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In diesem Stil ging es weiter, lange, unendlich lange Stunden, den ganzen Vormittag. Umsonst spähten die unglücklichen Offiziere nach der Tür, ob kein Retter eintrete. Der unheimliche junge Herr hatte den Schlüssel von innen umgedreht. Endlich um halb zwei Uhr steckte Feodor Grigorowitsch eine frische Zigarette in Brand, klappte seine Mappe sorgfältig zu, stand auf, verbeugte sich und verkündete mit verbindlichem Lächeln: «Gut! Meine Herren, ich danke Ihnen, wir sind fertig! Verzeihen Sie mir, daß ich gezwungen wurde, Sie so lange zu bemühen. Erlauben Sie mir jetzt, Sie zum Schlusse anzufragen, ob es Ihnen nicht vielleicht möglich wäre, mich sogleich nach dem Frühstück nach Petersburg zu begleiten? Man ist dort weit weniger unbequem, und im Kriegsministerium arbeitet sich's leichter.»
Die beiden Schuldigen, die sich ebenfalls erhoben hatten, schwankten bei diesem Bescheid, daß sie sich an der Stuhllehne festhalten mußten. Jetzt, vor der unmittelbar drohenden Strafe, verloren sie sogar ihre Würde.
«Bitte, Feodor Grigorowitsch!» schmeichelte Balvan Balvanowitsch, sich an den Untersuchungsbeamten herandrückend, «was haben Sie schließlich davon, wenn wir degradiert und deportiert werden? Sie dienen ja selber dem Staate. Was würde aus unserm armen Vaterlande werden, wenn einer den andern vorzeigen wollte?»
Der Beamte zuckte bedauernd die Achseln, ohne eine Miene zu verziehen.
«Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen», sprach Baraban Barabanowitsch mit einem Anflug von Rührung in seiner stolzen militärischen Stimme, «Sie sind ja, wie ich aus der Eleganz Ihrer Sprache und Kleidung schließen muß, ebenfalls in Paris gewesen und kennen daher die Gesetze der Galanterie. Ich habe eine Frau, Feodor Grigorowitsch; der Kummer über meine Schande würde sie töten.»
Feodor Grigorowitsch verbeugte sich: «Mein Amt ist schmerzlich, da es mich zwingt, eine Dame zu bekümmern; allein mir befiehlt meine Pflicht und mein Gewissen.»
Jetzt brauste der Major plötzlich auf. «Pflicht und Gewissen?» brüllte er, «Pflicht und Gewissen? Erbarmen Sie sich! Und Sie wollen ein Russe sein, Feodor Grigorowitsch? Tun Sie mir den einzigen Gefallen und überlassen Sie die Heuchelei den Deutschen und Engländern!»
Feodor Grigorowitsch erbleichte, und seine Lippen bebten. Einen durchdringenden, stechenden Wolfsblick auf den Major werfend, herrschte er ihm feindselig zu: «Wohl möglich, Balvan Balvanowitsch, gar wohl möglich, daß es auch unter den Russen noch Pflicht und Gewissen gibt. Nicht alle sind Räuber und Spitzbuben, wenn es schon von solchen in unserm Staate wimmelt wie von Salamandern in einem Sumpf. Aber was mich betrifft, tun Sie mir die Ehre an, es zu glauben, ich will das Meinige dazu beitragen, den Sumpf zu reinigen, verlassen Sie sich darauf, Balvan Balvanowitsch, und sollte ich die Generäle, Obersten und Majore regimenterweise nach Sibirien spedieren müssen!»
«Erzürnen Sie sich doch nicht, Feodor Grigorowitsch, wegen eines unbedachten Wortes», wollte der Gouverneur beschwichtigen.
Allein jener stand schon an der Tür und drehte mit zitternder Hand den Schlüssel um, den Offizieren nur ein kurzes, verächtliches Kopfnicken zum Abschied gönnend. Als er die Tür öffnete, stutzte er und blieb regungslos stehen, während eine dunkle Röte sein bleiches, nervös zuckendes Gesicht überflog.
Vor der Tür nämlich stand die Gouverneurin im schwarzen Samtkleid, schön wie ein Engel, verführerisch wie eine Polin und vornehm wie eine Russin. Ein geschmeidiges Lächeln glitt über ihre ganze Gestalt, während sie den bösen Gast begrüßte, und sowie sie die Überraschung bemerkte, welche ihre Schönheit bewirkte, fand sie sogleich die unbefangensten Töne auf dem Register ihrer Stimme.
