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Bevor die Mutter am Sonntagmorgen zur Kirche ging, trat sie immer noch einmal in die Wohnstube ein, um zu sehen, ob sich die Kinder fest und ruhig bei ihren verschiedenen Unterhaltungen niedergelassen hatten, so dass sie hoffen konnte, es bleibe während ihrer Abwesenheit alles in guter Ordnung. So tat sie auch heute. Es sah recht friedlich aus in der Stube. Bruno und Mea sassen jedes in einem Winkel in ein Buch vertieft, Kurt hatte seine Zeichnungen vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, Lippo und Mäzli bauten auf ihrem Tischchen ganz geruhlich eine schöne Stadt mit Kirchen und Türmen und grossen Palästen. Die Mutter war befriedigt und ging. Eine Zeitlang war alles still. Jetzt fiel ein heller Sonnenstrahl auf Kurts Zeichnung und spielte lustig um die Papiere auf dem Tisch. Kurt schaute auf und sah, wie es draussen über die Wiesen leuchtete: »Den zwei boshaften Milchverderbern von gestern gehörte, dass sie für den ganzen sonnigen Sonntag eingesperrt würden«, brach Kurt plötzlich los.
Der Mea musste die Sache auch wieder aufgestiegen sein. Sie stimmte gleich so lebhaft ein, als habe sie sich gerade mit demselben Gedanken und in ganz derselben Weise beschäftigt. Nun mussten sich die beiden noch einmal über die ganze Sache besprechen und ihrer Entrüstung über die Übeltäter, wie ihrem Mitleid für Loneli Luft machen. Bruno blieb schweigend über sein Buch gebeugt. Dem Mäzli musste das Gespräch unterhaltend vorkommen; es guckte zu den Geschwistern hinüber und liess den Lippo alles anstellen, wie es ihm gefiel, was sonst gar nicht der Fall war. Erst als die Geschwister wieder still waren, kam es zu dem Stadtbau zurück.
»Potz tausend, was hab ich vergessen«, rief Kurt, auf einmal wieder von seiner Zeichnung auffahrend, »du hättest aber auch etwas sagen können, Mea, du hast es auch gehört: morgen müssen wir dem Lehrer Kleider für die Abgebrannten bringen, und die Mutter weiss noch nichts davon.«
»Ich habe es auch vergessen«, sagte Mea ruhig und fuhr zu lesen fort.
»Die Mutter weiss es schon lange, ich habe es ihr gleich gesagt«, fiel Lippo ein, »der Lehrer hat ja gesagt, wir dürfen es nicht vergessen.«
»Ganz richtig, kleiner Schulfuchs«, erwiderte Kurt und zeichnete ruhig weiter. Da es nun so stand, dass die Mutter um die Sache wusste, hatte er sich nicht mehr darum zu kümmern.
Mäzli hatte soeben etwas vernommen, das sehr anregend auf seine Vorstellungskraft wirkte. Plötzlich warf es Häuser, Türme und Kirchen übereinander und drängte Lippo: »Komm schnell, wir wollen etwas machen, das viel lustiger ist, und die Mama ist froh darüber.«
Es wunderte Lippo, was es wohl sein könnte, worüber die Mutter so froh sein würde; aber wie auch das Mäzli trieb und drängte, er nahm erst die grosse Schachtel zur Hand und legte ordentlich ein Stück neben das andere hinein.
»So macht man’s nicht, so währt es eine Stunde lang«, rief Mäzli ungeduldig; »man wirft schnell alles hinein und tut den Deckel drauf, und dann ist’s fertig.«
»Das darf man nicht, das darf kein Mensch«, sagte Lippo ernsthaft. »Zuerst muss man immer ganz ordentlich das erste zusammenpacken und wegräumen, ehe das zweite kommt.«
»So lauf ich dir fort«, zeigte Mäzli an und huschte zur Tür hinaus.
Als Lippo in aller Ordnung seine Schachtel gefüllt und an ihren Platz gebracht hatte, lief er schnell dem verschwundenen Mäzli nach. Es wunderte ihn sehr, was es vorhatte. Nicht im Gang, nicht im Garten, nirgends war’s zu finden. Lippo rief laut und noch lauter, es kam keine Antwort. Endlich hörte er den Gegenruf in sonderbar dumpfer Weise; doch merkte Lippo, dass er aus der Schlafstube kam. Er trat ein. Da sass Mäzli am Boden mitten in einem Kleiderhäufchen, den Kopf tief in den Schrank gesteckt, um immer noch mehr Gegenstände herauszukramen.
»Ja, ja, du machst etwas Schönes am Sonntagmorgen«, sagte Lippo, indem er seine grossen Augen auf die Kleider am Boden richtete.
»Das ist etwas Rechtes«, erwiderte Mäzli sehr bestimmt, »Kurt hat gesagt, man muss den Abgebrannten Kleider schicken, und nun muss man alle Kleider, die man nicht mehr braucht, herausnehmen und zusammenlegen; dann ist die Mama froh, weil sie dann nichts mehr zu tun hat, man kann alles morgen früh fortschicken. Du kannst deine Kleider auch holen, man legt alle auf ein Häuflein.«
Lippo schien die Sache etwas zweifelhaft zu sein; er stand nachdenklich vor all den Röckchen und Jäckchen, die vor ihm auf dem Boden lagen. Es kam ihm vor, die Sache sei nicht so ganz nach der Mutter Sinn.
»Aber wenn man etwas mit den Kleidern machen will, muss man doch immer die Mama fragen«, fing er wieder an.
Mäzli gab keine Antwort und zog geschäftig noch ein Häufchen wollener Strümpfe und einen dicken Winterkragen heraus; alles wurde vorerst auf dem Boden ausgebreitet.
»Nein, das will ich nicht tun«, sagte Lippo wieder nach längerer Betrachtung des ungewohnten Anblicks.
»Du willst nur nicht, weil es soviel zu tun gibt«, behauptete Mäzli mit einem vor Eifer ganz roten Gesicht, »ich will dir dann schon helfen, wenn ich hier fertig bin.«
»Ich will es doch nicht tun«, wiederholte Lippo jetzt ganz entschlossen; »ich will nicht, weil man nicht darf.«
Mäzli hatte nicht Zeit, ihn weiter zu überzeugen; es musste durchaus noch die dicken Schuhe hervorkrabbeln, die da drinnen sein mussten. Aber bevor es diese ans Tageslicht gebracht, ging die Tür auf, und entsetzt blickte die Mutter auf die Verheerung:
»Aber Kinder, welche abscheuliche Unordnung!« rief sie aus, »und am Sonntagmorgen! Was ist denn in euch gefahren, Kinder? Was soll überhaupt dieser Markt auf dem Boden bedeuten?«
»Jetzt siehst du, Mäzli«, sagte Lippo nicht ohne Befriedigung, da es so klar zum Vorschein kam, wie recht er hatte. Aber Mäzli suchte mit aller Macht die Mutter zu überzeugen, dass es ihr nur helfen wollte, damit sie gar nichts mehr zu tun habe und nur alles fortschicken könne.
