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Unter solchen Gesprächen gelangten sie zum ersten Wachtposten der Kosaken.
«Was tust du hier, Faulpelz!» fragte Agafia den langhaarigen Kerl, der neben seinem Pferde der Länge nach ausgestreckt auf dem Boden lag, «warum bist du nicht beim Tanz?»
«Heute gibt's keinen Tanz», antwortete der Mann mürrisch, «heute gibt's Engländer.»
«Die Engländer sind eine Kleinigkeit; was kümmern mich die Engländer. Ich bin reich, ich habe einen Rubel bekommen, ich bezahl's. Wo sind deine Brüder?»
Der Kosak warf seinen Arm in der Richtung nach einem Landesvorsprung in die Luft und kehrte sich ab, ohne seine Beine einzuziehen. Im Kosakenlager bewirkte Agafias Staatskleid Staunen und ehrerbietige Bewunderung, so daß selbst ihre vertrauten Tänzer und Schnapsfreunde vom Boden aufschnellten, um sie förmlich, mit einer Verneigung, zu begrüßen. Das ließ sie sich denn gnädig gefallen, raunte jedoch im Vorbeitrippeln dem einen und andern ermutigend ein trauliches Scherzwort zu.
«Was tut ihr eigentlich hier, Brüder?» hub sie an, indem sie sich ohne weitere Umstände auf das nasse Gras setzte, in dem Volantgewühl ihres Schleppkleides halb verschwindend, wie die Henne in einem Neste.
«Was wir tun, Agafia? was wir tun? Nun, was werden wir tun? Nun, ich denke, wir tun wie gewöhnlich. Wie es Gottes Wille ist. Am Vormittag – nichts; und am Nachmittag – ich weiß nicht was. Was sollten wir anders tun? – Aber du, was bringst du für eine Neuigkeit?»
«Was ich für eine Neuigkeit bringe? Ich? Was wollt ihr, daß ich für eine bringe? Eine gute bringe ich. Festtag bringe ich. – Da!»
Hiemit kramte sie in der Tasche und ließ ein Kupferstück auf den Boden springen. Die Kosaken warfen sich leidenschaftlich darüber her und katzbalgten sich. Von dem Schauspiel belustigt, nickte Agafia beifällig mit dem Kopfe; dann griff sie mit feierlichster Miene zum zweiten Male in die Tasche, hierauf zum dritten und vierten Mal und so weiter, bis sie sich des letzten Kopeken entledigt hatte. Einige Augenblicke später rückten drei Flaschen Branntwein und zwei alte, dicke, bestaubte, in allen Irisfarben schillernde Gläser heran. Agafia winkte ihrem Bräutigam, sich an ihrer Seite niederzulassen.
«Erlaubt, Brüder», sprach sie mit großem Ernst, «daß ich euch meinen Bräutigam vorstelle: einen braven, einen treuen, einen reichen, und ihr mögt lachen oder nicht, es ist wahr, so wahr wie ich da bei euch sitze: niemals betrinkt er sich; nicht am Sonntag, ja nicht einmal zu Ostern, so fein und vornehm ist er.»
Die Kosaken betrachteten den Mann, der sich niemals betrank, mit unwillkürlicher Hochachtung, während zugleich seine ungelenke finnische Haltung ihre Spottlust reizte,
«Rührt ihn nicht an, sage ich euch», ergänzte Agafia bestimmt, «wenn er schon nur ein Finne ist. Denn er liebt mich und ist mein.»
Hierauf kredenzte sie kokett das eine Glas, überreichte es Tullela mit verliebten Blicken, goß den ganzen Rest auf einen Zug die Gurgel hinunter, mit den Fingern dazu schnippend, ließ sich das Glas nochmals füllen und hielt es mit wichtiger Miene dem nächsten Kosaken hin.
«Auf deine Gesundheit, Bruder!»
Dieser verbeugte sich tief, so daß die Haarsträhnen ihm über das Gesicht fielen, und antwortete mit umständlicher Höflichkeit: «Auf die deine, Agafia! Entschuldige, daß ich so frei bin.»
Und so ging es weiter durch die ganze Reihe.
«Was!» schnurrte jetzt eine erzürnte Stimme in den Haufen hinein, und der Kosakenhetman musterte mit finsterm Blick die Zecher.
«Nun, was ‹was›? Euer Hochwohlgeboren!» erscholl es mit schmeichelnden, bittenden Tönen im Chor, «was wird es ‹was› sein? Ein bißchen Festtag.»
Und zwei Gläser schoben sich einladend an seine Lippen. Zugleich bedeutete Agafia dem Hetman mit herablassender Handbewegung, sich ins Gras zu setzen.
«Genieren Sie sich nicht, Euer Hochwohlgeboren! Platz genug! – Oder», fügte sie mit schelmischen Blicken bei, «ist Ihnen vielleicht meine Nachbarschaft unangenehm?»
