Rudolf Steiner
Der Hüter der Schwelle
Rudolf Steiner

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Zweites Bild

Derselbe Raum wie im vorigen Bilde Er ist von den Personen, die zu Anfang in ihm versammelt waren, verlassen. (Anwesend sind: Hilarius Gottgetreu, der Grossmeister, Magnus Bellicosus, der zweite Präzeptor, Albert Torquatus, der erste Zeremonienmeister, Friedrich Trautmann, der zweite Zeremonienmeister, Maria, Johannes Thomasius; von den zu Anfang versammelten Personen sind nur geblieben: Felix Balde, Doktor Strader.)

Hilarius Gottgetreu:
Mein Sohn, was du vollbracht, ihm muss das Siegel
der uralt heil' gen Wissenschaft geschenkt
und auch des Rosenkreuzes Segenskraft
an diesem Weiheort verliehen werden.
Was du der Welt gebracht, es soll durch uns
dem Geist geopfert und so fruchtbar werden
in allen Welten, die des Menschen Kraft
dem Weltenwerden dienstbar machen können.

Magnus Bellicosus:
Du musstest, um das Werk der Welt zu geben,
durch viele Jahre fern von manchem sein,
was deiner Seele einst das Liebste war.
es war ein Geisteslehrer dir zur Seite;
er ging von dir, auf dass die Menschenseele
in dir die eignen Kräfte voll entfalte.
Dir war die teure Freundin zugesellt;
auch sie verliess dich, denn du solltest finden,
was Menschen finden können, wenn sie nur
den Seelenmächten in sich selber folgen.
Du hast mit Mut die Prüfung überwunden.
was dir genommen ward zu deinem Heile,
es wird dir jetzt zu deinem Heile neu verliehn.
Die Freundin siehst du vor dir stehn; im Tempel
empfängt sie dich, um unsrem Wunsch zu folgen;
und bald wirst du den Lehrer auch begrüssen.
Mit uns vereint begehren auch die Freunde,
die hier an unsres Tempels Schwelle stehen,
dich als Erkenntnisbringer zu begrüssen.

Felix Balde: (zu Thomasius)
Es wird die Mystik, die bisher im Innern
beschaulich nach dem Geisteslichte strebte,
durch deine Tat dem Wissen jetzt vertraut,
das sich dem Sinnensein nur neigen will.

Strader: (zu Thomasius)
Den Seelen, die nach Geist-Erkenntnis suchen,
obgleich das Leben sie am Stoffe hält,
du konntest auch für sie die Wege finden,
die Sie zum Licht auf ihre Weise führen.

Thomasius:
Erhabner Meister und ihr, hohe Herren;
ihr glaubt in mir den Mann vor euch zu sehn,
den ernstes Ringen und des Geistes Kraft
ein Werk vollbringen liessen, das ihr loben
und dem ihr euren Schutz gewähren dürft.
Ihr denkt, es werde ihm gewiss gelingen,
die Wissenschaft, wie man sie heute schätzt,
mit uralt heil'ger Mystik zu versöhnen.
Und wahrlich, könnte etwas andres mir
verleihn den Glauben an das Werk als nur
der eignen Seele Stimme, euer Wort
vermöchte dies gewiss.

Friedrich Trautmann:
Des Meisters Wort,
es drückt doch zweifellos nur aus, was ihr
in eurer Seele fühlt. Und so bedarf
die innre Stimme ja der Stärkung nicht.

