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Zwölftes Kapitel.


Trau! schau! Wem?

Altd. Sprichwort.

Archimbald erwachte ziemlich spät; der Haushofmeister überbrachte ihm ein versiegeltes Schreiben des Doctors. Der hatte nämlich für gut befunden, auf das Schnellste abzureisen und seinem Zögling seine übrigen Verhaltungsbefehle schriftlich zu hinterlassen. Der Page überlas sie flüchtig, fand unter Vielem schon zwanzigmal Wiedergekautes, wenig Neues und warf sich in die Kleider. Nach der Morgensuppe führte ihn Nepomuk in das Vorzimmer der Fürstin, seinen Dienst anzutreten. Hier schlenderte er nun auf und ab, haschte Fliegen von den Wänden, starrte durch's Fenster in den Hof und wartete sehnsuchtsvoll auf den Augenblick, in dem ihm die Sonne dieses Schlosses aufgehen würde. Allein er harrte lange vergebens. Gegen die eilfte Stunde endlich öffneten sich die Gemächer, und eine von den drei unbekannten Zofen trat heraus. »Die gnädige Frau will ausfahren,« sprach sie mit fremder Betonung, aber ziemlich geläufig: »und der Junker soll sie zu Pferde begleiten.« – Archimbald nickte gehorsam, und eilte, den Haushofmeister durch Zeichen von dem Befehle zu benachrichtigen. Nepomuk verstand wohl, was er verstehen wollte, und in einigen Minuten stand der geräumige, offene, mit goldenen Leisten und dem großen, in erhabener Arbeit geschnitzten und in all' seinen Farben glänzenden Wappen geschmückte Wagen vor dem Portal. Er war mit feinem braunen Leder ausgeschlagen, in welchem die Messingnägel, mit denen es befestigt war, die zierlichsten Figuren bildeten. Große bauschige Kissen von grünem Plüsch blähten sich auf dem breiten Rücksitze. Der schmale Vordersitz war ohne Auszeichnung. Aber auf goldenen, ziemlich weit vom Vordertheil des Wagens gegen vorne ausgeschweiften Zierrathen prangte ein prächtiger Busch von Straußen- und Reiherfedern in den Farben des fürstlichen Hauses, und verkündete, hoffärtig im Winde flatternd, den Reichthum und Geschmack der Besitzerin. Vier schön gebaute Rappen in blauem, mit goldenen Buckeln besetzten Riemzeuge stampften vor dem Wagen schnaubend den Boden, und konnten mit Mühe von ihrem Lenker, der in reicher Liverei im Sattel saß, in Ruhe gehalten werden. Archimbald, der Weisung Nepomuks zufolge, flog zum Gemach der Fürstin, die so eben aus der Thüre trat, von Ludmillen und der vorhin bemeldten Zofe begleitet; er bot ihr den Arm, um den ein feines weißes Nesseltuch geschlungen war; sie stützte sich gnädig darauf und ließ sich also die breite Treppe hinunterleiten. Archimbald hob sie demüthig in den Wagen; kaum wagte er es, Ludmillens Arm zu berühren, welche erröthend nachfolgte und sich neben die Mutter schmiegte. Die Zofe schwang sich schnell über den niedern Wagentritt und nahm den schmalen Vordersitz ein. Der Page, dem Nepomuk in Eile eine in den Hausfarben gewebte und mit Troddeln besetzte Schärpe über die Achsel warf, bestieg den Falben, der für ihn bestimmt war, und folgte dienstfertig und schnell dem dahineilenden Wagen. Ueber die donnernde Zugbrücke ging es, längs dem Graben hin, in gestrecktem Laufe bis an das Dorf. Hier ließ die Fürstin die Pferde langsamer gehen, weil Jung und Alt, Kinder und Greise der Gebieterin in den Weg strömten, zu grüßen, zu jubeln, zu danken I Es war ein schöner Anblick; und die Güte, … die, man möchte sagen demüthige, Huld, mit der die Wohlthäterin den Ausbruch der Empfindungen ihrer dankbaren Kinder aufnahm, war kostbarer als ihre Geschenke selbst. Auch heute hatte ihre Freigebigkeit sie nicht verlassen. Sie reichte dem Pagen einen Beutel mit Scheidemünze, um sie unter das Volk auszutheilen, während sie gnädig, wie die Gottheit selbst, die. Bittenden anhörte, die Weinenden tröstete, die Verzagenden ermunterte, die Fleißigen belobte. Schritt für Schritt fuhr sie weiter, als ein unangenehmer Vorfall sie aufhielt. Denn auf den Stufen vor dem Pfarrhause stand der Prediger des Orts, ein handfester, starkknochiger Mann, dem ein finsterer Geist aus den tiefliegenden Augen, aus dem ganzen braunen Angesichte leuchtete. Er nickte kaum nachlässig bei dem achtungsvollen Gruße, der ihm von den Vorbeifahrenden wurde, rückte die Sammetmütze trotzig in die Stirne und rief: »Gott schenke Euch einen guten Tag, gnädige Frau! und wolle Euch Vergebung Eures sündigen Hochmuths angedeihen lassen. Da fahrt Ihr nun wieder hin wie eine andere Jesabel, in goldenem Wagen und Prunk und Hoffahrt, während Ihr gar wohl einhergehen solltet auf Euern Füßen, demüthig vor Gott und den Gerechten – ein Beispiel zu geben in Israel. Ihr lasset Euch geleiten von geleckten und geschniegelten Dienern auf stolzen Rossen, während doch unser geliebter Herr und Heiland nur auf einem schlechten Eselein eingeritten ist in Jerusalem. Der Teufel der Eitelkeit hat Euch besessen, daß Ihr einherzieht wie eine Königin von Saba und Geld auswerfen laßt unter das Volk vor dem Volke. Denn es steht geschrieben: lasset die linke Hand nicht wissen, was die Rechte thut; das heißt, angewendet auf Euch: gehet hin still und züchtig, und suchet die Demuth auf in den Hütten und nicht auf der Landstraße; suchet sie auf in den Wohnungen der würdigen Diener Gottes, die für das reine Evangelium, das sie predigen, von ihren Jüngern nur armselig gespeiset und getränkt werden, und in gläubiger Zuversicht harren müssen, bis sie der himmlische Vater wieder neu kleidet, wie die Lilien auf dem Felde. Gehet hin und suchet endlich die Armuth auf in den Kerkern und scheußlichen Löchern, in welchen die Anhänger des Glaubens gefangen gehalten werden von der Rotte des babylonischen Kebsweibes. Thut Eure Wohlthaten still und heimlich, auf daß Ihr entgehet dem Pfuhle der Finsterniß und gewinnet das ewige Zion; denn wenn Ihr fortfahret, dieselben hinauszuschreien in die Welt, so handelt Ihr ruchlos, verdammlich, gottlos, katholisch! Amen.«

