Carl Spitteler
Das Bombardement von Åbo
Carl Spitteler

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«Aber Hausknecht, was meinst du, Tullela, Hausknecht, willst du Hausknecht bei mir werden?» fragte der General.

Tullela schwieg.

«Natürlich, ja! Natürlich!» erwiderte Agafia statt seiner. «Das heißt, bis zu der Zeit, daß das Haus fertig ist, welches ihm der Kaiser bauen wird.»

Baraban Barabanowitsch lachte verächtlich.

«Gans, dumme! Der Kaiser hat andere Katzen zu peitschen, als dem Schatz einer Köchin Häuser zu bauen.»

«Wieso, Euer Exzellenz? – Aber Geld wird er ihm doch wenigstens geben zur Entschädigung.»

«Ich glaube, du bist verrückt. Wen's trifft, den trifft's. Wofür hat man denn sonst den Krieg? Spute dich jetzt und schaffe zu Hause schnell den Tee für die Herrin. Denn es ist kühl.»

Agafia war verblüfft, doch ihre leichtsinnige Natur ließ keinen Schmerz in ihr aufkommen.

«Einerlei», tröstete sie, indem sie ihren Bräutigam mit sich heimzog; «weißt du, Schatz, von nun an wohnst du bei mir in der Küche und schläfst auf dem Herde! Ich zünde dir ein großes Feuer an, damit du warm liegst, und abends spielen wir Karten und singen bis Mitternacht das Lied vom Gemüsegarten: ‹Agarot, Agarot! Turilili, Turilila!› Köstlich wird es sein, sage ich dir, eine wahre Lustbarkeit, ein Festtag, ein Spaziergang!»

Unterwegs holte der Major Balvan Balvanowitsch die beiden ein, stieß den Finnen mit militärischer Grobheit einfach beiseite und wollte Agafia am Arm führen. Agafia wehrte sich eifrig.

«Wagt das nicht, Balvan Balvanowitsch, denn der Gouverneur ist eifersüchtig und», fügte sie schelmisch lächelnd hinzu, «möglicherweise die Gouverneurin auch.»

Balvan Balvanowitsch seufzte. Das Kriegsgericht stellte sich wieder vor seiner Phantasie ein, Agafia hatte recht, sein Platz war in der nächsten Zeit an der Seite der Generalin. Froh, nicht bemerkt worden zu sein, eilte er daher hastig wieder von dannen, um seinen Posten einzunehmen.

Allein der Gouverneur mit seiner Frau befand sich ebenfalls schon auf dem Heimweg, in ehelicher Traulichkeit sich zankend.

«Durak!» stöhnte die Generalin mit ihrer zauberhaft wohlklingenden und volltönigen Stimme. «Einfach Durak, weiter nichts! Wie kann ein Mensch so dumm sein, den Liebhaber der Köchin in Dienst zu nehmen?»

«Wieso? Es schickt sich doch immerhin, den Hundesohn, nachdem man ihm sein Haus zusammengebrannt, nicht auf der Straße liegenzulassen.»

«Was sich schickt, ist eine Kleinigkeit. Aber der Liebhaber meiner Köchin gehört nicht in meine Küche. Einfach. Sie wird zerstreut sein, sie wird jede Sauce verderben. Und wenn du auch nur ein Fünkchen gesunden Menschenverstandes besäßest, so würdest du begreifen, daß es auch deinem eigenen Vorteile zuwider ist, wenn Agafias Schatz beständig um sie herumkriecht.»

«Geduld! meine Seele! Geduld! Erzürne dich doch nicht! Wer sagt denn, er werde bleiben? Es ist ja nur für den Anfang, damit es doch eine Art hat, damit die Leute sehen, daß man auch ein Herz hat. Morgen wird sich schon ein Anlaß geben, den Halunken fortzujagen. Gott ist gnädig.»

Unter solchen Gesprächen mündeten sie in den Hausgang des Palastes ein.

