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Die kurze Strecke von dem Hause der Generalin Unter den Linden bis nach dem Kaiserhof war in kürzerer Zeit zurückgelegt, als ich brauchte, um mich nur einigermaßen wieder zu fassen. Mußte ich doch alle Kraft zusammenraffen, den Leuten im Hotel meine Bewegung nicht zu zeigen. Meine Mutter schritt, nachdem sie dem Portier einige Befehle erteilt, vor mir durch den Vorraum und dann die breite, teppichbelegte Treppe hinan. Ich hatte sie nie auf einer anderen Treppe gesehen, als auf der engen mit den siebzehn knarrenden Stufen des alten Hauses in der Hafengasse und dann unweigerlich in ihrem schwarzen klösterlichen Kostüm; und ich wunderte mich, ob die schlanke elegante Dame im pelzbesetzten, dunkelblauen Samtpaletot und Straußenfederhut, die sich nun plötzlich wandte, und mit anmutigem Lächeln die kleine Hand in perlgrauem Handschuh in meinen Arm legte, wirklich meine Mutter sei. Aber mir war ja heute abend bereits ein nicht geringeres Wunder begegnet!
Wir waren in ihrem Zimmer angelangt – einem prächtigen Salon, in welchem auf den Tischen und von Wandkandelabern viele Lichter brannten und in dem großen Kamin ein helles Feuer flackerte. Der begleitende Kellner hatte mir; eine Kammerjungfer, welche bereits im Salon gewartet hatte, meiner Mutter die Sachen abgenommen. Meine Mutter fragte, ob ich bereits zur Nacht gegessen habe? Ich verneinte es, aber ich habe auch keinen Hunger. Nur um ein Glas Wein bat ich, denn die Kniee zitterten mir, und ich sank halb ohnmächtig in einen der Fauteuils vor dem Kamin, wohin mich meine Mutter geführt hatte. Sie mußte mir meinen Zustand angesehen haben, brachte mir Eau de Cologne und Riechsalz und schenkte mir selbst von dem Wein ein, in ängstlicher Sorge, trotzdem ich sie der Wahrheit gemäß versichern konnte, daß ich die kleine Schwäche völlig überwunden habe und mich durchaus wohl fühle.
Auch die Kammerjungfer hatte sich zurückgezogen, wir waren allein. Meine Mutter saß in geringer Entfernung in einem zweiten Fauteuil mir gegenüber und streckte die Spitzen ihrer seinen Stiefelchen eine nach der andern dem Feuer zu, an das sie auch von Zeit zu Zeit die weißen Hände hielt, das Gesicht halb von mir abgewandt, als wollte sie mir Muße gönnen, wieder ganz zu mir zu kommen und mich an ihren Anblick zu gewöhnen.
Ich habe früher einmal gesagt, daß dem Knaben seine Mutter als das Ideal weiblicher Schönheit erschienen sei; und während ich so die scheuen Blicke auf sie wandte, wie sie, in einer graziösen Stellung vornübergebeugt, dasaß, mußte der Mann den Eindruck, welchen der Knabe gehabt hatte, einfach bestätigen. Die Zeit schien über etwas so Vollkommenes keine Macht gehabt zu haben, wie über ein griechisch Götterbild, mit dem sie in dem Adel und der Reinheit der klassisch zarten Linien des für mich nur um ein weniges überschnittenen Profils und dem herrlichen Schwung der wundervollen Körperformen, wie sie sich jetzt in der Silhouette scharf von dem lichten Hintergrunde abhoben, getrost wetteifern konnte. Selbst die paar Silberfäden, welche ich früher doch bemerkt hatte, schienen aus dem dunkelglänzenden Haar verschwunden, das jetzt allerdings modisch frisiert war, aber in einer besonderen Weise, wie denn alles an ihr nach der feinsten Mode und doch besonders war, ihrer Eigentümlichkeit angepaßt und ihre Schönheit erhöhend. Zugleich bemerkte ich auch jetzt ihre große Aehnlichkeit mit jenem Porträt in der Nonnendorfer Galerie – dem jungen Jägersmann, der ihr Vater gewesen, und dem wiederum ich so ähnlich sein sollte. Die schmeichelhafte Konsequenz daraus für mich zog ich aber wahrlich nicht; ich dachte gar nicht an mich; ich war ganz in ihrem Anblick versunken, während doch zugleich tausend wirre Gedanken und Bilder durch mein Gehirn jagten, wie einem Träumenden.