Archimbald, im Innersten empört von der Rohheit des sehr unwürdigen Dieners Gottes, zuckte mit der Reitpeitsche; allein verwundert ließ er den Arm ruhen, als er sah, daß die Fürstin schnell aus dem Wagen stieg, sammt ihren Begleiterinnen sich mit niedergeschlagenen Augen dem Pfarrherrn näherte und halb leise vor Scham zu ihm redete: »Verzeiht, ehrwürdiger Herr,« sprach sie sanft und geduldig zu ihm, der sich nicht von seinem Standpunkte wegrührte: »verzeiht! es ist nicht sündiger Hochmuth, der mich beseelt. Ich fahre meinem Sohne entgegen, der heute Mittag von Prag eintreffen soll, um seine Ferienzeit auf dem Schlosse zuzubringen. Die Freude, die mein Mutterherz empfindet, den Erstgebornen wieder zu umfangen nach jahrelanger Trennung … sie allein hat mich bewogen, meinen lieben Unterthanen öffentlich ein Scherflein meiner Liebe abzutragen. Ihr wißt, daß ich es sonst gewöhnt bin, die Leidenden im Stillen aufzusuchen, und wenn Ihr selbst an etwas Mangel haben solltet, so beliebt, mir anzuzeigen, worin ich demselben abhelfen kann.«

Der Pfarrherr nahm das Käpplein ab und erwiederte weit gemäßigter: »Wenn dem also ist, Verehrteste und allergnädigste Frau, so vergebe ich Euch von Herzen im Namen Gottes. Doch möchte ich Euch, um der Leute willen, bitten, nicht zu glauben, als ob ich aus strafbarem Eigennutz also in die Posaune gestoßen hätte. Zwar ist mein Dach sehr baufällig, und der Regen dringt bis in meine Schlafkammer, ohne daß ich die Mittel besitze, diesem Uebelstande abzuhelfen. Zwar sind meine Schuhe ob den vielen Wanderungen im Weinberge des Herrn arg zugerichtet, wie ein einziger Blick wohl bestätigen mag – zwar ist mein Keller und mein Speicher schlecht gefüllt, weil meine Zuhörer und Beichtkinder zu glauben scheinen, die Verkündiger des Worts Gottes könnten von Luft und Wasser leben … allein Eigennutz ist mir dennoch gänzlich fremd. Ich rede bloß von den Leiden meiner Nebenmenschen; mag ich immerhin in der Fluth herum waten, die aus den Fenstern des Himmels in meine Schlafkammer träufelt; mag ich doch barfuß auf Kieseln und Dornen gehen; mag ich auch mit Kräutern und Schlamm, wie ein Fröschlein, meines Magens Bedürfnisse stillen.«

»Das sollt Ihr nicht!« versetzte die Fürstin. »Mein Haushofmeister soll sorgen, daß keines von dem allem geschehe.«

»Ihr werdet recht thun« sprach der Pfarrer, wieder seine Kappe aufsetzend. »Erwartet von mir keinen Dank, sondern von dem ewigen Vergelter ein ruhiges Gewissen. Denn die Pflichten gegen ihn und seine Kirche sind immer die ersten. Zieht hin in Frieden und Gott lasse Euch Euern Sohn wieder finden, gebildet nach seinem Herzen.«

»Ich danke Euch, würdiger Herr!« sprach die Fürstin gerührt. »Lebt wohl!«

»Es wäre mir ungemein lieb,« fuhr der Pfarrer fort, die Kappe wieder abnehmend … »wenn ich das junge Herrlein gleich bei seiner Ankunft empfangen und meine unterthänigste Ehrfurcht« …

»Ihr werdet mir an der Tafel willkommen seyn!« erwiederte die Fürstin, die ihn verstand.

»Das habe ich erwartet!« sprach der Pfarrer fast grob, und schob sich wieder die Kappe auf's Haupt, wünschte der Fürstin mit halbem Bückling eine glückliche Fahrt und kehrte in's Haus zurück.

Dieses Ereigniß mußte zu den gewöhnlichen gehören; denn weder die Fürstin noch Ludmille nahmen im Weiterfahren Rücksicht darauf. Die Zofe allein lächelte vor sich hin und sprach nach einer Weile:

»Als mein Vater, der Pascha von Bosnien, in Kroatien einbrach, um den räuberischen Uskoken in Zengg die Ruthe zu geben, und in gewohnter Pracht auf dem stattlich geschmückten Hengste seinen Heerhaufen musterte, da trat ihn auch ein Mollah an und schalt ihn wegen seines Prunks, den er in einem Augenblicke entfalte, in dem das Heer mit Hunger und Noth kämpfe. Mein Vater hieß ihn gelassen schweigen. Statt dessen wurde der Mollah nur noch ungeberdiger und drohte ihm mit der Rache des Propheten. Darauf ergrimmte mein Vater, und ließ den unberufenen Eiferer auf die Fußsohlen peitschen, bis er genug hatte. Er war später nie so übermüthig mehr, und mein Vater war im ganzen Feldzuge glücklich, bis vor Sissek« … hier schwieg das Mädchen, plötzlich verdüstert.