Der Hetman widerstand dem Pariser Ballkleid nicht, seine Mienen glätteten sich, sein munteres Kosakenauge fing an mutwillige Blicke zu blitzen, endlich setzte er sich frisch und frank neben die schöne Agafia, während ein Donnergebrüll ehrfürchtigen Beifalls seinen Entschluß belobte.
Agafia kredenzte ihm schmachtend das Glas, steckte eine Zigarette in den Mund und bohrte ihm dieselbe zwischen die Lippen mit einem Lächeln, welches hingereicht hätte, alle Kosaken vom Don bis zum Kaukasus zu entflammen. Nachher schlang sie ihm einen Arm um den Leib und flüsterte: «Ein bißchen tanzen, Euer Hochwohlgeboren.»
Der Hetman schüttelte mürrisch den Kopf und spuckte die Zigarette weit von sich.
«Nein», erwiderte er barsch; «heute ist es verboten.»
«Aber warum?»
«Darum.»
«Ah! ich weiß, warum Sie das Tanzen nicht erlauben wollen!» rief Agafia entrüstet, weit von dem Hetman wegrückend, «Ich weiß! Nichts anderes als wegen den Engländern. Ich begreife, begreife! Sie fürchten sich vor ihnen, Euer Hochwohlgeboren, aufs Tüpfchen genau wie Balvan Balvanowitsch! Erbarmen Sie sich! Tun Sie mir den Gefallen! – Sich vor den Engländern fürchten! Ha! ha! ha! Eine große Herrlichkeit, die Engländer! – Ihr glaubt also hier im Lager auch an die Bumbardirovka? Erlaubt mir, euch zu sagen, Brüder, daß ich euch lächerlich finde. Bumbardirovka! Ihr wißt eben nicht! Aber ich weiß! Und ich will's euch sagen. Ich, Agafia.»
Nach diesen Eingangsworten setzte sie sich in gewählter Haltung zurecht und hielt mit lauter Stimme und geläufiger Zunge eine Rede, überzeugt und siegesgewiß.
«Seht ihr, Brüder, die Sache verhält sich so: Ihr wißt die Krim, dort unten, weit, weit, weit, weit? Und noch weiter als die Krim das Meer und noch weiter als das Meer der Kavkas und noch weiter als der Kavkas Jevropa: Tataren und Türken und Konstantinopel und Parisch und Stockgolm und alles. Und Napun Leonowitsch, der deutsche Zar in Parisch? Und Jevgenia Napunleonowna, seine Frau, behaupten sie.»
«Europi ist dort!» unterbrach Tullela verbessernd mit knurrender Stimme, indem er den Arm nach Westen warf.
«Stilleschweigen, Täuberich!» befahl Agafia zärtlich, doch bestimmt. «Stilleschweigen, aufmerken und lernen! – Also, was ich sagen wollte, Brüder: seht, Brüder, wißt ihr, Jevropa ist böse und glaubt nicht an Gott und will nicht, daß Christen leben sollen; darum hilft es den Türken. Weil aber Rußland eine Insel ist...»
«Rußland ist keine Insel», murrte Tullela ärgerlich.
«Wenn du nicht endlich Frieden hältst, mein Schatz, so wird man dich fortgehen heißen. ‹Stilleschweigen!› hat man dir gesagt, begreifst du?»
«Stilleschweigen!» bestätigte der Chor drohend.
«Erbarmet euch, Brüder! ‹Keine Insel!› behauptet er. Keine Insel! Warum keine Insel? Wieso keine Insel? Aber Augen, Tullela, Augen hast du doch? Nun, was? Dort, zwischen den Schären, was ist denn das? Ich denke doch, das Meer. Oder was sonst? Jedenfalls keine Suppe und keine Tinte! Und das Schiff der Engländer, was meinst du, Tullela, ist es etwa auf der Eisenbahn von Moskau nach Petersburg hergekommen oder auf einer dreispännigen Telega? Und in Helsingfors ist auch das Meer, ich habe es selbst gesehen, und in Wiborg ebenfalls und in Archangelsk, wie sie sagen, wieder das Meer und bei Nowaja Semlja das Meer, alle sagen es, und bei Astrachan und bei Kamtschatka, überall, überall, überall! Und darum müssen die Deutschen von Jevropa Schiffe bauen, die Armen, wenn sie Rußland angreifen wollen, große, große und viele, viele, viele. Doch das hilft ihnen alles nichts, gar nichts, nicht einen Mundvoll, nicht ein Schnapsgläschen, nicht ein Tröpfchen. Denn Gott und der Zar sind Freunde. Und Gott ist schlau, ihr habt gar keinen Begriff davon. Wie soll ich's euch erklären? Halt, ich hab's. Seht ihr, Brüder, wißt ihr? Denkt euch einen Tataren. Ist er nicht imstande, drei Kosaken zu überlisten! Und ein Kosak überlistet doch sechs Russen, und ein Russe zwölf Deutsche und Engländer. Ein einziger Engel aber ist pfiffiger als hundert Tataren von den schlauesten. Engel aber gibt es viele, viele Millionen, mehr als Mücken und Heu und Krähen. Und die Engel haben wieder ihre Palkowniki, welche die Engel hintergehen, und die Palkowniki ihre Minister, von denen sie betrogen werden, und doch ist Gott für sich allein imstande, alle Engel miteinander zu täuschen. Begreift ihr's jetzt? Seht ihr jetzt endlich ein, daß die Deutschen und Europäer alle miteinander umkommen müssen, die Armen, weil sie den Gottlosen helfen?»