Jetzt erklärte die Mutter dem Mäzli aber sehr bestimmt, dass es solche Hilfeleistungen nie mehr zu unternehmen habe, dass es durchaus nicht zu beurteilen habe, welche Kleider es noch brauchen und welche es verschenken solle, und dass eine solche Hilfe ihr nur gerade die doppelte Mühe mache, die sie sonst gehabt hätte. »Übrigens, Mäzli«, schloss die Mutter, »kann ich bemerken, dass dein grosser Eifer hauptsächlich daher kommt, dass du dich bei der Gelegenheit aller der Dinge entledigen möchtest, die du selbst nicht gern anziehst. Da liegt all dein wollenes Zeug, von dem du behauptest, es kratze dich, das magst du nun anderen Kindern gern gönnen, nicht Mäzli?«
»Vielleicht haben sie es gern, weil sie frieren«, meinte Mäzli.
»Mama, die Frau Amtsrichter kommt die Strasse herauf und gerade auf unser Haus zu, sie kommt gewiss zu uns«, berichtete Lippo, der ans Fenster getreten war.
»Und ich habe noch nicht einmal meine Sachen abgelegt um dieser Unordnung willen«, sagte die Mutter erschrocken. »Geh, Mäzli, und grüsse die Frau Amtsrichter artig und führe sie in die vordere Stube. Sag ihr, ich komme sogleich, ich sei nur gerade aus der Kirche heimgekehrt.«
Mäzli lief erfreut, der Auftrag war ihm sehr angenehm. Ganz manierlich empfing es die Frau Amtsrichter und führte sie nach der vorderen Stube zum Sofa hin, dass sie sich setze; geradeso wie die Mutter es machte, das wusste Mäzli genau. Dann richtete es seinen Auftrag aus, die Mutter werde gleich kommen.
»Schon gut, schon gut, und was willst du tun an dem schönen Sonntag?« fragte die Frau.
»Spazieren gehen«, antwortete Mäzli schnell. »Sind sie noch eingesperrt?« fragte es dann angelegentlich.
»Wer? Wer? Was meinst du denn?« Die Frau Amtsrichter schaute ein wenig verweisend auf die Kleine.
»Der Edwin und der Eugen.«, antwortete Mäzli unerschrocken.
»Es nimmt mich nur wunder, woher du solches Zeug im Kopf hast«, sagte die Frau mit steigender Erregung, »warum sollten denn die Knaben eingesperrt sein, das möchte ich doch wissen.«
»Weil sie dem Loneli soviel zuleide getan haben«, berichtete Mäzli. - Jetzt trat die Mutter ein. Sie begrüsste sehr freundlich ihren Gast, erhielt aber einen kurzen Gegengruss.
»Mich nimmt nur eines wunder, Frau Pfarrer«, begann die Besuchende gleich in gereiztem Ton, »was für eine Bosheit dieses Giftkrötchen von Loneli über meine Knaben ersonnen und verbreitet hat, und noch mehr, dass Leute, denen man es nicht zutraute, daran glauben.«
Frau Maxa war sehr verwundert ihrerseits, dass die Frau Amtsrichter schon etwas von dem gestrigen Vorgang vernommen hatte, ihre Söhne hatten doch kaum davon gesprochen.
»Weil Sie doch schon um diese Sache wissen«, sagte sie dann, »so will ich Ihnen erzählen, was vorgefallen ist; denn Sie scheinen ganz unrichtig berichtet zu sein; es handelt sich nicht um eine Bosheit von Lonelis Seite. - Mäzli«, unterbrach sich die Mutter hier, zu dem Kinde gewandt, das seine Augen erwartungsvoll auf die Frau Amtsrichter geheftet hielt; denn es dachte, nun werde sie gleich berichten, ob die zwei noch eingesperrt seien -, »geh zu den Geschwistern hinüber und bleib dort, bis ich komme.«
Mäzli ging, aber ein wenig langsam; es hoffte die Nachricht komme noch, bevor es bei der Tür anlangen würde; Sie kam aber nicht, Mäzli musste verschwinden. Nun erzählte Frau Maxa der Wahrheit gemäss den Vorgang von gestern abend.
»Das ist ja nichts«, sagte die Frau Amtsrichter, als sie die Sache vernommen; »das sind Kinderscherze, alle Kinder halten sich zum Spass die Füsse vor. So etwas sollte man gar nicht beachten wie grössere Fehlen, bei denen es dann der Mühe wert ist, sie den Kindern vorzuhalten.«
»Ich bin nicht Ihrer Meinung, Frau Amtsrichter«, sagte Frau Maxa; »diese Art von Scherzen grenzt doch ganz nahe an Roheit, und aus kleinen Roheiten werden bald grosse. Dem Loneli ist doch ein Leid geschehen durch solches Tun, da hört doch wirklich der Scherz auf.«
»Wie gesagt, es ist ja der Mühe nicht wert, darüber soviel Worte zu verlieren. Man macht überhaupt zuviel Wesens aus diesem Kinde und seiner Grossmutter. Diese Apollonie hat es immer noch im Kopf, dass sie die Schlossapollonie hiess, und trägt ihn darum heut noch hoch, und das Kind wird’s bald genug auch lernen. Aber ich kam, etwas ganz anderes und viel Wichtigeres mit Ihnen zu besprechen«, und nun begann die Frau Amtsrichter ihre Mitteilungen zu machen, die ihrer Zuhörerin wenig erfreulich sein mussten; denn sie sah immer erschrockener aus. Ihr Mann und sie seien zu der Ansicht gekommen, hatte die Frau zu berichten, dass es nun an der Zeit sei, die Söhne nach der Stadt zu schicken, damit sie dort die höheren Klassen des Gymnasiums besuchen könnten. Der Unterricht beim Herrn Pfarrer sei ja für die ersten Jahre ganz gut gewesen; dem seien die Söhne aber nun doch entwachsen, sie gehörten nun auf eine höhere Schule. so werde es das beste sein, gleich auf den Herbst für alle drei zusammen ein Unterkommen in einem guten Kosthause zu suchen; denn Bruno werde ja natürlich dann auch mitgehen. Es sei auch für alle Zeit gut, wenn die drei zusammenblieben und sich so auf die gleiche Weise weiter entwickelten; denn später würden sie ja doch in ihrer Gemeinde am meisten zu sagen haben. So wäre es ja dann für das ganze Gemeinwesen gut, wenn sie alles so recht übereinstimmend beurteilen und behandeln würden. »So denkt denn mein Mann bald einmal nach der Stadt zu fahren und sich nach einem geeigneten Kosthause umzusehen«, schloss die Besprechung; »es wir Ihnen ja lieb sein, wenn er in dieser Weise auch für Ihren Bruno den Weg auftut, den Sie ja sonst selbst suchen müssten.«
Frau Maxa fielen diese Mitteilungen schwer aufs Herz. Schon sah sie die drei Jungen vor sich unter einem Dache wohnen, und alle die erschrecklichen Szenen, die aus diesem nahen Zusammensein erfolgen würden, stiegen vor ihren Augen auf. »Es wird mir so schwer, daran zu denken, dass ich Bruno schon von zu Hause wegschicken sollte«, sagte sie endlich, »ich kann auch die Notwendigkeit davon nicht einsehen. Unser Herr Pfarrer, der uns aus grosser Gefälligkeit den Unterricht angeboten hat, meinte doch, die Jungen noch bis zum Frühjahr übers Jahr zu behalten, und lernen können sie wirklich noch sehr viel bei ihm. Freilich, wenn Sie entschlossen sind, Ihre Jungen fortzubringen, so muss ich auch für Bruno daran denken. Für ihn allein die Unterrichtsstunden fortzusetzen, wäre ja dem Herrn Pfarrer nicht zuzumuten.« Für das Anerbieten, gleich auch für Bruno Wohnung zu nehmen, dankte Frau Maxa und setzte hinzu, sie habe überhaupt erst die ganze Sache mit ihrem Bruder zu besprechen, der in allen solchen Dingen ihr Berater und ja auch Vormund der Kinder sei.