»Was soll das Ganze heißen?« fragte die Fürstin streng. »Errathe ich, was Du meinst, so lasse Dich einen zweiten Versuch nicht gelüsten. Ich dulde es nicht, daß Du die Diener des wahren Glaubens mit Euern heidnischen Götzenpriestern in eine Reihe stellst. Während Deine ältere Schwester Zenide die Unterwürfigkeit selbst ist, die mittlere, die gute Mermes, sich in ihrer Behaglichkeit um nichts kümmert, als um ihre Pflicht, bist Du, die jüngste, immer vorlaut und absprechend über das, was Dir nicht zu Sinne geht. Leila! Leila! vergiß nicht, daß Du Sklavin durch das Recht des Krieges bist, daß Du nur dem Mitleid und einem seltsamen Einfall meines Gemahls die sorglose bequeme Lage verdankst, in der Du Dich mit Deinen Schwestern gegenwärtig befindest.«

»Ich vergesse es nicht,« versetzte Leila, etwas leidenschaftlich. »Als die Belagerung von Sissek aufgehoben war und sich mein Vater zurückzog über die Kulp, dem ungeachtet aber von dem kaiserlichen Heere ereilt und wüthend angegriffen wurde, entstand ein fürchterliches Gemetzel. Wir arme Mädchen, in Sänften sitzend, wurden zurück gebracht; allein zu spät. Trotz der wüthenden Vertheidigung unserer Wache wurden wir gefangen. Wir waren verloren, wenn nicht der edle Fürst sich Bahn gemacht und uns aus den Händen der trunkenen Soldaten gerettet hätte. Ihm verdanken wir Alles, Alles ihm und Euerer Güte. Wir werden Euch nicht mit Undank lohnen. Zürnt mir aber nicht, wenn noch, hie und da meine Rede an mein Vaterland erinnert, das ich ja erst seit wenigen Jahren verlassen habe.«

