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Die Himmelspacherin lag wohlgebettet auf dem Gottesacker zu La Grange. Sie lag in einem weißen Sarg, den ihr der Hans aus ihrem eigenen Wald geschnitten hatte. Er war noch in der Nacht über den Berg zur Sägmühle hinunter gegangen und hatte dem Säger an den Laden geschlagen. Vor der Säge lagen die Stämme rauh und geschabt, schwarze Eichen und weiße Tannen, zu Hunderten. Und der Knecht bohrte den Spitzhebel in einen Baum, den er selbst im letzten Winter gefällt hatte, und rückte ihn zurecht, kettete ihn an und drehte die Winde, bis der Stamm in der Wiege lag. Dann stellten sie das Sägewerk ein und ließen den Bach über das Rad laufen. Da begann die Säge zu schnarchen und schnitt die Bretter für den Totenbaum der Himmelspacherin.

Der Sohn des Sägemüllers riß sich dabei einen wilden Splitter in die Hand, daß sich das erste Brett rot färbte.

»Die nächste Lade schneid ich ins eigene Haus,« sagte er, während er das Blut stillte.

Hans wußte, daß den alten Säger der Schlag gerührt hatte, und gab keinen Bescheid. Langsam fielen die Bretter.

Als er am Abend die fünf weißen, gehobelten Tannenläden auf das Traggestell lud, half ihm der Sohn trotz der verbundenen Hand und sagte dann kurz und klar:

»Ich laß die Leich grüßen, Hans, und grüß mir auch die Gritt.« Der Knecht zu Allen Winden wuchtete die Last auf den Rücken und schob Schrauben und Nägel in den Sack.

Alsdann richtete er sich noch einmal auf und blickte den Säger forschend an, musterte ihn von dem blonden Kraushaar und dem braunhäutigen Gesicht mit dem gelben Schnauz, der lästig über den festen roten Mund hing, bis zu den Schuhen, und ihre Augen blieben aneinander hängen, als der Hans sagte:

»Sie ist wohl jung, die Gritt – Ihr habt das doppelte Alter – aber ich will sie grüßen.«

Drei Stunden später, um die Vesperzeit, war er in den Hof zu Allen Winden getreten, hatte die Sargbretter in die Scheune gestellt, war in die Stube gegangen, wo er noch den Rauch der Wacholderbeeren roch, und hatte zu dem Himmelspacher, der zu oberst am Tisch saß und stumm den Käs spänte, gesagt:

»Die Frau selig kommt ins eigene Holz zu liegen und der Irion Karl grüßt die Leich und Euch und die Gritt.«

Der Himmelspacher dankte. Seine Frau aber schoß einen scharfen Blick auf die Gritt, die blaß und teilnahmlos in ihre Schüssel starrte.

Wohlgebettet lag die Himmelspacherin, so mühsam auch an einem schweren Regentag der Grabgang gewesen war. Starr und teilnahmlos ist die Gritt hinter dem Holzschlitten gegangen, auf dem der weiße Sarg stand. Der Hans hatte gesteuert, und der Schlitten war über das geschorene nasse Grasland bergab gefahren wie im Winter, wenn der Schnee unter den Kufen sprühte und das Scheitholz klafterhoch zwischen den Hörnern lag.

Erst am Bildstock, wo die Himmelspacher auf dem Weg in die Käserei die Milchkessel abstellten und Atem holten, hoben sie den Sarg auf die Schultern und trugen ihn ins Tal. Die Leuni ging neben der Gritt und hielt ihre Züge in der Zucht, daß niemand sagen konnte, sie lasse es an Achtung und Gebet fehlen.

Das Grab schoß ins Grün, und zu Allen Winden fehlte die Frau.

Im Herbst schritten sie zur Teilung, aber sie blieb auf dem Papier. Die Gritt begehrte ihr Erb nicht heraus. Stumm waren sie auf die Nacht hin aus der Kanzlei des Notars zurückgekehrt. Sie gingen zu vieren, die Frauen voran, der Knecht neben dem Himmelspacher hintendrein.

Weiße Wolken liefen über den Berg. Der Wald brauste, die Brunnen brodelten im Gestein, und ein heller Schein ging vor den Himmelspachern her, während hinter ihnen die Täler ins Dunkel sanken.

Die Äcker waren unter ihnen geblieben. In weichen Wellenlinien stiegen die Matten bergan. Aus den Schluchten tauchten die Wälder.

Kühe zogen langsam über die Weide und äugten zu ihnen herüber, als sie durch die Gatter strichen.

Da machte sich Franz an einem Gatter länger zu schaffen, und Hans legte Hand an, den Verschlag schließen zu helfen. Die Gestalten der Frauen wuchsen schon auf der nächsten Schwelle schwarz in den klaren Himmel und sahen nicht hinter sich.

»Die Mutter hat dir gesorgt, Hans,« begann der Himmelspacher.

»Alles was recht ist,« antwortete der Knecht kurz.

Sie gingen weiter. Die große Stille der Berge war um sie her.

Und der Mann fuhr fort:

»Ich approbier's, nimm die drei Tannen!«

»Sie stehen gut auf den Wurzeln,« erwiderte der Knecht.

»Es wär in einem gegangen, wir holzen im Herbst.«

Der Hans schwieg und sann.

»Der Förster wird nichts dagegen haben« – sagte er nach einer Weile – »schlagrechtes Holz ist da.«

»Ja, und ich muß der Gritt sorgen. Ich zahl's ihr auf der Sparkasse ein,« versetzte der Himmelspacher, als hätte er darauf gewartet, das erklären zu können.

Da zog der Knecht den Hosenbund höher, suchte mit den Augen die Gestalten der Frauen, die vor ihnen herstiegen, und sagte:

»Ihr seid der Herr auf dem Hof und ein rechter Meister. Aber Ihr brauchet nicht zu stoßen, ich hätt' auch so geredet. Die Gritt geht nicht vom Hof, sie heirate denn. Und dazu ist sie noch nicht zeitig. Sorget, daß die Frau sie leidet!«

Der Himmelspacher blieb stehen.

»Bist du ihr zum Vogt gesetzt, Hans?« fragte er geradezu.

»Ja, ich bin's, denn die Frau selig hat zum Hans gesagt: Trag mir Sorg zu der Gritt!«

»Gegen wen, Hans?« trotzte der Himmelspacher wild und packte den Knecht am Arm.

»Gegen Eure Schwachheit und gegen ihre Feindschaft!« blitzte der Hans und stund fest, löste den Arm nicht vom Griff des Fragers, sondern wies mit der freien Hand den Berg hinauf, wo die Leuni stehen geblieben war und forschend zurückblickte.

Mit einem Fluch schleuderte der Mann den Arm weg, den er umfaßt gehalten hatte, und stieg weiter. Schweigend folgte der Knecht.