 

Am folgenden Morgen hatte das Kriegsschiff seinen drohenden Standpunkt verlassen und sich wieder hinter die Schären zurückgezogen. Darob ungeheure freudige Erregung in der Stadt Åbo. Denn wenn schon noch nicht alle Gefahr vorüber war – die Bumbardirovka konnte ja am Abend wieder beginnen –, so sah man doch ein, daß in dem Gebaren des Feindes überlegte Regelmäßigkeit wohnte, welche vor unliebsamen Überraschungen schützte und das stillschweigende Versprechen zu enthalten schien, die Bevölkerung zu schonen. Wozu sonst die warnenden Raketen, ehe die Kugeln flogen? Das war nicht die wilde, barbarische, aller Menschlichkeit ledige Mord- und Brandlust, die man ihnen geschildert hatte. Sich an einer Stelle vor Anker zu legen, wo man mit Leichtigkeit die ganze Stadt hätte in Brand stecken können, um sich schließlich mit einer einsam stehenden Ziegelhütte zu begnügen, das bekundete Absichtlichkeit, und zwar wohlwollende Absichtlichkeit. Wollte der Feind bloß seine Macht symbolisch andeuten, oder handelte es sich um einen originellen, echt englischen Narrenstreich? Über diese Frage wurde jetzt eifrig gestritten, doch nicht mehr in erbitterter Stimmung, sondern mit dem Gefühl der Befriedigung, ja der Hochachtung. Die Neugier, wie sich die Bumbardirovka wohl weiter abwickeln werde, mischte überdies eine gewisse Freude in den Zweifel, denn etwas Abwechslung in dem langweiligen, abgelegenen Küstennest konnte nichts schaden.

Inzwischen spektakelte der Gouverneur mit seiner Frau den unnützen Tullela zum Hause hinaus, was nicht schwerhielt, denn der Gouverneur hatte recht: Gott war gnädig. Behufs dieses Werkes wußte Pelageja Iwanowna Klagetöne anzustimmen, daß man hätte meinen können, nicht Tullela, sondern sie selber würde vertrieben. Agafia weinte dabei in Strömen, wie die Katzen am Grabe des Struwwelpeterpaulinchens; sie wäre auch ohne weiteres ihrem Bräutigam gefolgt, hätte sie nicht die Besorgnis um ihren Jahreslohn zurückgehalten. Dieser Lohn bedeutete ja jetzt das ganze Vermögen der beiden Liebenden. Indessen gegen ihre hübsche, junge Gesundheit, ihre frivole Gotteszuversicht, ihre Gewohnheit, andere zu trösten, hielt ihre Traurigkeit nicht lange stand. Wohl schluchzte sie mit Tullela um die Wette, während sie ihn die Treppe hinunterbegleitete; doch kaum befand sich der letztere auf der Straße, so lächelte sie ihn lustig an, um ihm anzubefehlen, sie ja noch am selben Tage abends heimlich zu besuchen, beteuernd, sie werde ihm einen guten Bissen beiseite legen und den Samowar warm halten. Dann steckte sie ihm mit ihrem feinen, weichen Tätzchen hurtig eine Faust voll Zucker in den Mund.

«Jetzt küß mich! Täuberich!» heischte sie. «Noch einmal! Noch!»

Hierauf gab sie ihm ihre feierlichste Verbeugung zum besten und hüpfte kokett mit Kichern und Lachen die Treppe hinauf

Tullela guckte die Straße auf, die Straße ab und blieb ratlos stehen. Da flog über ihm ein Fenster auf.

«Zum Teufel!» brüllte die Stimme des Gouverneurs, und augenblicklich schloß sich klirrend das Fenster.

Tullela wackelte langsam zum Pfarrer.

«Pappi!» begann er kleinlaut, die Mütze zwischen den Daumen drehend, «gib mir eine Stelle.»

Der Pfarrer, welcher das unverschuldete Unglück Tullelas kannte, empfand Mitleid mit ihm.

«Was für eine Art Stelle würdest du vorziehen?»

«Ich weiß nicht.»

«Was kannst du, und was weißt du?»

«Nichts.»

«Aber lesen und schreiben kannst du doch?»

«Ja.»

«Und wahrscheinlich verstehst du Schwedisch?»

«Ja.»

«Und Deutsch.»

«Ein bißchen.»

«Und Russisch?»

«Ein bißchen.»

