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Zum Dulden ward das Weib erschaffen,
Sein Erbtheil sollt' Ergebung seyn.
Roos.
Die Folterkammer war zum peinlichen Verhör bereitet, dem Morgenlichte alle Eingänge durch feste eichene Laden gewehrt. Ein schwarzbehangener Tisch mit brennenden Lichtern, einem Kruzifix, Schreibzeug und Papier versehen; am obern Theile des Gemachs, nebst einigen Lehnsesseln für den Richter, die Beisitzer und den Schreiber, eine Gallerie von abscheulichen Marterwerkzeugen längs der schmutzigen Mauer und ein Armensünderbänkchen für den Beklagten machten die ganze Einrichtung des Qualbehälters aus. Thurneisen, als ernannter Inquirent in seiner eigenen Sache, wandelte ungeduldig darin umher, während der Schreiber sein Schreibrohr spitzte, und dem Gähnen wehrte, das dem des frühen Aufstehens ungewohnten Federstutzer stark zusetzte. Mit der größten Mühe konnte es der Rathsherr über sich gewinnen, die Ankunft der drei jungen Rathsherren abzuwarten, die erst heute in aller Frühe von dem Bürgermeister zu Beisitzern des Verhörs ernannt worden waren, ohne den Thurneisen darüber zu consultiren. Endlich kamen die Dreie, und nach den sehr kurz abgemachten Begrüßungen der ungebetenen Gäste zog der Rathsherr die Schelle, und befahl, die Hexenlene herbeizuführen. Es dauerte auch nicht lange, so erschien sie mit ihrer gewöhnlichen Ruhe und Zuversicht. Thurneisen starrte sie schadenfroh und forschend an; dann fragte er barsch: ob sie wisse, warum sie hier sey? – Lene verneinte ruhig. Thurneisen warf ihr nun in abgerissenen Brocken die Anklage hin. – Lene verneinte abermals, und läugnete, die geringste Kenntniß von Archimbalds Aufenthalt zu besitzen, vielweniger etwas für ihn gethan zu haben. Thurneisen drang in sie, versprach, drohte, bot alle Mittel der Beredtsamkeit auf, sie zu einem Geständnisse zu bringen. Umsonst! Lene antwortete kurz und derb, und wich jeder verfänglichen Rede geschickt und behend aus. – Wie ein Aal mit glatten Ringen durch das Netz schlüpft, das nur die geringste Lücke hat, so schlüpfte Mutter Lene mit ihren glatten Worten jedesmal durch die Fangnetze, die des Rathsherrn Bosheit ihr spannte, und brachte ihn durch ihre geschickte Selbstvertheidigung endlich in Harnisch.
»Alle Teufel!« rief er, seine richterliche Würde vergessend: »graue Gauklerin, Du willst mich äffen? Gleich gestehe, oder ich lasse Dich auf der Folter recken und strecken, bis Du mir bekennst, was ich von Dir wissen will.«
Die Beisitzer winkten sich unter einander bedeutend zu. Lene lächelte aber und versetzte: »Glaubt Ihr, Herr Thurneisen, daß ich Euere Marter fürchte? o nein! und ein lügenhaft Bekenntniß werdet Ihr nie von mir erpressen.«
»Diesen Hohn!« schrie Thurneisen … »mir? Du sollst es büßen.« – Er riß an der Schelle. Die Thüre öffnete sich; die Henker und der Spitalarzt traten herein. Einer der Beisitzer aber entfernte sich plötzlich in diesem Augenblicke.
»Du siehst, daß ich meine Drohungen verwirklichen kann, armselige Creatur,« fuhr der Rathsherr fort: »wenn Du nicht auf der Stelle meine Fragen durch ein aufrichtiges, ungeschraubtes Bekenntniß beantwortest.«
Lene maß mit den Augen die Diener der Gerechtigkeit, die, gleich Fanghunden, bloß auf den Wink warteten, um über ihr Opfer herzufallen, und die Werkzeuge, mit denen sie bedenkliche Vorrichtungen anstellten.
»Willst Du antworten?« brüllte ihr Thurneisen zu. – »Ich habe nichts zu antworten,« erwiederte Mutter Lene mit festem Blicke.