Wo der Weg über den Wasserfall führt, warteten die Frauen. Aus dem Basaltbecken quoll der weiße Schaum. Der Donner des Falls verschlang jedes Wort. Zusammen klommen sie die letzte Halde hinan, über der der goldklare Himmel stand.

Da drängte sich die Leuni an ihren Mann.

»Glaubst du jetzt, was ich dir gesagt hab? Der Hans paßt uns auf.«

Er wandte ihr das bärtige Gesicht zu, in dem nur die Augen lebten.

»Du redest, als wenn wir einem Aufpasser zu tun gäben.«

Sie lachte kurz auf und zuckte die Achseln.

»Betisen, Franz!«

Sie waren zurückgeblieben. Die Gritt stieg ruhig voran, und der Knecht ging hinter ihr her und kümmerte sich nicht um die in seinem Rücken.

Unter ihren Tritten knisterte schon das kurze Alpgras der Allmend.

Der Himmelspacher sah ihnen nach.

Und alsbald packte er den Wurm, der an ihm fraß, und sagte:

»Hör, was ich sag: Der Hof steht zwischen uns und der Gritt, aber das ist's nicht, was mich plagt. Daß du ihr zu Leid lebst, das ist's!«

»Ich leb ihr zu Leid? Ich will nichts als mein Recht, Franz! Ihr Himmelspacher stellt euch immer noch fremd gegen mich! Ja, du auch, Franz, aber ich bin hier eingewachsen in den Hof und in den Namen! Ich bin die Frau

»So ist's. Aber wenn auch der Bruder den Knecht macht, so ist er doch der Bruder. Und die Gritt macht dir die Magd, wie keine!«

»Knecht und Mägde müssen regiert sein!« trotzte die Leuni.

»Wohl wahr – aber nicht mit Stachel und Gift, und die Gritt bleibt, was sie ist!«

»Bleibt, was sie ist! Ja, Franz! Dem Erb zunächst bleibt sie!«

»Ei, so sorg zu einem Erben, der den Hof von uns erbt! Trägt er Schurz oder Hosen, mir gilt's gleich!«

Es war wie ein Schrei herausgefahren aus seiner Brust, die nicht vom Aufstieg sondern von dem Kampf keuchte, den er in versteckten Worten so lange heimlich geführt hatte.

Die Frau wurde blaß unter der bräunlichen Haut, und der klare Abendschein malte ihr Gesicht noch blässer.

»Ein Kind! Grand Dieu, zehn trag ich dir gern, aber du machst mir nicht einmal eins! Ich kann keins teigen und kücheln, ich lieg dir an um ein Kind, seit ich zu dir ins Bett steig.«

Lange schwieg der Himmelspacher. Sie hatten die Höhe schon erstiegen, die rund und grasig keinen Baum trug außer der zerzausten zweigipfligen Wettertanne mit den Hexenbesen, als er die letzte Antwort gab.

Er stand unter dem Baum, um den die Leuni in abergläubischem Schrecken einen Bogen geschlagen hatte, denn im letzten roten Abendschein stach der tennharte Kreis, den die Hexen getreten, noch deutlich hervor, und auch das Muttergotteszeichen am zerrissenen Stamm lieh nicht sichern Schutz.

Drei Schritte standen sie von einander entfernt. Die Gestalten der Schwester und des Knechtes liefen schon die Mulde hinunter, in der der Trübsee schlief.

Und mit lauter Stimme, aber ohne Zank und Zorn sprach der Himmelspacher zu seiner Frau:

»Es ist, wie es ist. Es braucht zwei, um eins auf die Füße zu stellen, und ich gäb die rechte Hand dran, Leuni, wir hätten, was uns fehlt. Der Peter ist so gewiß in den Boden gekehrt wie der Louis, und der Hof steht zwischen mir und der Gritt. Aber wenn du sagst, es fehlt an mir, so sag ich, das steht nirgends geschrieben. Soll ich hingehn und dir's bei einer andern zeigen, ob mir der Same vertrocknet ist? – Lach nicht, Leuni, lach auch nicht so hässig und wild, daß es kein rechtes Lachen mehr ist! – Wir sitzen seit dem Großvater des Großvaters zu Allen Winden auf dem Berg. Jeder Stein ist gesprengt und geschleift worden von den Himmelspachern, bis der Hof stand, und er ist der höchste, der noch Frucht trägt und den Pflug und die Sense erleidet, soweit die Berge laufen im Elsaß. – Da geht es einem an die Nieren, ob er hinter einem in fremde Hände fällt – aber es ist, wie es ist. Und darum heißt es der Gritt sorgen, denn sie hält den Hof, wenn zwischen uns zwei beiden keins aufsteht, das von mir stammt – hörst du, Leuni, von mir, und aus dir kommt, wie es die Ordnung ist in der Welt!«

Wie die Ochsen vor dem Pflug, so schwer und langsam stiegen die Worte aus seinem Mund, und als die Leuni ihr wildes Gelächter angeschlagen hatte, war er auf sie zugetreten, den roten Himmelsschein im unbewegten, harthäutigen Gesicht, und sie war verstummt und hatte das Herz als einen Klumpen in der Kehle gefühlt, der nicht vor sich und nicht hinter sich will und einen zu Tod oder zu Tränen würgt.

Da kam ein lauter Ruf aus der Senke und weckte den Widerhall der Berge.

Sie schraken auf.

»Die Gritt ruft,« murmelte die Frau, und selbander stiegen sie langsam hinunter zu dem stillen trüben See.

»Er hat verblüht,« sagte die Gritt zum Hans, als sie am Ufer standen.

Das Blut war verdampft, grün und wolkig grub der See sich in die Mulde. Drei Stufen mehr waren aus dem Wasser getaucht, auf denen die guten Geister auf und ab stiegen in der Johannisnacht.

Zweimal setzte der Knecht an, dem Mädchen von der Mutter zu erzählen, und daß sie ihn als Vogt neben sie gestellt habe, aber jedesmal unterdrückte er die Aussprache.

Die Gritt hatte ihr weiches Gesicht wiedergefunden. Seit die Tür der Notariatskanzlei ins Schloß gefallen und alles abgetan war, was mit dem Tod der Mutter zusammenhing, atmete sie freier, schielte nicht mehr wie ein verängstigtes herrenloses Hündlein rechts und links, starrte nicht teilnahmlos in den Tag, sondern ließ sich wieder wiegen und tragen von dem ruhigen Leben um sie her.

Als sie Allen Winden erreichten, blies der Abendwind vom Hohnack herunter, und der letzte rote Schein verfärbte sich dunkel und rostig am welschen Himmel.