»Türkinnen also!« dachte der aufmerksam lauschende Archimbald, während die Fürstin, ihre Strenge wieder gut machend, Leila's Wangen streichelte. Er betrachtete die heidnische Schönheit näher, und fand, daß sie die zarteste und lieblichste ihrer Schwestern war; denn den Worten der Fürstin und seiner Erinnerung vom gestrigen Abend zufolge, hatte sein heller Blick bald die Schwestern unterschieden. Die große, üppige Gestalt, mit der braunem Gesichtsfarbe, dem stolzen und lockenden Blick war unstreitig Zenide; die weißeste von den Dreien, mit der beständig lächelnden Miene, dem ruhigen Auge, den allzureichlich gesegneten Formen war die behagliche Mermes, … die schönste unter ihnen, wie die lebendigste, war Leila. Ihr feuchtes Gazellenauge glänzte in schwärmerischem Feuer, die dunkle Farbe war von sanftem Roth auf Wangen und Kinn gelichtet; unter dem glänzenden Schwarz der Flechten schien der gelbliche Nacken weiß; die frische Gluth der Kirsche lachte von ihren vollen Lippen; ein sehnsüchtiges Leben hob den vollen Busen. Mit gierigem Auge verschlang Archimbald die beiden hohen Schönheiten, die sich gegenüber saßen, Ludmillen und Leila, beide unter verschiedenen Verhältnissen gleich bewundernswerth. Ludmille trug in seiner Brust den Sieg davon. Leila schien für die Liebe geschaffen, Ludmille einer abgöttischen Verehrung werth. Verlangende Seufzer entwanden sich der Brust des Vergleichenden, der mit dem Schicksale grollte, das ihn im Staube hatte werden lassen: da wirbelte dichter Staub von der fernen Anhöhe auf. »Er kömmt! das ist er!« rief die Fürstin und hob sich neugierig im Wagen empor. Ludmille klatschte freudig in die Hände. Der armen Leila hing eine Thräne an der Wimper. Sie gedachte ihres Bruders in der allzu fernen Heimath. Archimbald stellte sich aufrecht im Steigbügel, und erkannte im Näherreiten einen Troß Reiter, die in vollem Galopp gegen den Wagen sprengten. Der Prinz war an ihrer Spitze. In einem Nu war er am Schlage, mit einem Sprung zur Erde und in seiner Mutter Armen. Vor Freude weinend, lag sie an seiner Brust. Er umschlang sie mit dem rechten, Ludmillen mit dem linken Arm. Im weiten Kreise standen die übrigen Reiter – Schulfreunde des Prinzen, die ihn begleitet hatten, einige lustige Tage auf Worosdar zu verleben – um die schöne Gruppe her. Wort um Wort, Kuß um Kuß flog von Munde zu Munde unter den Fröhlichen; und Archimbald wandte, weil der Prinz in brüderlicher Inbrunst nicht aufhören konnte, die wunderschöne Schwester zu herzen, eifersüchtig den Blick hinweg, als er mit einem Male betroffen bemerken mußte, daß Leila's Auge, dem Lustgetümmel um sie her fremd geblieben, mit stiller Freundlichkeit an seinem Antlitz hing, und nur dann die Wimper schnell und erröthend senkte, als sein rasches Umschauen sie auf der That ertappt hatte. Archimbald stutzte befremdet, als er von der Fürstin den Befehl erhielt, voraus zu eilen und dem Haushofmeister zu bedeuten, der Prinz sey angekommen, und die Tafel auf zahlreiche Gäste zu rüsten. Dieser Auftrag war ihm willkommen; denn so gerne seine geschmeichelte Eitelkeit noch einmal die liebliche Leila durch einen Seitenblick überrascht hätte, so ungerne wäre er ferner Zeuge der brüderlichen Zärtlichkeit gegen eine Jungfrau gewesen, die er selbst kaum mit schüchterner Demuth anzuschauen vermochte. Er flog rasch wie ein Pfeil auf seinem Falben dahin, ritt in eifriger Dienstfertigkeit beinah den Pfarrherrn über den Haufen, der sich auf den Weg nach dem Schlosse gemacht hatte, zuckte bei dem Zornausbruche des Erschreckten mitleidig die Achseln, und kam, von Staub bedeckt, bei Nepomuk an. Schnell wußte er ihm seinen Auftrag begreiflich zu machen, und ging mit ihm nach der Küche, um mit einer gerösteten Brodschnitte und einem Glase Malvasier die auf dem Eilritte verschwendeten Kräfte zu ersetzen; im Grunde aber, um Sabinen zu suchen, die er im Schlosse noch nicht gesehen hatte. Sein Gang war aber unnütz. Sabine war auch hier nicht zu finden; unter all den fremden, trotzigen Gesichtern der Mägde ihr treues und frommes Antlitz nicht. Er setzte sich an den Anrichtetisch, verzehrte sein Brod, trank seinen Wein, und horchte auf das Gespräch der Dirnen am Herde, die es nicht genug beklagen konnten, daß es dem lieben Gott gefallen habe, einen so artigen Junker völlig stumm zu machen, und auf die halblauten Anordnungen Nepomuks, der gar zu gerne in Küche, Schloß und Stall die bedeutsame Stille eingeführt hätte, die von Anbeginn das Thun und Lassen der mährischen Brüder bezeichnet hat. »Um des himmlischen Lammes willen!« jammerte er in seiner Weise: »ihr laßt mir den Auerhahn zu Pulver verbrennen! Das unnütze Volk hat keinen Begriff von solchen Braten. Ignaz!« rief er einem andern Koche zu: »mehr Saffran an die Brühe; sie muß goldgelb werden! Tummelt euch, ihr faulen Brüder und Schwestern! Wo steckt der Christoph? Er soll im hohen Saale decken. Es sind fünfzehn Gäste mehr, als wir gerechnet. Um des Erlösers rosenfarbenen Blutes willen, eilt! laßt nicht die Flügel hängen!« – Der Jäger trat, mit Wildpret beladen, der Fischer mit Krebsen und Hechten, die Backfrau mit einem Korbe voll Brod herein. Meister Nepomuk untersuchte Alles, mäckelte an Allem, nahm am Ende Alles. »Das Wildpret an den Spieß, die Fische in die Pfanne, das Brod auf den Tisch!« rief er vor Ungeduld trippelnd. »Nur schnell, flink und hurtig. Die gnädigste Herrschaft wird gleich hier seyn, wird nicht lange warten wollen. Der gnädige Prinz wird mit hungrigem Magen einreiten, und seinen liebwerthesten Freunden wird es auch nicht daran fehlen. Elias! gieb genaue Acht auf die Weinsuppe! Um unserer Sünde willen! wenn die erste Speise nichts taugt, dann ist es aus. Herr, gehe nicht mit uns in's Gericht! Unser gnädigster Prinz ist ein Studiosus und kömmt von der hohen Schule. Die Herren sind alle kurzweg, fackeln nicht lange und wenn das Traktament schlecht ausfällt, traktiren sie mit der Hetzpeitsche. »Christoph! da sind die Kellerschlüssel, da der Schlüssel zum Schrank, in dem die Becher stehen. Oesterreicher, Ungar und Spanischer werden aufgesetzt. Nehmt die Pokale, die zur heiligen Taufe unsers vielgeliebten Prinzen verfertigt worden sind; und ihm selbst, der obenan sitzen wird, stellt den großen Tummler hin … den mit der Krone und dem Bildnisse des höchst seligen Kaisers Caroli des Fünften und seinem Wahlspruch: Plus ultra! Ein ächt kaiserlicher und eines Zechers würdiger Wahlspruch! Wer aber, ich spreche von uns gemeinen Leuten, die ewige Krone erlangen will, der trinkt Wasser und keinen Wein; verstanden, ihr Trunkenbolde? Kastei't euern Leib, damit die Sünde von Euch fahre, weit hinweg zu dem Bock Hazazel in die Wüste.«

»Meister Nepomuk!« schrie eine Magd zur Thüre herein: »Meister Nepomuk! der durchlauchtige Herr schlägt alle Fenster ein!«

»Herr meines Lebens!« fuhr Nepomuk zusammen. »Habt ihr denn alle die Mittagsglocke überhört! Der durchlauchtige Herr geruht, wieder ungeduldig zu werden, Christoph! sündiger Christoph! wo steckt denn der Gottlose?«

»Ihr habt ihn ja in den Saal geschickt!« rief ihm ein Koch zu.