Ich mochte unwillkürlich meine Schläfe berührt haben.
Ist Dir auch wirklich wohl? fragte sie teilnehmend.
Ich bejahte es. Sie hatte sich erhoben und war vor mich hingetreten, mich sinnend betrachtend. Dann strich sie mir das Haar aus der Stirn, auf die sie einen Kuß hauchte, ging zu ihrem Fauteuil zurück und sagte, sich wieder setzend, aber ohne mich anzublicken:
Ich frage nicht, ob es Dich freut, mich hier zu sehen. Für die Empfindungen, die uns in diesem Augenblicke erfüllen, wäre es ein banaler Ausdruck und kein zutreffender, wenigstens nicht für Dich. Deine Freude kann nicht ungemischt und ungetrübt sein.
Ist sie es denn für Dich, Mutter?
Ich möchte sagen: ja! erwiderte sie. Denn die Wonne, Dich wieder zu sehen, zu haben, ist so groß, daß alles andere, was sich zudrängen will, dagegen klein und nichtig erscheint, als etwas, das, wie es nicht hätte sein sollen, nicht gewesen ist. Es wird schon wiederkommen, – ich weiß es – vielleicht schon in der nächsten Minute. Diese eine Minute ungetrübter Wonne mußt Du mir gönnen.
Sie blickte starr vor sich hin, ich konnte mein Herz nicht länger bändigen.
Mutter, Mutter rief ich, zu ihren Füßen stürzend, was machst Du aus mir? Ich wollte Dir zürnen und kann es nicht, wie man nicht in die Sonne sehen kann, wenn man auch will. Und hättest Du mir noch tausendmal mehr Leid zugefügt, dies macht alles wieder gut – diese Minute! Laß auch mich ihre Wonne auskosten bis zum tiefsten Grunde! Sieh, für eine solche Minute hätte ich als Knabe mein Herzblut freudig dahingegeben Tropfen um Tropfen. Ich habe Dich ja so grenzenlos geliebt und wohl nie mehr, als wenn Du mein junges Herz am tiefsten betrübt. Und als Du mich gar verlassen hattest und mich am bittersten gekränkt, und ich mich von Dir verstoßen glauben mußte auf immer, habe ich Dich doch weiter geliebt und mich in der Erinnerung Deiner Schönheit und Holdseligkeit berauscht, wie in der eines lieblichen Traumes; und habe Dein Bild heilig gehalten – hier, hier auf meinem Herzen hat es geruht all diese Jahre. Da hast Du es wieder! Ich brauche es jetzt nicht mehr!
Und in dem Sturm meiner Leidenschaft hatte ich meine Kleider aufgerissen, das Medaillon abgerissen, das ich stets an einem Bande am Halse trug, und ihr in die Hand gedrückt, während mein Haupt auf ihre Kniee sank, und mein Körper in konvulsivischem Schluchzen erzitterte.
Sie ließ mich so ein Weilchen. Dann richtete sie meinen Kopf, ihn in beide Hände nehmend, empor, drückte mir Kuß um Kuß auf Lippen, Stirn und Augen, schob mich auf Armeslänge von sich, mich mit strahlenden Augen zu betrachten, während die feinen Nasenflügel in triumphierender Lust bebten; preßte mich wieder an ihren Busen und begann, mich loslassend, meine Kleider zu ordnen mit weiblicher Geschicklichkeit, mütterlich und doch mit zierlicher Sorgfalt, wie ein Mädchen, das den Geliebten zu einem Fest herausputzt. Ich ließ es ruhig geschehen; es dünkte mich so süß. War es doch meines Gedenkens das erste Mal, daß diese schlanken weißen Hände sich um mich mühten!