Die Leuni tat ein paar rasche Schritte und war die erste im Hof. Die Gritt hockte noch bei der Katze nieder, die am Gatter lag und ihr Junges beutelte. Dann lief sie in den Stall, wo das Milchkalb auf zitternden steifen Beinen stand und fand die Bläß noch mit angebundenem Schwanz.

»Hast wieder ein Unrechtes hinterm Milchkübel gespürt und die Milch nicht hergeben wollen? Ja, ist auch eins, die Gritt, rennt den Berg hinunter und läßt die Bläß mit dem Kälble stehen und liegen, wie sie mag!«

Es war ein mütterlicher, streichelnder Klang in ihrer Stimme, und sie band die Kuh los, die ihr das feuchte Maul entgegendrängte und ihr ins rotbraune Haar schnaubte.

So hockte sie noch, als die dunkle Gestalt des Himmelspacher ihren Schatten in den Stall warf. Sie sah ihn nicht. Er blieb eine Weile stehen, gab dann den Gang durch den Stall auf und verlor sich im Hof.

Der Hans hatte dem zweiten Knecht schon die Arbeit nachgezählt und stumm das Beil genommen, um der Frau noch ein paar Tannenkloben zu spalten.

Als er das Scheitholz in die Küche trug, spritzten die Erdäpfel schon im Schmalz, und die Leuni goß gerade die Molken darüber. Zischend stieg der Dampf in den schwarzen Kamin. Das Herdfeuer färbte ihr Gesicht und glühte in ihren Ohrringen. Sie hob die Pfanne, und der Knecht warf das Holz ins Herdloch.

»Ist's von Eurem eigenen Holz, Hans?« fragte sie, während sie die Pfanne schwenkte, und ein böser, mißgünstiger Stich saß in der Frage.

»Weder von meinem noch von Eurem, Frau!« antwortete er kurz.

»Hütet Eure Tannen besser als Eure Zunge!« gab sie wild zurück.

»Es hütet jeder leichter sein Sach, als sich selber,« entgegnete er.

Dann war die Abendkost fertig, und die Leuni trug sie auf den Tisch in der Stube. Zu oberst saß der Himmelspacher und schabte den hölzernen Löffel, der schwarz von eingesogenem Fett, vor ihm gelegen hatte. Zuletzt kam die Gritt gelaufen. Sie hatte sich im Stall verspätet.

»Jetzt nimmst du, was bleibt. Ich tisch nicht zweimal,« warf die Leuni hin, aber lachend fuhr die Gritt in die Schüssel und fischte den Rest auf den Teller.

Sie saßen zu sieben um den Tisch, der Himmelspacher, seine Frau und seine Schwester, der Großknecht, der Melker, der Ackerknecht und die Magd.

Die Magd half der Frau schon die Teller zusammensetzen, während die Gritt noch aß. Die Knechte gingen aus der Stube, nur der Franz blieb sitzen und starrte in das Licht der kleinen Lampe, die still an ihrem Draht schwankte und einen schwarzen Kreis in die Balkendecke gebrannt hatte. Die Leuni schaltete schon wieder in der Küche und hielt die Magd in Atem.

»Komm mit hinters Haus, ich hab mit dir zu reden,« sagte der Himmelspacher und stand auf.

Da stand auch die Gritt auf und trug ihren Teller in die Küche.

Als sie den Franz suchen ging, saß der Bruder auf dem Hackklotz unter dem Scheunendach. Eine Nebelbank lag über dem Rheintal, aus den Wäldern stieg der Geruch der fallenden Blätter, der Himmel verlor sich in fließendes Grau.

Die Gritt blieb stehen und wartete auf seine Rede.

Vom Hofbänklein her klangen die Stimmen der Knechte. Der Melker führte wieder das Wort und wußte alles am besten.

»Du weißt, daß alles en règle ist, Gritt. Ich zieh dir deinen Teil heraus, so es geht, und leg ihn dir auf die Sparkasse.«

Er tat die Finger nicht aus dem Bart, als er zu ihr sprach, und schickte die Worte aufs Geratewohl ins Dunkel.

»Das ist dein Belieben, Franz. Mir ist's gleich,« antwortete das Mädchen sorglos.

»Ja, bist wieder die Gritt – ohne Kopf und Kehr – aber ich bin dafür da, daß ich dir sorg. Du brauchst keinen andern Vogt.«

»Ich will auch keinen.«

»Gut« – er setzte noch einmal an und fuhr fort, »aber – aber schick dich in die Frau!«

Sie gab keine Antwort.

»Ich kann euch nicht beide vogten – es ist Arbeit für zwei auf dem Hof und Lust für zwei. – Schaffet brav, daß alles zusammenhält zu Allen Winden!«

Es war keine Kraft in seinen Worten. Er fühlte es selbst und erstickte daran, bis er einen Fluch nachschickte und aufstand und schloß:

»Potz Kaib! Und es ist Platz für euch beide – ja, Platz, Gritt – und jetzt lasset mir meinen Frieden, du und die Leuni, oder es gibt ein Unglück!«

Ohne auf ihre Antwort zu warten, ging er ins Haus.

Das Mädchen lachte hinter ihm drein ins Dunkel, das plötzlich auf den Berg gefallen war und den Hof verschlang.

Die Stimmen der Knechte waren verstummt, in der Küche schwieg der letzte Lärm, der Schlaf ging um zu Allen Winden.

Und die Himmelspacher kargten und knorzten, sorgten und schafften vom ersten Hahnenschrei bis auf die Nacht, und alles ging seinen Gang. Aber die Gritt blieb meisterlos. Sie tat ihr Tagwerk wieder fröhlich, sie schlief wieder so fest, daß die Magd sie rütteln mußte, sie stand an den Tanzsonntagen vor dem Spiegel, glättete das funkelnde Haar und rieb die Haut mit frischem Tau, um die Laubsprossen zu vertilgen, die ihr klarhäutiges Gesicht mit rötlichen Sprossen bestreuten, und legte dann plötzlich den Kamm beiseite, erinnerte sich, daß sie noch Leid trug um die Mutter, und ließ große runde Tränen rollen, die ihr im Strom aus den Augen rannen. Als ob die Mutter noch drüben in ihrem Bett läge und die schwere Hand über sie hielte, so duckte sie sich dann und ging zwei Tage still und grätig durch das Haus.

An diesen Tagen geschah es dann, daß sie der Leuni ungern die Magd machte und ihr Tochterrecht, das sie gemeinhin leichtherzig preisgab, mit trotzigem Wehren wieder an sich riß. –

Der Hof lag eingeschneit. Die Sonne blitzte über den Bergen. Wo die Täler liefen und die Ebene gähnte, spannte sich ein graues Nebelmeer. Im Bauernwald zu Allen Winden klang die Axt und stäubte den demantnen Schnee von den Ästen.