»Nun denn,« rasete der erboste Rathsherr: »so werft sie auf die Folter, und schraubt jedes Glied auseinander, daß der ungeheure Schmerz ihr das Geständniß ihrer Frevelthaten wider Willen entlocke!«
Die Knechte fielen über das arme Weiblein her, sie mit Stricken zu binden, und im Nu war sie festgeschnürt. Da rief sie plötzlich: »Laß't ab, laß't ab, ihr elenden Wichte! ich will bekennen.«
Die Fesseln wurden gelöset. Frohlockend befahl ihr der Rathsherr, vor den Tisch zu treten und ihr Geständniß abzulegen. Mit seltsam verzogenen Mienen gehorchte die Alte, schneuzte und räusperte sich, und begann mit lauter Stimme: »Meine Liebe Herren! was ihr von mir verlangt, vermag ich wahrlich nicht zu beantworten. Quält mich deßhalb nicht und nehmt mit meinem guten Willen vorlieb, wenn ich euch Dinge entdecke, die des Wissens wohl auch werth sind. Da ist z. B. erstens eine Geschichte von einem Herrn zu Ulm, der ein Töchterlein hatte – ein recht feines Töchterlein … das Töchterlein lebte lieber auf dem Lande als in der Stadt, und mochte wohl seine Ursache haben … sintemalen zwei Nachbarn unfern wohnten, die sie beide gern sahen, und von ihr beide gern wieder gesehen wurden« …
»Schweigt mit dem Geschwätz,« fuhr Thurneisen auf und wurde mit Eins bleich wie seine Krause. »Du bist verrückt, Alte, oder des Teufels.«
»Des Teufels, edler Herr!« höhnte ihm Lene mit unverschämtem Tone nach: »des Teufels, aber nicht verrückt, denn's kömmt noch besser …«
»Ihr habt das tolle Zeug doch nicht niedergeschrieben?« schnaubte Thurneisen den Schreiber an und zerriß den Anfang des Protokolls, den ihm dieser zeigte. »Genug! – Führt sie fort.«
»Bin ich frei,« versetzte die Alte, »so mag's d'rum seyn. Soll ich aber nicht frei werden, so muß ich mein Bekenntniß ablegen vor diesen Herren, und sie sollen entscheiden, ob ich strafbar bin. Denn heute Mittag muß ich nothwendig nach Günzburg.«
»Nach dem Blocksberg, aber nicht nach Günzburg!« rief der Rathsherr: »Satan von einem Weibe, die von allem Fährte und Witterung hat. In's Gefängniß mit ihr!«
»Und wenn Ihr mich todtschlagen laß't, ich weiche nicht, bis ich gestanden habe, was ich gestehen will,« kreischte die Alte.
»Du sollst nicht gestehen!« donnerte der Rathsherr, blaß und roth werdend.
»Warum habt Ihr mich denn auf die Folter werfen lassen?« höhnte ihn die Alte zähnefletschend aus. »Warum bin ich überhaupt verhaftet?«
»Ein seltsamer Auftritt!« sprach der eine Beisitzer bedenklich.
»Erklärt uns, Herr Thurneisen … warum dieses Weib eigentlich hier ist,« fiel der andere kopfschüttelnd ein.
»Das Weib ist verrückt!« tief Thurneisen im höchsten Grade verlegen.
»Das ist das Weib nicht!« widersprach der Arzt, den Puls der Beklagten fühlend.
»Ihr werdet sehen, wie zusammenhängend ich erzähle,« versetzte Lene: »wenn Ihr erlauben wollt, daß ich die Historie …«
»Der Tod versiegle Deinen Schandrachen!« tobte Thurneisen und drohte ihr mit der geballten Faust. – Die Verwirrung war allgemein; da trat der Rathsherr, der sich entfernt hatte, herein und verkündete die Ankunft des Bürgermeisters. – Thurneisen stand betroffen. Se. Weisheit folgten dem Meldenden auf dem Fuße.
»Ich komme,« hob er an, »um mit Euerer Erlaubniß, Herr Thurneisen, dem Verhör dieser Frau hier beizuwohnen, bitte aber, die Folterknechte abtreten zu lassen. Ihr seht wohl, daß die Körperbeschaffenheit der Frau Streicherin nicht zur wirklichen Folter qualificirt, und um sich vor dem bloßen Drohen zu fürchten, ist das Weib zu klug. Wie weit seyd Ihr mit dem Verhör?«
»Ich … ich …« stotterte Thurneisen, der gern um alles in der Welt jetzt die Alte los gewesen wäre. »Ich … kann …«
»Das Weib läugnet hartnäckig,« ergänzte der Schreiber
»Und da keine weitern Inzichten vorhanden« … setzte der eine Abgeordnete hinzu …
»So ist nichts auf sie zu bringen? fiel der Bürgermeister ein.«
»Nichts!« erwiederten die Beisitzer und der Schreiber.
»Ei, nun,« sprach der Regierende gemüthlich: »so lasse man das Weiblein frei!«
»Das wollte ich doch nicht rathen,« stammelte, vor Aerger zitternd, der Rathsherr: »denn …«
»Ach, mein Gott!« fiel Lene ein: »warum will denn der gestrenge Herr Thurneisen mir allein so aufsätzig seyn, während er doch weiß, daß ich bereit bin, Alles zu entdecken, was zu meiner Kenntniß gekommen ist …«
»Sadrach!« knirschte der Rathsherr zwischen den Zähnen und durchbohrte fast das redselige Weib mit seinen Blicken.
»Und wenn er befiehlt,« fuhr sie, mit Fleiß sehr laut werdend, fort: »so will ich gern in Gegenwart des gestrengen Herrn regierenden Bürgermeisters …«
»Daß Dich Der und Jener mit Deinem Geplauder!« fuhr Thurneisen, von innerer Angst getrieben, heraus. »Wenn der Herr Bürgermeister meint, so laufe hin, Deinem Galgen entläufst Du nicht.«
»Kein Mensch, der Böses thut, entläuft dem Seinen,« versetzte die Alte mit spottendem Lachen und stechendem Blick.
