleichsam laut zu sich: »Wo in dieser weiten, in dieser großen Welt mag das herrliche, das reine Herz schlagen, das mich beglückt hätte, und das ich beglücken hätte können!?« – –
Aber draußen lagen die kaltblauen schweren Wolken, unter denen er die Landschaft, namentlich den gehauchten blassen Streifen des Ardennerwaldes, den er im Herreiten gesehen hatte, nicht mehr erblicken konnte und neben ihm säuselte das dürre herbstliche Gras.
Mit den Worten: »Verzeihe dir Gott, du armer, verblendeter Greis, daß du in deiner Leidenschaft zwei Menschen unglücklich gemacht hast, wie ich dir verzeihe, sie erfahre nie, was du eingeleitet hast,« setzte er seinem Pferde die Sporen ein, und ritt langsam den sanften Hang hinunter. In dem nächsten Augenblicke darauf konnte man die hallenden Hufschläge vernehmen, wie er auf der festen Straße der Haide davon ritt, und in die ihn umgebende Nacht hinein jagte.
Er kam spät zu Hause an, legte sich aber nicht nieder, sondern schrieb bis zu dem Morgen an einem Briefe an Cöleste. Was er ihr in demselben schrieb, wie sanfte, gute oder starke Worte er in demselben an sie richtete, ist nie bekannt geworden. Als er mit dem Schreiben fertig war, und das Papier gefaltet und gesiegelt hatte, blickte er auf die Buchstaben des Siegels, die in dem zweifelhaften Scheine des Morgens und seiner Kerze düster da standen, und in dem feinen rothen Wachse die Worte bildeten: »#Servandus tantummodo honos#.« Dann löschte er die Kerze aus, da der Tag immer klarer hereinbrach, rief seinen Diener, und sagte ihm, daß er diesen Brief sogleich nach Schloß Pre bringen möchte, dann soll er sich im Zurückreiten sputen, damit er einpacken könne. Denn er selber wolle sich indessen bemühen, daß sie die Erlaubniß bekämen, ihrer Heeresabtheilung vorausreisen zu dürfen.