Die Frau Amtsrichter war nicht recht zufrieden mit dem Bescheid. Sie meinte, soviel werde eine Mutter wohl entscheiden können, sie wollte die Sache offenbar gern gleich abschliessen. »Vernünftig genug sind die Jungen nun wirklich, um sich auch ohne unser Dabeisein in richtiger Weise zu benehmen«, fügte sie hinzu. »Meine beiden sind es, das kann ich sagen, und wo zwei den rechten Weg gehen, da läuft der Dritte auch mit, wenn er zu ihnen gehört.«
»Mein Ältester ist nicht einer, der mitläuft«, entgegnete Frau Maxa lebhaft; »ich würde es auch nicht wünschen, auch in diesem Falle nicht. Solange es mir nur möglich ist, werde ich ihn zu Hause behalten. Geht es nicht mehr, so lasse ich ihn unter Gottes Schutz ziehen.«
»Wie Sie meinen«, sagte die Frau Amtsrichter, indem sie aufstand und sich verabschiedete; »die Wohnungsfrage kann ja immer wieder besprochen werden«, bemerkte sie noch im Fortgehen, »ist erst die Zeit da, so wird Ihnen das Vorarbeiten meines Mannes wohl willkommen sein.«
Als die Mutter, vom Begleit ihres Gastes zurückkehrend, die Tür der Wohnstube öffnete, wo die Kinder wieder zusammensassen, rief ihr augenblicklich das Mäzli entgegen: »Hat sie noch gesagt, ob die zwei noch eingesperrt sind?«
»Was fabelst du, Mäzli?« sagte die Mutter, »vielleicht weisst du selbst nicht recht, was du meinst.«
»O ja, ich weiss ganz gut«, versicherte Mäzli, »weil Kurt das gesagt hat, habe ich die Frau Amtsrichter gefragt, ob sie noch eingesperrt seien.«
Kurt lachte laut auf: »Oh, du arger Maz und frecher Spatz! Weil ich gesagt habe, man sollte die beiden einsperren, läuft dieser Maz hin und stellt eine solche Frage an die Frau Amtsrichter.« Nun wurde der Mutter klar, woher die Frau schon von dem gestrigen Benehmen ihrer Söhne gehört hatte.
»Aber Mäzli«, sagte sie ermahnend, »vergissest du immer wieder, dass du erwachsene Leute, die zu uns kommen, nichts zu fragen hast?«
»Aber doch, was die eingesperrten Kinder machen«, meinte Mäzli, im Tone grossen Erbarmens.
»Nichts, Mäzli, gar nichts«, sagte die Mutter.
»Das listige Mäzli will die Mutter durch sein Mitleid zur Nachgiebigkeit erweichen«, bemerkte Kurt.
Plötzlich erscholl ein ungeheurer Jubelruf aus allen Kehlen. Alle Stimmen schrien zugleich: »Onkel Phipp! Onkel Phipp!« und schon waren die Schreier alle zur Tür hinaus. Kurt sprang aus dem Fenster. Es war der kürzeste Weg, auf die Strasse zu gelangen, und für ihn kein gefährlicher Sprung. Auch die Mutter lief mit Freuden, den Onkel Phipp zu begrüssen. Es war ihr einziger Bruder, der unten im obstreichen Tal von Sils auf seinem Gute wohnte und im Hause seiner Schwester jederzeit der willkommenste Gast war. Eben hatte er eine kleine Reise gemacht und war schon seit mehreren Wochen nicht in Nollagrund erschienen; daher der besondere Freudenausbruch bei seinem Erscheinen. In der Masse, die sich heranbewegte und die ganze Breite des Wegen einnahm, konnte man kaum einen Onkel vermuten. Alle Fünf hatten sich auf allen Seiten so an ihn gehängt, dass es aussah wie ein festes Ganzes, das auf vielen Füssen daherkam.
»Du siehst, Maxa, ich habe keine Hand für dich«, rief ihr der Bruder entgegen; »aber ich grüsse dich nicht weniger herzlich mit Nicken des Kopfes, der mir allein noch zu freier Verfügung steht.«
»Nein, ich will eine Hand haben«, entgegnete Frau Maxa, »Lippo kann deine Rechte einen Augenblick loslassen. So, nun grüss dich Gott, Phipp, willkommen wieder daheim! Bist du glücklich gereist und hast du gefunden, was du suchtest?«
»Alles zur Zufriedenheit! Aber nun vorwärts, junges Volk, dass ich meinen Überrock niederlegen kann«, gebot der Onkel, »der ist so voller schwerer Gegenstände, dass er mich gleich zu Boden drücken wird.«
Jubelnd zogen und drängten nun die Fünfe den Onkel ins Haus hinein; was die schweren Gegenstände in den langen Taschen des Überrocks sein mochten, hatten sie im stillen schon erraten. Drinnen aber wollte der Onkel sich ganz allein seines Rockes entledigen, damit nichts zu Schaden komme, das da drinnen verborgen war. Dann musste er weggehängt werden; denn die Mutter drang darauf, dass man nun zu Tisch gehe, da die Zeit dazu längst da sei; alles andere sollte auf den Nachmittag verlegt werden. Nun musste noch die Frage erledigt werden, wer bei Tisch neben Onkel Phipp sitzen durfte. Das war eine Hauptfrage; denn wer am nächsten bei ihm war, konnte am meisten mit ihm reden. Der Onkel entschied sich heute für die zwei Jüngsten. Die führten ihn nun im Triumph zum frisch gedeckten, einladenden Sonntagstisch und nahmen ihn freudestrahlend in ihre Mitte. Das war ein fröhliches Mittagsmahl. Alles, was die Kinder den Onkel Phipp zu fragen hatten, durften sie anbringen, und der selbst erzählte so lustige Dinge von seiner Reise, dass man das Zuhören nicht satt bekam. Als nun aber der Sonntagskuchen als Schluss der guten Dinge verspeist war, da machte Mäzli allerlei Zeichen der Ungeduld, als ob nun erst recht etwas Schönes zu erwarten sei.
»Ich glaube, Mäzli hat etwas gemerkt«, sagte der Onkel, »und so ein kleines, neugieriges Stumpfnäschen muss man nicht zu lange in die leere Luft hinausgucken lassen. Wir wollen einmal sehen, was der Überrock von der Reise mitgebracht hat.« Mäzli war schon vom Stuhl gesprungen, und da nun der Onkel aufstand, erfasste es seine Hand, um ihm recht nahe zu sein, wenn er nun die grossen Taschen leeren würde. Was waren das für prachtvolle rote Bücher, die zuerst herauskamen! Sie wurden Bruno und Kurt überreicht, die mit Freuden ihre Geschenke in Empfang nahmen.
