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Trauet nicht den Rosen eurer Jugend …
Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!
Schönheit war die Falle meiner Tugend …
Schiller.
Ungeduldig wartend ging der Rathsherr Thurneisen in dem Kreuzgange des Münsters auf und ab, blickte scharf nach dem Eingange, kaute an den Nägeln oder stampfte mit den Füßen. Die Sonne stand am Mittage, und eine halbe Stunde lang hatte er schon, in boshafter Freude auf Nadeln stehend, Philipps geharrt. Endlich kam dieser über den Kirchhof in den Kreuzgang geschritten; seine Entschuldigung erstarb ihm aber im Munde bei der rauhen Anrede des Rathsherrn.
»Wo zum Teufel haltet Ihr Euch so lange auf, Vetter?« fuhr ihn Thurneisen an. »Meint Ihr denn, ein Rathsherr von Ulm habe Zeit, in Geduld abzuwarten, bis Ihr ein Paar Loth Gewürznägelein oder Pfeffer an das Lumpengesindel ausgewogen? Seit einer Glockenstunde laufe ich hier auf und ab, wie ein gehetzter Hase. Ich dächte, die Einladung eines Rathsherrn, Vetters und künftigen Schwähervaters sollte mehr Gewicht in Euern Augen haben, als die kupfernen Pfennige des Pöbels, die Euch vielleicht in Euerm Laden darüber zu Schanden gehen dürften!«
» Valga me Dios!« versetzte Philipp, als der Rathsherr, vor Unmuth keuchend, schwieg … »ich konnte nicht ahnen, daß es so wichtig sey, was Ihr mir vertrauen wollt.«
»Nichts mehr und nichts weniger ist es,« sprach der Rathsherr polternd, »als daß unser Anschlag im Rathe durchgegangen. Die Hexenlene wird heute Abend eingesteckt, morgen früh verhört und gefoltert. Da wollen wir schon auf den Grund kommen. Die Mißgeburt, die sie da draußen hegt und pflegt, wird auch ad coram genommen. Vielleicht ist es der durch Zigeunerkniffe verkappte Archimbald … vielleicht ein auf dem Hexensabbath erzeugter Teufelssohn. Ist es der Erstere, so lasse ich ihn aus der Stadt stäupen für seine Mummerei – dann hat er alles Recht verscherzt … ist es eine Satansbrut, lasse ich ihr alle Adern öffnen und die Lene wird verbrannt. Punctum satis.«
»Herrlich!« jauchzte Philipp. »Wenn die kluge Lene uns nur nicht aus dem Garne läuft.«
»Ohne Sorge!« versetzte der Rathsherr. »Der Befehl zur Verhaftung ist unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit gegeben. Bis jetzt ist er Niemanden bekannt, als Euch und dem Rottmeister Hans Schnepfinger, der erst, wenn die Stunde herannaht, seine Leute davon unterrichten wird. Es ist ein zuverlässiger, verschwiegener Kriegsmann … nichts von ihm zu fürchten.«
»Was soll denn aber eigentlich die Lene?« fragte Philipp bedenklich.
»Nehm't mir's nicht übel« … erwiederte der Rathsherr und zupfte sich am Knebelbarte, wie er zu thun pflegte, wenn er eine geringschätzende Miene annehmen wollte … »Ihr seyd ein Ellenreiter und lebendiger Pfeffersack, der nichts begreift. – Bekennen soll sie, wo der Archimbald hingekommen ist; denn um alle Schuld von Euch zu schieben, muß sie Alles gethan haben. Hat sie was zu bekennen, so wird sie's thun … man läss't sie dann peitschen und verweiset sie aus dem Weichbilde. Hat sie nichts zu bekennen, so läss't man sie foltern, und unter den venedischen Schrauben wird ihr schon etwas einfallen; für ihre Hartnäckigkeit wird sie alsdann gewippt, und damit punctum satis.«
»Mit alle dem bekomme ich mein Testament nicht wieder,« brummte Philipp.
»Warum waret Ihr auch schöpsig genug, es hinzugeben?« höhnte Thurneisen. »Der alte Simon mag mir immerhin von den Teufeln, die er gesehen zu haben vorgibt, schwatzen was er will: ich bleibe dabei, die Alte hat Euch einen Spuck aus ihrem eigenen Sack vorgemacht, obschon es sonst wohl nicht geheuer mit ihr ist. Hättet Ihr mir nur Euer Vorhaben vertraut! Doch, dem sey wie ihm wolle; Schnepfinger hat den Auftrag, bei dem heutigen Ueberfall alle Winkel nach dem Pergament, das ich ihm deutlich beschrieb, auszusuchen. Ist es da, so findet er's gewiß; denn im Suchen gleicht ihm keiner. Es ist, als ob er Maulwürfe an den Fingern hätte. Ist es nicht da, nun … so mag wohl die ganze Zauberei ihre Richtigkeit und der Archimbald in der That sein Fett bekommen haben. Leider darf man der Alten deßwegen nicht auf's Leder, weil Ihr gerade den Handel mit ihr hattet. Wäre es einer aus dem Pöbel, ein gemeiner Hund … dann, ja, dann gäbe es kurzen Prozeß. Die Hexe würde ersäuft, oder besser, verbrannt … dem gemeinen Hunde würden die Knochen auf dem Rade gebrochen, und damit punctum satis. Aber weil die Gäule schief stehen, muß man behutsam than. Ohne Sorge indessen. Die Hexenlene soll an mich denken. Ich hab' sie schon längst auf dem Rohr … ich weiß wohl, warum … heute lass' ich sie beim Schopf nehmen, und damit sie nicht durch Teufelskünste sich davon mache, habe ich befohlen, sie gar nicht zur Erde kommen zu lassen. Das ist ein probates Mittel gegen alle Hexerei. – Doch horch! die Mittagsglocke ruft. Der Imbiß soll mir trefflich schmecken. Auch Euch wird hoffentlich die gute Nachricht die Eßlust bestens gereizt haben; nicht wahr? – Kommt den Abend zu mir, wenn Ihr den Laden schließt; wir wollen am Frauenthore passen, bis man die Hexe bringt; hört Ihr!«