Dann saß ich ihr abermals gegenüber. Und nun, da der Sturm der Leidenschaft sich gelegt, wollte es doch wie ein befangenes Schweigen über uns kommen. Die Mutter hatte das Medaillon betrachtet; jetzt schloß sie es wieder, legte es neben sich auf ein Tischchen und sagte:
Du darfst es nicht mehr tragen. Ich könnte es nicht an Deinem Halse wissen, ohne an die fürchterliche Stunde gemahnt zu werden, da ich es von ihm zurückforderte, immer noch hoffend, er werde es nicht über das Herz bringen, von dem Bilde zu lassen und von mir, und er von beiden ließ, ohne mit der Wimper zu zucken.
Es war ein anderer Ton, in welchem sie das gesagt hatte, und ihre Züge hatten einen anderen Ausdruck angenommen, der mir weh that.
Mutter, bat ich, laß das! Laß das Vergangene vergangen sein! Du sagtest vorhin: das andere wird sich zudrängen. Wie sollte es nicht, wenn Du selbst es heraufbeschwörst?
Es ist doch nicht abzuweisen; erwiderte sie. Wir müssen abrechnen zwischen uns und ihm. Und wäre es nicht mein Traum aller dieser Jahre gewesen und – ich will es und muß es gestehen – die Absicht, die mich hierher geführt hat, nun, da der Augenblick gekommen ist, das heiß Ersehnte endlich ins Werk zu setzen – jetzt müßte ich es thun. Du sollst mein Werkzeug sein; mein Genoß in der Rache, wie Du es im Leide gewesen bist. Das Leid, das er über uns verhängt, haben wir jeder für sich tragen müssen; die Rache soll uns beisammen finden.
Mutter, rief ich entsetzt, was hast Du vor?
Das, erwiderte sie, was ich schon vor fünf Jahren versucht haben würde, als ich erfuhr, daß Du Kraft und Mut genug besaßest, Dich aus seinen Schlingen zu befreien, ob er Dich gleich so gern gehalten hätte. Aber Du warst verschwunden und bliebst verschwunden, trotzdem die Gräfin Gernrode unter der Hand die sorgfältigsten Recherchen nach Dir anstellte. Du wirst die alte Dame nicht beachtet haben. Sie war vom ersten Augenblick an bis zum letzten meine wahre und auch einzige Freundin am Hofe; ich durfte von Amerika aus mich vertrauensvoll an ihre Güte wenden. So erfuhr ich von ihr alles, was da vorging und zumal Dich betraf; sie hat oft auf dem Punkt gestanden, sich Dir als Freundin Deiner Mutter zu entdecken; aber sie fürchtete und mußte fürchten, daß sie sich damit Dir nicht empfehlen würde; auch glaubte sie Dich anfangs unlösbar in den Banden des Herzogs; hernach, bei der Plötzlichkeit Deines Bruches mit ihm, war es zu spät, das Versäumte nachzuholen. Du bliebst also verschwunden, bis er – er selbst – mir Deinen Aufenthalt hier entdeckte. Er wußte auch, wie Du inzwischen gelebt – aus den Berichten jenes Schurken Weißfisch, dem Du wohl selbst einiges aus jener Episode Deiner Schauspielerexistenz mitgeteilt, und der anderes von einem gewissen Lamarque, wenn ich nicht irre, in Erfahrung gebracht hatte. Weiter: die großmütige Entsagung, mit der Du Dich ganz Deinem Bruder Otto geopfert, und wie Du dann in das intime Verhältnis mit dem Oberst Vogtriz gekommen warst. Er schrieb mir aber dies alles, um mir ans Herz zu legen, was ich an Dir verloren; um, wie er sich ausdrückte, Dir meine Liebe zu erobern, die Du in so hohem Maße verdientest: Und dies alles zu welchem Zweck? Lothar, ahnst Du es nicht? – die Herzogin kämpfte seit Wochen mit dem Tode – ahnst Du es nicht?