»Das für Mama zum Stopfen«, rief Mäzli, gespannt auf des Onkels Finger sehend, was sie herausziehen würden. Es war ein zierliches Nähkästchen, das er eben aufschloss.
»Fehlgeschossen«, sagte er, »die Mutter bekommt auch ein Geschenk, aber dieses hier ist für Mea, die wird nun gleich ein junges Fräulein und spaziert dann zu den Freundinnen zu Besuch mit dem Nähkasten am Arm.«
»Oh, wie schön, Onkel, oh, wie schön!« rief Mea entzückt aus, »wenn du nur die Freundinnen gleich mitgebracht hättest, hier kann man sie suchen.«
»Ein andermal, Mea, ein andermal; ich verspreche es dir, heut hatten sie nicht Platz im Überrock«, sagte der Onkel. »Aber jetzt kommt die Hauptsache!« Aus der grössten Tasche rechts zog er nun mit Mühe eine ungeheure Schachtel heraus und aus der andern links eine ebenso grosse. »Hier für die kleine Mannschaft«, sagte er; »aber nicht verwechseln! In der einen die stampfenden Rösschen, in der anderen die dampfenden Klösschen. Welche ist für das Mäzli?«
»Die stampfenden Rösschen«, sagte es schnell.
»Glaube nicht; da nimm und lauf zum Auspacken, dann siehst du’s«, sagte der Onkel. Lippo erhielt die andere Schachtel. Die Kinder liefen ihrem Tische zu. Mäzli kehrte auf halbem Wege wieder um.
»Onkel Phipp«, rief es eifrig, »hat die Mama nun auch etwas bekommen, etwas Schönes? Kann ich es sehen?«
»Ja, etwas Schönes«, antwortete der Onkel, »nur hat sie es noch nicht bekommen, und sehen kann man es nicht, nur hören.«
»Oh, ein Klavier!« riet Mäzli schnell.
»Nein, nein, Mäzli, das könnte man zur Not auch sehen«, sagte der Onkel, »du kannst es nicht erraten, es kommt auch erst heraus, wenn alles kleine Geflügel in den Nestern liegt, dass alles ganz still und ruhig ist.« Jetzt lief Mäzli zum Spieltisch. Wie nun der geöffneten Schachtel die glänzenden Kupferkesselchen, die Bratpfannen und Kochtöpfchen entstiegen, da hatte das Mäzli alle stampfenden Rösschen vergessen. Mit immer wachsendem Erstaunen wühlte es in seiner Schachtel herum; denn immer noch kamen neue wundervolle Gegenstände zum Vorschein. Lippo stellte mit strahlenden Augen seine schön gesattelten Rösslein vor sich auf und setzte den Reitknecht in der roten Jacke von einem aufs andere. In jedem Sattel passte er und sass aufrecht und unbeweglich, ob das Ross Trab oder Galopp lief.
Der Onkel hielt die Ruhe, die der Verteilung seiner Gaben gefolgt war, weniger lange aus, als die in ihre Herrlichkeiten versunkenen Kinder. Er rief jetzt alle zum Sonntagsspaziergang zusammen. Mäzli war schnell fertig; alles in die Schachtel geworfen, Deckel drauf, ein wenig gedrückt musste er schon werden; das machte aber dem Mäzli keine Sorge, jetzt lief es schon dem Onkel zu.
»So darf man’s nicht machen, Mäzli, man darf nicht«, rief ihm Lippo nach; aber es stand schon draussen an des Onkels Hand, fertig zum Abmarsch. Die anderen waren auch alle bereit, sie hatten ja jedes nur ein Stück wegzuräumen gehabt. Die Mutter gab noch ihre Befehle an die Küchen-Kathi ab.
»Komm doch, Lippo, komm, hintennachbleiben ist nichts!« rief der Onkel ins Zimmer hinein.
»Ich muss nur fertigmachen, dann komm ich gleich!« rief er zurück.
Die Mutter war nun auch herausgetreten: »Wo ist Lippo?« fragte sie, ihr Schärchen musternd.
»Drinnen sitzt er wie ein Maulwurf in seinem Loch und will nicht heraus!« rief Kurt. »Soll ich ihn holen? Dann kommt er sicher bald.«
»Nein, nein«, wehrte die Mutter, »das will ich besorgen.« Sie ging hinein. An seinem kleinen Tisch sass Lippo noch und legte langsam und bedächtig seine Rösschen eines neben das andere in die Schachtel, dass ihnen kein Leid geschähe.
»Komm, komm, Lippo, man muss den Onkel nicht waren lassen«, sage die Mutter.
»Aber man darf ja nicht fort, bis alles eingeräumt und im Schrank ist, Mama«, sagte Lippo ängstlich, »das darf man nie, und man muss ordentlich einpacken.«
»Ja, das ist auch wahr, komm, ich helfe dir«, und die Mutter machte sich als gute Hilfe schnell an die Arbeit, sie hatte ja selbst die Verordnung gegeben, die Lippo treulich hielt.
»Da kommt er endlich, der Stubenmarder!« rief Kurt aus.
»Nein, ihr sollt ihn nicht schelten«, sagte die Mutter, »er wollte tun, was recht ist: erst alles in Ordnung bringen, bevor er spazieren geht.«
»Bravo, das ist mein Pate, das hab ich ihm eingebunden. Komm, wir gehen zusammen«, sagte der Onkel, seine Hand ausstreckend, »und wo soll’s nun hingehen?«
»Zum Schloss hinauf«, schlug Kurt schnell vor. Mit diesem Vorschlag war jedermann einverstanden, auch die Mutter sagte gleich zu; sie hatte ihre eigenen Absichten bei diesem Gang.
»Wir sagen wohl besser, gegen den Schlossberg hinauf«, bemerkte der Onkel, indem er sich mit seinen zwei kleinen Begleitern in Bewegung setzte und den Zug anführte. »Nachher wird es dann wohl heissen müssen, ums Schloss herum. Wenn der grimmige Herr Trius noch seine Wache hält, so wird man nicht hoch hinaufkommen, das Schlossgut wird eingehegt sein und geht ja weit herum.«
»Oh, man kann auf dem Wege weit hinaufgehen, bis zur Schlosspforte«, entgegnete Kurt lebhaft, »da sieht man gut in den Garten hinein; aber er ist ganz verwildert. Dort ist rechts ein Zaun von hölzernen Latten, da kann man gut hinübersteigen, und dann läuft man durch die Wiesen bis hinauf, wo dann die dicke Weissdornhecke kommt. Da fängt auf der andern Seite das Gestrüpp an, und dann kommt bald der Wald mit den alten Tannen und Föhren. Dort könntet ihr aber nicht hinübersteigen. Dort vom Wald könnte man dann leicht zu Schloss hinüberkommen.«
»Du scheinst eine ziemlich genaue Kenntnis der Örtlichkeiten zu haben«, sagte der Onkel. »Was sagt aber der Herr Trius zu dem Zaunübersteigen? In den Wiesen dort stehen schöne Apfelbäume!«
»Er haut drauf los«, berichtete Kurt. »Wen er erwischen kann, den haut er, wenn man auch gar keine Äpfel will. Er haut schon zu, wenn er einen nur in der Nähe des Zaunes sieht.«
»Er wird eben jedem, der da herumschnüffelt, andeuten wollen, dass man da nicht hinüberzuklettern hat. Wir wollen aber auf die Mutter warten. Sie weiss alle kleinen Wege hier, sie wird sagen wo wir hinmüssen.«
Der Onkel hatte sich umgewandt, um nach der Mutter auszuschauen, die mit Bruno und Mea zurückgeblieben war. Die beiden benutzten die Zeit, da der Onkel sich mit den Jüngeren abgab, um der Mutter ihre besonderen Angelegenheiten vorzubringen, und beide redeten so eifrig auf sie ein, dass sie fast nicht vorwärtskommen konnte.«
»Auf welche Seite geht es nun? Du kennst die Wege hier am besten«, sagte der Onkel, als die drei nahegekommen waren, »wohin sollen wir gehen?«
Die Mutter entgegnete, die kleinen Wege alle ums Schloss herum kenne Onkel Phipp wohl so gut wie sie, eher besser. Wenn sie aber zu bestimmen habe, wohin heute der Spaziergang gehen solle, so schlage sie die Höhe zur Linken vor, von wo man eine ganz freie Aussicht auf das Schloss hinüber habe.