»Ich werde kommen, Vetter,« erwiederte Philipp. »Lass't Euch's schmecken und grüßt mir mein Bärbchen.«
Der Rathsherr nickte vornehm mit dem Kopfe. Als sie aber mit einander aus dem Kreuzgange traten, fiel ihnen der Grabstein Wernher's in die Augen, der an der äußern Wand angebracht war. »Dort liegt der Rothkopf« – war des Rathsherrn freche Rede – »der durch seinen wollüstigen Kitzel uns so viel Molesten machte. Jetzt noch verursacht er uns Galle genug. Wir hatten daran bei seinem Leben schon allzu viel. Werdet Ihr's glauben, Vetter, daß er vor neunzehn Jahren ungefähr meiner eigenen Frau den Hof machte, und daß sie sich ihn auch recht gern von ihm machen ließ? Ich meine aber, ich bin dazwischengefahren, wie ein Feld voll Teufel. Ich steuerte dem Unwesen, verbot dem Vetter das Haus und hatte Ruhe. Zwar erwischte ich im Anfang noch ein Paar Sträußchen und allerlei Minnekram, mit dem der gute Wernher mein Weibchen zu bethören dachte. Die Sträußchen warf ich in die Donau … die Ueberbringerin … seh't!« setzte er leiser hinzu: »das war eben die Hexenlene; darum habe ich einen Groll auf sie, wie ein eiterbissiger Hofhund … die Ueberbringerin jagte ich zum Teufel, und Alles war gut. Um diese Zeit hatte ich in Erbschaftsangelegenheiten eine Reise nach Sachsen zu machen und blieb gegen acht Monate weg. Mein Haus und die Aufsicht über mein Weib hatte ich dem Vetter Ehrenfried anvertraut, auf den ich in jeder Rücksicht bauen konnte. Als ich heimkehrte, wiegte meine Frau die kleine Barbara auf dem Schooß, und die närrische Liebelei hatte, sobald sie Mutter geworden war, völlig ihr Ende erreicht. Euern Vater hatte Eure Mutter endlich kirre gemacht, zu den Hausvaterspflichten nach mehrjährigem vergeblichen Bemühen zurückgeführt, und wir lebten in gutem Vernehmen, bis Eure Mutter starb und der Teufel der Unordnung wieder in Euer Haus einbrach. Mein Weib segnete auch bald nachher das Zeitliche, und Euer Vater und ich – wir sahen uns blos im Rathe, wo er gewöhnlich Ja sagte, wenn ich Nein, und so umgekehrt. – Na! Gott schenke ihm den ewigen Frieden. Lebt wohl, Philipp. Von dem vielen Plaudern ist meine Zunge ganz trocken geworden. Punctum satis!«
Der Rathsherr ging links seine Straße fort. Philipp stand noch eine Weile am Grabe des Vaters, und starrte das Denkmal an, das nur kalte Pflicht, nicht des Sohnes Liebe hatte setzen lassen, bis ihn ein unheimliches Gefühl erinnerte, er verdiene es eigentlich nicht, an dieser heiligen Stätte weilen zu dürfen. Schnell schüttelte er den Staub von seinen Füßen und eilte nach Hause.
Der Nachmittag schlich ihm bleiern vorüber in der engen Ladenstube, und weder der Besuch einiger Jugendfreunde, noch Simons Bemühungen, den Gebieter aufzuheitern, vermochten etwas über seine böse Laune. Mit sich selbst unzufrieden im geheimsten Innern der Seele, blätterte er unruhig in seinen Büchern, zählte in seinem Gelde, schob die Laden auf und zu, lockte seine Hunde und jagte sie mit Fußtritten wieder weg, rechnete, schrieb und ließ die Feder wieder unmuthig sinken. – Simon hatte ihn noch nie im dieser Stimmung gesehen; er rieth aber unbedenklich auf ein verliebtes Gemüth, weil er wußte, daß Philipp bei dem Rathsherrn um die Tochter freite. – Es war aber nicht die Liebe, es war der Vorwurf eines quälenden Gewissens, das den jungen Bösewicht keine ruhige Stelle im eigenen Hause finden ließ. Die Reden des Rathsherrn, der Anblick des väterlichen Grabmals hatten auf wunderliche Weise das Andenken an den Vater in seinem Gehirne aufgefrischt, mit ihm die Erinnerung, an Archimbald, an seine Unmenschlichkeit, an seinen letzten Mordversuch am Bruder. Ein Rest von Gefühl brannte schmerzliche Wunden in Philipps Brust. Simon wurde endlich gerufen.
»Ich bin so unruhig, so aufgereizt,« begann Philipp: »ich glaube in jedem Winkel den Vater und den jungen Rothkopf zu sehen. Hilf mir!«
»Habt Ihr ihn vielleicht auch sehen müssen, wie ich?« fragte Simon, schaudernd bei der Erinnerung, an das Gesicht beim Tode des Herrn.