«Wie bin ich froh, endlich die Ehre zu haben! Wissen Sie, meine Herren, daß ich schon eine Stunde an der Türe warte wie eine Odaliske des Sultans, um der Gnade teilhaftig zu werden, Sie alle zusammen zum Frühstück einzuladen. Galant sind Sie nicht, das müssen Sie selbst zugeben, daß Sie meine Nähe nicht im Herzen gespürt haben. Daran merkt man, wie man verheiratet ist und wie man alt wird. Mein Herr, ich bin Ihnen Dank schuldig, denn Sie müssen meinen Mann vorzüglich unterhalten haben, daß er so ganz das Frühstück vergaß; das widerfährt ihm sonst das ganze Jahr über nicht. Darf ich bitten, mir Ihren Arm zu leihen und mich ins Speisezimmer zu führen? Freilich, ich zittere, was werden Sie von mir denken, ich wage es Ihnen fast nicht zu gestehen, seit mir Agafia untreu geworden ist, habe ich nichts als eine finnische Gans zur Köchin; ich kann Ihnen daher, werden Sie mir's verzeihen können? nichts zum Frühstück bieten als Lachs und Braten und etwas Wildbret. Balvan Balvanowitsch, mit Ihnen brauche ich keine Umstände zu machen, Sie sind ja unser alter lieber Hausfreund. Sie werden jedenfalls mit uns speisen, dem seltenen Gast zu Ehren.»
Feodor Grigorowitsch, von dem Zauber der Verführerin im Herzen getroffen, verteidigte sich gleichwohl tapfer.
«Madame, so schwer es mich ankommt», antwortete er stammelnd, doch entschlossen, «so muß ich doch dem Vergnügen entsagen, Ihre gütige Einladung anzunehmen. Ich bin nicht allein. Zwei Offiziere, Kameraden, aus Petersburg zugleich mit mir hier angekommen, erwarten mich im Gasthaus.»
Die Generalin nahm ihren ganzen Verstand zusammen.
«Wie schade!» klagte sie; «aber erlauben Sie, wie ist Ihr Name?»
«Feodor Grigorowitsch.»
«Wie schade, Feodor Grigorowitsch! Doch ich will mir natürlich nicht anmaßen, Ihren Willen zu beeinflussen. Ich darf Sie um so weniger nötigen, als Sie leider der Gesellschaft meines Mannes beim Frühstück entbehren müßten. Er hat heute ein dringendes Geschäft auf dem Schloß, wo er bis abends spät bleibt. Und Balvan Balvanowitsch, den kenne ich, der läßt sich niemals erweichen, eine Einladung anzunehmen, wie sehr man ihn darum bitten möge. Die Unterhaltung einer Dame allein aber, noch dazu einer Dame aus der Provinz, bietet für einen jungen Herrn aus Petersburg zu wenig Interesse, als daß ich ihm zumuten dürfte, sich mit derselben zu begnügen.»
Feodor Grigorowitsch hielt noch immer wacker stand, obschon schweigend und todesblaß mit den Lippen zuckend. Inzwischen hatte jedoch der General schon sein Zaudern benützt.
«Auf heute abend also!» sprach er offen und natürlich, mit der ganzen Ritterlichkeit des Hausherrn. «Darf ich hoffen, daß Sie bis dahin meine Abwesenheit entschuldigen werden?»
Und ehe man sich's versah, war er verschwunden.
Auch in Balvan Balvanowitschs niederer Stirn dämmerte eine Ahnung davon, daß er gerettet werden solle; nur bewirkte die Vorstellung des Lachses und des Wildbrets einen harten Kampf in seinem Innern, und es bedurfte unzweideutiger Blicke der Gouverneurin, bis er sich zum Weichen entschloß.
«Ich habe die Ehre», polterte er schließlich zum Abschied hervor, fügte indessen zum Zeichen, daß er nicht der Dümmste sei, schalkhaft mit Augenzwinkern hinzu: «Wünsche Ihnen ein vergnügtes Frühstück, Feodor Grigorowitsch!»
Dieser fuhr wie von einem Skorpion gestochen in die Höhe, wurde aber sofort von Pelageja Iwanowna zuvorkommend besänftigt.
«Zürnen Sie ihm nicht, Feodor Grigorowitsch!» bat sie, indem sie eine Hand auf seinen Arm legte; «er ist ein ungebildeter, roher Soldat. Und wenn jemand von seiner Unzartheit beleidigt worden ist, so bin ich es doch wahrlich. Und nun wollen Sie mich obendrein noch seine Taktlosigkeit entgelten lassen? Was kann denn eine arme, verlassene Frau dafür? Kommen Sie, Feodor Grigorowitsch, ich freue mich wie ein Kind darauf, von Ihnen über Petersburg und den Hof zu hören. Sie verkehren gewiß viel in der großen Welt.»