»Dann kommt man am Häuschen der Apollonie vorüber«, sagte Kurt; »das ist recht, dann kann man sehen, was das Loneli macht nach seinem Kummer; es ist das netteste Kind in der ganzen Schule.«
»So gehen wir«, stimmte der Onkel ein, »da finde ich auch noch eine alte Freundin in der Frau Apollonie, also vorwärts!«
Das Häuschen am Fuss der Höhe war bald erreicht. Es stand eben jetzt vom hellen Sonnenschein umflossen, nur der alte Apfelbaum in der Ecke warf seinen Schatten über die kleine hölzerne Bank darunter und über ein Stück des kleinen Gartens am Häuschen. Auf der Bank sassen die Grossmutter und die Enkelin; beide im sauberen Sonntagsstaat, jede mit einem Buch auf dem Schoss. Ein Wohlgeruch von Rosmarin und Reseda stieg aus den kleinen Blumenbeeten auf und erfüllte die Luft. Onkel Phipp schaute über die niedere Hecke in das Gärtchen hinein.
»Ein echter Sonntagsfrieden liegt da über alles gebreitet, komm, sieh, Maxa«, rief er der Schwester zu, »hier die Rosen und Resedabüsche; dort die Apollonie in der tadellosen Haube und glänzenden Schürze und das apfelfrische Enkelkind im sauberen Gewändlein, das sieht alles so sonntäglich schmuck und erfreulich aus.«
Eben hatte Loneli die Gesellschaft drüben am Hag bemerkt. Es schoss von der Bank auf und lief hinüber, Kurt und Mea waren ja seine besonderen Freunde.
Die Apollonie schaute nun auch auf, und wie sie die Gesellschaft erkannte, kam sie freudestrahlend herbei und wollte durchaus die Herrschaften zum Ausruhen in den Garten hereinhaben. Voller Eifer machte sie sich schon auf, um Stühle und Bänke herauszuholen, damit jeder sich niederlassen könne. Aber Frau Maxa wehrte es ihr. Sie wollten noch die Höhe besteigen, sagte sie; dazu wäre die Zeit aber zu kurz, wenn sie sich nicht gleich wieder auf den Weg machen würden. Im Vorübergehen hätten sie nur schnell das schön geordnete Gärtchen ansehen und die Apollonie grüssen wollen.
»Wie Sie sich das alles schön eingerichtet haben, Frau Apollonie«, sagte Onkel Phipp, »im kleinen gerade so schön, wie vormals im grossen, droben auf dem Schloss. Die Rosen und die Reseden, der Kohl und die Bohnen und Rüben, ein kleiner Brunnen in der Gartenecke und die Bank unterm Apfelbaum, das sieht alles so geordnet und appetitlich aus, fast so schön, als es droben war.«
»Ja, ja, der Herr Falk spasst immer noch gern«, entgegnete die Apollonie, »fast schöner als die Rosenbeete droben, nicht wahr? Ja, wer die gekannt hat! Und meinen Gemüsegarten erst! Solche Beete voller Blumenkohl und ganze Wäldchen von grünen Bohnenstauden, und erst meine Salatbeete und meine jungen Zuckererbsen - ja, das war ein Wirtschaften in solchem Gemüsegarten herum! So etwas kommt nicht wieder! So manchmal schaue ich dort zum Schloss hinauf und muss seufzen und denken: dass so viel Schönes so für immer verloren sein muss!«
»Ja, das ist nun einmal so, da kann niemand helfen«, sagte Onkel Phipp; »aber einen Vorteil haben Sie doch jetzt: Hier in Ihrem stillen Garten, da stört kein Mensch Ihren Sonntagsfrieden, da springt Ihnen kein Junge mitten in Ihre Gemüsebeete hinein in Kraut und Kohl und Rüben, dass Sie die Hände zusammenschlagen und ausrufen müssen: ‘Nein, der Falk ist doch der ärgste von allen!’«
»Nun weiss der Herr Falk auch das noch!« rief die Apollonie aus. »Ja, die drei jungen Herren haben mir manches Kräutlein zertreten; aber wie gern nähme ich das drein, wenn ich sie noch einmal pflegen könnte, meine Gemüsebeete; nur auch noch einmal sehen; aber sie sind ja gar nicht mehr, sie sind nicht mehr! Nur Heu und Äpfel will der Herr Trius einernten, alles andere wird ausgereutet. Deswegen muss aber der Herr Falk nicht denken, dass ich in lauter Frieden schwimme, weil er mir nicht mehr ins Gemüsebeet hineinstampft, noch lange nicht. Wenn man am Sonnabend zum Wochenschluss noch eine rechte Ärger- und Sorgensuppe schlucken muss, so stecken einem die Reste davon am Sonntagmorgen noch im Hals, und den ganzen Tag gibt’s noch zu schlucken daran, wenn man noch so gern sein Sonntagslied in Frieden lesen möchte.«
»Sie werden wohl die Knippelsuppe von gestern abend meinen, Apollonie?« fiel Kurt hier lebhaft ein; denn eben hatte ihm Loneli gesagt, es sei nicht gut gegangen, als es gestern mit den vom Fall beschmutzten Kleidern und der leeren Milchflasche heimgekommen sei, und nun war er noch voller Grimm darüber und hatte die Andeutung der Apollonie gleich verstanden. »So will ich Ihnen nur sagen, dass das Loneli nicht schuld daran war, kein bisschen, die Knippelbuben meinen, es sei lustig, den Leuten ein Bein zu stellen und sie umfallen zu sehen.«
»Das Kind wird wohl auch nicht gewesen sein, wie es sollte, sonst hätten ihm doch des Herrn Amtsrichters Söhne nichts zuleide getan.«
»Jetzt will ich gleich den Bruno zurückholen, der kann Ihnen beweisen, dass Loneli nichts gemacht hat, er war dabei«, sagte Kurt eifrig und wollte gleich dem Bruder nachlaufen, der nicht bei den anderen geblieben, sondern voraus der Höhe zugegangen war. Aber die Mutter hielt ihn zurück. Sie wünschte nicht, dass durch die Erinnerung an den Vorgang und die Entdeckung, dass Loneli noch als schuldig behandelt worden war, bei Bruno noch einer seiner Zornesausbrüche hervorgerufen werde. Der Apollonie sagte sie aber klar, wie sich die Sache verhalten habe, der Bruno beigewohnt, und die er gleich nachher der Mutter erzählt hatte.