Meine Augen hingen starr an ihr: Mein Gott, war das die holdselige Frau, die liebeheischende, Liebe schier im Uebermaß spendende Mutter? sie, die mit unter dem Busen dicht verschränkten Armen, in ihren Fauteuil zurückgelehnt, die dunklen Brauen fast zusammengezogen über den blitzenden Augen, mich ihrerseits anstarrte – schön, hinreißend schön noch immer, aber jetzt mit der tödlichen Schönheit der Meduse?
Ja, ja, rief ich; aber das kann nicht sein. Eben der Mensch, der Weißfisch, hat mir erzählt, daß Dir der Herzog schon damals den Antrag machte; alles aufbot, Dich zu bestimmen, Du selbst möchtest mich ihm zuführen, ihm nur noch einmal die Gunst gewähren, Dich zu sehen. Und Du hast es von Dir gewiesen, und ich habe Dir, als ich es – erst jetzt und wiederum aus dem Munde des Weißfisch – erfuhr, dafür tausendmal aus dem Grunde meiner Seele gedankt.
Das eben habe ich gehofft, rief sie. Und nun sind wir einig. Wie hätte ich in jenem Augenblick vor ihn treten können, arm wie zuvor? Etwa, seine Geliebte zu sein, wie zuvor, wenn die Reste meiner Schönheit anders noch groß genug waren, ihn abermals zu fesseln? Auf wie lange? auf Wochen, Monate, Jahre vielleicht, um abermals von ihm verstoßen zu werden, wie zuvor? Nimmermehr! Reich mußte ich erst werden um jeden Preis, so reich, wie ich schon damals hätte sein können und in meiner idyllischen Thorheit nicht sein wollte, damit er von seinem Thron zu der Schäferin auf der Heiden hinabsteigen könnte. Von seinem Thrönchen – pah!
Sie war von dem Fauteuil aufgesprungen und ging, wieder die Arme unter dem Busen verschlungen, in dem weiten Gemache mit großen Schritten auf und nieder, und die lange Schleppe des Atlaskleides rauschte und knisterte hinter ihr her.
Er hätte sich um Katharine Vogtriz-Gilmore schon damals von seiner Herzogin scheiden lassen – der Adel der Vogtriz ist so alt wie der seine und so edel wie der seine, und die Vorfahren der Gilmores, die mit den Puritaner-Vätern nach Pensylvanien gingen, sind Könige gewesen in England vor Wilhelm dem Eroberer – aber mit Kate Frank! der armen jungen Witwe eines fahrenden Komödianten! Ja, das weißt Du nicht, denn das hat er Dir wohl sicher verschwiegen, daß ich mich dem ärmsten Liebsten in San Francisco auf seinem Sterbebette antrauen ließ, denn, was ich wollte, das wollte ich immer ganz; und ich wollte die Gattin des Mannes gewesen sein, der, als der Erste, mein Herz gerührt, und den ich geliebt hatte, so gut ich damals lieben konnte. Und damit ich Dir auch das nur gleich sage und kein Geheimnis vor Dir habe: erinnerst Du Dich jenes Abends, als Herr von Ruver zu Dir kam und Dich zu mir zu locken suchte? Weißt Du, was er wollte? – nicht ich – ich schwöre es Dir! – aber im Interesse der Kirche war ihm auch der Betrug erlaubt: Du solltest als mein Sohn aus jener Ehe gelten, die nur eine Stunde gewährt! Weshalb auch nicht? Du kanntest Deine Abkunft nicht, und der Priester vermaß sich, den Betrug durchzuführen vor jedem Gericht der Welt. Dann wäre auch das letzte Drittel des großväterlichen Erbes in meinen Besitz gekommen, oder – in den der Kirche – gleichviel! An Deinem