«Was weiter noch?»

«Nichts.»

«Gar nichts?»

«Was man so in der Schule lernt.»

Der Pfarrer pröbelte ein wenig mit Fragen an ihm herum, dann klopfte er ihm freundlich auf die Schultern.

«Du bist ein braver Bursch, Tullela! Du hast fleißig gelernt, wie ein echter Finne. Halt jetzt den Kopf gerade in die Höhe wie Gustav Wasa am Reichstag von Westerås und sing mir Nummer Sechzehn aus dem Gesangbuch, so laut als du vermagst. Ich hoffe doch, du kannst das Gesangbuch auswendig?»

«Ja», versetzte Tullela.

Danach stellte er sich aufrecht, hielt beide Arme krumm vom Körper entfernt, guckte den Pfarrer steif an und hub mit dröhnender Stimme an zu singen, so daß die Wände zitterten.

«Brav!» verkündete der Pfarrer, nachdem sämtliche Strophen zu Ende waren. «Willst du in meiner Gemeinde den Kantor machen?»

«Ja.»

«So gebe der Allmächtige seinen Segen dazu. Wir halten eben heute morgen einen Gottesdienst zum Dank für die Erlösung der Stadt aus den Händen der Feinde, und wir singen das sechzehnte Lied.»

Eine halbe Stunde später spazierte Tullela im schwarzen Chorrock hinter seinem Pappi nach der Kirche.

Pelageja Iwanowna, froh darüber, daß es ihr gelungen, Agafia in ihrem Dienst zu behalten, und angenehm angeregt durch die Strapazen einer zu Pferde durchwachten Nacht – denn dergleichen war ihrer Stimmung zuträglicher als Essen und Schlafen –, suchte ihren Mann im Arbeitszimmer auf, um ihm eine kleine Strafpredigt zu halten, der Übung wegen.

«Sage mir doch, ich bitte, was soll das bedeuten? Ist das Lebensart? Jetzt, da alles über Wunsch gutgegangen, könntest du wahrlich deiner Frau auch einige Augenblicke gönnen.»

«Geht nicht, mein Täubchen, geht durchaus nicht. Ein Schrecken, wie viel ich zu tun habe.»

«Dummheiten! Das kannst du jemand anders weismachen. Ein Gouverneur hat niemals etwas zu tun.»

«Aber ums Himmels willen, so bedenke doch, meine Seele, ich muß nach Petersburg wegen der Bumbardirovka Bericht erstatten. Du hast, denk' ich, schwerlich etwas dagegen, wenn ich für die erlittenen Verluste Entschädigung erhalte. Oder? Hoffentlich setzt es zugleich eine Belohnung und Beförderung ab. Jedenfalls versuchen schadet nichts.»

«Das hättest du mir gleich sagen sollen, mein Freund! Das ist etwas ganz anderes. Natürlich, natürlich mußt du eine Entschädigung verlangen. Und um Gottes willen sei nur nicht wieder so bescheiden wie die letzten Male; das ist dein größter Fehler. Wer dankt dir's? Der Kuckuck. Du weißt ja, wie sie sind in Petersburg. Begehrt ein Beamter nicht unaufhörlich Geld, daß sie nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, so meinen sie, er habe nichts geleistet. Also nur kräftig drauflosgeknallt. Eine kleine, hübsche, saubere, runde, gewaschene Null dazu. Geniere dich nicht. Wozu hat man denn sonst den Staat? Die Ziegelbrennerei für sich allein ist wenigstens zweimal hunderttausend Rubel wert; dazu der Verbrauch von Waffen und Munition, die Entschädigung der Opfer, die Gehaltsaufbesserung der Offiziere und Unteroffiziere, die sich ausgezeichnet, die Schanzen, die wir errichten müssen, um einem ähnlichen Überfall vorzubeugen, und die Angst, die ich ausgestanden und wegen derer ich mich noch jahrelang werde einer Kur unterziehen müssen, und so weiter und so weiter. Ohne Pferde können wir auf die Länge ebenfalls nicht auskommen. Man muß doch seinem Amte Ehre machen; das geht den Kaiser ebensogut an wie uns.»


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