Lonelis blaue Augen funkelten vor Freude, als der Vorgang genau so geschildert wurde, wie er sich zugetragen hatte, und dazu von der Frau Pfarrer, deren Worte der Grossmutter mehr als alle anderen galten.
»Jetzt können Sie sehen, dass das Loneli gar nicht schuld an der Sache war!« rief Kurt, als die Mutter geendet hatte.
»Ja, ich sehe es und bin ja so froh, dass es so ist«, sagte die Apollonie; »aber wie könnte man auch glauben, dass solche Söhne, die doch eine gute Erziehung haben, ohne Not andere schädigen würden! Das hätte denn doch der junge Falk nicht getan. Er lief mir nur darum ins Gemüse hinein, weil ihn die jungen Herren vom Schlosse von beiden Seiten jagten.«
Onkel Phipp lachte: »Frau Apollonie ist doch noch gerecht. Wenn sie auch den jungen Falk tüchtig ausschimpfte, so wusste sie doch, dass er ihr nicht aus Bosheit, sondern nur aus Notwehr durchs Gemüse stampfte. Nun meine ich aber, es wäre Zeit weiterzugehen.«
Damit schüttelte er seiner alten Bekanntschaft kräftig die Hand und zog mit seinen zwei Kleinen, die ihm die ganze Zeit nicht von der Seite gewichen waren, wieder rüstig weiter.
Schloss Wildenstein stand vom Abendlicht umflossen. Von der Höhe, die nun erreicht war, konnte man frei hinüberschauen. Die Vorderseite des Schlosses mit dem freien Platz davor schimmerte im Lichte der Abendsonnenstrahlen. Leblose Stille herrschte rings um das graue Gebäude. Die alten Föhren unter dem Eckturm auf der Waldseite hingen ihre langen Äste bis tief auf den Boden, die hatte seit Jahren keine Menschenhand berührt. Wo der blühende Garten gelegen, war der Boden weithin mit Sträuchern und Gebüsch bedeckt.
Mutter und Onkel hatten sich auf einen Baumstamm, der am Boden lag, hingesetzt und schauten schweigend nach dem Schloss hinüber, während die Kinder an dem sonnigen Abhang nach Erdbeeren ausschauten.
»Da drüben sieht’s schauerlich einsam und verödet aus«, sagte Onkel Phipp nach einiger Zeit, »wir wollen zurückkehren. Ist erst die Sonne fort, so wird alles noch düsterer aussehen.«
»Fällt dir nicht etwa auf, Phipp«, sagte seine Schwester, von ihren eigenen Gedanken in Anspruch genommen. »Siehst du, dass alle Fensterladen fest verschlossen sind, nur die Balkonfenster am Turme nicht; du weisst, wer jene Zimmer bewohnte?«
»Freilich weiss ich’s, dort hauste der rasende Bruno«, erwiderte der Bruder.
»Wenn er wiederkäme, Phipp, weil nur allein seine Zimmer geordnet werden?«
»Wo denkst du hin, der kommt nie wieder!« rief Onkel Phipp aus, »du weisst ja auch, dass wir schon vor langer Zeit vernommen haben, er sei ein völlig gebrochener Mann und liege auf den Tod krank in Malaga. Es war doch Herr Tillmann, der Spanien bereiste, der es hörte; der muss es ja wissen. Er ist gewiss schon lange tot und zur Ruhe gekommen, der ruhelose Bruno, was willst du ihn hier suchen?«
»Dann müsste man doch hier etwas davon wissen, da wäre doch ein neuer Besitzer vom Schloss hier erschienen«, meinte Frau Maxa. »Es sind ja auch noch zwei junge Glieder derer von Wallerstätten am Leben; du weisst es ja, die Kinder von Salo und Leonore. Wo nur diese Kinder hingekommen sind? Es würde ihnen ja alles nach dem Tode des Onkels gehören.«
»Die sind schon lange enterbt!« rief der Bruder aus; »das kannst du dir denken. Wo sie sind, weiss ich nicht; ich habe freilich einen Gedanken, den will ich dir heut abend mitteilen, wenn wir ruhig zusammen sind und du nicht, wie jetzt, alle Augenblicke in Zerstreutheit verfällst und sorgenvolle Blicke über den völlig soliden Rasenboden hinwirfst, als wäre er ein gefährlicher Wasserteich, wo deine Küchlein mit einem Male hineinstürzen und ihr Leben in Gefahr bringen könnten.«
Die Kinder hatten sich auf der Höhe nach allen Seiten hin zerstreut. Bruno war weit abseits gerannt und sass dort am Abhang, in ein kleines Buch vertieft, das er in die Tasche gesteckt hatte. Mea hatte die schönsten blauen Vergissmeinnicht entdeckt, die sie je gesehen; in grossen Büschen standen sie an dem hellen Bergbach. Die musste sie haben, alle, alle. Ausser sich vor Entzücken, stürzte sie von Stelle zu Stelle, überallhin, wo die blauen Blümlein leuchteten.
Kurt hatte sich auf einen Baum geschwungen und schaute vom höchsten Ast, den er erreichen konnte, forschend zum Schloss hinüber, als hätte er dort drüben noch etwas Besonderes zu entdecken. Das Mäzli hatte Erdbeeren entdeckt und Lippo mit fortgezogen, damit er sie pflücken helfe, eigentlich, damit er sie pflücke und es unterdessen wieder neue auffinden könne. So hatte die Mutter immer wieder dahin und dorthin zu schauen, ob Kurt auch nicht zu waghalsige Klettereien unternehme, ob das Mäzli nicht zu weit weglaufe, ob Lippo nicht seine Erdbeeren zur Verwahrung in die Tasche stecke, wie er auch schon getan und dadurch eine grosse Verheerung an seinen Sonntagshöschen angerichtet hatte.
»Du machst dir überhaupt vielzuviel Mühe und Sorgen mit den Kindern«, fuhr Onkel Phipp fort; »man lässt die Kinder einfach wachsen und sagt ihnen, ‘wenn ihr nicht recht tut, so sperrt man euch ein’.«
»Ja, das wäre freilich am einfachsten«, sagte die Schwester, »es ist nur schade, dass du nicht ein Schärchen zu erziehen hast, Phipp, alle so lebendig und jedes vom anderen so verschieden wie die meinen, so dass ich immer das eine zu demselben Ding anzutreiben habe, wovon ich das andere zurückhalten muss. Die Sorgen kommen mir, ohne dass ich sie suche. Heute ist eine neue grosse Sorge mir aufs Herz gefallen, die auch du nicht nur so beseitigen kannst.«
Nun erzählte Frau Maxa ihrem Bruder, was die Frau Amtsrichter ihr heute mitgeteilt hatte, und wie sie nun voraussähe, dass der Unterricht für Bruno auf den Herbst zu Ende gehe, wie sie aber nicht daran denken dürfe, den Jungen mit den zwei Söhnen Knippel fortziehen und gar zusammen wohnen zu lassen. Nicht ein einziges Mal noch seien die drei zusammengekommen, ohne dass das Beisammensein mit irgendeiner Bosheit von der einen und einem schrecklichen Zornesausbruch von der anderen Seite geendet habe.