«Aber dort in der Krim, sagen sie, geht es nicht gut», wagte ein Kosak einzuwenden.
«Schlecht geht es», brummte der Hetman.
Agafia lachte aus vollem Halse und klatschte in die Hände.
«Wie ihr doch eigentlich dumm seid, Brüder, erlaubt mir, daß ich's euch sage, verzeiht mir's, nehmt mir's nicht übel. Begreift ihr denn gar nichts? Natürlich, das kann man doch mit Händen fassen, stellt ihnen Gott eine Falle. Ich habe euch ja gesagt, er ist schlau. Paßt auf, wie er sich die Sache denkt: Erst lockt er sie alle nach Sewastopol, immer mehr, immer mehr, bis schließlich nichts zu Hause bleibt als Frauen und Kinder. Dann, wenn er sie alle beisammen hat, macht er hinten die Klappe zu. Patz! Gefangen! – Wißt ihr, was ich glaube?» munkelte sie, einen verstohlenen Seitenblick nach dem Meere werfend, «was das Kriegsschiff betrifft, das ihr dort seht, das ist das letzte; Gott hat ihnen erlaubt, aus der Falle zu entwischen. Und in ihrer Angst vor den Russen sind sie mit dem Schiff von der Krim fortgelaufen, um Rußland herum, gelaufen, gelaufen, gelaufen in einem fort, ohne Aufenthalt, Tag und Nacht bis nach Åbo. So steht's. Punktum. – Branntwein gebt mir, bitte, Brüder, wenn es erlaubt ist.»
Ein Beifallsgemurmel belohnte die politische Belehrung. Der Hetman, von dem anmutigen, wohllautenden Geplapper betört, wollte einen Arm um Agafia schlingen.
«Nein, Euer Hochwohlgeboren», wehrte Agafia flüsternd, doch ernsthaft, die Stirn runzelnd. «Das ist verboten. Sie müssen nämlich wissen, mein Bräutigam glaubt nicht an Gott: er ist eifersüchtig. Zwar sagt er nicht das mindeste. Doch ehe man sich's versieht, ritsch, hat er das Messer in der Hand. Wahrhaftig. Bei Gott. Ehrenwort. – Ein bißchen spazierengehen, Euer Hochwohlgeboren!»
Hiemit stand sie gravitätisch auf, ließ das Seidenkleid um sich rauschen, warf sich in die Brust, neigte den Hals wie ein verliebter Schwan zur Seite, schwang die gespreizten Arme rudernd hin und her und schwänzelte nach dem Meere zu, alles bestaunend, was ihr vor Augen geriet, denn es war ja Festtag, die spärlichen Maßliebchen im Grase, die glitzernden Steinchen am Ufer, das feindliche Schiff neben der Schäre. Dazwischen liebkoste sie die ruppigen Pferdchen der Kosaken mit überschwenglicher Zärtlichkeit.
«Aber wißt ihr was, Brüder?» rief sie, plötzlich belustigt sich umsehend, «spielen wir ein bißchen mit den Engländern! Stellt die Pferde an den Strand, das Hinterteil gegen die Engländer gedreht, damit sie sich ärgern.»
Die Kosaken, allezeit zu jedem Schabernack aufgelegt, setzten ohne weiteres den Einfall ins Werk, führten die klugen Rößlein unter Schmeichelworten und freundlichem Zungenschnalzen an die Küste, stellten sie in die Reihe, die Köpfe landeinwärts, und kniffen sie in die Ohren, daß sie hoch ausschlugen.
«Gut, ihr Jungen! Brav, Brüder!» lobte Agafia ernsthaft. «Helden! einfach Helden! Weiter nichts!»
Der Hetman, welcher die hübsche Agafia schon lange nicht mehr aus den Augen gelassen, schlich jetzt heran, versetzte ihr einen vertraulichen Stoß mit dem Ellbogen und flüsterte: «Tanzen? Was? Agafia? Tanzen?»
Agafia verzog schnippisch die Mundwinkel: «Nein! ich danke.»
«Aber warum nicht?»
«Ich mag nicht. Ich bin müde.»
«Dummheiten!» riefen die Kosaken. «Spute dich, Agafia! Komm tanzen!»
Verächtlich wie eine Baronin und gelangweilt wie eine Königin kehrte ihnen Agafia den Rücken, während die Kosaken, ohne sich im mindesten um ihre Weigerung zu kümmern, einen Kreis bildeten und eine Ziehharmonika hervorkramten.