Widerstande, Dich auch nur in Verhandlung mit dem Priester einzulassen, scheiterte das ganze Projekt. Und als nun Weißfisch dies Bild hier und damit alles entdeckt hatte und Dir mein Geheimnis preiszugeben drohte, blieb mir keine Wahl. Ich mußte Dich vorläufig aufgeben, um wenigstens einen Teil der Erbschaft und mit demselben hoffentlich trotzdem die volle Rache zu retten. Wenn ich dabei den guten Mann, den Du Vater nanntest, bis auf den Tod gekränkt, mich an Dir, meinem Kinde, das ich nicht lieben durfte, ohne die Schmach, die man mir angethan, für gesühnt zu erklären, schwer versündigt habe – ich konnte nicht anders. Ich hatte versucht, mich vor mir selbst zu retten, indem ich mich, die man so tief gedemütigt, nun selbst noch tiefer demütigte bis in den Staub, den ich vordem nicht mit dem Saum meines Kleides gestreift haben würde; bis zur Entsagung von allem, was bis dahin meine Phantasie entzückt, meinen Sinnen geschmeichelt hatte und mir einzig wert erschienen war, das man um seinetwillen lebe; bis zur Abtötung jeder Wallung des Gemütes, ja jeder natürlichen Regung – selbst der Mutterliebe, die sonst der Verderbnis zerrütteter Frauengemüter am längsten widersteht – alles, alles vergebens! Keine Selbsterniedrigung und keine Askese, kein Wüten gegen mein Herz und gegen die Natur konnte mich darüber wegtäuschen, daß die alte Schmach noch immer nicht gerächt sei. Das betete kein Gebet weg; das konnte mir kein Priester im Beichtstuhl abnehmen; das brannte so fort in mir wie höllisch Feuer.
Sie war an den Tisch getreten, auf welchem die Erfrischungen standen, trank gierig von dem Wasser und setzte ihre Wanderung fort. Ich war am Kamin stehen geblieben, sie sorgenvoll beobachtend und doch nicht wagend, mich ihr zu nähern oder sie in ihrer Rede zu unterbrechen, von der ich kaum noch wußte, ob sie dieselbe an mich wandte, oder ob es ein Selbstgespräch sei:
Er hatte mir während der letzten Jahre wiederholt Briefe geschrieben, die ich pünktlich beantwortete, und so war zwischen uns eine Korrespondenz entstanden, welche er sein höchstes Glück nannte. Niemand verstände ihn so wie ich; ich sei ihm Freundin und Tochter zugleich, nachdem ihn die Tochter, die er so sehr geliebt, ruchlos verlassen habe. Dann kam er wieder auf Dich zu sprechen; pries die Zeit, die er mit Dir verlebt, als den Silberblick seines Lebens; klagte, daß ihm alles auf der Welt mißrate: seine politischen Pläne, sein Mühen um seiner Unterthanen Wohl; ihm zum Entgelt dafür nicht einmal geworden sei, dessen sich doch ein ärmster Mann erfreuen dürfe: die Liebe von Weib und Kind, die Liebe zu Weib und Kind. Ich beklagte ihn, ich tröstete ihn, aber ich machte ihm keine Versprechungen, auch nicht für eine mögliche Zukunft; und er wagte keine Bitte, keine Forderung, die sich darauf bezogen hätten. Da vor sechs Wochen – es scheint, daß ihn Weißfisch erst um diese Zeit von Deinem Aufenthalt hier unterrichtet hat – ein Brief: Lothar ist in Berlin! Und vor acht Tagen, ein Telegramm, das mir aber schon nach London nachgesandt werden mußte: der Platz ist frei, der Dir immer gebührte! Willst Du ihn einnehmen?
