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XIII.

Um die Ecke nach der Front des Hauses biegend, sah ich Maria auf der obersten Trittstufe, in Begriff hinein zu gehen. Sie wandte sich nach dem Geräusch meiner Schritte, und ich sah, daß eine feine Röte über ihr blasses Gesicht flog, als ich nun, rasch hinaufspringend, ihre entgegengestreckte Hand ergriff und küßte.

Verzeihen Sie! sagte ich; ich weiß, Sie lieben das nicht; es ist auch nur, weil ich so glücklich bin, Sie endlich wiederzusehen.

Nicht glücklicher, als ich, sagte sie, und es zuckte dabei in ihrer Oberlippe.

Ich sah, daß es ein Lächeln sein sollte, sah es an dem heiteren Glanz ihrer Augen, die mir mit ihrem götterhaft festen Blick bis in die tiefste Seele zu schauen schienen.

Sie hatte meine Hand in der ihren behalten und führte mich so über den Flur in ein dem Kinderzimmer gegenüberliegendes kleines Gemach, an das sich, wie ich durch die offenstehende Thür sah, ihr Schlafgemach schloß. Sie verschwand in demselben, um nach einer halben Minute ohne Hut und Mantel wieder einzutreten und mit mir auf zwei Rohrsesseln neben ihrem Arbeitstische Platz zu nehmen – ein Sofa gab es in dem klösterlich einfach ausgestatteten Raume nicht.

Sie haben die Mama gesprochen, sagte sie; ich nehme es aus der Richtung ab, aus der Sie kamen; und so sind Sie über unser Leben und Treiben auf dem Laufenden. Ich helfe der Mutter, soweit es mir die fünf Stunden, die ich täglich in meiner Schule gebe, gestatten. Freilich braucht sie kaum eine oder gar keine Hilfe, da sie ausschließlich für unsre Kinder lebt; und Sie wissen, was das bei Mamas Energie sagen will. Adalbert – aber ich lasse Sie nicht zu Worte kommen – Sie wollten etwas sagen?

Ich wollte ihr allerdings sagen, daß ich sie wunderbar verschönt fände, womöglich noch edler im Ausdruck der reinen Züge, die doch so viel milder und weicher geworden waren. Ein abermaliger Blick in die herrlich klaren Augen warnte mich, und ich sagte, Adalberts Namen auffassend:

Ich habe ihn gesehen – und gehört: in der Versammlung. Dann bei Adele. Seitdem nicht wieder. Ich habe keine Zeit ihn aufzusuchen. Offen gestanden: ich glaube nicht, daß er mich vermißt hat, trotzdem er sich über unser Wiedersehen zu freuen schien.

Warum nur schien? erwiderte Maria, und es zog wie eine Wolke über die reine Stirn. Lassen Sie das alte Mißtrauen nicht wieder aufkommen und seien Sie ein für allemal überzeugt: an Adalbert ist kein Schein. Dafür bedarf er eines Freundes, das heißt Ihrer – er hat nie einen andern gehabt – mehr als je: der echte Sohn unsrer Mutter, beide entweder alles wollend oder nichts. Und er, fürchte ich, ist für sein Teil dahintergekommen, wie die Rechnung in Wirklichkeit steht. Aber nun erzählen Sie mir ein wenig, ich meine möglichst ausführlich von sich selbst: von dem Augenblick an, wo Sie von dem Hofe des Herzogs schieden. Bis dahin weiß ich Ihre Geschichte aus den Mitteilungen Ihrer liebenswürdigen Schwester und vielleicht besser als diese selbst. Sie brauchen wahrlich nicht zu erröten über eine Leidenschaft, vor der die Natur Sie nicht gewarnt hat. Und glauben Sie mir: ich würde diese Hindeutung nicht gewagt haben, wäre ich nicht entschlossen, unsre alte Freundschaft mit allen ihren Rechten und Pflichten wieder aufzunehmen. Indem ich so in das Verborgenste Ihrer Seele deutete, wollte ich nur darauf hinweisen, daß wir heute wie damals kaum etwas voreineinander verbergen können und ganz gewiß nichts voreinander zu verbergen brauchen.