Thomasius:
O wär' es so, ich stünde jetzt in Demut
vor euch und flehte um die hohe Gnade,
der Tempel möge meine Arbeit segnen.
Ich konnte dies noch glauben, als das Wort
mich traf, durch welches mir verkündet ward,
dass ihr mein Werk in eure Obhut nehmen
und mir die Pforte öffnen wollt, die sonst
nur Eingeweihten sich erschliessen darf.
Doch auf dem Wege, der zu euch mich führte,
erschloss sich meiner Seele eine Welt,
zu welcher ihr in dieser Stunde mich
gewiss nicht führen wolltet. Ahriman
in seiner vollen Grösse stand vor mir.
Und wissen konnte ich, dass er der Kenner
der echten Weltgesetze wahrhaft ist.
Was Menschen über ihn zu wissen meinen,
hat keinen Wert. Verstehen kann ihn nur,
wer seine Wesenheit im Geist geschaut.
Die volle Wahrheit über meine Schöpfung,
sie konnte ich von ihm allein erfahren.
Er zeigte mir, wie über deren Wirkung
im Weltenwerden nicht entscheiden kann
der Eindruck, welchen Menschen von ihr haben,
die nach Vernunft und Wissenschaft sie werten.
Dies Urteil würde nur entscheidend sein,
wenn sich die Schöpfung von dem Schöpfer
lösen
und, losgelöst von ihm, ein eignes Dasein
im Lauf des Geisteslebens führen könnte.
Doch bleibt ja stets das Werk mit mir verbunden,
und möglich ist, dass ich vom Geistgebiet
zum Schlechten wandle, was von mir geleistet,
obgleich es selber gut ist und auch Gutes
durch eigne Wesenheit bewirken könnte.
Ich werde ja vom Geisteslande aus
in alles stets hineinzuwirken haben,
was sich im Erdgebiet als Folge zeigt
der Tat, die ich im Sinnessein vollbracht.
Und wenn ich Schlechtes aus dem Geistgebiet
in diese Folgen sich ergiessen lasse,
so wird viel mehr die Wahrheit als der Irrtum
verderblich sein, denn jener müssen Menschen
nach ihrer Einsicht folgen, diesem nicht.
Ich werde ganz gewiss in künft'gen Zeiten
die Folgen meiner Tat zum Schlechten wenden,
denn Ahriman hat mir recht klar gezeigt,
dass diese Folgen sein Besitz sein müssen.
Als ich an meiner Arbeit war, beseligt
und voll Entzücken, weil sie mich so sicher
von Glied zu Glied im Wahrheitsbau geleitete,
beachtet' ich den Teil nur meiner Seele,
der meinem Forschen zugewandt sich hielt;
und ohne Pflege blieb der andre Teil.
Entwickeln konnten sich die wilden Triebe,
die früher nur im Keim vorhanden waren
und jetzt im stillen kraftvoll Früchte reiften.
Ich glaubte mich im höchsten Geistgebiet
und war in tiefsten Seelenfinsternissen.
Und dieser Triebe Macht, sie zeigte mir
in seinem Reiche Ahriman recht deutlich.
So weiss ich, wie ich später wirken werde;
denn diese Triebe müssen in der Zukunft
zu meiner eignen Wesenheit sich bilden.
Ich hatte, ehe ich mein Werk begann,
mich Lucifer gewidmet, dessen Reich
ich kennen und verstehen lernen wollte.
Erst jetzt erkenne ich, was ich nicht wusste
als ich im Schaffen ganz verloren war,
dass er mein Denken mit den schönsten Bildern
umgab, dabei jedoch in meiner Seele
die wilden Triebe schuf, die jetzt noch schweigen,
doch künftig mich gewiss beherrschen werden.

Friedrich Trautmann:
Wie kann ein Mensch auf deiner Geisteshöhe
dies alles sicher wissen und doch glauben,
dass er dem Schlechten nicht entrinnen werde?
Du schaust ja doch, was dir verderblich ist...
so musst du es vernichten und mit dir
zuch deines Werkes Folgen mutig retten.
Der Geistesschüler hat die strenge Pflicht,
in sich zu tilgen, was den Aufstieg hindert.