»Nicht doch,« versetzte Philipp und rieb sich unruhig die Stirn. »Es geht mir nur im Geiste so vor, daß er mir einmal begegnen könnte. Ich muß dieser Qual ein Ende machen. Auf Michaelis mache ich Hochzeit, denke ich. Der Braut gefällt ohnehin das veraltete Gebäude nicht, mit den vielen Winkeln, Gängen und krummen Treppen. Mir gefällt es auch nicht mehr. Ich habe in den Niederlanden geräumigere, hellere Häuser kennen gelernt, und meine Braut verlangt eines nach der Weise der Augsburger Wechselherren. Ich will ihr gern zu Willen seyn. Zu meinem Gewerbe scheint mir das Gebäude neben dem Deutschen Hause, in dem der Gerber Schneidenbach wohnt, am geschicktesten. So gehe denn hin und erkundige Dich fein vorsichtig und genau, ob es zu verkaufen. Den Leuten geht es hinderlich … es wäre also leicht möglich …«
»Ihnen das Haus um einen Spott abzudrücken!« fiel Simon satanisch lächelnd ein. »Lass't mich nur machen. Ich bring' es dahin. Mir selbst liegt daran, aus diesem Hause zu kommen, wo mir zwar vor Zeiten, wohl war, aber seit Langem nicht mehr.«
»Unterdessen aber,« fuhr Philipp fort, »sperrst Du Alles, was an Kleidung, Geräthschaften, Papieren und beweglicher Habe dem Seligen einst gehört hat und von ihm gebraucht worden ist, sammt Archimbald's Lumpen und Spielzeug zusammen in eine Dachkammer, damit mir nichts mehr von den Beiden zu Gesichte kömmt; hörst Du? Es wird mir immer schreckhaft zu Muthe, wenn ich dergleichen unvermuthet wieder sehe.«
»Es soll geschehen!« sprach Simon. »Mühe wird es zwar kosten, mich zu überwinden, und Alles aus den Schränken zu räumen, um es auf einen Haufen zu sperren; allein, wenn es einmal geschehen, so ist's vorbei.« – Er ging. Philipp schöpfte etwas leichter Athem, wischte sich den Schweiß von der Stirn, strich sich den Knebelbart, kraute Alba und Spaniol hinter den Ohren, und schritt dann, des Prinzen von Oranien Leibmarsch pfeifend, im Laden auf und nieder. Da ging die Thüre desselben auf, und ein zerlumptes Mädchen trat scheu herein.
»Was gibt's?« schnaubte Philipp das Kind an, da er sich ungern in seinen Gedanken gestört sah. »Was soll's? was verlangst Du?« '
»Nichts!« … stotterte das Mädchen erschrocken, und getraute sich nicht, von der Thüre zu weichen: »nichts, aber« …
»Nichts?« erwiederte Philipp, ihr nachäffend.
»Wenn Du nichts kaufen willst, so verlangst Du zu betteln. Dem unverschämten Bettelvolk gebe ich aber die Hetzpeitsche!« – Er machte eine drohende Bewegung, und seine Hunde standen ihm schon fangfertig zur Seite.
»Mein Gott!« jammerte das Mädchen: »ich will ja auch nicht betteln; ich möchte Euch nur fragen, ob ich hier recht sey bei Herrn Philipp Wernher, und ob er daheim?«
»Ich bin es selbst,« versetzte Philipp. »Was willst Du?«
»Ich soll Euch fragen,« fuhr das Mädchen fort: »ob Ihr schon verheirathet seyd?«
»Seltsame Frage!« lachte Wernher. »Noch bin ich unbeweibt, wie die ganze Stadt weiß. Was nun?«
»Dann soll ich Euch diesen Zettel geben,« sprach die kleine Bötin, »und auf Antwort warten.« – Sie reichte ihm einen schmutzigen Streif Papier.
»Ein sauberer Aviso!« rief er verächtlich, und zögerte, das Papier zu nehmen. »Ein Bettelbrief ohne Zweifel. Wer hat ihn geschrieben?«
»Ein junges, schönes Weibchen!« lautete die Antwort.
»So? Gib!« erwiederte Philipp neugierig und ein verliebtes Abenteuer witternd. Hastig riß er das mit Brodteig verklebte Zettelchen auf, las ein Paar Worte und fuhr dann erblassend zusammen. Mit scheelem Blick sah er auf die Ueberbringerin und wies ihr die Thüre.
»Ich gehe schon,« antwortete, das Mädchen, durch seine schlecht verborgene Unruhe kecker gemacht. »Aber welche Antwort soll ich bringen?«
Philipp besann sich eine Weile unschlüssig. »Sage der Schreiberin,« sprach er hierauf: »ich würde kommen … heute noch … wäre es auch am späten Abend.«
»Nur nicht zu spät,« versetzte das Mädchen. »Das Haus wird um acht Uhr geschlossen.«
»Wo wohnt sie?« fragte er hierauf.
»In der Elenden-Herberge!« entgegnete das Kind.
»Wie?« rief Philipp in peinlicher Ueberraschung. »In der Elenden-Herberge?«
»Ja doch!« erwiederte das Mädchen. »Ich diene dort. Das gute Weibchen ist todtmüde diesen Nachmittag daselbst angekommen; aber sie ist so lieb und freundlich, daß sie schon alle im Hause gerne haben. Sie hat mir ihr letztes Geldstück geben wollen, um den Zettel herzutragen. Aber behüte mich Gott, daß ich etwas von ihr angenommen hätte. – Ihr kommt also?«
»Ich komme!« sprach Philipp, verdüstert vor sich hinstarrend. Das Mädchen wollte gehen.