Die Leuni trat vor die Tür und schirmte die Augen mit der Hand. Goldene Lichter tanzten über die Bergkuppe, blaue Schatten schmiegten sich in die Mulden. Die Melkereien lagen verlassen, Zu Allen Winden war der letzte Hof, der Winter und Sommer bewohnt war. Er hockte trotzig in der weißen Einsamkeit und schüttelte den bläulichen Federbusch, den die Leuni auf den schwarzen Kamin setzte, indem sie die Tannenkloben und die Buchenscheiter in den Hausofen warf, herausfordernd in der blanken Sonne.

Die Winde strählten und zausten das Rauchfähnlein und jagten seinen gaukelnden Schatten über die weiße Fläche.

»Sie finden den Heimweg nicht zur Zeit,« rief die Frau und wandte sich und rief ins Haus: »Mach zu, Amelie, lüpf die Füß und hol sie heim!«

»Ich fahr selber hinunter,« schrie lustig die Gritt, schob die Magd beiseite und rannte nach ihren Holzschuhen.

»Dich hab ich nicht geheißen! Die Amelie geht. Du läufst mir nicht aus der Ordnung!« befahl die Frau.

»Wenn's mich aber lustig dünkt – es geht keinem etwas ab, ob ich geh oder die Magd!« trotzte die Gritt.

»Du bleibst!«

Das Mädchen bückte sich und entwischte dem Griff der Leuni. Schon flog es über den Hof.

Da wurde die Frau weiß wie der Schnee; und plötzlich hob sie den Fuß und riß den Holzschuh ab. Mit einem Schwung, der wie bei einem Mann aus der Schulter kam, schleuderte sie das schwere Geschoß nach der Gritt.

Ein heller Schrei – kopfüber brach das Mädchen in den blanken Schnee und lag wie tot. Ein roter Streifen schoß aus ihrem Haar, sprang über das starr gewordene Gesicht und färbte den Schnee mit Blut.

Einen Augenblick war alles still. Die Leuni stand noch auf dem Türstein, und der heiße Atem fuhr ihr in einer Rauchwolke aus dem Mund. Im Kändel klopfte das Schmelzwasser, denn die Sonne fraß den Schnee auf dem Dach, und aus dem Wald klang die Axt herauf, bald dumpf, bald hell. Talabwärts wogten unruhig die silberglänzenden Nebel.

Dann erhob sich hinter der Leuni eine Stimme, und die Magd raunte:

»Gnade Gottes, Ihr habt sie erschlagen!«

Ein Schauer lief über den Nacken der Frau, aber sie biß die Zähne zusammen und warf trotzig den Kopf zurück.

» Tant pis!« stieß sie hervor und schritt auf die Gestürzte zu, den roten Wollschuh so ruhig in den gefrorenen Schnee setzend wie den Holzschuh, der noch am andern Fuß saß.

Die Arme der Gritt schlugen wie abgeknickte Flügel, als sie das Mädchen aufrichteten. Schwarzrot und klumpig stockte das Blut in ihrem dichten Haar. Die Augäpfel glänzten unter den niedergedrückten Lidern, ein Lächeln war stehen geblieben in ihren Mundwinkeln und erschreckte in dem vergilbten Gesicht.

Sie trugen sie in die Küche und setzten sie auf einen Schemel. Als sie ihr Essigwasser anspritzten, kam sie wieder zu sich, starrte eine Zeitlang vor sich hin, zog sich dann an der Magd in die Höhe und ging, an den Wänden tastend, in ihre Kammer. Stumm, schwankend wie eine Trunkene, verkrustetes Blut im aufgerollten Haar und keinen lebendigen Zug im Gesicht.

Die Leuni ließ sie gehen.

Die Magd schlich ihr nach und lauschte an der Kammertür, schob zuletzt den Kopf durch die Türspalte und sah die Gritt mit eingebundenem Haar auf dem Bett liegen und schlafen. Sie lag nicht im Kastenbett an der Wand, sondern in der breiten Ehelade der Mutter.

Da schlich die Magd wieder zur Frau in die Küche und sagte:

»Will's Gott, sie schläft. Es hat sie in den Schlaf geschreckt. Und das ist das Beste.«

Die Leuni gab keine Antwort und rührte die Mehlsuppe.

Auf einmal wandte sie den Kopf.

Draußen knirschte der Schnee, Schuhe wurden am Türeisen abgestoßen, sie kamen ungerufen heim.

Als die Leuni in die Stube trat, saßen sie schon um den Tisch, der Himmelspacher, der Hans und der Säger aus dem Lützelgrund.

Sie hatten kalte scharfe Luft in die dumpfe Stubenwärme gebracht. Dem Himmelspacher hing noch der gefrorene Hauch im Bart.

Der Säger grüßte die Himmelspacherin.

»Ich fall Euch in den Suppenhafen, aber ich tu's gern,« sagte er heiter und zählte dann die Teller, die sie austeilte.

Die Magd kam noch geschloffen und trug den Speckkuchen und das Kraut, setzte sich zu unterst und hob die Augen nicht mehr vom Teller.

Nach einer Weile fragte der Himmelspacher nach der Gritt.

»Sie ist gefallen und schläft sich wieder zurecht,« erwiderte die Leuni und brannte einen Blick ab, der traf die Magd, daß sie hastig wieder in ihren Teller fuhr.

»Gefallen?« fragte der Säger und hielt mit Löffeln inne.

» Une bêtise – sie stirbt nicht daran,« entgegnete die Frau kurz.

Der Knecht aß, ohne sich anfechten zu lassen. Auch die andern schwiegen.

Ins Klappern des Geschirrs klang der Wind, der in der Wintersonne sang, wie wenn tausend Drähtlein über das Dach liefen. Unter dem Tisch sammelte sich das Schmelzwasser, das von den Schuhen tropfte, in dunklen Lachen.

Nun wellte die Leuni selbst den Kaffee und schonte die Zichorie nicht, daß er scharf und würzig wurde und schwarz in den Gläsern stand. Die Männer gossen den Kirschenbrand hinein, und Irion, der Säger, zog ein Päcklein französischen Tabak hervor. Doch der Himmelspacher tubackte nicht, sorgte aber, daß der Gast und der Knecht die Pfeife anbrannten.

Dann stand der Hans auf und ging hinaus. Der Melker und der Zweitknecht waren nur für den Sommer gedungen, im Winter schaffte der Hans mit dem Himmelspacher den Rest.

Er ging in den Stall und drückte den Daumen auf die Pfeife, daß kein Funke die strohgepolsterte Tür traf. Das Vieh kaute, der Gaul schlief im Stehen.

Da kam die Magd und brachte die Tränke für das Kalb.