Thomasius:
Ich seh', ihr urteilt nicht nach Weltgesetzen.
Was ihr verlangt, ich könnt' es jetzt erfüllen.
Und sagen könnte ich in dieser Stunde
dies alles selber mir, was ihr mir sagt.
Doch was mir Karma jetzt zu tun gestattet,
das wird es mir in Zukunft nicht erlauben.
Es müssen Dinge kommen, die in mir
den Geist verfinstern und mich lenken werden,
wie ich in dieser Stunde euch verkünde.
Ich werde gierig dann im Weltenwerden
nach allem greifen, was aus meinem Werke
als schädlich sich ergeben kann, und dies
dem Geistesleben einverleiben wollen.
Ich werde Ahriman dann lieben müssen
und freudevoll als Eigentum ihm geben,
was mir entstammt im Reich des Erdenlebens. –
(Pause, während welcher Thomasius tief nachdenkt.)
Beträfe dieses alles nur mich selbst,
ich trüg' es auch allein in meiner Seele.
Erwarten würde ich in voller Ruhe,
was mir vorherbestimmt auf meinem Wege.
Doch trifft es euren Bund so stark wie mich.
Was Schlimmes wird erfolgen durch mein Werk
für mich und auch für andre Menschenseelen,
es wird durch Karma seinen Ausgleich finden.
Dass ihr dem Irrtum so verfallen konntet,
dies wiegt weit schwerer für das Erdenleben.
Da ihr die Führer dieses Lebens seid
und in den Geisteswelten lesen solltet,
so hätte euch doch nicht entgehen dürfen,
dass dieses Werk von einem andern Menschen
und nicht von mir verrichtet werden musste.
Ihr hättet wissen sollen, dass es jetzt
vergessen werden müsste und dann später
von neuem durch jemand zustand gebracht,
der seine Folgen anders lenken würde.
So habt mit eurem Urteil ihr dem Bunde
das Recht genommen, das er haben muss,
wenn er die Weihedienste leiten soll.
Weil dies für euch aus meinem Schauen folgt,
deshalb erschien ich hier an eurer Schwelle.
Sonst hätte mich Erkenntnis ferngehalten,
die wahrlich nicht den Segen nehmen kann
für dieses Werk, das gut und schädlich ist.

Hilarius:
Ihr lieben Brüder, was begonnen ist,
es wird sich jetzt nicht weiterführen lassen.
Wir müssen uns zum Orte hinbegeben,
an dem der Geist uns seinen Willen kündet.

(Hilarius Gottgetreu mit Bellicosus, Torquatus und Trautmann verlassen den Saal. Ebenso Doktor Strader und Felix Balde. Es bleiben nur Maria und Thomasius an ihren Plätzen. Es verdunkelt sich der Saal. Nach einer kurzen Pause treten die drei Geistgestalten Philia, Astrid und Luna in einer Lichtwolke auf und gruppieren sich so, dass sie zunächst Maria verdecken. Das folgende ist Geisterlebnis des Thomasius.)

Philia:
Es dürstet die Seele
zu trinken das Licht,
das Welten entquillt,
die sorgender Wille
den Menschen verhüllt.
Begierig zu lauschen,
versuchet der Geist
den Göttergesprächen,
die gütige Weisheit
den Herzen verbirgt.
Gefährliches drohet
Gedanken, die forschen
in Seelenbereichen,
wo ferne den Sinnen
Verborgenes waltet.

Astrid:
Es weiten sich Seelen,
die folgen dem Licht
und Welten durchdringen,
die mutiges Schauen
den Menschen eröffnet.
Beseeligt zu leben,
erstrebet der Geist
in Götterbereichen,
die strahlende Weisheit
den Sehern verkündet.
Verborgenes winket
dem kühnen Verlangen
nach Weltengefilden,
die ferne dem Denken
Geheimnisse bergen.

Luna:
Es fruchtet der Seele,
zu bilden das Schauen,
das Kräften entsprosset,
die furchtloser Wille
im Menschen entzündet.
Aus Urgründen holen
erlösende Kräfte
sich Zaubergewalten,
die Sinnen verborgen
durch irdische Schranken.
Und Spuren verfolgen
die suchenden Seelen,
zu finden die Tore,
die Götter verschliessen
dem irrenden Wollen.

Stimme des Gewissens: (unsichtbar)
Es schwanken deine Gedanken
am Abgrund des Seins;
und was als Stütze ihnen
verliehn,
du hast es verloren.
Und was als Sonne ihnen
geleuchtet,
es ist dir erloschen.
Du irrest in den Weltentiefen,
die Menschen sehnsuchttrunken
erobern wollen.
Du bebest in den
Werdegründen,
wo Menschen Seelentröstung
entbehren müssen.