Ein leises unheimliches Kichern, das halb wie verhaltener Jubel und halb wie ein unterdrücktes Stöhnen klang, und dann:
Willst Du ihn einnehmen? Willst Du die Hand küssen, die Dein Herz zerfleischte? Und als der Tod Euch nicht wollte, Euch auseinander riß – Dich und Dein Kind? – Beim allmächtigen Gott, Herr Herzog: könnten Sie mich zu Ihrer Herzogin machen und alle Schätze der Welt mir zu Füßen legen und mir die ewige Seligkeit verbürgen – ich wollte den Platz nicht! Das nur will ich und das soll meine Rache sein: auf den Knieen sollen Sie vor mir liegen, wie ich einst zu den Ihren mit diesem unserm Sohn; und wenn Sie dann denken, daß ich die Arme breiten werde, Sie an mein Herz zu ziehen – fort will ich Sie stoßen, wie Sie einst mich und mein Kind; und lachen, lachen! – ah; lachen so toll!
Und das schreckliche Kichern von vorhin war zum schrecklicheren Gelächter geworden, einem lauten tollen Gelächter, das nach wenigen Sekunden in eben so lautes fürchterliches Weinen umschlug. Ich war zu ihr geeilt und halb führte, halb trug ich sie, die nun schluchzend an meinem Halse hing, nach einem Sofa, auf das ich sie niederlegte. Aber sie duldete nicht, daß ich nach der Kammerjungfer klingelte: es werde gleich wieder vorüber sein; es sei die Ueberanstrengung der Reise Tag und Nacht; das Uebermaß der Wonne, mich wieder zu haben. Sie sei nicht krank, sie sei auch nicht wahnsinnig, wie ich vielleicht gefürchtet haben möchte.
Ich hatte es in der That gethan. Dies: ihre geplante Rache an dem Herzog, schmeckte doch stark nach Wahnsinn. Und war es kein Wahnsinn und keine wilde Phantasie, war es ein wohlüberlegter Plan, zu dessen Ausführung nur noch meine Einwilligung, mein Beistand zu fehlen schienen – wo blieb dann meine Seligkeit, die Mutter wiedererlangt, zum erstenmal in meinem Leben eine Mutter zu haben, deren wunderbare Schönheit nur einer Furie zur Maske diente?
Und die mich zum Genossen in der wilden That wollte? Der ich vielleicht nur so viel galt, als ihr meine Mithilfe bei der That nötig und wertvoll schien? Und die ich in dem Moment verlieren würde, in welchem ich diese Mithilfe versagte? Ein Glück, wahrlich, so zerronnen, wie gewonnen! Wenn es sich nun mit dem andern, aus dessen Armen ich in dieses hier geeilt war, ebenso verhielt? es auch nur ein Trugbild war? und ich der zwiefache Narr des Glücks?
Es schüttelte mich wie im Fieber. Und wie im Fieber begann ich zu sprechen – neben ihr, der noch immer Hingestreckten, auf dem Rande des Sofas sitzend, ihre kalten schlanken Hände in meinen heißen Händen haltend – wie ein Fieberkranker, der fühlt, wie krank er ist, und den Tod fürchtet und sich mit leuchtenden Farben ausmalt, wie schön das Leben; und was ihm noch alles an Glück und Wonne das Leben gewähren könnte, gewähren würde, so nur der Tod Barmherzigkeit hätte und an ihm vorüberginge.
Wie im Fieber hatte ich begonnen; aber je länger ich sprach, wich das Fieber aus meinen Adern, aus meiner Rede, in der ich meine ganze Seele gab, als stünde ich vor dem ewigen Richter und spräche für meine Seligkeit. Ja, ich konnte nicht selig werden und nicht selig sein, wenn dies geschah: wenn sie, die ich als meine Mutter lieben und heilig halten wollte, nicht hochherzig zu denken, hochherzig zu handeln willens und imstande war. Wenn ich der Rache traurige Lust an ihm sollte büßen helfen, der es so bitter beklagte, als Fürst geboren zu sein und nie zum reinen Genuß des Lebens zu kommen; er, der so viel dazu mitgebracht hatte: so glänzende Gaben des Geistes, so viel wahre Empfindung, eine so helle Begeisterung für das Große und Schöne, und in allem seinem Reichtum darben mußte und sich kümmerlich nähren von den Brosamen des Glücks!