Und der Knecht fragte:

»Was hat's gegeben, Amelie?«

»Sie hat ihr den Holzschuh angeworfen,« entgegnete sie, und ihr breites rotes Gesicht glänzte von der Lust des verratenen Geheimnisses.

Als der Hans schwieg und anfing, dem Gaul mit der hornigen Hand das Haar zu bürsten, da erzählte sie ungeheißen den Verlauf.

Danach ist der Knecht ohne ein Wort zu verlieren, in die Stube gegangen und hat gesagt: » Excusez, ich hab's mir überlegt. Ich schlag eine Tanne für mich, wie es testiert ist.«

»So wollt Ihr keinen Abstand nehmen? fragte die Leuni, die jetzt mir am Tisch saß. »Bar Geld lacht.«

»Nein, ich erb nach dem Buchstab,« erwiderte er ruhig.

»Es ist sein Recht,« sagte der Himmelspacher.

Und der Sägmüller machte den Handel fest.

An der Tür wandte sich der Hans noch einmal um.

»Ich hab noch ein Wort mit der Frau.«

Da lachte die Leuni:

»So sagt's, oder scheut Ihr die Compagnie?«

In seinem hageren Gesicht, in das der Winterbart graue Stoppeln gepflanzt hatte, zuckte keine Ader. Er heftete die Augen auf den Sonnenfleck im Winkel der Stube und fuhr fort:

»Es ist kein Meßkram zum Zeigen.«

» Eh bien, so hat's doppelt Zeit,« gab die Frau übellaunig zurück.

Aber er blieb stehen und wartete.

Der Himmelspacher hielt das leere Glas umspannt und tat keinen Wank.

Als sie eine Weile so gesessen, warf der Gast unruhige Blicke und sagte endlich:

»Es ist am End wegen der Gritt.«

»Wegen der Gritt? Was kümmert das den Hans!« trotzte die Leuni, und eine Scharlachwolke stieg ihr ins Gesicht.

»Ja denn, es ist wegen der Gritt,« klang ruhig die Stimme des Knechtes.

Und dann klirrte der Löffel im Glas des Himmelspacher, und er stellte es aus der Hand und sagte:

»So ist's meine Sach.«

Er stand langsam auf.

»Gut, Herr,« nickte der Hans und ging hinaus.

Da erhob sich auch der Sägmüller und machte sich fertig zum Gehen. Er zog die Pelzkappe über die Ohren und fuhr in die Fäustlinge.

Die Leuni ließ die Männer gehen, ohne rot oder blaß zu werden. Ein harter, herrischer Zug lag um ihren Mund, als sie die Gläser abräumte. Heiser rief der Kuckuck hinter ihr drein. Eine Schneelast schoß polternd vom Dach und schlug dumpf auf den Hof.

Der Himmelspacher gab dem Säger den Stock in die Hand und stieg neben ihm her zur Bodenschwelle. Der Schnee lag fest und sang unter ihren Füßen. Die Sonne war schor ins Fallen gekommen und stand als große rote Scheibe im Westen. Violette Schatten wuchsen aus den Tälern, ein zinnobergelber Windbaum strich im Osten dicht über dem Schwarzwald dahin.

Auf der Schwelle machte der Himmelspacher Halt.

»Der Schnee ist hart wie ein Tenn, Ihr habt leichten Weg,« sagte er und blickte prüfend über die absteigende Flache, die blank, von einem rostigen Widerschein überflogen, ins Grenzenlose wuchs.

Vermummt und verzerrt hockten die Bergkiefern wie weiße Kobolde im Schnee, ballten die Fäuste, blähten die Kröpfe und reckten die Buckel. Ein grelles, blutiges Licht schlug plötzlich aus der sinkenden Sonne und färbte die Weide rot.

Karl Irion gab die Rede zurück und sagte:

»Und Ihr habt Schlittbahn wie noch nie. Schleift morgen Euer Holz und grüßt mir die Gritt! Die sechshundertachtzehn Livres liegen morgen in Eurer Hand.«

Hing schon wieder klarer Frost in ihren Bärten, als sie einander noch einmal den Gruß boten. In dem starken runden Gesicht des Sägers standen die Augen blau und hell. Der Himmelspacher gab ihm den Blick dunkel zurück.

Dann drückte Karl Irion die eisernen Stacheln über die Absätze herunter, daß sie in den Schnee griffen, und zog seinen Weg.

Der Himmelspacher schob die leeren Fäuste in die Hosensäcke und bohrte das bärtige Kinn in das Halstuch. Mit Messern schnitt ihm der Biswind ins Gesicht, als er sich wandte und, den kalten roten Sonnenbrand im Rücken, nach Allen Winden hinunterstieg.

»Verdammter Winter, er frißt einen kahl,« murmelte er und sah den blauen Rauch ungern aus dem Dach wirbeln, um das die blanken Eiszapfen hingen.

Im verwahrten Stall bewegte sich dampfend das Vieh, stand sich die Klauen weich und trug Speckmist fingerdick auf den Schenkeln.

Und im Stall war's, wo der Knecht ihm Rede stund. Im Verschlag, wo das Zuggeschirr und die Kässeiher lagen, wartete der Himmelspacher auf den Hans. Der stieß noch dem Vieh das Heu in die Raufen und kam dann herein.

Es war zwischen Füttern und Melken.

Als der Hans in die enge Kammer trat, schlug schon die Nacht herein. Der Tag war verblutet, stärker sang der Wind.

Eine Weile war Schweigen. Dann fragte der Himmelspacher kurz:

»Was ist mit der Gritt?«

»Darauf soll die Frau Bescheid geben,« antwortete der Knecht.

»So hast du die Frau um das fragen wollen?«

» Ich weiß genug, Himmelspacher, Ihr fragt nach der Gritt.«

Es war dunkel geworden, daß kaum noch ein weißer Schein in die Kammer fiel.

Da trat der Himmelspacher zwischen den Hans und das Licht.

»Jetzt red, – aber steh dazu! Ich ruf die Frau zum Zeugen gegen dich.«

»So ruft sie,« entgegnete der Hans, »ruft die Magd dazu und sorget, daß die Gritt aufwacht und klar und frank Bescheid gibt. Ich sag nichts als das: Die Gritt ist dem Hof näher als die Frau, und wenn Ihr einmal den Hof als Erb lasset, so lasset Ihr ihn der Gritt, aber nur, wenn die Frau sie bis dahin nicht ganz kaputt gemacht hat.«

Zweimal hatte der Himmelspacher ihn unterbrechen wollen und war zweimal nicht zu Wort gekommen. Jetzt schoß er plötzlich auf und schlug ihm die Fauste auf die Schultern, schüttelte ihn und röchelte:

»Dich mach ich kaputt, Hans, du Lotter! Was geht's dich an, wer kaputt geht auf Allen Winden!«

Der Knecht wehrte sich nicht.