»Halt!« rief er ihr plötzlich zu. »Erkläre mir noch das Eine: Wenn ich nun verheirathet gewesen wäre, was hättest Du dann mit dem Zettel anfangen sollen?«
»Die Fremde hat mir befohlen,« erklärte das Mädchen: »den Zettel in diesem Falle wieder zurückzubringen. Ich muß ihn dann selbst zu sprechen suchen, hat sie seufzend hinzu gesetzt.«
»Gut, gut« … sprach Philipp zerstreut und entließ das Mädchen. Kaum aber hatte sich dieses entfernt, so brach der mühsam verhaltene Sturm aus. Fluchend und tobend rannte Wernher in sein Ladenstüblein, schmetterte die Thüre hinter sich zu, schlug sich wie ein Verzweifelnder vor die Stirn, knirschte mit den Zähnen, und fand erst nach einer geraumen Zeit die Fassung wieder, das Brieflein noch einmal durchzulesen. – »Mein Philipp,« hieß es darin in halb unleserlichen Schriftzügen: »Du hast mich elend gemacht. Aus der Tiefe meines Jammers schreie ich zu Dir. Vom Vater verstoßen, der Schande preisgegeben, irre ich von Stadt zu Stadt, Dein Ebenbild unter dem Herzen. Mit wunden Füßen und verweinten Augen betrete ich Deine Heimath. Philipp! wenn es noch nicht zu spät ist, wenn Du nicht schon gefesselt bist, habe Mitleiden mit mir, die ich vor Gott Dein Weib ward, – mit Deinem Kinde! – Maria.«
»Alle Teufel haben sich gegen mich verschworen, mir die Heimath zur Hölle zu machen!« murmelte Philipp grimmig vor sich hin. »Das Andenken an einen leichtsinnigen buhlerischen Vater, die Furcht vor den Eingriffen eines Bastards quälen mich noch nicht genug! Aus den fernen Niederlanden muß noch eine tolle Schwärmerin sich hierher betteln, um mir die Dornenkrone aufzusetzen … in einem Augenblicke, wo ich im Begriff bin, die schöne und reiche Thurneisen zu ehelichen, durch diese Verbindung in den Rath zu kommen und mein Glück zu machen. Verflucht!«
Er ging einige Augenblicke mit sich selbst zu Rathe und rief dann nach Simon. Der eifrige Geschäftsträger war aber schon ausgegangen, um den Auftrag seines Herrn wegen des Hauskaufs einzuleiten, und sein Heimkommen von dem Negoz nicht so bald zu erwarten, da er seit dem Tode des Rathsherrn die Gewohnheit angenommen hatte, jeden Abend in einer Bier- oder Branntweinschenke sich aufzuheitern und seinem Gewissen einige Stunden des Schlafs zuzutrinken. Zudem dämmerte es bereits, und Philipp mußte sich also entschließen, den Laden zeitiger zu sperren, um die Elenden-Herberge zu besuchen und seine Einladung bei dem Vetter Thurneisen nicht zu versäumen. Er warf sich in ein unscheinbares Wamms, hing sich einen Beutel mit Geld an den Gürtel, zog die Krempen seiner Ladenmütze über Stirn und Ohren, um der Nachbarschaft der Elenden-Herberge unkenntlicher zu seyn, und wanderte, nicht ohne unruhiges Herzklopfen, aus dem Hause.
Der Weg zu der Herberge war ziemlich weit. Er hatte also Muße genug, die Lage zu überdenken, in der er sich befand, und mußte gestehen, zu keiner übler'n Zeit habe er darein versetzt werden können. Indessen hoffte er durch Keckheit und Silberklang alle Hindernisse niederzuschlagen, und schritt immer muthiger durch die Gassen, die von den, am Feierabend heimkehrenden Handwerkern ungemein belebt wurden. So wie er sich aber der Herberge näherte, wurde es einsamer und stiller um ihn her, und unbemerkt von der Nachbarschaft, schlüpfte er in die finstere Hausflur des Bettelwirthshauses. Aus der Gaststube rechts schallte ein wüstes Treiben und Getümmel. Philipp drückte vorsichtig die Thüre auf. Ein dichter Qualm von Gerüchen und Dämpfen aller Art drang ihm entgegen, und er trat in ein langes, finsteres, von einigen an der rußigen Decke hangenden Lampen schlecht erhelltes Gemach. Längs den Wänden hin, an schmutzigen und schmalen Tischen, war eine Menge Gesindel jedes Geschlechts und jedes Alters gelagert. Einige hielten mit verdorbenem Käse und schimmeligem Brode ihre kümmerliche Abendmahlzeit, Andere saßen bei dem sauern Biere, das um Gotteswillen verzapft wurde. Eine Gruppe von Weibern, deren jede den Preis der Häßlichkeit über die andere davon zu tragen schien, verschlangen mit gierigem Heißhunger die dünne Mehlsuppe, die in der Mitte der Stube auf einem großen Herde bereitet wurde, und balgten sich mit ekelhafter Eßlust um den einzigen, mit eiserner Kette an den Tisch befestigten Holzlöffel. Ein Paar abgerissene Handwerksburschen, denen Lüderlichkeit und schwindsüchtiges Fieber aus den verfallenen Augen sah, spielten in einer Ecke mit zerrissenen Karten um ihr Pfennigbrod. In einer andern nagte ein Troß zerlumpter Kinder an einigen halb gar gekochten Kalbsfüßen, während abgemagerte Hunde sich mit ihnen um die Wette um einen weggeworfenen Knochen bissen. Hinter der Thüre reinigten alte Bettelweiber ihre Kinder vom Ungeziefer, zählten krüppelhafte Landstreicher ihre den Tag über gesammelten Almosenkreuzer. Um die Flamme des Herdes, unter dem schwarzen Schlot, der mitten in der Decke angebracht war und die Wirthsstube zur Küche zugleich machte, hanthierten unsaubere Mägde und theilten einem hungrigen Haufen die Abendkost aus. Im tiefen Hintergrund dieser Halle des Elends, vom Rauche des Herdes, wie auch vom nächtlichen Dunkel eingehüllt, breitete sich die große Streue aus, auf der bereits viele Schüler des Jammers ihr kummervolles Tagewerk verträumten, um im Schlummer vielleicht das Glück zu finden, das in der rauhen Wirklichkeit von ihrem Uebermuth verscherzt oder von einem hämischen Geschick tyrannisch ihnen versagt worden war!