»Soll das nun nicht eine grosse Sorge für mich sein, die drei in der Ferne unter einem Dach zu wissen? Musst du das nicht selbst denken, Phipp?« schloss Frau Maxa.
»Ja, siehst du, Maxa, das ist nun eine alte Erfahrung«, antwortete der Bruder ernsthaft, »zu allen Zeiten hat es Buben gegeben, die sich durchgeprügelt, und nachher wieder Frieden gemacht haben.«
»Nein, Phipp, das ist kein Trost«, gab die Schwester zurück, »das ist auch gar nicht Brunos Art. Er schlägt sich nicht herum; aber was er in seinem Zorn und seiner Empörung über eine Ungerechtigkeit oder heimliche Bosheit anzustellen imstande wäre, das steht mit Schrecken vor mir.«
»Das hat ihm sein Namenspatron eingebunden, den niemand für alle seine Zornestaten zu entschuldigen und rein zu waschen wusste wie du, Maxa, in deiner unverwüstlichen Hochschätzung.«
Weiter konnte Onkel Phipp nicht sprechen. Die Kinder kamen alle hintereinander herangerannt. Jedes der Kleinen wollte dem Onkel und der Mutter die schönsten seiner Erdbeeren in den Mund stecken, während Mea ihren ungeheuren Vergissmeinnichtstrauss ihren Augen nicht nahe genug bringen konnte, damit er bewundert werden. Bruno und Kurt waren auch herangekommen, und jeder hatte eine eigene Mitteilung für die Mutter und den Onkel bereit. Die Sonne war hinter dem Berge niedergegangen. Das hatte sie erinnert, dass es Zeit sei, heimzukehren.
Mutter und Onkel erhoben sich von ihren Sitzen, und nun ging es rasch den Berg hinab, die Kleinen wieder an der Seite des Onkels, in hellem Jauchzen dahintrabend; denn Onkel Phipp machte solche Sprünge, dass sie dabei manchmal hoch in die Luft flogen, aber an seiner festen Hand immer wieder sicher auf den Boden kamen.
Beim Eintritt ins Haus kam Kurt ein herrlicher Gedanke: »Oh, Mutter«, rief er ganz erregt aus über die Aussicht, »heute abend kommt die Geschichte derer von Wallerstätten, das passt so gut, da man eben das Schloss so nahe betrachtet hat, dass man alle Giebel und Schiessscharten und Turmzinnen genau vor sich hat.«
Aber wieder musste die Mutter sagen: »Nein, heute geht es wirklich nicht, heut ist der Onkel da, und morgen früh muss er wieder fort, da habe ich noch vieles mit ihm zu besprechen, und ihr müsst alle bald zu Bett, sonst seid ihr morgen nach dem langen Spaziergang nicht herauszubringen.«
»Oh, wie schade! Oh, wie schade!« jammerte Kurt; denn er hoffte immer noch, bei der Geschichte komme doch etwas von dem Geist von Wildenstein zum Vorschein, obschon man ja nicht an ihn glauben konnte. Auf seinem Baum sitzend, hatte sich Kurt so recht in die Betrachtung vertieft, wo der Geist etwa hätte erscheinen können.
Wenn die Mutter am Abend zum Nachtgebet an die Betten trat, fand sie gewöhnlich das Mäzli von den Ereignissen des Tages noch so aufgeregt, dass sie immer grosse Mühe hatte, das Kind zu der notwendigen Ruhe zu bringen. Heute musste es von besonders lebendigen Eindrücken erfüllt sein, die nun, da alles ringsum still war, wieder vor ihm aufgestiegen sein mochten.
Mit funkelnden Augen sass Mäzli aufrecht in seinem Bett, und sobald die Mutter erschien, rief es ihr entgegen: »Warum darf die Knippelsuppe der Apollonie den Sonntagsfrieden stören?«
»Was hast du wieder aufgeschnappt, Mäzli?« sagte die Mutter erschrocken; denn schon sah sie den Augenblick kommen, da das Mäzli die Frau Amtsrichter mit der neuen Benennung bekannt machen würde. »Diesen Ausdruck musst du nie mehr brauchen, Mäzli, siehst du, es würde kein Mensch verstehen, was du damit meinst. Kurt konnte ihn auch nur für den einzigen Augenblick erfinden, da die Apollonie vom Verschlucken sprach; er hätte es auch da unterlassen können. Du musst nie mehr so sagen, verstehst du, Mäzli?«
»Ja, aber warum darf man der Apollonie ihren Sonntagsfrieden zerstören?« fragte Mäzli beharrlich weiter; denn die Apollonie war seine besondere Freundin, der es nichts geschehen lassen wollte.
»Das dürfte man eben nicht, Mäzli«, erwiderte die Mutter, »keiner sollte dem anderen seinen Sonntagsfrieden stören, das ist ein Unrecht.«
»Aber dann könnte ja der liebe Gott nur schnell herunterrufen: ‘Tu nicht so, tu nicht so’. Dann wüssten sie, dass sie nicht dürfen«, meinte Mäzli.
»Das tut er auch, Mäzli, das tut er jedesmal, wenn einer ein Unrecht tun will«, sagte die Mutter, »ganz deutlich hört ein solcher dann die Stimme, die ihm zuruft: ‘Tu’s nicht, tu’s nicht!’ Und er weiss, es ist der liebe Gott, der ihm so zuruft. Aber manchmal tut er’s doch, und schon junge Kinder, wie Mäzli eins ist, hören die Stimme, wenn sie etwas tun wollen, das sie nicht tun dürfen, und dann tun sie es doch.«
»Dann nimmt es mich nur wunder, dass der liebe Gott sie nicht gleich abstraft; das müsste er nur tun«, eiferte Mäzli.
»Das tut er auch gleich«, antwortete die Mutter. »Gleich, wenn das Böse getan ist, ist der, der’s getan hat, ohne Friede, es drückt ihn im Herzen, so dass er immer denken muss: ‘Hätt ich’s lieber nicht getan!’ Dann ist der liebe Gott so gut und barmherzig, dass er ihn nicht noch weiter straft. Er lässt ihm dann Zeit, dass er zu ihm kommen und ihm sagen kann, wie es ihm leid ist, das Böse getan zu haben, und den lieben Gott um Verzeihung bitten kann. Wenn er aber das nicht tut, dann kommt die Strafe, dass er noch mehr Unrecht tut und davon ganz unglücklich wird.«
»Nun will ich doch recht aufpassen, ob ich die Stimme auch einmal höre«, nahm sich Mäzli vor.
»Und dann der Stimme folgen, das ist die Hauptsache, Mäzli«, sagte die Mutter. »Aber nun wollen wir ganz ruhig sein, und dann betest du, und nachher schläfst du schön ein.«
Nun sagte Mäzli recht andächtig sein Gebetlein, und da es nichts Beunruhigendes mehr auf dem Herzen hatte, legte es sich hin und war schon halb eingeschlafen, als die Mutter die Tür hinter sich schloss.