»Recht, recht,« versetzte Nepomuk verdutzt, riß einen Schrank auf, und nahm ein damastenes Tafeltuch, ein zierlich geschnitztes Aufstellbret, silberne Teller und Eßzeug heraus. »Da,« sprach er, indem er Alles dem aufhorchenden Archimbald in die Arme legte: »da, lieber Junker! Erzeigt mir nur dieß Mal die Liebe und die Güte, mit mir zu gehen. Es soll nie wieder geschehen; aber der gottlose Christoph … und meine Verwirrung … Elias, die Speisen für den gnädigsten Herrn … man ist es das ganze Jahr hindurch nicht gewohnt, Gäste zu sehen, und dann kömmt so etwas … soll's der starke und fromme Gott wissen, wie ein Gewitter über unsern Hals. Geschwinde, Elias! die Schüsseln auf die Kredenzplatte … nimm die große mit den heiligen drei Königen und ihrem Stern … so; gieb … und nun, Junker, folgt mir!«

Nepomuk nahm geschäftig den Kredenzteller, auf dessen geräumiger Fläche mehrere Speisen in silbernen Gefäßen angerichtet standen, in die Hände, und eilte, so rasch es seine kurzen Beine vermochten, vor Archimbald her, der mit seinem Eßgeräthe verwunderungsvoll nachschritt, ohne zu wissen, was dieß Alles wohl bedeuten möge. Bald waren sie im ersten Stocke angelangt und in der Nähe von der Fürstin Gemächern. »Ich muß Wein mitnehmen,« flüsterte Nepomuk, stellte seine Last auf das Fenstergesimse und flog in einen Seitengang. Während dem öffnete sich die Thüre des Vorgemachs der Fürstin behutsam. Zenide schaute heraus und nickte Archimbald freundlich zu. Lächelnd beantwortete er den Gruß.

»Schon zurück, schöner Itschoglan?« fragte sie mit gar wohlklingender Stimme, der das hart und mühsam ausgesprochene Deutsch einen gewissen Reiz verlieh.

Archimbald nickte abermals lächelnd der Huldin zu.

»Darum hab' ich Dich auch nicht unter dem Gefolge der Fürstin gesehen, die schon am Dorf vorüber ist und gleich hier seyn wird,« fuhr Zenide fort und trat behutsam näher. »Ach!« sprach sie weiter, da sie die Speisen gewahrte … »Du bedienst den gnädigen Herrn?«

Archimbald bejahte achselzuckend.

»Du bist stumm, Du Armer?« lispelte Zenide mit bemitleidendem Blicke: »ganz stumm? Das ist traurig; aber doch gut. So kannst Du nicht wieder sagen, was ich Dir sage.«

Archimbald neigte lauschend das Ohr zu ihrem Munde.

Sie hob sich auf den Zehen und flüsterte ihm zu: »Ich habe Dich lieb. Hast Du mich auch lieb?«

Der Jüngling, dem ein solches Geständniß zu überraschend war, als daß er nur mit dem leisesten Zeichen darauf hätte antworten können, trat verwundert und lächelnd zurück. Das holde Beichtkind floh aber wie ein Reh von ihm in die Gemächer der Gebieterin; denn Nepomuk kam mit einem prächtigen Krug unterm Arme zurück.

»Tragt mir auch das nach!« sprach er zum Pagen.

»Und nun kommt.« – Im Gehen fragte er aber: »Lief nicht Jemand von Euch weg, als ich kam?« – Archimbald bejahte es. – »Gewiß eine von den Türkinnen?« fragte der Neugierige weiter: »nicht wahr? ich hab' mir's gedacht. Das heidnische Ungeziefer bindet mit Jedem an, um hinter Alles zu kommen. Aber bei Euch laufen sie schön an, die Vorwitzigen. Ihr plaudert nichts aus, gelt? ha! ha! ha! Ihr seyd zum Herrendienst geboren.« – Während dieser Rede waren sie in den zweiten Stock hinauf gestiegen und in den linken Flügel des Schlosses getreten. Der Gang, welchen Nepomuk einschlug, verrieth in allem, daß er nicht häufig besucht sey. Staub deckte den Boden, Spinneweben die graue Decke und die erblindeten Fenster. Alte zerrissene Bildnisse hingen an den Wänden, zu denen sich nur ein mattes Tageslicht den Weg bahnen konnte. Ein Paar offenstehende Gemächer hatten dasselbe Ansehen; die Geräthschaften waren zerbrochen, die Fußdecken zerrissen; alles voll Staub und Unrath. Nun kamen die Beiden an eine von Außen mit einem Mahlschlosse versehene Thüre. Nepomuk sperrte auf; es ergab sich aber nun, daß sie von Innen verschlossen war. Der Haushofmeister klopfte leise, dann stärker, und rief endlich durch's Schlüsselloch: »Durchlauchtigster Herr! der unterthänigste Nepomuk ist's, der seinen Fehler wieder gut zu machen kömmt.« – Nach einer kleinen Weile näherten sich gewichtige Schritte der Thüre, und langsam wurde sie geöffnet. Archimbald fuhr zurück, als er durch die halb offene plötzlich ein langes gelbes Gesicht blicken sah, mit grauem Schnauzbart und grauen überhängenden Augenbraunen, unter welchen große, aber verglaste blaue Augen hervorschimmerten. Ein alter, spitz zulaufender Filzhut mit zerrissener rother Feder an der Seite deckte den Kopf, über dessen Stirn lange graue Haare in wilder Unordnung fielen. »Kömmst Du einmal, langsamer Knecht?« fuhr der Seltsame den Haushofmeister mit rauher Baßstimme an … »ich dachte schon, ich müßte den Palast in Brand stecken. Otterngezücht! ihr wollt mich verhungern lassen, oder ihr seyd thöricht genug, zu glauben, was im Volk herum getragen wird, nämlich: daß ich gefangen und toll sey. Nicht so?«

»Gnädigster Herr!« entgegnete Nepomuk so süß als möglich: »wir glauben es nicht, und bitten in tiefster Demuth, Euch das Mitgebrachte schmecken zu lassen, wenn es gleich zu gering und zu erbärmlich für Euch ist.«