»Das Weib ist spaßhaft!« rief der Bürgermeister lachend und hielt sich den Bauch. »Obschon mich gestern bei meiner schweren Kopfarbeit eine ziemliche Unpäßlichkeit anwandelte, so habe ich mich doch heute in der Ausübung meiner Pflichten merklich erholt, und möchte wohl ein Stündchen lang die Possen dieser Streicherin, vulgo Hexenlene, mit anhören, besonders da sie geäußert hat, in meiner Gegenwart eine Historie vortragen zu wollen … die vielleicht« …
Dem Rathsherrn standen unzählige Schweißtropfen auf der Stirn. Mutter Lene fühlte beinahe Mitleid mit ihm. Sie küßte daher dem Herrn Bürgermeister den Saum des Mantels, dankte ihm für die Gnade, die er ihr hatte angedeihen lassen, und bat ihn, ihr zu erlauben, so bald als möglich sich zu entfernen, indem sie noch eine kleine Reise vorhabe für den heutigen Tag.
Der Consul nickte wohlwollend. »So gehe denn hin,« sprach er mit Salbung, »altes, armes Weiblein. Wir setzen Dich in Freiheit und in den Besitz Deiner Habseligkeiten wieder ein. Wandle auf der breiten Heerstraße der Rechtschaffenheit fort, damit kein Verdacht Dich wieder an diese Stätte bringe.«
Nach dieser Standrede wischte er sich den Schweiß von der Stirn, winkte den Uebrigen, etwas abseits zu treten, und sprach dann sehr gnädig und leise zu der aufmerksam horchenden Alten: »Zum Verdruß jenes ausgetrockneten Medici befinden wir uns, Dank sey dem Höchsten, wieder munter und stark, und unser Magen gleicht wieder dem hungrigen Löwen in der Wüste.« – Er reichte Lenen die Hand zum Kusse. – »Was unsere Verbindlichkeit gegen Dich betrifft,« fuhr er fort und nestelte lange an dem straffen Geldbeutel, der ihm an der Seite hing – es reute ihn aber, er ließ nachlässig die Hand sinken – »so bleiben wir Dein wohlwollender Schuldner.« – Er entließ sie mit einer gnädigen Bewegung des Kopfes. Lene setzte sich gleich wieder in den Besitz ihres Schlüssels, eilte nach Hause, fütterte ihren Schwarzmann, packte Salben und Latwergen zusammen, und ging, so schnell es ihr Alter erlaubte, die Straße hinaus, die gen Günzburg führte. Thurneisen aber fuhr wie ein Gewitter nach Hause und hielt mit seiner Tochter einen geheimen, aber verdrießlichen Zweisprach; denn Bärbchen hatte verweinte Augen den ganzen Tag. Eine üble Vorbedeutung für den Ehrentag, der auf morgen festgesetzt war. In des Rathsherrn Wohnung, wo die Hochzeit begangen werden sollte, ging Alles drunter und drüber. Es wurde geputzt, gescheuert, gekocht, gesotten und gebraten, gestickt und genäht, und auch für den Bräutigam waren alle Handwerker in der Stadt in Arbeit. Das Gerücht von der großen Vermählung ging auch geschäftig durch alle Gassen. Nur zur Elenden-Herberge drang es nicht; und hatte die Wirthin derselben wohl auch hin und wieder etwas davon vernommen, so war ihr die Begebenheit doch nicht wichtig genug, um gegen ihre armen Gäste ein Wort darüber zu verlieren. Die gute Marie lebte also in ihrer glücklichen Täuschung fort, und erwartete sehnlich den Abend, den ihr Philipp durch seinen Besuche zu verschönern versprochen hatte. Sie verließ ihr Lager, that sich Gewalt an, auf den verwundeten Füßen zu stehen, und es ging; denn es galt ja, den Geliebten zu empfangen. Sie ordnete ihre Kopfbedeckung zierlicher, verbarg, so gut es angehen wollte, die Risse, Flicken und schadhaften Theile ihres grauen Reisekleidchens, steckte einen Strauß von Maiblumen an die volle, unter einem blendend weißen Hemdchen wallende Brust, und nachdem sie durch ihr kleines Dienstmägdlein die Kammer mit Stachelbeerzweigen und blühenden Schlehenranken hatte schmücken lassen, harrte sie in süßer Zufriedenheit des Geliebten. Wie pochte ihr Herz, als sie endlich in der Dämmerung den wohlbekannten Schritt auf der kleinen Treppe vernahm! Wie jauchzte sie auf, als er, der Ersehnte, der Heißverlangte, in ihre dürftige Behausung trat! Sie flog an seinen Hals, umschlang ihn mit Schwanenarmen und grüßte ihn mit Worten der Liebe. Philipp machte sich nach einem kurzen: »Guten Abend!« von ihr los, warf den düstern Blick in der Stube umher und fragte: »Was soll der grüne Staat? der Blüthenkram an Wand und Decke?«
»Ach verzeih'!« bat Marie mit kindlichem Tone: »'s ist eine Spielerei, die Dich erheitern sollte, dachte ich. Vergib der Eitelkeit Deines Weibchens, die so gerne den Geliebten in einem geschmückten Gemach empfangen wollte. Ich stellte mir dabei die mit Blumen und Myrthen geputzte Brautkammer vor.«
»Die Brautkammer!« fuhr Philipp auf, gewann aber bald wieder so viel Verstellung, um hinzuzusetzen, indem er sich zu lächeln bemühte: »Ein sonderbares Geschlecht! Kaum der bittersten Noth auf Augenblicke entronnen, überläßt es sich unbekümmert und leichtsinnig den Spielen der kindischen Laune!«