Die Gelegenheit, das zur Sprache zu bringen, was mich doch, wenn ich ehrlich sein wollte, eigentlich hierher geführt hatte, war zu günstig, und so sagte ich denn rasch:

Lassen Sie mich Sie beim Wort nehmen! Es betrifft jemand, der Ihnen einmal teuer war, und dem sie es noch sind. Ich weiß es sicher – aus einem Briefe, den ich gestern von ihm empfing – von Ulrich Vogtriz.

Ich hatte dabei Maria in die Augen zu sehen versucht. Es war mir nicht recht gelungen; und jetzt war mir der unveränderte Klang ihrer Stimme kein gutes Zeichen.

Darf ich wissen, woraus Sie das letztere schließen?

Er schreibt, er habe das werden müssen, was er geworden, weil die Hand ihn verworfen, in welcher er Wachs gewesen sein würde. Und dann bittet er noch, seine »tote Liebe« zu grüßen.

Ich blickte wieder auf; es war ein Schatten über den Glanz ihrer Augen gefallen und ihre Stimme ein wenig dumpfer, als sie nach einer kurzen Pause erwiderte:

Seine tote Liebe? tot für wen? für ihn? für mich? für uns beide? Ich kann mit Sicherheit ja nur für mich sprechen, und – mein Traum ist ausgeträumt. Wer so wenig Talent zum Träumen hat, wie ich, der weiß mit seinen wenigen Träumen Bescheid – glauben Sie mir! Was ihn betrifft? Was ist er seitdem gewesen? Ein toller Student, wie ich nach den Narben schließen muß, von denen sein Gesicht zerfetzt ist – ich begegnete ihm neulich auf der Straße – zum erstenmale – er führte eine große Ulmer Dogge an der Leine und sah mich nicht – Gott sei Dank! Einer jener jungen Leute, deren Treiben mir verhaßt gewesen sein würde, wenn ich auch nicht Adalberts Schwester wäre. Was ist er jetzt? Ein junger Gelehrter, mit dessen Gelehrsamkeit es nicht weit her sein soll – sagt Adalbert. Ich vermag das nicht zu beurteilen; aber ich habe seine paar Broschüren und Aufsätze gelesen, und ein wenig verstehe ich auch von diesen Dingen. So viel, daß ich den Standpunkt erkennen kann, von dem jemand über diese Dinge schreibt, und sein Standpunkt ist der unsrer ärgsten Gegner, für die wir: Adalbert, die Mutter, ich, Ihr Schwager, Sie und alle, die auch nur ähnlich denken, wie wir, einfach Verbrecher sind. Das ist er gewesen, das ist er jetzt. Und Sie könnten wirklich glauben, er wäre ein anderer geworden, wenn ich – nun ja: wenn ich ihn weiter geliebt hätte, er der Fortdauer meiner Liebe gewiß gewesen wäre? In den Formen vielleicht, im Wesen nimmermehr. Und ich bin zu sehr meiner Mutter Tochter und meines Bruders Schwester, um nach anderer Mädchen Weise – die leider auch die Weise so vieler Männer ist – mich durch den süßen Rausch jener Empfindungen, die wir Liebe nennen, über den wesentlichen Unterschied wegtäuschen zu lassen und zu vergessen, daß die schlimmste Scheidung die der Gedanken ist, mit denen wir unsres Lebens Wurzeln nähren. Da haben Sie, lieber Lothar, die Inschrift auf dem Grab meiner »toten Liebe«. Sie ist ein wenig lang geworden; aber Ihnen war ich einige Ausführlichkeit schuldig, schon für den Fall, daß Sie doch noch einmal mit Ihrem Freunde auf dies Thema zu sprechen kommen sollten.

Das klang ja nun freilich sehr hart und trostlos für Schlagododro. Aber während sie sprach, war wiederholt die Farbe auf ihren zarten Wangen gekommen und gegangen, und sie hatte einzelnes in einer Erregung gesagt, die mir auf eine Grabesruhe in ihrem Herzen nicht eben zu deuten schien. Ich mußte darüber ins klare zu kommen suchen. So sagte ich denn:

Sie nennen mich Ulrichs Freund, trotzdem Sie wissen, daß meine Ueberzeugungen von den seinen nicht weniger weit abliegen, wie die Ihren; und ich nebenbei, was Sie nicht wissen, gerade in dieser letzten Zeit starke Veranlassung gehabt habe, ihm zu zürnen, ohne ihm – ich will das gleich hinzufügen – im Herzen wirklich gram werden zu können. Es scheint demnach, daß die Scheidung der Gedanken für die Empfindungen der Freundschaft nicht so verhängnisvoll ist, wie für die der Liebe. Oder meinen Sie nicht?