»Tritt ein!« brummte der Gnädigste und machte ganz auf. Nepomuk schritt in das Gemach und Archimbald hinter ihm drein. Sie befanden sich in einem Vorsaal mit vergitterten Fenstern, deren Scheiben fast alle zertrümmert und in Scherben auf dem Boden umher lagen, welcher ebenfalls mit hohem Staub bedeckt war. Im Hintergrunde öffnete sich eine Reihe von Zimmern. Der Inhaber dieser Wohnung stand in Lebensgröße vor Archimbald. Seine Gestalt entsprach dem Gesichte vollkommen. Riesengroß, abgezehrt und vertrocknet sahen die Hände und bloßen Füße aus den weißwollenen Nachtkleidern heraus, wie die Glieder eines balsamirten Leichnams. Eine ächte Kette des goldenen Vließordens schmückte das grobe Wamms, über welches nur ein schmaler Hemdekragen heraus sah. Um den Leib war eine breite Degenkuppel geschnallt, an der eine lange spanische Klinge hing, die, nach dem übel zugerichteten Gefäße zu urtheilen, in die Scheide gerostet seyn mußte. Der Furchtbare warf einen durchdringenden Blick auf Archimbald und fragte: »Wer ist dieser Fremdling?«

»Es ist ein redlicher Portugiese,« erwiederte Nepomuk und winkte dem staunenden Archimbald mit den Augen zu.

»Ein Portugiese?« sprach der Erstere wieder. »Einer, der es redlich meint? Sey mir willkommen, wackerer Landsmann! Küsse Deinem König die Hand.«

Er hielt ihm die Rechte mit gnädigem Lächeln hin. Archimbald zögerte; allein der Haushofmeister flüsterte ihm zu: »Thut es immerhin und schämt Euch nicht. Es ist unser Fürst.« – Der Page gehorchte nun.

»Wie stehts in meinen Staaten?« fuhr der Fürst fort. »Kehrt Ihr dahin zurück?«

Archimbald verneinte.

»Da habt Ihr so unrecht nicht,« antwortete der Fürst mit Eifer. »Ein undankbares Volk verdient es nicht, daß man … wie? warum antwortet Ihr nicht?«

»Er ist stumm, durchlauchtigster Herr!« fiel Nepomuk ein.

»Warum mengst Du Dich in's Gespräch?« polterte der Fürst und zog die Stirne in Falten. »Er wird mir's schon selbst sagen, daß er stumm ist. Oder könnt Ihr vielleicht reden?« fuhr er ferner fort, zu Archimbald gewendet: »wollt Ihr es vielleicht nur nicht?«

Dem vorgeblichen Stummen stieg das siedend heiße Blut in's Gesicht, als er aus dem Munde des Irren, der den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, die verfängliche Frage vernahm. Ein zweideutiges Lächeln war seine ganze Erwiederung.

»Recht!« sagte hierauf der Fürst vertraulich zu ihm und blinzte pfiffig mit dem einen Auge. »Der kluge Mann spricht, hört und sieht nicht. Hätte ich das doch auch gethan! Ich hätte nicht Krone, Reich und Leben verloren. »Zwar,« setzte er leise hinzu, »mit dem Leben ist es nur figürlich gemeint … das Herz schlägt, die Beine rühren sich, und mein Magen erinnert mich noch, daß ich Hunger habe.« – Er drehte ohne Umstände dem Pagen den Rücken, und wandelte nach dem Gemach, in dem Nepomuk während dessen die Tafel gerüstet hatte; nun winkte er dem Begleiter, sich zu beurlauben. Archimbald verbeugte sich; der Fürst übersah ihn aber ganz, und rief, indem er sich zum Essen niederließ, dem abgehenden Haushofmeister zu: »Halte nur gut Wache, alter Knabe, daß sich kein Muhamedaner, am wenigsten ein Spanier, bei mir einschleiche. Leb' wohl!« – Archimbald und Nepomuk verließen das Gemach, und der Letztere schloß sorgfältig zu. »Der arme Herr!« klagte der Alte, als sie wieder hinunterstiegen. »Er bildet sich ein, der portugiesische König Don Sebastian zu seyn, der in Afrika von den Mohren ertödtet oder gefangen worden ist; man weiß keines von beiden gewiß, weil sein Körper nicht gefunden wurde. Schon vor sechs bis sieben Jahren hatte der Herr kleine Anfälle von Geistesabwesenheit. Damals hat ihn die Pflege der gnädigen Fürstin und eines braven Weibes von Ulm in Schwaben, das die Fürstin von einer Reise, die sie in Erbschaftssachen an den Rhein gemacht, mit sich gebracht hatte … diese Pflege, sage ich, hat den guten Herrn recht hergestellt. Da kam der leidige Kriegsteufel wieder über ihn und er zog mit einem kaiserlichen Regiment nach Ungarn, wo er wie ein anderer Gideon unter den Ungläubigen gehauset haben soll, bis ihn beim Sturm von Sabalka ein türkischer Pfeil im Kopf verwundete. Das unglückliche Gewehr wurde zwar herausgezogen und die Wunde ging zu; allein ein Splitter mag wohl zurückgeblieben seyn; denn seit der Zeit hat der gnädige Herr immer etwas überschnappen wollen und sich auch deswegen vom Heere nach Hause begeben. Allein der Zustand wurde immer ärger, und da er vollends die Nachricht bekam, man habe seinem Busenfreund, dem Grafen von Hardegg, zu Wien den Kopf abgeschlagen, weil er Raab an die Türken übergeben, so fing er an zu rasen, bis man ihn mit blutendem Herzen hier einsperren mußte, wo er sich verschlossen hält und verschlossen gehalten werden muß, weil seine Krankheit immer heftiger wird, und besonders gegen die Seinigen eine üble Wendung genommen hat. Doch sieh da … die Herrschaften sind angelangt sammt den Gästen. Wir wollen also auch mit Gottes Segen das Mahl beginnen. Ihr, mein lieber Junker, verseht heut den Ehrendienst an der Tafel bei den drei hohen Personen; ich werde Euch, so wie ich Zeit habe, zur Hand gehen.«