Franz Himmelspacher zog ihn so dicht an sich heran, daß sie einander noch vom Gesicht ablesen konnten, was ihre schweren Zungen so kurz und karg münzten. Ihr Atem rauchte im grauen Zwielicht. Ruhig sprach der Knecht:

»Ich bin dein Gespan gewesen, Franz, eh du in die Mannshosen gefahren bist zu Allen Winden. Mach mich hin, wenn du glaubst, es fehl an dem Hans. Aber ich steh für die Gritt.«

Mit einem Fluch stieß der Mann den Knecht zurück.

»So red!«

»Nein, Himmelspacher, nicht, eh Ihr die Frau gefragt und nach der Gritt geschaut habt. Und daß ich's nicht vergeß: Ich rod morgen die erste Tanne.«

»Das steht in deinem Belieben, Hans, – aber bleib mir aus den Ohren mit der Gritt!«

Der Himmelspacher griff nach der Türfalle.

Da stieß der Knecht die Tür vor ihm auf, gab ihm den Weg frei und antwortete kurz:

»In meinem Belieben? Nein, in meinem Recht steht's, Franz – aber nur, wenn ich ihr sorge, der Gritt.«

Der Himmelspacher drehte sich um.

»Und was tust du mir?« fragte er rauh, »künd auf zu Lichtmeß, ich brauch keinen Vogt.«

Ein Zündholz wirbelte blau und grün in den hohlen Händen des Hans, und der Franz nahm die Stallaterne von der Wand und hielt sie ihm hin.

»Gott verdamm – ich sorg Euch wie der Gritt,« murmelte der Knecht und tat, als hätte er die Aufforderung zur Kündigung nicht gehört. Das Licht brannte. Sie gingen in den Stall, und die Milch zischte in die Eimer.

Die Leuni vertrat ihrem Mann den Weg, als sie ihn die Tür der Gritt suchen sah.

»Was willst du bei ihr?« fragte sie und drängte sich an ihn.

Sie sparten das Licht im Haus. Die kleine Hängelampe, die in der Stube brannte, warf ihren Schein kaum auf den Tisch.

Der Himmelspacher schob die Frau beiseite.

»Meine Sach!«

»Meinst du, ich seh nicht, daß du weißt, wie mir der Schuh aus der Hand gefahren ist,« erwiderte sie.

Da traf sie ein Stoß im Dunkel, daß sie hart an die Wand schlug.

Er drückte die Tür hinter sich zu. Ein weißer Schein im Fenster verriet den Winter, in der Kammer stand die Finsternis.

Der Atem der Gritt strich auf und nieder. Sie schlief tief und schwer.

»Gritt!«

Seine Hand war tastend über sie hingefahren. Sie lag in den Schuhen, im Rock, im wollenen Leibchen, wie sie gegangen und gestanden, ihr Gesicht war kühl, und ihre Hände zuckten leise in den Fingergelenken.

Jetzt setzte der Atem aus, sie richtete sich hastig auf und lallte mit der verschlafenen Stimme eines Kindes:

»Lasset einen auch einmal ausschlafen!«

Dann ergriff sie seine tastende Hand und erkannte ihn am Griff.

»Jesus, der Franz!« stieß sie verwundert hervor.

»Wo fehlt es dir?« fragte er hart.

Und mit einem Schlag wußte sie, warum sie lag und schlief wie tot. Sie packte seine Hand und führte sie an die Stelle, wo sie die Kante des schweren hölzernen Schuhs getroffen hatte. Das tat weh, aber sie drückte trotzdem die Finger ins buschige Haar und ließ ihn die Blutbeule fühlen, die hoch aufgelaufen war.

»Was ist gegangen?« forschte er, und sie erzählte, daß sie gern selbst in den Wald hinuntergelaufen wäre und den Versuch mit dem Schuhwurf gebüßt habe.

»Ich bin ihr im Weg, – aber ich kann doch nichts dafür, daß die Leonie Burlot als Himmelspacherin kinderlos lebt und stirbt. Seit die Mutter tot ist, regiert sie zu Allen Winden wie St. Peter im Himmel.«

»Ja, und der hat einem das Ohr heruntergeschlagen,« versuchte der Bruder zu scherzen, aber es klang wie eine Drohung in der dunklen Kammer.

Da zog sie ihn zu sich herab und rieb die Backe an seiner Schulter.

»Zahl's ihr heim, Franz, oder ich geh in einen Dienst und ihr könnt mich suchen, ihr zu Allen Winden!«

»Betisen, Gritt – du bleibst, wo du bist, und daß ich's nicht vergeß, der Karl Irion läßt dich grüßen.«

»Der Irion Karl?« fragte sie, und ihre Gedanken trabten wie junge Rößlein ohne Zügel. »Sag, Franz, ist sie am End jalouse, die Leuni, weil er mich grüßen läßt und nicht sie?«

»Betisen,« wiederholte er und reckte sich auf. Da schoß sie empor, und plötzlich schlug sie Nägel und Zähne in die Leuni und giftete wild:

»Ei ja, der stünd ihr an, der hilft ihr wohl zu dem, was ihr fehlt!«

Mit einem unterdrückten Fluch stieß er sie von sich und tappte blind aus der finstern Kammer.

Er sprach kein Wort mehr, weder zur Leuni, noch zum Knecht. Ruhig lag er die Nacht, aber der Schlaf blieb aus seinen Augen. Neben ihm schlief die Frau, und zuweilen kehrte sie sich mit heißen Gliedern und seufzte begehrlich, und der Himmelspacher warf sich noch weiter an den Rand, schlug den Kopf in die Fäuste und kam mit seinen Gedanken nicht zu End. –

Die Tage kamen und gingen. Drei Fuß hoch lag der Schnee, und selbst der Schlittweg war verschüttet. Hausten nur fünf Menschen zu Allen Winden, aber sie stießen sich, als wohnten zehnmal fünf in dem abgeschlossenen, eingeschneiten Hof, der immer tiefer in dem weißen Pelz versank, von den Winden umtanzt, von den Wolken umflogen. Ohne Mehl hockten sie und fanden zuletzt kaum noch soviel Kraut im Faß, den Frühling zu erwarten.

Der Himmelspacher neidete dem Hans die Arbeit, die kaum noch reichte für zwei, und der Knecht ließ sie ihm, denn er sah, daß der Franz sich plagte und keinen rechten Bauernschlaf mehr in den Kissen fand.