Nein, sagte sie eifrig, das meine ich ganz und gar nicht. Was der Liebe recht ist, ist der Freundschaft mindestens billig, oder ich weiß nicht, was überhaupt Freundschaft ist. Deshalb glaube ich, was Sie als Freundschaft für Ulrich noch zu fühlen glauben, das ist nur Reminiszenz dessen, was Sie für ihn empfanden zu einer Zeit, da Sie die Kluft, die Euch auch schon damals trennte, noch nicht ermessen und deshalb mit jugendfrischer Phantasie leichter überbrücken konnten. Oder, wenn Sie es jetzt noch vermögen, so kommt Ihnen diese Macht nicht aus der Freundschaft, sondern aus dem Umstande, daß Sie ein Poet sind.

Ich bin Handwerker, liebe Maria.

In dem Staate der Zukunft wird jeder Poet zugleich Handwerker sein. Das kann mich also an der Richtigkeit meiner Behauptung nicht irre machen.

Dann ist also nach Ihrer Auffassung der Poet ein Mensch, dessen Ueberzeugungen für seine Empfindungen irrelevant sind, das heißt, wenn ich nicht irre: einer, der keine Ueberzeugungen hat; was denn, auf mich angewandt, eine Schmeichelei eben nicht einschließt.

Von Schmeichelei kann zwischen uns nicht die Rede sein, erwiderte Maria; aber ich glaube, Sie haben auch keine Veranlassung, sich durch meinen Ausspruch verletzt zu fühlen. Wodurch sich nach meiner Ansicht der Dichter von den anderen Menschen unterscheidet, ja, was ihn zum Dichter macht, ist nicht, daß ihm ein Gott gab, zu sagen, was er leidet, sondern was die Menschheit leidet; das heißt: er muß das eigene Leid, welches ja jedem zuerst fühlbar wird und von dem also jeder ausgeht, so zu dem Leid der Menschheit gesteigert haben, daß er jenes nicht sagen kann, ohne dieses auszusprechen. Zu dem Zwecke muß er sich aber tiefer als wir anderen in das Denken und Empfinden anderer, vielmehr aller anderen Menschen versenken, es ganz verstehen. Und alles ganz verstehen – Sie kennen das Wort. Das eben ist das Göttliche der Poesie und das, worin sie sich mit der Religion berührt, ja, mit ihr zusammenfällt. Oder ist das Testament Johannis: »Kindlein, liebet euch untereinander!« obgleich es in der Befehlsform auftritt, nicht ein herrlichstes Gedicht? der erhabene Traum eines gotterfüllten, das heißt: die Leiden der ganzen Menschheit mit empfindenden Herzens? Ein Traum freilich nur, der niemals sich erfüllen, mit der Wirklichkeit sich decken kann, der aber von bevorzugten Herzen geträumt werden muß, damit wir, die Anderen, Minderen, auf die Prosa des Handelns Gestellten das heißt zur Einseitigkeit Verurteilten, in dieser unsrer Einseitigkeit nicht gar erstarren. Und hier ist auch der Punkt, wo Dichterherz und Frauenherz sich berühren. Nur berühren, nicht ineinander übergehen. Denn der Dichter ist der Genius, der mit gleicher Liebe alle seine Kinder liebt, weil er über ihnen schwebt und sie alle gleich durchschaut; die Frau liebt ihre Kinder, weil es eben ihre Kinder sind, trotzdem sie sie vielleicht keineswegs durchschaut, vielleicht in ihrem Denken weit von ihnen getrennt ist. Und ebenso liebt sie den Vater ihrer Kinder, oder den Mann, von dem sie fühlt, daß sie sich ihm zu eigen geben kann, ohne danach zu fragen: wie denkt er über dies und das? Nehmen Sie Ihre köstliche Schwester! Sie hat von dem, woran der Geist ihres Gatten sich abmüht, kaum eine Ahnung, und was sie davon ahnt, erfüllt sie eher mit Schrecken, oder erscheint ihr bis zur Lächerlichkeit wunderlich. Und dann braucht sie nur einen Blick auf sein weißes Haar zu werfen, das so wurde in der lichtlosen Nacht unterirdischer Kerker und bei den Schrecken einer sibirischen Flucht, in welcher der Tapfere wochenlang stündlich nicht für sich, sondern für seine Retterin bangte, – oder in seine Augen, deren Glanz all der Graus und all das Leid nicht zu trüben vermochten, und er ist ihr der Mann der Männer, der Held der Helden und ihr alles.