Der Fuchs schlich nach der Küche. Archimbald schlenderte nach dem Saale, um sich vor der Hand mit der Oertlichkeit bekannt zu machen und die Pflichten eines Tafeldieners im Stillen zu bedenken, um nicht in ihrer Ausübung einen zu groben Fehler zu begehen. Mehrere von den Dienern des Schlosses gingen hin und her. Am Fenster stand der Pfarrer des Dorfs und trommelte ungeduldig an den Scheiben. Es mochte ihm wohl zu langsam mit dem Beginnen des Mahls zugehen. Von Zeit zu Zeit langte er seitwärts auf die Tafel und raubte dem Brodteller, der in seiner Nähe stand, ein Stückchen von seinem Inhalte. Als Archimbald aber eintrat, wurde der Prediger zornroth im Gesicht, ging auf den Jüngling zu und sprach: »Wie steht's, Gesell? habt heute wohl Euer Lüstchen an einem Diener der wahren evangelischen Kirche büßen wollen? habt ihn wollen zerstampfen lassen unter den Hufen Euers Rosses? Nicht wahr? Aber der Herr, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt und kein Haar von unserm Haupte, hat der Creatur mehr Ehrfurcht vor seinem Knechte eingeflößt, als dem Reiter derselben. Geh' bei Zeiten in Dich, junger Frevler. Du hast den Eintritt in dieses gottesfürchtige Haus mit einer Sünde gegen Gott und mich bezeichnet. Thue Buße, denn das Leben ist kurz, die Welt ist alt, und die Saat ist reif für den Schnitter, der die Spreu vom Weizen sondern wird.

Archimbald konnte sich des Lächelns nicht erwehren, und der Eiferer fuhr mit kräftigerer Stimme fort: »Du lachst, Unglückseliger! während ich Dir das warnende Menetekel auf die Zukunft zeichne? Ist es denn möglich, daß die Jugend also verderbt und ruchlos seyn könne? Bist Du ein Heide, ein Wiedertäufer, ein Katholik, oder, das Schlimmste von allem, ein calvinischer Ketzer? Wahrlich! wahrlich! Du sollst anders werden mit der Zeit, oder ich will nicht Hans Schönemann heißen!«

Archimbald schüttelte lächelnd den Kopf und bedauerte im Stillen, dem Ueberlästigen keine Antwort geben zu dürfen; aber der Bußrede wurde bald durch die Ankunft der Tischgesellschaft ein erwünschtes Ziel gesetzt. Der Prinz Bernhard nahm die oberste Stelle an der Tafel ein; ihm zur Rechten saß die Fürstin, zur Linken Ludmille. Neben der erstern nahm sich der Pfarrherr den Platz, neben der zweiten ein junger Herr von Kauniz. Die übrigen Freunde des Prinzen folgten nach dem, wie sie sich untereinander geordnet hatten. Das Mahl nahm seinen Anfang, und Archimbald trat seinen Dienst mit großer Freudigkeit an; denn er gab ihm Gelegenheit, sich der Angebeteten zu nähern, ihr Gewand zu berühren, ihren reinen Athem einzusaugen, wenn sie dem demüthig Gebückten einen Wunsch oder einen Auftrag in's Ohr raunte. Er war geschäftig, ohne etwas zu übereilen, versah sein Amt schnell und pünktlich, hatte Aug' und Ohr überall, mit sich selbst aber am meisten zu kämpfen, um nicht mit einem unvorsichtigen Worte die Täuschung zu vernichten, die zu erhalten ihm von seinem Pflegevater so strenge auferlegt war. Die Fürstin hatte ihn und sein Benehmen beständig im Auge und winkte ihm dann und wann stillen Beifall zu, während der Pfarrer, so oft Archimbald in seine Nähe kam, ängstlich zuckte, als wie vor einer Schlange, und den Aufmerksamen scheel von der Seite ansah. Wie hätte aber der Jüngling für das Mißfallen des Unbedeutenden einen Blick finden können, da er Ludmillen, die Einzige in seiner Nähe wußte? Bald bemerkte er aber mit geheimem Verdrusse, daß der Herr von Kauniz sich es angelegen seyn ließ, die Prinzessin zu unterhalten, und wohl mehr Wärme in seine Worte legte, als man in ein Tafelgespräch zu legen pflegt. Es blieb ihm auch in Kurzem kein Zweifel übrig, daß der Bruder Ludmillens eine Bewerbung seines Freundes gar sehr begünstigen würde. Denn, als in der Mitte und am Ende der Tafel die jungen Männer in eifrigeres Gespräch geriethen, und, vom Ungarwein erhitzt, einander ihre bestandenen und noch zu bestehenden Abenteuer und Schwänke mitzutheilen begannen – als die Fürstin dem Pfarrer, der wahrscheinlich ihr ins Gewissen sprach, ein aufmerksames Ohr lieh, und auf diese Weise die oben an der Tafel Sitzenden nicht befürchten durften, gehört und verstanden zu werden, redete Bernhard Ludmillen also an: »Du kennst ihn nun, geliebte Schwester, den Mann, von dem ich Euch so viel in meinen Schreiben erzählte, dessen starkem Arme ich mein Leben verdanke, als zwei Elende mich in einem kleinen Gäßchen zu Prag bei nächtlicher Weile angegriffen hatten, mit dem bloßen Degen in der Faust. Du wünschtest den jungen Helden kennen zu lernen, der die Meuchelmörder entwaffnete und in die Flucht jagte. Siehe, ich habe Dein Verlangen erfüllt. Kauniz sitzt an Deiner Seite und hat sich auf unserm Wege hieher wie ein Kind auf Deinen Anblick gefreut. Es scheint aber, als ob Du kein freundliches Wort für ihn finden könntest, so einsylbig sitzest Du da.«