Die Gritt war scheu geworden. Sie fürchtete die Leuni und fuhr wie eine fremde Katze durchs Haus. Aber sie war schön mit dem bleichen klaren Gesicht, dem dichten funkelnden Schopf und dem weichen Leib, der ohne Arbeit besser gedieh und von den hastig und verstohlen zusammengelesenen Brocken, der heimlich geschlürften Milch und dem Stilliegen rund und weiß wurde. Sie hockte in ihrer Kammer und las die alten Kalender und die Legenden der heiligen Märtyrer, die sie bei dem Austritt aus der Halbtagsschule für ihr gutes Verhalten als Belohnung heimgetragen hatte, und kam nie damit zu Ende.

Die Leuni zählte ihr die Bissen in den Mund und regierte nun das ganze Wesen.

Seit der Himmelspacher seine Ohnmacht erkannt hatte und nicht mehr versuchte Frieden zu stiften, war Friede geworden. Aber so, daß die Leuni regierte und die Gritt nur gelitten war.

»Sie hat keine Hitze und keinen Stolz,« sagte die Himmelspacherin eines Tages verächtlich, als die Gritt an der Stubentür zurückzuckte und wieder in ihre kalte Kammer schlich.

»Wenn sie ins Ehbett findet, wächst ihr beides,« antwortete der Knecht und löffelte den sauren Käs, den sie aus der Milch gepreßt hatten.

Die Leuni lachte. Es war ein böses Lachen und zerbrach ihr plötzlich wie Glas zwischen den weißen Zähnen.

»Die Gritt und heiraten! Der Mann tät mir leid!«

Sie waren allein in der Stube. Ein grauer, wolkiger Tag lag über der ausgestorbenen Welt. Der Tannenwald hatte sich geschüttelt in der letzten Nacht und stieg schwarz und drohend aus der Tiefe. Kein Lüftlein sang, aber am Himmel war graues kugeliges Gewölk lebendig und wälzte und wühlte sich schwerfällig hin und her.

Als der Knecht die Rede nicht zurückgab, fuhr die Frau gereizt fort:

»Ja, leid! Und bis zum Mannen hat es noch weit. Es trägt seinen Teil morgen nicht vom Hof. Bei Gott nicht!«

»Das ist seine Sach,« entgegnete der Hans und schleckte den Löffel ab. Es war ein mageres Morgenessen.

Die Himmelspacherin trat auf ihn zu und stemmte die Arme an die Hüften. Ihr Gesicht war mager geworden, der Winter zehrte an ihr.

»Eure ist's nicht, das ist gewiß! Und daß Ihr's wisset, die Gritt hat den Weg frei, ich halt sie nicht. Aber sie geht wie sie steht, sie trägt mir nichts weg. Und wenn Ihr schon den Vormund machet, ungeheißen und unbestellt, so sucht ihr einen, der sie nimmt, wie sie ist. Ich werf sie aus dem Nest, in dem sie nichts tut als den Platz versperren!«

Da ergriff der Knecht das Messer, das neben dem Kleienbrot lag, und stieß es mit Wucht in den Tisch. Knirschend fuhr es ins harte Holz und stand. »So wahr ich das Messer steck, Himmelspacherin, eher geht Ihr vom Hof als die Gritt.«

Er hob die Stimme nicht, kein Zug veränderte sich in seinem Gesicht. Es war keine Drohung in den ruhig gesprochenen Worten. Eine Feststellung war es, nichts anderes. Doch als die Leuni später an den Tisch trat und hinter dem Hinausgehenden, den ihr wildes Schelten nicht mehr erreichte, das Messer aus der Tischplatte ziehen wollte, da saß die starke Klinge so fest und tief im schwarzen Eichenholz, daß sie beide Arme rühren und sich mit dem ganzen Leib stemmen mußte, um nach langem Fechten schweratmend zurückzutaumeln, das blanke Messer in den krampfhaft geschlossenen Fäusten.

»Was kommt dich an!« klang's da von der Tür.

Sie stand noch ohne Atem, das Messer abwärtsgekehrt wie zum Stoß in den verschlungenen Händen, und einen wilden Ausdruck im gespannten rotgefärbten Gesicht.

Das Geräusch, das der Tisch von sich gegeben hatte, als sie das Messer lockerte und zog, hatte den Himmelspacher hereingelockt.

Da warf sie plötzlich das Messer von sich und stürzte auf ihn zu, packte ihn, preßte ihn an sich und stammelte leidenschaftlich:

»Ein Kind, Franz, und wenn es krumm und krüppelig ist, schaff mir ein Kind!«

Den Kopf zurückgebogen, den Leib vorgeworfen, heißen Glanz in den Augen und kalte Blitze in den goldenen Ohrgehängen, drängte sie sich gegen ihn und brachte ihn ins Wanken.

Er stemmte sich fest.

»Laß los, mach nicht die Welsche und biet dich feil! Ich hab dir gegeben, was ich hab.«

Die Scham verbrannte ihm das Gesicht unter dem Filzbart. Er verließ die Stube. An der Tür kehrte er sich und sagte:

»Wallfahr nach Einsiedeln, wenn du es vermagst.«

In der Nacht brauste der Tauwind über den Berg. Hagel schlug aufs Dach, gelb und klumpig lag am Morgen der Schnee, violette Schatten fraßen sich in die Halden. Die Täler waren ertrunken in Dampf und Regen, um den Hof zu Allen Winden krochen die Wolken, als gingen sie dort zur Stalltür ein.

Am ersten Markttag im Märzen stiegen die Himmelspacher zum ersten Mal wieder nach La Grange hinab. Der Föhn war des Winterschnees Meister geworden, aber jetzt lag körniger Märzenschnee auf frisch gefrorenen Matten. Er tat nicht mehr weh, schaffte nur gute Schlittbahn und glatte Schneisen, und der Frost hatte die Wege gehärtet, weit hinunter ins Tal.

Die Sonne saß als goldene Spinne in einem zitternden Netz von weißen Wolkenfäden, die über den ganzen Himmel gespannt waren.

Und die Gritt mußte lachen über die Grimassen, die die andern schnitten, denn das zerteilte Licht blendete die stumpf gewordenen Augen.

Die Leuni blickte scheel auf die Gritt, die sich auf der andern Seite des Franz hielt und ihre Lüge, sie müsse um alles in der Welt zum Zahnreißer, fröhlich zu Markte trug.

»Weißt, Hans, Zähne hab ich noch genug, aber zu Markt kann ich so schnell nicht mehr, und zum Kramen und Gewundern nimmt sie mich nicht mit.«

So hatte sie kichernd zum Knecht gesagt und das Backentuch doppelt gebunden, und in der Küche gewimmert, daß es den Himmelspacher in der Stube erbarmt hat.

Jetzt trug sie die Backe wieder frei und eine Brotrinde hinter die Zähne geklemmt, daß die Geschwulst sichtbar war.

