Adalbert Stifter
Das alte Siegel
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»So kommen Sie alle Tage,« sagte sie mit eben so sichtlicher Freude, mit der er es anhörte, »ach, es ist ja mir auch ein Glück, daß ich Sie sehe und Ihre Worte höre. Aber kommen Sie täglich erst um vier Uhr, richten Sie Ihre Beschäftigungen so ein, wenn es nämlich geht, daß es sein kann.«

»Es kann sein,« sagte Hugo, »ich komme gerne, recht gerne.«

Und er kam nun täglich. So wie der vierte Glockenschlag Nachmittags von den Thürmen fiel, ging er in der Straße der Vorstadt, öffnete das Gitter, und das weiße Häuschen schaute freundlich grüßend aus den dunklen Linden herüber.

Ihr Umgang wurde immer inniger und traulicher.

Was sich ihre Angesichter versprochen hatten, da sie sich noch vor der Kirche und dann in jener einsamen breiten Gasse angeschaut hatten, das war in Erfüllung gegangen. Aus beiden Herzen brach die Liebe hervor. Sie sagten es einander unverholen, waren freudig, als wenn eine Last von ihnen genommen wäre, und waren selig in diesem Gefühle und in seinen kleinen unbedeutenden Aeußerungen.

Es breitete sich von nun an eine heitere Freude, ein inneres Glück über sie aus, und beide folgten recht gerne dem sanften Zuge dieser Tage.

Dennoch war es zuweilen, wenn Hugo fröhlich von seiner Zukunft sprach, und offen sein unbefangenes Herz hinlegte, daß sie traurig wurde, daß sie wehmüthig drein sah, und mehr als ein Mal von ihm mit Thränen in den Augen angetroffen wurde. Er schrieb dieses der Unklarheit ihres Verhältnisses zu, und forschte nicht. Sie hatte alles, was sich nur immer in seinem Leben zugetragen hatte, von ihm erfahren, er aber wußte von ihr nichts. In solchen Tagen gab er ihr nur treuere innigere Beweise seiner Liebe, wodurch sie gewöhnlich nur noch mehr erschüttert wurde.

Er hielt auch sein Versprechen, daß er nie um ihre Schicksale fragen wolle, getreulich. Er entließ kein Wort und keine Anspielung auf diese Dinge. Er hätte wohl irgendwo in der Stadt fragen können, wem das Häuschen gehöre, das in dieser und jener Vorstadt in dem Garten, wo die vielen Linden sind, stehe, er hätte dann den Eigenthümer aufsuchen und ihn fragen können, wer das weibliche Wesen sei, das sein Haus bewohne, oder wenigstens in welchen Verhältnissen sie hier stehe – er hätte durch ihre Leute oder andere hinter die Sache zu kommen suchen können, sie hat ihn in jenem Briefe nicht gebeten, es nicht zu thun; sie hat es ihm nicht zugetraut, und darum that er es auch nicht. So wie es nicht in ihrem Karakter lag, auf diesen Fall zu denken, so lag es nicht in dem seinen, ihn zu benützen, wenn er auch darauf dachte. Unter seinen Bekannten sagte er auch keinem einzigen etwas von seinen Besuchen in dem weißen Häuschen, er erfuhr daher von dieser Seite ebenfalls nichts, und so war er an dein letzten Tage, nachdem er schon bedeutend lange zu ihr gekommen war, über ihre äußeren Verhältnisse eben so unwissend, wie er es an dem ersten Tage gewesen war.

Aber ihre inneren kannte er besser. Wie sie es einstens versprochen hatte, so geschah es. Ihre Seele lag in den vielen Gesprächen, die sie hielten, ohne Rückhalt und meistens unwillkürlich vor ihm – und diese Seele war seinem Sinne ganz recht. Er kam sehr gerne zu ihr, ward sehr gerne empfangen und blieb täglich länger. Beide wurden sie nach und nach immer seliger gegen einander gezogen. Sie neigte ihr süßes Angesicht zu ihm, und es zitterte Freude darin, so wie Freude in ihm zitterte. Wenn er durch die zarte Seide ihre Glieder fühlte, die er sich sonst kaum anzusehen getraut hatte, so floß es wie ein Wunder durch sein Leben.

Er fragte jetzt, da sie in dieser Lage mit einander waren, nicht, wie einstens in der einsamen Gasse, ob sie seine Gattin werden wolle, weil er seines Versprechens eingedenk war, und weil er dachte, sie werde schon einmal alles, alles enthüllen, wie sie es ja versprochen habe.

Das Einzige, was sie äußerte, bestand darin, daß sie schon ein paar Male gesagt hatte, er dürfe sie nie, unter gar keiner Bedingung verlassen, worauf er immer geantwortet hatte, was ihr denn beikomme, das werde nie, nie geschehen. Solches sei ihm fremder, als sich nur immer Feuer und Wasser fliehen können.

Einmal, da sie wieder, während große Zärtlichkeit in ihrem Angesichte schimmerte, dasselbe verlangt hatte, sagte er: »Eine Bedingung gibt es doch.«

»Welche?« fragte sie.

»Diese kann ja nie eintreten,« sagte er gütig.

»Ich möchte sie doch wissen,« fragte sie.

»Wenn ich Untreue erführe,« antwortete er.

»Nein, diese wird nicht eintreten,« sagte sie. – –

Oft, wie die Zeit so dahin floß, war es Hugo, als müsse nun ein Gutes, Frommes, Seliges kommen – – aber es kam nicht. Ein trauriges Herz Cölestens lag oft vor seiner Seele, und eine Unheimlichkeit dauerte fort, obgleich sie ihm mit ihrem ganzen Wesen ergeben war, und er ihr ganzes Wesen in sein tiefstes Herz aufgenommen hatte.

Auch andere Dinge fing er an zu bemerken. Wenn ihn in der Nacht die Unstätigkeit trieb, und er an ihrem Hause vorüberging, sah er nie ein Licht in den Fenstern. Wenn er sie besuchte, sah er, daß in ihrer Wohnung immer alles auf dem alten Platze liege, und daß die Stickerei am Rahmen nicht vorrücke. Oft war eine Luft in den Zimmern, nicht wie die der Wohnlichkeit, sondern wie in verschlossenen Räumen. Wenn er im Laufe des Tages, etwa Vormittags, da er nicht arbeiten konnte, vorbei ging oder ritt, sah er nie Rauch aus dem Schornsteine steigen, so wie er sich nicht erinnern konnte, je Küchenfeuer gesehen oder bemerkt zu haben. Daß er immer nur das Mädchen, welches sonst in grauer Kleidung der Gebieterin aus der Kirche gefolgt war, und im Stübchen unter dem Thorwege nur den alten Mann gesehen habe, war ihm schon früher aufgefallen, allein er dachte damals, die andern Leute und die andern zur Häuslichkeit gehörenden Räume werden schon in einem andern Theile der Wohnung sein. Jetzt fiel ihm dieses wieder ein.

Eines Abends, da er zu lange geblieben war, und spät in der Nacht unter einem gewitterzerrissenen Himmel nach Hause ging – schrie es in ihm auf: »Das ist die Liebe nicht, das ist nicht ihr reiner, goldner, seliger Strahl, wie er immer vorgeschwebt, daß er aus einem Engelsherzen brechen werde, und das andere verklären – – nein – nein, das ist er nicht.«


 << zurück weiter >>