(Die letzten Worte gehen unmittelbar in die folgenden der Maria über, welche noch immer durch die Geist-gestalten verdeckt und unsichtbar ist. Sie spricht erst mit geisterhafter, doch innerlicher Stimme.)

Maria:
So neige deine Seele
sich Liebemächten,
die einst die Hoffnung ihr durchdringen konnten
mit Lebenswärme,
die einst den Willen ihr erhellen durften
mit Geisteslicht.
Entreisse der Einsamkeit
die suchenden Herzenskräfte,
empfinde die Freundesnähe
in Strebensfinsternissen.

(Die Geistgestalten mit der Lichtwolke verschwinden. Maria wird an ihrem alten Platz sichtbar. Es stehen sich Maria und Thomasius allein gegenüber. Das Erleben geht von jetzt an wieder ins Physische über.)

Thomasius: (aus tiefem Nachdenken)
– Wo war ich eben? Meiner Seele Kräfte
enthüllten mir die Wirrnis meines Innern;
das Weltgewissen offenbarte mir,
was ich verloren; segnend tönte dann
der Liebe Stimme in dem finstern Reich.

Maria:
Johannes, die Gefährtin deiner Seele,
sie darf an deiner Seite wieder stehn,
und folgen darf sie dir in Weltengründe,
in denen Seelen sich das Götterfühlen
erkämpfen durch die Siege, die vernichten
und von Vernichtung kühn das Sein ertrotzen.
Und in die ewig leeren Eisgefilde
darf sie den Freund geleiten, wo sich ihm
das Licht entringt, das Geister schaffen müssen,
wenn Finsternisse Lebenskräfte lähmen.
Mein Freund, du stehst an jener Lebensschwelle,
wo man verlieren muss, was man erworben.
Du hast so manchen Blick ins Geistgebiet
getan und dir aus ihm die Kraft geholt,
die dich zu deiner Schöpfung fähig machte.
Es scheint dir diese Schöpfung jetzt verloren.
Verlange nicht, dass dieses anders sei.
Denn solch Verlangen müsste alle Kraft
zum weitern Weg ins Geistgebiet dir rauben.
Ob du in Wahrheit oder Irrtum wandelst,
du kannst die Aussicht dir stets offenhalten,
die deine Seele weiterdringen lässt,
wenn du Notwendigkeiten mutig trägst,
die aus des Geistesreiches Wesen stammen.
Dies ist Gesetz der Geistesschülerschaft.
So lange du den Wunsch noch hegen kannst,
was dir geschehn, das möchte anders sein,
ermangelst du der Kraft, die nötig ist,
wenn du im Geisterland dich halten willst.
Dass du verloren, was dir schon gewonnen,
es lasse dich erkennen, wie du weiter
die Geisteswege richtig wandeln sollst.
Du kannst Verständnis, das du ehemals
zum Richter deines Handelns wohl gebrauchtest,
von dieser Stunde an nicht mehr berufen,
wenn du es ernstlich für verloren hältst.
Drum muss dein Wesen völlig schweigsam werden
und schweigsam harren, was der Geist ihm bringt;
und dann erst wieder sich mit dir beraten,
wenn du dich selbst dir neu gewonnen hast.
Dem ernsten Hüter bist du oft begegnet,
der strenge Wache an der Schwelle hält,
die Geistessein von Sinneswelten trennt;
doch bist du nicht an ihm vorbeigekommen.
Stets wandtest du beim Anblick dich zurück
und sahest dir von aussen alles an.-
Doch nicht im Innern, welches ausser dir
sich weitet als die Geisteswirklichkeit,
bist du gewesen; so erwarte noch,
was dir sich offenbaren wird, wenn du
an meiner Seite nicht betreten nur,
wenn überschreiten du auch kannst die Schwelle.

(Der Vorhang fällt.)


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