»Du verkennst mich,« entgegnete Ludmille mit einer Stimme, die um Schonung bat. »Wie könnte ich dem Retter meines Bruders die Achtung versagen, die Freundschaft entziehen, die er durch seine wackere That errungen hat? Was soll ich aber mehr thun, als ihn achten, als ihm Freundin seyn? An Dir ist es aber, mein Bruder, ihm würdig zu vergelten, und Du wirst es auch; denn Du bist Mann. Ich, das schwache Weib, kann ihm nur innig danken, und des Himmels Segen auf den herabrufen, der mir einen Bruder, den ich liebe, erhielt.«

»Spitzfindige Schwester,« lachte Bernhard, »Du hast das Distinguo in Logica recht gut aufgefaßt; aber Du entkömmst mir nicht so geschwinde, denn noch habe ich meine Gelehrsamkeit im Kopfe. Nach ein Paar Jahren, wenn wir eine Weile im Küraß gesteckt haben, wird's wohl anders seyn. Nicht wahr, Kauniz?«

Der Befragte bejahte scherzend und winkte dem Freunde Stillschweigen zu. Er ließ sich aber nicht irre machen, sondern fuhr fort:

»Wieder auf das Kapitel zu kommen, liebe Schwester, so mußt Du wissen, daß ich schon daran gedacht habe, dem Lebensretter zu vergelten; daß ich aber, um es, wie es sich gehört, seiner und meiner würdig thun zu können, noch eine zweite Person in den Handel ziehen muß, und diese bist Du. Du sollst ihm an meiner Statt lohnen.«

Ludmillens Wangen flammten. Kauniz legte diese Unruhe zu seinem Vortheil aus und nahm die Rede auf:

»Ihr werdet mich zum Beneidenswerthesten auf Erden machen, schöne Ludmille!« sprach er, seines schnellen Siegs gewiß: »wenn Ihr mich würdigt, mir freiwillig den Lohn zu gewähren, den mir Euer Bruder schon zum Voraus verheißen hat: Euere Liebe, Euere Hand.«

»Wie?« versetzte Ludmille, halb erschreckt, halb gekränkt: »freiwillig? im Voraus verheißen? Bernhard, erkläre mir, wie das zusammen hängt.«

»Nun ja,« entgegnete dieser in gezwungener Laune: »ich habe gethan, was mir als älterer Bruder, als Erbe des Hauses zukömmt; ich habe Dein Schicksal bestimmt, Deine Hand versagt. Einmal hätte es doch geschehen müssen, und ich konnte sie in meinem Leben an keinen würdigern versagen als an Kauniz.«

Ludmille schwieg betroffen; ihr Busen hob sich schwer; sie suchte nach Worten, sie konnte keine finden. Archimbald starrte mit glühenden Augen auf die Verletzte, denn die Eifersucht hatte seine Sinne gestärkt, und keine Sylbe des Gesprächs war ihm, obgleich er ziemlich ferne stand, entgangen.

»Ich bin vielleicht der Unwürdigste, der auf Eure schöne Hand Anspruch machen kann,« sprach Kauniz mit selbstgefälligem Lächeln; »indessen auch dem Unwürdigen wird ja das Himmelreich zu Theil, wenn er's darnach anfängt. Ich will mich Euerer werth machen, im Kriegerstande mich auszeichnen, wo es Gelegenheit gibt, und Euch dann ein gemächliches sanftes Leben an meiner Seite bereiten. Meine Güter sind ansehnlich, meine Familie und Blutsfreunde zahlreich und mächtig. Schon ist's im Werke, die Grafenwürde an unser Haus zu bringen. Der Kaiser kann unserm ernstlichen Werben nicht widerstehen: er darf es nicht, denn er weiß, daß mein Geschlecht keinen gerechten Anspruch aufgibt; auch ich werde es nie thun, meine holde Prinzessin; zählt darauf. Den Anspruch auf das schönste der Güter, das ich je mein nennen werde – auf Euern Besitz, werde ich mit Wort und That, mit dem Degen wie mit der Feder, gegen Jeden vertheidigen, der es mir zu rauben gedächte. Ich habe des Bruders Wort; und wenn ich vollends Euere freiwillige Gunst zu erringen verstehe …«

»Das werdet Ihr nie!« fiel Ludmille dem unbescheidenen Prahler mit dem edlen Unwillen in's Wort, den das Bewußtseyn einer ungerecht erhaltenen Kränkung in einem reinen Herzen erzeugt. »Man behandelt mich wie eine Sklavin und höhnt mich noch! Kein Wort mehr davon. Meinen Bruder bedaure ich, daß er seinen eigenen Werth so sehr verläugnen konnte, seine Schwester zur Waare zu machen, die man nach Belieben an Jeden verschleudert, der sie zu kaufen wünscht. Euch, mein Herr von Kauniz, würde ich verachten müssen, hättet Ihr Euch nicht durch meines Bruders Rettung um unser Haus verdient gemacht. Aus diesem Grunde allein, verzeihe ich Euch die üble Sitte und Sprache, die Ihr gegen mich beobachtet habt und welche nie in diesem Schlosse Brauch und Rechtens war.«

Mit diesen Worten erhob sie sich stolz und verließ Tafel und Zimmer plötzlich. In Archimbalds Busen ging ein neuer Tempel für die erhabene Jungfrau auf, die ihm, ohne daß er sich Rechenschaft geben konnte, weshalb? durch die strenge Abfertigung des ungestümen Freiers unaussprechlich wohl gethan hatte.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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