Nein, das durfte nicht sein! Um des Ideals der Menschheit willen nicht, das ich in meiner Brust trug, und das ich jetzt doppelt heilig halten mußte, wo ich in den Riesenkampf für meine Liebe zog, aus dem ich nur heimkehren konnte, wie jene Spartaner: mit dem Schilde oder auf dem Schilde meiner blank bewahrten Ehre, meiner heilig gehaltenen Ueberzeugungen.
Die Begeisterung hatte meiner Rede Adlerschwingen geliehen, für welche es keine Entfernung der Zeit und des Raumes gab; und wie sie jetzt in meine fernste Jugend tauchten oder über dem Park von Nonnendorf schwebten und dem Moment, da ich sie zum erstenmal erblickte, jetzt wieder den anderen umrauschten, welcher die Erfüllung jenes war: den seligen Moment heute abend, als der Traum meines heißen Knabenherzens zur wundersamsten, wonnesamsten Wirklichkeit wurde, die mir doch jetzt wieder wie ein Traum erschien.
Nein, nein! rief meine Mutter, kein Traum! Wonnesamste Wirklichkeit – das ist das Wort! Und zu der ich Dir verhelfen will, verhelfen werde, so wahr ich hoffe, daß Gott mir helfen wird!
Ich weiß nicht, wie wir dahin gekommen, aber, als die Mutter so sprach, saß sie wieder an dem Kamin, und ich lag wieder vor ihr auf den Knieen, schwärmend zu ihr aufblickend, die mir wieder das Haar aus der glühenden Stirn strich und, ihr holdes Gesicht zu meinem herabbeugend, lächelnd leise sprach:
Siehst Du, mein Junge, ich könnte jetzt wohl eifersüchtig sein und glauben, daß die Liebeserklärung, die Du mir hier vorhin gemacht, gar nicht mir gegolten habe, sondern Deinem schönen, jungen Lieb. Aber noch habe ich kein Recht zur Eifersucht. Das muß ich mir erst erwerben. Und will damit anfangen, daß ich uneigennützig bin wie eine liebende Schwester, wie es Deine Schwester ist, Deine Adele, für die Du so schwärmst, und zu der Du mich morgen führen mußt, damit wir Weiber die Köpfe zusammenstecken und etwas aushecken können, etwas ganz Kluges und Gescheites, bei dem uns auch Dein angebeteter Herr Oberst und die ganze Welt helfen muß, die wir auf den Kopf stellen, wenn es nicht anders gehen will. Und jetzt, my darling, my dearest sweetest boy, go home and –
Sie lachte, als sie merkte, daß sie plötzlich – zum erstenmale – ins Englische geraten war, und ich mußte auch lachen und küßte ihr lachend wieder und wieder die schönen Hände.
Und dann saß ich im Wagen, der für mich bereit gestanden, in der Ecke, in der ich vorhin gesessen, und starrte bei dem wechselnden Licht der Laternen auf den leeren Platz neben mir, in welchem die Mutter gelehnt hatte, deren Bild, als es jetzt die überreizte Phantasie hervorzurufen suchte, sich alsbald in das der Geliebten verwandelte, welches wieder zu jenem wurde, bis ich mich ernstlich fragte, ob des Glückes Uebermaß den Menschen nicht wahnsinnig machen könne? Und die pochenden Schläfen mit beiden Händen haltend, wie ein Gebet die Verse des römischen Sängers laut vor mich hinsprach, in welchen er den Freund feierlich an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnt, und daß es sich für den Weisen schicke, in schlimmen Lagen und in guten den Gleichmut der Seele zu bewahren.