Wo das Sträßlein von Lützel auf die große Bergstraße trifft, begegnete ihnen der Säger. Er saß auf seinem char à bancs und knallte heftig mit der Peitsche.

Er fragte, ob sie nicht aufsitzen wollten. Die Frauen taten es gern.

Als er die beiden Frauenzimmer aufgeladen hatte und mit ihnen weiterfuhr, während der Himmelspacher allein über die Hugimatt und den Rötelhof nach La Grange hinunterstieg, knallte er noch heftiger.

Die Himmelspacherin führte das Wort. Sie kam ins Welschen, denn sie wußte, daß ihr das gut stand. Er verstand alles, antwortete aber so karg, als hätte er Kleie zwischen den Zähnen. Die Gritt schwieg. Sie war gern aufgestiegen, war müd und konnte nicht schnell genug nach La Grange kommen und sog unwillkürlich an ihrem Brotklos, bis er ihr plötzlich im Mund verging. Nun saß sie mit ebenmäßigen glatten Wangen und sah schadenfroh, wie die Leuni die Augen spielen ließ und parlierte, ohne dem Karl Irion die Zunge zu lösen.

Die Leuni verstummte und warf einen scharfen Blick auf die Gritt. Aber die ließ ihn vorbeistreichen und saß mit gefalteten Händen, die Ankunft in La Grange erwartend. Als sie aufgestiegen war, hatte sie sich so gesetzt, daß sie dem Säger die glatte Backe zukehrte Jetzt schoß die Leuni einen zweiten Blick, der blieb wie ein Pfeil an der andern Backe der Gritt haften.

Und gerade in dem Augenblick, da Irion eine Frage ersonnen hatte, um mit der Gritt ins Gespräch zu kommen und schnell noch einmal einen Peitschenschlag tat, sagte die Himmelspacherin laut:

» Tiens, dir ist, mein ich, das Zahnreißen vergangen!«

Unwillkürlich fuhr die Gritt nach der blutrot anlaufenden Wange und wußte gar nicht wohin die schöne Geschwulst gekommen war.

»Habt Ihr auch mit den Zähnen zu tun, Jungfer Gritt?« fragte rasch der Säger und machte einen kühnen Versuch, ihr über die Leuni weg ins Gesicht zu schauen.

»Ja, wenn es zu Markt will!« fuhr die Himmelspacherin dazwischen.

Aber Irion achtete nicht darauf und erzählte auf einmal redselig von einem dreizinkigen Backenzahn, der ihn einen ganzen Winter molestiert hatte, bis er endlich den Couragezipfel gefaßt und ihn habe ausreißen lassen.

Die Gritt hatte die Backe in der hohlen Hand verborgen und saß so still als möglich. Und auf einmal tat ihr wirklich der kleine Backenzahn weh; sie spürte die drei Wurzelzinken, mit denen der Zahn des Karl Irion verankert war, in ihrem eigenen Kiefer glühen und brennen, wie vom Hufschmied weißglühend hineingeschlagen.

Sie warf klägliche Blicke umher und versuchte zu lächeln. Das Lächeln fing sich im Grübchen ihrer andern Wange und in dieses Grüblein ist der Sägmüller mit ernsten Augen und einem mannhaften Entschluß hineingestiegen, hat die Peitsche ruhen lassen, die Zügel ein wenig angezogen, daß der Gaul gelinder trabte und dann fest gesprochen:

»Ihr seid zu sehr ausgesetzt zu Allen Winden. Euch wär wohler im Lützelgrund.«

Er hielt die Augen ruhig auf sie geheftet, in seinem Gesicht zuckte kein Fältlein, der gelbe Schnurrbart sträubte kein Haar.

Aber die Gritt verstand ihn nicht, plagte sich mit dem Zahnschmerz, den er ihr angedichtet und mit dem Lächeln, daß sie krampfhaft festhielt.

Sie fror auf dem offenen Wagen in der klaren Märzluft.

Neben ihr die Leuni war gelb wie Wachs. Ihre Lippen zitterten, ihre Augen brannten. Blitzschnell zuckte ihr der Haß vom Herzen auf und fuhr in einem wilden Laut aus ihrem Mund.

Mit einem Ruck riß sie der Gritt die Hand herunter.

»Sie lügt, die Krott! Zu wohl ist's ihr, ein zwölfjähriges ist nicht ärger!«

Das Mädchen duckte sich, als käme es zu Schlägen. Aber dann schoß es auf einmal in die Höhe und schrie:

»Im Weg bin ich dir – ei, so laß mich gehen, aber das sag ich dir – ich geh nur, wenn ich will

Und mit einem Schwung schnellte sich die Gritt über das Gestell auf die Straße, stolperte, fiel auf die Kniee, richtete sich wieder auf und lief den Rain hinauf in den leeren Buchenwald.

»Gritt, Jungfer Gritt! So hört doch, zum Donner!« rief Irion und stand aufrecht im Wagen, eine harte Falte zwischen den Augen, dunkle Hitze im Gesicht.

Die Gritt kehrte sich um. Sie stand zwischen den nackten Bäumen, die Sonne im Haar und schien ein volljähriges Weib, mit trotzigen Zügen, den tiefen Blick der Himmelspacher unter den starken Augenbogen.

»Fahrt zu, Irion Karl, fahrt sie in die Höll, die Leuni, die trägt den Himmelspachern nichts fort, keinen Schlaf und kein Kind!«

Mit einem rauhen Schrei hob sich die Leuni vom Sitz und stand aufrecht neben dem Säger.

Da schossen der Gritt die Tränen in die Augen, denn sie hatte plötzlich an die Mutter denken müssen, und ihr Stolz zerfloß in dem Schluchzen, das ihr die Brust erschütterte.

Sie sah, daß der Mann sich langsam wieder niederließ und die Leuni auf den Sitz zog. Er ordnete die Zügel und faßte die Peitsche.

»Ihr habt noch eine halbe Stunde und wisset den Weg,« rief er, und der gelbe Schnurrbart stach hell aus dem vom Blut verdunkelten Gesicht.

Die Leuni schrie ein wüstes Schimpfwort zu ihr herauf, aber der Knall der Peitsche fuhr hinein und riß es in Fetzen.

Nach La Grange stob prustend der Gaul vor dem schleudernden Wagen.

Der Gritt liefen die Tränen über die Backen, und sie dachte voll Schrecken an den Weg, stand unglücklich im vermoderten Laub zwischen den nackten Bäumen und sah dem Wagen nach, der eilig davonlief.

Da war es ihr, als lachte die Leuni höhnisch und wendete Irion noch einmal den Kopf. Flugs streckte sie, ihre Tränen verschluckend, die rote Zunge hinter ihnen drein und rannte durch kahles Gestrüpp in den leeren Wald.

* * *

 


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