»Lieber Philipp!« versetzte Marie, traurig werdend und seine Hand ergreifend. »Es ist ja schon unser Loos, mehr in unsern Träumen zu leben, als in der Wirklichkeit. Vergib, ich wollte Dich nicht beleidigen. Befiehlst Du's, nehme ich gleich meiner armen Kammer den Schmuck ab.«
»Du wirst mich verbinden,« erwiederte Philipp kurz, und Marie eilte, obschon sich ihr Thränen in's Auge preßten, die Mauern ihres Putzes zu entledigen, stand, die Zweige in der Hand, schmerzlich lächelnd vor dem Geliebten und fragte gutmüthig: »Ist es so recht, mein lieber Mann?«
»Hm, ja!« brummte Philipp und ließ sich nieder am Tische. »Wirf das Zeug zum Fenster hinaus!«
»Du willst es,« sprach Marie und zerdrückte wieder eine Thräne … »ich gehorche!« Sie schlich, traurig den Kopf hängend zum Fenster und zog es auf. Sie starrte eine kurze Weile hinaus. »Nein, Philipp!« begann sie … »nein! schelte mich oder lache mich aus, wenn Du willst, aber ich vermag es nicht, Dir zu gehorchen. Die Dunkelheit des Hofs kömmt mir vor, wie ein Grab, in das ich jetzt die Hoffnung mit eigener Hand schleudern soll. Vergib, Philipp, der Grille des reizbaren Weibes; halte der Mutterwerdenden die Weigerung zu gute.«
Spöttisch lächelte aber Wernher, stand auf und nahm ihr die Zweige ab. »Du bist kindisch!« sprach er und warf die Blüthen hinab. »Willst Du nicht selbst die Hoffnung über Bord werfen, muß ich's wohl an Deiner Statt thun.«
Marien erschütterte tiefe Wehmuth, als sie ihre zarte Empfindung roh verletzt fühlte. Sie schwieg aber wie ein Lamm, setzte sich still, schlug die Augen nieder und zerzupfte in ahnender Traurigkeit den Strauß an ihrer Brust.
Philipp war ein Paar Mal durch das Gemach geschritten. Endlich ergriff er Mariens Hand. »Nicht böse, liebe Marie!« redete er die Gekränkte mit schlauer Freundlichkeit an: »nicht böse. 's war ja nur ein Scherz … nicht bös' gemeint.«
Das Mädchen hob schnell das leuchtende Auge, und entgegnete mild und freundlich: »Ich zürne Dir nicht, mein Lieber! sey Du nur gut mit mir. Ich liebe Dich ja so herzlich, und möchte gleich weinen wie ein Kind, wenn ich etwas nicht recht gemacht und, statt Dich zu erheitern, Dich verdüstert habe.«
»Ei was, kleine Thörin,« sprach Philipp scherzend, … »vergeben, vergessen!«
»Alles! Alles!« rief Marie an seinem Halse und fühlte seinen Kuß. – »Nun aber, mein Herzchen,« fuhr Philipp fort, »nun lass' uns fröhlich seyn. Man braucht dazu aber keine Christbäume an den Wänden. Das rothe Blut der Trauben thut bessere Dienste.
Bei diesen Worten zog er aus einer Tasche des faltigen Rocks eine mit silberner Schraube verstopfte weiße Flasche, von dem Rubinglanz eines spanischen Edelweins, wie von rothem, flüssigem Crystall gefüllt. Ein kleiner silberner Becher und ein Pack kleiner Nürnberger Honigkuchen folgte dem Sorgenbrecher. Marie sah stilllächelnd dem auftragenden Geliebten zu. »Das mahnt mich an die erste Zeit unserer Bekanntschaft in Antwerpen,« sprach sie; »weißt Du noch? Bei der alten Muhme im Garten fanden wir uns alle Feiertage zusammen, und nie kamst Du mit leeren Taschen; denn die Muhme war dem spanischen Weine und dem Frontignan nicht abhold. Mandeln oder Honigkuchen, wie heute, waren beständig die Zugabe, die Du dem Fläschlein beilegtest. Wir Beide hatten auch, wie heute, nur einen Becher, den kleinen, vergoldeten, den Du auf der Messe für mich gekauft. Er war in Augsburg verfertigt und trug die einfache Inschrift: Lieb' und Treu'. Während die Muhme behaglich mit ihrem großen Deckelglase dem Weine zusprach, nippten wir wie Bienen an dem kleinen Becher und buchstabirten täglich auf's Neue die Inschrift, Lieb' und Treu'! Sie war eine gute Vorbedeutung. Wir liebten uns und sind uns treu geblieben! Nicht wahr, mein Wernher?«
Philipps Gesicht überlief es blutroth. »Komm'!« rief er: »laß' uns trinken, zur Erinnerung vergangener Zeiten.« – Er ließ das rothe Gold in den Silberkelch fließen, und bot ihn, nachdem er den Trank kredenzt hatte, Marien dar. Sie trank; aber wohlthuender als die Tropfen des edlen, Weines, die ihre Lippen balsamisch befeuchteten, erquickte sie das liebevolle, freundliche Wesen des Geliebten. – »Deine Gesundheit, Philipp!« rief sie mit dem Lächeln der herzlichsten Freude und reichte ihm den Becher. – »Die Deinige,« erwiederte er mit dem Anstrich derselben Empfindung … »die Deinige und unsers Kindes Gesundheit!