Feodor Grigorowitsch machte eine Bewegung, um seinen Arm zu befreien, und hielt seinen Schritt zurück. Da küßte er plötzlich stürmisch die Hand der Generalin, ohne daß er selber wußte, wieso und warum. Die Gouverneurin lächelte ihm unbefangen Beifall zu.
«Da», sagte sie, «haben wir den wahren galanten Weltmann! Sie wissen, was guter Ton ist. Feodor Grigorowitsch, ich glaube, wir werden uns verstehen! Du lieber Himmel! hier in diesem elenden Nest wird man mit Galanterien nicht verwöhnt. – Nein, Sie zuerst, ich bin hier zu Hause. – Nun, wenn Sie durchaus befehlen...»
Bald darauf erhielt der Gouverneur General Baraban Barabanowitsch Stupjenkin für seine heldenmütige Verteidigung der Stadt Åbo den Alexander-Newskij-Orden mit einer jährlichen Ehrenpension von zehntausend Rubeln, unbeschadet seiner Ernennung zum Generallieutenant und seiner Versetzung in eines der saftigsten Gouvernemente von Südrußland, wo Pelageja Iwanowna Gelegenheit fand, drei russische Köchinnen statt einer anzuwerben und sich die Wildhühner in schwedischer Sauce zubereiten zu lassen. Balvan Balvanowitsch aber wurde in Anbetracht seiner persönlichen Auszeichnung während des Bombardements zum Obersten befördert.
Tullela baute im künftigen Frühjahr eine gewaltige Schnapsbrennerei, groß genug, um den Durst von ganz Finnland zu stillen, in der Nähe von Wiborg, denn Agafia wollte durchaus an der russischen Grenze wohnen, damit sie des Winters auf den «Schweizer Bergen» von Petersburg kutschieren könne. Im Herbst, als die wohltätige Anstalt fertiggestellt war, hielten sie im Societätshüß von Åbo eine glänzende Hochzeit, wobei eine Unmasse von Mendali, Rosinen, Haselnüssen, Nuga, Baba und Zuckerkandel vertilgt wurde, Balvan Balvanowitsch und der Bürgermeister waren Brautführer; während der Tafel spielte die Regimentsmusik, und nach der Mahlzeit erschienen sämtliche Kosaken der Garnison zu Gast, auf der Straße tanzend, plärrend und trinkend, bis sie haufenweise am Boden vor den Türen lagen, wie im Paradiese.
«Was habe ich dir gesagt, Tullela?» schmunzelte Agafia seelenvergnügt, als sie des Abends, die schimmernde Hochzeitskrone auf dem Kopf, über die Haufen der Betrunkenen auf die Straße stieg, dem Wagen zu. «Gott ist gnädig, habe ich dir gesagt; gestern Bumbardirovka, heute Hochzeit und Mendali. Das macht, daß er ein rechtgläubiger Gott ist, ein russischer, ein guter. Hörst du? – Weißt du, mein Täuberich, jetzt bist du ein großer, reicher Herr, der niemand untertan ist als dem Kaiser. Von jetzt an mußt du, wenn ich sage, hörst du? mir immer antworten: ‹Ich gehorche, wie ein gebildeter Herr.›»
«Ich gehorche», murmelte Tullela.
Danach bestiegen sie den zweirädrigen Karren und rasselten im Galopp landeinwärts auf die Hochzeitsreise nach Tammerfors.
«Wie lustig! wie köstlich!» jubelte Agafia, als sie in dem harten Karren hin- und hergeschleudert wurde wie die Spreu in einer Tenne, daß ihr die Knochen knackten, «aufs Haar wie in einer Telega!»
Den Pfarrer von Åbo, welcher Tullela in höchster Not zum Kantor befördert hatte, ließ dieser aus Dankbarkeit zum Branntweininspektor des Distriktes Wiborg ernennen, denn Tullela gewann durch seinen Reichtum bald großen Einfluß in der Lokalverwaltung.
Aber bis auf den heutigen Tag sagen die Schweden von Åbo, wenn sie einen Menschen plötzlich Reichtum zur Schau tragen sehen: «Der Tausendskerl! Sieh einmal ‹auf› diesen! Alle Wetter von Stockholm! Entweder er hat von seinem Onkel, dem Teufel von Wexiö, geerbt, oder er ist bombardiert worden!»