Philipp stutzte betroffen bei seinem Eintritt. Menschliches Elend hatte er noch nie im Großen vor sich gesehen, wie heute. Und unter diesen Geschöpfen sollte er Marien finden, das Mädchen, das er einst liebte! Er konnte sich eines sehr bittern Gefühls nicht erwehren, und würde vielleicht wieder unwillkürlich umgekehrt seyn, wäre seine Anwesenheit nicht schon bemerkt worden. Neugierig starrten ihn seine nächsten menschlichen Umgebungen an, denen sein schlechter Kittel vornehm genug vorkam, um dessen Eigenthümer nicht zu den Gästen des Hauses zu zählen, … am Herde schwieg plötzlich das Geplauder der maulfleißigen Mägde, und die Wirthin, mit der Suppenaustheilung inne haltend, sandte ein kreischendes: »wer seyd Ihr? was wollt Ihr?« zu dem Ankömmling herüber. Philipp, die Gebieterin des Hauses nicht verkennend, schritt auf die runde Gestalt los, und ehrfurchtsvoll machten ihm die Bettler Platz, in weitem Kreise sich um ihn dehnend. Mit dem herablassenden Tone, der dem Vornehmern gegen den Niedern so eigen ist, fragte er die Wirthin, wo sich das fremde Weib aus den Niederlanden befinde, das heute angekommen sey und ihn zu sprechen verlangt habe. Bei diesen Worten wurde das ziemlich unfreundliche Gesicht der Herbergsmutter unaussprechlich freundlich. Sie übergab den großen Schöpflöffel, gleich dem Zepter der höchsten Gewalt, der zunächst stehenden Magd, riß dem an der Herdesflamme in gewohnter Trunkenheit entschlafenen Ehegatten auf ziemlich unsanfte Weise das Schlüsselgebund von dem Gürtel, und lud den vornehmen Gast ein, ihr zu folgen. Mit leichterm Herzen that es dieser; denn er hatte gefürchtet, Marien aus einem Winkel des abscheulichen Saales hervorkriechen zu sehen. Als er mit der Frau vom Hause auf die Flur gelangt war, fing seine Führerin an, das Lob der jungen, schönen und armen Frau zu posaunen. »Glaubt es, Herr,« sprach sie und stellte sich breit vor ihn hin: »bei unserer Hanthierung hier in der Armenherberge wird man mit der Zeit hart wie ein Kiesel, denn es kömmt einem gar zu viel schlechtes Pack und lose Waare vor; aber als das Weibchen heute Mittag hereingewankt kam, das Bündelchen unter dem Arm, vor Müdigkeit fast umsank, ihre wunden Füße zeigte, und mit einer hellen, silberreinen Stimme um Menschlichkeit und Barmherzigkeit für das Würmchen, das ihr unter dem Herzen ruhe, bat, … seh't, Herr, da ward mir gleich zu Sinn, als müßte ich ein Uebriges thun, als sey ein Engel in Menschengestalt und tiefem Leiden bei mir eingekehrt. Mein Mann … nun, Ihr habt den Vollzapf am Herd schnarchen gesehen … der ist nur mehr als ein halber Mensch … mein Mann also wollte die arme Wandrerin mit dem Grobzeug da drinnen zusammensperren; ich habe es ihm aber versalzen, meine ich! Nein, Christoph, habe ich gesagt; die Atme ist ehrlicher Leute Kind, das sehe ich gar wohl, und sie soll mir auch so gehalten seyn. – Da ist mir vor einem halben Jahr eine Tochter gestorben – mit achtzehn Jahren, ein braves, liebes Dirnel; Gott hab' sie selig! In deren Zimmer, in ihr Bett habe ich die Fremde gebracht. – Und nun kommt. Sie wird sich freuen. Sie hat mir gesagt, ein Freund ihres verstorbenen Mannes werde sie heute Abend heimsuchen, und der seyd ohne Zweifel Ihr?« – Philipp bejahte, im Innersten beschämt über die Schonung, die, ihm Marie hatte angedeihen lassen. – »Nun denn,« fuhr die geschwätzige Wirthin fort: »so kommt, lieber Herr, und thut für die Arme, was Ihr könnt und müss't. In, diesem Hause kehrt nicht alle Tag ein solcher Engel ein.«
Sie hatten während dieser Rede einige Stufen erstiegen, und die Wirthin öffnete eine Thüre, schob den Philipp hinein und ging bescheiden wieder von dannen. Er stand in einem dürftig eingerichteten Gemache. Ein Tisch, auf dem eine Nachtlampe brannte, ein Stuhl mit zerbrochener Lehne, ein Wandschrank, neben dem ein kleiner Bündel mit Habseligkeiten auf dem Boden lag, und ein ärmliches Lager mit groben Vorhängen – dieses war alles Geräth in der Kammer, die nur durch ein stark vergittertes Fenster bei Tage erhellt wurde. Alles still in der Kammer. Tiefe Athemzüge einer Schlummernden hinter den Vorhängen hörbar. Ein erdrückendes Bewußtseyn klemmte Philipps Herz zusammen … er zog die Vorhänge behutsam auf, und ein blasses, von Schmerz und Leiden abgezehrtes Antlitz, die müden Augen in tiefem Schlummer geschlossen, zeigte sich seinem zagenden Blick. Ja, es war seine Marie, die schöne Maria Verde, Tochter eines Spaniers, des berühmtesten Waffenschmiedes in Antwerpen, des kunsterfahrnen Miguel Verde. Auf diesen Wangen blühte einst der frische Glanz jugendlicher Schönheit … dieser Arm, der hier das matte Haupt unterstützte, hatte ihn einst in seligen Stunden umschlungen … diese blassen Lippen ihm unter glühenden Küssen Gegenliebe gestammelt, den heiligen Eid der Treue geschworen! – Ein banger Seufzer entriß sich der keuchenden Brust des lasterhaften jungen Mannes, und dieser Seufzer weckte die Leidende. Mit halb geöffneten Augen starrte sie den Besuchenden an … doch bald röthete sich ihre Wange in der Freude der Ueberraschung, und heller glänzten ihre Blicke. Himmlisches Lächeln umstrahlte ihren Mund, und leise, aber wie Klang der Harfe, flossen von ihren Lippen die Worte: »Ist's möglich? Du, mein Philipp? Du hast mich erhört? Wohl mir!«
»Guten Abend, Marie!« stammelte, alle Kräfte zusammennehmend, der Verführer.