Nun wurde sie noch an vier Betten erwartet. Jedes der Kinder hatte um diese Zeit seine besonderen Anliegen der Mutter noch vorzutragen. Aber heute blieb wenig Zeit dazu mehr übrig; sie musste die Kinder auf morgen vertrösten; für den guten Onkel Phipp brachte man gern ein kleines Opfer. Er hatte der Schwester noch empfohlen, bald wieder zu erscheinen. Als sie nun wieder in die Stube eintrat, lief er mit ungeduldigen Schritten hin und her; er konnte es offenbar kaum mehr erwarten, endlich der Schwester die Sache mitzuteilen, auf die er schon mehrmals angespielt hatte.
»Komm doch endlich«, rief er der Schwester entgegen, »bist du denn noch gar nicht neugierig, dein Geschenk kennen zu lernen, das ich dir gebracht habe?«
»Ach, Phipp, das wird ja ein Spass sein«, erwiderte Frau Maxa; »aber etwas anderes möchte ich von dir hören, was du mit dem Gedanken meintest, den du über die Kinder von Wallerstätten hast?«
»Das ist eines und dasselbe, Maxa«, erwiderte der Bruder. »Komm hierher, setzt dich neben mich; aber hol erst deinen Flickkorb her, sonst bleibst du nicht ruhig sitzen; das kenn ich, eher rennst du wieder weg und noch drei-, viermal zu den Betten der Kinder hin.«
»Nein, Phipp, heut ist’s Sonntag, heut gibt’s keinen Flickkorb, und die Kinder schlafen alle friedlich. Erzähl mir nur, was hast du denn für Gedanken?«
Jetzt setzte sich Onkel Phipp geruhlich zu seiner Schwester hin: »So sicher, als ich hier neben dir sitze, Maxa«, begann er, »so sicher sass ich vor drei Tagen neben der jungen Leonore von Wallerstätten, das war ganz untrüglich das Kind der Leonore. In diesem Augenblick weilt es nur eine Stunde von dir entfernt und wird da wohl mehrere Wochen lang bleiben. Diese Nachricht wollte ich dir zum Geschenk bringen.«
Frau Maxa konnte vor Erstaunen und Überraschung erst kein Wort sprechen.
»Bist du dessen wirklich sicher, Phipp?« fragte sie jetzt, nach neuer Versicherung verlangend; »aber wie konntest du zu der Gewissheit kommen, dass, die du gesehen, das Kind der Leonore ist?«
»Erstens, weil kein Mensch, der Leonore gekannt hat, je vergisst, wie sie aussah, und dieses Kind jeden Zug von ihr hat und gerade mit demselben Blick aus den Augen schaut, wie Leonore. Zweitens, weil das Kind Leonore genannt wurde; drittens, weil ihm dieselben braunen Locken über die Schultern fielen wie der Leonore und es mit derselben Stimme sprach, wie Leonore, so weich und so anmutig, wie sonst kein Mensch, und viertens und fünftens und sechstens, weil dieses Kind nur der Leonore gehören kann und niemand anderem, denn sie war nicht doppelt da.« Onkel Phipp war vor eifrigen Beweisen ganz warm geworden.
»So erzähl doch, wie es war, wo du das Kind sahst, erzähl mir doch alles genau«, drängte nun die Schwester.
Nun erzählte der Bruder: Als er vor drei Tagen, von seiner Reise zurückkehrend, unten in der Stadt angekommen war, gab er gleich Befehl im Hotel, dass ein Wagen bereit gemacht werde, er wollte den Abend noch daheim, in Sils im Tal ankommen. Der Wirt habe ihm dann mitgeteilt, dass soeben auch ein Wagen von zwei Damen bestellt worden sei, die nach Sils am Stein hinaufzufahren gedächten. Dass diese alle nur möglichen Erkundigungen über die Fahrt eingezogen hätten, da sie des Weges ganz unkundig seien, und dass sie es gewiss mit Freuden begrüssen würden, wenn er sich zu der Fahrt ihnen anschliessen wollte, da sie ja doch denselben Weg zu machen hätten. Er habe dann dem Wirt überlassen, die Sache anzuordnen, da er nichts dagegen hatte und, wie es schien, die Damen auch nicht; denn bald nachher seien sie erschienen, sich ihm vorzustellen. Dann sei der Wagen vorgefahren, und beim Einsteigen habe sich erwiesen, dass sie noch ein Töchterchen mithatten, dem dann an seiner Seite auf dem Rücksitz der Platz zur Reise angewiesen wurde.
»Und dieses Töchterchen war das Kind der Leonore, dessen bin ich so sicher, als meiner Verwandtschaft mit dir«, schloss der Bruder.
Frau Maxa war sehr erregt.
Solle wirklich eines der Kinder, nach denen sie seit Jahren vergeblich gefragt und gesucht und ein solches Verlangen im Herzen getragen hatte, plötzlich in ihrer Nähe sein! Würde sie es sehen können? Wer waren die Damen, zu denen es gehörte?
Eine Menge von Fragen stieg in ihr auf. Der Bruder sollte sie beantworten; er sollte noch vieles wissen und zu erzählen haben. Aber alles, was er noch weiter wusste, war, dass die Damen in der Nähe von Hannover lebten, dass das Töchterchen zu ihnen gehörte und Leonore genannt wurde. In einem Blatte hatten sie gelesen, dass in Sils am Stein eine kleine Villa für die Sommermonate zu vermieten wäre. Diese hatten sie für einige Zeit übernommen und waren nun auf dem Wege dahin. In Sils im Tal hatte er den Damen seinen Wohnsitz gezeigt, sich auch zu allen Dienstleistungen anerboten, die ihnen vielleicht im fremden Lande angenehm sein könnten, und sich dann von ihnen verabschiedet.
Der Name Leonore hatte in Frau Maxa soviele Erinnerungen an die schönen Tage ihrer Kindheit und Jugendzeit wachgerufen, dass sie nicht müde wurde, dem Bruder alle die herrlichen Tage wieder vor die Augen zu bringen, die so dort auf dem Schlosse mit der unvergesslichen Leonore und ihren Vettern zugebracht hatten, und heute war der Bruder auch mehr als je geneigt, auf alle die Erinnerungen einzugehen. Ja, wenn die Schwester abzubrechen schien, fing er von neuem an und wusste der merkwürdigen Ereignisse und der mit den Freunden vollführten Taten immer noch mehr.
»Weisst du, Maxa«, schloss er endlich aufstehend, »wir hatten bessere Spielgenossen, als deine Kinder jetzt haben, und wenn dein Bruno seine zwei Kameraden etwa ein bisschen hauen möchte, so gefällt’s mir noch besser, als wenn er ihre Art annehmen würde«
So lange hatten die Geschwister seit langer Zeit nicht mehr in die Nacht hinein geplaudert, und doch kam nachher noch lange kein Schlaf in Frau Maxas Augen. Immer wieder stand jene Leonore mit den langen braunen Locken und dem gewinnenden Blick der glänzenden Augen vor ihr, und immer lebendiger wurde das Verlangen in ihr, das Mädchen zu sehen, das ihr so ähnlich war, dass es als ihr Kind erkannt werden konnte.