« – Ein dankbarer Kuß lohnte dem Vater seine zarte Theilnahme. Unter muntern Scherzen, fröhlichen Planen für die Zukunft, unter Versicherungen ewiger Liebe und Treue, unter der Erneurung alter Eide und Schwüre verfloß die Stunde, die Philipp Marien schenken konnte. Er brach endlich auf, stürzte den Rest des Weins hinunter, küßte Marien, die, über seinen Abschied bekümmert, seine Hand hielt, und sprach: »Leb' wohl, mein Kind! Du siehst, ich bin der Alte. Mein Herz hat sich nicht verändert. Du darfst mir kecklich vertrauen. Laß' dieß Vertrauen nicht wankend werden. Sieh' ich habe hier der Feinde viele, weil mein gerades Wesen Vielen nicht behagt. Es könnte leicht geschehen, daß während der kurzen Zeit, als wir noch getrennt seyn müssen, Dir vielleicht das oder jenes Gerücht über mich zu Ohren kommen möchte. Laß' es noch so auffallend seyn, so glaube es nicht. Der Neid ersinnt oft die seltsamsten Lügen. Glaube nichts, als was ich Dir sage, Ich bin Dein erster Freund, Dein einziger, und liebe Dich. Dieses Vertrauen sey Deine Richtschnur, wie mein Wort, das ich nie brechen werde.«
Mit diesen Worten umarmte er noch einmal Marien, die in sorgloser Zuversicht einem fürchterlichen Augenblick entgegen ging, nahm Abschied von ihr, versprach, den kommenden Abend früher zu erscheinen, und ging, um nachzusehen, ob sein Hochzeitskleid schon vollendet sey, und von dem Schneider zu seiner Braut zu eilen, bei der er den Abend im Kreise der arbeitenden Freundinnen vertändelte. Die Nacht verging ihm viel zu langsam für die Unruhe, die sich seiner bemeistert hatte, und er konnte kaum den Tag erwarten, der seine Wünsche krönen und seine angstvollen Zweifelsqualen mit einem Male stillen sollte. Endlich brach der Morgen an, und mit pochendem Herzen warf sich Philipp in sein prächtiges Ehrengewand. Simon that sein möglichstes, um den Herrn feierlich herauszuputzen und seinen trüben Unmuth zu verscheuchen, der ihm ein Räthsel war, da Philipp für gut befunden hatte, ihm Mariens Anwesenheit, den eigentlichen Grund seines Kummers, gänzlich zu verheimlichen. Rauh und störrisch, wie wohl selten ein Bräutigam an seinem Hochzeitstage, legte der Gebieter seinem Diener Stillschweigen auf, und verfügte sich, sobald es Zeit und Sitte erlaubten, zu der Braut, um sie nach der Kirche abzuholen. Er fand sie, den Schwähervater und die Zeugen bereit und festlich geschmückt. Thurneisen, der schon an und für sich die Trauung früher, als vornehme Leute sie gewöhnlich vorzunehmen pflegten, angeordnet hatte, drängte, die Stunde nicht zu versäumen, und der Hochzeitszug, klein, aber gewählt, setzte sich in Bewegung nach dem Münster. Stolz ging Barbara, das Kränzlein im Haare, neben dem verlegenen Bräutigam, und sah triumphirend um sich her, unter die Menge des Volks, die sich am Eingang der Kirche drängte. »Wie fein steht Euch doch das Kränzlein!« flüsterte ihr im Gedränge eine Stimme zu … »dachte schon, Ihr hättet's verloren!« Mit zornigem Blick drehte sich die Versöhnte gegen den Frevler; aber sie erblaßte, als sie in sein Antlitz sah; das sich wieder schnell unter den Haufen verbarg. – »Was ist Euch holde Braut?« fragte Philipp, dem die Verlegenheit der schönen Barbara nicht entging. »Nichts,« stammelte die Erbleichende und suchte sich zu fassen … »Eine kleine Anwandlung … in der Welt weiter nichts!«
Die Röthe kehrte auch bald auf ihre Wangen wieder; allein die Verstimmung wich nicht aus ihrer Seele, so lange die Ceremonie dauerte. Philipp theilte seinerseits ihre Verstörung; als sie die Ringe wechselten, glaubte er einen glühenden Reif an den Finger zu stecken: als sie sich die Hände gaben, senkte sich Beiden ein Fels auf die Brust. Scheu flogen Barbaras Blicke gegen die mit Menschen gefüllte Emporkirche; scheu richtete Philipp sein Auge gegen die Kirchthüre. Es war ihm, als müsse Marie durch dieselbe eintreten, und ihn durch ihren Angstruf und ihr verzweifelndes Geschrei vernichtet zu Boden werfen. – Unnütze Furcht. Die feierliche Handlung endete. Die Glocken riefen sie laut über die ganze Stadt aus, und Marie ahnete nichts von Allem. Von den leise aufstrebenden Schauern der herannahenden Niederkunft bedrängt, hatte sie trostbedürftig nach dem Gebetbüchlein gegriffen, das, ein Geschenk ihrer verewigten Mutter, auf der langen, beschwerlichen Reise nie von ihrem Busen gekommen war. Mit hingebender Frömmigkeit betete sie daraus zu dem ewigen Vater, und schöpfte Stärke, Trost und Hoffnung aus den todten, im Geiste aber lebendigen Buchstaben. – Sie bedurfte dieser Himmelsstärkung nur zu bald. Die Glocken der Münsterkirche klangen schwärmerisch in ihr Gebet und beflügelten ihre Worte und Bitten. Leicht und wohl wurde ihr um's Herz, als ob eine große Last von ihr genommen wäre, und freundlichen Blicks begrüßte sie die Wirthin, die bald darauf zu ihr in's Gemach trat.