»Warum so kalt? warum so einsylbig?« klagte Marie mit sanftem Vorwurf. »Zürne mir nicht, mein Lieber. Ich komme freilich unerwartet; allein die Noth zwingt mich dazu. Nicht Mißtrauen in Deine Schwüre hat mich bewogen, aus dem Vaterhause zu gehen, obgleich Du mir, seit Du Antorff verlassen, nicht ein einzig Mal geschrieben; obgleich Du … nicht einmal Abschied von mir genommen.«
»Meine Geschäfte« … versetzte Philipp rauh … »das Drängen der Zeit … es war mir nicht möglich« …
»Kein Wort der Entschuldigung!« fiel Marie ein … »Hat Dich nicht etwa mein Herz schon längst entschuldigt?« …
»Wenn das ist!« pochte Philipp wie oben … »warum diese seltsame Ueberraschung? warum der abenteuerliche Zug von Antorff bis Ulm?«
»Zürne mir nicht,« bat Marie … »sey gelassen, lieber Philipp, und höre mich … Was ich während Deiner Abwesenheit bei uns fürchtete und zu gleicher Zeit in schmerzlichsüßer Ahnung hoffte, es hat sich verwirklicht und wahr befunden.« – Sie erhob sich vom Lager und die Umrisse ihres Körpers ließen keinem Zweifel über ihren sehr weit vorgerückten Zustand Raum.
»Wahr?« fragte Philipp mit Scheu, ob ihn gleich sein Auge überzeugte.
»Glaubst denn,« versetzte Marie, »ich würde Dir je eine Unwahrheit sagen?«
»Weiter!« sprach Philipp ungeduldig.
»Sogleich,« erwiederte Marie demüthig. »Setze Dich aber zu mir, mein guter Philipp. Ich möchte gerne das Lager verlassen und Dich empfangen, wie sich 's gebührt; aber meine armen Füße … sie sind durch das lange Wandern und durch die steinigen Wege so wund und müde, daß ich mich nicht aufrecht halten kann, und dann« … hier lächelte sie schmerzhaft – »dann schäme ich mich auch, in meinem schlechten Gewand vor Dich zu treten.«
Sie seufzte. Philipp schwieg finster.
»Du erinnerst Dich wohl noch,« fuhr sie heiterer fort, »des grauen wollenen Kleides mit den breiten Sammetstreifen an Saum und Aermeln? Du sahst mich so gerne darinnen, und weil ich Dich in diesem Kleide zuerst gesehen, und weil … ich in diesem Kleide« … hier stockte sie verschämt … »die Deine … Dein Weib, wie Du es nanntest … geworden war, so hatte ich es gar zu lieb und trug es beständig bei Deiner schnellen Abreise, zum Andenken an Dich. Es kam mir auch mit seinen weiten Falten wohl zu statten, um dem Vater und der Mutter zu verbergen, was sie nicht ahnen sollten, bis Du, nach unserer Abrede, schriftlich um mich angehalten haben würdest. Doch Dein Schreiben blieb aus … ist vielleicht unterwegs verloren gegangen … tausendmal hatte ich mir vorgenommen, mich der Mutter zu entdecken; die Scham verschloß mir den Mund. O, hätte ich doch geredet! Mütterchen hatte mich zu lieb, hätte den Sturm von mir gewendet.« – Marie trocknete sich eine Thräne und sprach dann mit gepreßter Stimme weiter: »Nach langem Zögern hatte ich es endlich verzögert; denn die Mutter starb plötzlich an einer Erkältung, und ich war mir und der Gnade meines rauhen, ehrliebenden Vaters überlassen, der seit dem Tode meiner Mutter noch mürrischer denn zuvor geworden war. Endlich … und endlich musste ich alles gestehen, und sieh nun … Philipp … – Thränen erstickten ihre Worte – in diesem grauen Kleidchen legte ich das Bekenntniß ab, … und in diesem Kleide ward ich aus dem Vaterhause gejagt!«
Ein Dolch durchbohrte Philipps Herz; Marie fuhr fort:
»Der Vater kannte sich nicht mehr und konnte mir's nicht vergeben. Hinaus aus meinem Hause, schrie er, Buhlerin eines verfluchten Lutheraners! hinaus und lasse Dich nimmer sehen vor mir! – Ich floh in dunkler Nacht von Antwerpen. Ich schämte mich, mich vor den Anverwandten der Mutter sehen zu lassen; ich war in Verzweiflung und wollte mich in's Wasser stürzen. Aber ein Blick auf mein graues Kleidchen gab mir neuen Muth. Philipp hat Dich ja lieb, dachte ich, und dieses Kleid sah er besonders gern an Dir. Wenn Du nun zu ihm pilgerst und in diesem Gewande vor ihn trittst, so wird er noch um ein's so gerne seine Schwüre erfüllen. Gesagt, gethan. Ich lief gerade aus und fragte nur nach Ulm. Eine Schnur Perlen, die ich