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Wilhelm Fischer in Graz

Neben den Wortführern und den stärkeren Gestaltern jeder neuen literarischen und künstlerischen Epoche wachsen immer wieder Dichter auf, die ganz in der Stille und sozusagen nicht nur abseits der großen literarischen Schauplätze, sondern selbst abseits der literarischen Bewegungen sich vollenden. Solche Naturen gab und gibt es immer und überall. Der äußere Entwickelungsgang ist bei den minder Glücklichen gewöhnlich der, daß sie zu Lebzeiten völlig übersehn und erst nach ihrem Tode richtig erkannt werden; die Jahrhundertausstellung deutscher Kunst hat auf anderem Gebiet eine Reihe solcher Künstler gezeigt (neben einigen »heimlichen Kaisern«), deren Einfluß auf ihre Umwelt und Nachwelt man erst bei solchem Anlaß erkannte. Glücklichere Naturen erleben schon bei Lebzeiten ein gewisses Durchdringen. Sie machen ja keinen Lärm und werden infolgedessen auch niemals mit Getöse auf den Schild erhoben, aber es stellt sich plötzlich heraus, daß, wie der landläufige Ausdruck lautet, eine kleine Gemeinde existiert, die gerade diesen Künstler kennt und liebt und ihm allmählich auch Beachtung in weitere Ferne hin erobert. Zu diesen Dichtern gehören etwa Hans Hoffmann und Timm Kröger, und zu ihnen tritt auch ein Steiermärker, also ein Landsmann Roseggers, Wilhelm Fischer aus Tschakaturn, der sich jetzt nach seiner gegenwärtigen Heimat Wilhelm Fischer in Graz nennt.

Wilhelm Fischer hat das sechzigste Lebensjahr überschritten, aber, wie Männer seiner Art oft, erst verhältnismäßig spät seine ersten Bücher herausgegeben. In den ältesten, wie in den Erzählungen, die er unter dem Titel »Die Mediceer und andere 161 Novellen« (1894) zusammengefaßt hat, ist er noch kein Meister eignen Tons. Er erzählt da in der jetzt so häufigen Art der Renaissancedarstellung, ohne doch irgend in die Tiefe dringen zu können. Seine Gestalten haben noch keine Rundung. Er selbst hat weder den Medici noch seinen Gegenpart Savonarola von allen Seiten gesehen und kann uns deshalb auch nur ein in vielem feines, aber nur flächenhaftes Bild seiner Menschen geben. Wenn er ohne historische Handhabe, ganz folgsam seiner Phantasie, unter alten Himmel zieht, (»Unter altem Himmel« 1891) wird er schon lebendiger und vor allem knapper. Nur weiß er für die von ihm behandelten Stoffe nicht immer unser volles Interesse wachzurufen. Und wie er selbst in solchen Geschichten eine gewisse Kühle behält, so werden auch wir nicht warm, wenn er etwa im »Schicksalsweg« von dem jungen Edelhart und seiner Mutter Trosthilde erzählt, die nach schweren Schickungen Frieden in dem Augenblick finden, da sie ein tragisches Erlebnis für immer auseinander reißt. Anderes, wie »Der König im Bade« ist leibhafter, blutvoller geworden.

Man kann nicht sagen, daß diese Erzählungen einen besonders starken heimatlichen Einschlag hätten. Vielleicht mußte erst dieser kommen, um den Dichter ganz er selber werden zu lassen und ihn in seinem Schaffen auf die Höhe zu führen, auf der er jetzt steht. Die »Grazer Novellen« Alle Schriften Fischers sind bei Georg Müller in München erschienen., die Wilhelm Fischer im Jahre 1898 zuerst hat ans Licht treten lassen, sind Gebilde ganz andrer Art als jene früheren Geschichten. Es sind vier Novellen aus verschiedenen Zeiten, die älteste aus der der Minnesänger, die jüngste aus der Gegenwart. Jede ist in ihrer Art vollendet, hinerzählt, wie man wohl selbst mündlich eine Tradition weitergibt, und dabei doch mit bewußter Kunst in sich zusammen gefaßt. Eine Reihe reizender Frauengestalten lebt hier, und in der letzten, »Frühlingsleid«, tritt ein ganz aus dem Herzen geschöpftes Kind auf, wie es 162 in einem jüngern Buche Fischers, »Lebensmorgen« (1906) öfters wiederkehrt.