»Nanntet Ihr nicht gestern Abend,« begann diese, den Freund Eures verstorbenen Mannes, … den, der Euch die Tage her besuchte … nanntet Ihr ihn nicht Wernher?«
»Ja!« versetzte Marie lächelnd.
»Philipp Wernher, der Kaufherr?« fragte die Wirthin hastig weiter.
Marie bejahte.
»Nun, nun,« fuhr die Wirthin lachend und munter fort. »Das lasse ich mir gefallen. Der Mann ist reich wie einer, und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß er Euch, als eine alte Freundin, aus der Noth reißen wird, freigebiger als jemals; denn wie mich die von der Kirche heimkommende Magd versichert hat, so hält er heute Hochzeit, und an solchen Ehrentagen ist der Leidende unserem Herzen am nächsten.«
»Heute?« fragte Marie lächelnd und ungläubig. »Gute Frau, Ihr seyd wohl unrecht berichtet. Mir hat er noch nichts davon vertraut.«
»Ei was!« erwiederte die Wirthin. »Vornehme und reiche Leute haben ihre Launen. Vielleicht fällt die Bescherung für Euch nur um desto vortheilhafter aus, wenn Ihr Euch aufmacht, so gut herausgeputzt als möglich – Eure Schönheit ist ja Euer bester Schmuck – und dem glücklichen Bräutigam im Hochzeitshause alles Heil und Segen zu wünschen geht.«
»Damit hat es noch Zeit,« versetzte Marie wie oben. »Laßt ihn erst verheirathet seyn.«
»Ei, zum Kukuk!« rief die Wirthin und stemmte die Arme in die Seite. »Glaubt Ihr denn, daß ich taub bin und meine Magd blind? Sie hat ja die Trauung vor ein Paar Minuten selbst mit angesehen. Es war in der Münsterkirche. Noch summen uns ja die Trauglocken in's Ohr.«
»Es ist eine andere Hochzeit gewesen,« lächelte Marie mit aller Ueberzeugung. »Ihr irr't.«
»Nein, sage ich!« rief die Wirthin eifrig: »ich irre mich nie. Wißt Ihr das, Rechthaberin? Der Syndicus, der Kellerverwalter, der Seckelmeister und der Schwähervater selbst waren Zeugen. Der Bräutigam: Herr Philipp Wernher, der Kaufherr; die Braut: Jungfrau Barbara Thurneisen, des Rathsherrn eheliche Tochter.«
Der Name der Braut schüttelte Mariens Nerven gewaltig zusammen. Es war derselbe, den Ihr bereits die Kräutersammlerin genannt hatte. Die kühne Behauptung der Wirthin, eine schwarze Ahnung, die das Gebäude ihres Vertrauens umzustürzen begann … die warnende Stimme eines Engels, dem sie bisher das Ohr verschlossen … Alles raunte in einem einzigen, fürchterlichen Augenblicke ihr zu: Unglückliche! Du bist betrogen!
»So eben,« fuhr die Wirthin geschwätzig fort, ohne Mariens plötzliche Veränderung zu bemerken: »so eben ziehen sie über den Markt nach des Rathsherrn Hause, unter Musikschall und lautem Jubel.«
»Ich muß hin!« fuhr Marie auf in tödtlicher Verwirrung: »hin! muß ich sehen … mich überzeugen, ob es wahr ist, das Gräßliche!«
Sie wollte hinaus. Die Wirthin, die ihre Bewegung nicht begriff, war bemüht, sie aufzuhalten, als mit der Erscheinung eines Dritten sich ihr Schicksal in dieser Stadt mit raschen Schritten seinem Ende näherte.
Geismann war es, der Stadtwächter, den Thurneisen, seiner Verschwiegenheit die kitzliche Ausführung seines Gewaltstreiches vertrauend, zum Werkzeug erwählt hatte, Mariens Entfernung zu beschleunigen. Er hatte den ganzen Morgen, der Herberge gegenüber, auf der Lauer gelegen und abgepaßt, ob nicht vielleicht Marie von der Trauung Philipps Wind bekommen und den Entschluß gefaßt hätte, dieselbe durch einen Einspruch zu hindern. Da dieses nicht geschah, so wartete er, seinen Befehlen gemäß, das Ende der feierlichen Handlung ab, und schritt, nachdem die Glocken derselben verklungen, in die Herberge, um seinen Auftrag vollends zu erfüllen.