um den Hals trug, fristete mein Leben. Ein menschenfreundlicher Jude kaufte sie mir in Cöln ab und gab mir eine Hand voll Silbermünze dafür. Gewiß waren die Perlen nicht so viel werth. Ich bete auch noch immer für den braven Mann. Sein Geld hielt aber nicht lange an. Es wurde mir in einem Nachtlager, noch weit von hier, ein Theil davon gestohlen; dann bekam ich auch das Fieber und mußte einige Tage in einem Städtchen bleiben; da ging nun vollends meine Baarschaft d'rauf. Wegen der süßen Bürde, die ich trage, konnte ich ohnehin nur kleine Tagreisen machen und brauchte also Geld. Aber woher es nehmen? Ich war in großer Noth; jedoch: Gott hilft dem,. der ihm vertraut! Meine Wirthin sagte mir, die Gräfin vom nahen Schlosse habe mein blondes Haar gelobt und gewünscht es zu haben, um sich, da das ihrige grau zu werden anfing, eine Haarhaube davon machen zu lassen, und sie würde sie mir wohl abkaufen, wenn ich mich entschließen könnte, sie zu veräußern. Der Vorschlag schnitt mir in's Herz … aber, ich dachte an Dich, und meine Eitelkeit schwieg. Die Gräfin bot zwei Kronen, für mein Haar. Kann ich damit bis Ulm gelangen? fragte ich, und auf die bejahende Antwort schlug ich ohne Bedenken ein. Siehst Du, Philipp, lächelte sie unter Thränen, indem sie das verhüllende Kopftuch ein wenig lüftete – mein schönes, blondes Haar, das Du so oft belobtest, bringe ich nicht mit. Und mein armes graues Kleidchen – ich hatte nicht auf den weiten Weg gerechnet – ist auch völlig unscheinbar geworden. Die Sonne hat die Farbe ausgebrannt, Regen und Schnee das Zeug durchnäßt, Dornengesträuche die Sammetstreifen vom Saume gerissen; aber ich dachte immer: Mein Philipp hat mich lieb; ich bringe ihm ein Herz ohne Falsch, eine Vaterfreude mit … die Haare werden wachsen, und somit wird das abgetragene Kleidchen wohl übersehen.«
»Gutes Geschöpf!« stotterte Philipp verlegen, denn die Rührung drohte ihn zu übermannen.
»Komm' zu mir« … sprach Marie weiter und zog ihn bei der Hand näher. »Lasse mich Deine Hand halten und mich dadurch überzeugen, daß ich wieder unter Deinem Schutze stehe. Ich habe mich oft gefürchtet auf meiner Reise. Wenige Stunden von hier hatte ich großen Schreck. Ich wandere durch ein befestigtes Städtlein, und durch Zufall geht mir die Kopfbinde los und mein geschor'ner Kopf wird sichtbar. Die Gassenjungen bemerken es und versammeln sich um mich. Man höhnt mich aus, und endlich führte man mich, die ich von Allem nichts begreife, vor den Befehlshaber der Veste, einen schönen Mann, dem aber ein finsterer Trübsinn aus den Augen sieht. Da erfuhr ich nun erst, daß man mich für ein fahrendes Weib gehalten habe, die an einem andern Orte durch Abscheerung der Haare gestraft worden sey. – Der Obriste fragte mich nach meinem Thun und Lassen. – Nun hatte ich freilich auf der ganzen Reise mich für die Frau eines spanischen Offiziers ausgegeben, die zu ihrem Manne nach Wien reise, wobei mir auch mein Spanisch gut zu statten gekommen; allein da man der Obrigkeit, wie dem lieben Gott die reine Wahrheit schuldig ist, so sagte ich dem Herrn aufrichtig, wie mein Schicksal stehe, jedoch mit Hinweglassung Deines Namens. Dem guten Manne standen die Thränen in den Augen, als ich aufhörte, und er sagte: »Bei Gottes Blut! ich muß Euere Beharrlichkeit rühmen. Zieht im Frieden; denn Euch ist zu glauben, und Gott lasse Euch den Liebsten Euerer würdig finden.« – Ich küßte ihm die Hand und ging. Sein Diener wollte mir etwas Geld nachbringen; allein ich nahm's nicht an. Ich hatte ja noch eine Krone in der Tasche, Ulm vor mir und Dein Bild im Herzen!«
»Seltenes Vertrauen!« murmelte Philipp zwischen den Zähnen, während wüste Pläne in seinem Gehirne durch einander gingen. »Und fürchtetest Du denn nie, der Obrist möchte wahr geredet und ich mich gegen Dich verändert haben?«
»Niemals, lieber Philipp,« versetzte Marie und sandte einen himmlischen Blick in sein Auge … »niemals.«
»Dein Brieflein schien jedoch zu verrathen, als ob« … sprach Philipp hämisch lauernd.