Es ist mit allem Mühen nichts gewonnen,
Wenn du nicht Frieden schöpfst aus Gottes Bronnen –

das ist so eines der Grundmotive, die in diesen Novellen immer wieder emporquellen. »Dichterfreuden? – In blumengeschmücktem Kahn auf der Traumflut gleiten –« das gibt wohl Fischers Ideal, seinen Begriff von höchster Kunst wieder, und auch das wird zuerst in den Grazer Novellen empfunden. Beide Sprüche stammen aus der Aphorismensammlung »Sonne und Wolke« (1907), die der Dichter dann hat erscheinen lassen und die noch manch feine Weisheit neben manchem birgt, das man freilich lieber ausgemerzt sähe, weil es zu wenig Eigenart aufweist.

Wie äußert sich nun der heimatliche Zug in diesem Novellenbuch? Nicht in realistischer Darstellung von Grazer Stadtbildern, sondern mehr in einem gewissen Hauch steirischen Lebens, der alle Dinge umfließt. Man empfindet auch als Fremder den Reiz, den diese Stadt bieten muß, wieder heraus, ohne daß uns von ihm geschwärmt würde. Der Sommerhauch, den südliche Städte oft haben und in dem sie für uns immer wieder daliegen, wenn wir an sie denken, vergoldet auch diese Grazer Novellen. Er hat nicht die betörende Macht, die Fischers großer Landsmann Grillparzer in einem berühmten Epigramm Wiens Atmosphäre zuschrieb, sondern er umhüllt die Enge der kleineren Stadt und die Größe der sie umgebenden Natur mit einem farbigen Mantel dämmernder Schönheit. Und dieses feine Gespinst liegt auch um die Geschehnisse und um die Menschen in Fischers umfänglichster und bedeutendster Schöpfung, dem Roman »Die Freude am Licht« (1902). Was in ihm vorgeht, das ist besonders gegen den Schluß hin durchaus romanhaft, im üblichen, um nicht zu sagen im übeln Sinn, aber man kommt gar nicht dazu, solche mehr äußerliche Erwägungen anzustellen, weil alles getaucht ist in die Freude am 163 Licht, die aus dem Herzen des Dichters stammt, die von dem Helden des Buches ausstrahlt und so das Ganze in die Höhe hebt. Jeder Traum bringt sie wieder und es ist ein besonderer Reiz des Buches, wie diese lichtvollen und dabei doch von Geheimnissen erfüllten Träume das Leben des Helden einer farbigen Kette gleich durchschlingen. Wenn es etwa romanhaft erscheint, daß Zeno Paltram im Schloß seiner ihm unbekannten mütterlichen Ahnen das Zimmer seines ihm gleichfalls fremden Vaters, Jahrzehnte nach diesem, bewohnt, so bringt die Bewegung des Herzens, die in all diesen Geschehnissen das eigentliche Erlebnis ist, über ein solches etwa auftauchendes Mißgefühl sofort hinweg. »In geheimnisvoller Wandlung«, heißt es da einmal, »erscheint das Nachbild manchmal als Vorbild«; und ohne mystisch zu werden, lebt solche Art der Gestaltung, die nur mit feinsten Konturen arbeitet, in diesem Buch. Es ist nicht so knapp wie die »Grazer Novellen«, aber es führt künstlerisch noch weiter, ist in der Zahl der guten Entwicklungsromane, die wir Deutschen seit zwanzig Jahren in ununterbrochener Folge erhalten haben, ein besondres Werk und gibt die Gewißheit, daß der feine Künstler, der es schuf, sein letztes Wort noch nicht gesagt hat. Wilhelm Fischer ist innerlich reicher geworden, indem er den Kreis des äußern Lebens seiner Erzählungen enger zog. Er findet uns auf diesen Pfaden als um so gläubigere Weggenossen, und wir folgen ihm gern, wenn er einen neuen Schleier fortzieht und uns, wie wir hoffen, neue Ziele seiner Wanderungen weist. Seine Freude am Licht ist auch unsre. 164

 


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