»Haltet das Weib!« rief dem Eintretenden die Wirthin entgegen. »Die Arme ist plötzlich verrückt geworden, und könnte sich, wie ihrer Leibesfrucht, Schaden thun.«
Geismann that, wie sie ihm hieß, und hielt Marien so fest, daß sie sich nicht regen konnte, wohl aber mit Mitleid erregender Stimme bat und flehte: man möchte sie doch lassen … sie müßte fort … es gelte ihr Leben!
»Ja, fort sollt Ihr auch,« entgegnete Geismann kalt: »je eher, je lieber. Deßwegen bin ich hier. Der Magistrat, von Euerm zuchtlosen Wandel wie von Eurer Landstreicherei unterrichtet, läßt Euch über die Grenze weisen. Ich werde Euch begleiten. Packt Eure Siebensachen zusammen und kommt. Ich bringe Euch über die Donau, wie mir's befohlen, und weh' Euch, wenn Ihr's wagt, mit einem Fuße die Stadt Ulm wieder zu betreten.«
Marie stand erstarrt. »Was hör' ich?« schrie sie endlich … »Philipp! Philipp! hast Du mich ganz verlassen?« – und glühende Thränen flossen über ihre Wangen.
»Sieh' doch!« schimpfte die Wirthin, durch Geismanns Auftrag stutzig gemacht … »sieh' doch! kann man sich nicht täuschen in der Welt! sieh' doch! hätte ich die Landläuferin beinahe für einen Engel gehalten, trotz ihren Umständen und ihren verschnittenen Haaren. Die kann einmal lügen! Fort aus meinem Hause!«
»Erbarmen!« schrie Marie: »Barmherzigkeit! Mann, seyd menschlich! Ich beschwöre Euch! führt mich zum Kaufherrn Wernher, Philipp Wernher! er wird mich nicht dem schmachvollen Urtheil zum Raube lassen; er wird sich für mich verbürgen!«
»Das wird er wohl bleiben lassen,« lachte Geismann, »und wir kämen ihm heute mit der Forderung verdammt ungelegen. Er hält Hochzeit. Die Trauung ist vorbei. In einer Stunde geht's zum fröhlichen Mahle, und da ist Eure Gegenwart überflüssig.«
»Also wahr! wahr!« wimmerte Marie in dumpfen Tönen. »Das Entsetzliche wahr! O, mein Gott! verlaß mich nicht!« – Ihre Sinne drohten zu schwinden! die Wirthin rüttelte sie aber unsanft am Arme.
»He!« rief sie, »he! treibt keine Mummerei! Sie nützt Euch nichts mehr! packt auf, trollt Euch, und dankt es Euerm hochschwangern Leibe, daß ich Euch nicht meine mißbrauchte Güte mit der Peitsche vom Rücken abstreifen lasse. Hat mir mein gutes Herz wieder einen garstigen Streich gespielt! Mein Mann, der dumme Teufel, hatte Recht. Auf die Streue hätte die saubere Strolchin gehört, nicht in meiner Tochter Bett! D'rum fort! fort! ehe mir die Galle überläuft.«
»O Wernher! Wernher!« seufzte das erschöpfte Mädchen, das man nach der Thüre drängte.
»Schimpfirt den Namen nicht in Euerm Munde!« belferte die Alte. »Es wird ihm leid thun, daß er Euch kennt, dem Kaufherrn nämlich. – Wenn man das Weib so reden hört, könnte man auf absonderliche Gedanken kommen.«
»Wird's bald?« rief Geismann dazwischen. »Ich warte nicht länger, und alles Betteln und Bitten ist umsonst. Fort müßt Ihr; so will's der gestrenge Rath.«
»Alles ist umsonst?« fragte Marie in verzweiflungsvoller Fassung, und die Thränen trockneten in ihrem Auge. »Wohlan! ich folge Euch … allein …« ein heftiger Schauder durchflog ihre Glieder … »ich weiß nicht, ob ich es werde können … meine Füße versagen den Dienst.«
»Pah! pah!« lachte der rohe Stadtwächter: »wird so arg nicht seyn. Nehmt Euch zusammen; seyd Ihr über der Brücke drüben und jenseits unsers Weichbilds, könnt Ihr ausruhen, so viel Ihr wollt.«
»Ich fürchte« … seufzte Marie, mit Anstrengung und zusammenbrechenden Knieen ihr Bündel ergreifend … »ich fürchte … eine schnelle Entbindung« …
»Um Gotteswillen!« schrie die Wirthin. »Das wär' mir eine Historie! Fort aus meinem Hause, sonst kömmt der Bastard hier auf die Welt, und die Mutter sammt dem Bankert bleiben mir Wochen lang auf dem Halse. Mann Gottes! greift zu! schafft die Metze mir fort, ehe hier der Teufel seine Jungen heckt.«
»Gott vergebe Euch diese Worte!« schluchzte Marie, der ein neuer Thränenstrom die Wange überschwemmte. »Ich danke Euch für die Theilnahme, die Ihr an mir bewiesen, und segne Euch für Eure Härte. Ich … ich vertraue dem Höchsten … das Schwerste habe ich überstanden … Er wird mir weiter helfen!«
Mit männlicher Fassung bezwang sich das zarte Geschöpf, seinen heiligen Schmerz nicht vor unwürdigen Augen zu entweihen, und schleppte sich mühsam dem Diener der Gewalt nach. Wie es aber im Innersten der Mißhandelten aussah, können nur im Schmerz Erfahr'ne im vollen Umfange beurtheilen. Geismann legte im Namen Thurneisens, der zugleich Armenpfleger war und der Herbergsmutter viel Nutzen, aber auch vielen Schaden verursachen konnte, Stillschweigen über die ganze Geschichte auf, und führte sein Schlachtopfer auf abgelegenen, öden Gassen dem Donauthore zu, damit nicht etwa ein ächter Trabant der Gerechtigkeit dem falschen Stellvertreter auf die Schliche kommen und dadurch die ganze wohlzugespitzte Bosheit zur verdrießlichen Sprache bringen möchte.