»Ach, vergieb!« erwiederte Marie eifrig. »Ein Mißverständniß hatte mich ängstlich gemacht. Als ich die letzte Viertelstunde von hier müde und matt einher wankte, gesellte sich ein Weiblein zu mir, die ein Bündel mit Kräutern trug. Sie fing mit mir zu plaudern an, und ich erzählte ihr mein gewöhnliches Mährlein, behauptete aber einige Freunde in Ulm zu haben, und erkundigte mich bei der Gelegenheit nach Deiner Wohnung und Deinen Umständen. Da lächelte die Alte spöttisch und sagte … Du mußt es aber nicht übel nehmen … sie sagte: Die Umstände wären wohl gut, wäre nur das Herz besser. Frauchen, setzte sie hinzu, einen zweideutigen Blick auf mich werfend: wenn Ihr mit dem Manne Geschäfte habt, so wäre es vielleicht besser gewesen, wenn Ihr einige Monate früher eingetroffen wär't, oder ein Paar Monden später; da käm't Ihr gerade recht zur Hochzeit. Der Herr gedenkt zu heirathen. – Wen? fragte ich erschrocken. – Eine Rathsherrntochter, war die Antwort. Der Name ist mir entfallen, und die Alte schlug auch sogleich, mir eine glückliche Reise wünschend, einen Seitenweg ein und verschwand hinter Hecken. Das ist der Vorfall, der mich mißtrauisch machte; daher mein unbescheidener Brief. Aber ich bat Dir mein Unrecht sogleich herzlich ab, als ich von dem Dienstmädchen die Wahrheit erfuhr, und daß Du kommen würdest. Habe Dank, daß Du Dich nicht geschämt hast, in meine schlechte Behausung zu kommen. Und ich wohne noch hier gleich einer Fürstin, gegen die Andern gerechnet. Ach, mein Philipp! ich habe gar oft in solchen Herbergen mein Nachtlager nehmen müssen, da sich andere Leute scheuten, mich aufzunehmen; ich habe gar oft mein hartes Brod unter bittern Thränen verzehrt, bin gar oft auf dürrem Stroh unter bittern Thränen entschlummert, aber – ich bin wieder bei Dir, und jedes Leiden ist vergessen!«
Sie küßte ihm schmeichelnd die Hand. Der Unwürdige begann aber langsam, um den Eindruck zu berechnen, den die Wahrheit auf die Dulderin machen würde: »Wie aber, wenn die Alte wahr geredet, wenn ich mich wirklich verlobt hätte?« Bebend staunte ihn Marie an, umklammerte seine Rechte mit beiden Händen und sprach dann, kaum vernehmlich: »Philipp! das … das wäre entsetzlich!«. – Die Furcht, einen Auftritt des Jammers herbeizuführen, hielt des Treulosen Geständniß noch auf. Er bemühte sich, launig zu scheinen, und sprach: »Du bist gerade zu rechter Zeit gekommen; denn seit fünf Monden vergebens eine Antwort auf meinen Werbebrief, den ich an Deinen Vater sandte, erwartend, hatte ich mich entschlossen, meiner Sippschaft nachzugeben, die mich mit einer Rathsherrntochter zu vermählen wünscht.«
Marie starrte ihm erwartungsvoll in's Auge.
»Nun ist es freilich anders,« fuhr der Betrüger fort »Ich bleibe meinen Eiden getreu und fordere von Deiner Liebe nur eine Gefälligkeit.«
»Welche?« … fragte Marie lebhaft und bereitwillig … »ich gehorche Dir unbedingt.
»Gönne mir nur einige Tage Zeit,« sprach Philipp weiter, »bis ich meinen Verwandten, die die Förmlichkeit gar sehr lieben, Deine Ankunft und meinen Entschluß glimpflich mitgetheilt. Ich bin zwar mein eigener Herr, und werde immer thun, was mir beliebt; allein Du begreifst: ich bin den Meinen Rücksicht schuldig. Nur wenige Tage also verweile hier im Stillen und verborgen, und ich führe Dich dann aus dieser Höhle in ein Deiner würdiges Loos.«
»So dachte ich Dich mir, mein Philipp« … versetzte Marie, mit gläubigem Vertrauen zu ihm aufblickend, und legte ihr Haupt an seine Brust. »Um Dir zu folgen, habe ich Alles verlassen. Du wirst es ja wohl machen mit Deinem Kinde.«
»Du gewährst?« fragte Philipp freudig.
»Du fragst noch?« lächelte ihm Marie in seligem Ausdruck zu: »Dein Wunsch ist mir Gesetz. Aber eine Bitte, guter Philipp, habe ich.«
»Welche?« sprach er so sanft als möglich.
»Sieh', hier in diesem Hause ist's so öd' und unheimlich. Könntest Du mich nicht im Stillen, in der Nacht, wann und wie Du willst, in eine andere Herberge bringen lassen, bis …?«
»Das geht nicht!« versetzte er scharf und bestimmt … »kann nicht seyn.«
»Zürne nicht!« erwiederte sie demüthig: »Du mußt das besser wissen. Mir ziemt Gehorsam. Aber Du besuchst mich doch Abends auf ein halbes Stündchen? Am Tage muthe ich Dir's nicht zu. Ein vornehmer Mann, wie Du, schämt sich solche Häuser zu betreten … ich hätte auch niemals geglaubt, daß ich … doch genug! es ist ja Alles nun vorbei. Also des Abends? nicht wahr, Du schenkst mir ein halbes Stündchen? Ich freue mich dann wieder vier und zwanzig Stunden auf das kleine halbe Stündchen Deines Besuchs. Nicht wahr, mein Philipp?«
»Ja, Marie, ich werde kommen!« sprach der Schuldbewußte, und drückte einen Judaskuß auf ihre Wange, auf ihren Mund. »Ich muß jetzt heim, um keinen Verdacht im Hause zu erregen. Schlafe sanft und, süß, träume von mir und dem kleinen Knaben in Deinem Schooße. Träume recht süß und vertraue auf mich.«
»Wie auf Gottes Wort!« flüsterte sie unter dem Abschiedskusse. »Gute Nacht, Du lieber! Du guter Mann!«
Philipp eilte, ihren umstrickenden Armen zu entrinnen, unter nochmaligen Betheuerungen hinweg. Marie hob dankbar die Hände gen Himmel, betete aus vollem, frommem Herzen, und entschlief bald unter dem leisen Flügelschlage ihres Schutzengels. Sie träumte sich glücklich, die arme Getäuschte!