Das wunderbare Mädchen schwieg; ich saß stumm da, dem Nachhall ihrer klangvollen Stimme im Herzen lauschend. Auch konnte das ja nicht ihr letztes Wort gewesen sein. Wirklich hob sie nach kurzer Pause wieder an: Ich scheine mich da in Widersprüchen zu bewegen, vielmehr, wie ich es so hingestellt, sind es Widersprüche. Ich preise jetzt die Gedankenlosigkeit der Frauenliebe, die ich vorhin verurteilt habe. Aber ich habe sie eigentlich nicht preisen, sondern nur erklären wollen. Das Höchste ist sie trotzdem nicht, mir nicht: ich für meine Person habe nichts mit ihr zu schaffen. Sagen Sie, daß ich dann eben keine Frau bin, so muß ich es mir gefallen lassen, obgleich ich wohl zu meiner Entschuldigung anführen könnte, daß ich niemand, und am wenigsten einem Poeten sein Gefühl und seine Liebe rauben möchte, die ihm Inbegriff und Quintessenz seiner Poesie ist. Ja, wenn ich es recht bedenke, wollte ich weiter nichts, als Ihnen das Herz erleichtern und die Zunge lösen, im Falle Sie mir – in höflicher Erwiderung meiner Konfessionen – Gegenkonfessionen zu machen hätten, in denen es sich um keine »tote Liebe« handelt. Nicht wahr, lieber Freund, um keine tote Liebe?

Sie hatte meine Hand ergriffen; ich fühlte, daß ich unter ihrem freundlich prüfenden Blick die Farbe wechselte, und zwang mich zu einem Lächeln, welches das klopfende Herz Lügen strafte, als ich möglichst heiter erwiderte:

Wenn Sie mich, als Dichter, auch nicht ernsthaft nehmen mögen, liebe Maria, so glaubte ich doch, als ein alter Freund, vor Ihrem Spotte sicher zu sein. Ich kann Ihnen mit derselben Aufrichtigkeit, die Sie mir gegenüber bewiesen haben, versichern, daß, gäbe es für das Abgethansein einer Sache noch einen drastischeren Ausdruck als tot, ich hinsichtlich dessen, wonach Sie fragen, diesen Ausdruck wählen würde. Da ich es definitiv aufgegeben habe, ein Dichter sein zu wollen, so kann ich füglich, selbst nach Ihrem System, der Liebe entraten.

Ich hatte, während ich so sprach, unwillkürlich auf den rasch näher kommenden Hufschlag eines Pferdes gehört und mich gewundert, was wohl ein Reiter bei dieser Jahreszeit auf diesen Wegen zu suchen habe! Indem ich die letzten Worte sagte, ertönte der Hufschlag in unmittelbarer Nähe, und ein großer dunkler Gegenstand huschte an dem Fenster, dem ich halb den Rücken kehrte, vorüber, worauf das Geräusch verstummte: zweifellos ein Wagen mit Gummirädern, der nun vor dem Hause hielt.

Das ist doch seltsam; murmelte Maria, indem sie sich erhob und nach der Thür bewegte. Ich wollte fragen, was seltsam sei, als bereits an die Thür gepocht, und dieselbe dann auch sofort geöffnet wurde.

Eine junge Dame in pelzbesetztem Plüschpaletot und ebenfalls mit Pelz verbrämter, mützenartiger Kopfbedeckung stand auf der Schwelle und schaute auf uns beide mit großen halb erstaunten, halb lachenden Augen.

Ich hatte seit manchem Jahre in diese Augen nicht gesehen, aber ich glaube, ich würde sie erkannt haben, hätten sie mich aus den Höhlen einer Maske angeblickt.

Und jetzt blickten sie mich an aus dem rosigen Gesichte Ellinors von Vogtriz.


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