Thurneisen hatte den Eidam, gleich nach der Vermählung, vermocht, während daheim das Mahl gerüstet und die Braut in andern Staat gekleidet wurde, mit ihm einen Spaziergang auf der Stadtmauer zu machen, um durch die Lucken, und Schießscharten derselben sich der erquickenden Aussicht auf die in der Maisonne herrlich prangenden Fluten und den majestätisch wogenden Strom zu freuen. Sie standen neben einander auf einem Vorsprung, der die Brücke über die Donau völlig frei den Beschauern darstellte; Thurneisen lauernd, mit argen Erwartungen im Herzen; Philipp bemüht, sich zu zerstreuen. Plötzlich zupfte ihm der Rathsherr am Aermel. »Seht,« sprach er, »seht, dort … bereits am Ende, der Brücke … das Weib, mit dem Bündel unter dem Arme! Wer ist das?« – Philipp erbebte und staunte sprachlos hin. – »Das ist Eure Marie, oder ich verstehe mich nicht auf Euere Züge,« fuhr Thurneisen fort. »Seht Ihr den Geismann neben ihr? Der führt sie über die Grenze auf meinen Befehl. Seht! schon sind sie jenseits. Nun, redet doch! Hab' ich zu viel versprochen? hab' ich nicht Wort gehalten? Ihr seyd sie los! und nun kommt; denn ich wollte Euch nur eigentlich das in der schönen Aussicht zeigen.« – Er zerrte Philipp mit sich fort, der wie ein Träumender neben ihm herhing.
Geismann brachte während dem die arme Marie, die sich kümmerlich ihm nachschleppte, über das Weichbild der Stadt. »Jetzt geht mit Gott!« sprach er: »dorthin zu liegt Günzburg. Von Seiten des gestrengen Herrn Armenpflegers und Rathsherrn Thurneisen thue ich Euch kund, daß Euch der Staupenschlag erwartet, wenn Ihr's nur wagt, nach Ulm zurückzukehren. Und von Seiten des Herrn Philipp Wernher, der Euch selbst der Obrigkeit angezeigt, soll ich Euch sagen: daß er für Euch nichts mehr zu thun gedenkt; daß er zwar mit Euerm Mann gut Freund gewesen, sich aber in nichts mehr um die bettlerhafte Wittwe desselben bekümmern werde. Er sey überdies verheirathet, und Ihr wüßtet wohl, daß damit Alles vorbei sey. Lebt wohl und bessert Euch!«
»Ja wohl ist Alles damit vorbei!« … seufzte in unendlichem Schmerze, dem rückkehrenden Geismann nachstarrend, die mitleidswerthe Marie. »Alles! seine Liebe … mein Glück … mein Leben!«
Noch einmal wandte sie den thränendüstern Blick gegen die Stadt, die sie nach unzähligen Leiden erreicht hatte, um auf ewig unglücklich zu werden, und schon erhoben sich ihre Arme zur Drohung, schon öffnete sich ihr Mund, um eine schwere Verwünschung auf das Haupt des Treulosen, auf seine Ehe zu legen; allein selbst im Uebermaße ihrer Pein vermochte sie es nicht, dem zu fluchen, der sie ohne Barmherzigkeit würgen konnte, und ihr Scheideruf war Segen über den Unmenschen, Segen über sein Haus. Dann setzte sie, ihr Kreuz geduldig auf sich nehmend, den Weg fort vor sich hin, gen Günzburg, den ihr Geismann gewiesen. Die Erhebung ihres Geistes, die Thränen, die sie weinen konnte, stärkten ihre körperlichen Kräfte; allein nur kurze Zeit dauerte diese künstliche Spannung der Nerven. Kaum hatte sie unter vieler Anstrengung die Hälfte des Wegs zurückgelegt, so bedrängten sie, in kurzen Zwischenräumen auf einander folgend, die Schauer auf's Neue, die ihr in schmerzlicher Beängstigung die Annäherung ihrer Entbindung verkündet hatten. Sie ruhte, versuchte dann weiter zu gehen; umsonst! die Schmerzen kehrten mit verdoppelter Pein zurück und die schwere Stunde trat ein. Auf der weiten Ebene war kein Mensch zu sehen, die Stimme der Leidenden konnte nicht nach Hülfe rufen … sie ergab sich also fromm in ihr bitteres Geschick, kroch unter den Schatten eines am Wege stehenden Baumes, und erwartete dort, von gewaltigen Leiden gefoltert, die Geburt ihres Kindes und ihren sehnlich gewünschten Tod.